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Kurt Lewin und die Aktionsforschung – Die ... - Gestalt Theory

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Herbert Fitzek<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Aktionsforschung</strong> <strong>–</strong> <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des<br />

Forschers im Forschungsfeld<br />

1. Ein trauriger Jubilar<br />

Genau vor 100 Jahren - vielleicht ein paar Wochen zuvor oder ein paar Monate<br />

nach dem Frühjahr 1911 - erscheint ein junger Doktorand im Vorzimmer<br />

des berühmten Berliner Psychologieprofessors Carl Stumpf <strong>und</strong> reicht ein Thema<br />

für seine geplante Doktorarbeit ein. Wie üblich nimmt sich der altehrwürdige<br />

Ordinarius nicht selbst Zeit für den jungen Mann, sondern lässt sich den<br />

Plan von einem seiner Assistenten unterbreiten. Der viel beschäftigte Stumpf<br />

stimmt zu <strong>und</strong> sieht den Doktoranden offenbar erst drei Jahre später wieder, als<br />

<strong>die</strong>ser seine Promotionsschrift „<strong>Die</strong> Erziehung der Versuchsperson zur richtigen<br />

Selbstbeobachtung“ einreicht. Stumpf gefällt es nicht, dass der junge Mann<br />

statt sauberer experimenteller Arbeit methodische Überlegungen vorlegt, <strong>und</strong><br />

ihm gefällt wohl noch weniger, dass <strong>die</strong>se Überlegungen sich mit der Doppelnatur<br />

von Versuchspersonen als Subjekten <strong>und</strong> Objekten des Geschehens auseinandersetzen.<br />

Als Objekte sollen sie möglichst eigenschaftslose Träger der im Experiment<br />

geprüften Wahrnehmungen, Empfindungen <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen<br />

sein, als Subjekte <strong>die</strong>se Regungen beobachten <strong>und</strong> bewerten. <strong>Lewin</strong> hält für<br />

<strong>die</strong> Wahrnehmung <strong>die</strong>ser Doppelfunktion eine Schulung der Versuchspersonen<br />

für unerlässlich <strong>und</strong> will <strong>die</strong> Schulung insbesondere auf <strong>die</strong> Kunst der Selbstbeobachtung<br />

konzentrieren1 . Stumpf hält sich mit derlei methodologischen Komplikationen<br />

nicht gerne auf <strong>und</strong> lässt den jungen Doktoranden am 10.9.1914<br />

durch <strong>die</strong> Prüfung rauschen - nicht ohne den Rat, das Werk nach der Ergänzung<br />

durch empirische, d.h. experimentelle Bef<strong>und</strong>e noch einmal als Dissertation<br />

einzureichen. So geschieht es schließlich, <strong>und</strong> der junge Doktorand erhält<br />

zwei Jahre (15.12.1916) später nicht nur <strong>die</strong> Doktorurk<strong>und</strong>e, sondern auch den<br />

Vertrauensvorschuss für eine wissenschaftliche Karriere, <strong>die</strong> man als eine der<br />

bedeutendsten in der Geschichte der Psychologie bezeichnen kann (vgl. insbesondere<br />

Wittmann 1997, 160ff.). Wie unschwer zu erraten ist, handelt es sich bei<br />

dem traurigen Jubilar um keinen Geringeren als <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, den Begründer der<br />

1 Eine Idee, <strong>die</strong> an unserer Hochschule, der Businessschool Potsdam (BSP), in Form von „Erlebensprotokollen“<br />

<strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>lage der qualitativen Methodenausbildung bildet.<br />

GESTALT THEORY<br />

© 2011(ISSN 0170-057 X)<br />

Vol. 33, No.2, 163-174


GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />

Feldtheorie <strong>und</strong> bedeutenden Vorkämpfer einer gestaltpsychologisch ausgerichteten<br />

Wirtschaftspsychologie.<br />

Abb 1. <strong>Die</strong>go Velasquez (1599-1660), „Las Meniñas“.<br />

2. <strong>Die</strong> Kunst der Selbstentdeckung <strong>–</strong> Exkurs in <strong>die</strong> Malerwerkstatt des 17.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

Kaum ein Kunstwerk hat so vielfältige Deutungen herausgefordert wie <strong>Die</strong>go<br />

Velazquez‘ Darstellung „Las Meniñas“ aus dem Jahr 1656 (vgl. Foucault 1971;<br />

Greub 2001). Zwar ist seit Langem bekannt, wer darauf abgebildet ist (vgl. schon<br />

Palomino 1724), doch gibt <strong>die</strong> Komposition selbst Rätsel auf, weil <strong>die</strong> Figuren<br />

in überaus vieldeutigen Verhältnissen zueinander stehen <strong>und</strong> sich der Künstler<br />

über<strong>die</strong>s beim Portraitieren des spanischen Hofstaates an der Staffelei selbst porträtiert.<br />

Das Werk fordert insbesondere zu der Frage heraus, wen oder was der<br />

Künstler dabei auf <strong>die</strong> Leinwand bannt, denn <strong>die</strong>se ist dem Blick entzogen, das<br />

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Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

Bild im Bild für den Betrachter unsichtbar. Wenig plausibel erscheint, dass er <strong>die</strong><br />

Infantin Margarita <strong>und</strong> ihre Hoffräulein von hinten portraitiert, wie es der naive<br />

Blick in <strong>die</strong> Szenerie zunächst erscheinen lässt. Viele Interpreten sind vielmehr<br />

davon ausgegangen, dass <strong>die</strong> jungen Hofdamen vor einem Spiegel posieren, in<br />

den Velazquez blickt, um <strong>die</strong> Szene ohne aufdringliche Nähe zum Motiv bildlich<br />

festzuhalten. Hier scheint jedoch fraglich, warum das Königspaar selbst trotz der<br />

Anwesenheit des Hofmarschalls (in der halb offenen Tür) nur wiederum als Portrait<br />

im Raum präsent sein sollte. Oder ist der Spiegel gar nicht außerhalb der<br />

Bildoberfläche angebracht, sondern im Hintergr<strong>und</strong> des sichtbaren Geschehens;<br />

dann wären König <strong>und</strong> Königin das Motiv des Künstlers, das zwar nicht unmittelbar<br />

ansichtig ist, wohl aber im Spiegel an der Wand erscheint.<br />

Alle <strong>die</strong>se Deutungen zielen auf <strong>die</strong> Komposition der verschiedenen Personen zueinander<br />

<strong>und</strong> zum Künstler ab. Nur selten wird hingegen danach gefragt, wohin<br />

der Künstler denn eigentlich blickt, während er sie porträtiert - was dem Motiv<br />

der Abbildung doch eigentlich entsprechen dürfte. Man findet gelegentlich den<br />

Hinweis darauf, der Künstler blicke in Richtung des Betrachters, doch bin ich<br />

selbst nirgendwo in der Literatur der nahe liegenden Konsequenz begegnet, <strong>die</strong><br />

Besonderheit der Meniñas darin zu verorten, dass der Künstler hier niemanden<br />

Geringeren abbildet als eben <strong>die</strong>sen, den Betrachter.<br />

Eine abwegige Deutung? Weil der Künstler den Betrachter doch unmöglich<br />

wahrnehmen kann, zumal ihn der Lauf der Zeit immer weiter von der Lebenswelt<br />

des modernen Menschen entfernt <strong>und</strong> er dabei immer neue Generationen<br />

von Betrachtern ins Visier bekäme? Hier muss erinnert werden, dass für <strong>die</strong><br />

Kunst Unmöglichkeiten wie <strong>die</strong>se allenfalls Herausforderungen darstellen, <strong>die</strong><br />

es zu bewältigen gilt. Zu allen Zeiten ist Visionäres, Phantastisches <strong>und</strong> ganz<br />

<strong>und</strong> gar Unmögliches abgebildet worden - warum nicht zur Abwechslung der<br />

Betrachter? Es ist wohl weniger <strong>die</strong> Unmöglichkeit, <strong>die</strong> den direkten Weg einer<br />

Deutung versperrt. Vielmehr scheint mir der Gr<strong>und</strong> dafür in der Ungeheuerlichkeit<br />

zu liegen, dass ein Künstler den Blick gleichsam umwendet <strong>und</strong> statt den<br />

Betrachter in <strong>die</strong> Szenerie, <strong>die</strong> Szene auf den Beobachter blicken lässt. <strong>Die</strong> Blickwendung<br />

nötigt dem Betrachter nämlich eine unmissverständliche, dabei verstörende<br />

Erkenntnis auf: „Das bin ja ich, der dort vom Künstler beim Zuschauen<br />

porträtiert wird!“<br />

Dass ein solches Maßnehmen des Künstlers am Betrachter nicht auf <strong>die</strong> stoische<br />

Ruhe zählen kann, <strong>die</strong> dem Modellstehen gemeinhin zukommt, sondern vielmehr<br />

eine seltsame Beklommenheit aufruft, verweist auf den sprichwörtlichen<br />

Verlust an „Exklusivität“, <strong>die</strong> dem Kunstbetrachter mit der Umkehrung des Blikkes<br />

zugemutet wird. Dem Blick des Künstlers preisgegeben, entdeckt sich der<br />

Zuschauer hier als mehr oder weniger peinlich bloßgestellter Voyeur. Damit verlängert<br />

sich <strong>die</strong> viel beachtete Selbstentdeckung des Künstlers im Bildnis zu einer<br />

eher verheimlichten Selbstentdeckung des Betrachters beim Betrachten. Von<br />

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GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />

Ferne erinnert das an <strong>die</strong> geläufige Peinlichkeit der Erfahrung, beim Blicken<br />

durch ein Schlüsselloch beobachtet zu werden. Wie anders wäre es Zeitgenossen<br />

<strong>und</strong> uns Heutigen wohl auch möglich, ungestraft in den Ankleideraum der Königsfamilie<br />

Einblick zu nehmen <strong>und</strong> den Künstler beim Malen <strong>und</strong> den Königskindern<br />

beim Posieren beizuwohnen. Velazquez „Meniñas“ stellen von daher den<br />

Gegenangriff der Kunst gegen <strong>die</strong> verborgene Blickposition der Betrachter dar;<br />

sie sind damit frühe Vorläufer der Videokunst, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Angriff der Objekte auf<br />

<strong>die</strong> Wahrnehmenden mit den Me<strong>die</strong>n des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts zu einiger<br />

Perfektion getrieben haben.<br />

3. <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

<strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>s Beitrag zur Psychologie im zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>ert ist unbestritten.<br />

Allerdings kann <strong>die</strong> Erfolgsgeschichte des einstmals „traurigen Jubilars“<br />

kaum darüber hinwegtäuschen, dass trotz der in vielen Lehrbüchern bek<strong>und</strong>eten<br />

Referenzen gegenüber dem Begründer der Sozialpsychologie, dem Pionier<br />

der Wirtschaftspsychologie, Entdecker der Gruppendynamik <strong>und</strong> Vordenker der<br />

Organisationspsychologie inhaltliche Auseinandersetzungen mit seinen methodologischen<br />

Innovationen selten geblieben sind (vgl. z.B. noch French & Bell<br />

1973). Vielfach begnügt man sich mit einer Erinnerung an einzelne Hinterlassenschaften<br />

(wie T-Gruppen, Unfreezing-Changing-Refreezing-Modell, autoritäre<br />

vs. demokratische Führungsstile usw.), wo es <strong>Lewin</strong> sprichwörtlich immer<br />

ums „Ganze“ ging: ein Gegenstand <strong>und</strong> Methode umfassendes („makroskopisches“)<br />

Konzept vom psychischen Gegenstand. Dazu gehörte der Ausbau<br />

der <strong>Gestalt</strong>psychologie zu einem das Erleben <strong>und</strong> Verhalten in seiner Breite <strong>und</strong><br />

Tiefgründigkeit umspannenden Gesamtkonzept mit den daraus hervorgehenden<br />

Folgerungen einer auf Beschreibung <strong>und</strong> Variation von Bedingungen ausgerichteten<br />

Experimentalmethode. Seine „Feldtheorie“ dynamisch gespannter Systeme<br />

richtete sich gegen <strong>die</strong> zeitgenössische Elementenpsychologie genauso wie gegen<br />

<strong>die</strong> <strong>und</strong>ifferenzierte Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden in der Psychologie<br />

(vgl. etwa <strong>Lewin</strong> 1926; Fitzek 2010).<br />

<strong>Die</strong> Ausgestaltung der noch stark um optische Erscheinungen zentrierten „<strong>Gestalt</strong>theorie“<br />

zu einer Psychologie von Handlungs- <strong>und</strong> Wirkungs-„Feldern“ zielte<br />

darauf ab, das Erleben <strong>und</strong> Verhalten als Inbegriff aktueller Wirksamkeiten<br />

zu charakterisieren. Menschen, Dinge, Erfahrungen, Wünsche, Widerstände erweisen<br />

sich situativ als Handlungsziele, Hilfsmittel oder Barrieren im aktuell<br />

wirksamen Ganzen <strong>und</strong> werden quasi mathematisch nach ihrer (positiven oder<br />

negativen) Wertigkeit verrechnet. Trotz mathematischer Analogien sah <strong>Lewin</strong><br />

<strong>die</strong> Aufgabe der Feldtheorie immer als psychologische Aufgabe an, für deren Erfüllung<br />

qualitative Methoden zu entwickeln sind. <strong>Die</strong> Planung, Durchführung<br />

<strong>und</strong> Auswertung von Experimenten beruht letztlich auf Erlebensqualitäten der<br />

handelnden Personen <strong>und</strong> der wahrnehmenden Psychologen.<br />

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Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

Beobachter <strong>und</strong> Beobachtete waren für <strong>Lewin</strong> daher Teilnehmer an einem (gemeinsamen)<br />

Wirkungsfeld. Weit entfernt vom Ideal naturwissenschaftlicher<br />

Objektivität sah er das Forschen notwendig in den Kontext der Experimentalsituation<br />

eingeb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> Selbstverortung der Naturwissenschaft in einer extram<strong>und</strong>anen<br />

Labor-Wirklichkeit hielt <strong>Lewin</strong> für eine (angenehme) Illusion. Wenn<br />

das psychische Feld <strong>die</strong> Gesamtheit aller Wirksamkeiten umfasst, dann ist das<br />

wissenschaftliche Herangehen nicht außerhalb, sondern in weiten Teilen innerhalb<br />

des Feldes zu verorten <strong>und</strong> entsprechend seiner Valenz im Forschungsfeld zu<br />

berücksichtigen. Der beobachtende Psychologe gehört dann <strong>–</strong> wie der Künstler<br />

in der Kunst <strong>–</strong> in den Bedingungszusammenhangs des Handlungsfeldes hinein.<br />

Das war für den frühen <strong>Lewin</strong> in seiner ungeliebten Doktorarbeit zum Anlass<br />

geworden, <strong>die</strong> Subjektivität der scheinbar (rein) objektiv eingestellten Versuchsteilnehmer<br />

zu schulen (s.o.; <strong>Lewin</strong> 1914). Dem späten <strong>Lewin</strong> ging es mehr <strong>und</strong><br />

mehr um <strong>die</strong> Objektzugehörigkeit des Psychologen als Beobachter, Versuchsleiter<br />

<strong>und</strong> Akteur im Wirkungsfeld seiner Versuche.<br />

In der gemeinsam mit seinen Schüler(inne)n durchgeführten Berliner Experimentalreihe<br />

zur „Handlungs- <strong>und</strong> Affektpsychologie“ sind <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> seine<br />

Schüler den methodischen Komplikationen der Einbeziehung des Forschers in<br />

das Forschungsfeld nicht ausgewichen. Nur hypothetisch ist <strong>die</strong>ser aus dem Wirkungsfeld<br />

des Gegenstandsbereiches in den geschützten Raum der objektiven<br />

Einstellung entfernt. Tatsächlich bleibt er selbst dort ins Geschehen einbegriffen,<br />

wenn sich seine Tätigkeit scheinbar auf das Einrichten der Versuchsverfassung<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> zurückgezogene Versuchsbeobachtung beschränkt.<br />

Das lässt sich sehr deutlich an einer Arbeit der <strong>Lewin</strong>-Schülerin <strong>und</strong> späteren<br />

Assistentin Tamara Dembo über den „Ärger“ erkennen. Der Feldtheorie zufolge<br />

stehen Affekte wie der Ärger im Seelenhaushalt nicht für sich. Sie resultieren<br />

aus dem Feldcharakter gespannter Systeme, <strong>die</strong> im Fall von „Ärgerereignissen“<br />

keinen passenden Abschluss gef<strong>und</strong>en haben. Eine „konditional-genetische“<br />

Klärung verortet das Phänomen „Ärger“ im Kontext von Handlungsganzheiten,<br />

deren psychologischen Charakter Dembo als „Das-Ziel-erreichen-Wollen<strong>und</strong>-nicht-Können“<br />

beschreibt (Dembo 1931, 9). Im qualitativen Experiment<br />

der „Berliner Schule“ ging es demzufolge darum, <strong>die</strong> experimentelle Erzeugung<br />

<strong>und</strong> Variation gesperrter Zielzugänge in Handlungsfeldern zu erreichen (Dembo<br />

1931, 5f). In solchen Experimentalsituationen sind Versuchspersonen <strong>und</strong> Versuchsleiter<br />

- wenn auch in unterschiedlichen Rollen - notwendigerweise gemeinsam<br />

in <strong>die</strong> Ärger erregenden Handlungsganzheiten einbezogen.<br />

Von einem makroskopischen Ansatz her war es konsequent, den Versuchsleiter<br />

selbstverständlich in das Ensemble der Wirkkomponenten einzuordnen. Darauf<br />

war bereits <strong>die</strong> Generation von Wertheimer <strong>und</strong> Köhler gestoßen, denen <strong>die</strong> Subjektvergessenheit<br />

der sich hinter Objektivitätsforderungen verschanzenden Kollegen<br />

verdächtig erschienen war. Interessant ist nun, dass Dembo dem Einbezug<br />

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GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />

des Versuchsleiters in den Versuch ein eigenes Kapitel ihrer Arbeit widmet. <strong>Die</strong><br />

scheinbar objektive Außenstellung des Forschers verdeckt <strong>die</strong> Vielfalt von Wirkungsangeboten,<br />

<strong>die</strong> den Versuchsleiter intentional oder unbemerkt tatsächlich<br />

erreichen <strong>und</strong> seine (unvermeidliche) Teilnahme am Wirkungsfeld ausnutzen.<br />

Für <strong>die</strong> Versuchsteilnehmer ist der Psychologe entweder<br />

„1. <strong>die</strong> treibende Kraft für <strong>die</strong> Lösungsbemühungen um <strong>die</strong> Aufgabe: für ihn<br />

wird <strong>die</strong> Aufgabe ‚aus Gefälligkeit‘ übernommen. 2. Er hat <strong>die</strong> Stellung eines<br />

Mitmenschen, der es besser kann. 3. Er bestimmt das Aufgabeziel, aber versperrt<br />

es zugleich; er hat also <strong>die</strong> Stellung einer Innenbarriere. 4. Er ist eine Barriere<br />

um das Feld herum, <strong>die</strong> das Weggehen verhindert. 5. Er ist ein mögliches Werkzeug.<br />

6. Er ist eine Person, <strong>die</strong> sich jenseits des Aufgabenfeldes befindet, <strong>und</strong> man<br />

kann sich seiner be<strong>die</strong>nen, um aus dem Felde zu gehen. 7. Er ist der ärgererregende<br />

‚Stein des Anstoßes‘, ein sich veränderndes, reagierendes <strong>und</strong> provozierendes<br />

Wesen, das in den Versuchsverlauf aktiv eingreift, sich als ein ‚Feind‘ erweist“<br />

(Dembo 1931, 73).<br />

Kaum eine zeitgenössische experimentelle Arbeit geht auf <strong>die</strong> Beteiligung des<br />

Forschers in den Forschungsverlauf so bereitwillig <strong>und</strong> klarsichtig ein wie <strong>die</strong><br />

von Tamara Dembo. In ihren Beschreibungen folgt sie der interaktiven Prozessdynamik<br />

zwischen Versuchsleitung <strong>und</strong> Versuchsperson in ihrer mal spielerischen,<br />

mal kämpferischen, gelegentlich auch handgreiflichen Qualität (vgl. etwa<br />

Dembo 1931, 80). Damit unterläuft sie nicht nur <strong>die</strong> in den Veröffentlichungen<br />

experimenteller Psychologen eher peinlich gewahrte „Objektivität“ des Vorgehens,<br />

sondern unterminiert in ihrem zuweilen tiefenpsychologischen Scharfsinn<br />

<strong>die</strong> landläufige „Rationalität“ psychologischer Erklärungen:<br />

“Der Kampf mit dem Vl. kann in offener oder verdeckter Form geführt werden.<br />

<strong>Die</strong> Vp. ‚verweigert‘ etwa direkt den Gehorsam Oder es kommt zu einer körperlichen<br />

Kampfmaßnahme <strong>Die</strong> Vp. beschimpft den Vl. oder droht Rache Der<br />

Vp. fällt es plötzlich ein, ‚dass sie den Spieß umdrehen‘, nämlich statt sich zu bemühen,<br />

nichts tun <strong>und</strong> den Vl. ,warten lassen‘ kann Besonders gemein erscheint<br />

der Kampf in der Form einer Liebenswürdigkeit“ (Dembo 1931, 81).<br />

4. „Der überraschte Psychologe“ - Forschungsreflexivität als Gr<strong>und</strong>lage für<br />

<strong>die</strong> Konzeption von <strong>Aktionsforschung</strong><br />

In Konsequenz zeigen <strong>die</strong> Darstellungen <strong>Lewin</strong>s <strong>und</strong> seiner Schüler(innen), dass<br />

<strong>die</strong> Forschungsobjektivität des Forschers <strong>und</strong> der Forscherin in der Modellierung<br />

des Versuchsfeldes zwar angezielt, aber niemals vollkommen verwirklicht<br />

ist, <strong>und</strong> dass sein Einbezug ins Feld der Forschung zwar kontrolliert, zurückgedrängt<br />

oder verleugnet, aber jedenfalls nicht vollständig ausgeschaltet werden<br />

kann. Wie der Betrachter im eingangs erwähnten Kunstwerk steht auch der psychologische<br />

Beobachter nicht außerhalb des Sichtfeldes. Er zieht vielmehr, indem<br />

er es mit Menschen zu tun hat, selbst <strong>die</strong> Blicke der Versuchsteilnehmer auf sich,<br />

ist als Feldkomponente aktiv wie passiv in den Ablauf des Geschehens einbegrif-<br />

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Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

fen <strong>und</strong> kann <strong>die</strong>s ängstlich abwehren oder aufmerksam zur Kenntnis nehmen.<br />

Wie bei Velazquez ist der unsichtbare Beobachter in der psychologischen Arbeit<br />

eine Fiktion. Wie dort ruft <strong>die</strong> Blickwendung auf den Beobachter als Akteur<br />

<strong>die</strong> Beklommenheit des unerhörten Ereignisses hervor, das der gewohnten Perspektive<br />

geradewegs entgegenläuft, dabei möglich <strong>und</strong> real ist. Sie macht darauf<br />

aufmerksam, dass <strong>die</strong> „Extram<strong>und</strong>anität“ (Straus 1936) des Forschers eine schöne<br />

Fiktion ist, mit der sich <strong>die</strong> Humanwissenschaft zu naturwissenschaftlicher<br />

Exaktheit veredeln will - wobei ausgerechnet <strong>die</strong> moderne Physik das Ideal subjektunabhängiger<br />

Gegenstandskonstitution längst verworfen hat. Insofern verpasst<br />

<strong>die</strong> naturwissenschaftliche Psychologie mit ihrem Objektivitätsanspruch,<br />

wie <strong>Lewin</strong> frühzeitig erkannte, <strong>die</strong> Chance, <strong>die</strong> Subjektgeb<strong>und</strong>enheit des psychologischen<br />

Forschens als methodologische Chance zu nutzen. Es ist vielleicht<br />

gewagt, aber nicht abwegig, <strong>Lewin</strong>s methodischen Wechsel vom europäischen<br />

zum amerikanischen Kontinent als Konsequenz <strong>und</strong> Ausgestaltung <strong>die</strong>ser Erkenntnis<br />

zu interpretieren.<br />

Vielfach wird unterstellt, <strong>Lewin</strong> habe mit seiner erzwungenen Emigration nicht<br />

nur seine institutionelle Umgebung aufgegeben, sondern auch wesentliche Teile<br />

seines Forschungskonzeptes. Das mag für den Wechsel von der experimentellen<br />

Handlungsforschung zur mehr <strong>und</strong> mehr praxisgeleiteten Wirkungsforschung<br />

für verschiedene soziale, politische <strong>und</strong> konfessionelle Organisationen in Amerika<br />

gelten. Sein feldtheoretisches Gesamtkonzept <strong>und</strong> <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>ene<br />

methodologische Gr<strong>und</strong>orientierung aber blieben ihm zeitlebens erhalten. Für<br />

<strong>die</strong> zentrale Frage nach der methodischen Kehrseite der Anwesenheit des Forschers<br />

im Wirkungsraum der Forschung fand <strong>Lewin</strong> in der Folgezeit eine Lösung,<br />

<strong>die</strong> in zunehmender Abkehr von den Einschränkungen der Forschungsobjektivität<br />

<strong>und</strong> verstärkter Hinwendung zum aktiven <strong>Gestalt</strong>en der Arbeitsfelder<br />

der Psychologie lag. Dafür übernahm er kurz vor seinem Tod (möglicherweise<br />

von Moreno) den Namen „Action Research“, der in der deutschen Übersetzung<br />

zunächst meist mit Tat-Forschung, später dann häufiger mit „<strong>Aktionsforschung</strong>“<br />

übersetzt wurde.<br />

<strong>Lewin</strong>s Skizzierung einer „<strong>Aktionsforschung</strong>“ kann, weil er mit seinen Ausführungen<br />

gerade erst am Anfang stand <strong>und</strong> vor seinem Tod nicht mehr als einen<br />

programmatischen Aufsatz zum Thema schreiben konnte, wie ein Plädoyer für<br />

aktiveres, mutigeres Forschen verstanden werden:<br />

„<strong>Die</strong> für <strong>die</strong> soziale Praxis erforderliche Forschung lässt sich am besten als eine<br />

Forschung im <strong>Die</strong>nste sozialer Unternehmungen oder sozialer Technik kennzeichnen.<br />

Sie ist eine Art Tat-Forschung (‚action research‘), eine vergleichende Erforschung<br />

der Bedingungen <strong>und</strong> Wirkungen verschiedener Formen des sozialen<br />

Handelns <strong>und</strong> eine zu sozialem Handeln führende Forschung. Eine Forschung,<br />

<strong>die</strong> nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht“ (<strong>Lewin</strong> 1946, 280).<br />

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GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />

Doch erschöpft sich der Aufruf zum aktiven Forschen nicht im Kampf gegen<br />

wissenschaftliche Stubenhockerei. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des zentralen methodologischen<br />

Anliegens gibt <strong>Lewin</strong> vielmehr das klassische Objektivitätsverständnis<br />

der akademischen Psychologie ausdrücklich preis <strong>und</strong> erschließt damit der<br />

(Sozial-) Forschung neue, von ihm selbst rasch <strong>und</strong> mutig beschrittene Wege.<br />

Als sich entdeckende Wirksamkeiten im psychischen Feld tauschen Psychologen<br />

den Nimbus der Unsichtbarkeit gegen <strong>die</strong> Möglichkeit ein, ihre Präsenz im Feld<br />

der agierenden Personen aktiv zu nutzen. <strong>Die</strong> inverse Beobachtung des Subjekts<br />

durch das Objekt kann im Wissenschaftsbetrieb der Psychologie als Chance verstanden<br />

werden, <strong>die</strong> eigene Person als alternatives Wirkungszentrum im Feld zu<br />

positionieren - als eine Art Katalysator, der das Feld im Sinne der „guten“, d.h.<br />

funktionstüchtigen <strong>Gestalt</strong> umstrukturiert. Psychologen müssen es dabei ertragen,<br />

durch <strong>die</strong> Brille <strong>und</strong> mit den Augen der beteiligten Personen wahrgenommen<br />

zu werden, sich selbst als potenziell verstrickte <strong>und</strong> (re-)agierende Akteure<br />

zu verstehen <strong>und</strong> aus ihrer Verwicklung - womöglich mit fremder Hilfe - ihre<br />

Lehren zu ziehen (vgl. Fitzek 2005).<br />

Wann immer sich Psychologen darauf einlassen, „subjektive“ Irritationen <strong>und</strong><br />

Unzulänglichkeiten als „objektive“ Auswirkung von Feldbedingungen sehen zu<br />

lernen, verschaffen sie sich durch ihr geschultes Sensorium neue Objektzugänge.<br />

Damit offenbart <strong>die</strong> von <strong>Lewin</strong> angeschobene „<strong>Aktionsforschung</strong>“ Qualitäten,<br />

<strong>die</strong> sonst eher in der methodologischen Tradition der Psychoanalyse beachtet<br />

werden. So ist bereits Theodor Reiks Entdeckung des „überraschten Psychologen“<br />

vom Kampf um <strong>die</strong> verborgene Beobachtungshaltung des Psychologen geprägt,<br />

<strong>und</strong> der Psychoanalytiker Georges Devereux hat <strong>die</strong> Objektivitätsforderung<br />

der Verhaltenswissenschaft in <strong>die</strong>sem Sinne als Abwehrkampf gegen eigene<br />

Betroffenheit gewendet (vgl. Reik 1927; Devereux 1975). 2<br />

Ganz sicher ist der aus der akademischen Tradition hervorgegangene <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong><br />

in seiner (unbestreitbaren) Annäherung an <strong>die</strong> Psychoanalyse nicht so weit<br />

gegangen, <strong>die</strong> wissenschaftliche Arbeit als Übertragungs- bzw. Gegenübertragungsgeschehen<br />

zu verstehen. Doch hat er sich in seiner Arbeitspraxis als Agent,<br />

Berater <strong>und</strong> Entwickler von sozialen, politischen <strong>und</strong> konfessionellen Organisationen<br />

mit Energie auf das Geflecht von Wünschen <strong>und</strong> Erwartung, Vorbehalten<br />

<strong>und</strong> Widerständen eingelassen, das den Psychologen in der Feldarbeit von Diagnose,<br />

Analyse <strong>und</strong> Beratung erwartet. Gerade in den Feldern der Beratung von<br />

Organisationen gehört <strong>die</strong> Erfahrung der Abwehr, Duldung, Einbeziehung oder<br />

Vergewaltigung des Psychologen durch den in Frage stehenden Untersuchungsgegenstand<br />

zu den wesentlichen Erkenntnissen über dessen psychologische Eigenart.<br />

Es ist kein Erkenntnishindernis, sondern vielmehr ein Erkenntnismit-<br />

2 Devereux war übrigens zeitweise sehr an der <strong>Gestalt</strong>theorie interessiert <strong>und</strong> ist mit seinem Plädoyer für<br />

selbstreflexive Teilhabe der Wissenschaftler an der Wirklichkeit ihrer Objekte später auch ausdrücklich mit der<br />

<strong>Aktionsforschung</strong> zusammengebracht worden (vgl. Devereux 1951; Gstettner 1979).<br />

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Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

tel, wenn Psychologen als Kollaborateure, Spitzel, große Brüder, Gegenspieler,<br />

Fre<strong>und</strong>e, Assistenten, Hoffnungsträger, Fremdkörper, Sparringspartner, Paragrafenhengste,<br />

Magier, heimliche Herrscher in Organisationen eingeb<strong>und</strong>en wurden3<br />

. Rollenzuschreibungen wie <strong>die</strong>se qualifizieren <strong>die</strong> psychologische Arbeit im<br />

„Aktionsfeld“ von Organisationsanalyse <strong>und</strong> Organisationsentwicklung als diagnostische<br />

<strong>und</strong> performative Tätigkeit.<br />

In der Literatur erscheint es häufig, als habe sich <strong>Lewin</strong>, wenn schon nicht in der<br />

Breite seiner Interessen <strong>und</strong> Kompetenzen, so doch wenigstens in der Konzeption<br />

von „<strong>Aktionsforschung</strong>“ durchgesetzt (z.B. bei Graumann 1992). <strong>Die</strong> <strong>Aktionsforschung</strong><br />

erhielt zunächst in Deutschland besonders in den siebziger <strong>und</strong><br />

achtziger Jahren, in Amerika gerade auch in den letzten zwanzig Jahren großen<br />

Auftrieb. Zumindest <strong>die</strong> deutsche <strong>Aktionsforschung</strong>swelle verdankt ihre Popularität<br />

allerdings weniger <strong>Lewin</strong>s methodischen Impulsen als dem Aufkommen<br />

einer gesellschafts- <strong>und</strong> wissenschaftskritischen Gegenbewegung gegen <strong>die</strong> klassische<br />

Laborforschung. <strong>Die</strong> aktuelle Verbreitung von Action Research in Amerika<br />

steht weniger für kritisches Potenzial gegen den Konservativismus der objektwissenschaftlichen<br />

Tradition als für eine zunehmend pragmatische Orientierung<br />

der Sozialwissenschaft im Zugang zu ihrem Forschungsfeld <strong>und</strong> in der<br />

Forschungspraxis (vgl. Stringer 1999; Reason & Bradbury 2001). Man mag es<br />

<strong>Lewin</strong>s Erbe <strong>und</strong> dem Entwicklungspotenzial der psychologischen Forschung<br />

wünschen, dass <strong>die</strong> aufstörende Kreativität des Konzeptes von Wissenschaft als<br />

subjektreflexivem Forschen gerade in der qualitativen Methodologie aufgegriffen<br />

<strong>und</strong> fruchtbar gewendet wird (Mruck & Mey 1996; Breuer 2010).<br />

Zusammenfassung<br />

Ein Rahmenthema der psychologischen Arbeit war für <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> <strong>die</strong> Überschneidung<br />

von Subjekt <strong>und</strong> Objekt im Handlungsraum. In der Verortung des Forschers im<br />

Forschungsfeld sah er daher eine zentrale methodologische Eigenheit der Psychologie<br />

<strong>und</strong> eine persönliche methodische Herausforderung, <strong>die</strong> sein wissenschaftliches Schaffen<br />

von Beginn an konsequent begleitete. In einer seiner letzten Arbeiten summierte er<br />

seine Erkenntnisse unter dem programmatischen Anspruch einer „<strong>Aktionsforschung</strong>“<br />

(oder „Tatforschung“), <strong>die</strong> in der deutschen wie in der amerikanischen Tradition in der<br />

Folgezeit sehr unterschiedlich rezipiert <strong>und</strong> interpretiert wurde. Für <strong>die</strong> psychologische<br />

Arbeit mit Organisationen (Institutionen, Unternehmen) kann das Agieren des Forschers<br />

im Forschungsfeld zum Schlüssel werden, das Erleben, Wahrnehmen <strong>und</strong> Handeln<br />

der beteiligten Forscher <strong>und</strong> Forscherinnen als Ausdruck <strong>und</strong> Instrument von Organisationsentwicklung<br />

zu nutzen. <strong>Aktionsforschung</strong> markiert in <strong>die</strong>sem Verständnis<br />

den Übergang von der Forschung zur Beratung, von der Organisationsanalyse zur Organisationsentwicklung.<br />

Dass Psychologen gewollt oder ungewollt als „Akteure“ in der<br />

Organisation handeln, ist unvermeidlich, beschämend <strong>und</strong> entwicklungsfördernd zu-<br />

3 Ambivalenzen, in denen ich mich selbst in meiner Tätigkeit als Organisationsberater immer wieder sehr<br />

konkret wiedergef<strong>und</strong>en habe; (vgl. z.B. Fitzek 2007).<br />

171


GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />

gleich - vorausgesetzt, sie stellen sich der Herausforderung von Übertragung <strong>und</strong> Gegenübertragung<br />

in ihrer täglichen Arbeit.<br />

Schlüsselwörter: <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, <strong>Aktionsforschung</strong>, Feldtheorie, Organisationspsychologie.<br />

Summary<br />

As a core topic of his work, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> referred to the permeations of subject and object<br />

in psychological research. The transitions between the objects and the agents of scientific<br />

interest became a central methodological issue in <strong>Lewin</strong>’s psychological work and a<br />

personal challenge in his actual (daily) research. <strong>Lewin</strong> continuously followed the consequences<br />

of this challenge from the early writings up to his final works. At last, he subsumed<br />

his findings <strong>und</strong>er the program of “action research”, which since then has been considered<br />

and interpreted in different ways <strong>–</strong> especially in the German and American research<br />

tradition. Referring to the conception of organizational development, the interferences<br />

of field dynamics and research activities can be used to <strong>und</strong>erstand the subject of research<br />

in a more adequate way as by a strictly “objective” attitude. Although the experiences of<br />

the researcher in the field sometimes may be compromising or even intimidating, they<br />

may serve as a means of <strong>und</strong>erstanding and developing organizations - using transference<br />

and counter-transference as instruments of psychological analysis and counselling.<br />

Keywords: <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, action research, field theory, organizational psychology.<br />

Literatur<br />

Breuer, F. (2010): Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>lagen qualitativer Methodik in der Psychologie. In Mey,<br />

G. & Mruck, K. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie. Ein Handbuch, 35-49. Wiesbaden: VS<br />

Verlag für Sozialwissenschaften.<br />

Dembo, T. (1931): Der Ärger als dynamisches Problem. Untersuchungen zur Handlungs- <strong>und</strong> Affektpsychologie<br />

X. Psychologische Forschung 15, 1-144.<br />

Devereux, G. (1951): Some Criteria for the Timing of Confrontations and Interpretations. International<br />

Journal of Psychoanalysis XXXII, 19-24.<br />

Devereux, G. (1975): Angst <strong>und</strong> Methode in der Verhaltenswissenschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />

Fitzek, H. (2005): <strong>Gestalt</strong>psychologie als Gr<strong>und</strong>lage einer Methodologie der qualitativen Forschung - dargestellt<br />

am Gütekriterium „gegenständliche Relevanz“. Journal für Psychologie 13, 372-402.<br />

Fitzek, H. (2007): Organisationskulturen - Kulturpsychologische Forschung <strong>und</strong> Beratung in öffentlichen<br />

<strong>und</strong> privaten Institutionen. In Rausch, K., Kröger, R. & Näpel, A. (Hrsg.): Organisation gestalten, Struktur<br />

mit Kultur versöhnen. Band zur 13. Tagung der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftspsychologie am 2. + 3.<br />

Februar 2007 in der FH Osnabrück, 47-63. Lengerich: Pabst.<br />

Fitzek, H. (2010): <strong>Gestalt</strong>psychologie. In Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie.<br />

Ein Handbuch, 90-102. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.<br />

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- Person, Werk, Umfeld. Historische Rekonstruktionen <strong>und</strong> aktuelle Wertungen, 283-297. Frankfurt/Main:<br />

Peter Lang.<br />

Greub, T. (Hrsg.)(2001): Las Meniñas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Methoden der Kunstgeschichte.<br />

Berlin: Reimer.<br />

Gstettner, P. (1979): Distanz <strong>und</strong> Verweigerung. Über einige Schwierigkeiten zu einer erkenntnisrelevanten<br />

<strong>Aktionsforschung</strong>spraxis zu kommen. In: Horn, K. (Hrsg.): <strong>Aktionsforschung</strong>: Balanceakt ohne Netz? Methodische<br />

Kommentare, 163-205. Frankfurt/M.: Syndikat.<br />

<strong>Lewin</strong>, K. (1914): <strong>Die</strong> Erziehung der Versuchsperson zur richtigen Selbstbeobachtung. In: Métraux, A.<br />

172


Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />

(Hrsg.)(1981): <strong>Kurt</strong>-<strong>Lewin</strong>-Werkausgabe, Bd. 1, 153-212. Bern/Stuttgart: Huber <strong>und</strong> Klett/Cotta.<br />

<strong>Lewin</strong>, K. (1926): Vorbemerkungen über <strong>die</strong> psychischen Kräfte <strong>und</strong> Energien <strong>und</strong> über <strong>die</strong> Struktur der<br />

Seele. Psychologische Forschung 7, 294-329.<br />

<strong>Lewin</strong>, K. (1946): Tat-Forschung <strong>und</strong> Minderheitenprobleme. In: <strong>Lewin</strong>, K. (1953): <strong>Die</strong> Lösung sozialer Konflikte.<br />

Ausgewählte Abhandlungen über Gruppendynamik, 278-298. Bad Nauheim: Christian.<br />

Mruck, K. & Mey, G. (1996): Qualitative Forschung <strong>und</strong> das Fortleben des Phantoms der Störungsfreiheit.<br />

Journal für Psychologie 4(3), 3-21.<br />

Palomino, A. (1724): Worin das berühmte Werk von Don <strong>Die</strong>go Velázquez beschrieben wird. In: Greub, T.<br />

(Hrsg.)(2001): Las Meniñas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Methoden der Kunstgeschichte,<br />

34<strong>–</strong>39. Berlin: Reimer.<br />

Reason, P. & Bradbury, H. (Eds.)(2001): The SAGE Handbook of Action Research. Participative Inquiry and<br />

Practice. London: Sage.<br />

Reik, T. (1931): Der überraschte Psychologe. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.<br />

Straus, E. (1936): Vom Sinn der Sinne. Amsterdam: Springer.<br />

Stringer, E.T. (1999): Action research. Thousand Oaks, CA: Sage Publications.<br />

Wittmann, S. (1997): Das Frühwerk <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>s - <strong>Die</strong> Quellen sozialpsychologischer Ansätze in Feldkonzept<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftstheorie. Jena, unveröffentlichte Dissertation.<br />

Herbert Fitzek, Jg. 1957, Dipl.-Psych., Dr. phil. habil., psychologischer Psychotherapeut. Studium der Psychologie<br />

an der Universität zu Köln. Wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>und</strong> Privatdozent am Department Psychologie<br />

der Universität zu Köln. 2006 Berufung als Gründungsdekan für Wirtschaftspsychologie an <strong>die</strong><br />

UMC Potsdam (FH). 2010 Professor für Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturpsychologie <strong>und</strong> Prorektor. Forschung an<br />

der Business School Potsdam. Lehre <strong>und</strong> Forschung in den Bereichen Kulturpsychologie <strong>und</strong> Interkulturelle<br />

Psychologie, Wissenschaftstheorie <strong>und</strong> Methodenlehre, Organisationsentwicklung, Coaching.<br />

Adresse: Business School Potsdam - Hochschule für Management (FH), Große Weinmeisterstr. 43, 14469<br />

Potsdam, Deutschland.<br />

E-Mail: herbert.fitzek@businessschool-potsdam.de<br />

173


<strong>Gestalt</strong>psychologie <strong>und</strong> Person<br />

Entwicklungen der <strong>Gestalt</strong>psychologie<br />

Herausgegeben von Giuseppe Galli<br />

154 Seiten, € 18,--<br />

ISBN 978 3 901811 43 2<br />

Das vorliegende Buch beschreibt <strong>die</strong> Beziehungen zwischen <strong>Gestalt</strong>theorie<br />

<strong>und</strong> Person <strong>und</strong> ist <strong>die</strong> Frucht der Arbeit einer Gruppe von Psychologen, <strong>die</strong><br />

sich mit folgenden Aspekten der Person befassten: <strong>die</strong> Person <strong>und</strong> ihr Ich;<br />

<strong>die</strong> Person in Aktion; <strong>die</strong> Person in Beziehung; <strong>die</strong> Entstehung der Person;<br />

<strong>die</strong> Person in Dialog; <strong>die</strong> Person <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zentrierung. Der hauptsächliche<br />

Zugang zur Untersuchung <strong>die</strong>ser Aspekte ist ein relationaler oder feldtheoretischer,<br />

dem zufolge <strong>die</strong> Faktoren, <strong>die</strong> das Verhalten bestimmen, nicht<br />

nur aus dem innerpersonalen System abgeleitet werden können, sondern<br />

auch von den Beziehungen zwischen Individuum <strong>und</strong> der konkreten Situation,<br />

in das es eingebettet ist, abhängen. In der Person-Umwelt-Beziehung<br />

haben <strong>die</strong> <strong>Gestalt</strong>theoretiker besonders <strong>die</strong> Ausdrucks- <strong>und</strong> Wesensqualitäten<br />

aufgewertet, <strong>die</strong> aus dem Objekt-Pol das Ego anzielen. <strong>Die</strong> Theorie<br />

des psychischen Feldes konnte seine Fruchtbarkeit sowohl in den Untersuchungen<br />

zur Allgemeinen <strong>und</strong> Sozial-Psychologie zeigen, als auch in jenen<br />

zur Entwicklungspsychologie. In den letzten Jahrzehnten setzte sich das<br />

Feldmodell auch im psychoanalytischen Umfeld durch.<br />

Das Buch ist sowohl für Stu<strong>die</strong>rende als auch für Forschende <strong>und</strong> Therapeuten<br />

von Interesse.<br />

Fax: + 43 1 985 21 19-15 | Mail: verlag@krammerbuch.at

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