Kurt Lewin und die Aktionsforschung – Die ... - Gestalt Theory
Kurt Lewin und die Aktionsforschung – Die ... - Gestalt Theory
Kurt Lewin und die Aktionsforschung – Die ... - Gestalt Theory
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Herbert Fitzek<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Aktionsforschung</strong> <strong>–</strong> <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des<br />
Forschers im Forschungsfeld<br />
1. Ein trauriger Jubilar<br />
Genau vor 100 Jahren - vielleicht ein paar Wochen zuvor oder ein paar Monate<br />
nach dem Frühjahr 1911 - erscheint ein junger Doktorand im Vorzimmer<br />
des berühmten Berliner Psychologieprofessors Carl Stumpf <strong>und</strong> reicht ein Thema<br />
für seine geplante Doktorarbeit ein. Wie üblich nimmt sich der altehrwürdige<br />
Ordinarius nicht selbst Zeit für den jungen Mann, sondern lässt sich den<br />
Plan von einem seiner Assistenten unterbreiten. Der viel beschäftigte Stumpf<br />
stimmt zu <strong>und</strong> sieht den Doktoranden offenbar erst drei Jahre später wieder, als<br />
<strong>die</strong>ser seine Promotionsschrift „<strong>Die</strong> Erziehung der Versuchsperson zur richtigen<br />
Selbstbeobachtung“ einreicht. Stumpf gefällt es nicht, dass der junge Mann<br />
statt sauberer experimenteller Arbeit methodische Überlegungen vorlegt, <strong>und</strong><br />
ihm gefällt wohl noch weniger, dass <strong>die</strong>se Überlegungen sich mit der Doppelnatur<br />
von Versuchspersonen als Subjekten <strong>und</strong> Objekten des Geschehens auseinandersetzen.<br />
Als Objekte sollen sie möglichst eigenschaftslose Träger der im Experiment<br />
geprüften Wahrnehmungen, Empfindungen <strong>und</strong> Gedächtnisleistungen<br />
sein, als Subjekte <strong>die</strong>se Regungen beobachten <strong>und</strong> bewerten. <strong>Lewin</strong> hält für<br />
<strong>die</strong> Wahrnehmung <strong>die</strong>ser Doppelfunktion eine Schulung der Versuchspersonen<br />
für unerlässlich <strong>und</strong> will <strong>die</strong> Schulung insbesondere auf <strong>die</strong> Kunst der Selbstbeobachtung<br />
konzentrieren1 . Stumpf hält sich mit derlei methodologischen Komplikationen<br />
nicht gerne auf <strong>und</strong> lässt den jungen Doktoranden am 10.9.1914<br />
durch <strong>die</strong> Prüfung rauschen - nicht ohne den Rat, das Werk nach der Ergänzung<br />
durch empirische, d.h. experimentelle Bef<strong>und</strong>e noch einmal als Dissertation<br />
einzureichen. So geschieht es schließlich, <strong>und</strong> der junge Doktorand erhält<br />
zwei Jahre (15.12.1916) später nicht nur <strong>die</strong> Doktorurk<strong>und</strong>e, sondern auch den<br />
Vertrauensvorschuss für eine wissenschaftliche Karriere, <strong>die</strong> man als eine der<br />
bedeutendsten in der Geschichte der Psychologie bezeichnen kann (vgl. insbesondere<br />
Wittmann 1997, 160ff.). Wie unschwer zu erraten ist, handelt es sich bei<br />
dem traurigen Jubilar um keinen Geringeren als <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, den Begründer der<br />
1 Eine Idee, <strong>die</strong> an unserer Hochschule, der Businessschool Potsdam (BSP), in Form von „Erlebensprotokollen“<br />
<strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>lage der qualitativen Methodenausbildung bildet.<br />
GESTALT THEORY<br />
© 2011(ISSN 0170-057 X)<br />
Vol. 33, No.2, 163-174
GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />
Feldtheorie <strong>und</strong> bedeutenden Vorkämpfer einer gestaltpsychologisch ausgerichteten<br />
Wirtschaftspsychologie.<br />
Abb 1. <strong>Die</strong>go Velasquez (1599-1660), „Las Meniñas“.<br />
2. <strong>Die</strong> Kunst der Selbstentdeckung <strong>–</strong> Exkurs in <strong>die</strong> Malerwerkstatt des 17.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
Kaum ein Kunstwerk hat so vielfältige Deutungen herausgefordert wie <strong>Die</strong>go<br />
Velazquez‘ Darstellung „Las Meniñas“ aus dem Jahr 1656 (vgl. Foucault 1971;<br />
Greub 2001). Zwar ist seit Langem bekannt, wer darauf abgebildet ist (vgl. schon<br />
Palomino 1724), doch gibt <strong>die</strong> Komposition selbst Rätsel auf, weil <strong>die</strong> Figuren<br />
in überaus vieldeutigen Verhältnissen zueinander stehen <strong>und</strong> sich der Künstler<br />
über<strong>die</strong>s beim Portraitieren des spanischen Hofstaates an der Staffelei selbst porträtiert.<br />
Das Werk fordert insbesondere zu der Frage heraus, wen oder was der<br />
Künstler dabei auf <strong>die</strong> Leinwand bannt, denn <strong>die</strong>se ist dem Blick entzogen, das<br />
164
Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
Bild im Bild für den Betrachter unsichtbar. Wenig plausibel erscheint, dass er <strong>die</strong><br />
Infantin Margarita <strong>und</strong> ihre Hoffräulein von hinten portraitiert, wie es der naive<br />
Blick in <strong>die</strong> Szenerie zunächst erscheinen lässt. Viele Interpreten sind vielmehr<br />
davon ausgegangen, dass <strong>die</strong> jungen Hofdamen vor einem Spiegel posieren, in<br />
den Velazquez blickt, um <strong>die</strong> Szene ohne aufdringliche Nähe zum Motiv bildlich<br />
festzuhalten. Hier scheint jedoch fraglich, warum das Königspaar selbst trotz der<br />
Anwesenheit des Hofmarschalls (in der halb offenen Tür) nur wiederum als Portrait<br />
im Raum präsent sein sollte. Oder ist der Spiegel gar nicht außerhalb der<br />
Bildoberfläche angebracht, sondern im Hintergr<strong>und</strong> des sichtbaren Geschehens;<br />
dann wären König <strong>und</strong> Königin das Motiv des Künstlers, das zwar nicht unmittelbar<br />
ansichtig ist, wohl aber im Spiegel an der Wand erscheint.<br />
Alle <strong>die</strong>se Deutungen zielen auf <strong>die</strong> Komposition der verschiedenen Personen zueinander<br />
<strong>und</strong> zum Künstler ab. Nur selten wird hingegen danach gefragt, wohin<br />
der Künstler denn eigentlich blickt, während er sie porträtiert - was dem Motiv<br />
der Abbildung doch eigentlich entsprechen dürfte. Man findet gelegentlich den<br />
Hinweis darauf, der Künstler blicke in Richtung des Betrachters, doch bin ich<br />
selbst nirgendwo in der Literatur der nahe liegenden Konsequenz begegnet, <strong>die</strong><br />
Besonderheit der Meniñas darin zu verorten, dass der Künstler hier niemanden<br />
Geringeren abbildet als eben <strong>die</strong>sen, den Betrachter.<br />
Eine abwegige Deutung? Weil der Künstler den Betrachter doch unmöglich<br />
wahrnehmen kann, zumal ihn der Lauf der Zeit immer weiter von der Lebenswelt<br />
des modernen Menschen entfernt <strong>und</strong> er dabei immer neue Generationen<br />
von Betrachtern ins Visier bekäme? Hier muss erinnert werden, dass für <strong>die</strong><br />
Kunst Unmöglichkeiten wie <strong>die</strong>se allenfalls Herausforderungen darstellen, <strong>die</strong><br />
es zu bewältigen gilt. Zu allen Zeiten ist Visionäres, Phantastisches <strong>und</strong> ganz<br />
<strong>und</strong> gar Unmögliches abgebildet worden - warum nicht zur Abwechslung der<br />
Betrachter? Es ist wohl weniger <strong>die</strong> Unmöglichkeit, <strong>die</strong> den direkten Weg einer<br />
Deutung versperrt. Vielmehr scheint mir der Gr<strong>und</strong> dafür in der Ungeheuerlichkeit<br />
zu liegen, dass ein Künstler den Blick gleichsam umwendet <strong>und</strong> statt den<br />
Betrachter in <strong>die</strong> Szenerie, <strong>die</strong> Szene auf den Beobachter blicken lässt. <strong>Die</strong> Blickwendung<br />
nötigt dem Betrachter nämlich eine unmissverständliche, dabei verstörende<br />
Erkenntnis auf: „Das bin ja ich, der dort vom Künstler beim Zuschauen<br />
porträtiert wird!“<br />
Dass ein solches Maßnehmen des Künstlers am Betrachter nicht auf <strong>die</strong> stoische<br />
Ruhe zählen kann, <strong>die</strong> dem Modellstehen gemeinhin zukommt, sondern vielmehr<br />
eine seltsame Beklommenheit aufruft, verweist auf den sprichwörtlichen<br />
Verlust an „Exklusivität“, <strong>die</strong> dem Kunstbetrachter mit der Umkehrung des Blikkes<br />
zugemutet wird. Dem Blick des Künstlers preisgegeben, entdeckt sich der<br />
Zuschauer hier als mehr oder weniger peinlich bloßgestellter Voyeur. Damit verlängert<br />
sich <strong>die</strong> viel beachtete Selbstentdeckung des Künstlers im Bildnis zu einer<br />
eher verheimlichten Selbstentdeckung des Betrachters beim Betrachten. Von<br />
165
GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />
Ferne erinnert das an <strong>die</strong> geläufige Peinlichkeit der Erfahrung, beim Blicken<br />
durch ein Schlüsselloch beobachtet zu werden. Wie anders wäre es Zeitgenossen<br />
<strong>und</strong> uns Heutigen wohl auch möglich, ungestraft in den Ankleideraum der Königsfamilie<br />
Einblick zu nehmen <strong>und</strong> den Künstler beim Malen <strong>und</strong> den Königskindern<br />
beim Posieren beizuwohnen. Velazquez „Meniñas“ stellen von daher den<br />
Gegenangriff der Kunst gegen <strong>die</strong> verborgene Blickposition der Betrachter dar;<br />
sie sind damit frühe Vorläufer der Videokunst, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Angriff der Objekte auf<br />
<strong>die</strong> Wahrnehmenden mit den Me<strong>die</strong>n des zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>erts zu einiger<br />
Perfektion getrieben haben.<br />
3. <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
<strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>s Beitrag zur Psychologie im zwanzigsten Jahrh<strong>und</strong>ert ist unbestritten.<br />
Allerdings kann <strong>die</strong> Erfolgsgeschichte des einstmals „traurigen Jubilars“<br />
kaum darüber hinwegtäuschen, dass trotz der in vielen Lehrbüchern bek<strong>und</strong>eten<br />
Referenzen gegenüber dem Begründer der Sozialpsychologie, dem Pionier<br />
der Wirtschaftspsychologie, Entdecker der Gruppendynamik <strong>und</strong> Vordenker der<br />
Organisationspsychologie inhaltliche Auseinandersetzungen mit seinen methodologischen<br />
Innovationen selten geblieben sind (vgl. z.B. noch French & Bell<br />
1973). Vielfach begnügt man sich mit einer Erinnerung an einzelne Hinterlassenschaften<br />
(wie T-Gruppen, Unfreezing-Changing-Refreezing-Modell, autoritäre<br />
vs. demokratische Führungsstile usw.), wo es <strong>Lewin</strong> sprichwörtlich immer<br />
ums „Ganze“ ging: ein Gegenstand <strong>und</strong> Methode umfassendes („makroskopisches“)<br />
Konzept vom psychischen Gegenstand. Dazu gehörte der Ausbau<br />
der <strong>Gestalt</strong>psychologie zu einem das Erleben <strong>und</strong> Verhalten in seiner Breite <strong>und</strong><br />
Tiefgründigkeit umspannenden Gesamtkonzept mit den daraus hervorgehenden<br />
Folgerungen einer auf Beschreibung <strong>und</strong> Variation von Bedingungen ausgerichteten<br />
Experimentalmethode. Seine „Feldtheorie“ dynamisch gespannter Systeme<br />
richtete sich gegen <strong>die</strong> zeitgenössische Elementenpsychologie genauso wie gegen<br />
<strong>die</strong> <strong>und</strong>ifferenzierte Übernahme naturwissenschaftlicher Methoden in der Psychologie<br />
(vgl. etwa <strong>Lewin</strong> 1926; Fitzek 2010).<br />
<strong>Die</strong> Ausgestaltung der noch stark um optische Erscheinungen zentrierten „<strong>Gestalt</strong>theorie“<br />
zu einer Psychologie von Handlungs- <strong>und</strong> Wirkungs-„Feldern“ zielte<br />
darauf ab, das Erleben <strong>und</strong> Verhalten als Inbegriff aktueller Wirksamkeiten<br />
zu charakterisieren. Menschen, Dinge, Erfahrungen, Wünsche, Widerstände erweisen<br />
sich situativ als Handlungsziele, Hilfsmittel oder Barrieren im aktuell<br />
wirksamen Ganzen <strong>und</strong> werden quasi mathematisch nach ihrer (positiven oder<br />
negativen) Wertigkeit verrechnet. Trotz mathematischer Analogien sah <strong>Lewin</strong><br />
<strong>die</strong> Aufgabe der Feldtheorie immer als psychologische Aufgabe an, für deren Erfüllung<br />
qualitative Methoden zu entwickeln sind. <strong>Die</strong> Planung, Durchführung<br />
<strong>und</strong> Auswertung von Experimenten beruht letztlich auf Erlebensqualitäten der<br />
handelnden Personen <strong>und</strong> der wahrnehmenden Psychologen.<br />
166
Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
Beobachter <strong>und</strong> Beobachtete waren für <strong>Lewin</strong> daher Teilnehmer an einem (gemeinsamen)<br />
Wirkungsfeld. Weit entfernt vom Ideal naturwissenschaftlicher<br />
Objektivität sah er das Forschen notwendig in den Kontext der Experimentalsituation<br />
eingeb<strong>und</strong>en. <strong>Die</strong> Selbstverortung der Naturwissenschaft in einer extram<strong>und</strong>anen<br />
Labor-Wirklichkeit hielt <strong>Lewin</strong> für eine (angenehme) Illusion. Wenn<br />
das psychische Feld <strong>die</strong> Gesamtheit aller Wirksamkeiten umfasst, dann ist das<br />
wissenschaftliche Herangehen nicht außerhalb, sondern in weiten Teilen innerhalb<br />
des Feldes zu verorten <strong>und</strong> entsprechend seiner Valenz im Forschungsfeld zu<br />
berücksichtigen. Der beobachtende Psychologe gehört dann <strong>–</strong> wie der Künstler<br />
in der Kunst <strong>–</strong> in den Bedingungszusammenhangs des Handlungsfeldes hinein.<br />
Das war für den frühen <strong>Lewin</strong> in seiner ungeliebten Doktorarbeit zum Anlass<br />
geworden, <strong>die</strong> Subjektivität der scheinbar (rein) objektiv eingestellten Versuchsteilnehmer<br />
zu schulen (s.o.; <strong>Lewin</strong> 1914). Dem späten <strong>Lewin</strong> ging es mehr <strong>und</strong><br />
mehr um <strong>die</strong> Objektzugehörigkeit des Psychologen als Beobachter, Versuchsleiter<br />
<strong>und</strong> Akteur im Wirkungsfeld seiner Versuche.<br />
In der gemeinsam mit seinen Schüler(inne)n durchgeführten Berliner Experimentalreihe<br />
zur „Handlungs- <strong>und</strong> Affektpsychologie“ sind <strong>Lewin</strong> <strong>und</strong> seine<br />
Schüler den methodischen Komplikationen der Einbeziehung des Forschers in<br />
das Forschungsfeld nicht ausgewichen. Nur hypothetisch ist <strong>die</strong>ser aus dem Wirkungsfeld<br />
des Gegenstandsbereiches in den geschützten Raum der objektiven<br />
Einstellung entfernt. Tatsächlich bleibt er selbst dort ins Geschehen einbegriffen,<br />
wenn sich seine Tätigkeit scheinbar auf das Einrichten der Versuchsverfassung<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> zurückgezogene Versuchsbeobachtung beschränkt.<br />
Das lässt sich sehr deutlich an einer Arbeit der <strong>Lewin</strong>-Schülerin <strong>und</strong> späteren<br />
Assistentin Tamara Dembo über den „Ärger“ erkennen. Der Feldtheorie zufolge<br />
stehen Affekte wie der Ärger im Seelenhaushalt nicht für sich. Sie resultieren<br />
aus dem Feldcharakter gespannter Systeme, <strong>die</strong> im Fall von „Ärgerereignissen“<br />
keinen passenden Abschluss gef<strong>und</strong>en haben. Eine „konditional-genetische“<br />
Klärung verortet das Phänomen „Ärger“ im Kontext von Handlungsganzheiten,<br />
deren psychologischen Charakter Dembo als „Das-Ziel-erreichen-Wollen<strong>und</strong>-nicht-Können“<br />
beschreibt (Dembo 1931, 9). Im qualitativen Experiment<br />
der „Berliner Schule“ ging es demzufolge darum, <strong>die</strong> experimentelle Erzeugung<br />
<strong>und</strong> Variation gesperrter Zielzugänge in Handlungsfeldern zu erreichen (Dembo<br />
1931, 5f). In solchen Experimentalsituationen sind Versuchspersonen <strong>und</strong> Versuchsleiter<br />
- wenn auch in unterschiedlichen Rollen - notwendigerweise gemeinsam<br />
in <strong>die</strong> Ärger erregenden Handlungsganzheiten einbezogen.<br />
Von einem makroskopischen Ansatz her war es konsequent, den Versuchsleiter<br />
selbstverständlich in das Ensemble der Wirkkomponenten einzuordnen. Darauf<br />
war bereits <strong>die</strong> Generation von Wertheimer <strong>und</strong> Köhler gestoßen, denen <strong>die</strong> Subjektvergessenheit<br />
der sich hinter Objektivitätsforderungen verschanzenden Kollegen<br />
verdächtig erschienen war. Interessant ist nun, dass Dembo dem Einbezug<br />
167
GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />
des Versuchsleiters in den Versuch ein eigenes Kapitel ihrer Arbeit widmet. <strong>Die</strong><br />
scheinbar objektive Außenstellung des Forschers verdeckt <strong>die</strong> Vielfalt von Wirkungsangeboten,<br />
<strong>die</strong> den Versuchsleiter intentional oder unbemerkt tatsächlich<br />
erreichen <strong>und</strong> seine (unvermeidliche) Teilnahme am Wirkungsfeld ausnutzen.<br />
Für <strong>die</strong> Versuchsteilnehmer ist der Psychologe entweder<br />
„1. <strong>die</strong> treibende Kraft für <strong>die</strong> Lösungsbemühungen um <strong>die</strong> Aufgabe: für ihn<br />
wird <strong>die</strong> Aufgabe ‚aus Gefälligkeit‘ übernommen. 2. Er hat <strong>die</strong> Stellung eines<br />
Mitmenschen, der es besser kann. 3. Er bestimmt das Aufgabeziel, aber versperrt<br />
es zugleich; er hat also <strong>die</strong> Stellung einer Innenbarriere. 4. Er ist eine Barriere<br />
um das Feld herum, <strong>die</strong> das Weggehen verhindert. 5. Er ist ein mögliches Werkzeug.<br />
6. Er ist eine Person, <strong>die</strong> sich jenseits des Aufgabenfeldes befindet, <strong>und</strong> man<br />
kann sich seiner be<strong>die</strong>nen, um aus dem Felde zu gehen. 7. Er ist der ärgererregende<br />
‚Stein des Anstoßes‘, ein sich veränderndes, reagierendes <strong>und</strong> provozierendes<br />
Wesen, das in den Versuchsverlauf aktiv eingreift, sich als ein ‚Feind‘ erweist“<br />
(Dembo 1931, 73).<br />
Kaum eine zeitgenössische experimentelle Arbeit geht auf <strong>die</strong> Beteiligung des<br />
Forschers in den Forschungsverlauf so bereitwillig <strong>und</strong> klarsichtig ein wie <strong>die</strong><br />
von Tamara Dembo. In ihren Beschreibungen folgt sie der interaktiven Prozessdynamik<br />
zwischen Versuchsleitung <strong>und</strong> Versuchsperson in ihrer mal spielerischen,<br />
mal kämpferischen, gelegentlich auch handgreiflichen Qualität (vgl. etwa<br />
Dembo 1931, 80). Damit unterläuft sie nicht nur <strong>die</strong> in den Veröffentlichungen<br />
experimenteller Psychologen eher peinlich gewahrte „Objektivität“ des Vorgehens,<br />
sondern unterminiert in ihrem zuweilen tiefenpsychologischen Scharfsinn<br />
<strong>die</strong> landläufige „Rationalität“ psychologischer Erklärungen:<br />
“Der Kampf mit dem Vl. kann in offener oder verdeckter Form geführt werden.<br />
<strong>Die</strong> Vp. ‚verweigert‘ etwa direkt den Gehorsam Oder es kommt zu einer körperlichen<br />
Kampfmaßnahme <strong>Die</strong> Vp. beschimpft den Vl. oder droht Rache Der<br />
Vp. fällt es plötzlich ein, ‚dass sie den Spieß umdrehen‘, nämlich statt sich zu bemühen,<br />
nichts tun <strong>und</strong> den Vl. ,warten lassen‘ kann Besonders gemein erscheint<br />
der Kampf in der Form einer Liebenswürdigkeit“ (Dembo 1931, 81).<br />
4. „Der überraschte Psychologe“ - Forschungsreflexivität als Gr<strong>und</strong>lage für<br />
<strong>die</strong> Konzeption von <strong>Aktionsforschung</strong><br />
In Konsequenz zeigen <strong>die</strong> Darstellungen <strong>Lewin</strong>s <strong>und</strong> seiner Schüler(innen), dass<br />
<strong>die</strong> Forschungsobjektivität des Forschers <strong>und</strong> der Forscherin in der Modellierung<br />
des Versuchsfeldes zwar angezielt, aber niemals vollkommen verwirklicht<br />
ist, <strong>und</strong> dass sein Einbezug ins Feld der Forschung zwar kontrolliert, zurückgedrängt<br />
oder verleugnet, aber jedenfalls nicht vollständig ausgeschaltet werden<br />
kann. Wie der Betrachter im eingangs erwähnten Kunstwerk steht auch der psychologische<br />
Beobachter nicht außerhalb des Sichtfeldes. Er zieht vielmehr, indem<br />
er es mit Menschen zu tun hat, selbst <strong>die</strong> Blicke der Versuchsteilnehmer auf sich,<br />
ist als Feldkomponente aktiv wie passiv in den Ablauf des Geschehens einbegrif-<br />
168
Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
fen <strong>und</strong> kann <strong>die</strong>s ängstlich abwehren oder aufmerksam zur Kenntnis nehmen.<br />
Wie bei Velazquez ist der unsichtbare Beobachter in der psychologischen Arbeit<br />
eine Fiktion. Wie dort ruft <strong>die</strong> Blickwendung auf den Beobachter als Akteur<br />
<strong>die</strong> Beklommenheit des unerhörten Ereignisses hervor, das der gewohnten Perspektive<br />
geradewegs entgegenläuft, dabei möglich <strong>und</strong> real ist. Sie macht darauf<br />
aufmerksam, dass <strong>die</strong> „Extram<strong>und</strong>anität“ (Straus 1936) des Forschers eine schöne<br />
Fiktion ist, mit der sich <strong>die</strong> Humanwissenschaft zu naturwissenschaftlicher<br />
Exaktheit veredeln will - wobei ausgerechnet <strong>die</strong> moderne Physik das Ideal subjektunabhängiger<br />
Gegenstandskonstitution längst verworfen hat. Insofern verpasst<br />
<strong>die</strong> naturwissenschaftliche Psychologie mit ihrem Objektivitätsanspruch,<br />
wie <strong>Lewin</strong> frühzeitig erkannte, <strong>die</strong> Chance, <strong>die</strong> Subjektgeb<strong>und</strong>enheit des psychologischen<br />
Forschens als methodologische Chance zu nutzen. Es ist vielleicht<br />
gewagt, aber nicht abwegig, <strong>Lewin</strong>s methodischen Wechsel vom europäischen<br />
zum amerikanischen Kontinent als Konsequenz <strong>und</strong> Ausgestaltung <strong>die</strong>ser Erkenntnis<br />
zu interpretieren.<br />
Vielfach wird unterstellt, <strong>Lewin</strong> habe mit seiner erzwungenen Emigration nicht<br />
nur seine institutionelle Umgebung aufgegeben, sondern auch wesentliche Teile<br />
seines Forschungskonzeptes. Das mag für den Wechsel von der experimentellen<br />
Handlungsforschung zur mehr <strong>und</strong> mehr praxisgeleiteten Wirkungsforschung<br />
für verschiedene soziale, politische <strong>und</strong> konfessionelle Organisationen in Amerika<br />
gelten. Sein feldtheoretisches Gesamtkonzept <strong>und</strong> <strong>die</strong> damit verb<strong>und</strong>ene<br />
methodologische Gr<strong>und</strong>orientierung aber blieben ihm zeitlebens erhalten. Für<br />
<strong>die</strong> zentrale Frage nach der methodischen Kehrseite der Anwesenheit des Forschers<br />
im Wirkungsraum der Forschung fand <strong>Lewin</strong> in der Folgezeit eine Lösung,<br />
<strong>die</strong> in zunehmender Abkehr von den Einschränkungen der Forschungsobjektivität<br />
<strong>und</strong> verstärkter Hinwendung zum aktiven <strong>Gestalt</strong>en der Arbeitsfelder<br />
der Psychologie lag. Dafür übernahm er kurz vor seinem Tod (möglicherweise<br />
von Moreno) den Namen „Action Research“, der in der deutschen Übersetzung<br />
zunächst meist mit Tat-Forschung, später dann häufiger mit „<strong>Aktionsforschung</strong>“<br />
übersetzt wurde.<br />
<strong>Lewin</strong>s Skizzierung einer „<strong>Aktionsforschung</strong>“ kann, weil er mit seinen Ausführungen<br />
gerade erst am Anfang stand <strong>und</strong> vor seinem Tod nicht mehr als einen<br />
programmatischen Aufsatz zum Thema schreiben konnte, wie ein Plädoyer für<br />
aktiveres, mutigeres Forschen verstanden werden:<br />
„<strong>Die</strong> für <strong>die</strong> soziale Praxis erforderliche Forschung lässt sich am besten als eine<br />
Forschung im <strong>Die</strong>nste sozialer Unternehmungen oder sozialer Technik kennzeichnen.<br />
Sie ist eine Art Tat-Forschung (‚action research‘), eine vergleichende Erforschung<br />
der Bedingungen <strong>und</strong> Wirkungen verschiedener Formen des sozialen<br />
Handelns <strong>und</strong> eine zu sozialem Handeln führende Forschung. Eine Forschung,<br />
<strong>die</strong> nichts anderes als Bücher hervorbringt, genügt nicht“ (<strong>Lewin</strong> 1946, 280).<br />
169
GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />
Doch erschöpft sich der Aufruf zum aktiven Forschen nicht im Kampf gegen<br />
wissenschaftliche Stubenhockerei. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des zentralen methodologischen<br />
Anliegens gibt <strong>Lewin</strong> vielmehr das klassische Objektivitätsverständnis<br />
der akademischen Psychologie ausdrücklich preis <strong>und</strong> erschließt damit der<br />
(Sozial-) Forschung neue, von ihm selbst rasch <strong>und</strong> mutig beschrittene Wege.<br />
Als sich entdeckende Wirksamkeiten im psychischen Feld tauschen Psychologen<br />
den Nimbus der Unsichtbarkeit gegen <strong>die</strong> Möglichkeit ein, ihre Präsenz im Feld<br />
der agierenden Personen aktiv zu nutzen. <strong>Die</strong> inverse Beobachtung des Subjekts<br />
durch das Objekt kann im Wissenschaftsbetrieb der Psychologie als Chance verstanden<br />
werden, <strong>die</strong> eigene Person als alternatives Wirkungszentrum im Feld zu<br />
positionieren - als eine Art Katalysator, der das Feld im Sinne der „guten“, d.h.<br />
funktionstüchtigen <strong>Gestalt</strong> umstrukturiert. Psychologen müssen es dabei ertragen,<br />
durch <strong>die</strong> Brille <strong>und</strong> mit den Augen der beteiligten Personen wahrgenommen<br />
zu werden, sich selbst als potenziell verstrickte <strong>und</strong> (re-)agierende Akteure<br />
zu verstehen <strong>und</strong> aus ihrer Verwicklung - womöglich mit fremder Hilfe - ihre<br />
Lehren zu ziehen (vgl. Fitzek 2005).<br />
Wann immer sich Psychologen darauf einlassen, „subjektive“ Irritationen <strong>und</strong><br />
Unzulänglichkeiten als „objektive“ Auswirkung von Feldbedingungen sehen zu<br />
lernen, verschaffen sie sich durch ihr geschultes Sensorium neue Objektzugänge.<br />
Damit offenbart <strong>die</strong> von <strong>Lewin</strong> angeschobene „<strong>Aktionsforschung</strong>“ Qualitäten,<br />
<strong>die</strong> sonst eher in der methodologischen Tradition der Psychoanalyse beachtet<br />
werden. So ist bereits Theodor Reiks Entdeckung des „überraschten Psychologen“<br />
vom Kampf um <strong>die</strong> verborgene Beobachtungshaltung des Psychologen geprägt,<br />
<strong>und</strong> der Psychoanalytiker Georges Devereux hat <strong>die</strong> Objektivitätsforderung<br />
der Verhaltenswissenschaft in <strong>die</strong>sem Sinne als Abwehrkampf gegen eigene<br />
Betroffenheit gewendet (vgl. Reik 1927; Devereux 1975). 2<br />
Ganz sicher ist der aus der akademischen Tradition hervorgegangene <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong><br />
in seiner (unbestreitbaren) Annäherung an <strong>die</strong> Psychoanalyse nicht so weit<br />
gegangen, <strong>die</strong> wissenschaftliche Arbeit als Übertragungs- bzw. Gegenübertragungsgeschehen<br />
zu verstehen. Doch hat er sich in seiner Arbeitspraxis als Agent,<br />
Berater <strong>und</strong> Entwickler von sozialen, politischen <strong>und</strong> konfessionellen Organisationen<br />
mit Energie auf das Geflecht von Wünschen <strong>und</strong> Erwartung, Vorbehalten<br />
<strong>und</strong> Widerständen eingelassen, das den Psychologen in der Feldarbeit von Diagnose,<br />
Analyse <strong>und</strong> Beratung erwartet. Gerade in den Feldern der Beratung von<br />
Organisationen gehört <strong>die</strong> Erfahrung der Abwehr, Duldung, Einbeziehung oder<br />
Vergewaltigung des Psychologen durch den in Frage stehenden Untersuchungsgegenstand<br />
zu den wesentlichen Erkenntnissen über dessen psychologische Eigenart.<br />
Es ist kein Erkenntnishindernis, sondern vielmehr ein Erkenntnismit-<br />
2 Devereux war übrigens zeitweise sehr an der <strong>Gestalt</strong>theorie interessiert <strong>und</strong> ist mit seinem Plädoyer für<br />
selbstreflexive Teilhabe der Wissenschaftler an der Wirklichkeit ihrer Objekte später auch ausdrücklich mit der<br />
<strong>Aktionsforschung</strong> zusammengebracht worden (vgl. Devereux 1951; Gstettner 1979).<br />
170
Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
tel, wenn Psychologen als Kollaborateure, Spitzel, große Brüder, Gegenspieler,<br />
Fre<strong>und</strong>e, Assistenten, Hoffnungsträger, Fremdkörper, Sparringspartner, Paragrafenhengste,<br />
Magier, heimliche Herrscher in Organisationen eingeb<strong>und</strong>en wurden3<br />
. Rollenzuschreibungen wie <strong>die</strong>se qualifizieren <strong>die</strong> psychologische Arbeit im<br />
„Aktionsfeld“ von Organisationsanalyse <strong>und</strong> Organisationsentwicklung als diagnostische<br />
<strong>und</strong> performative Tätigkeit.<br />
In der Literatur erscheint es häufig, als habe sich <strong>Lewin</strong>, wenn schon nicht in der<br />
Breite seiner Interessen <strong>und</strong> Kompetenzen, so doch wenigstens in der Konzeption<br />
von „<strong>Aktionsforschung</strong>“ durchgesetzt (z.B. bei Graumann 1992). <strong>Die</strong> <strong>Aktionsforschung</strong><br />
erhielt zunächst in Deutschland besonders in den siebziger <strong>und</strong><br />
achtziger Jahren, in Amerika gerade auch in den letzten zwanzig Jahren großen<br />
Auftrieb. Zumindest <strong>die</strong> deutsche <strong>Aktionsforschung</strong>swelle verdankt ihre Popularität<br />
allerdings weniger <strong>Lewin</strong>s methodischen Impulsen als dem Aufkommen<br />
einer gesellschafts- <strong>und</strong> wissenschaftskritischen Gegenbewegung gegen <strong>die</strong> klassische<br />
Laborforschung. <strong>Die</strong> aktuelle Verbreitung von Action Research in Amerika<br />
steht weniger für kritisches Potenzial gegen den Konservativismus der objektwissenschaftlichen<br />
Tradition als für eine zunehmend pragmatische Orientierung<br />
der Sozialwissenschaft im Zugang zu ihrem Forschungsfeld <strong>und</strong> in der<br />
Forschungspraxis (vgl. Stringer 1999; Reason & Bradbury 2001). Man mag es<br />
<strong>Lewin</strong>s Erbe <strong>und</strong> dem Entwicklungspotenzial der psychologischen Forschung<br />
wünschen, dass <strong>die</strong> aufstörende Kreativität des Konzeptes von Wissenschaft als<br />
subjektreflexivem Forschen gerade in der qualitativen Methodologie aufgegriffen<br />
<strong>und</strong> fruchtbar gewendet wird (Mruck & Mey 1996; Breuer 2010).<br />
Zusammenfassung<br />
Ein Rahmenthema der psychologischen Arbeit war für <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> <strong>die</strong> Überschneidung<br />
von Subjekt <strong>und</strong> Objekt im Handlungsraum. In der Verortung des Forschers im<br />
Forschungsfeld sah er daher eine zentrale methodologische Eigenheit der Psychologie<br />
<strong>und</strong> eine persönliche methodische Herausforderung, <strong>die</strong> sein wissenschaftliches Schaffen<br />
von Beginn an konsequent begleitete. In einer seiner letzten Arbeiten summierte er<br />
seine Erkenntnisse unter dem programmatischen Anspruch einer „<strong>Aktionsforschung</strong>“<br />
(oder „Tatforschung“), <strong>die</strong> in der deutschen wie in der amerikanischen Tradition in der<br />
Folgezeit sehr unterschiedlich rezipiert <strong>und</strong> interpretiert wurde. Für <strong>die</strong> psychologische<br />
Arbeit mit Organisationen (Institutionen, Unternehmen) kann das Agieren des Forschers<br />
im Forschungsfeld zum Schlüssel werden, das Erleben, Wahrnehmen <strong>und</strong> Handeln<br />
der beteiligten Forscher <strong>und</strong> Forscherinnen als Ausdruck <strong>und</strong> Instrument von Organisationsentwicklung<br />
zu nutzen. <strong>Aktionsforschung</strong> markiert in <strong>die</strong>sem Verständnis<br />
den Übergang von der Forschung zur Beratung, von der Organisationsanalyse zur Organisationsentwicklung.<br />
Dass Psychologen gewollt oder ungewollt als „Akteure“ in der<br />
Organisation handeln, ist unvermeidlich, beschämend <strong>und</strong> entwicklungsfördernd zu-<br />
3 Ambivalenzen, in denen ich mich selbst in meiner Tätigkeit als Organisationsberater immer wieder sehr<br />
konkret wiedergef<strong>und</strong>en habe; (vgl. z.B. Fitzek 2007).<br />
171
GESTALT THEORY, Vol. 33, No.2<br />
gleich - vorausgesetzt, sie stellen sich der Herausforderung von Übertragung <strong>und</strong> Gegenübertragung<br />
in ihrer täglichen Arbeit.<br />
Schlüsselwörter: <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, <strong>Aktionsforschung</strong>, Feldtheorie, Organisationspsychologie.<br />
Summary<br />
As a core topic of his work, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> referred to the permeations of subject and object<br />
in psychological research. The transitions between the objects and the agents of scientific<br />
interest became a central methodological issue in <strong>Lewin</strong>’s psychological work and a<br />
personal challenge in his actual (daily) research. <strong>Lewin</strong> continuously followed the consequences<br />
of this challenge from the early writings up to his final works. At last, he subsumed<br />
his findings <strong>und</strong>er the program of “action research”, which since then has been considered<br />
and interpreted in different ways <strong>–</strong> especially in the German and American research<br />
tradition. Referring to the conception of organizational development, the interferences<br />
of field dynamics and research activities can be used to <strong>und</strong>erstand the subject of research<br />
in a more adequate way as by a strictly “objective” attitude. Although the experiences of<br />
the researcher in the field sometimes may be compromising or even intimidating, they<br />
may serve as a means of <strong>und</strong>erstanding and developing organizations - using transference<br />
and counter-transference as instruments of psychological analysis and counselling.<br />
Keywords: <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>, action research, field theory, organizational psychology.<br />
Literatur<br />
Breuer, F. (2010): Wissenschaftstheoretische Gr<strong>und</strong>lagen qualitativer Methodik in der Psychologie. In Mey,<br />
G. & Mruck, K. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie. Ein Handbuch, 35-49. Wiesbaden: VS<br />
Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
Dembo, T. (1931): Der Ärger als dynamisches Problem. Untersuchungen zur Handlungs- <strong>und</strong> Affektpsychologie<br />
X. Psychologische Forschung 15, 1-144.<br />
Devereux, G. (1951): Some Criteria for the Timing of Confrontations and Interpretations. International<br />
Journal of Psychoanalysis XXXII, 19-24.<br />
Devereux, G. (1975): Angst <strong>und</strong> Methode in der Verhaltenswissenschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.<br />
Fitzek, H. (2005): <strong>Gestalt</strong>psychologie als Gr<strong>und</strong>lage einer Methodologie der qualitativen Forschung - dargestellt<br />
am Gütekriterium „gegenständliche Relevanz“. Journal für Psychologie 13, 372-402.<br />
Fitzek, H. (2007): Organisationskulturen - Kulturpsychologische Forschung <strong>und</strong> Beratung in öffentlichen<br />
<strong>und</strong> privaten Institutionen. In Rausch, K., Kröger, R. & Näpel, A. (Hrsg.): Organisation gestalten, Struktur<br />
mit Kultur versöhnen. Band zur 13. Tagung der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftspsychologie am 2. + 3.<br />
Februar 2007 in der FH Osnabrück, 47-63. Lengerich: Pabst.<br />
Fitzek, H. (2010): <strong>Gestalt</strong>psychologie. In Mey, G. & Mruck, K. (Hrsg.): Qualitative Forschung in der Psychologie.<br />
Ein Handbuch, 90-102. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.<br />
Foucault, M. (1971): <strong>Die</strong> Ordnung der Dinge. Frankfurt/M: Suhrkamp.<br />
French, W.L. & Bell, C. (1973): Organization Development: Behavioral Science interventions for Organization<br />
Improvement. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall.<br />
Graumann, C.-F. (1992): <strong>Lewin</strong> zu Beginn des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts. In: Schönpflug, W. (Hrsg.): <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong><br />
- Person, Werk, Umfeld. Historische Rekonstruktionen <strong>und</strong> aktuelle Wertungen, 283-297. Frankfurt/Main:<br />
Peter Lang.<br />
Greub, T. (Hrsg.)(2001): Las Meniñas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Methoden der Kunstgeschichte.<br />
Berlin: Reimer.<br />
Gstettner, P. (1979): Distanz <strong>und</strong> Verweigerung. Über einige Schwierigkeiten zu einer erkenntnisrelevanten<br />
<strong>Aktionsforschung</strong>spraxis zu kommen. In: Horn, K. (Hrsg.): <strong>Aktionsforschung</strong>: Balanceakt ohne Netz? Methodische<br />
Kommentare, 163-205. Frankfurt/M.: Syndikat.<br />
<strong>Lewin</strong>, K. (1914): <strong>Die</strong> Erziehung der Versuchsperson zur richtigen Selbstbeobachtung. In: Métraux, A.<br />
172
Fitzek, <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong> - <strong>Die</strong> Selbstentdeckung des Forschers im Forschungsfeld<br />
(Hrsg.)(1981): <strong>Kurt</strong>-<strong>Lewin</strong>-Werkausgabe, Bd. 1, 153-212. Bern/Stuttgart: Huber <strong>und</strong> Klett/Cotta.<br />
<strong>Lewin</strong>, K. (1926): Vorbemerkungen über <strong>die</strong> psychischen Kräfte <strong>und</strong> Energien <strong>und</strong> über <strong>die</strong> Struktur der<br />
Seele. Psychologische Forschung 7, 294-329.<br />
<strong>Lewin</strong>, K. (1946): Tat-Forschung <strong>und</strong> Minderheitenprobleme. In: <strong>Lewin</strong>, K. (1953): <strong>Die</strong> Lösung sozialer Konflikte.<br />
Ausgewählte Abhandlungen über Gruppendynamik, 278-298. Bad Nauheim: Christian.<br />
Mruck, K. & Mey, G. (1996): Qualitative Forschung <strong>und</strong> das Fortleben des Phantoms der Störungsfreiheit.<br />
Journal für Psychologie 4(3), 3-21.<br />
Palomino, A. (1724): Worin das berühmte Werk von Don <strong>Die</strong>go Velázquez beschrieben wird. In: Greub, T.<br />
(Hrsg.)(2001): Las Meniñas im Spiegel der Deutungen. Eine Einführung in <strong>die</strong> Methoden der Kunstgeschichte,<br />
34<strong>–</strong>39. Berlin: Reimer.<br />
Reason, P. & Bradbury, H. (Eds.)(2001): The SAGE Handbook of Action Research. Participative Inquiry and<br />
Practice. London: Sage.<br />
Reik, T. (1931): Der überraschte Psychologe. Wien: Internationaler Psychoanalytischer Verlag.<br />
Straus, E. (1936): Vom Sinn der Sinne. Amsterdam: Springer.<br />
Stringer, E.T. (1999): Action research. Thousand Oaks, CA: Sage Publications.<br />
Wittmann, S. (1997): Das Frühwerk <strong>Kurt</strong> <strong>Lewin</strong>s - <strong>Die</strong> Quellen sozialpsychologischer Ansätze in Feldkonzept<br />
<strong>und</strong> Wissenschaftstheorie. Jena, unveröffentlichte Dissertation.<br />
Herbert Fitzek, Jg. 1957, Dipl.-Psych., Dr. phil. habil., psychologischer Psychotherapeut. Studium der Psychologie<br />
an der Universität zu Köln. Wissenschaftlicher Mitarbeiter <strong>und</strong> Privatdozent am Department Psychologie<br />
der Universität zu Köln. 2006 Berufung als Gründungsdekan für Wirtschaftspsychologie an <strong>die</strong><br />
UMC Potsdam (FH). 2010 Professor für Wirtschafts- <strong>und</strong> Kulturpsychologie <strong>und</strong> Prorektor. Forschung an<br />
der Business School Potsdam. Lehre <strong>und</strong> Forschung in den Bereichen Kulturpsychologie <strong>und</strong> Interkulturelle<br />
Psychologie, Wissenschaftstheorie <strong>und</strong> Methodenlehre, Organisationsentwicklung, Coaching.<br />
Adresse: Business School Potsdam - Hochschule für Management (FH), Große Weinmeisterstr. 43, 14469<br />
Potsdam, Deutschland.<br />
E-Mail: herbert.fitzek@businessschool-potsdam.de<br />
173
<strong>Gestalt</strong>psychologie <strong>und</strong> Person<br />
Entwicklungen der <strong>Gestalt</strong>psychologie<br />
Herausgegeben von Giuseppe Galli<br />
154 Seiten, € 18,--<br />
ISBN 978 3 901811 43 2<br />
Das vorliegende Buch beschreibt <strong>die</strong> Beziehungen zwischen <strong>Gestalt</strong>theorie<br />
<strong>und</strong> Person <strong>und</strong> ist <strong>die</strong> Frucht der Arbeit einer Gruppe von Psychologen, <strong>die</strong><br />
sich mit folgenden Aspekten der Person befassten: <strong>die</strong> Person <strong>und</strong> ihr Ich;<br />
<strong>die</strong> Person in Aktion; <strong>die</strong> Person in Beziehung; <strong>die</strong> Entstehung der Person;<br />
<strong>die</strong> Person in Dialog; <strong>die</strong> Person <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zentrierung. Der hauptsächliche<br />
Zugang zur Untersuchung <strong>die</strong>ser Aspekte ist ein relationaler oder feldtheoretischer,<br />
dem zufolge <strong>die</strong> Faktoren, <strong>die</strong> das Verhalten bestimmen, nicht<br />
nur aus dem innerpersonalen System abgeleitet werden können, sondern<br />
auch von den Beziehungen zwischen Individuum <strong>und</strong> der konkreten Situation,<br />
in das es eingebettet ist, abhängen. In der Person-Umwelt-Beziehung<br />
haben <strong>die</strong> <strong>Gestalt</strong>theoretiker besonders <strong>die</strong> Ausdrucks- <strong>und</strong> Wesensqualitäten<br />
aufgewertet, <strong>die</strong> aus dem Objekt-Pol das Ego anzielen. <strong>Die</strong> Theorie<br />
des psychischen Feldes konnte seine Fruchtbarkeit sowohl in den Untersuchungen<br />
zur Allgemeinen <strong>und</strong> Sozial-Psychologie zeigen, als auch in jenen<br />
zur Entwicklungspsychologie. In den letzten Jahrzehnten setzte sich das<br />
Feldmodell auch im psychoanalytischen Umfeld durch.<br />
Das Buch ist sowohl für Stu<strong>die</strong>rende als auch für Forschende <strong>und</strong> Therapeuten<br />
von Interesse.<br />
Fax: + 43 1 985 21 19-15 | Mail: verlag@krammerbuch.at