Streit unter Brüdern - Christusträger Bruderschaft
Streit unter Brüdern - Christusträger Bruderschaft
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<strong>Streit</strong> <strong>unter</strong> <strong>Brüdern</strong>? >>>>>><br />
Seit 17 Jahren lebe ich in einer geistlichen<br />
Gemeinschaft. Wir beginnen werktags um<br />
6.00 Uhr mit gemeinsamem Gebet und Hören<br />
auf Gottes Wort. Jeden Tag, sonntags dann um<br />
8.00 Uhr. Alle 12 Brüder, die mit mir im Kloster<br />
leben, haben sich einmal bewusst entschieden<br />
Jesus nachzufolgen und ihr Leben im Sinne des<br />
Evangeliums zu führen. Viele Gäste bestätigen<br />
uns: „In eurem Haus ist eine Atmosphäre des<br />
Gebetes und Friedens, jeder wird so angenommen<br />
wie er ist, das ist wunderbar.“<br />
Manche Gäste beschäftigt die Frage: „Gibt es<br />
auch <strong>Streit</strong> <strong>unter</strong> euch <strong>Brüdern</strong>?“ Nicht alle<br />
trauen sich das zu fragen, denn sie wollen uns<br />
ja nicht beleidigen. Aber diese Frage ist keine<br />
Beleidigung, sondern sie verrät ein tiefes Verstehen<br />
vom menschlichen Leben. Natürlich<br />
gibt es auch <strong>unter</strong> uns <strong>Brüdern</strong> <strong>Streit</strong>.<br />
Jeder hat seinen eigenen Kopf<br />
Thomas von Kempen schrieb schon im Mittelalter:<br />
„Jeder Mensch hat seinen eigenen Kopf.<br />
Und jeder Kopf hat seine eigene Meinung.“<br />
Das ist heute wohl noch ausgeprägter der Fall.<br />
Wenn viele verschiedene Meinungen <strong>unter</strong> einem<br />
Dach zusammenwohnen, da kommt es auch zu<br />
Konflikten. Wenn es anders wäre, wäre das kein<br />
gutes Zeichen. Dann würde wahrscheinlich einer<br />
mit seiner Meinung alles bestimmen und die<br />
anderen müssten ihre Ansichten in ihrem Kopf<br />
verstecken. Früher ist es teilweise in Klöstern so<br />
gewesen. Man sah es als hohes Ideal an, auf die<br />
eigene Meinung zu verzichten und sich ganz einzuordnen<br />
in die gemeinsamen Überzeugungen.<br />
Das hatte nicht nur Nachteile, denn dadurch<br />
war der Zusammenhalt in der Gemeinschaft sehr<br />
groß und die Geborgenheit für den Einzelnen<br />
auch. >>><br />
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Aber wenn einer doch mal auf andere Gedanken<br />
kam, wurde das mit<strong>unter</strong> von der Gemeinschaft<br />
als bedrohlich erlebt und führte zu Einschüchterungen<br />
gegenüber dem Abweichler. Martin<br />
Luther hat noch voll in der Zeit gelebt, als man<br />
für eine abweichende Meinung verbannt und<br />
auch verbrannt werden konnte. Das ist heute<br />
in unserem Land zum Glück nicht mehr so.<br />
Heute leben wir im Zeitalter der Meinungsfreiheit,<br />
und das ist gut so. Auch in einer geistlichen<br />
Gemeinschaft soll jeder frei seine Meinung und<br />
sein Empfinden äußern können und dürfen.<br />
Trotzdem bleibt „Einheit“ von der Bibel her<br />
ein hohes Gut. So heißt es im Alten Testament:<br />
„Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder<br />
einträchtig beieinander wohnen“ (Ps 133,1)!<br />
Und Jesus betet ganz intensiv für die Einheit<br />
seiner Jünger: „Vater, bewahre sie in deiner göttlichen<br />
Gegenwart, die ich ihnen vermitteln durfte,<br />
damit sie eins sind, so wie du und ich eins sind“<br />
(Joh 17,10).<br />
Bei mir selbst war es so, dass der Zusammenhalt<br />
der brüderlichen Gemeinschaft eine große Faszination<br />
auf mich ausgeübt hat. Wenn wir alle<br />
unsere Kräfte zusammenlegen, um sie für ein<br />
gemeinsames Ziel im Sinne Jesu zu vereinen,<br />
dann können wir sehr viel erreichen. Unsere<br />
Kräfte multiplizieren sich und dazu kommt<br />
noch der Segen Gottes – so habe ich die ersten<br />
Jahre meines Bruderseins empfunden.<br />
Konflikte habe ich damals nur als störend<br />
empfunden, und ich dachte, man muss alles<br />
tun, um sie zu vermeiden. Aber im Laufe der<br />
Jahre habe ich begriffen, dass Konflikte so<br />
etwas sind wie ein Schaufenster in das Innere<br />
einer Gemeinschaft und auch in mein eigenes<br />
Inneres. Das kann einen ganz schön mitnehmen,<br />
was man da so alles sieht – oder vielleicht<br />
auch nur im Bauch spürt. Alle Arten von Wahrnehmung<br />
sind von Gott erfunden und so<br />
können wir sie<br />
zum Wohl der<br />
Gemeinschaft<br />
und unseres<br />
Auftrags einsetzen.<br />
>>> Konflikte sind so etwas<br />
wie das Schaufenster in das<br />
Innere einer Gemeinschaft<br />
und auch in mein eigenes<br />
Inneres.<br />
Mein Rat aus der Erfahrung ist: Bei Konflikten<br />
nicht wegschauen oder versuchen, sie zu überdecken<br />
oder zu überspielen. Das kann gefährlich<br />
für eine Gemeinschaft werden. Wenn zu<br />
viele unausgesprochene Vorwürfe im Raum<br />
sind, fühlt sich keiner mehr wohl. Konflikte<br />
sollen uns in Bewegung bringen, dass wir<br />
aufeinander zugehen. Dann haben sie eine<br />
dienende, hilfreiche Funktion.
Ein Beispiel aus dem Alltag<br />
Ich sage einem Bruder, er soll<br />
unseren Gabelstapler bitte nicht<br />
wegfahren, weil ich etwas Schweres<br />
zum Abladen habe. Wenn ich mit<br />
meiner Last komme – ist der Stapler<br />
weg. Wenn ich dann meinen<br />
Ärger schlucke, baut sich Aggression<br />
gegen meinen Bruder auf. Besser ist,<br />
ihn möglichst bald anzusprechen,<br />
warum er sich nicht an unsere<br />
Abmachung gehalten hat.<br />
Vielleicht hat er mich falsch verstanden<br />
– oder er war vergesslich.<br />
Wenn wir darüber sprechen, ist mit<br />
beidem leichter umzugehen und<br />
ich lerne meinen Bruder und seine<br />
Reaktionsweisen besser kennen.<br />
Mir ist es einmal so gegangen,<br />
dass ich richtig sauer war auf einen<br />
Bruder, weil ich dachte, er hat ein Fahrzeug<br />
weggefahren – und als wir drüber sprachen,<br />
wurde klar, dass es ein anderer Bruder gewesen<br />
ist, mit dem ich gar nicht gesprochen hatte.<br />
So kann man sich täuschen, und deshalb ist es<br />
gut für eine Gemeinschaft, viel miteinander zu<br />
reden. Aber nicht alle Probleme liegen auf der<br />
Sachebene und lassen sich durch Aussprache<br />
klären. Schwieriger sind Spannungen auf der<br />
Beziehungsebene. Oftmals haben sie keine<br />
direkte Ursache im Miteinander, sondern es<br />
zeigen sich tiefer liegende Persönlichkeitsdefizite<br />
in konkreten Konflikten. Wenn ein<br />
Bruder zum Beispiel durch Kritik sich schnell<br />
angegriffen fühlt, dann hat das nichts damit<br />
zu tun, ob die Kritik berechtigt war oder nicht.<br />
Natürlich wird er auf unberechtigte Kritik besonders<br />
heftig reagieren und vielleicht so (unbewusst)<br />
verhindern wollen, dass er überhaupt<br />
kritisiert wird. Da ist es zunächst wichtig, das<br />
Vertrauen zueinander zu stärken. Vielleicht<br />
hilft es, wenn wir zusammen etwas <strong>unter</strong>nehmen<br />
und unsere Beziehung pflegen. Dabei rede<br />
ich am besten gar nicht über Konflikte, sondern<br />
zeige ihm, dass er mir wichtig ist. So merkt der<br />
Bruder hoffentlich, dass ich nicht die Absicht<br />
habe ihn zu ärgern – und unsere Gemeinschaft<br />
vertieft sich.<br />
Es kann auch vorkommen, dass ich meine,<br />
der andere muss meinen Ärger spüren und<br />
dabei übers Ziel hinausschieße. Dann kann<br />
mir die Reaktion meines Bruders helfen, mein<br />
Verhalten zu überdenken. Das ist die große<br />
Chance des gemeinsamen Lebens und Arbeitens,<br />
dass meine Brüder mir Rückmeldung geben und<br />
auch ich dazulerne.<br />
Das Geheimnis<br />
des brüderlichen<br />
Miteinanders<br />
ist nicht, dass es<br />
keine Missverständnisse<br />
gäbe<br />
und wir nicht strei-<br />
>>> Vergeben heißt nicht<br />
verschweigen, sondern vielmehr<br />
anschauen, was nicht<br />
gut gelaufen ist und dann<br />
an Gott abgeben.<br />
ten würden. Das Geheimnis ist vielmehr die<br />
grundsätzliche gegenseitige Annahme, dass ich<br />
dem Bruder vertraue und gute Absichten <strong>unter</strong>stelle.<br />
Wo uns das nicht gelingt und wir versagen,<br />
da fordert Jesus uns auf, zu ergeben. Vergeben<br />
heißt nicht verschweigen, sondern vielmehr anschauen<br />
was nicht gut gelaufen ist und danach<br />
dann an Gott abgeben. Ein Jünger Jesu hat gefragt:<br />
„Herr, wenn mein Bruder oder meine Schwester an<br />
mir schuldig wird, wie oft muss ich ihnen verzeihen?<br />
Siebenmal?“ Jesus antwortete: „Nein, nicht siebenmal,<br />
sondern siebzigmal siebenmal!“ >>><br />
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Auf den Bruder hören<br />
Im gleichen 18. Kapitel vom Matthäusevangelium<br />
ermutigt Jesus seine Jünger, <strong>unter</strong>einander<br />
das Gespräch zu suchen: „Wenn dein Bruder – und<br />
das gilt entsprechend für die Schwester – ein Unrecht<br />
begangen hat, dann geh hin und stell ihn <strong>unter</strong> vier<br />
Augen zur Rede. Wenn er mit sich reden lässt, hast<br />
du ihn zurückgewonnen. Wenn er aber nicht auf<br />
dich hört, dann geh wieder hin, diesmal mit ein oder<br />
zwei anderen; denn jede Sache soll ja aufgrund der<br />
Aussagen von zwei oder drei Zeugen entschieden<br />
werden.“<br />
Nach meinem Eindruck – auch in unserer<br />
Gemeinschaft – tun wir Christen uns erstaunlich<br />
schwer, diesen Rat Jesu zu befolgen. Wie wenn<br />
wir Angst hätten, unsere Gemeinschaft könnte<br />
daran zerbrechen. Aber auf die Dauer leidet eine<br />
Gemeinschaft viel mehr <strong>unter</strong> dem, was nicht<br />
ausgesprochen wird, aber im Verborgenen<br />
wirkt. Die besten Lösungen werden gefunden,<br />
wenn erst einmal alle ihre Sichtweise zu einer<br />
Herausforderung frei äußern können. Das hat<br />
schon Benedikt von Nursia, der Vater des<br />
abendländischen Mönchtums, in seiner Regel<br />
(Kapitel 3) treffend formuliert: Sooft etwas<br />
Wichtiges im Kloster zu behandeln ist, soll der Abt<br />
die ganze Gemeinschaft zusammenrufen und selbst<br />
darlegen, worum es geht. Er soll den Rat der Brüder<br />
anhören und dann mit sich selbst zu Rate gehen.<br />
Was er für zuträglicher hält, das tue er. Dass aber<br />
alle zur Beratung zu rufen seien, haben wir deshalb<br />
gesagt, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart,<br />
was das Bessere ist.<br />
Was mache ich aber,<br />
wenn Meinung gegen<br />
Meinung steht und wir<br />
uns nicht einigen können<br />
wer recht hat? Manche<br />
Fragen müssen auch in<br />
einer Glaubensgemeinschaft<br />
offen bleiben und<br />
können verschieden gesehen<br />
werden. Jeder kennt<br />
das, dass man seine<br />
Meinung auch mal<br />
ändert. Andere Entscheidungen<br />
aber müssen<br />
getroffen werden, um<br />
die Gemeinschaft vor<br />
dem Stillstand zu bewahren.<br />
Benedikt hat das so<br />
geregelt, dass der Abt entscheidet,<br />
also der Leiter<br />
der Gemeinschaft.
Aber er soll gerecht entscheiden und auch die<br />
Schwachen im Blick haben. Bei einer reinen<br />
Mehrheitsentscheidung besteht die Gefahr,<br />
dass manche immer überstimmt werden.<br />
Das ist nicht sinnvoll für eine Gruppe im Sinne<br />
Jesu, wo jeder seinen Platz finden soll. In meiner<br />
Gemeinschaft wählen alle Brüder einen<br />
Leitungskreis und einen Prior, die als Team die<br />
wichtigen Entscheidungen treffen. Wir haben<br />
festgelegt, dass jeder, der unmittelbar von einer<br />
Entscheidung betroffen ist, vorher gehört werden<br />
soll. Bei einer weitreichenden Entscheidung<br />
kann er auch Widerspruch einlegen und<br />
dann muss der Leitungskreis neu darüber verhandeln.<br />
Früher hätte man in klösterlichen<br />
Gemeinschaften das als Ungehorsam bezeichnet.<br />
Wir verstehen das heute als Widerspruchsrecht<br />
des Einzelnen. Das Ziel dabei ist aber<br />
nicht, die Entscheidungen möglichst kompliziert<br />
zu machen, sondern den Bruder zu gewinnen,<br />
die gemeinsamen Anliegen von innen her<br />
mitzutragen. Es rentiert sich immer, genau hinzuhören,<br />
wenn jemand in einer Gemeinschaft<br />
Mühe hat.<br />
Wirf dein Anliegen auf den Herrn<br />
Wenn ich trotz reden und hören nicht verstehe,<br />
was los ist, dann bleibt mir immer noch<br />
im Gebet die Situation in Gottes Hände zu<br />
legen. Natürlich kann ich Gott schon vorher<br />
um Weisheit bitten. Und ich kann beten, bevor<br />
ich auf einen Bruder oder eine Schwester zugehe.<br />
Aber gerade dann, wenn mir keine Aktion<br />
mehr einfällt, gewinnt das Gebet besondere<br />
Bedeutung. Beten hilft mir, dem Geist Christi<br />
gemäß zu handeln – oder auch zu ertragen,<br />
was ich momentan nicht ändern kann. Diese<br />
Haltung – und nicht das Schweigen oder Nicht-<br />
<strong>Streit</strong>en – sehe ich als typisch christlich an.<br />
Paulus ermutigt uns im Galaterbrief (Gal 6):<br />
Wir sollen unsere Mitmenschen von ihren<br />
Verfehlungen <strong>unter</strong>scheiden und mittragen,<br />
was unser Nächster zu tragen hat:<br />
„Liebe Schwestern und Brüder, wenn ein Mensch<br />
von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder<br />
zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich<br />
seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch<br />
versucht werdest. Einer trage des andern Last,<br />
so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“<br />
• Bruder Christian Hauter<br />
46 Jahre, Prior der evangelischen<br />
Kommunität <strong>Christusträger</strong> <strong>Bruderschaft</strong>,<br />
28 Brüder dieser Gemeinschaft leben und<br />
arbeiten an fünf verschiedenen Orten<br />
Infos <strong>unter</strong>: www.christustraeger.org<br />
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