07.10.2013 Aufrufe

(zur transversalen vernunft bei Wolfgang Welsch). - Universität zu Köln

(zur transversalen vernunft bei Wolfgang Welsch). - Universität zu Köln

(zur transversalen vernunft bei Wolfgang Welsch). - Universität zu Köln

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

140 Zweite Diskussionseinheit EuS 1120001<br />

seinen Rekonstruktionen der Postmoderne durchaus sieht und<br />

referiert, daß diese Referenz dann aber argumentativ von sei<br />

nem Konzept der <strong>transversalen</strong> Vernunft abgekoppelt wird.<br />

3 Denn mit dem Konzept der <strong>transversalen</strong> Vernunft wen<br />

det sich Weisch <strong><strong>zu</strong>r</strong>ück und eröffnet ein sehr traditionelles<br />

und politisch wohl eher konservatives, ja ich bin geneigt <strong>zu</strong><br />

sagen, auch ein bloß akademisch selbstbezügliches Modell.<br />

Die konservative und selbstbezügliche Entscheidung liegt in<br />

der Monadizität des Erkenntnisanspruches 16. Hier wird<br />

ein archaisches Allgemein-Ich aufgerichtet, das alles aus sei<br />

ner Subjektivität begründet - <strong>zu</strong>mindest über einen Primat der<br />

inneren Verständigung gegenüber aller Vermitteltheit mit äu<br />

ßeren Kontexten <strong>zu</strong> verfügen scheint. Problematisch ist dies,<br />

weil es hinter alle Diskussionen über Interaktivität als Be<strong>zu</strong>gs<br />

rahmen eines postmodernen Individuums in die Sphäre ei<br />

nes Privatus oder Robinsons <strong><strong>zu</strong>r</strong>ückfällt, wo<strong>bei</strong> eine fiktive<br />

Archaik eines Größen-Selbst aufgerichtet wird. <strong>Welsch</strong> kon<br />

struiert ein nicht näher hergeleitetes Ich und ignoriert die breite<br />

Auseinanderset<strong>zu</strong>ng gegen solche Selbstbezüglichkeit z.B.<br />

Apel, Habermas, Dewey. Dies stellt ihn auch gegen sein ei<br />

genes Referat über die Postmoderne.<br />

4 Der gravierendste Rückfall ist die von ihm behauptete<br />

Monadizität der subjektinternen Selbstverständigung, die vor<br />

jeder intersubjektiven Kommunikation stehen soll. Diesen Gel<br />

tungsanspruch begründet er jedoch kaum mit Argumenten, er<br />

setzt sich eben nicht kritisch widerlegend mit Interaktions<br />

theorien auseinander, sondern behauptet bloß einen Subjekti<br />

vismus als Primat eines subjekt-internen Gebrauchs der Ver<br />

nunft. Zwar will er damit nicht ein Privatsprachen-Argument<br />

vorbringen, aber er tut es de facto doch: "Gewiß ist auch die<br />

individuelle Selbstverständigung sprachlich, aber sie bildet<br />

den Nukleus, auf den auch aller sozialer Sprachvoll<strong>zu</strong>g ange<br />

wiesen ist." Anm. 4 Daraus abgeleitet wird innere Kommu<br />

nikation <strong><strong>zu</strong>r</strong> äußeren 16, die Immanenz des Ichs wird überbetont,<br />

das Vermögen der Selbstreflexion wird als notwendi<br />

ge Folge <strong><strong>zu</strong>r</strong> entscheidenden Instanz jeglicher Vernunft hochstilisiert,<br />

was <strong>Welsch</strong> auch noch als unstrittig ausgibt 7.<br />

<strong>Welsch</strong>s Aussage ist selbstwidersprüchlich. Er gibt einen Pri<br />

mat des monadischen Ichs an, bestreitet zwar nicht Intersubjek<br />

tivität, sieht sie aber doch als abgeleitet an. Wovon aber soll sie<br />

abgeleitet sein? Ist es der Umstand der Entscheidungs- und<br />

Willensfreiheit gegenüber den Vernunftgründen? Ist dies der<br />

Kern der Selbstreflexion? Dann aber müßte <strong>Welsch</strong> sein Selbst<br />

definieren und es als monadisch begründet ausweisen. Das<br />

gelingt nicht plausibel. Oder aber er benötigt den anderen, um<br />

ihn als zirkulär wirkenden, aber doch nicht so wichtigen Teil<br />

eines Selbst <strong>zu</strong> bezeichnen. Sonst erscheint Vernunft formal<br />

abgekoppelt von der Kultur, was durch sein Gebot der Reinheit<br />

und Inhaltsleere der Vernunft auch ausgedrückt wird, aber<br />

wohl nicht in dieser Absolutheit so verstanden werden soll.<br />

Das Problem ist, daß <strong>Welsch</strong> ein so allgemeines Primat eines<br />

Vernunft-Ichs aufrichtet, daß ich nicht mehr erkennen kann,<br />

<strong>zu</strong> was dies inhaltlich führen soll. Ist die Vernunft denn je<br />

primär ein inneres Ich der Selbstverständigung, ein inhaltsleerer<br />

Allgemeinraum, der zwar unvollständig und in steter<br />

Veränderung erscheint, aber <strong>zu</strong>gleich in letzten logischen<br />

Kategorien fixierbar sein soll? Um dies <strong>zu</strong> begründen, wird<br />

keine hinreichende argumentative Ar<strong>bei</strong>t geleistet. Was von<br />

der Vernunft bleibt, das sind die Leitbahnen der logischen<br />

Prinzipien, die wir immer schon einnehmen müssen, wenn wir<br />

uns vernünftig verständigen 78. Diese These ist von ande<br />

ren schon begründeter vorgetragen worden. Ihre Schwäche<br />

ist <strong>bei</strong> <strong>Welsch</strong> die Formalität des Rück<strong>zu</strong>gs auf Allgemeinplätze.<br />

Wird nun aus solcher Formalität auch noch die Inter<br />

subjektivität gelöscht, dann wird die Folgenlosigkeit des Kon<br />

zepts weiter gesteigert. Wie soll man gegen <strong>Welsch</strong> überhaupt<br />

noch argumentieren, wenn ein so allmächtiges Ich sich auf<br />

die Archaik seiner Selbstbezüglichkeit <strong><strong>zu</strong>r</strong>ückzieht?<br />

5 Was mich an diesen Bestimmungen insbesondere irritiert,<br />

das ist der konservative Geist, der sich aus einer Beschäftigung<br />

mit der Postmoderne <strong>zu</strong> ergeben scheint. Warum ist es so<br />

schwer <strong>zu</strong> akzeptieren, daß es plurale Verständigungsgemein<br />

schaften gibt, die jeweils aus ihren Kontexten und Interessen<br />

heraus Geltungsansprüche auch an Vernunft gewinnen, die in<br />

Konkurrenz mit anderen stehen? Wer braucht überhaupt ein<br />

notwendiges Prinzip einer erneuten Verallgemeinerung? Bei<br />

Habermas ist die Antwort im Gegensatz <strong>zu</strong> <strong>Welsch</strong> hergelei<br />

tet und in den pluralen und sozialen Auseinanderset<strong>zu</strong>ngen der<br />

Gegenwart nach mehreren Seiten hin begründet, weil er in<br />

seiner Rekonstruktion weiter als <strong>Welsch</strong> schaut. So kommt er<br />

auf interaktive und soziale Gesichtspunkte, die jeder Kommu<br />

nikation vermittelt über Sprache in den Praktiken, Routinen<br />

und Institutionen der Lebenswelt <strong>zu</strong>grunde liegen, die die<br />

Selbstbezüglichkeit stets schon umrahmen, auch wenn indivi<br />

dueller Handlungsspielraum bleibt. Aus dieser Weite heraus<br />

gewinnt Habermas seine letzten, formalen Ansprüche an die<br />

menschliche Kommunikation, die für mich gleichwohl nur<br />

idealtypische Ansprüche des Philosophen an Verständigung<br />

darstellen - also ein begrenzender, zeitbezogener konstrukti<br />

ver Akt sind. Der soziale Konstruktivismus, den ich vertrete,<br />

sieht das Problem eher nüchtern: Wahrheiten, Wissen und hier<br />

auch Vernunft, Rationalität oder Objektivität stehen in der<br />

Spannung von Verständigungsgemeinschaften und deren Nor<br />

mierung von kultureller Viabilität. Eine bloß methodische Lö<br />

sung im Etablieren formaler Letztregeln von Verständigung<br />

oder Vernunft erscheint konstruktivistisch gesehen als <strong>zu</strong> eng,<br />

denn hier greifen weitere Gesichtspunkte ein, wenn wir den<br />

kulturellen Kontext nicht ausschließen wollen:<br />

1 Konstruktivität: Vernunft ist nicht, wie sie <strong>bei</strong> <strong>Welsch</strong> er<br />

scheint, ein bloßes Vermögen der Selbstreflexion, weil sie als<br />

ein Konstrukt von Menschen immer schon an Verständigungs<br />

leistungen verschiedener Art z.B. in den Bereichen Sprache,<br />

Beziehungen und Kommunikation, Ar<strong>bei</strong>t, Lebenswelt ge<br />

knüpft ist, die sie als Konstruktion immer positionsgebunden<br />

werden läßt. Weisch vereinfacht die Kommunikation über<br />

Vernunft, indem er ihre konstruktive Seite unterschlägt: allein<br />

die Fähigkeit, partiell die Position einer anderen Meinung,<br />

eines anderen Wissens oder einer anderen Wahrheitsposition<br />

einnehmen <strong>zu</strong> können, führt er als Begründung für eine mög<br />

liche positionsungebundene Vernunftweise an 36. Da<strong>bei</strong><br />

ist durch seine These konstruktiv aber genau das Gegenteil<br />

belegt: nur weil man aus einer Position schaut also einseitig<br />

und einfältig in gewisser Hinsicht bleibt, kann esja gelingen,<br />

eine andere Position halbwegs aus einer außenstehenden Sicht<br />

dar<strong>zu</strong>stellen. Aber erst die Aufgabe der eigenen Position in<br />

die Gebundenheit einer anderen wird diese Prozedur im Sin<br />

ne eines faktischen Wechsels auflösen; gerade deshalb strei<br />

ten ja nun Philosophen in der Regel streng und strikt. Ein<br />

positionsunabhängiges Vermögen von Vernunft ist hier im-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!