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Selman Selmanagi?: Bauhäusler, Tischler, Architekt<br />

Veröffentlicht auf bauhaus-online.de<br />

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Selman Selmanagi?: Bauhäusler, Tischler,<br />

Architekt<br />

"Als Architekt musst du alles können" (Selman Selmanagi?)<br />

Am 3. Februar 2012 öffnete die Aula der Kunsthochschule Berlin Weißensee im<br />

Anbau der ehemaligen Trumpf-Schokoladenfabrik nach umfangreichen<br />

Sanierungsarbeiten erneut die Pforten. Im November des Jahres 1956 wurde das<br />

Gebäude erstmalig eröffnet. Der Bau stammt von dem zu diesem Zeitpunkt an der<br />

Hochschule als Professor tätigen ehemaligen Bauhäusler Selman Selmanagi?.<br />

Selmanagi?s Lebensweg führte ihn im Jahr 1929 mehr durch Zufall als durch<br />

gezielte Planung ans Dessauer <strong>Bauhaus</strong>. Mit dem Vorhaben als gelernter Tischler<br />

nach Berlin zu fahren, wo er seinem Beruf nachgehen wollte, stieg Selmanagi? in<br />

Srebrenica (seinem Geburtsort in Serbien) in den Zug. In einer Erinnerung an das<br />

<strong>Bauhaus</strong> schrieb er in den Siebziger Jahren zu der Verkettung von Ereignissen,<br />

die ihn nach Dessau brachten:<br />

"Auf der Eisenbahnfahrt durch Österreich stieg ein Deutscher zu, der konnte etwas<br />

Serbokroatisch, und so kamen wir ins Gespräch. Als er hörte, was ich wollte,<br />

meinte er, das <strong>Bauhaus</strong> sei das Günstigste für mich. Mehr als die Adresse vom<br />

<strong>Bauhaus</strong> kannte er aber auch nicht. In Berlin bin ich dann zum jugoslawischen<br />

Konsul gegangen. Als ich nun meinerseits vom <strong>Bauhaus</strong> redete, sagte auch dieser<br />

Konsul: 'Das ist das Richtige.’ Mit einem Empfehlungsbrief in der Tasche bin ich<br />

nach Dessau gefahren." ("Selman Selmanagi? über das <strong>Bauhaus</strong>", form + werk,<br />

1979)<br />

Am <strong>Bauhaus</strong> angekommen, hielt sich Selmanagi? für völlig unzureichend, die<br />

künstlerischen Ziele der Schule erfüllen zu können. In seiner Tischlerlehre hatte<br />

man ihm beigebracht, verschnörkelte Holzdekore zu entwerfen. Erst nach Wochen<br />

am <strong>Bauhaus</strong> sah er ein, dass in seinem Kopf Tabula rasa herrschen musste, um<br />

die Komplexität von Tischlerei und Architektur greifen zu können, dass in die<br />

Konstruktion eines Stuhles die Analyse des Körperteils, der darauf sitzen soll,<br />

einfließen muss. Wie lange muss auf dem Stuhl gesessen werden? Zu welchem<br />

Zweck wird der Stuhl verwendet? Die Analyse muss vom Ganzen zum Detail zu<br />

Ende gedacht werden: "Denken – vorstellen – machen –, so sah die Einheit aus am<br />

<strong>Bauhaus</strong>." ("Selman Selmanagi? über das <strong>Bauhaus</strong>" form + werk, 1979)<br />

Als das <strong>Bauhaus</strong> 1933 letztlich auf Druck der erstarkten nationalsozialistischen<br />

Politik in Berlin die Pforten schließen musste, hatte der dritte und letzte<br />

<strong>Bauhaus</strong>-Direktor Ludwig Mies van der Rohe bereits mehrere Versuche<br />

unternommen, die Schule zu retten. Als Privatschule sollte das <strong>Bauhaus</strong> in einer<br />

ehemaligen Telefonfabrik im Berliner Bezirk Steglitz fortgeführt werden (heute ist<br />

hier nur noch eine Erinnerungsplakette vorzufinden). Doch auch der Umzug von<br />

Dessau in die Hauptstadt verringerte die politischen Reibereien zwischen Nazis<br />

und <strong>Bauhaus</strong> nicht.<br />

Artikel zu finden unter<br />

http://bauhaus-online.de/magazin/artikel/selman-selmanagic-bauhaeusler-tischler-ar<br />

chitekt


Selman Selmanagi?: Bauhäusler, Tischler, Architekt<br />

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Nach der Schließung blieb Selman Selmanagi? in Berlin. Er arbeitete als Zeichner<br />

im Baubüro von Walter Gropius, danach war Selmanagi? im Büro des<br />

Poelzig-Schülers Halil Sejfi in Konstantinopel tätig. Mit dem dort verdienten Geld<br />

begab er sich auf eine Art Studienreise, die ihn durch Griechenland, Syrien,<br />

Palästina, Jordanien, Ägypten und Italien führte. Wie die Architekten der Neuzeit<br />

auf ihren Studienreisen konzentrierte er sich auf die frühe Architektur der Perser,<br />

Griechen und Ägypter, aber ebenso sehr interessierte ihn die Entstehung der<br />

Religionen in und um Jerusalem. Dieser Ort übte eine Faszination auf Selmanagi?<br />

aus, die ihn dazu bewegte, sich hier als freier Architekt niederzulassen. Er entwarf<br />

Banken, Möbelfabriken, Wohnhäuser und richtete das von deutschen Emigranten<br />

frequentierte Café Tabor ein.<br />

Schließlich kehrte Selmanagi? 1939 nach Deutschland zurück. Während der<br />

Kriegszeit schloss er sich der deutschen Widerstandsbewegung an. Von nun an<br />

war es für ihn als Serbokroate und Moslem schwierig, in Berlin beruflich Fuß zu<br />

fassen. Egon Eiermann entließ ihn aus seinem Architekturbüro mit der<br />

Begründung, dass "(...) neue Aufträge die Verwendung von Ausländern<br />

ausschließen." (Zeugnis von Egon Eiermann adressiert an Selman Selmanagi?,<br />

6.4.1939, <strong>Bauhaus</strong>-Archiv Berlin) Bei der Bauabteilung der Ufa entwarf Selmanagi?<br />

bis 1941 den Bau von Kinos. Danach konzentriert er sich bis Kriegsende auf<br />

Filmarchitektur und wehrt sich auf diese Art und Weise gegen die Bauweise der<br />

Nazis.<br />

Mit dem Ende des Krieges wurde ein neuer Berliner Magistrat berufen mit Hans<br />

Scharoun als Stadtrat für Bau- und Wohnungswesen. Selmanagi? kannte Scharoun<br />

bereits aus der Widerstandsgruppe. "Als ich im Juni 1945 in der Zeitung las, dass<br />

ein neuer Berliner Magistrat gegründet wurde und Scharoun Stadtrat für Bau- und<br />

Wohnungswesen war, setzte ich mich aufs Fahrrad und fuhr von meiner Wohnung<br />

im Grunewald aus nach Siemensstadt zu Scharoun. Es war unser erstes<br />

Wiedersehen nach der Befreiung. (...) Scharoun bot mir an, bei ihm anzufangen.<br />

(...)." (Kunsthochschule Berlin, Beiträge 10, Selman Selmanagi?, Festgabe zum 80.<br />

Geburtstag am 25. April 1985) Als Leiter des Referats Kultur- und<br />

Erholungsstättenplanung zeichnete Selmanagi? unter anderem für den<br />

Wiederaufbau der Humboldt-Universität und den Bau des heute nicht mehr<br />

erhaltenen Walter-Ulbricht-Stadions verantwortlich.<br />

Gleichzeitig arbeitete er auch als Ausstellungs- und Messearchitekt. In seinem<br />

Schaffen zeigte er sich innovativ, entwarf die ersten Sitzmöbel, die aus gepresstem<br />

Holzfurnier hergestellt wurden. Durch die Besonderheit des Materials waren nun<br />

Armlehnen biegsam und eröffneten neue Möglichkeiten hinsichtlich Bequemlichkeit<br />

und Design von Stuhlmobiliar. Gemäß seines Mottos "Als Architekt musst du alles<br />

können - eine Türklinke gestalten, einen Stuhl entwerfen und eine ganze Stadt<br />

planen" entwarf Selmanagi? Bauten, Designs und Innenräume. (Solveig Steller,<br />

"Unterricht bei Prof. Selmanagi?", Kunsthochschule Berlin, S. 54-56) Selmanagi?s<br />

oberstes Ziel war dabei den Menschen im Fokus zu behalten, für den entworfen<br />

Artikel zu finden unter<br />

http://bauhaus-online.de/magazin/artikel/selman-selmanagic-bauhaeusler-tischler-ar<br />

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Selman Selmanagi?: Bauhäusler, Tischler, Architekt<br />

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wird.<br />

Dieses Credo nahm Selmanagi? mit sich, als er die Professur für Architektur an der<br />

Kunsthochschule Berlin Weißensee zugesprochen bekam. 1950 hatte hier der<br />

ehemalige <strong>Bauhaus</strong>meister Mart Stam das Amt des Direktors aufgenommen und<br />

bemühte sich von diesem Zeitpunkt an um eine nach <strong>Bauhaus</strong>tradition<br />

industrieorientierte gestalterische Arbeit der Schule. Wie einprägsam auch für<br />

Selmanagi? die <strong>Bauhaus</strong>zeit war, lässt sich im Studienplan der Kunsthochschule<br />

Berlin-Weißensee nachvollziehen, den Selmanagic entwarf. Oberstes Ziel war die<br />

Ausbildung von Künstler-Architekten, die individuelle detailreiche Entwürfe<br />

herstellen sollten. Im anschließenden Meinungsaustausch mit den Kommilitonen<br />

sollte jeder Einzelne für die eigene Arbeit angeregt werden. (Kunsthochschule<br />

Berlin-Weißensee, Studienplan der Abteilung Architektur, Kopie im <strong>Bauhaus</strong>-Archiv<br />

Berlin) In der Einheit von Kunst und Technik ebenso sehr wie in der Individualität<br />

der Künstler, die sich im Kollektiv ausprägen sollte, lassen sich die<br />

programmatischen Ziele aus dem <strong>Bauhaus</strong>-Manifest von Walter Gropius<br />

wiedererkennen. Gropius hob in einem Brief an Selmanagi? hervor, dass auch er<br />

nach wie vor die gemeinsame Diskussion individueller Arbeiten als wichtigsten<br />

Bestandteil der Lehre ansah. (Brief von Walter Gropius an Selman Selmanagi?,<br />

Cambridge, Mass., 8. August 1966, <strong>Bauhaus</strong>-Archiv Berlin).<br />

Der gesamte von Selmanagi? geplante Anbau der Hochschule spiegelt sein<br />

pädagogisches Architekturprogramm wider. Es gibt keine einheitliche künstlerische<br />

Note. Wie am <strong>Bauhaus</strong> durften Studenten und Professoren aller Fachbereiche sich<br />

gleichermaßen mit ihren Kunstwerken einbringen und den Bau zum Leben<br />

erwecken. So ist beispielsweise das Relief am Eingang die Diplomarbeit des<br />

Bildhauers Jürgen von Woyski, das Wandbild im Aulavorraum stammt von dem<br />

Grafiker und Maler Arno Mohr.<br />

Als Professor arbeitete Selmanagi? bis zu seiner Pension im Jahr 1970 an der<br />

Berliner Kunsthochschule. Im wieder eröffneten Anbau der Kunsthochschule<br />

Weißensee bleibt zumindest ein Teil von Selmanagi?s architektonischem und<br />

pädagogischem Wissen erhalten und mit ihm ein Teil der<br />

<strong>Bauhaus</strong>-Erfolgsgeschichte.<br />

Literatur<br />

Brief von Walter Gropius an Selman Selmanagi?, Cambridge, Mass., 8. August<br />

1966, <strong>Bauhaus</strong>-Archiv Berlin<br />

Hain, Simone, "Gegen die Diktatur des Auges", in: form + zweck, 2005, Heft 21, S.<br />

79-99 (http://bauhaus-online.de/files/selman_hain.pdf)<br />

Artikel zu finden unter<br />

http://bauhaus-online.de/magazin/artikel/selman-selmanagic-bauhaeusler-tischler-ar<br />

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Selman Selmanagi?: Bauhäusler, Tischler, Architekt<br />

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Kunsthochschule Berlin-Weißensee, Studienplan der Abteilung Architektur, Kopie<br />

im <strong>Bauhaus</strong>-Archiv Berlin<br />

Kunsthochschule Berlin, Beiträge 10, Selman Selmanagi?, Festgabe zum 80.<br />

Geburtstag am 25. April 1985<br />

Selman Selmanagi?, "Selman Selmanagi? über das <strong>Bauhaus</strong>", Aufzeichnung eines<br />

Gesprächs, 1979, in: form + werk, 1979, Heft 3, S. 67-68<br />

Zeugnis von Egon Eiermann an Selman Selmanagi?, 6.4.1939, <strong>Bauhaus</strong>-Archiv<br />

Berlin<br />

Dr. Anja Guttenberger<br />

Anja Guttenberger (geb. Schädlich) studierte Kunstgeschichte, Englische und<br />

Spanische Philologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, der Universität<br />

Leipizig und der Freien Universität Berlin. An der FU Berlin promovierte sie von<br />

2007 bis 2011 zum Thema "Fotografische Selbstportraits von Bauhäuslern, 1919<br />

bis 1933". Derzeit ist Anja Guttenberger als Redakteurin von bauhaus-online.de<br />

tätig.<br />

Einen weiteren Expertentext zu Selman Selmanagic von Prof. Simone Hain finden<br />

Sie hier.<br />

Artikel vom 30.3.2012<br />

Artikel zu finden unter<br />

http://bauhaus-online.de/magazin/artikel/selman-selmanagic-bauhaeusler-tischler-ar<br />

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