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nahziel/ungarn<br />
Ungarn<br />
<strong>Rund</strong> <strong>um</strong> <strong>den</strong><br />
<strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong><br />
Text und Fotos: Andreas Jacobsen<br />
Zwei Autostun<strong>den</strong> östlich von Budapest liegt ein <strong>See</strong>, <strong>den</strong> es vor vierzig<br />
Jahren noch gar nicht gab. Dabei handelt es sich <strong>um</strong> das zweitgrößte<br />
Gewässer Ungarns nach dem Plattensee. Ursprünglich als eine ähnlich<br />
attraktive Ferienregion wie der Balaton geplant, wird das künstliche<br />
Gewässer von der Natur nach und nach zurückerobert.
Im Klartext: Als man in <strong>den</strong><br />
1960er Jahren damit begann,<br />
<strong>den</strong> Fluss <strong>Theiss</strong> aufzustauen,<br />
der, aus der Ukraine kommend,<br />
durch die ungarische Tiefebene<br />
fließt und dort immer wieder für<br />
Überschwemmungen sorgt, wurde<br />
ein 127 Quadratkilometer großes<br />
Gebiet geflutet, das durch<br />
Stichkanäle und Schleusen mit der<br />
Tisza (so der ungarische Name<br />
für <strong>Theiss</strong>) verbun<strong>den</strong> ist und ein<br />
Auffangbecken bildet. In diesem<br />
häufig nur anderthalb Meter tiefen<br />
künstlichen <strong>See</strong> sind im Lauf der<br />
Jahre viele S<strong>um</strong>pfgebiete, Schilfinseln<br />
und Auenwälder entstan<strong>den</strong>,<br />
längst verschwun<strong>den</strong> geglaubte<br />
Wasservögel fin<strong>den</strong> hier ihr Revier<br />
und Wasserpflanzen bedecken<br />
schon vierzig Prozent der <strong>See</strong>fläche<br />
– Natur pur, wie sie nur noch<br />
selten anzutreffen ist. Hier befindet<br />
sich ein einzigartiges Vogelreservat,<br />
das zusammen mit der nah<br />
gelegenen Hortobágy-Puszta eines<br />
der größten Vogelflugzentren Europas<br />
bildet und z<strong>um</strong> Weltnaturerbe<br />
der Unesco gehört.<br />
Die Natur kommt zurück<br />
Auf geführten Bootstouren über<br />
die offenen Wasserflächen des<br />
<strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong>s (Tisza-tó) kreisen<br />
<strong>See</strong>adler in der Luft, deren Flügelspannweite<br />
zweieinhalb Meter<br />
misst, während Dutzende von Kranichen<br />
auf Ba<strong>um</strong>stümpfen hocken,<br />
die aus dem Wasser ragen – die<br />
Bä<strong>um</strong>e hatte man damals vor der<br />
Flutung gefällt, jedoch vergessen,<br />
auch die Stümpfe zu entfernen. Je<br />
tiefer es in das Geflecht aus Kanälen,<br />
toten Flussarmen, Sümpfen<br />
und Weihern geht, <strong>um</strong>so mehr<br />
nimmt der Pflanzenwuchs auf<br />
dem Wasser zu: Grüne Teppiche,<br />
die aussehen wie Entengrütze,<br />
die sich aber bei genauerem Hinsehen<br />
als Wasserfarn-Gewächse<br />
entpuppen. Am Ufer stehen Wei<strong>den</strong>,<br />
Pappeln, Eschen, Ulmen, Eichen<br />
und Akazien, plötzlich fliegt<br />
ein Silberreiher durch das exotisch<br />
anmutende Naturambiente, das bei<br />
der Entstehung des <strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong>s<br />
vor vierzig Jahren überhaupt noch<br />
nicht existierte. Die urwaldartige<br />
Landschaft diente als Kulisse für<br />
Szenen des Spielfilms "Der Adler<br />
der Neunten Legion". So genannte<br />
Lehrpfade machen mit Flora und<br />
Fauna dieses ungewöhnlichen Biotops<br />
unmittelbar vertraut. Der am<br />
häufigsten besuchte liegt nahe der<br />
Ortschaft Poroszló. Dort spaziert<br />
man bequem auf einem breiten,<br />
1.500 Meter langen Holzsteg mit-<br />
ten durch das Reich von Rohrweihen,<br />
Lachmöwen, Blesshühnern,<br />
von Schwänen, Klein-Komoranen,<br />
Zwergscharben, von Grau-, Silber-<br />
und Nachtreihern. Links und rechts<br />
vom Steg breitet sich wieder der<br />
grüne Teppich aus, diesmal vermehrt<br />
<strong>um</strong> <strong>See</strong>rosen und die seltene<br />
Pflanze Wassernuss.<br />
Naturparadies für Aktive<br />
Der <strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong>, besonders beliebt<br />
bei ungarischen Anglern, die reichlich<br />
Raubfische (Hecht und Zander)<br />
aus dem Wasser ziehen, ist zu-<br />
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nahziel/ungarn<br />
gleich ein beeindruckendes Terrain<br />
für Radwanderer. Ausgewiesene<br />
Radwege führen auf einem siebzig<br />
Kilometer langen <strong>Rund</strong>kurs <strong>um</strong> <strong>den</strong><br />
<strong>See</strong>, wo in mehreren Tourenzentren<br />
mit Unterkunftsmöglichkeiten<br />
sowie Rad- und Bootsverleih fachkundiges<br />
Personal <strong>den</strong> ortsunkundigen<br />
Besuchern mit Vorschlägen<br />
für Streckenabschnitte und Führungen<br />
in der Natur hilfreich zur<br />
Seite steht. Die Fahrten auf <strong>den</strong><br />
Deichen sind das Highlight jeder<br />
Tour: Hier fällt der Blick auf eine<br />
Wasserlandschaft, die mit ihren<br />
Inseln und Inselchen gleichsam<br />
in sich gekehrt ist und eine wohltuende<br />
Ruhe ausstrahlt. Etwas<br />
abseits vom <strong>See</strong>gebiet liegt eine<br />
sehenswerte dörfliche Siedlung<br />
namens Nagykörü. Auf 120 Hektar<br />
erstreckt sich dort Ungarns größter<br />
zusammenhängender Kirschgarten,<br />
dessen Ba<strong>um</strong>blüte landesweit<br />
gerühmt wird. Nach der Ernte im<br />
Juli verkaufen die Einheimischen<br />
verschie<strong>den</strong>e Kirschmarmela<strong>den</strong>,<br />
-säfte und -schnäpse. Den Frem<strong>den</strong><br />
erwarten zudem in einem älteren<br />
Gebäudekomplex ein kleines<br />
Heimatmuse<strong>um</strong>, eine Töpferei und<br />
eine gemütliche Bauernstube, wo<br />
die Keramikkünstlerin Judit Szász<br />
außer Kirschkuchen und Weintrauben<br />
auch Ziegenkäse anbietet.<br />
Dazu gibt es Sikvíz, Sodawasser,<br />
das z<strong>um</strong> ersten Mal im Land der<br />
Magyaren hergestellt wurde.<br />
Das Umland<br />
Von Tizafüred, dem Zentr<strong>um</strong> der<br />
<strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong>-Region mit dem einzigen<br />
Vier-Sterne-Hotel Tisza Balne<strong>um</strong>,<br />
sind es rund dreißig Kilometer<br />
bis z<strong>um</strong> Nationalpark Hortobágy,<br />
der schon allein wegen der flachen,<br />
versteppten und mit nur wenig Gras<br />
bewachsenen Puszta besucht wer<strong>den</strong><br />
sollte (auch sie gehört teilweise<br />
z<strong>um</strong> Überschwemmungsgebiet<br />
der <strong>Theiss</strong>). Knapp ein Drittel des<br />
Parks dient landestypischen Nutz-<br />
tieren als Weideland, <strong>um</strong> vor allem<br />
<strong>den</strong> Fortbestand der Puszta zu sichern:<br />
Graurindern, Wasserbüffeln,<br />
Zackelschafen, Wollschweinen. Besondere<br />
Aufmerksamkeit erfahren<br />
die Ciskósok, die Pferdehirten der<br />
Puszta, wenn sie peitschenknallend<br />
ihre Reitkunst auf Nónius-Rössern,<br />
einer ungarischen Züchtung,<br />
demonstrieren. Die halsbrecherischen<br />
Ritte auf Pferderücken haben<br />
ihren Ursprung übrigens nicht<br />
in der Puszta. Vielmehr brachte die<br />
Hirten ein österreichisches Gemälde<br />
mit dem Titel "Ungarische Post",<br />
das eine Pferdekutsche in voller<br />
Fahrt zeigt, auf die Idee, solche Vorführungen<br />
in ihr touristisches Programm<br />
einzubauen. <br />
Im Reisebüro<br />
Ferienhausurlaub<br />
Novasol: der Ferienhausvermittler<br />
hat derzeit vier Objekte<br />
am <strong>Theiss</strong>-<strong>See</strong> im Angebot. Sie<br />
liegen im 3- bis 5-Sterne-Bereich<br />
und kosten ab 106 bis 224<br />
Euro je Objekt pro Woche.<br />
Quick Info:<br />
Ungarn<br />
Einreisebestimmungen:<br />
Deutsche Staatsbürger<br />
benötigen einen gültigen Personalausweis<br />
oder gültigen<br />
vorläufigen Personalausweis.<br />
Klima:<br />
Relativ trockenes Kontinentalklima<br />
Währung:<br />
1 Euro = 283,98 Ungarischer<br />
Forint (HUF) (Stand: 11/2012)<br />
Zeitverschiebung:<br />
MEZ