Die Metro als Schauplatz im französischen Film. - Philosophische ...
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filmischen Motivs“ 92 , so Kracauer, indem sie es in die spezifische Sprache des <strong>Film</strong>s, die<br />
Bewegung, übersetzen.<br />
2.3.1 <strong>Die</strong> „Lust am rasenden Tempo“ 93<br />
Frühe Verfolgungsjagden wie COURSE DES SERGEANTS DE VILLE oder LA COURSE AUX<br />
POTIRONS sollten nicht vorrangig Spannung erzeugen, sondern vielmehr das Publikum mit<br />
skurrilen Einfällen überraschen und zum Lachen bringen. Charlie Chaplin perfektionierte diese<br />
Kunst und ließ seine Verfolgungsjagden häufig in grotesk übersteigerten, „sinnlosen Kreis- und<br />
Vor-und-zurück-Bewegungen“ 94 kumulieren. Ein großer Teil des Reizes lag dabei schlicht darin,<br />
Bewegung abzubilden, war doch gerade dies das Neue und Einzigartige, was der <strong>Film</strong><br />
insbesondere dem Medium der Fotografie voraushatte. Siegfried Kracauer unterscheidet in<br />
seiner Theorie des <strong>Film</strong>s zwischen „registrierenden“ und „enthüllenden Funktionen“ des <strong>Film</strong>s.<br />
Während die enthüllenden Funktionen stets dem Zuschauer etwas zeigen, was sich<br />
normalerweise seinem Blick entzieht – sei es, dass eine Nahaufnahme etwas sichtbar macht, was<br />
mit bloßen Auge nicht zu erkennen wäre, oder dass eine Handlung, die für die menschliche<br />
Wahrnehmung normalerweise zu schnell (etwa der Bewegungsablauf eines Pferdes <strong>im</strong> Galopp)<br />
oder zu langsam (wie das Wachsen einer Pflanze) abläuft, mittels Zeitlupe beziehungsweise<br />
Zeitraffer plötzlich nachvollziehbar wird 95 –, haben die registrierenden Funktionen des <strong>Film</strong>s den<br />
schlichten, aber genuin filmischen Zweck, Bewegung zu erfassen. Zu ihnen zählt Kracauer<br />
neben der Verfolgungsjagd auch den Tanz sowie die „Bewegung <strong>im</strong> Entstehen“ (gemeint ist jede<br />
Form von Bewegung, die bewusst „<strong>im</strong> Gegensatz zur Reglosigkeit“ 96 in Szene gesetzt wird). 97<br />
Aus diesem Grund, da sie die physische Aktion zum dramatischen Gegenstand erhebt, erscheint<br />
Alfred Hitchcock die Verfolgungsjagd <strong>als</strong> „der endgültige Ausdruck des filmischen Mediums“ 98<br />
– eine Ansicht, die auch Kracauer teilt. Für ihn stellt „[d]ieser Komplex aufeinander bezogener<br />
Bewegungen [...] Bewegung <strong>im</strong> Höchstmaß dar, Bewegung an und für sich.“ 99 Im<br />
vorangegangenen Kapitel war bereits davon die Rede, dass <strong>Metro</strong> und Kino die „Lust an der<br />
Bewegung“ gemeinsam ist. Wenn sich diese mit der Verfolgungsjagd nun zu einer „Lust am<br />
rasenden Tempo“ 100 steigert, so scheint sich die Affinität von <strong>Metro</strong> und Kino genau dann am<br />
reinsten zu entfalten: wenn die <strong>Metro</strong> zum <strong>Schauplatz</strong> einer filmischen Verfolgungsjagd wird.<br />
92<br />
Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 360.<br />
93<br />
Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 72.<br />
94<br />
Georg Hoefer: <strong>Die</strong> Verfolgungsjagd <strong>im</strong> <strong>Film</strong>: Eine filmästhetische Untersuchung, Alfeld/Leine: Coppi-Verlag<br />
1996, S. 142.<br />
95<br />
Vgl. Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 77ff.<br />
96<br />
Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 74.<br />
97<br />
Vgl. Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 71ff.<br />
98<br />
„Core of the Movie – the Chase“, The New York T<strong>im</strong>es Magazine, 29. Oktober 1950 (ein Interview mit Alfred<br />
Hitchcock), zitiert nach Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 72.<br />
99<br />
Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 72.<br />
100 Kracauer: Theorie des <strong>Film</strong>s, S. 72.<br />
24