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Die Metro als Schauplatz im französischen Film. - Philosophische ...

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évidente du parcours du métro“ 35 ), die wohl auch einer der Gründe dafür sein mag, dass Kafka<br />

hier das „Wesen von Paris“ unmittelbar zu erkennen glaubte. Im Leben der Bewohner von Paris<br />

nehme die <strong>Metro</strong> zudem auch dadurch einen ganz besonderen Stellenwert ein, dass sie nicht nur<br />

mit einem kollektiven Geschichtsbewusstsein, sondern ebenso mit individuellen Erinnerungen<br />

und Erfahrungen eng verknüpft sei. Von seinen persönlichen Erfahrungen ausgehend, beschreibt<br />

Marc Augé, wie etwa best<strong>im</strong>mte <strong>Metro</strong>linien untrennbar mit Erinnerungen an frühere<br />

Lebensabschnitte oder an Personen verbunden sein können. 36 Ebenso würden manche Wege und<br />

Stationen stets mit best<strong>im</strong>mten Lebensbereichen assoziiert: „Chacun de ces itinéraires, à une<br />

époque donnée, a articulé quotidiennement les différents aspects de ma vie professionelle et<br />

familiale et m’a <strong>im</strong>posé ses répères et ses rhythmes.“ 37<br />

Gerade dies hat nun zur Folge, dass die Fahrt in der <strong>Metro</strong> wiederum auch zu einer sehr<br />

subjektiven, persönlichen Erfahrung wird 38 , dass sie eben keineswegs nur Kollektivität stiftet,<br />

sondern vielmehr den einzelnen auf sich selbst verweist. Er mag täglich mit den gleichen<br />

Menschen die gleiche Strecke zur gleichen Zeit <strong>im</strong> gleichen Waggon fahren – er bleibt doch<br />

letztlich <strong>im</strong>mer allein mit sich. In den oft überfüllten Zügen, in denen einem nicht selten die<br />

Nähe zu anderen Mitreisenden aufgezwungen wird, findet keine Kommunikation statt. <strong>Die</strong><br />

meisten versenken sich in ein Buch oder Kreuzworträtsel, hören Musik oder blicken starr aus<br />

dem Fenster, <strong>als</strong> gäbe es <strong>im</strong> Dunkel der Tunnel etwas zu sehen; das Gespräch sucht hier<br />

niemand. Im Gegenteil: Je voller die <strong>Metro</strong> ist, desto eher vermeidet ein jeder, den anderen<br />

anzusehen und desto weniger erträgt man selbst die Blicke der anderen. Und so kommt der<br />

Aufenthalt in der <strong>Metro</strong> einer „solitude sans isolement“ 39 , einer Einsamkeit inmitten der<br />

Gemeinschaft gleich. <strong>Die</strong> <strong>Metro</strong> kann auf diese Weise <strong>als</strong> eine „Großstadt <strong>im</strong> Kleinen“<br />

beschrieben werden, verdichtet sich doch hier die moderne Großstadterfahrung eines Poeschen<br />

„man of the crowd“.<br />

Eben diese Beobachtung veranlasste Augé etwa zwanzig Jahre nach Un éthnologue dans le<br />

métro zu einer erneuten Untersuchung der <strong>Metro</strong>. In Le métro revisité (2008) betrachtet er sie<br />

nun vor dem Hintergrund seines in den 90er Jahren entwickelten Konzeptes der non-lieux. 40<br />

Nicht-Orte sind laut Marc Augé dadurch gekennzeichnet, dass sie weder Identität noch Relation,<br />

35 Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 33.<br />

36 Vgl. Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 10ff.<br />

37 Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 13.<br />

38 Vgl. Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 54f.<br />

39 Augé: Un ethnologue dans le métro, S. 55.<br />

40 Zu den Nicht-Orten zählt Augé unter anderem Verkehrsmittel wie Flugzeuge, Eisenbahnen, Automobile, ebenso<br />

Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen bis hin zu Einkaufszentren, Tankstellen, Hotelketten und Freizeitparks.<br />

Vgl. Marc Augé: Non-lieux. Introduction à une anthropologie de la surmodernité, Paris: Éditions du Seuil 1992,<br />

S. 48.<br />

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