Steinplastik im Liegnitzer Kunstkreis (1560–1650)
Steinplastik im Liegnitzer Kunstkreis (1560–1650)
Steinplastik im Liegnitzer Kunstkreis (1560–1650)
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Aleksandra Bek<br />
<strong>Steinplastik</strong> <strong>im</strong> <strong>Liegnitzer</strong> <strong>Kunstkreis</strong> (<strong>1560–1650</strong>)<br />
Das Thema des hier vorgestellten Dissertationsprojektes (betreut von Prof. Jan Haras<strong>im</strong>owicz) umfasst die<br />
<strong>Steinplastik</strong> der Jahre <strong>1560–1650</strong>, die <strong>im</strong> <strong>Liegnitzer</strong> Künstlerkreis und in dessen Einflußbereich entstanden ist.<br />
Geographisch beschreibt die Studie das nordwestliche Gebiet Niederschlesiens in seinen geschichtlichen<br />
Grenzen mit den Fürstentümern Liegnitz (Legnica), Wohlau (Wołów), Glogau (Głogów), Sagan (Żagań),<br />
Jauer (Jawor), Breslau (Wrocław) und Schweidnitz (Świdnica).<br />
Folgende Regionen werden als Bezugspunkte in die Untersuchung komparatistisch einbezogen:<br />
1. die Regionen, aus denen die mit Liegnitz verbundenen Künstler stammten: Niederlande, Sachsen (insbes.<br />
Pirna), Württemberg (insbes. Stuttgart)<br />
2. die bildhauerischen Zentren, die mit der <strong>Liegnitzer</strong> Plastik stilistisch verwandt waren: Sachsen (insbes.<br />
Dresden, Freiberg, Meißen, Torgau, Leipzig), Sachsen-Anhalt (insbes. Halle, Magdeburg), Franken, Böhmen,<br />
Mähren, Slowakei, Lausitz und indirekt auch Italien. Künstlerische Ähnlichkeiten können begründet sein<br />
unter anderem in einer Art der Stiluniformierung, vermittelt durch eine große Verbreitung der Graphikmuster<br />
ab Mitte des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts; aber auch in der Herkunft einzelner Künstler aus Zentren, die<br />
für die <strong>Liegnitzer</strong> Bildhauerei eine wesentliche Rolle gespielt haben.<br />
3. Grenzgebiete wie z.B. das südliche Großpolen<br />
4. die wichtigen künstlerischen Hauptorte Niederschlesiens an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert:<br />
Breslau, Brieg (Brzeg), Neiße (Nysa)<br />
Die zahlreichen Provinzwerkstätten werden in die formale und stilistische Analyse der Hauptgruppe der<br />
<strong>Liegnitzer</strong> Plastik nicht einbezogen, sie bereichern allerdings dennoch das Bild der Entstehung und Zusammenhänge<br />
des <strong>Liegnitzer</strong> Kreises. Als Beispiel für stilistisch homogene Kreise in der Provinz kann man<br />
Freystadt (Kożuchów), Bunzlau (Bolesławiec) und Jauer benennen.<br />
Hauptziel der Untersuchung ist die systematische Bearbeitung des <strong>Liegnitzer</strong> Bildhauerkreises. Den<br />
chronologischen Rahmen best<strong>im</strong>mt das Aufkommen und das Ende manieristischer Formen in der Plastik auf<br />
diesem Gebiet. Die Renaissanceplastik trat Mitte des 16. Jahrhunderts, wie auch die übrigen Gebiete<br />
Schlesiens, in den Einflusskreis der niederländischen Kunst. Einer der ersten Künstler, der in die <strong>Liegnitzer</strong><br />
Plastik manieristische Formen transferiert hat, war Michel Fleiser. Der Bildhauer stammte aus N<strong>im</strong>wegen und<br />
war <strong>im</strong> <strong>Liegnitzer</strong> Kreis seit 1557/58 aktiv. Er wurde in der Schule von Cornelius Bos und Cornelius Floris,<br />
den größten Meistern des nördlichen Manierismus, ausgebildet. Den zeitlichen Abschluss der Untersuchung<br />
bildet die Übernahme barocker Stilformen und fällt mit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zusammen.<br />
Das Ausgangsmaterial der Forschung stellen die Werke des <strong>Liegnitzer</strong> Kreises dar, deren Analyse in zwei<br />
Untersuchungsebenen gegliedert ist: 1. in die attributive und 2. in die typologische Ebene. Die attributive<br />
Analyse soll eine Verknüpfung zwischen einigen aus der Überlieferung bekannten Bildhauern des <strong>Liegnitzer</strong><br />
Kreises mit Werken, die einheitliche stilistische Züge aufweisen, herstellen. Es wäre auch möglich, einen<br />
Katalog zusammenzustellen mit Werken bisher unbekannter Künstler. Als grundlegende Forschungsmethode<br />
zur Festlegung der Stileigenschaften von Werken eines best<strong>im</strong>mten Künstlers wird die vergleichende Analyse<br />
der Bildhauerwerke angewandt. Da es eine verhältnismäßig große Zahl signierter Werke, die eine typische<br />
Eigenschaft für die <strong>Liegnitzer</strong> Plastik war, gibt, verspricht diese Methode erfolgversprechend zu sein. Obwohl<br />
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in der nahen Stadt Breslau viele bedeutende Künstler tätig waren, haben sich hier nur wenige signierte Werke<br />
erhalten. Die signierten Werke des Bildhauers Caspar Berger erlauben eine klare Zusammenstellung der<br />
charakteristischen Stileigenschaften. Der Künstler war in den Jahren 1580–1595 <strong>im</strong> <strong>Liegnitzer</strong> Kreis tätig, ihm<br />
gehörte eine Bildhauerwerkstatt, die vor allem Aufträge von Adelsfamilien ausführte. An der Kanzel in der St.<br />
Peter und Paul Kirche in Liegnitz (Abb. 1) lassen sich besonders gut die wichtigsten Charakteristika der Werke<br />
Bergers ablesen. Sie ist 1588 entstanden, gestiftet vom Waffenschmied Alexander Eckstein, wahrscheinlich<br />
auch mit Unterstützung des Pastors Leonhard Krentzhe<strong>im</strong>. Das Werk wurde mit „Caspar Berger“ signiert.<br />
Bei der detaillierten Betrachtung werden das hohe Niveau in der ornamentalen Plastik, aber auch eine gewisse<br />
Ungeschicklichkeit in der figuralen Ausarbeitung sowie die Fähigkeit, sich graphischer Muster zu bedienen<br />
und sie zu kompilieren, sehr deutlich.<br />
Das von Berger signierte Epitaph von Laslaw von Stosch und Helene von Berge aus dem Jahre 1591 in<br />
Mondschütz (Mojęcice) (Abb. 2) vermittelt einen Einblick in die fast vollständige von Berger eingesetzte<br />
Motivpalette. Charakteristisch ist bereits der architektonische Aufbau des Epitaphs mit hervortretendem<br />
mittleren und zurückspringenden seitlichen Teilen, auch eine sehr plastische Friesverzierung in Form von<br />
einem zweiköpfigen Adler, von Fruchtgehängen oder geflügelten Engelsköpfen sowie die Verwendung von<br />
Rundscheibenabschlüssen in reduzierten Rollwerkrahmen, Obelisken und Nischen mit muschelförmigem<br />
Verschluss. Hinzu kommen die physiognomischen Eigenschaften der Figuren, die Art, Gesichter, Hände oder<br />
Kleidung zu formen. Trotz der scheinbar präzisen attributiven Analyse des stilistischen Modus eines<br />
Künstlers ist es schwierig, zwischen Werken des Meisters und seiner Schüler <strong>im</strong> Rahmen einer Werkstatt zu<br />
unterscheiden. Man muß die Stilentwicklung des Bildhauers und die allgemeinen Veränderungen in der Plastik<br />
berücksichtigen, aber auch das Mitwirken zahlreicher Mitarbeiter in einer Werkstatt.<br />
Abb. 1: Liegnitz, Kirche St. Peter und Paul, Kanzel Abb. 2: Mondschütz, Epitaph von Laslav von Stosch<br />
und Helene von Berge<br />
2
Sehr wahrscheinlich war Martin Pohl ein Schüler Bergers: Die erste urkundliche Erwähnung stammt<br />
allerdings aus dem Jahr 1596, also erst nach dem Tod des Meisters. Pohl blieb in Liegnitz bis 1608 tätig. Seine<br />
Werke scheinen eine Fortführung des Schaffens von Berger zu sein, was sich nach einer Analyse von<br />
signierten Werken feststellen läßt, z.B. am Epitaph Baltasar von Stosch d. Jg. und seiner Ehefrau Hedwig,<br />
geborene von Nostitz (beide gest. 1600), in der Pfarrkirche in Groß-Tschirnau (Czernina). (Abb. 3) Dieses<br />
Epitaph mit einer ausgearbeiteten architektonischen Struktur und einem reichen ikonographischen<br />
Programm, signiert „MARTIN POHL BILTHAUER IN LIGNITZ”, erlaubt, in Verbindung mit anderen<br />
signierten Werken des Bildhauers, einen stilistischen Modus des Künstlers zu erstellen.<br />
Die Werkanalyse einzelner <strong>Liegnitzer</strong> Bildhauer und auch der Werke bisher unbekannter Meister wird<br />
ähnlich verlaufen. Drei Bildhauer, denen die <strong>Liegnitzer</strong> Plastik ein neues Profil in ihrer Entwicklung verdankt,<br />
sind besonders erwähnenswert: Johannes Risch aus Pirna, tätig in Liegnitz von 1603 bis 1607, hinterließ<br />
beispielsweise ein sehr qualitätvolles, signiertes Epitaph von Crispin Ritter und Catharina Flöter (beide gest.<br />
1607) in der St. Peter und Paul Kirche in Liegnitz. (Abb. 4)<br />
Ein weiterer Bildhauer, der ebenfalls nicht aus Schlesien stammte, war Georg Weber: Sein Werk brachte die<br />
<strong>Liegnitzer</strong> Plastik auf das Niveau solcher Zentren wie Freiberg oder Magdeburg. Weber arbeitete spätestens<br />
seit 1604 in Liegnitz. Zu seinen Werken zählt unter anderem das Epitaph David (gest. 1607) und<br />
Abb. 3: Groß-Tschirnau, Pfarrkirche, Epitaph Baltasar<br />
von Stosch und seiner Ehefrau Hedwig<br />
3<br />
Abb. 4: Liegnitz, Kirche St. Peter und Paul, Epitaph von<br />
Crispin und Catharina Flöter
Bartholomäus (gest. 1623) Gerstmann, auch in der oben genannten <strong>Liegnitzer</strong> Kirche. (Abb. 5) Das Epitaph,<br />
architektonisch und ikonographisch ausgearbeitet und mit einem entwickelten Knorpelwerk verziert, weist<br />
auch durch die Verwendung von Emblemen auf die Vielseitigkeit des Meisters hin. Von Webers Identifikation<br />
mit dem <strong>Liegnitzer</strong> Kreis zeugt eine Signierung unter einer Zeichnung, die die Personifizierung des Glaubens<br />
darstellt : „Georg Weber bilt/hauer in Liegnitz den / 3 Augustii A. 1614”.<br />
Ein ebenso wichtiger Bildhauer für die <strong>Liegnitzer</strong> Kunst war Johann Poll, obwohl seine Unterschrift auf<br />
dem Portal des Herrenhof in Mondschütz (Mojęcice) (Abb. 6) lautet: „Johan: Poll bürger und Bildhaur in<br />
Gross gloge Ano Chr 1620”.<br />
Trotzdem kann man entschieden feststellen, dass die Werke Polls so viele Übereinst<strong>im</strong>mungen mit der<br />
Bildhauerei der <strong>Liegnitzer</strong> Meister aufweisen, dass er aus diesem Milieu stammen muss. Nach Vergleich des<br />
Portals mit zwei weiteren signierten Werken, kann man Poll und seiner Werkstatt noch einige andere Werke in<br />
den nordwestlichen Gebieten Schlesiens zuschreiben. Seine Schaffensphase fiel mit dem Ende des<br />
Manierismus in dieser Region zusammen.<br />
Neben der beschriebenen Systematisierung für die zu untersuchende <strong>Liegnitzer</strong> Plastik in der attributiven<br />
Ebene wird die Zuordnung der bearbeiteten Plastik nach verschiedenen Typen durchgeführt. Der erste Typus<br />
beschreibt die funktionale Aufgabe der Architektur und wird in Portale, Fensterumrahmungen und<br />
Gipfeldekorationen unterteilt. Be<strong>im</strong> nächsten Typus handelt es sich um Prinzipalstücke <strong>im</strong> Kirchenraum, d.h.<br />
Kanzeln, Taufsteine und Altarretabeln. Den letzten Typus bildet die am zahlreichsten vertretene<br />
Sepulkralplastik. Bei der genannten Typzuordnung werden die Plastiken nach architektonischer Struktur,<br />
Darstellungstypus und nach Art der ornamentalen Verzierung systematisiert.<br />
Abb. 5: Liegnitz, Kirche St. Peter und Paul, Epitaph von<br />
David und Bartholomäus Gerstmann<br />
4<br />
Abb. 6: Mondschütz, Portal des Herrenhofes
Die attributiven und typologischen Erkenntnisse ermöglichen eine Kontrastanalyse der Entstehung von<br />
Künstlerpersönlichkeiten und von Werkstätten.<br />
Die Forschungen umfassen auch eine ikonographische Analyse der bildlichen Inhalte und eine<br />
epigraphische Analyse der Inschriften als integrale Bestandteile der untersuchten Werke. Zu einem wichtigen<br />
Aspekt der Recherchen gehören auch die Verwandtschaften und Verbindungen der niederschlesischen<br />
Adelsfamilien – der wichtigsten Auftraggeber für die <strong>Liegnitzer</strong> Bildhauerwerkstätten. Die gewonnenen<br />
Erkenntnisse machen die attributiven Festsetzungen wesentlich genauer und erlauben eine klare Untersuchung<br />
der nachfolgenden Aufträge.<br />
Die mit dem <strong>Liegnitzer</strong> Kunstmilieu verbundene <strong>Steinplastik</strong> erfüllte zweifellos Erwartungen des lokalen<br />
Adels und des Bürgertums. Ihre Neuartigkeit und ihr ständig wachsendes künstlerisches Niveau verdient eine<br />
hohe Würdigung. Bemerkenswert ist auch die Aktualität der verwendeten Formen, die sowohl durch<br />
eintreffende Künstler wie auch durch Übertragung der graphischen Muster einfloss.<br />
Kontakt:<br />
mgr Aleksandra Bek<br />
Uniwersytet Wrocławski<br />
Instytut Historii Sztuki<br />
ul. Szewska 49<br />
PL- 50-139 Wrocław<br />
a_bek@o2.pl<br />
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