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Innerstaatliche Wasserkonflikte - Institut für Entwicklung und Frieden

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<strong>Innerstaatliche</strong> Konflikte um Wasser: Ursachen, Kooperationspotentiale <strong>und</strong><br />

politische Handlungsoptionen<br />

Annabelle Houdret<br />

Veröffentlicht in: Bastian, Corina/Gunkel, Anne/Leistert, Hannes/Menniken, Timo/Rhodius,<br />

Regina/Schlipphak, Bernd (Hrsg.) 2008 : Wasser - Konfliktstoff des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts: Von<br />

der Krisendiagnose zum Problemmanagement. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2008,<br />

S. 47-61<br />

Zusammenfassung<br />

Die zunehmende Wasserknappheit führt in vielen Ländern zu erhöhter Konkurrenz um die<br />

Ressource <strong>und</strong>, vor allem auf innerstaatlicher Ebene, zu vermehrten Verteilungskonflikten.<br />

Diese sind häufig auch durch andere strukturelle Probleme der Marginalisierung von<br />

Bevölkerungsgruppen bedingt. Angesichts dieser <strong>Entwicklung</strong>en mangelt es jedoch bisher<br />

sowohl an spezifischen wissenschaftlichen Analyseinstrumenten, als auch an politischen<br />

Maßnahmen zur Erkennung von <strong>und</strong> zum Umgang mit den Konfliktpotentialen. Dieser<br />

Beitrag analysiert mögliche Ursachen des Mangels an entsprechenden Frühwarnsystemen,<br />

sowie Gründe der unzureichenden Berücksichtigung von Kooperationspotentialen. Die<br />

(semi)ariden, aber trotzdem stark agrargeprägten <strong>und</strong> wasserknappen Regionen Nordafrikas<br />

stehen dabei im Zentrum. In einem ersten Schritt werden strukturelle Konfliktursachen durch<br />

die zunehmende Marginalisierung von Bauern hinterfragt. Auf Gr<strong>und</strong>lage dieses<br />

Verständnisses wird dann eine Methode zur systematischen Erfassung <strong>und</strong> Analyse<br />

potentieller Konfliktursachen <strong>und</strong> Kooperationspotentiale vorgestellt, die auf konzeptionellen<br />

<strong>und</strong> empirischen Forschungsarbeiten im Maghreb beruht 1 . Abschließend werden<br />

Kooperationspotentiale <strong>und</strong> politische Handlungsmöglichkeiten angesichts dieser<br />

Herausforderungen erörtert.<br />

1. Einleitung<br />

Wasserressourcen sind in vielen Ländern durch die steigende Nachfrage <strong>und</strong> das gleichzeitig<br />

sinkende Angebot knapp geworden. Der Klimawandel verstärkt diese Tendenzen zusätzlich,<br />

da die Erderwärmung vielerorts zu hohen Verdunstungsraten in Flüssen <strong>und</strong> Stauseen führt,<br />

die Wasserqualität beeinträchtigt <strong>und</strong> mit der Ausbreitung von Dürren <strong>und</strong> einer Abnahme der<br />

Niederschläge einhergeht. Gerade die von den Auswirkungen des Klimawandels besonders<br />

betroffenen Länder leiden in vielen Fällen bereits heute unter Wasserknappheit <strong>und</strong> sind<br />

gleichzeitig in hohem Maße von landwirtschaftlicher Produktion abhängig. Internationale<br />

Berichte weisen auf das voraussichtliche Ausmaß dieser Auswirkungen hin: bis 2080 könnten<br />

3,2 Milliarden Menschen von Wasserknappheit 2 betroffen sein 3 , durch die verminderte<br />

Produktivität der Landwirtschaft wären zusätzliche 80 – 200 Millionen Menschen von Hunger<br />

1<br />

Die Autorin dankt dem Forschungsinstitut CIRAD Montpellier <strong>und</strong> dem Projekt SIRMA <strong>für</strong> ihre<br />

Unterstützung.<br />

2<br />

Die Food and Agriculture Organisation der Vereinten Nationen definiert ein Land als unter Wasserknappheit<br />

leidend, wenn dort im Durchschnitt weniger als 1000 mm³ Süßwasser pro Person <strong>und</strong> Jahr verfügbar sind. Laut<br />

FAO bedroht die Wasserknappheit ab diesem Niveau die sozioökonomische <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> das Ökosystem<br />

des jeweiligen Landes. Diese Einschätzung sagen jedoch nichts über die Verteilung der Ressource innerhalb der<br />

Länder aus: die technischen, finanziellen <strong>und</strong> sozialen Zugangsbedingungen, wie auch saisonale oder<br />

geographische Unterschiede in der Verfügbarkeit werden in diesem Landesdurchschnitt nicht erfasst.<br />

3<br />

UNDP: Bericht über die menschliche <strong>Entwicklung</strong> 2006: Nicht nur eine Frage der Knappheit: Macht, Armut<br />

<strong>und</strong> die globale Wasserkrise, Deutsche Gesellschaft <strong>für</strong> die Vereinten Nationen (DGVN) 2006.<br />

1


edroht. Die Ernterückgänge könnten in einigen Ländern Afrikas schon im Jahr 2020 um bis<br />

zu 50% sinken, bis zum Jahr 2100 sogar um 90% 4 . Neben den ökonomischen <strong>und</strong><br />

ökologischen Auswirkungen dieser <strong>Entwicklung</strong>en sind gerade im Hinblick auf knappe<br />

Wasserressourcen auch vermehrte Konfliktpotentiale zu erwarten.<br />

Waren die Debatten in den 1990er Jahren noch weitgehend von drohenden<br />

zwischenstaatlichen „water wars“ geprägt 5 , so wird heute zunehmend deutlich, dass Konflikte<br />

vor allem auf innerstaatlicher Ebene Gewaltpotentiale bergen. Im Gegensatz zur<br />

internationalen Ebene, wo in vielen Fällen durch zwischenstaatliche Regime Kooperation<br />

erleichtert oder zumindest ein Dialog ermöglicht wird 6 , ist die politische Sensibilisierung hier<br />

bisher weniger fortgeschritten. Nur selten sind spezifische <strong>Institut</strong>ionen zur<br />

Konflikterkennung <strong>und</strong> –prävention im Wasserbereich vorhanden, <strong>und</strong> auch die Ansätze zur<br />

Konfliktregelung werden bislang eher informellen Initiativen überlassen. Das politische<br />

Bewusstsein <strong>für</strong> die Zusammenhänge zwischen Wasserknappheit <strong>und</strong> möglichen sozialen<br />

Unruhen ist gerade in wasserarmen Ländern zwar gegeben. Das Wissen um konkrete<br />

Konfliktpotentiale auf lokaler Ebene sowie über diesbezügliche Wechselwirkungen<br />

unterschiedlicher politischer Maßnahmen ist jedoch häufig ebenso wenig ausgeprägt wie<br />

institutionalisierte Möglichkeiten der Konfliktregelung.<br />

2. <strong>Innerstaatliche</strong> Konflikte um Wasser: ökologische, sozioökonomische <strong>und</strong> politische<br />

Ursachen der Auseinandersetzungen<br />

Der Zugang zu Wasser ist insbesondere in ariden oder semiariden Regionen <strong>für</strong> viele<br />

Menschen eine Überlebensfrage: hiervon hängen sowohl die ausreichende <strong>und</strong> saubere<br />

Trinkwasserversorgung, als auch die Sicherung des Einkommens durch<br />

Subsistenzlandwirtschaft oder Viehzucht ab. Die zunehmende Degradation der Boden- <strong>und</strong><br />

Wasserressourcen wirkt sich insbesondere auf die Kleinbauern aus, die oft wenig alternative<br />

Einkommenschancen haben. Erhöhte Konkurrenz um Ressourcen sowie durch ökologische<br />

Degradation verursachte Migration können in diesen Gebieten gewaltsame<br />

Auseinandersetzungen begünstigen. Bereits heute sind in verschiedenen Ländern Afrikas<br />

beispielsweise gewaltsame Konflikte zwischen Nomaden <strong>und</strong> Sesshaften zu beobachten, <strong>und</strong><br />

auch die mangelnde oder teure Trinkwasserversorgung ist in einigen Staaten Anlass <strong>für</strong><br />

Konfrontationen zwischen der Bevölkerung <strong>und</strong> Regierungsinstitutionen 7 .<br />

<strong>Entwicklung</strong>sländer sind von den Auswirkungen des Klimawandels auch im Wasserbereich<br />

stärker betroffen als andere, da ihre Verw<strong>und</strong>barkeit, z.B. durch die hohe Abhängigkeit von<br />

der Landwirtschaft <strong>und</strong> die klimatischen Bedingungen, höher ist, <strong>und</strong> sie oft über geringere<br />

technische, finanzielle oder politische Anpassungskapazitäten verfügen. Auch die VN stellen<br />

in ihrem Bericht über die Menschliche <strong>Entwicklung</strong> 2006 fest: “In vielen<br />

4 IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change: Working Group III contribution to the Intergovernmental<br />

Panel on Climate Change, in: idem: Fourth Assessment Report. Climate Change 2007: Mitigation of Climate<br />

Change. Summary for Policymakers. Bangkok 2007.<br />

5 Joyce Starr: Water Wars, in: Foreign Policy 82(Spring 1991): 17-36.<br />

6 Vgl. z.b. Lars Wirkus/ Volker Böge: Afrikas internationale Flüsse <strong>und</strong> Seen. Stand <strong>und</strong> Erfahrungen im<br />

grenzüberschreitenden Wassermanagement in Afrika an ausgewählten Beispielen. Bonn 2005. oder auch Larry<br />

Swatuk: Environmental Security in Practice: Transbo<strong>und</strong>ary Natural Resource Management in Southern Africa.<br />

In: Water Development and Cooperation: Lessons from Southern Africa and Euphrates Tigris. International<br />

Expert Workshop, Bonn 2005.<br />

7 Annabelle Houdret/ Dennis Tänzler: Umweltwandel <strong>und</strong> Konflikte, in: Tobias Debiel/Dirk Messner/ Franz<br />

Nuscheler: Globale Trends 2007. <strong>Frieden</strong>, <strong>Entwicklung</strong>, Umwelt, Frankfurt/M, 2006, S. 359-376.<br />

2


<strong>Entwicklung</strong>sländern verschärft sich die Konkurrenz um Wasser in einem beängstigenden<br />

Tempo <strong>und</strong> führt dabei zu heftigen -manchmal gewaltsamen- Auseinandersetzungen“. 8<br />

Gerade hier sind Frühwarnmechanismen, konfliktsensitive <strong>Entwicklung</strong>spolitik <strong>und</strong><br />

nachhaltiges Ressourcenmanagement gefragt, um angesichts der ökologischen<br />

Herausforderungen den sozialen Zusammenhalt zu stärken.<br />

Die politische Wahrnehmung der Konfliktpotentiale<br />

Aus mehreren Gründen werden innerstaatliche Konfliktpotentiale um Wasser von nationalen<br />

Politiken bisher nur wenig berücksichtigt, was die Eskalationsgefahr stark verschärfen kann.<br />

Zum einen haben sich politische Strategien im Umgang mit der zunehmenden<br />

Wasserknappheit lange auf technische Möglichkeiten zur Erhöhung des Wasserangebots<br />

begrenzt <strong>und</strong> dabei weder die sozioökonomischen Aspekte der Wassernutzung, noch<br />

mögliche Konfliktpotentiale berücksichtigt. Zum anderen dominieren trotz der mittlerweile<br />

weiten Verbreitung der Konzepte des Integrierten Wasserressourcenmanagements in vielen<br />

Ländern mittelfristige sektor- oder regionalspezifische Herangehensweisen, die die<br />

Implementierung übergreifender Strategien erschweren. Dies spiegelt sich oftmals auch in der<br />

institutionellen Zersplitterung der politischen Handlungskompetenzen, so dass verschiedene<br />

Ministerien in bezug auf die Ressourcennutzung gegensätzliche Politiken implementieren.<br />

Die bisherige Vernachlässigung des Themas ist weiter eng mit der immanenten<br />

machtpolitischen Bedeutung von Wassermanagement verb<strong>und</strong>en. Gerade in Ländern, die<br />

unter Wasserknappheit leiden, spiegeln Verteilungsprioritäten sowohl auf lokaler als auch auf<br />

nationaler Ebene gesellschaftliche Machtstrukturen wieder <strong>und</strong> sind oft unmittelbar <strong>für</strong> deren<br />

Erhalt relevant. Im von Wasserknappheit stark betroffenen Nordafrika wird dieser historisch<br />

verankerte machtpolitische Aspekt der Wasser- <strong>und</strong> Landallokation 9 heute von der<br />

ökonomischen Bedeutung der Agrarwirtschaft weiter gestützt. Wassermanagement impliziert<br />

hier wie in vielen anderen Regionen immer auch eine Gestaltung der sozialen <strong>und</strong> politischen<br />

Beziehungen 10 . Dies äußert sich im Fall Marokkos beispielsweise in der Aufteilung der<br />

ehemaligen Kolonialgr<strong>und</strong>stücke nach der Unabhängigkeit des Landes: das Königshaus<br />

sicherte sich damals seinen Einfluss bei loyalen ländlichen Eliten durch die Vergabe von<br />

Gr<strong>und</strong>stücken <strong>und</strong> die Sicherung der Wasserversorgung 11 , <strong>und</strong> auch heute sind noch ähnliche<br />

Strukturen zu beobachten.<br />

Politische Entscheidungen über das Wassermanagement folgen daher nicht zwangsläufig<br />

ökonomischen oder ökologischen Rationalitäten, sondern sind stark von etablierten<br />

Sozialstrukturen beeinflusst. Diese unterschiedlichen Dimensionen der<br />

Wassernutzbarmachung <strong>und</strong> -verteilung wirken sich auch auf die Entstehung von Konflikten<br />

um die Ressource aus. Neben der ökologischen Verknappung sind deshalb mehrere<br />

strukturelle sozioökonomische Konfliktursachen auszumachen. Dies zeigen auch die<br />

Ergebnisse der Umweltsicherheitsforschung, die in theoretischen <strong>und</strong> empirischen Projekten<br />

die Verknüpfungen zwischen ökologischer Degradation <strong>und</strong> der Entstehung von Konflikten<br />

untersucht hat. Sowohl die quantitativen als auch die qualitativen Studien kamen dabei zu<br />

8<br />

UNDP: Nicht nur eine Frage der Knappheit: Macht, Armut <strong>und</strong> die globale Wasserkrise. Bonn 2006, S. 22.<br />

9<br />

Jacques Pérennès: L'Eau et les Hommes au Maghreb - Contribution à une politique de l'eau en Méditerrannée.<br />

Paris 1993.<br />

10<br />

Jean Le Coz: Espaces méditerranéens et dynamiques agraires: état territorial et communautés rurales. Paris<br />

1990.<br />

11<br />

Rémy Leveau: Le fellah marocain, défenseur du thrône, Paris 1985.<br />

3


dem Ergebnis, dass diese Konflikte multikausal begründet sind, <strong>und</strong> die politischen, sozialen<br />

<strong>und</strong> ökonomischen Faktoren dabei oft sogar eine größere Rolle spielen, als ökologische 12 .<br />

Viele dieser Ursachen entstehen nicht plötzlich, sondern sind strukturell bedingt <strong>und</strong> oft lange<br />

präsent, bevor die eigentliche Eskalation der Interessensdifferenzen sichtbar wird. Strukturelle<br />

Konfliktursachen hängen vor allem mit der Marginalisierung von ethnischen, sozialen,<br />

politischen oder anders abgrenzbaren Bevölkerungsgruppen eng zusammen. Diese<br />

Ausgrenzung äußert sich in Nordafrika von Ägypten bis Marokko in zwei wesentlichen<br />

Tendenzen, die im Folgenden erläutert werden: zum einen in einer ökologischen<br />

Marginalisierung durch erschwerten Zugang zu fruchtbarem Land <strong>und</strong> Wasserressourcen.<br />

Zum anderen werden die Auswirkungen dieser <strong>Entwicklung</strong>en in vielen Fällen durch eine<br />

sozioökonomische Marginalisierung dieser Gruppen verstärkt. Hierdurch werden die<br />

landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen zusätzlich erschwert <strong>und</strong> alternative<br />

Einkommenschancen beschränkt.<br />

„Ökologische Marginalisierung“ als mögliche Konfliktursache<br />

Die Marginalisierung vom Zugang zu ökologischen Ressourcen äußert sich vor allem in<br />

begrenztem Zugang zu ausreichend <strong>und</strong> fruchtbarem Ackerland sowie zu genügenden,<br />

sauberen <strong>und</strong> kostengünstigen Wasserressourcen. Die nordafrikanischen Länder leiden bereits<br />

heute unter Wasserknappheit <strong>und</strong> verfügen über weniger als 1000m³/Person/Jahr 13 , regional<br />

<strong>und</strong> saisonal ist dieser Durchschnitt noch erheblich niedriger. Die sinkende Verfügbarkeit<br />

wird sich bei gleichzeitig steigender Nachfrage in Zukunft noch erheblich verschlimmern 14 .<br />

Die zunehmende Nachfrage ist durch die Urbanisierung <strong>und</strong> den Ausbau der<br />

Bewässerungslandwirtschaft in vielen Regionen bedingt, aber stellenweise auch durch die<br />

rapide Expansion des Tourismussektors <strong>und</strong> der Industrie - beides Sektoren, die gegenüber<br />

der Landwirtschaft höhere politische Priorität genießen. Hiervon sind beispielsweise<br />

Südmarokko (vor allem die Regionen Marrakesch <strong>und</strong> Agadir) wie auch Teile Tunesiens (die<br />

Regionen Hammamet, die Oasis Gabès) betroffen 15 .<br />

Ökologische Marginalisierung wirkt sich vor allem auf Kleinbauern durch die Verringerung<br />

der Pro-Kopf kultivierbaren Ackerfläche <strong>und</strong> den immer schwierigeren Zugang zu<br />

Wasserressourcen aus. Die Landverteilung ist in vielen Ländern Nordafrikas sehr ungleich, so<br />

besitzen beispielsweise in Marokko 75% der ländlichen Haushalte weniger als 2 ha Land 16 .<br />

Hinzu kommt eine unterschiedliche Valorisierung der Böden: in einigen Ländern sind durch<br />

den Ausbau der staatlichen Bewässerungssysteme Disparitäten zwischen einzelnen Regionen<br />

entstanden, die sich auch auf den Ausbau der Infrastruktur im Bildungs-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

Transportwesen auswirken 17 . Obwohl auch innerhalb dieser sog. Bewässerungsperimeter<br />

12 Vgl. vor allem die Forschungsprojekte von Günter Bächler, ETH Zürich/ Schweizerische <strong>Frieden</strong>sstiftung <strong>und</strong><br />

Thomas Homer Dixon, University of Toronto, sowie die Arbeiten von Geoffrey Dabelko <strong>und</strong> Richard Matthew,<br />

Woodrow Wilson International Center for Scholars.<br />

13 World Bank: Making the Most of Scarcity: Accountability for Better Water Management in the Middle East<br />

and North Africa, Washington DC 2007. Diese Zahl ist zwar ein Anhaltspunkt, aber insofern wenig<br />

aussagekräftig, als dass sie die teilweise erheblichen Verteilungsungleichheiten nicht berücksichtigt.<br />

14 UNESCO/WWAP: Water- a shared responsibility. The United Nations World Water Development Report 2,<br />

Paris 2007.<br />

15 Georges Mutin: L'eau dans le Monde Arabe, Paris 2000, S.121ff.<br />

16 Najib Akesbi/ Rachid Doukkali/ Mohamed Moussaoui : Characterisation of agricultural and agro-industrial<br />

sectors in Morocco, Rabat 2004.<br />

17 Vgl. Mutin, op.cit. <strong>und</strong> Najib Akesbi/CIHEAM: Agriculture, pêche, alimentation et développement rural<br />

durable dans la région méditerranéenne. Rapport annuel 2005 Maroc. Rabat 2005.<br />

4


zahlreiche Schwierigkeiten im Anbau bestehen, ist hier die Produktivität <strong>und</strong> damit eine<br />

Mehrzahl der Einkommen erheblich höher: in Marokko stellen die staatlich bewässerten<br />

Sektoren insgesamt zwar nur 10% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche dar,<br />

tragen jedoch zu 45% der landesweiten Produktion bei 18 <strong>und</strong> liefern drei Viertel der<br />

gewinnbringenden landwirtschaftlichen Exportprodukte 19 .<br />

Doch auch über diese Differenzierung hinaus verschärft sich die Konkurrenz um Wasser<br />

sowohl innerhalb als auch außerhalb der bewässerten Regionen seit einigen Jahren erheblich<br />

<strong>und</strong> begünstigt Konfliktpotentiale. Die staatlichen <strong>Institut</strong>ionen sind wegen der geringeren<br />

Wasserverfügbarkeit vielfach nicht mehr in der Lage, die Bewässerung ausreichend zu<br />

sichern <strong>und</strong> ihr Handlungsspielraum wird durch oft mangelnde finanzielle <strong>und</strong> technische<br />

Ausstattung sowie den Personalabbau zusätzlich verringert. Die Tendenzen der<br />

Teilprivatisierung der Wasserversorgung 20 , des Rückzugs staatlicher <strong>Institut</strong>ionen <strong>und</strong> der<br />

Delegierung der Instandhaltung der Versorgungsnetzwerke an Wassernutzergruppen<br />

verringern jedoch auch den politischen Gestaltungsspielraum. Dies äußert sich beispielsweise<br />

in einer weitgehend unkontrollierten Ausweitung der privaten Brunnen <strong>und</strong> Bohrlöcher, die in<br />

zahlreichen Ländern zu rapidem Sinken des Gr<strong>und</strong>wasserspiegels, zu Versalzung oder<br />

Vertrocknen der Böden <strong>und</strong> der Ausbreitung der Desertifikation geführt hat.<br />

Die ökologischen Auswirkungen dieser <strong>Entwicklung</strong>en sind eng mit sozioökonomischen<br />

Folgen der Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen verb<strong>und</strong>en, denn nur<br />

wohlhabende Bauern bringen genügend finanzielle Mittel <strong>für</strong> tiefe Bohrlöcher auf, um ihre<br />

Produktion zu sichern. ElMahdad weist beispielsweise <strong>für</strong> die Region Souss in Südmarokko<br />

einen direkten Zusammenhang zwischen der Tiefe der privaten Bohrlöcher zur<br />

Bewässerungsversorgung <strong>und</strong> dem Wohlstand der jeweiligen Landwirte sowie deren Ausbau<br />

der rentablen Exportkulturen nach 21 . Die weniger tiefen Brunnen der Kleinbauern trocknen<br />

dagegen zunehmend aus, <strong>und</strong> immer öfter ist hiervon auch die Trinkwasserversorgung in den<br />

Dörfern betroffen.<br />

Mit der qualitativen Degradation <strong>und</strong> der sinkenden Verfügbarkeit der Wasserressourcen bei<br />

gleichzeitig steigender Nachfrage ist eine teilweise erhebliche Verteuerung der Bewässerung<br />

einhergegangen. Konnten Kleinbauern ihren Bedarf noch vor 20 Jahren durch staatliche<br />

Bewässerung <strong>und</strong> günstiges Umleiten von Flusswasser oder auch untiefe Bohrungen von 10-<br />

20m befriedigen, müssen sie in vielen Regionen hier<strong>für</strong> heute zwischen 150 <strong>und</strong> 200m tief<br />

bohren – eine Herausforderung, die <strong>für</strong> viele weder finanziell noch technisch zu bewältigen<br />

ist. Die nutzbare Ackerfläche <strong>und</strong> damit die Erträge verringern sich rapide, <strong>und</strong> die Landflucht<br />

nimmt entsprechend zu. Trotzdem bleibt die Agrarwirtschaft <strong>für</strong> viele Kleinbauern weiterhin<br />

die Haupteinnahmequelle, da sie aufgr<strong>und</strong> geringer finanzieller Mittel <strong>und</strong> niedrigem<br />

Bildungsstand über wenige alternative Einkommenschancen verfügen.<br />

Im Kontext dieser <strong>Entwicklung</strong>en kann gerade die Verringerung staatlichen<br />

Gestaltungsspielraums im Wassermanagement, wie sie derzeit in der Politik mehrer Länder<br />

Nord- <strong>und</strong> Westafrikas zu beobachten ist, zu einer Verschärfung der sozioökonomischen<br />

Disparitäten führen <strong>und</strong> Konfliktpotentiale verschärfen.<br />

18<br />

Pérènnes, op.cit.<br />

19<br />

Mokhtar Bzioui/ UNDP: Rapport National 2004 sur les Ressources en Eau au Maroc. Rabat 2004.<br />

20<br />

Vgl. z.B. in Marokko das Projekt „El Guerdane“, mit einem build-operate-transfer-Vertrag an ein privates<br />

Unternehmenskonsortium.<br />

21<br />

Hassan ElMahdad: L'Eau et l'homme dans le Souss: Contribution à l'étude d'un hydrosystème marocain,<br />

Agadir 2003.<br />

5


Die sozioökonomische Marginalisierung<br />

Neben der ökologischen bewirkt auch die sozioökonomische Benachteiligung die<br />

Ausgrenzung bestimmter Landwirte <strong>und</strong> Landarbeiter <strong>und</strong> kann Konfliktpotentiale verstärken.<br />

Diese Benachteiligung äußert sich beispielsweise in sektor- oder regionalspezifischen<br />

politischen Entscheidungen über die Gewährung von Subventionen, Krediten <strong>und</strong><br />

Versicherungen. Auch die Verteilung technischer <strong>und</strong> sozialer Kapazitäten zur Anpassung an<br />

die ökologischen Veränderungen spiegelt dies wieder. Die Verfügbarkeit von technischem<br />

Wissen, finanziellen Ressourcen <strong>und</strong> sozialen Beziehungen spielt hier eine große Rolle.<br />

Soziale Beziehungen einflussreicher Landwirte können in vielen Ländern beispielsweise den<br />

Zugang zu Bohrerlaubnissen oder die Gewährung von Krediten ermöglichen, anderen<br />

Landwirten bleibt dies verwehrt. Neben der Marginalisierung können sozioökonomische<br />

Faktoren sich jedoch auch positiv auswirken. Starke soziale Bindungen innerhalb von<br />

Gruppen ermöglichen beispielsweise die Bildung von informellen Kollektiven oder<br />

zivilgesellschaftlichen Organisationen zur gemeinsamen Mobilisierung <strong>und</strong> Implementierung<br />

von Anpassungsmaßnahmen, wie der Einrichtung wassersparender Bewässerungssysteme<br />

oder gemeinsamer Brunnen 22 . Auch in der Konfliktprävention <strong>und</strong> der Vermittlung in<br />

Streitigkeiten spielen soziale Faktoren eine wichtige Rolle <strong>und</strong> können sowohl Eskalation als<br />

auch kooperative Lösungen bewirken.<br />

Die Marginalisierung der Kleinbauern wird in vielen südlichen Mittelmeeranrainerstaaten<br />

über die zunehmende wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Liberalisierung weiter verstärkt. Die<br />

Liberalisierung der Märkte bewirkt eine Verringerung der staatlichen Subventionen in der<br />

Produktion <strong>und</strong> Vermarktung landwirtschaftlicher Güter. Gleichzeitig sehen sich die<br />

Produzenten erhöhter Konkurrenz günstiger ausländischer Produkte auf ihren einheimischen<br />

Märkten ausgesetzt. Nach jahrzehntelanger oft dirigistischer Landwirtschaftspolitik mit<br />

staatlichen Abnahmegarantien in vielen dieser Länder, die auch die <strong>Entwicklung</strong> alternativer<br />

Handelsstrukturen beeinträchtigt hat, verfügen gerade kleinere Landwirte jedoch nur über<br />

geringe Möglichkeiten zur Behauptung gegenüber der Konkurrenz 23 . Die Liberalisierung geht<br />

seit der Implementierung der Strukturanpassungsprogramme in den 1980er Jahren mit der<br />

zunehmenden Privatisierung ehemals staatlicher Unternehmen <strong>und</strong> Dienstleistungen einher.<br />

Auch die Delegierung der Instandhaltung von Bewässerungssystemen an<br />

Wassernutzergruppen ist auf diese Tendenzen zurückzuführen. Beide <strong>Entwicklung</strong>en<br />

verstärken in vielen Regionen Nordafrikas die Produktionsschwierigkeiten, unter anderem<br />

weil die (teilweise noch aus der Kolonialzeit stammenden) Bewässerungsanlagen in sehr<br />

schlechtem Zustand sind, <strong>und</strong> die Landwirte weder über die technischen Kompetenzen noch<br />

über die finanziellen Mittel verfügen, sie instand zu halten 24 . Die Marginalisierung wird auch<br />

durch die veränderten Bedingungen der Absatzmärkte verstärkt. Die Landwirtschaft vieler<br />

Länder des südlichen Mittelmeeres ist heute stark auf den Export orientiert. Insbesondere<br />

private Großinvestoren setzen dabei eher auf die gewinnbringende Produktion von<br />

22<br />

Vgl. <strong>für</strong> Marokko: Kemmoun, Hassan;/Kuper, Marcel;/Mahdi, Mohamed;/Errahj, Mostafa: L’appropriation<br />

des ouvrages hydrauliques. Des initiatives individuelles à l’action collective, in : Coordinations hydrauliques et<br />

justices sociales : 4e Séminaire international et interdisciplinaire, Montpellier, France, 25-26 novembre 2004. -<br />

Montpellier : CIRAD, 2006.<br />

23<br />

CIHEAM: Agri.Med. Agriculture, pêche, alimentation et développement durable dans la région<br />

Méditerranéenne. Rapport Annuel 2006, Paris 2006.<br />

24<br />

Vgl. Rachid Abdellaoui/ Mohamed El Alaoui: La gestion participative en irrigation, situation actuelle et<br />

perspectives. Rapport principal, Rabat 1999.<br />

Mikael Ranvoisy: Le rôle des associations d'irrigants au Maghreb (Maroc et Tunisie) dans le contexte de<br />

désengagement de l'Etat., Montpellier 2000.<br />

Abdallah Herzenni: Les ORMVA, les AUEA et la gestion participative de l'irrigation, in: Terre et Vie 61-62<br />

(Novembre 2002).<br />

6


Zitrusfrüchten, Tomaten oder Erdbeeren, als auf die klassischen Anbausorten Zucker <strong>und</strong><br />

Getreide. Kleinbauern müssen sich dagegen oftmals mit der Subsistenzlandwirtschaft<br />

begnügen. Die Tendenz der Exportorientierung verstärkt darüber hinaus die Abhängigkeit der<br />

betreffenden Länder <strong>und</strong> Produzenten von den Fluktuationen des Weltmarktes <strong>und</strong> schwächt<br />

die nationale Nahrungsmittelsicherheit. Die Ausgaben <strong>für</strong> den Import von<br />

Gr<strong>und</strong>nahrungsmitteln erhöhen sich dadurch erheblich. Sie schränken das verfügbare<br />

Staatsbudget <strong>für</strong> die Finanzierung von <strong>Entwicklung</strong> ein <strong>und</strong> können auf diese Weise zur<br />

weiteren Verstärkung struktureller Disparitäten führen.<br />

Die Produktionsbedingungen <strong>für</strong> kleine <strong>und</strong> mittlere landwirtschaftliche Betriebe<br />

verschlechtern sich durch diese Faktoren in mehrfacher Hinsicht. Zu der höheren<br />

ökonomischen <strong>und</strong> ökologischen Verw<strong>und</strong>barkeit insbesondere der Kleinbauern kommen<br />

häufig geringere finanzielle, technische <strong>und</strong> soziale Anpassungskapazitäten. Diese mehrfache<br />

Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen wird, insofern sie nicht durch<br />

entsprechende soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Maßnahmen abgefedert wird, in den kommenden<br />

Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verstärkter Migration in urbane oder fruchtbare<br />

Gebiete <strong>und</strong> zu erhöhten Konfliktpotentialen führen.<br />

3. Die systematische Erfassung potentieller struktureller Konfliktursachen <strong>und</strong><br />

Kooperationspotentiale<br />

Die oben ausgeführten Beobachtungen zeigen mögliche Gründe gewaltsamer Konfrontationen<br />

auf, doch wie lassen sich im Einzelfall konkrete Konfliktpotentiale ableiten? Die potentiellen<br />

strukturellen Konfliktursachen können auf Landesebene wegen der oft erheblichen regionalen<br />

Disparitäten nur schwer gemessen werden. Dies hängt zum einen mit der mangelnden<br />

Verfügbarkeit von sozioökonomischen oder ökologischen Daten zusammen. Diese existieren<br />

in vielen Fällen nur <strong>für</strong> die Landes- oder Regionalebene oder sind wegen ihrer politischen<br />

Brisanz schwer zugänglich. Zum anderen sind Konfliktpotentiale oftmals erheblich von<br />

subjektiven Einschätzungen der Betroffenen bezüglich ihrer relativen Benachteiligung <strong>und</strong><br />

ihrer eigenen Handlungsmöglichkeiten abhängig – auch hierbei kann wenig auf existierende<br />

Daten zurückgegriffen werden. Zu einer Einschätzung der Kooperationspotentiale ist weiter<br />

eine Erfassung der verfügbaren sozialen <strong>Institut</strong>ionen der Konfliktaustragung oder –<br />

vermittlung <strong>und</strong> ihrer Legitimität notwendig, die sich ebenfalls nur über spezifische<br />

Befragungen erschließt.<br />

Im Folgenden wird zur Erfassung der Konflikt- <strong>und</strong> Kooperationspotentiale ein Ansatz in drei<br />

wesentlichen Schritten vorgestellt, der sich in ausgesuchten Dörfern oder Kommunen oder,<br />

bei entsprechend repräsentativer Auswahl <strong>und</strong> Anzahl der Befragten, auch in ganzen<br />

Regionen implementieren lässt:<br />

1) Die Untersuchung aktueller struktureller Veränderungen über Quellenstudien <strong>und</strong><br />

Interviews <strong>und</strong> die Erstellung einer Konflikttypologie.<br />

2) Die Erforschung der Anpassungskapazitäten sowie der Konflikt- <strong>und</strong><br />

Kooperationspotentiale über systematische Befragungen.<br />

3) Die Analyse der wesentlichen Faktoren von Konflikt <strong>und</strong> Kooperation sowie<br />

möglicher Interdependenzen über die Auswertung <strong>und</strong> ggf. Ergänzung der<br />

Befragungen.<br />

Ziel ist dabei, auch nicht unmittelbar mit der Wasserversorgung verb<strong>und</strong>ene<br />

Konfliktpotentiale zu identifizieren, da diese zur Eskalation beitragen können. Auch<br />

<strong>Institut</strong>ionen der Konfliktbeilegung <strong>und</strong> der Kooperation müssen nicht notwendigerweise<br />

7


direkt mit dem Wassermanagement verknüpft sein. In vielen Fällen können gerade<br />

Autoritäten aus anderen Bereichen <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionen, die auf anderen Legitimationsquellen<br />

beruhen, die Konfliktparteien zusammenbringen.<br />

Der erste Schritt dieses Ansatzes ermöglicht über Quellenstudien <strong>und</strong> halbstrukturierte<br />

Interviews 25 die Erfassung gr<strong>und</strong>legender Veränderungen in der Untersuchungsregion, die<br />

möglicherweise neue Machtverhältnisse oder die Marginalisierung bestimmter Gruppen<br />

verursacht oder verstärkt haben. Hierzu gehören die ökologischen Bedingungen der<br />

landwirtschaftlichen Produktion, der sozioökonomische Wandel (Einkommens- <strong>und</strong><br />

Bevölkerungsstruktur, Migration) <strong>und</strong> die Geschichte der Intervention unterschiedlicher<br />

staatlicher, zivilgesellschaftlicher <strong>und</strong> privatwirtschaftlicher Akteure in der betreffenden<br />

Region, insbesondere in bezug auf die Landwirtschaft. Wenngleich der Schwerpunkt bei der<br />

Studie dieser Faktoren auf die lokale Ebene gelegt wird, so werden auch nationale<br />

<strong>Institut</strong>ionen, Politiken <strong>und</strong> Tendenzen berücksichtigt, insofern sie die lokale Ebene direkt<br />

oder indirekt betreffen. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise die Verabschiedung neuer<br />

Gesetze oder die Schaffung neuer <strong>Institut</strong>ionen, aber auch internationale Einflüsse wie die<br />

Preise bestimmter Agrarprodukte.<br />

Die Auswertung dieser Einschätzungen ermöglicht eine erste Typologisierung der möglichen<br />

Konflikte <strong>und</strong> der Verknüpfung ihrer Ursachen. Hierbei hat sich eine Klassifizierung nach<br />

Akteuren als nützlich erwiesen, da durch die unterschiedlichen sozialen, ökonomischen <strong>und</strong><br />

ökologischen Dimensionen der Wasserressourcen die Konfliktgegenstände oftmals nicht klar<br />

voneinander abgrenzbar sind. Diese akteurszentrierte Konflikttypologie berücksichtigt sowohl<br />

Individuen als auch formelle <strong>und</strong> informelle <strong>Institut</strong>ionen. Da diese sich je nach sozialem<br />

Umfeld des Befragten stark unterscheiden, kann über die Erforschung eines zunächst sehr<br />

breiten Spektrums von traditionellen Autoritäten, über soziale Zusammenschlüsse bis zu<br />

staatlichen <strong>Institut</strong>ionen <strong>und</strong> Einzelpersonen auf lokaler <strong>und</strong> regionaler Ebene, ein erster<br />

Eindruck der relevanten Akteure gewonnen werden. Auch eine Differenzierung der Befragten<br />

ist notwendig. Bei der Akteursgruppe „Landwirte“ beispielsweise kann eine Klassifizierung<br />

anhand ihres Ursprungsortes, der Größe ihrer Betriebe oder den angebauten Produkten<br />

vorgenommen werden.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieser Analyse kann in einem zweiten Schritt ein systematischer<br />

Fragebogen erarbeitet werden, der folgende Teilbereiche umfasst:<br />

a) die Betroffenheit von ökologischer Degradation in Form der qualitativen <strong>und</strong><br />

quantitativen Veränderung in der Verfügbarkeit von Boden- <strong>und</strong> Wasserressourcen;<br />

b) die Verfügbarkeit von direkten Anpassungskapazitäten an die ökologische<br />

Degradation in Form alternativer Einkommensmöglichkeiten sowie finanzieller <strong>und</strong><br />

technischer Mittel;<br />

c) die Existenz <strong>und</strong> Häufigkeit von Konflikten in der unmittelbaren Umgebung <strong>und</strong> die<br />

Involvierung unterschiedlicher Akteure <strong>und</strong> Konfliktgegenstände;<br />

d) die Verfügbarkeit von <strong>und</strong> Einbindung in gesellschaftliche, staatliche oder private<br />

<strong>Institut</strong>ionen zur Lösung der technischen Produktionsschwierigkeiten einerseits <strong>und</strong><br />

zur Stärkung sozialer Kapazitäten andererseits. Hierzu gehört auch die Legitimität zur<br />

Vermittlung in Interessenkonflikten, die durch traditionelle Autoritäten, lokale<br />

<strong>Entwicklung</strong>sorganisationen oder auch staatliche <strong>Institut</strong>ionen ausgeübt werden kann.<br />

Zusätzlich zu den geschlossenen Fragen, die den Hauptteil dieses Katalogs bilden, ermöglicht<br />

die Option offener Antworten die Erfassung eventuell vernachlässigter Aspekte. Gerade auch<br />

25 „Experteninterviews“, vor allem jedoch die direkte Befragung betroffener Bauern <strong>und</strong> zivilgesellschaftlicher<br />

Organisationen wie auch der Mitarbeiter lokaler staatlicher <strong>und</strong> privatwirtschaftlicher <strong>Institut</strong>ionen.<br />

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lokalspezifische soziale, politische, ethnische oder religiöse Zusammenhänge, die in der<br />

Sondierungsphase zur Erstellung der Fragebögen ggf. nicht berücksichtigt wurden, lassen sich<br />

auf diese Weise zumindest identifizieren.<br />

Bei einer sorgfältigen Auswahl der Befragten unter Berücksichtigung der vorläufigen<br />

Konflikttypologie (unterschiedliche Größe <strong>und</strong> Lokalisierung der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe, verschiedene Bewässerungstypen, ggf. unterschiedliche Volksgruppen etc.)<br />

ermöglicht die mittels eines solchen Fragebogens durchgeführte Untersuchung Aufschluss<br />

über die Verw<strong>und</strong>barkeit verschiedener Bevölkerungsgruppen gegenüber der ökologischen<br />

<strong>und</strong> der sozioökonomischen Marginalisierung. Auch die Verteilung von<br />

Anpassungskapazitäten <strong>und</strong> Konflikthäufigkeiten kann so ermittelt werden <strong>und</strong> dient der<br />

Identifizierung von „hotspots“ <strong>für</strong> weitere Studien bzw. <strong>für</strong> die <strong>Entwicklung</strong><br />

(entwicklungs)politischer Maßnahmen.<br />

Die Auswertung dieser empirischen Studien, der dritte Schritt des Verfahrens, sollte<br />

insbesondere auch die Antworten auf die offenen Fragen berücksichtigen <strong>und</strong> hierzu ggf. eine<br />

ergänzende Befragung umsetzen. Zum besseren Verständnis der Analyseergebnisse hat sich<br />

weiter deren Diskussion in einem Kreise ausgewählter Vertreter der unterschiedlichen<br />

Befragten bewährt. Trotz der manchmal erheblichen Brisanz eines solchen Treffens kann hier<br />

auch Raum <strong>für</strong> die Diskussion über Konfliktursachen <strong>und</strong> <strong>für</strong> die gemeinsame Erarbeitung<br />

von kooperativen Handlungsoptionen geboten werden.<br />

4. Kooperationspotentiale <strong>und</strong> politische Handlungsoptionen<br />

Angesichts der oben erläuterten Verschärfung der ökologischen <strong>und</strong> der soziökonomischen<br />

Marginalisierung von Bevölkerungsgruppen in vielen agrargeprägten Ländern nehmen<br />

Konfliktpotentiale zu. Die Auswirkungen des Klimawandels können diese Tendenzen<br />

zusätzlich verstärken. Die aktuellen Studien hierzu können Orientierungen bezüglich der von<br />

den ökologischen Veränderungen besonders betroffenen Regionen bieten 26 <strong>und</strong> sind daher<br />

auch <strong>für</strong> die Erarbeitung politischer Handlungsalternativen hilfreich.<br />

Im Folgenden werden Optionen zur Konfliktprävention im Zusammenhang mit<br />

Wasserknappheit vorgeschlagen, die <strong>für</strong> staatliche Verantwortliche in nationalen, regionalen<br />

<strong>und</strong> lokalen <strong>Institut</strong>ionen, <strong>für</strong> zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, aber gerade auch <strong>für</strong><br />

die <strong>Entwicklung</strong>szusammenarbeit Anhaltspunkte <strong>für</strong> die konfliktsensitive Gestaltung ihrer<br />

Maßnahmen bieten. Wenngleich viele der hier erläuterten Konfliktursachen auch durch<br />

internationale <strong>und</strong> globale <strong>Entwicklung</strong>en verursacht sind (wie die Handelsbedingungen des<br />

Weltmarktes oder der Klimawandel), so bieten die nationale <strong>und</strong> lokale Ebene dennoch<br />

Möglichkeiten zur Umsetzung konkreter konfliktpräventiver Strategien.<br />

Diese Handlungsmöglichkeiten lassen sich in zwei wesentliche Kategorien unterteilen:<br />

a) Die Implementierung von Strategien gegen die ökologische <strong>und</strong> sozioökonomische<br />

Marginalisierung;<br />

b) Die Stärkung der Kapazitäten der Konfliktprävention <strong>und</strong> der kooperativen<br />

Konfliktlösung.<br />

26 Vgl. z.B. IPCC, op.cit, sowie Maarten de Wit/ Jacek Stankiewicz: Changes in Surface Water Supply Across<br />

Africa with Predicted Climate Change, in: Science 311(5769): S. 1917 - 1921.<br />

J.C.Nkomo/ A.O./Nyong/ K. Kulindwa: The impacts of climate change in Africa, in: The Stern Review on the<br />

Economics of Climate Change, London 2006, http://www.hmtreasury.gov.uk/independent_reviews/stern_review_economics_climate_change/stern_review_supporting_docu<br />

ments.cfm. (30.04.2007).<br />

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Beide möglichen Handlungsbereiche bedürfen regionalspezifischer Studien zum Verständnis<br />

der jeweiligen Konfliktkonstellation <strong>und</strong> der Gewichtung der möglichen strukturellen <strong>und</strong><br />

eskalationsträchtigen Faktoren. Zu den Strategien gegen verschiedene Formen der<br />

Marginalisierung gehört neben den sektor- <strong>und</strong> regionalspezifischen Maßnahmen innerhalb<br />

eines Landes die Verbesserung des Zusammenwirkens der Politikbereiche <strong>und</strong> ihrer<br />

<strong>Institut</strong>ionen. Das Bewusstsein <strong>für</strong> die Konfliktrelevanz politischer Entscheidungen erschließt<br />

sich oftmals erst aus einer Gesamtperspektive der unterschiedlichen Maßnahmen, die nicht<br />

unbedingt einzeln, aber dennoch in ihrer Kombination gewaltsame Auseinandersetzungen<br />

begünstigen können. Daher kann nur ein sog. „mainstreaming“ der Marginalisierungs- <strong>und</strong><br />

der Konfliktdimensionen in den unterschiedlichen Politikbereichen <strong>und</strong> eine höhere<br />

Sensibilisierung <strong>und</strong> Koordination der jeweiligen <strong>Institut</strong>ionen Prävention verbessern.<br />

Eng damit verknüpft ist der Aspekt der ländlichen <strong>Entwicklung</strong>. Gerade in agrargeprägten<br />

Ländern ist der Zusammenhang zwischen <strong>Entwicklung</strong>sproblemen <strong>und</strong> Konfliktpotentialen<br />

durch Wasserknappheit deutlich. Sozioökonomische Benachteiligung durch unzureichenden<br />

Zugang zu sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Leistungen <strong>und</strong> Infrastruktur verstärkt hier nicht nur<br />

die materielle <strong>und</strong> symbolische Benachteiligung, sondern sie verunmöglicht häufig die<br />

<strong>Entwicklung</strong> von Anpassungskapazitäten an ökologische Veränderungen. Maßnahmen der<br />

Konfliktprävention sollten daher sowohl die Stärkung dieser Kapazitäten beinhalten, als auch<br />

die eigentlichen Ursachen der Marginalisierung bekämpfen. Beides ist wegen der hier<br />

besonders hohen Konfliktpotentiale auch auf lokaler Ebene wichtig.<br />

Gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Produktions- <strong>und</strong> Vermarktungsstrukturen, der<br />

Wasserversorgung <strong>und</strong> der Lebensbedingungen können einerseits einen effizienteren Einsatz<br />

der ökologischen Ressourcen ermöglichen, <strong>und</strong> fördern andererseits besonders in stark von<br />

Degradation betroffenen Gebieten alternative Einkommensmöglichkeiten. Prioritäre Regionen<br />

<strong>und</strong> Bevölkerungsgruppen können mit der oben erläuterten Methode identifiziert werden. Bei<br />

der <strong>Entwicklung</strong> <strong>und</strong> Implementierung konkreter Maßnahmen spielt die Kooperation mit <strong>und</strong><br />

„ownership“ der lokalen <strong>Institut</strong>ionen eine wesentliche Rolle. Lokale Innovationskapazitäten<br />

zur Verbesserung der Ressourcennutzung <strong>und</strong> der Anpassungskapazitäten, aber auch zur<br />

Stärkung des sozialen Zusammenhaltes <strong>und</strong> der Kooperation sind häufig vorhanden. Lokale<br />

Akteure <strong>und</strong> <strong>Institut</strong>ionen verfügen aber oft zum einen über ungenügend finanzielle <strong>und</strong><br />

technische Mittel zur Umsetzung, <strong>und</strong> sind zum anderen häufig wenig in einen weiteren<br />

geographischen <strong>und</strong> institutionellen Zusammenhang eingebettet. Die Schaffung spezifischer<br />

<strong>Institut</strong>ionen zur Konsultation auf lokaler <strong>und</strong> regionaler Ebene könnte hier das Verhältnis<br />

möglicher Konfliktparteien verbessern, <strong>und</strong> staatliche, privatwirtschaftliche <strong>und</strong> individuelle<br />

oder zivilgesellschaftliche Akteure hinsichtlich spezifischer gemeinsamer Probleme<br />

zusammenbringen. Hierzu wäre auch die stärkere Einbeziehung des Privatsektors notwendig,<br />

beispielsweise im Tourismus- oder im Landwirtschaftsbereich. Soziale <strong>und</strong> ökologische<br />

Verantwortung <strong>für</strong> nationale <strong>und</strong> internationale Investoren wird in vielen anderen Bereichen<br />

bereits praktiziert (die sog. Corporate Social Responsibility) <strong>und</strong> könnte auch hier durch<br />

verpflichtende Standards Marginalisierung begrenzen <strong>und</strong> ökologische Nachhaltigkeit<br />

verbessern.<br />

Selbstverständlich sollten konfliktpräventive Strategien auch durch Ressourcenschutz in Form<br />

eines nachhaltigen Wasser- <strong>und</strong> Bodenmanagements unterstützt werden. Die Verabschiedung<br />

nationaler Gesetze zum Gewässerschutz, die seit einigen Jahren zunehmend umgesetzt<br />

werden, ist in diesem Zusammenhang gr<strong>und</strong>sätzlich zu begrüßen. Die Implementierung<br />

bedeutet jedoch häufig Restriktionen im Ressourcenverbrauch <strong>und</strong> kann so schnell zu neuen<br />

Konfliktpotentialen führen, beispielsweise wenn das illegale Abpumpen von Gr<strong>und</strong>wasser<br />

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geahndet wird. Die effektive Umsetzung von nachhaltigem Ressourcenmanagement <strong>und</strong><br />

Konfliktprävention scheitert daher oft an den sozioökonomischen Konsequenzen, oder bereits<br />

der politischen Besorgnis über ihr eventuelles Auftreten. Vorrangig ist daher, dass die soziale<br />

Akzeptanz durch eine transparente Durchführung <strong>und</strong> genügend Kommunikation erhöht, <strong>und</strong><br />

vor allem durch entsprechende sozioökonomische Begleitmaßnahmen flankiert wird. Die<br />

Bereitstellung alternativer, weniger wasserintensiver Anbauprodukte <strong>und</strong> entsprechender<br />

Vermarktungsoptionen, die dezidierte Förderung neuer Bewässerungstechniken sowie die<br />

Schaffung alternativer Einkommensquellen sind hier mögliche Handlungsoptionen.<br />

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