MitLinks Nr 26/2008 S. 13/1 - DIE LINKE. im Stadtrat München
MitLinks Nr 26/2008 S. 13/1 - DIE LINKE. im Stadtrat München
MitLinks Nr 26/2008 S. 13/1 - DIE LINKE. im Stadtrat München
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Links<br />
Mit<br />
für ein solidarisches <strong>München</strong><br />
Zeitschrift aus der Politischen Gruppe <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong> –<br />
in Zusammenarbeit mit dem Forum Linke Kommunalpolitik <strong>München</strong><br />
i m S t a d t r a t m ü n c h e n<br />
Mehr auf Seite 6<br />
nr. <strong>26</strong><br />
Oktober<br />
<strong>2008</strong>
Politische Gruppe <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong> <strong>München</strong><br />
Anschrift: Politische Gruppe <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong>,<br />
Rathaus, Z<strong>im</strong>mer <strong>Nr</strong>. 176, Marienplatz 8,<br />
80331 <strong>München</strong><br />
E-Mail: info@dielinke-muenchen-stadtrat.de<br />
Internet: www.dielinke-muenchen-stadtrat.de<br />
Telefon: 089 – 233-25235 Fax: 089 – 233-28108<br />
Sprechzeiten<br />
Orhan Akman Montag 17 Uhr – 18.30 Uhr<br />
Brigitte Wolf Donnerstag 17 Uhr – 18.30 Uhr<br />
Dagmar Henn Freitag 10.30 Uhr – 12 Uhr<br />
Ausschussmitgliedschaften:<br />
Orhan Akman: • Arbeit und Wirtschaft • Gesundheitsausschuss<br />
• Kreisverwaltungsausschuss • Verwaltungs-<br />
und Personalausschuss<br />
Dagmar Henn • Kinder- und Jugendhilfeausschuss<br />
• Kommunalausschuss • Umweltschutzausschuss •<br />
Schul- und Sportausschuss • Sozialausschuss<br />
Brigitte Wolf • Bauausschuss • Finanzausschuss<br />
• Kulturausschuss • Stadtentwässerungsausschuss<br />
• Stadtplanung und Bauordnung<br />
Das Forum Linke Kommunalpolitik <strong>München</strong> ist über das Büro<br />
der offenen Liste der <strong>LINKE</strong>N, Stadträtin Brigitte Wolf,<br />
zu erreichen. Es bietet Interessierten die Möglichkeit,<br />
sich mit Politik der <strong>LINKE</strong>N <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong> kontinuierlich<br />
auseinanderzusetzen.<br />
Kreisverband der Partei <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>.<strong>München</strong><br />
Anschrift: <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>.<strong>München</strong>,<br />
Schwanthalerstr. <strong>13</strong>9, 80339 <strong>München</strong><br />
Telefon: 089 – 510 995-14 Fax: -16<br />
E-Mail: vorstand@dielinke-muc.de<br />
Internet: www.dielinke-muc.de<br />
r l s - w e r k s t a t t g e s p r ä c h e<br />
Immer <strong>im</strong> RLS- Regionalbüro Bayern, Westendstraße 19, 80339 <strong>München</strong>, Bayern<br />
Kontak t: RLS- Regionalbüro Bayern, Tel:089 / 51996353<br />
Hessische Verhältnisse: Herr Koch und die <strong>LINKE</strong>, werkstattgespräch<br />
no. 12 in <strong>München</strong> mit Janine Wissler MdL <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
Hessen. Diskussion / Vortrag mit: Janine Wissler, MdL. Am 10.<br />
11.08., 18 Uhr bis 21 Uhr. ACHTUNG: Beginn schon um 18 Uhr<br />
Politik und Religion, werkstattgespräch no. <strong>13</strong> in <strong>München</strong>.<br />
Mit vorweihnachtlichen Kurzbeiträgen von Nicole Gohlke,<br />
Stefan Breit, Martin Fochler. Ohne Plätzchen, ohne Baum.<br />
Diskussion / Vortrag mit: Nicole Gohlke, Stefan Breit, Martin<br />
Fochler. Am 15.12.08. 19 Uhr bis 22 Uhr<br />
Studienreihe „Zivilgesellschaftliche Bewegungen – Institutionalisierte Politik“, Begleittexte.<br />
<strong>Nr</strong>. 8: Kulturkampf in Sendling ? – Eine Kampfabsage. Okt. <strong>2008</strong>.<br />
Inhalt<br />
• Moschee am Gotzinger Platz: Gleichberechtigung der Religionen – für <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
eine Grundsatzfrage. Von Brigitte Wolf – Seite 1<br />
• Rechte Politik unter falscher Flagge – Baurechtliche Einwände als Vorwand kultureller<br />
Intoleranz. Von Martin Fochler – Seite 2<br />
• Stichwort: Religionsfreiheit <strong>im</strong> Grundgesetz. Von Johannes Kakoures – Seite 4<br />
• Gastbeitrag: Kölner bringen Anti-Islam-Konferenz zum Scheitern Von Benjamin Wernigk<br />
und Jörg Detjen – Seite 6<br />
Impressum: <strong>MitLinks</strong> <strong>Nr</strong>. 6, Oktober 008. Zeitschrift aus der Politischen Gruppe <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong> <strong>München</strong> – in Zusammenarbeit<br />
mit dem Forum Linke Kommunalpolitik <strong>München</strong>. Herausgeber: Orhan Akman, Dagmar Henn, Brigitte Wolf. E.i.S. Brigitte Wolf.<br />
Redaktion (verantwortlich): Martin Fochler, Geschäftsführung: Tino Krense. Anschrift: Politische Gruppe <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong> <strong>Stadtrat</strong>,<br />
Rathaus, Marienplatz 8, 80331 <strong>München</strong>. Tel: 089 / 33 5 35. Fax: 089 / 33 8108. E-Mail: info@dielinke-muenchen-stadtrat.de. Beilage<br />
zu dieser Ausgabe: Studienreihe „Zivilgesellschaftliche Bewegungen – Institutionalisierte Politik“, Begleittexte. <strong>Nr</strong>. 8: Kulturkampf<br />
in Sendling ? – Eine Kampfabsage. Oktober 008<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
Inhalt <strong>MitLinks</strong> <strong>Nr</strong>. <strong>26</strong>, Oktober <strong>2008</strong><br />
S. 3. Aus der Vollversammlung und den Ausschüssen.<br />
Von Brigitte Wolf. Mit Kommentaren<br />
von Dagmar Henn und orHan<br />
akman. Illustriert von BernD Bücking<br />
S. 4. „Eine schwere Geburt“. Von Dagmar<br />
Henn<br />
S. 5. <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> lehnt „Durchstich Stäblistraße“<br />
ab. Von Brigitte Wolf<br />
S. 6. „Call-Center der Telekom in <strong>München</strong><br />
dürfen nicht geschlossen werden“. Von<br />
orHan akman<br />
S. 8. Kulturausschuss in tiefen Gründen. Von<br />
Brigitte Wolf<br />
S. 9. Bürgerversammlung Haidhausen: Nein<br />
zum zweiten S-Bahn-Tunnel. Von UlricH<br />
SeDlaczek<br />
S. 10 Von Tierhaltung und Kapazitäten – Warum<br />
das Grünwalder Stadion auf einmal<br />
nur noch die Hälfte der Zuschauer aufnehmen<br />
darf. Von Dr. markUS DreeS,<br />
Freunde des Sechz’ger Stadions e.V.<br />
S. 1 . Mietergemeinschaft Kafkastraße in Neuperlach<br />
wehrt sich. Von tino krenSe<br />
S. <strong>13</strong>. Ein heißes Thema: Demokratie in der<br />
Türkei. Ein Veranstaltungsbericht von<br />
JoHanneS kakoUreS<br />
S. 15. Stolpersteine für zwei Tschechen in <strong>München</strong>.<br />
Von renate Hennecke<br />
Karel Svatopluk Mervart. 1 .7.1918 –<br />
15.1.1945<br />
Gebhard Jiru. 0.1 .1908 – 6.4.1945<br />
S. 18. Kein Lob dem LoB: Kann Pädagogik<br />
gemessen werden? Von orHan akman<br />
S. 19 „Ob der Philipp heute still wohl bei Tische<br />
sitzen will?“Von eliSaBetH BaUmgartner<br />
S. 0 Veranstaltungsbericht zum Thema Gemeinschaftsschule.<br />
„Finnisch schlau oder<br />
bayerisch blöd?“ Von nataScHa eicHner<br />
S. 1 „Nazis raus aus den Köpfen“ … Wahlkampfeindrücke<br />
– Erfahrungsbericht einer<br />
nicht mehr ganz naiven Bürgerin<br />
S. Bezirkstag: SPD an CSU – Kaufen Posten,<br />
zahlen mit Demokratie. Von Dr. klaUS<br />
WeBer (Bezirksrat für <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>)<br />
S. 3 Die <strong>Stadtrat</strong>slinke in der Münchner<br />
Presse. Von UrSUla Stöger<br />
S. 4 Wie <strong>im</strong>mer: Millionäre auf der Messe –<br />
das Volk <strong>im</strong> Regen … Protest des Münchner<br />
Sozialforums gegen die Millionaire<br />
Fair<br />
Beilage: Studienreihe „Zivilgesellschaftliche Bewegungen<br />
– Institutionalisierte Politik“,<br />
Begleittexte. <strong>Nr</strong>. 8: Kulturkampf in Sendling<br />
? – Eine Kampfabsage. Oktober 008
Aus der Vollversammlung und den Ausschüssen<br />
Von brigitte Wolf. mit kommentaren von Dagmar Henn und Orhan Akman. illustriert von bernd bücking<br />
Besetzung weiterer <strong>Stadtrat</strong>sgremien. In der ersten<br />
Juli-Vollversammlung wurden weitere vom <strong>Stadtrat</strong><br />
gebildete Gremien besetzt, zudem die Vertretung<br />
der Stadt in den verschiedensten Vereinen und<br />
Verbänden. Nachdem die Bauleitplankommission<br />
auf 15 Mitglieder aus dem <strong>Stadtrat</strong> vergrößert wurde,<br />
erhielt auch die <strong>LINKE</strong> einen Sitz, den Brigitte<br />
Wolf wahrn<strong>im</strong>mt. Im Riembeirat vertritt uns Orhan<br />
Akman, bei der Volkshochschule und dem<br />
Deutschen Städtetag sind wir nicht vertreten. Neu<br />
ist, dass die Vielzahl von Verwaltungsbeiräten an<br />
Schulen und städtischen Einrichtungen diesmal<br />
nur zwischen den Fraktionen verteilt wurden. Dies<br />
entspricht zwar dem Wortlaut der Geschäftsordnung<br />
des <strong>Stadtrat</strong>es, wurde in den letzten Jahren<br />
jedoch anders gehandhabt. Damit gingen wir und<br />
alle anderen Einzelstadträte leer aus. Diesem Beschluss<br />
haben wir deshalb auch nicht zugest<strong>im</strong>mt.<br />
Abschlussbericht der Fluthilfe Batticaloa vorgelegt.<br />
Nach drei Jahren und dem Abschluss der dringendsten<br />
Maßnahmen in Batticaloa legte Bürgermeister<br />
Monatzeder einen Abschlussbericht vor. In<br />
der Dokumentation wird die Verwendung der städtischen<br />
Mittel und der eingegangenen Spenden belegt,<br />
die nach der Tsunamikatastrophe zum Jahreswechsel<br />
004/ 005 gesammelt wurden. Die Münchner<br />
Gelder gingen hauptsächlich in die Infrastruktur:<br />
Straßen, Häuser, Kanalisation.<br />
Olympiabewerbung 2018: Vorarbeiten laufen an.<br />
Die Stadt macht ernst mit der Olympiabewerbung:<br />
Im Juli beschloss der <strong>Stadtrat</strong> gegen <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
die Gründung einer Bewerbungsgesellschaft<br />
(GmbH), an der neben <strong>München</strong> auch der Freistaat,<br />
Garmisch-Partenkirchen, der Landkreis Berchtesgadener<br />
Land und der Deutsche Olympische Sportbund<br />
beteiligt sind. Im Aufsichtsrat der GmbH besetzt<br />
<strong>München</strong> sechs Sitze: OB Ude, Bürgermeisterin<br />
Strobl und vier <strong>Stadtrat</strong>smitglieder. Die Grünen<br />
hielten an ihrer Idee einer „nachhaltigen Olympiade“<br />
fest, so forderten sie ein Olympisches Dorf <strong>im</strong><br />
Passivhausstandard. Für <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> ist die geforderte<br />
Nachhaltigkeit eine Sch<strong>im</strong>äre: Eine Winterolympiade<br />
in einer Region, die massiv von der Kl<strong>im</strong>aerwärmung<br />
betroffen sein wird, kann nur mit<br />
aufwändigster Technik sicher gestellt werden. Wo<br />
soll da die Nachhaltigkeit her kommen? In unseren<br />
Augen ist kein erfolgreiches Bewerbungskonzept in<br />
Sicht, deshalb bleiben wir dabei, dass dafür auch<br />
keine Ressourcen verwendet werden sollen.<br />
Ende Juli folgte die Fortsetzung: Eingerichtet wurde<br />
eine Projektgruppe und eine Stabsstelle, zusätzlich<br />
ein Beirat aus dem <strong>Stadtrat</strong>, <strong>im</strong> Beirat vertritt<br />
Brigitte Wolf <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>.<br />
Gemischte Nachrichten für Mieter. Der <strong>Stadtrat</strong> hat<br />
gegen unsere St<strong>im</strong>men erneut die Ausübung eines<br />
Vorkaufsrechts aus „wirtschaftlichen Erwägungen“<br />
verweigert, diesmal auf der Schwanthalerhöhe.<br />
Was noch gewichtiger ist: Das Kommunalreferat<br />
weigert sich weiterhin, seine Ausübungspraxis zu<br />
modifizieren, obwohl Anträge zweier Bezirksausschüsse<br />
vorlagen. Dies wird <strong>im</strong>mer unverständlicher,<br />
wenn man die aktuellen Entwicklungen berücksichtigt.<br />
Das Sozialreferat möchte künftig<br />
langfristige Belegungsrechte für einzelne Wohnungen<br />
oder ganze Häuser erwerben, da der Bestand<br />
an Sozialwohnungen rapide zurück gehen<br />
wird. Dafür sollen bis zu 750,- Euro je Quadratmeter<br />
Wohnfläche ausgegeben werden.<br />
Den Verlust, den das Kommunalreferat je<br />
Quadratmeter für ein ausgeübtes Vorkaufsrecht<br />
ausweist, liegt regelmäßig weit unter<br />
diesem Betrag. Und das, obwohl durch die<br />
Ausübung gleichfalls preisgünstiger Wohnraum<br />
erhalten bleibt.<br />
Im August wurde dann das Vorkaufsrecht für<br />
ein Teileigentum in Au-Haidhausen zwar<br />
ausgeübt, hier besteht jedoch die Gefahr, dass<br />
es wiederum zu einer erzwungenen Versteigerung<br />
kommt. Interessant dabei: Falls es<br />
dazu kommt, und die Stadt das Haus ersteigert,<br />
müsste sie es anschließend nicht privatisieren.<br />
Das wäre <strong>im</strong> Lichte der Belegrechtskäufe<br />
durch das Sozialreferat durchaus von<br />
Interesse.<br />
Fortsetzung Seite 4<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 3
„Eine schwere Geburt“<br />
Von Dagmar Henn<br />
Nach überlanger Tragzeit des Sozialtickets haben<br />
bei der Landeshauptstadt doch noch die Wehen eingesetzt.<br />
Und schon scheint das Schicksal des Kindes<br />
wieder ungewiss.<br />
Die Forderung nach einem Sozialticket für <strong>München</strong><br />
wurde das erste Mal noch <strong>im</strong> Dezember 005<br />
gestellt. In der Folge gründete sich in der „Initiative<br />
IsarCardS“ ein breites Bündnis, das mit mehreren<br />
Aktionen und Veranstaltungen <strong>im</strong>mer wieder – erfolgreich<br />
– auf die Notwendigkeit eines Sozialtickets<br />
für <strong>München</strong> hinwies. Im November 008 nun<br />
soll dem Sozialausschuss ein Entwurf vorgelegt<br />
werden, wie ein solches Ticket tatsächlich aussehen<br />
soll.<br />
Grundlage dafür ist eine Marktforschungsstudie,<br />
die zu dem Schluss kam, auch arme Münchnerinnen<br />
und Münchner müssten sich durch die Stadt bewegen<br />
und würden zu diesem Zweck eine Monatskarte<br />
bevorzugen. Diese Studie (die dem <strong>Stadtrat</strong> wohl<br />
nicht <strong>im</strong> Detail vorgelegt werden wird) liefert insofern<br />
wenig Überraschendes; die finanziell<br />
Schwachen all jener Städte, die bereits längst ein<br />
Sozialticket anbieten, dürften sich nicht so grundsätzlich<br />
von Münchnerinnen und Münchnern unterscheiden.<br />
Allerdings hat die Marktforschungsstudie<br />
die Entscheidung über ein Sozialticket um<br />
Ebenfalls <strong>im</strong> August wurde dann das Vorkaufsrecht<br />
für ein leerstehendes Herbergshäusl in Haidhausen<br />
nicht ausgeübt – diesmal sogar das allererste<br />
Mal mit Zust<strong>im</strong>mung der St<strong>im</strong>me der <strong>LINKE</strong>N.<br />
Warum das? Das Haus ist in meinen Augen für gesundes<br />
Wohnen nicht geeignet: die Deckenhöhe ist<br />
unter zwei Meter, es gibt lauter gefangene, winzige<br />
Räume, das Ganze steht unter Denkmalschutz. Ein<br />
echtes Liebhaberstück eben, das den/die Käufer<br />
noch viel Geld und Arbeit kosten wird.<br />
Kruzifixe in städtischen Schulen: Landtagswahlkampf<br />
<strong>im</strong> Rathaus. Die längste Debatte in der Vollversammlung<br />
am . Juli löste ein dringlicher Antrag<br />
der CSU aus mit der plakativen Forderung<br />
„Kruzifixe bleiben in Klassenz<strong>im</strong>mern städtischer<br />
Schulen hängen“. Ausgelöst hatte diesen Ausflug in<br />
den Landtagswahlkampf ein Parteitagsbeschluss<br />
der bayerischen Grünen, der sich gegen<br />
religiöse Symbole in Klassenz<strong>im</strong>mern wandte.<br />
Nach einer längeren Debatte, in der auch <strong>DIE</strong><br />
<strong>LINKE</strong> einen Änderungsantrag einbrachte,<br />
wurde der Vorschlag der Schulreferentin, bei<br />
der bisherigen Praxis zu bleiben, einst<strong>im</strong>mig<br />
angenommen. (zum Thema siehe auch: Änderungsantrag<br />
und Bericht auf unserer Internetseite,www.dielinke-muenchen-stadtrat.de/dokumentation/archiv/,<br />
Eintrag am . Juli, ferner<br />
die aktuelle Beilage dieser Zeitung).<br />
Bebauung „Thalkirchner Bahnhof“ auf den Weg<br />
gebracht. Nach einer längeren Debatte über die<br />
Dichte der Bebauung und die Höhe der Baukörper<br />
wurde der Bebauungsplan <strong>im</strong> Planungsausschuss<br />
mit großer Mehrheit genehmigt, in der<br />
Vollversammlung stand nur noch die Änderung<br />
4 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
über ein Jahr hinausgezögert; damit aber auch aus<br />
einer Zeit sprudelnder Geldquellen in eine Zeit aufziehender<br />
Dürre verschleppt.<br />
Damit wird eine erfolgreiche Entbindung womöglich<br />
wieder in Frage gestellt. Denn es wird genug<br />
St<strong>im</strong>men geben, die ein Sozialticket für eine verzichtbare<br />
Wohltat halten, wenn die Gewerbesteuer<br />
absehbar knapp wird. Auch wenn sich die tatsächliche<br />
Not seit 005 deutlich verschärft hat (Wartelisten<br />
bei der Münchner Tafel sind ein deutliches<br />
Zeichen dafür), die Preissteigerungen seitdem be<strong>im</strong><br />
ALG II auf keine Weise aufgefangen wurden und<br />
jede wirtschaftliche Talfahrt für neuen Nachschub<br />
in den Reihen der Münchner Armen sorgen wird.<br />
Auch wenn die zunehmende prekäre Beschäftigung<br />
in der kommenden Krise die Zahl jener, die vom<br />
ALG I erst gar nicht leben können, nach oben treiben<br />
wird. Auch wenn spendenfinanzierte Unterstützungssysteme<br />
und Stiftungen, die bisher <strong>im</strong>mer<br />
die staatlich verordnete Not auffangen sollten, in<br />
einer tieferen Krise selbst in ihren Handlungsmöglichkeiten<br />
bedroht sind und am Ende öffentliche<br />
Leistungen die einzig verlässliche Lösung darstellen.<br />
Die Initiative IsarCardS wird hoffentlich bei der<br />
Entbindung Beistand leisten und nochmals deutlich<br />
zu Gehör bringen, dass ein Sozialticket keine<br />
Wohltat darstellt, sondern ein Grundbedürfnis<br />
deckt. Wir jedenfalls haben trotzig schon einmal<br />
die Gläser poliert und ein Tröpfchen aus dem Keller<br />
gehoben.<br />
des Flächennutzungsplans an. Wir blieben bei unserer<br />
Ablehnung, da die geplante „hochpreisige“<br />
Bebauung zu nahe an bereits bestehende Nutzungen<br />
heranreicht. Wir sehen dadurch die langfristige<br />
Existenz der Kanuvereine gefährdet, die oft zu<br />
nachtschlafender Zeit mit ihren Kanus rangieren<br />
müssen, um beispielsweise zu Wettbewerben aufzubrechen.<br />
Das wird zur Nachbarschaft einer „hochpreisigen<br />
Bebauung“ wahrscheinlich nicht lange<br />
gut gehen.<br />
Keine Gewinnausschüttungen bei GWG und GE<br />
WOFAG. Eine in meinen Augen positive Auswirkung<br />
hat die Unternehmenssteuerreform 008 auf<br />
die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Da<br />
die vom <strong>Stadtrat</strong> gewünschte jährliche Gewinnausschüttung<br />
in Höhe mehrerer Millionen Euro in den
<strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> lehnt „Durchstich Stäblistraße“ ab<br />
Von Brigitte Wolf<br />
Im Planungsausschuss am 16. Juli wurde der 40jährigen<br />
Planungsgeschichte der Stäblistraße ein<br />
neues Kapitel angehängt. Im Prinzip geht es um die<br />
geradlinige Verlängerung der Stäblistraße mit direktem<br />
Anschluss zur Autobahn nach Garmisch-<br />
Partenkirchen. Die Befürworter erhoffen sich eine<br />
Entlastung des Ortskerns Forstenried, während die<br />
Anwohner an der geplanten neuen Strecke natürlich<br />
Sturm laufen. Eine Verkehrsreduzierung wird<br />
nicht eintreten, sondern lediglich eine Verlagerung.<br />
Vor vielen Jahren wurde die Verlängerung der<br />
Stäblistraße bereits einmal vom Verwaltungsgericht<br />
gestoppt, Anwohner hatten dagegen geklagt.<br />
Dies wird wohl auch diesmal wieder der Fall sein,<br />
von der Stäblistraße wird man sicherlich noch öfter<br />
hören. Grüne, Freie Wähler und <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
st<strong>im</strong>mten <strong>im</strong> Ausschuss gegen die Verlängerung.<br />
Wir haben zu diesem Thema folgende Stellungnahme<br />
abgegeben:<br />
Stellungnahme zum „Durchstich Stäblistraße“<br />
vom 25. Juni <strong>2008</strong><br />
1. <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> lehnt den Bebauungsplan zum<br />
„Durchstich Stäblistraße“ ab. Der Bau einer neuen<br />
Hauptverkehrsstraße durch ein (noch) dörfliches<br />
nächsten zehn Jahren eine überaus hohe Steuerbelastung<br />
(weit mehr als 50 Prozent) auslösen würde,<br />
verzichtet der <strong>Stadtrat</strong> auf den geplanten Konsolidierungsbeitrag.<br />
Das Geld soll jetzt in den Unternehmen<br />
bleiben und für weiteren Wohnungsbau,<br />
energetische Sanierung <strong>im</strong> Bestand und den Kauf<br />
von Belegrechten genutzt werden. Ein Wermutstropfen<br />
bleibt aber: die Gewinne müssen weiterhin<br />
von den Mietern aufgebracht werden, das frühere<br />
Konzept der Sozialen Mietobergrenzen wurde nicht<br />
wieder in Kraft gesetzt. Deshalb bleibt <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
weiterhin bei der Ablehnung der Zielvorgaben für<br />
die beiden Gesellschaften. Die FDP lehnt diese<br />
Zielvorgaben ebenfalls ab, allerdings aus anderen<br />
Gründen. Sie möchte die Gesellschaften verkaufen.<br />
Neue Planungen für ehemalige<br />
Werkbundsiedlung. Den Eckdatenbeschluss<br />
für das erweiterte<br />
Gelände der ehemaligen Werkbundsiedlung<br />
nutzte die CSU<br />
dazu, erneut den Sakamoto-Entwurf<br />
in die Diskussion zu werfen.<br />
Mit einem Änderungsantrag<br />
wollten sie erreichen, dass die<br />
geförderten Wohnungen nicht<br />
mehr <strong>im</strong> bisherigen Planungsbereich<br />
zu realisieren wären, sondern<br />
vollständig in der Erweiterung<br />
zur Dachauer Straße hin.<br />
Das hätte bedeutet, den Sakamoto-Entwurf<br />
vollständig freizugeben<br />
für freifinanzierten Wohnungsbau.<br />
Dies hätte zwar Nachforderungen<br />
des Bundes für das<br />
Wohngebiet passt nicht mehr in die heutige Zeit.<br />
Die Planung wird angesichts der geltenden Richtlinien<br />
zum Schutz vor Lärm- und Feinstaubbelastung<br />
auch keinen Bestand haben können.<br />
. Die vorliegende Planung ist unverträglich für<br />
Forstenried, die Belastung durch den Durchgangsverkehr<br />
wird einfach nur verlagert, statt reduziert.<br />
Im Gegenteil, laut den Prognosen wird sogar noch<br />
mehr Verkehr ins Viertel gezogen. Nötig wären Planungen,<br />
die das Gegenteil bewirken.<br />
3. Der Durchstich wird nicht nur örtlich Forstenried<br />
in zwei Teile trennen, sondern auch eine andauernde<br />
Spaltung der betroffenen Menschen bewirken.<br />
Denn die Entlastung der Einen erfolgt nur<br />
durch Belastung der Anderen. Es muss eine Lösung<br />
gefunden werden, die allen Betroffenen hilft, auch<br />
den Menschen, die an der Liesl-Karlstadt-Straße<br />
unter der Verkehrsbelastung leiden.<br />
4. Bis zur Beschlussfassung <strong>im</strong> Juli sollten sich SPD<br />
und CSU, vor allem deren örtliche Vertreter, eines<br />
Besseren besinnen. Es wäre schade, wenn den Betroffenen<br />
nach einem Beschluss des Planungsausschusses<br />
nur noch der mühsame und langwierige<br />
Weg vor die Gerichte bliebe, um dieses menschenunverträgliche<br />
Vorhaben zu stoppen.<br />
ehemalige Kasernengelände ausgelöst – das focht<br />
CSU und FDP jedoch nicht an. Nach einem längeren<br />
Schlagabtausch der verschiedenen Positionen<br />
fand der CSU-Antrag lediglich die Unterstützung<br />
der FDP – es bleibt also bei der geplanten Wohnund<br />
Gewerbenutzung. Im nächsten Schritt wird<br />
jetzt wiederum ein städtebaulicher Wettbewerb<br />
ausgeschrieben.<br />
Keine Fortbildungsreise ohne Berichterstattung.<br />
Die Kommission für Kunst am Bau möchte auf eine<br />
Fortbildungsreise gehen, unter anderem nach Rotterdam.<br />
Bereits in der vorherigen Amtsperiode hatte<br />
ich <strong>Stadtrat</strong>sreisen häufig abgelehnt mit der Begründung,<br />
dass der Öffentlichkeit nichts von den<br />
Ergebnissen berichtet wird. Diesmal hatte ich <strong>im</strong><br />
Fortsetzung Seite 7<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 5
„Call-Center der Telekom in <strong>München</strong> dürfen<br />
nicht geschlossen werden“ Von Orhan Akman<br />
Mit diesem dringlichen Antrag hatte <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
<strong>im</strong> Münchner Rathaus sich an die Vollversammlung<br />
des <strong>Stadtrat</strong>es am 8.10. 008 gewandt. Denn die<br />
Telekom AG plant die Schließung von mehreren<br />
Call-Center Standorten bis zum Jahr 010, darunter<br />
auch den Standort <strong>München</strong> in der Dingolfinger<br />
Straße mit insgesamt 438 Arbeitsplätzen. 60 Prozent<br />
( 56 Arbeitsplätze) der durch die Auflösung<br />
des Münchner Telekom-Standorts betroffenen Beschäftigten<br />
sind Frauen, 15 Prozent (63 Arbeitsplätze)<br />
sind Schwerbehinderte und 30 Prozent (1 8<br />
Arbeitsplätze) sind Teilzeitbeschäftigte. Für viele<br />
dieser Beschäftigten bedeutet der Verlust ihres Arbeitsplatzes<br />
in Folge der geplanten Standortschließung<br />
eine unzumutbare Härte. Das Angebot der<br />
Telekom an Ersatzarbeitsplätzen an anderen Telekom-Standorten<br />
in Traunstein, Kempten und Augs-<br />
burg ist für viele Beschäftigte ein Scheinangebot,<br />
da sie aufgrund ihrer familiären Situation oder<br />
aufgrund ihrer Behinderung in ihrer Mobilität eingeschränkt<br />
sind und nicht noch längere Fahrtwege<br />
in Kauf nehmen können, als sie dies bereits jetzt<br />
tun.<br />
Die Telekom AG begründet ihre Schließungspläne<br />
ausdrücklich damit, dass es aus Effizienzgründen<br />
erforderlich ist, wirtschaftlich unrentable, kleinere<br />
Call-Center zu schließen und stattdessen größere<br />
Einheiten aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grunde<br />
verwundert es doch sehr, dass ausgerechnet der<br />
Münchner Standort geschlossen werden soll, da er<br />
der zweitgrößte in Bayern ist. Zudem wurde das<br />
Münchner Call-Center erst in jüngster Zeit aufwendig<br />
modernisiert.<br />
Bürgermeister Monatzeder hatte sich am 5. August<br />
008 mit einem Brief an die Telekom-Chefs<br />
gewandt und darin die Erwartung formuliert, dass<br />
die Telekom von ihren Plänen Abstand n<strong>im</strong>mt und<br />
das Service-Centers in <strong>München</strong> weiterhin betreibt.<br />
Da diese Aufforderung bis ohne Erfolg blieb, stellte<br />
<strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> das Thema mit ihrem Antrag auf die<br />
Tagesordnung der Vollversammlung, um die<br />
Schließung des Call-Centers zu verhindern.<br />
6 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
In ihrem Antrag forderte <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>:<br />
„Der <strong>Stadtrat</strong> möge deshalb beschließen:<br />
1. Der <strong>Stadtrat</strong> stellt sich hinter die Position („Im<br />
Interesse der betroffenen Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter, aber auch in dem Bewusstsein, dass ein<br />
Verbleib dieser Einrichtung auch für den Wirtschaftsstandort<br />
<strong>München</strong> von großer Bedeutung<br />
ist, möchte ich Ihnen gegenüber die Erwartung der<br />
Stadtspitze zum Ausdruck bringen, dass Sie – getreu<br />
Ihrem selbstgewählten Motto ‚Umbau ist Verantwortung‘<br />
– von einer Schließung des Callcenters<br />
in <strong>München</strong> absehen.“) von Bürgermeister Monatzeder.<br />
. Die Stadtspitze wird beauftragt, umgehend Gespräche<br />
mit dem Vorstand und der Geschäftsleitung<br />
der Telekom AG aufzunehmen und darauf<br />
hinzuwirken, dass die Schließung<br />
des Münchner Call-Centers<br />
sowie auch der anderen<br />
Call-Center abgewendet wird.<br />
3. Der <strong>Stadtrat</strong> beschließt, bis<br />
zur Klärung des Sachverhalts<br />
alle vorhandenen Verträge der<br />
Landeshauptstadt <strong>München</strong> sowie<br />
der städtischen Unternehmen<br />
mit der Telekom zu überprüfen<br />
und soweit dies rechtlich<br />
möglich ist, diese auf „Eis“ zu<br />
legen, um damit Druck auf die<br />
Verantwortlichen bei der Telekom<br />
auszuüben.<br />
4. Der <strong>Stadtrat</strong> macht seine Solidarität<br />
mit den Telekom-Beschäftigten<br />
und seine Missbilligung<br />
der Schließungspläne der<br />
Telekom AG in geeigneter Weise in der Öffentlichkeit<br />
bekannt.“<br />
<strong>Stadtrat</strong>smehrheit verweigert mögliche<br />
Hilfestellung<br />
Doch der zuständige Referent beantragte in seiner<br />
schriftlichen Vorlage für die Vollversammlung nur<br />
dem Punkt 1. des Antrages der <strong>LINKE</strong>N zuzust<strong>im</strong>men.<br />
In der Vollversammlung forderte <strong>Stadtrat</strong><br />
Orhan Akman (<strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong>) den <strong>Stadtrat</strong> auf, den<br />
Antrag in der ursprünglichen Fassung zu verabschieden.<br />
Dies wurde von der <strong>Stadtrat</strong>smehrheit<br />
abgelehnt. Auch SPD und Grüne haben geschlossen<br />
gegen diesen Antrag gest<strong>im</strong>mt. Die Stadtspitze mit<br />
einem Gespräch mit der Telekom zu beauftragen,<br />
selbst das wurde durch die <strong>Stadtrat</strong>smehrheit abgelehnt.<br />
Damit hat der Münchner <strong>Stadtrat</strong> seinen<br />
Einfluss bei den Verantwortlichen der Telekom AG<br />
nicht geltend gemacht und somit den Beschäftigten<br />
eine machbare Hilfestellung verweigert.<br />
Die Beschäftigten der Telekom AG halten jeden<br />
Montag eine Protestkundgebung ab, um die Schließung<br />
des Call-Centers zu verhindern und damit<br />
ihre Arbeitsplätze zu retten. „Es gilt hierbei nach<br />
wie vor: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“
Fortsetzung vom Seite 5<br />
Bauausschuss beantragt, dass nach der Reise dem<br />
<strong>Stadtrat</strong> und der Öffentlichkeit Bericht zu erstatten<br />
sei. Dies war dort von allen Parteien ohne Diskussion<br />
abgelehnt worden. Nach der erneuten Thematisierung<br />
in der Vollversammlung griff OB Ude ein<br />
und las dem versammelten <strong>Stadtrat</strong> die Leviten bezüglich<br />
der Verwendung öffentlicher Mittel und<br />
Rechenschaftspflicht. Anschließend stellte er meinen<br />
Antrag erneut zur Abst<strong>im</strong>mung, und diesmal<br />
st<strong>im</strong>mten alle Stadträte und –rätinnen zu.<br />
Haushalt 2009: Planung <strong>im</strong> Angesicht der weltweiten<br />
Finanzkrise. Im Juli lag der Eckdatenbeschluss<br />
dem <strong>Stadtrat</strong> zur Beschlussfassung vor, am 8. Oktober<br />
wurde der Haushalt 009 dann vom Oberbürgermeister<br />
eingebracht. Kurz davor nahm die Finanzkrise<br />
dramatische Ausmaße ein. Dennoch unterscheiden<br />
sich Eckdatenbeschluss und eingebrachter<br />
Haushalt von den Daten her kaum. Auf<br />
welcher Grundlage hätte dies auch geschehen sollen?<br />
Im vorgeschlagenen Zahlenwerk ist aus Sicht der<br />
Kämmerei noch alles in Ordnung: <strong>München</strong> investiert<br />
viel, baut Schulden ab und wird zudem noch<br />
reicher als es schon ist. Im Juli kündigte sich zwar<br />
schon leise eine konjunkturelle Abkühlung ab, die<br />
Ereignisse der letzten Wochen konnte aber keiner<br />
vorhersehen.<br />
Einig sind sich alle: die Finanzkrise hat die Realwirtschaft<br />
bereits erreicht, das Ausmaß wird man<br />
aber erst in den nächsten Wochen absehen können.<br />
Die Auswirkungen z.B. auf die Gewerbesteuer sind<br />
völlig unklar. Alles hofft, dass das Kredit- und<br />
Bankensystem nicht vollständig zusammenkracht.<br />
Ein seltsames Bild gab OB Ude ab. Er erklärte unseren<br />
Geschäftsordnungsantrag, vor der Haushaltseinbringung<br />
die Bekanntgabe über die bisher<br />
bekannten Auswirkungen der Finanzkrise auf den<br />
Münchner Stadthaushalt zu behandeln, für unzulässig.<br />
Er stehe nicht auf der Tagesordnung des<br />
ersten Plenums, sondern erst auf dem zweiten. Und<br />
diese Bekanntgabe wurde erst als Tischvorlage <strong>im</strong><br />
Plenum verteilt, so dass der <strong>Stadtrat</strong> teilweise ins<br />
Blaue hinein diskutierte. Natürlich haben sich in<br />
der Debatte dann trotzdem alle auf diese Vorlage<br />
Die Haushaltsreden von Brigitte Wolf<br />
sind <strong>im</strong> Internet abrufbar<br />
8. Oktober <strong>2008</strong>, Rede zur Haushaltseinbringung<br />
23. Juli <strong>2008</strong>, Position zum Eckdatenbeschluss für den<br />
Haushalt 2009<br />
www.dielinke-muenchen-stadtrat.de/dokumentation/archiv/<br />
bezogen – was auch sonst?<br />
Die Stadtkämmerei hat bisher 4 Mio. Euro bei der<br />
Pleite der Lehman Brothers verloren, mehr war bis<br />
zum 8. Oktober nicht vorgekommen. Tagesgeld in<br />
Höhe von 50 Mio. Euro war gerade einige Tage vor<br />
der Pleite der Bank „Lehman Brothers“ noch rechtzeitig<br />
zurück geholt worden. Der Chef der Stadtsparkasse,<br />
Herr Strötgen, konnte den <strong>Stadtrat</strong> <strong>im</strong>merhin<br />
insoweit beruhigen, dass bei ihnen keine<br />
Abschreibungen erforderlich sein werden. Bei den<br />
Kosten für die HRE-Bürgschaft ist die Sparkasse<br />
mit ca. 5 Mio. Euro dabei, die Rettungsaktion für<br />
die Bayerische Landesbank wird max<strong>im</strong>al 108 Mio.<br />
Euro kosten. Das sind Beträge, die die Stadtsparkasse<br />
<strong>München</strong> nicht gefährden – auch wenn der<br />
Gewinn wohl geringer ausfallen wird als in den<br />
letzten Jahren. Andererseits entdecken jetzt viele<br />
Anleger die Sparkasse als sicheren Hafen, so dass<br />
die Sparkasse <strong>im</strong> Moment keinen Liquiditätsengpass<br />
hat.<br />
Unsere Forderung an OB Ude, die sozialen Leistungen<br />
der Stadt zu garantieren, wurde von diesem<br />
leider nicht aufgegriffen. Die Gefahr ist groß, dass<br />
hier wieder als erstes gespart werden wird. Wachsamkeit<br />
ist erforderlich.<br />
Nach mehrstündigen Aussprachen gelangte<br />
schließlich ein Haushalt zur Beratung in die Ausschüsse,<br />
von dem alle wissen, dass er <strong>im</strong> Dezember<br />
so wohl nicht verabschiedet werden kann. Der Investitionsplan<br />
008 bis 01 wurde gleichfalls von<br />
der <strong>Stadtrat</strong>smehrheit beschlossen.<br />
Zentrenbildung der Kliniken beeinflusst Pflegebereich.<br />
Im medizinischen Bereich der städtischen<br />
Kliniken werden vermehrt „Zentren“ gebildet, dies<br />
führt zu Änderungen <strong>im</strong> Pflege- und Servicemanagement.<br />
Diese Änderungen wurden dem <strong>Stadtrat</strong><br />
vorgestellt. Die CSU verlangte, dass der <strong>Stadtrat</strong><br />
über diese grundlegende Unternehmensstruktur<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 7
Kulturausschuss in tiefen Gründen Von Brigitte Wolf<br />
Im Kulturausschuss am 17. Juli zeigten sich gravierende<br />
Meinungsverschiedenheiten zwischen <strong>Stadtrat</strong><br />
und Kunstszene in Bezug auf die Fragestellung:<br />
Was ist ein Kunstwerk?<br />
Was ist ein Denkmal?<br />
Einmal ging es dabei um die Arbeit der Fachkommission,<br />
die einen Wettbewerb für ein „Denkmal<br />
für Demokratie“ vorbereiten sollte. Statt einem traditionellen<br />
Denkmal hatte sich die Kommission bereits<br />
auf ein „Kunstwerk für Demokratie“ geeinigt.<br />
Für einen Teil der Fachjuroren war aber ein dauerhaftes<br />
Kunstwerk zu diesem Thema nicht vorstellbar,<br />
so dass sich die Debatten laut Schilderungen<br />
<strong>im</strong>mer wieder <strong>im</strong> Kreis drehten. Letzten Endes<br />
stellte die Kommission dann die Arbeit ergebnislos<br />
ein.<br />
GeorgElserDenkmal<br />
Zweiter Punkt war das Georg-Elser-Denkmal, das<br />
am Georg-Elser-Platz an der Türkenschule entstehen<br />
soll. Das Jury-Ergebnis fand nicht die Zust<strong>im</strong>mung<br />
der CSU und unseres kunstsinnigen Oberbürgermeisters.<br />
Prämiert wurde eine Kunstinstal-<br />
beschließen müsse, während die rot-grüne Mehrheit<br />
darauf beharrte, dass es sich bei diesen Änderungen<br />
um Teile des operativen Geschäfts handele,<br />
in das der <strong>Stadtrat</strong> nicht eingreife. <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong><br />
lehnt das Konzept ab, weil die Arbeitnehmerwünsche<br />
bei der Dienstplangestaltung nicht mehr zur<br />
Kenntnis genommen würden, zudem sei der Betriebsrat<br />
nicht einverstanden mit der Umstellung.<br />
Gegen die St<strong>im</strong>men von CSU und <strong>LINKE</strong> wurden<br />
die vorgestellten Änderungen vom <strong>Stadtrat</strong> zur<br />
Kenntnis genommen.<br />
Stadtwerke <strong>München</strong>: Weiter auf dem Weg zu einem<br />
internationalen Konzern. Zur Erreichung des<br />
<strong>Stadtrat</strong>sziels, 0 Prozent des Stroms aus regenerativen<br />
Energien zu erzeugen, steigen die Stadtwerke<br />
bei Photovoltaikparks und Windparks ein – zumindest<br />
bemühen sie sich darum. Dafür holten sie be<strong>im</strong><br />
<strong>Stadtrat</strong> die prinzipielle Genehmigung ein – allerdings<br />
wiederum ohne dem <strong>Stadtrat</strong> die erforderlichen<br />
Kontrollrechte einzuräumen. Deshalb blieben<br />
wir bei unserer prinzipiellen Ablehnung. Im<br />
Oktober wurde dann einer Ausweitung der Erdgasförderung<br />
in Norwegen gegen unsere St<strong>im</strong>men zugest<strong>im</strong>mt.<br />
Auch diese „Upstream-Aktivitäten“ der<br />
Stadtwerke können vom <strong>Stadtrat</strong> nicht kontrolliert<br />
werden. Teilweise liegt dies daran, dass norwe-<br />
8 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
lation, wo jeden Abend zum Zeitpunkt des gescheiterten<br />
Attentats auf Hitler ein Neonblitz für eine<br />
Minute aufleuchtet, der die Bombenexplosion <strong>im</strong><br />
Bürgerbräusaal nachempfinden soll. Damit wird<br />
auch die Tat <strong>im</strong> Leben Georg Elsers gewürdigt, für<br />
die er uns heute noch <strong>im</strong> Gedächtnis ist. Obwohl<br />
SPD, Grüne, <strong>LINKE</strong> und der Kulturreferent für das<br />
Kunstwerk votierten, wurde die Beschlussfassung<br />
nach der Intervention des OB in die Vollversammlung<br />
verlegt, und von dort zurück in den Kulturausschuss<br />
am . Oktober. Dort wurde der Jury-Vorschlag<br />
nach erneuter Debatte gegen die St<strong>im</strong>men<br />
der CSU gebilligt.<br />
Interkulturelle Kulturarbeit wird<br />
(hoffentlich) gestärkt<br />
Auf unseren Antrag hin ergänzte Kulturreferent<br />
Küppers die <strong>Stadtrat</strong>sziele des Kulturreferats für<br />
009 um das Thema „Interkulturelle Kulturarbeit“.<br />
Sie soll als „Querschnittsthema“ <strong>im</strong> Kulturreferat<br />
verankert werden. Wir bezogen uns mit diesem Antrag<br />
auf Anregungen aus dem Ausländerbeirat, der<br />
ein neues Konzept der „Migrantenkulturarbeit“<br />
beantragt hatte.<br />
gisches bzw. dänisches Recht gilt, andererseits auch<br />
daran, dass der <strong>Stadtrat</strong> sich nicht darum bemüht,<br />
die Kontrolle zurück zu gewinnen. Es wird zwar<br />
regelmäßig gemault, aber Ernst macht die rot-grüne<br />
<strong>Stadtrat</strong>smehrheit nicht.<br />
Sommergewitter: Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe<br />
von Beraterverträgen. Im August wurde in der<br />
Presse groß über Unregelmäßigkeiten bei der städtischen<br />
Vergabe von Beraterverträgen berichtet,<br />
Stichwort „Beratersumpf“ – ohne dass der <strong>Stadtrat</strong><br />
bisher einen Bericht erhalten hatte. Wie kam es dazu?<br />
Im Juli erhielt der Rechnungsprüfungsausschuss<br />
(RPA) einen Bericht über die Prüfung von 41<br />
Beraterverträgen mit einem Vergabevolumen von<br />
1,3 Mio. Euro aus dem Zeitraum 1998 bis 003. Der<br />
RPA vertagte die Behandlung in die Oktobersitzung,<br />
<strong>im</strong> Sommerloch und Landtagswahlkampf<br />
wurde der Bericht an die Presse gespielt und führte<br />
zu den obigen Schlagzeilen. Die FDP nutzte dies,<br />
sich in Form eines dringlichen Antrags zu profilieren,<br />
und sprach von „korruptionsanfälligen Beraterverträgen“.<br />
Laut Kurzbericht des Revisionsamtes lag allerdings<br />
kein kr<strong>im</strong>inelles Verhalten vor, sondern das Wissen<br />
fehlte bei den Sachbearbeitern, dass das Vergaberecht<br />
auch für Beraterverträge einzuhalten ist. Der<br />
OB ordnete die stichprobenartige Überprüfung aktuellerer<br />
Vergabefälle an, der Bericht des RPA<br />
kommt <strong>im</strong> Herbst in den <strong>Stadtrat</strong>, dann werden<br />
auch wir hoffentlich mehr erfahren.<br />
Neues Stadtviertel Freiham: Nachhaltiges Energiekonzept<br />
mit Geothermie. Im nächsten Jahrzehnt<br />
soll in Freiham nördlich der S-Bahn ein ganzes<br />
Stadtviertel neu entstehen. Zur Energieversorgung<br />
ist ein einzigartiges Konzept geplant: Die Grundlast<br />
soll über Geothermie abgedeckt werden, die ein<br />
Niedrigtemperaturnetz mit Wärme versorgt. Dieses<br />
Niedrigtemperaturnetz wird dem bereits vorhan-
denen Fernwärmenetz nachgeschaltet, da dieses<br />
mit einer höheren Temperatur arbeitet. Spitzen <strong>im</strong><br />
Wärmebedarf sollen durch ein Gasheizkraftwerk<br />
abgedeckt werden, das mit Kraft-Wärme-Kopplung<br />
arbeitet. Gebaut und betrieben wird das Ganze<br />
durch die Stadtwerke, eine Ausschreibung ist<br />
wohl nicht nötig, da hier das „Bergrecht“ gilt.<br />
Voraussetzung: Es wird zumindest <strong>im</strong> ersten Realisierungsabschnitt<br />
einen Anschlusszwang geben,<br />
lediglich Passivhäuser und Häuser mit noch besserem<br />
energetischen Standard sind davon ausgenommen.<br />
In allen Wohnungen muss eine Fußbodenheizung<br />
eingebaut werden, hoher Aufwand für Wärmedämmung<br />
ist erforderlich, damit mit der niedrigen<br />
Temperatur eine ausreichende Raumwärme<br />
erreicht wird.<br />
Nach einer längeren Debatte <strong>im</strong> Ausschuss und einer<br />
kleinen Änderung verabschiedete die Vollversammlung<br />
dieses Konzept einst<strong>im</strong>mig.<br />
Ackermannbogen: Einkaufszentrum jetzt doch in<br />
zentraler Lage. Ein Antrag auf einer Bürgerversammlung<br />
und das unablässige Engagement des<br />
zuständigen Bezirksausschusses waren der Anlass<br />
für eine erneute Befassung des <strong>Stadtrat</strong>s mit der<br />
Situierung des Einkaufszentrums <strong>im</strong> Neubaugebiet<br />
am Ackermannbogen. Eine Mehrheit von CSU und<br />
Grüne hatten letztes Jahr mit knapper Mehrheit die<br />
Verlegung an die Schwere-Reiter-Straße durchgesetzt.<br />
Bei der Kommunalwahl hat die CSU allerdings so<br />
viele Mandate verloren, dass eine Mehrheit aus CSU<br />
und Grüne alleine nicht mehr möglich ist. So erhielt<br />
der Änderungsantrag der SPD, das Einkaufszentrum<br />
wieder in die Mitte des Baugebiets zu verlegen,<br />
diesmal eine deutliche Mehrheit aus SPD mit Oberbürgermeister,<br />
<strong>LINKE</strong>, 4 St<strong>im</strong>men aus der FDP,<br />
aus der CSU und <strong>Stadtrat</strong> Richter. Hauptargument<br />
für die Mittellage ist in unseren Augen die Rücksichtnahme<br />
auf die angrenzenden Wohnviertel,<br />
dort soll die Nahversorgung nicht gefährdet werden.<br />
Zudem ist sie für die Nahversorgung des neuen<br />
Viertels in fußläufiger Entfernung besser geeignet.<br />
Die Planänderung wird laut Referat zu keinen Verzögerungen<br />
bei der Bebauung führen. Für die meisten<br />
Anwohner ist das wahrscheinlich das Wichtigste.<br />
Städtepartnerschaft mit Harare wird fortgesetzt.<br />
Einst<strong>im</strong>mig sprach sich die Vollversammlung für<br />
eine Fortsetzung der Städtepartnerschaft mit Harare<br />
aus. Bürgermeister Chiroto von der Oppositionsbewegung,<br />
der <strong>im</strong> Frühjahr dieses Jahres gewählt<br />
worden war, hatte mit überzeugenden Worten<br />
für die Weiterführung und die Beendigung des<br />
„Einfrierens“ geworben. Die offizielle Städtepartnerschaft<br />
hatte <strong>München</strong> schon lange aufgekündigt,<br />
den Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Bewegungen<br />
jedoch nicht abreißen lassen. Nachdem sich<br />
jetzt eine Verbesserung der politischen Lage abzeichnet,<br />
soll die Zusammenarbeit mit dem <strong>Stadtrat</strong><br />
von Harare vorsichtig wieder aufgenommen<br />
werden. Allerdings hat er bisher noch keinerlei<br />
Exekutivrechte zurück erhalten, dies ist ein wichtiges<br />
Ziel. Dagmar Henn hat in ihrem Redebeitrag<br />
darauf hingewiesen, dass eine solche Städtepartnerschaft<br />
durchaus beiden Seiten nützen kann.<br />
Harare beispielsweise möchte das Instrument eines<br />
Bürgerhaushalts einführen – davon könnte auch<br />
<strong>München</strong> profitieren.<br />
bürgerversammlung<br />
Haidhausen: nein zum<br />
zweiten s-bahn-tunnel<br />
Von Ulrich sedlaczek<br />
Fast 400 Menschen drängten sich trotz 30 Grad Außentemperatur<br />
am 30.7. 008 <strong>im</strong> Saal des Hofbräukellers<br />
am Wiener Platz. Dort fand die außerordentliche<br />
Bürgerversammlung zum Thema zweiter<br />
S-Bahn-Tunnel und seine Auswirkungen auf Haidhausen.<br />
Nach der Begrüßung durch Bürgermeisterin Strobel<br />
versuchte Albert Scheller (Leiter der DB-Projektbau<br />
GmbH) mit vielen Schaubildern der derzeitigen<br />
Stand der Planungen zu erläutern. Bis 0 0<br />
soll in Haidhausen gebaut werden. Der Bau soll<br />
009 beginnen. Der erste Ast vom Hauptbahnhof<br />
zum Leuchtenbergring soll bis 016 fertiggestellt<br />
sein, der zweite zum Ostbahnhof dann bis 0 0.<br />
Zum Vergleich: Der Bau der ersten Stammstrecke<br />
wurde von 1966 bis 1971 in nur fünf Jahren durchgeführt.<br />
Die geplante lange Bauzeit von elf Jahren<br />
hat wohl weniger technischen Ursachen. In erster<br />
Linie geht es wohl darum, die Kosten auf mehrere<br />
Jahre zu verteilen. Ansonsten erklärte Herr<br />
Scheller in welcher Tiefe die S-Bahn-Tunnel liegen<br />
sollen, wo die Rettungsschächte geplant sind, wie<br />
der Aushub abtransportiert werden soll usw. Was er<br />
wieder nicht erklärte, war das Betriebskonzept für<br />
den S-Bahn-Verkehr nach Fertigstellung der zweiten<br />
Tunnelröhre. Er ging auch nicht auf die Befürchtungen<br />
ein, dass die Taktfrequenzen auf der<br />
bisherigen Stammstrecke verringert werden müssten,<br />
da die Außenstrecken nach dem Leuchtenbergring<br />
bzw. Ostbahnhof ja nicht wesentlich mehr Züge<br />
verkraften könnten als bisher. Da die S-Bahnen<br />
auf der neuen Stammstrecke nur einen einzigen<br />
Halt zwischen Hauptbahnhof und Leuchtenbergring/Ostbahnhof<br />
am Marienhof vorsehen, würde<br />
dies für wesentliche Bereiche der Innenstadt eine<br />
Verschlechterung der Anbindung an die S-Bahn<br />
bedeuten.<br />
Nach Schellers Ausführungen bekam zunächst die<br />
BI Tunnelaktion Haidhausen für insgesamt 10 Minuten<br />
das Wort um ihre Argumente zusammenhängend<br />
darzustellen. Sie kritisierten die Belastungen<br />
für die Bewohner Haidhausens stellten aber vor<br />
allem auch in Frage, ob der Verwirklichung der<br />
vorliegenden Planungen eine wirkliche Verbesserung<br />
des öffentlichen Nahverkehrs in <strong>München</strong><br />
bringen würden. „Wir brauchen keine S-Bahn, die<br />
an den Fahrgästen vorbeifährt“, rief Ingeborg Michelfeit<br />
von der BI ins Mikrofon.<br />
Doch die BI hat auch eine Alternative zum mindestens<br />
1,6 Mrd. € teuren Tunnelbau parat. Den Teilausbau<br />
des Südrings. Dieser kostet nicht nur deutlich<br />
weniger Geld, sondern erschließt auch neue<br />
Fahrverbindungen, die in einigen Fällen zu wesentlich<br />
kürzeren Fahrzeiten führen. Demgegenüber<br />
werden die Fahrzeiten <strong>im</strong> zweiten Tunnel der parallel<br />
zur ersten Stammstrecke verläuft, nur durch<br />
den Wegfall von Haltestellen verkürzt.<br />
Der Verfasser dieser Artikels hat als Ergänzung zu<br />
diesen Forderungen der BI auf dieser Bürgerver-<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 9
sammlung noch den Antrag eingebracht, dass der<br />
<strong>Stadtrat</strong> aufgefordert wird, umgehend die konkreten<br />
Planungen für die Verlängerung der U 5 vom<br />
La<strong>im</strong>er Platz nach Pasing in Angriff zu nehmen.<br />
Damit könnte mit vergleichsweise geringen Kosten<br />
eine zweite durchgehende Schnellbahnverbindung<br />
zwischen Ostbahnhof und Pasing hergestellt werden.<br />
Bei Störungen auf der bisherigen S-Bahn-<br />
Stammstrecke gäbe es damit eine Ausweichroute<br />
<strong>im</strong> Schnellbahnnetz. Dieser Antrag wurde ebenso<br />
wie die Anträge der BI mit großer Mehrheit angenommen.<br />
Ein Gesamtplan für den ÖNPV in der<br />
Region <strong>München</strong> wird gebraucht<br />
Andreas Bohl von den Haidhauser Nachrichteten<br />
brachte das Kernproblem dieser Veranstaltung auf<br />
den Punkt: „Ein Skandal, dass niemand von der<br />
Staatsregierung auf der Bühne sitzt, soll das die<br />
Diskussion sein, die uns <strong>im</strong>mer in Aussicht gestellt<br />
wurde?“ Kritik übt er auch an der Landeshauptstadt:<br />
„Warum lässt sich die Stadt nicht zu einer<br />
klaren Stellungnahme hinreißen?“<br />
Die Region <strong>München</strong> bräuchte dringend eine integrierte<br />
Planung für den Ausbau des öffentlichen<br />
Nahverkehrs. Die Verantwortlichen vom Freistaat<br />
Bayern, Stadt <strong>München</strong> und den umliegenden<br />
Landkreisen müssten sich zusammensetzen und<br />
entscheiden, was wann gebaut wird. Dabei gehört<br />
auch das Thema Flughafenanbindung auf den<br />
Tisch. Wie nötig dies ist, macht auch ein Bericht in<br />
der SZ vom .9. 008 über eine Sitzung des Bezirksausschuss<br />
Pasing-Obermenzing deutlich. Dort<br />
brachte der BA-Vorsitzende und SPD-<strong>Stadtrat</strong><br />
Christian Müller den Antrag ein, vor der Verlängerung<br />
der U 5 nach Pasing zunächst noch einmal die<br />
Wirtschaftlichkeit dieser U-Bahn-Trasse zu überprüfen.<br />
Seine Argumentation: „Mit der zweiten Stammstrecke<br />
würden die S-Bahnen in Zukunft <strong>im</strong> Zehn-Minuten-Takt<br />
verkehren, das Verkehrsangebot in<br />
Richtung Innenstadt würde deutlich besser. Deshalb<br />
sei es sinnvoll zu prüfen, wie sich die zweite<br />
Stammstrecke auf das Erschließungspotential der<br />
U-Bahn auswirken würde. Unterstützung bekam<br />
die SPD von Romanus Scholz (Grüne): ‚Wir wollen<br />
eine Gesamtbetrachtung.‘ Mit der zweiten<br />
Stammstrecke sei seiner Meinung nach die U-Bahn<br />
nach Pasing hinfällig.“ (SZ vom .9. 008). Dieser<br />
Antrag wurde zwar mit einer Mehrheit von CSU,<br />
FDP und einigen St<strong>im</strong>men aus der SPD abgelehnt.<br />
Er macht aber das Dilemma der Projekte zum Ausbau<br />
des ÖNPV <strong>im</strong> Großraum <strong>München</strong> deutlich.<br />
Wie schon bei den Planungen für den Transrapid<br />
verhindert das Festhalten an unsinnigen milliardenschweren<br />
Großprojekten die Realisierung sinnvoller<br />
Ausbaumaßnahmen mit überschaubaren<br />
Kosten. Aber vielleicht ist das Abst<strong>im</strong>mungsergebnis<br />
<strong>im</strong> BA Pasing-Obermenzing ja auch ein gutes<br />
Zeichen für ein Umdenken in der neuen Bayerischen<br />
Staatsregierung von CSU und FDP.<br />
10 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
Wie berichtet, hatte der Sportausschuss des<br />
Münchner <strong>Stadtrat</strong>s <strong>im</strong> April 008 Modernisierungen<br />
<strong>im</strong> Stadion an der Grünwalder Straße in<br />
Höhe von 800.000 EUR genehmigt, um die Auflagen<br />
des DFB für die neue Dritte Liga zu erfüllen. Diese<br />
Maßnahmen betrafen ausschließlich Sicherungsanlagen<br />
(Kameras, Beschallungsanlagen), polizeiliche<br />
Einrichtungen (Kommandocontainer, Arrestzellen)<br />
und den Einbau neuer Zäune in die Blöcke G/H und<br />
Q.<br />
Als die Umbauten Ende Juli fertig waren, rechtzeitig<br />
zum Giesinger He<strong>im</strong>atabend (Freundschaftsspiel<br />
1860–1. FC Kaiserslautern), gab man überdies<br />
eine Reduzierung des Fassungsvermögens des Stadions<br />
von bisher 1. 7 auf 10. 40 bekannt, also auf<br />
die Hälfte der bisherigen Kapazität. Interessant ist<br />
dabei, dass die Kapazität je nach Gastgeber-Verein<br />
auf andere Blöcke verteilt wird: Neben den Sitzplätzen<br />
auf Gegen- und Haupttribüne sind als<br />
Stehplätze be<strong>im</strong> FC Bayern die Blöcke P und Q1/Q<br />
(ca. 3.500 Zuschauer) als He<strong>im</strong>kurve, sowie für die<br />
Gästefans die beiden neu entstandenen Blöcke G<br />
und H (ca. 1.000 Zuschauer) verfügbar. Be<strong>im</strong> TSV<br />
1860 ist als He<strong>im</strong>kurve die komplette Westkurve<br />
mit den Blöcken F1/F /G/H (ca. 3.500 Plätze) geöffnet,<br />
während sich die Gäste mit den Blöcken Q1<br />
und Q begnügen müssen (ca. 1.000 Zuschauer).<br />
Man erkennt dadurch, dass die Kapazitätsverringerung<br />
somit keine baulichen Gründe besitzt. Außerdem<br />
können die Vereine eine Sondergenehmigung<br />
beantragen, wenn höhere Zuschauerzahlen erwartet<br />
werden. Be<strong>im</strong> Spiel FC Bayern II – Dynamo<br />
Dresden wurde beispielsweise die gesamt Westkurve<br />
geöffnet, um die 4.000 Dresdner Fans aufnehmen<br />
zu können.<br />
Daraufhin recherchierten Mitglieder der Freunde<br />
des Sechz’ger Stadions e.V. nach den Gründen dieser<br />
Reduzierungsmaßnahme. Als niedergeschriebene<br />
Quellen dienten dabei sowohl die am 1.1. 008<br />
in Kraft getretene neue Bayerische Versammlungsstättenverordnung<br />
wie auch die entsprechende<br />
DFB-Richtlinie „Verbesserung der Sicherheit bei<br />
Bundesspielen“, die auch für die neue Dritte Liga<br />
und die Regionalliga Gültigkeit besitzt. Hier wurde<br />
die max<strong>im</strong>ale Größe eines Stehplatzsektors mit<br />
.500 angegeben, also einer Größe, die bereits mit<br />
den Umbauten zur Zweitligasaison 004/ 005 und<br />
der Einteilung des Blocks F in F1 und F erzeugt<br />
wurde. Die Blöcke Q und G/H boten bis zum jetzigen<br />
Umbau weniger oder gleich .500 Zuschauern<br />
Platz, hätten also eigentlich nicht nochmals verkleinert<br />
werden müssen. Dies ist <strong>im</strong> Einklang mit<br />
der DFB-Richtlinie sowie mit der Bayerischen Versammlungsstättenverordnung,<br />
die für bestehende<br />
Sportanlagen keinerlei Einteilungen vorschreibt,<br />
sondern nur für Neubauten. Die aufgewendeten<br />
Mittel für die Zäune wären also so gut wie zum<br />
Fenster hinausgeschmissenes Geld.<br />
Ein anderer Treppenwitz ist die Einrichtung des
Von tierhaltung und kapazitäten<br />
Warum das Grünwalder stadion auf einmal nur<br />
noch die Hälfte der Zuschauer aufnehmen darf<br />
Von Dr. markus Drees, Freunde des sechz’ger stadions e.V.<br />
Kommandocontainers für die Polizei in der eigentlich<br />
aus baulichen Gründen gesperrten oberen<br />
Hälfte von Block J. Somit wird auch der untere Teil<br />
des Blocks nicht mehr zu nutzen sein, solange die<br />
Staatsmacht es sich dort gut gehen lässt. Es hätte<br />
vermutlich ausgereicht und wäre sogar billiger gekommen,<br />
die vorhandene Polizeizentrale unter dem<br />
Dach der Haupttribüne auszubauen und neu einzurichten.<br />
Die Stadionfreunde erkannten anhand ihrer Recherchen,<br />
dass die einzig Verantwortlichen für diesen<br />
Willkür-Akt <strong>im</strong> KVR und vor allem bei der Polizei<br />
sitzen. Letztendlich wurde die Stadt <strong>München</strong><br />
sogar von den Sicherheitsorganen und dem DFB<br />
gelobt, dass man die Musterstadt der Dritten Liga<br />
sei und sämtliche Wünsche der Polizei erfüllt habe.<br />
Daher gingen die Stadionkämpfer um den ersten<br />
Vorsitzenden Roman Beer Mitte September an die<br />
Presse (SZ und AZ, 0.9.08) und kontaktierten<br />
Architektonische Meisterleistung: Polizeicontainer mitten <strong>im</strong> völlig gesperrten<br />
Block J der Westkurve<br />
sämtliche Entscheidungsträger bei Stadt, Polizei<br />
und Vereinen mit der Forderung, dass diese willkürlichen<br />
Maßnahmen rund um das Sechz’gerstadion<br />
wieder zurückzunehmen sind, allen voran<br />
die Kapazitätseinschränkungen. Zusammen mit<br />
dem übertriebenen Polizeieinsatz be<strong>im</strong> Amateurederby<br />
FC Bayern II – TSV 1860 II in der letzten<br />
Saison stellte man sich die Frage, „ob die Polizei<br />
und das KVR zur Organisation von sportlichen<br />
Großveranstaltungen und zur Gewährleistung der<br />
Sicherheit fähig sind“. Beer ist sich sicher, dass bei<br />
einer dauerhaften Reduzierung der Zuschauerkapazität<br />
in der Öffentlichkeit das Bild eines abrissreifen<br />
Stadion entsteht. Daher müsse dieser Willkür-Aktion<br />
entgegengewirkt werden.<br />
In den Zeitungsartikeln von AZ („Das ist Tierhal-<br />
tung“) und SZ („10 40 statt 1 7 “) verteidigten<br />
Vertreter der Stadt bzw. des DFB die durchgeführten<br />
Maßnahmen. Die Polizei hingegen gab keine<br />
Stellungnahme ab. So sagte der Vertreter der Sicherheitsabteilung<br />
<strong>im</strong> DFB, dass das Stadion aus<br />
Kostengründen auf eine Kapazität von ein wenig<br />
über der Mindestmarke von 10.000 Zuschauern heruntergefahren<br />
wurde. Diese Ansicht konkretisiert<br />
auch der stellvertretende Sportamtschef Schwarz<br />
mit eingesparten Kosten für Reinigung und Sicherheitskräfte.<br />
Außerdem können die verkleinerten<br />
Blöcke G und H der Polizei die Überwachung der<br />
Gästefans erleichtern. Die Stadionfreunde und vermutlich<br />
auch die schon in <strong>München</strong> gewesenen Fans<br />
der Gastmannschaften vom FC Bayern II bezeichnen<br />
diese mit Zäunen abgesicherten Mini-Sektoren<br />
schon treffend als „Tierkäfig“.<br />
Die Freunde des Sechz’ger Stadions e.V. gaben daraufhin<br />
am 6.09.08 eine erneute Stellungnahme<br />
heraus und kommentierten die Aussagen<br />
des stellvertretenden Sportamtschefs. Die<br />
dort zitierten Kosten für den Ordnungsdienst<br />
fielen ohnehin nicht zu Lasten der<br />
Stadt <strong>München</strong>, da die Ordner vom Verein<br />
gestellt werden. Lediglich die Reinigungskosten<br />
werden von der Stadt <strong>München</strong> getragen.<br />
Normalerweise sollten diese mit<br />
der Miete aber auch von den Stadionnutzern<br />
refinanziert werden. Sollte dies nicht<br />
der Fall sein, könnte man auch in Kooperation<br />
mit den Vereinen bei geringem Zuschaueraufkommen<br />
Teile des Stadions<br />
verschlossen halten, ohne das offizielle<br />
Fassungsvermögen zu verkleinern. Somit<br />
ist nach Ansicht der Stadionfreunde nicht<br />
zuletzt aufgrund dieser schon sehr nach<br />
Ausreden klingenden Begründungen klar,<br />
dass die Polizei auf die Verringerung der<br />
Kapazität gedrängt hat, und die Stadt und<br />
die Vereine sich diesem Diktat gebeugt haben.<br />
Es zeigt sich auch <strong>im</strong>mer in den jährlichen<br />
Bürgerversammlungen der Bezirke Untergiesing/Harlaching<br />
und Obergiesing, dass die Polizei<br />
das Stadion und seine „Renaissance“ bei Spielen<br />
in den höchsten Amateurligen nicht gut heißt. Hier<br />
predigt der Leiter der zuständigen Polizeiinspektion<br />
Hr. Schmöller <strong>im</strong>mer von den Horden von Hooligans<br />
– gerade aus dem Osten Deutschlands –, die<br />
über das beschauliche Giesing hereinbrechen werden.<br />
Be<strong>im</strong> Spiel FC Bayern II gegen Dynamo Dresden<br />
kamen tatsächlich 7.000 Zuschauer, vornehmlich<br />
aus Sachsen. Doch was ist passiert? Nichts! Die<br />
Polizei musste <strong>im</strong> Umfeld des Stadions nicht eingreifen.<br />
Am 3.10.08 bei der nächsten Bürgerversammlung<br />
in Untergiesing/Harlaching kann man<br />
vermutlich wieder den Schauergeschichten des<br />
Herrn Schmöller lauschen. Wir wünschen gute Unterhaltung!<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 11
mietergemeinschaft kafkastraße: mieter in<br />
neuperlach wehren sich Von tino krense<br />
Am 17. Juli 008 fand in der Sportgaststätte des SV<br />
Neuperlach eine Versammlung der Mitglieder der<br />
Mietergemeinschaft Kafkastraße statt. Gut zwei<br />
Drittel der Anwohner der Häuser 4 bis 48 haben<br />
sich inzwischen dieser Gemeinschaft angeschlossen.<br />
Bevor es um die Probleme in dieser Wohnanlage<br />
geht, soll noch ausdrücklich gelobt werden, dass<br />
sich derart viele der in den betreffenden Häusern<br />
ansässigen Mietparteien zu dieser Gemeinschaft<br />
zusammen geschlossen haben, dies um so mehr, da<br />
die Bewohner in ihrer Gesamtheit durchaus als positiv<br />
multikulturell bezeichnet werden können.<br />
Neben den Mieterinnen und Mietern sowie drei<br />
Vertretern des Hauseigentümers, der Deutschen<br />
Annington, waren auf Einladung von Herrn Zenk<br />
und Herrn Eckmann aus dem Vorstand der Mietergemeinschaft<br />
auch drei Gäste aus der Münchner<br />
Politik anwesend: für <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> der Verfasser<br />
dieses Berichts und Mitarbeiter der Münchner<br />
<strong>Stadtrat</strong>sgruppe sowie für die SPD die Herren Damaschke<br />
und Dichtl vom örtlichen Bezirksausschuss<br />
Ramersdorf-Perlach. Die ebenfalls eingeladene<br />
CSU zog es vor, der Veranstaltung fernzubleiben.<br />
Letzteres spricht für sich und muss daher nicht<br />
weiter kommentiert werden. Für unsere <strong>Stadtrat</strong>sgruppe<br />
jedenfalls war ohne jegliche Diskussion<br />
klar, dass es uns ebenfalls beunruhigt, wenn Mieter<br />
in <strong>München</strong> beunruhigt sind und sich an uns wenden.<br />
Nun ist es ja nicht gerade üblich, dass bei Mieterversammlungen<br />
Vertreter aus der Politik um ihre<br />
Teilnahme gebeten werden. Sicherlich zeugt dies<br />
von der schwierigen Situation Münchner Mieter <strong>im</strong><br />
Allgemeinen, in diesem Fall aber zudem auch von<br />
der besonderen Unzufriedenheit vieler Mieter mit<br />
den Zuständen in ihrer Wohnanlage.<br />
1 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
An diesem Abend wurden viele Beanstandungen<br />
vorgetragen, von denen leider laut den Rednerinnen<br />
und Rednern fast ebenso viele schon oft zwischen<br />
Mietergemeinschaft und der Deutschen Annington<br />
besprochen waren, aber seitdem vergeblich auf ihre<br />
Erledigung warteten. Hier einige Beispiele: Der<br />
Aufzug in Haus 4 ist seit Februar 008 gesperrt,<br />
von vier desolaten Nottreppen wurde bis dato nur<br />
eine repariert, Lüftungen in vielen Wohnungen<br />
funktionieren nicht oder mangelhaft, in etlichen<br />
Wohnungen hat sich nach einem unabhängigen<br />
Gutachten aufgrund mangelhafter Bausubstanz<br />
Sch<strong>im</strong>mel gebildet, offene Südseiten großer<br />
Fahrradräume verursachen erhöhte Heizkosten<br />
und Rost an den Rädern, Schlüssel zu den Elektrizitätsräumen<br />
für die Häuser fehlen seit mehr als<br />
einem halben Jahr, die Schließanlage <strong>im</strong> Haus 48<br />
ist ebenso lange defekt und manches mehr.<br />
Bei einigen Punkten vertrat die Deutsche Annington<br />
die Auffassung, die Mängel seien nicht so gravierend.<br />
So habe man beispielsweise bei Besichtigungen<br />
keinen Sch<strong>im</strong>mel entdecken können. Andere<br />
Dinge könnten nicht gleichzeitig, sondern nur<br />
Zug um Zug erledigt werden. Letztlich aber wurden<br />
seitens des Eigentümers etliche Zusagen gemacht,<br />
viele Dinge zeitnah zu beheben. Dies zeigt<br />
jedenfalls eindeutig, dass sie vorher <strong>im</strong> Argen lagen.<br />
Auch wurden konkrete Termine festgelegt, bis<br />
zu deren Ablauf die Arbeiten ausgeführt werden<br />
sollten.<br />
Im Statement, um das der Autor dieses Artikels<br />
gegen Ende des Treffens gebeten wurde, stellte er<br />
fest, dass gesperrte Aufzüge, defekte Nottreppen<br />
und Sch<strong>im</strong>mel in den Wohnungen erschreckende<br />
Zustände seien. Nun sei die Deutsche Annington in<br />
der Pflicht, ihre hier vor Zeugen abgegebenen Versprechungen<br />
auch einzuhalten.<br />
In der festen Meinung, die Gründung<br />
der Mietergemeinschaft an<br />
sich und auch das Hinzuziehen<br />
von Vertretern aus der Politik bei<br />
der Versammlung würde den<br />
Druck auf den Hauseigentümer<br />
verstärken, musste der Verfasser<br />
dieser Zeilen jedoch leider bei<br />
einem weiteren Gespräch mit dem<br />
Vorstand der Mietergemeinschaft<br />
Mitte September 008 Trauriges<br />
erfahren. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />
seien lediglich versprochene Türstopper<br />
an neuen Kellertüren angebracht,<br />
alle anderen Mängel<br />
aber nicht behoben und die diesbezüglich<br />
gemachten Versprechungen<br />
nicht eingehalten worden.<br />
Wir als <strong>Stadtrat</strong>sgruppe werden<br />
mit den Vertretern der Mietergemeinschaft<br />
sicherlich in Kontakt<br />
bleiben, um weitere Unterstützung<br />
anzubieten und das Thema in die<br />
Öffentlichkeit zu tragen. Hierzu<br />
möge auch dieser Artikel beitragen.
Auf Initiative der Mitglieder des Münchner <strong>Stadtrat</strong>es, Gülseren Demirel von den Grünen, Yasar Fincan von der<br />
SPD und Orhan Akman von der Partei Die Linke und der Gewerkschaft Ver.di unter Unterstützung engagierter<br />
Einzelpersonen und Initiativen war am 10. Oktober in den Großen Saal des DGB-Hauses zu einer Veranstaltung<br />
unter dem Titel „Demokratie in der Türkei – eine Utopie?“ eingeladen worden.<br />
ein heißes thema: Demokratie in der türkei<br />
ein Veranstaltungsbericht von Johannes kakoures<br />
Die Beziehungen zur Türkei gehören zu einem der<br />
schwierigsten Problemfelder in der politischen<br />
Auseinandersetzung der BRD. Zu leicht gerät man<br />
bei der Äußerung von Kritik an die Seite von Kräften,<br />
deren Nähe man nicht haben will. Von der CSU<br />
bis zu den Faschisten dient die Türkei seit Jahren<br />
dazu ein Feindbild zu schaffen, dem man das eigene<br />
ach so überlegene Bild vom Abendland entgegenhalten<br />
kann. Dass es diesen Kräften natürlich nicht<br />
darum geht, Fortschritte für die Menschen in der<br />
Türkei zu erzielen, bekommen Bewegungen zu spüren,<br />
die sich für eine Demokratisierung der Türkei<br />
einsetzen und wie die kurdische Bevölkerung in der<br />
BRD einem scharfen Repressionsdruck ausgeliefert<br />
sind. In diesem Fall gilt die Türkei dann wieder als<br />
Rechtsstaat, in den man problemlos abschieben<br />
kann.<br />
Umso interessanter ist es, Informationen über die<br />
Situation progressiver Bewegungen in der Türkei<br />
aus erster Hand zu bekommen.<br />
Die Türkische Republik – Eine Gründung<br />
aus dem Geiste der Autorität<br />
Moderiert von Ihsani Arda gab zunächst Orhan<br />
Akman einen Überblick über die historische Entwicklung<br />
des türkischen Staates, anhand derer er<br />
die Ursachen für heutige Schwierigkeiten aufdeckte.<br />
Akman ging dabei von drei wesentlichen Problemfeldern<br />
der türkischen Gesellschaft aus. So ein<br />
allgemeines Demokratiedefizit, die Lage der Gewerkschaftsbewegung<br />
und der Unterdrückung der<br />
kurdischen Bevölkerung. Für ersteres machte Akman<br />
vor allem die Tatsache verantwortlich, dass<br />
die Demokratie in der Türkei nie auf festen Boden<br />
gestanden habe, sondern eine „Kopfgeburt“ der<br />
herrschenden Kreise war. Hierfür wiederum sei die<br />
verspätete Industrialisierung verantwortlich. Während<br />
<strong>im</strong> europäischen Westen, die Demokratie Produkt<br />
des Kampfes von Bürgertum und Arbeitern<br />
gewesen sei, seien in der Türkei alle fortschrittlichen<br />
Reformen von oben verordnet gewesen.<br />
Die Gründung der Republik beruhe vor allem auf<br />
der Initiative des Militärs, so war die Jungtürkenbewegungen,<br />
zu der Staatsgründer Atatürk Kontakt<br />
hatte, wenn er sich auch nicht voll mit diesen<br />
identifizierte, vor allem eine Gruppe junger Offiziere.<br />
Die Rolle des Militärs sei heute am deutlichsten<br />
sichtbar in der Institution des Nationalen Sicherheitsrates,<br />
der aus hochrangigen Militärs gebildet<br />
in Wahrheit die Politik des Landes best<strong>im</strong>me<br />
und durch nichts legit<strong>im</strong>iert über den demokratisch<br />
gewählten Gremien stehe. Die Macht dieser Einrichtung<br />
werde deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt,<br />
dass seit 196 4 Parteien auf „Empfehlung“<br />
des Rates verboten wurden. Mit der Staatsgründung<br />
einhergehenden Reformen wie die Einführung<br />
des gregorianischen Kalenders und des<br />
lateinischen Alphabets wurden gegen das Volk und<br />
in relativ kurzer Zeit durchgeführt. Durch die von<br />
Oben angeordnete Orientierung am Westen wurden<br />
auch Werte übernommen, die für die türkische Gesellschaft<br />
nicht passten. So führte vor allem der<br />
Gedanke eines Staatsvolkes, entsprechend den Vorstellungen<br />
des bürgerlichen Nationalismus, <strong>im</strong><br />
Vielvölkerstaat Türkei zu erheblichen Verwerfungen.<br />
Akman erinnerte auch an das Massaker an<br />
der armenischen Bevölkerungsgruppe, das bis heute<br />
vom türkischen<br />
Staat verdrängt wird.<br />
Die Geschichte der Arbeiter-,<br />
und Gewerkschaftsbewegung<br />
schilderte Akman als<br />
vor allem durch Verfolgunggekennzeichnet.<br />
Zwar reichen ihre<br />
Wurzeln bis ins Osmanische<br />
Reich zurück.<br />
Jedoch waren Arbeiterorganisationen<br />
von<br />
Anfang an mit Verboten<br />
kleingehalten worden.<br />
Der Befreiungskrieg<br />
1919-19 3 habe<br />
zwar eine gewisse<br />
Stärkung der Arbeiterbewegung<br />
bedeutet,<br />
allerdings sei er in erster<br />
Linie von der bäuerlich<br />
geprägten Bevölkerung<br />
Anatoliens<br />
getragen gewesen.<br />
Nach einem großen<br />
Aufstand 19 0 seien<br />
die Gewerkschaften<br />
bis 1946 verboten gewesen.<br />
Ein erneutes<br />
Verbot erfolgte bereits<br />
ein Jahr später. Erst<br />
seit 1963 gab es in der<br />
Türkei ein Streik-, und<br />
Tarifvertragsrecht. Als<br />
Kemal Atatürk, Gründungsgestalt<br />
der Türkischen Republik.<br />
Geschichte und Struktur des<br />
kemalistischen Staatssystems<br />
behindern die Entwicklung der<br />
Demokratie.<br />
sich in den siebziger Jahren bis zu 100 000 Menschen<br />
auf Demonstrationen gegen eine die Gewerkschaftstätigkeit<br />
einschränkende Gesetzgebung<br />
versammelten, merkten die Kapitalbesitzer, dass es<br />
für sie gefährlich werde. Mit dem daraufhin veranlassten<br />
Militärputsch 1980 erfolgte ein Verbot aller<br />
kritischer Bewegungen und so auch der Gewerkschaften.<br />
Momentan sind diese zwar wieder formell<br />
erlaubt, allerdings riskieren Gewerkschafter in der<br />
Tür viel. So seien zwischen 006 und 008 bis zu<br />
0.000 Menschen wegen ihrer gewerkschaftlichen<br />
Betätigung entlassen worden. Ein großes Problem<br />
bilde die Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung.<br />
Insgesamt bestehen etwa 150 Einzelgewerkschaften.<br />
Zur Verdeutlichung der Lage der Kurden nannte<br />
Akman einige Zahlen. Man müsse sich vergegenwärtigten,<br />
dass es sich um ein Volk von 35 bis 40<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> <strong>13</strong>
Millionen Menschen handele, von denen die Hälfte<br />
auf dem Gebiet der Türkei lebe. Das zusammenhängend<br />
von Kurden bewohnte Gebiet umfasse etwa<br />
die Größe Frankreichs. Man könne daher nicht<br />
von einem Minderheitenproblem sprechen. Akman<br />
erinnerte daran, dass die Türkei <strong>im</strong> Vertrag von<br />
Sevres, der die internationale Anerkennung des<br />
jungen Staates ermöglichte, die Kurden als eigene<br />
Nation anerkannt und ihnen zumindest Autonomie<br />
versprochen habe. Die anschließende Politik sah<br />
aber ganz anders aus. So wurden kurdische Namen<br />
verboten und Ortsnamen turkifiziert. Diese Politik<br />
habe zu einer Reihe von Aufständen geführt, von<br />
denen der von Ders<strong>im</strong> <strong>im</strong> Jahre 1938 zu den bekanntesten<br />
zählt. Umgekehrt haben sich die Angriffe<br />
auf die kurdische Bevölkerung ständig gesteigert.<br />
Zuletzt in den siebziger Jahren. Der Westen<br />
schweige zu diesem Krieg, da er u.a. durch<br />
Waffenlieferungen kräftig mitverdient habe. Als<br />
Forderungen an die westlichen Staaten nannte Akman<br />
daher den Stopp jeglicher Waffenlieferung,<br />
aber auch den von Abschiebungen. Die politische<br />
Lösung der kurdischen Frage, müsse zu einem wesentlichem<br />
Kriterien für den EU-Beitritt der Türkei<br />
gemacht werden.<br />
Staatliche Repression gegen Gewerkschaften<br />
dauern an<br />
Über die aktuelle Lage der Gewerkschaften in der<br />
Türkei berichtete Ilkar Dilcan, der den ursprünglich<br />
eingeladenen Kenan Özturk, Vorsitzender der<br />
türkischen Transportarbeitergewerkschaft TÜM-<br />
TIS, vertreten musste, da dieser kein Visum zur<br />
Einreise erhalten hatte. Dilcan selbst war 16 Jahre<br />
lang Pressesprecher der TÜMTIS und kennt die<br />
dunklen Seiten des türkischen Repressionsapparates<br />
aus erster Hand. So wurde er nach dem Putsch<br />
1980 zum Tode verurteilt und hat nach Angaben<br />
seinen Übersetzers Selahattin Yildir<strong>im</strong> <strong>13</strong> Jahre<br />
Gefängnis hinter sich. Dilcan lebt seit einem halben<br />
Jahr in Deutschland.<br />
Dilcan wies daraufhin, dass die Zustände, unter<br />
denen die Gewerkschaften arbeiten können, ein<br />
entscheidender Gradmesser für den Stand der demokratischen<br />
Entwicklung einer Gesellschaft <strong>im</strong><br />
Gesamten sei. Von diesem Standpunkt aus entwarf<br />
er ein düsteres Bild türkischer Zustände. So sei die<br />
Gesetzeslage eine beständige Gefahr. So konnte<br />
etwa die Lehrergewerkschaft wegen „Zerstörung<br />
der nationalen Einheit“ verboten, weil sie muttersprachlichen<br />
Unterricht für kurdische Schüler gefordert<br />
hatte. Eine Verurteilung ziehe zudem ein<br />
lebenslanges Verbot gewerkschaftlicher Betätigung<br />
nach sich. Ein Streikrecht bestehe derzeit in der<br />
Türkei nur eingeschränkt. Für einige Branchen ist<br />
der Streik ausdrücklich verboten, in anderen kann<br />
die Regierung Streiks unter Verweis auf die „nationale<br />
Sicherheit“ mit einfachem Erlass untersagen.<br />
Neben der juristischen Verfolgung bestehe auch eine<br />
sehr konkrete Gefahr von Seiten der Staatsorgane.<br />
Dies habe man am 1. Mai dieses Jahres gesehen.<br />
Während dieser Feiertag mittlerweile in der<br />
ganzen Welt als Tag der arbeitenden Bevölkerung<br />
anerkannt sei, musste man in Istanbul erleben, wie<br />
Polizei und Armee gewaltsam gegen die versammelte<br />
Menge am Taks<strong>im</strong>-Platz vorging. Lediglich in<br />
einigen lateinamerikanischen und afrikanischen<br />
Staaten kenne man eine vergleichbare Verfolgung<br />
gewerkschaftlicher Betätigung. Auch seine eigene<br />
Gewerkschaft habe spezielle Erfahrungen mit der<br />
14 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
türkischen Staatsgewalt machen müssen. So wurde<br />
in Folge von Maßnahmen gegen Massenentlassungen<br />
die Verwaltungsstelle der TÜMTIS durchsucht<br />
und die dortigen Angestellten festgenommen.<br />
Diese wurden anschließend 48 Tage in Haft gehalten,<br />
bevor die Anwälte der TÜMTIS erfuhren, was<br />
ihnen überhaupt vorgeworfen wird. Es folgten Verurteilungen<br />
zu bis zu 330 Jahren Haft.<br />
Allerdings bleibe festzuhalten, dass es trotz aller<br />
Repression viele Menschen bereit sind, für die Gewerkschaftsbewegung<br />
zu kämpfen. So habe nach<br />
der angesprochenen Polizeiaktion gegen die TÜM-<br />
TIS Vorstand und Vorsitzender die Verwaltungsarbeit<br />
übernommen. Allerdings sei angesichts der<br />
Lage in der Türkei internationale Solidarität in<br />
diesem Fall von besonderer Wichtigkeit. Dilcan erinnerte<br />
an die gewerkschaftliche Delegation, die<br />
Mitte des Jahres den Prozess gegen die TÜMTIS<br />
beobachtet und dadurch schl<strong>im</strong>meres verhindert<br />
habe. (Ein von Orhan Akman verfasster, ausführlicher<br />
Bericht über Tätigkeit und Eindrücke dieser<br />
Delegation, war als Beilage dieser Zeitschrift <strong>Nr</strong>.<br />
5/ Juli 008 erscheinen. Der Text ist auf der Akmans<br />
Homepage www.orhan-akman.de unter der<br />
Rubrik Aktuelles – Artikel abrufbar.) Vorangegangen<br />
war eine Aktion der deutschen NGG, die Tausende<br />
von Protestschreiben ihrer Mitglieder an die<br />
türkischen Behörden veranlasst hatte. Das Kapital<br />
agiere mittlerweile weltweit. Dies sei auch für die<br />
Gewerkschaftsarbeit notwendig.<br />
Was bringt die Annäherung an die EU<br />
Die Diskussion wurde ausgesprochen lebhaft geführt,<br />
wobei auch die offizielle Position des türkischen<br />
Staates vertreten wurde. So habe man<br />
nicht den fehlenden muttersprachlichen Unterreicht<br />
in der Türkei zu kritisieren, solange hier in<br />
Deutschland noch vieles <strong>im</strong> Argen liege. In diesem<br />
Zusammenhang wurde hinsichtlich der Vorfälle am<br />
1. Mai gefragt, ob die Gewerkschaften ihre Kundgebung<br />
unbedingt auf dem Taks<strong>im</strong>-Platz durchführen<br />
müssten. An anderen Orten wäre es nicht zu<br />
Übergriffen gekommen. Hier wies Dilcan auf die<br />
symbolträchtige Bedeutung des Platzes hin, auf<br />
welchem bei einer gewerkschaftlichen Großkundgebung<br />
in den siebziger Jahren, friedliche Demonstranten<br />
von türkischen Sicherheitskräften erschossen<br />
worden waren. Seitdem ist der Platz für alles<br />
offen, insbesondere für alle möglichen kommerziellen<br />
Veranstaltungen, nur nicht für Kundgebungen<br />
von Arbeitern und Gewerkschaften. Er betonte,<br />
dass man daher auch 009 den Versuch machen<br />
werden, diesen Platz für den 1. Mai zu nutzen. Thematisiert<br />
wurden auch die Auswirkung des europäischen<br />
Einigungsprozesses auf die Türkei. Dilcan<br />
hatte hier Kritik anklingen lassen, da dieser entgegen<br />
des Bildes, das in Deutschland gezeichnet werde,<br />
bislang wenig Positives gebracht habe. Er räumte<br />
zwar ein, dass einige Gesetze mittlerweile entschärft<br />
wurden, brachte aber ein türkisches<br />
Sprichwort, das der deutschen Redewendung „sich<br />
an die eigene Nase fassen“ wohl am nächsten<br />
kommt. Die Position der progressiven Gewerkschaften<br />
und der Linken in der Türkei ist an dieser<br />
Stelle sehr kontrovers. Seine Auffassung sei am<br />
ehesten mit der der Partei Die Linke zu vergleichen.<br />
Demnach sei die europäische Einigung grundsätzlich<br />
zu bejahen. Es müsse allerdings ein soziales<br />
und friedliches Europa und vor allem ein Europa<br />
der Menschenrechte werden.
stolpersteine für zwei tschechen in münchen<br />
Von renate Hennecke<br />
In dem ehemaligen „Führerbau“ Hitlers am Königsplatz<br />
– heute befindet sich darin die Hochschule<br />
für Musik und Theater – wurde am 9. September<br />
1938 das sog. Münchner Abkommen unterzeichnet.<br />
Es beraubte die Tschechoslowakische Republik<br />
eines Drittels ihres Territoriums sowie des Großteils<br />
ihrer Industrieanlagen und Rohstoffvorkommen<br />
und ihrer gesamten Verteidigungsanlagen.<br />
Der Weg zur vollständigen Zerschlagung und Unterwerfung<br />
der Tschechoslowakei durch das faschistische<br />
Deutschland wenige Monate später war<br />
damit frei, ein weiterer entscheidender Schritt in<br />
den Zweiten Weltkrieg getan.<br />
Auch wenn sich die Hochschulleitung um ein nüchternes<br />
Verhältnis zu der Historie des Gebäudes bemüht,<br />
kann sich der Besucher kaum der marmorschweren<br />
Atmosphäre des Ortes entziehen.<br />
Einen Gegenpol dazu bildet die künstlerische Installation<br />
in der Eingangshalle. 1 Stolpersteine<br />
hat Peter Weismann dort provisorisch verlegt, darunter<br />
diejenigen für Siegfried und Paula Jordan,<br />
die die Stadt <strong>München</strong> 005 nach ihrer Verlegung<br />
durch den Künstler Günter Demnig vor dem Wohnhaus<br />
der Familie in der Mauerkircher Straße wieder<br />
herausreißen ließ. Fotos zeigen die Häuser, in<br />
denen die Opfer wohnten, an die mit den Stolper-<br />
karel<br />
svatopluk<br />
mervart<br />
12.7.1918 – 15.1.1945<br />
Karel Svatopluk Mervart wurde am 1 .7.1918 in<br />
Petrograd geboren. Sein Vater war Leutnant eines<br />
tschechischen Reg<strong>im</strong>ents, das <strong>im</strong> 1. Weltkrieg auf<br />
russischer Seite gekämpft hatte.<br />
Nach der Gründung der CSR ging die Familie zurück<br />
nach Prag. Karel besuchte das russische Gymnasium<br />
in Prag, sprach sehr gut russisch, tschechisch<br />
und deutsch.<br />
Als die CSR am 15.3.1939 von deutschen Truppen<br />
besetzt wird, ist Karel 0 Jahre alt und studiert an<br />
der Technischen Hochschule in Prag. Am 8. Oktober<br />
1939, dem Jahrestag der Staatsgründung, demonstrieren<br />
tschechische Studenten am Wenzelsplatz<br />
durch feierliche Kleidung und Bänder in den<br />
tschechischen Farben am Revers für die Unabhängigkeit.<br />
15 Teilnehmer werden von deutschen „Ordnungskräften“<br />
verletzt, der Medizinstudent Jan<br />
Opletal erliegt <strong>im</strong> November seinen Verletzungen.<br />
Bei dem (erlaubten) Trauermarsch für ihn, an dem<br />
3000 Studenten teilnehmen, beginnt man nach einiger<br />
Zeit, die tschechoslowakische Nationalhymne<br />
und patriotische Lieder zu singen. Die „Ordnungspolizei“<br />
greift ein, es kommt zu Tumulten.<br />
Neun Studentenführer werden am 16. November<br />
steinen erinnert werden soll. – Am 11. Oktober informierte<br />
Frau Brigitte Schuchard vom Vorstand<br />
der Stolpersteininitiative <strong>München</strong> an diesem Ort<br />
die Teilnehmer/innen des „Deutsch-Tschechischen<br />
Wochenendes für gute Nachbarschaft“ über das<br />
Projekt Stolpersteine, die Situation in <strong>München</strong><br />
und die Tätigkeit der Initiative. Im Namen der Redaktion<br />
der Deutsch-Tschechischen Nachrichten<br />
und der tschechischen und deutschen Teilnehmer<br />
des Wochenendes übergab Renate Hennecke den<br />
Vertreterinnen der Stolpersteininitiative Informationen<br />
über die tschechischen Antifaschisten Gebhard<br />
Jiru und Karel Mervart mit der Bitte, zwei<br />
Stolpersteine für sie bei Günter Demnig in Auftrag<br />
zu geben.<br />
Veranstalter des Wochenendes war der Kurt-Eisner-Verein<br />
für politische Bildung/Die Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />
in Bayern in Zusammenarbeit mit<br />
der tschechischen Gesellschaft für europäischen<br />
Dialog (SPED) und der Redaktion der Deutsch-<br />
Tschechischen Nachrichten. Unterstützt wurde die<br />
Veranstaltung zum 70. Jahrestag des Münchner Abkommens<br />
vom Landesverband Bayern der VVN-<br />
BdA und von der Stadträtin Brigitte Wolf (Die<br />
Linke) <strong>im</strong> Rahmen des Projektes „<strong>München</strong> gegen<br />
das Münchner Diktat“.<br />
verhaftet und ohne Gerichtsverfahren noch am selben<br />
Tag erschossen. In der Nacht zum 17. November<br />
werden 1. 00 Studenten in ihren Wohnhe<strong>im</strong>en aus<br />
ihren Betten gezerrt, in ein Prager Gefängnis und<br />
von dort in das Konzentrationslager Sachsenhausen<br />
verschleppt. Die tschechischen Hochschulen<br />
werden geschlossen.<br />
Karel Mervart arbeitet eine Zeitlang als Telegrafist<br />
bei der Verwaltung der Böhmisch-Mährischen Eisenbahn.<br />
Irgendwann kommt er nach Berlin zu der<br />
Firma Leicher Chemische Gravuren – wahrscheinlich<br />
<strong>im</strong> Rahmen des „Totaleinsatzes“ (tschechische<br />
Bezeichnung für die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften<br />
<strong>im</strong> Protektorat). Ab Februar 1943 arbeitet<br />
er als Chemielaborant und Dolmetscher bei<br />
der Leicher-Filiale in <strong>München</strong>. Ab dem 9. .1943 ist<br />
er in der Irschenhauserstr. 19 (bei Fritz Leicher,<br />
dem Firmeninhaber) gemeldet, ab 31.3.1943 hat er<br />
eine eigene Wohnung in der Johann-Houis-Str. 34<br />
(bei Fischer).<br />
Mervart versucht, in die Schweiz und von dort nach<br />
England zu gelangen, um sich der tschechoslowakischen<br />
Auslandsarmee anzuschließen. In der Nähe<br />
der Grenze wird er verhaftet und ins Bregenzer<br />
Gefängnis gebracht. Er kann die Ermittler aber<br />
davon überzeugen, dass er sich nur bei einem Ausflug<br />
verlaufen habe, und wird freigelassen.<br />
Im August 1943 wird Mervart Mitglied einer Organisation,<br />
die einige Monate zuvor <strong>im</strong> Kriegsgefangenenlager<br />
an der Münchner Schwanseestraße von<br />
sowjetischen Offizieren gegründet worden ist. Sie<br />
heißt „Brüderliche Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen“<br />
(Bratskoje Sotrudnitschestwo Wojennopleniich<br />
– BSW), organisiert außer Kriegsgefangenen<br />
vor allem Zwangsarbeiter und hat folgende<br />
Ziele:<br />
Fortsetzung Seite 16<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 15
• Sabotage in der deutschen Rüstungs- und sonstigen<br />
Kriegswirtschaft<br />
• Zersetzung der faschistischen Wehrkraft<br />
• Vorbereitung eines bewaffneten Aufstands in Zusammenarbeit<br />
mit deutschen Antifaschisten<br />
• Kampf gegen Rekrutierung von Gefangenen und<br />
Zwangsarbeitern in die Wlassow-Armee und andere<br />
Kollaborationsarmeen<br />
Innerhalb weniger Monate gelingt es, ein umfangreiches<br />
Kontaktnetz und konspirative Organisationsstrukturen<br />
aufzubauen. Sehr bald sind in mehr<br />
als 0 „Ostarbeiterlagern“ in <strong>München</strong> und Umgebung<br />
BSW-Zellen aktiv. Klebezettel und Flugblätter<br />
werden verbreitet, Waffenlager angelegt und<br />
Sabotageakte durchgeführt. So wird z.B. ein Güterzug<br />
mit Frontnachschub zum Entgleisen gebracht<br />
und während eines Bombenangriffs Feuer<br />
<strong>im</strong> Warenlager von Krauss-Maffei gelegt. Auch gelingt<br />
es, in der Gießerei von Krauss-Maffei eine<br />
Pedal-Signalanlage zu konstruieren, bei deren Betätigung<br />
am Fabrikschornstein eine Lampe aufflammt;<br />
deren Signale helfen den alliierten Fliegerverbänden<br />
<strong>im</strong> Sommer 1943, die Gießerei des<br />
Werkes, in der sich die Gußformen für Abgüsse von<br />
Panzerteilen befinden, bis auf die Grundmauern zu<br />
zerstören. 1<br />
Karel Mervart kann durch seine Sprachkenntnisse<br />
und seinen Mut viel zur raschen Ausbreitung der<br />
BSW auf zahlreiche Kriegsfangenen- und Zwangsarbeiterlager<br />
in und um <strong>München</strong> beitragen. Besonders<br />
kümmert er sich um die Organisierung der<br />
tschechischen Zwangsarbeiter. Bald stellt er auch<br />
überregionale Kontakte her. So untern<strong>im</strong>mt er<br />
mehrere Reisen nach Wien, Innsbruck und Prag,<br />
wodurch sogar eine Verbindung zu den jugoslawischen<br />
Partisanen hergestellt werden kann. Um reisen<br />
zu können, stiehlt er bei der Firma Leicher Urlaubsscheine<br />
und schreibt sie auf sich selbst aus.<br />
Außerdem wird er Dolmetscher und Kontaktmann<br />
zu der deutschen Widerstandsorganisation Antinazistische<br />
Deutsche Volksfront (ADV). Mit Emma<br />
und Hans Hutzelmann und anderen ADV-Mitgliedern<br />
hört Mervart in deren Wohnung in der Margaretenstraße<br />
18 (Sendling) ausländische Sender ab,<br />
um Informationen über die Kriegslage zu gewinnen.<br />
Die Tätigkeit der BSW entwickelt sich in atemberaubendem<br />
Tempo. Aber die zweite Front, deren<br />
Unterstützung das eigentliche Ziel ist und ohne die<br />
die BSW keine Chance hat, sich längere Zeit zu halten,<br />
wird und wird nicht eröffnet. So bleibt es nicht<br />
aus, dass die Gestapo irgendwann die Spur der Organisation<br />
aufn<strong>im</strong>mt.<br />
Ab November 1943 kommt es zu Verhaftungen. Am<br />
5. Januar 1944 werden zahlreiche Kämpfer der<br />
ADV, am 15. Januar 1944 Karel Mervart gefasst.<br />
Bei einem Bombenangriff auf <strong>München</strong> in der<br />
Nacht zum 5. April 1944 wird das Wittelsbacher<br />
Palais getroffen, die Akten zum Ermittlungskomplex<br />
BSW verbrennen. Das Verfahren verzögert<br />
sich, muss neu aufgerollt werden (auch die Folterungen<br />
bei den Verhören werden wiederholt).<br />
Am 4. September 1944 werden in Dachau 9 sowjetische<br />
Offiziere aus der Leitung der BSW erschossen.<br />
In Mauthausen sterben <strong>im</strong> Herbst 1944 weitere<br />
50. In Flossenbürg werden 49 BSW-Kämpfer umgebracht,<br />
„russische kriegsgefangene Offiziere aus<br />
<strong>München</strong>, die in einem großen Werk gearbeitet und<br />
dessen Sprengung vorbereitet hatten“.<br />
Für Hunderte weitere Kämpfer kommt die zweite<br />
16 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
Front, die <strong>im</strong> Juni 1944 endlich eröffnet worden ist,<br />
zu spät.<br />
Nach der Ermordung der sowjetischen BSW-ler ohne<br />
Gerichtsverfahren werden vor dem Volksgerichtshof<br />
Hochverratsprozesse gegen die Deutschen<br />
und die Tschechoslowaken eingeleitet. Zu der<br />
Gruppe der Hauptangeklagten gehört Karel Mervart.<br />
Am 15. Januar 1945 stirbt er, zusammen mit Hans<br />
Hutzelmann und Rupert Huber von der ADV, <strong>im</strong><br />
Zuchthaus Brandenburg unter dem Fallbeil.<br />
Am 14. Januar 1947 würdigt die Süddeutsche Zeitung<br />
die Hingerichteten und ihre Mitkämpfer: „Die<br />
Entschlossenheit der ADV und BSW, Gewalt gegen<br />
Gewalt zu setzen, hebt sie weit über die meisten<br />
deutschen Widerstandsgruppen hinaus. Die mutigen<br />
Vorbereitungen scheiterten aber kurz vor der<br />
Aktion, die Deutschland, Europa und die Welt in<br />
Erstaunen versetzt hätte.“ 3<br />
1 J.A. Brodski, Die Lebenden kämpfen – Die Organisation Brüderliche<br />
Zusammenarbeit der Kriegsgefangenen (BSW), Berlin<br />
1968, S. 06<br />
A.a.O., S. 39<br />
3 Zitiert nach J.A. Brodski, Im Kampf gegen den Faschismus,<br />
Berlin 1975, S. 611<br />
Gebhard<br />
Jiru<br />
20.12.1908 – <strong>26</strong>.4.1945<br />
Gebhard Bruno Jiru stammte aus einer tschechischen<br />
Familie, die „he<strong>im</strong>atzuständig nach Hennersdorf,<br />
Bezirk Deutsch-Gabel“ war, wie es in<br />
seinen Meldeunterlagen aus dem Münchner Stadtarchiv<br />
heißt. Seine Eltern, der Schreiner Julius Jiru<br />
und seine Frau Kreszenz, geborene Z<strong>im</strong>mermann,<br />
waren aber schon vor der Gründung der Tschechoslowakischen<br />
Republik nach Österreich gegangen,<br />
wie so viele tschechische Familien Ende des 19. /<br />
Anfang des 0. Jahrhunderts. Gebhard wurde am<br />
0. Dezember 1908 in Bregenz geboren. 1915, mitten<br />
<strong>im</strong> Ersten Weltkrieg, zog die Familie nach <strong>München</strong><br />
in die Schleißhe<strong>im</strong>er Straße 0, Rückgebäude (Nähe<br />
Stiglmaier-Platz). Nicht lange danach starb der<br />
Vater, und die Mutter heiratete 19 9 den Maurer<br />
Josef Heilmeier, der in einem Seitengebäude desselben<br />
Anwesens wohnte. Mit seiner Mutter zog auch<br />
der 1-jährige Gebhard in dessen Wohnung.<br />
Der junge Polierer und Beizer war ein Jahr zuvor<br />
(19 8) in den Bezirksvorstand Südbayern des Kommunistischen<br />
Jugendverbandes (KJVD) gewählt<br />
worden, gleichzeitig mit Franz Xaver Schwarzmüller,<br />
von dem wir wissen, dass er 1933 an der Herstellung<br />
von illegalen Zeitungen der KPD in der<br />
Bibliothek des Priesterhauses der Asamkirche beteiligt<br />
war.<br />
Der Schriftsteller Alfred Andersch, damals Organisationsleiter<br />
des KJVD für <strong>München</strong>, beschrieb<br />
Jiru mit den Worten: „ein kleiner Tscheche, aber so<br />
bayerisch sprechend wie wir alle, glänzend ge-
schult, schwarz, durchtrieben und lustig, war der<br />
politische Leiter des Jugendverbandes“. In seinem<br />
Roman „Kirschen der Freiheit“ schildert er, wie<br />
Jiru kurz vor der Machtübergabe an die Nazis eine<br />
sog. Stoßdemonstration organisierte:<br />
„Wir verständigten flüsternd alle Jungens und die<br />
zwei oder drei Mädchen. Auf ein Zeichen rannten<br />
wir auf die Straße, formierten uns in Dreierreihen<br />
und marschierten durch ein paar Vorstadtstraßen.<br />
Wir trugen die rote Fahne mit uns und riefen Parolen<br />
wie: ‚Arbeiter, kämpft gegen die Notverordnungen!‘,<br />
‚Hinein in die KPD, die Partei der Arbeiterklasse!‘<br />
und ‚Nieder mit den Hitlerfaschisten!‘<br />
Nach ungefähr zehn Minuten hörten wir in der Ferne<br />
das Heulen der Überfallkommandos und stoben<br />
auseinander.“ Die Taktik bestand darin, sich kurz<br />
darauf an einem anderen Ort wieder zu formieren,<br />
so lange bis die Polizei auch dort aufkreuzte usw.<br />
Über die Tätigkeit junger Kommunisten in den ersten<br />
Monaten der NS-Herrschaft heißt es in dem<br />
Buch „Bayern in der NS-Zeit“ von Hartmut<br />
Mehringer: „Die Initiativgruppe kommunistischer<br />
Jugendfunktionäre, die <strong>im</strong> Frühjahr 1933 die propagandistische<br />
Arbeit illegal fortzuführen und die<br />
Reste der durch die Polizei zerschlagenen Organisation<br />
zu sammeln versuchte, bestand zunächst aus<br />
den Brüdern Ernst und Albert Lörcher, Gebhard<br />
Jiru und dem aus Hamburg stammenden Studenten<br />
Franz Ahrens.“<br />
Wie Mehringer weiter erläutert, „bestand das<br />
Hauptziel dieser Initiativgruppe zunächst in der<br />
Sicherung des Weitererscheinens ihrer Zeitung,<br />
nämlich des KJV-Organs Die Junge Garde. Im Mai<br />
1933 war noch eine illegale Nummer der Jungen<br />
Garde erschienen, die zentral in Berlin <strong>im</strong> Zeitungsdruck<br />
hergestellt und in ganz Deutschland<br />
verbreitet worden war. Die weiteren Nummern der<br />
Jungen Garde, die in <strong>München</strong> und Südbayern <strong>im</strong><br />
Sommer und Herbst 1933 erschienen, waren in bekannter<br />
Art auf der Schreibmaschine geschrieben<br />
und mittels Handabziehverfahren hergestellt. Ab<br />
Ende 1933 wurde die Junge Garde hingegen aus der<br />
Tschechoslowakei bezogen.<br />
„Die Gruppe um die Gebrüder Lörcher hatte sich<br />
einen gewissermaßen ‚legalen‘ Stützpunkt <strong>im</strong> Lesesaal<br />
des Arbeitsamtes in <strong>München</strong> [damals noch in<br />
der Thalkirchner Straße] eingerichtet, wo die Möglichkeit<br />
bestand, sich unauffällig zu treffen, zu<br />
diskutieren und vor allem aus den Meldungen und<br />
Kommentaren der damals in Deutschland noch erhältlichen<br />
ausländischen Zeitungen Informationen<br />
und Nachrichten zusammenzutragen, die in den<br />
Artikeln der Jungen Garde verarbeitet wurden.“<br />
Getippt und gedruckt wurde mit Schreibmaschine<br />
und Abziehapparat in einem Zelt unter einer Isarbrücke<br />
in der Pupplinger Au.<br />
Ob es tatsächlich Gebhard Jiru war, mit dem sich<br />
die Gebrüder Lörcher und Franz Xaver Ahrens <strong>im</strong><br />
Lesesaal des Arbeitsamtes trafen, ist fraglich. Laut<br />
Meldeunterlagen wurde Jiru bereits am 6. April<br />
1933 verhaftet und „ins Konz. Lager Dachau verbracht“.<br />
Den Unterlagen der KZ-Gedenkstätte<br />
Dachau zufolge kam er allerdings erst am 5.4. dort<br />
an, vermerkt ist „Zugang von <strong>München</strong>-Stadelhe<strong>im</strong>“.<br />
Albert Lörcher selbst hat der Darstellung Mehringers,<br />
er habe noch <strong>im</strong> Frühjahr und Sommer 1933<br />
mit Gebhard Jiru zusammen die Junge Garde hergestellt,<br />
später <strong>im</strong> Gespräch mit der Geschichtswerkstatt<br />
Neuhausen widersprochen: Nach der<br />
Teilnahme an einer der oben geschilderten Stoßdemonstrationen<br />
Ende 1931 habe er „ihn erst 1937,<br />
nach Gefängnis und KZ Dachau, wiedergesehen. Er<br />
erzählte mir von einer KdF-Gymnastikgruppe, mit<br />
der sie zusammenkamen. Wir trafen uns dann regelmäßig<br />
in dieser Gymnastikgruppe. Es waren alles<br />
zuverlässige Gegner der Nazis. … Wir machten<br />
auch einige Ausflüge. Von einem dieser Ausflüge an<br />
den Hackensee b. Holzkirchen existiert noch eine<br />
Aufnahme mit Gebhard, die jetzt in der Zeitschrift<br />
‚Geschichte quer‘ veröffentlicht wurde. Das lief eine<br />
Zeitlang ganz gut. Eines Abends sagte Gebhard<br />
zu mir: ‚Wir dürfen uns ab sofort nicht mehr treffen.‘<br />
Die Gestapo hatte ihn wieder in die Mangel<br />
genommen und ihm gedroht, ihn wieder ins KZ<br />
Dachau zu bringen. Gebhard Jiru mußte unterschreiben.<br />
Er wurde von nun an als V-Mann geführt<br />
und ein Gestapo-Mann fragte ihn in Abständen<br />
über seine Freunde und Bekannten aus. Jiru<br />
hat die Gestapo offensichtlich enttäuscht, denn er<br />
kam wieder in das KZ Dachau …“<br />
Jiru wurde mehrmals nach Dachau „verbracht“ –<br />
wann genau er verhaftet und wann entlassen wurde,<br />
ist nicht genau nachvollziehbar. Für die Zeiten<br />
dazwischen galten wohl die Eintragungen auf seinem<br />
polizeilichen Meldebogen: handschriftlich ist<br />
da eine undatierte „Sichtvermerksperre auf Anordnung<br />
der Stapoleitstelle <strong>München</strong>“ vermerkt, und<br />
mit Bleistift in zackiger „deutscher“ Schrift der<br />
Befehl: „Jeder Wohnungswechsel ist der Geh.<br />
Staatspolizei, Staatspol. Leitstelle, Mchn (II N) lt.<br />
Erl. v. 5.11.38 mitzuteilen.“<br />
Die Archivunterlagen der KZ-Gedenkstätte in<br />
Dachau nennen Jiru, wie gesagt, am 5.4.1933 zum<br />
erstenmal als Zugang. Ein Abgangsdatum ist nicht<br />
vermerkt. Zum zweitenmal als Zugang gemeldet<br />
wurde er am 1 .1.1934, ohne Angabe woher. Ob er<br />
in der Zwischenzeit entlassen war oder anderswo<br />
gefangen gehalten wurde, wissen wir nicht.<br />
Als nächstes ist das Entlassungsdatum 18.5.1938<br />
angegeben. Dies wiederum lässt die Datierung des<br />
Fotos vom Hackensee (1937) fraglich erscheinen.<br />
Zum letzten Mal als „Zugang von <strong>München</strong>“ wurde<br />
Jiru am 3.8.1944 in Dachau registriert. Dort grassierte<br />
ab Herbst 1944 eine Typhusepidemie, die<br />
aufgrund der fehlenden ärztlichen Versorgung, des<br />
katastrophalen körperlichen Zustands der Gefangenen<br />
und der unbeschreiblichen hygienischen Verhältnisse<br />
Tausende von Todesopfern forderte. Am<br />
6. April 1945, drei Tage vor der Befreiung, starb<br />
auch Gebhard Jiru an der Seuche. Er war 36 Jahre<br />
alt.<br />
„Jiru kam in das Massengrab auf dem Leitenberg,<br />
wo er identifiziert werden konnte. Die Grablege<br />
lautet Leitenberg, A-<strong>13</strong>6-1063.“ (Information der<br />
KZ-Gedenkstätte)<br />
Über Jirus Schicksal während der Haftzeit ist<br />
nichts bekannt. Nazi-Gegner wie Bertl Lörcher<br />
oder Adi Meislinger, der ebenfalls in der letzten<br />
Zeit vor der Befreiung in Dachau war, schätzten<br />
den kleinen, schwarzhaarigen Tschechen. In der<br />
DKP-Broschüre „Die wiedergefundene Liste – Porträts<br />
von Münchner Kommunistinnen und Kommunisten,<br />
die <strong>im</strong> antifaschistischen Kampf ihr Leben<br />
ließen“ heißt es, Genossen, die mit ihm inhaftiert<br />
waren, hätten berichtet, „daß er in Dachau einer<br />
von denen war, die sich bemüht hatten, das Los ihrer<br />
Mithäftlinge zu erleichtern, der eingebunden<br />
war in die Häftlingssolidarität“.<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 17
kein lob dem lob: kann Pädagogik<br />
gemessen werden? Von Orhan Akman<br />
Man stelle sich ein Fließband vor, über das Kinder<br />
rollen und abgefertigt werden. Und zwar so abgefertigt,<br />
dass diese am Ende mit einer guten pädagogischen<br />
Ausbildung ausgestattet sind, um Gutes für<br />
sich selbst <strong>im</strong> engeren und für die Gesellschaft <strong>im</strong><br />
allgemeinen Sinne zustande zu bringen. Schließlich<br />
sind ja Kinder die Zukunft. Und wer will schon<br />
eine schlechte Zukunft!<br />
Als Fließbandarbeiter sind Erzieherinnen und Erzieher,<br />
Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und<br />
Pädagogen am Werk. Alle Fließbandarbeiter kriegen<br />
für diese Tätigkeit zwar nicht viel Lohn und<br />
Gehalt, aber alle kriegen das Gleiche. Doch das<br />
passt den Arbeitgebern nicht. Dem Wunsch der Arbeitgeber<br />
entsprechend sollen die Beschäftigte<br />
mehr leisten. Denn, grob übersetzt, behaupten die<br />
Arbeitgeber: Fließbandarbeiter arbeiten nicht alle<br />
gleich gut, gleich schnell und sie erbringen nicht die<br />
gleiche Qualität. Einige der Fließbandarbeiter sind<br />
nun mal langsam, andere wiederum sind einfach<br />
faul bzw. bohren in der Nase rum, statt Kinder zu<br />
fertigen. Dieser „Ungerechtigkeit“ wollten die öffentlichen<br />
Arbeitgeber mit der Einführung des<br />
„Leistungsorientierten Bezahlung – LoB“ ein Ende<br />
setzten. Dazu haben diese Arbeitgeber in der letzten<br />
Tarifrunde <strong>im</strong> öffentlichen Dienst mit der Gewerkschaft<br />
Verdi und dem dbb-Beamtenbund/Tarifunion<br />
die LoB eingeführt. „Die leistungsorientierte<br />
Bezahlung soll dazu beitragen, die Effizienz<br />
und Effektivität zu steigern, die Dienstleistung zu<br />
verbessern und die Motivation und Eigenverantwortung<br />
der Beschäftigten zu stärken.“*<br />
Beschäftigte <strong>im</strong> öffentlichen Dienst, also auch die<br />
Fließbandarbeiter, würden voller Begeisterung<br />
Hurra jubeln, hatten die Arbeitgeber nach der Einführung<br />
der Leistungsentlohnung sich erhofft.<br />
Doch die Rechnung ging nicht auf. Denn LoB wird<br />
seitens der Beschäftigten massiv kritisiert. So haben<br />
ein großer Teil der betroffenen Kolleginnen<br />
und Kollegen laut einer Intranet-Umfrage des<br />
Münchner Gesamtpersonalrates (GPR) ihren Unmut<br />
über die neue Leistungsentlohnung geäußert.<br />
Auch in der Diskussionsveranstaltung am 17.9. 008<br />
<strong>im</strong> Rahmen von „Talk <strong>im</strong> Rathaus“ haben die Beschäftigten<br />
mit einem Wort zum Ausdruck gebracht,<br />
was sie von LoB halten: Abschaffen!<br />
Dabei war der Große Saal des Münchner Rathauses<br />
voll mit betroffenen Menschen. Die Kolleginnen<br />
und Kollegen haben aus den verschiedenen Berei-<br />
18 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
chen/Referaten in<br />
<strong>München</strong> die Auswirkungen<br />
des LoB dargestellt<br />
und dieses<br />
neue Entlohnungssystem<br />
scharf kritisiert.<br />
Selbst Dr. Thomas<br />
Böhle (berufsmäßiger<br />
<strong>Stadtrat</strong> für Personal-<br />
und Organisationsreferat)<br />
sagte, dass<br />
er „ziemlich überrascht“<br />
sei von dieser<br />
Kritik. Zugleich bekräftigte<br />
Dr. Böhle,<br />
dass er als Arbeitgeber<br />
an der LoB fest-<br />
Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung<br />
zur Leistungsorientierten<br />
Bezahlung (LoB)<br />
<strong>im</strong> April <strong>2008</strong> *:<br />
• 71 Prozent der Befragten halten<br />
das neue System der<br />
Entlohnung als unzureichend<br />
• 40 Prozent der Prämienempfängern<br />
sagen, dass ein<br />
besonderer Arbeitseinsatz sich<br />
nicht lohnt<br />
• 55 Prozent der Befragten finden<br />
die Vergabe der Prämien<br />
nicht leistungsgerecht<br />
• 81 Prozent der Befragten geben<br />
an, dass die Leistungskriterien<br />
nicht nachvollziehbar<br />
oder verständlich sind<br />
An der Befragung haben sich 37 Prozent<br />
der Beschäftigten beteiligt.<br />
( * Quelle: Brief vom Gesamtpersonalrat und Personal- und<br />
Organisationsreferat an die Beschäftigten vom 6.8.<strong>2008</strong>)<br />
halten würde und dies nicht rückgängig machen<br />
werde. Auf mehrere Nachfragen, wie denn der Arbeitgeber<br />
die verschiedenen Tätigkeiten messen<br />
will, kam die trockene Antwort seitens Dr. Böhle:<br />
Man kann alles messen!<br />
„Pädagogik ist nicht messbar“, entgegnete ihm unter<br />
großem Beifall Ingrid Hoffmann, Vorsitzende<br />
des Dienststellenpersonalrats Kindertagesstätten<br />
und Kooperationseinrichtungen. Damit brachte sie<br />
die Position der etwa 4000 Erzieherinnen und Erzieher<br />
in <strong>München</strong> zum Ausdruck. Der Arbeitgeber<br />
will nun in den nächsten Wochen und Monaten die<br />
Kritik der Beschäftigten aufgreifen und Veränderungen<br />
be<strong>im</strong> LoB vornehmen, wo dies aus seiner<br />
Sicht notwendig und sinnvoll erscheinen.<br />
Angelica Hagenstein, GPR-Vorsitzende, verwies zu<br />
recht in der Diskussionsrunde daraufhin, dass LoB<br />
<strong>im</strong> Tarifvertrag verankert sei und dies demnach<br />
auch Sache der Tarifvertragsparteien ist. Insoweit<br />
ist LoB keine Bibel, die nicht mehr verändert bzw.<br />
rückgängig zu machen wäre. Wenn die Beschäftigten<br />
sich organisiert gegen die LoB zur Wehr<br />
setzten und vor allem ihre Gewerkschaft ver.di von<br />
diesem tarifpolitischen Irrweg abbringen, so wird<br />
Dr. Böhle sich auch eines Besseren belehren lassen<br />
müssen. Dazu muss die LoB in den Tarifkommissionen<br />
der ver.di <strong>im</strong> Vorfeld diskutiert und dann in<br />
Angriff genommen werden. Fest steht, dass durch<br />
LoB ein wesentlicher Grundpfeiler der gewerkschaftlichen<br />
Tarifpolitik verlassen wurde. Sinn<br />
und Zweck des Tarifvertrages ist nach wie vor, die<br />
Lohnkonkurrenz in der gleichen Branche für die<br />
gleiche Tätigkeit abzuschaffen. Durch LoB wurde<br />
Lohnkonkurrenz per Tarifvertrag eingeführt und<br />
legit<strong>im</strong>iert. Auch Dr. Böhle verweist jetzt bereits<br />
auf die nächste Tarifrunde: „Auch wenn es in der<br />
Tarifrunde 008 nicht gelungen ist, das Volumen<br />
für die leistungsorientierte Bezahlung zu erhöhen,<br />
haben sich die Tarifvertragsparteien doch darauf<br />
verständigt, die leistungsorientierte Bezahlung an<br />
sich fortzuentwickeln.“ **<br />
Tarifverträge sind Machtfragen. Wer die Macht hat,<br />
der/die wird auch darüber <strong>im</strong> Wesentlichen zu entscheiden<br />
haben, ob LoB in der nächsten Tarifrunde<br />
kippt oder ausgedehnt wird.<br />
*, ** Aussagen von Dr. Thomas Böhle in der Vollversammlung des<br />
Münchner <strong>Stadtrat</strong>es am 8.10. 008
ls-Werkstattgespräch nr. 10 mit Prof. Dr. klaus Weber<br />
„Ob der Philipp heute still wohl bei tische<br />
sitzen will?“ Von elisabeth baumgartner<br />
In der Reihe Werkstattgespräche, über die in dieser<br />
Zeitschrift mittlerweile regelmäßig berichtet wird,<br />
befasste sich der Kurt-Eisner-Verein mit einem<br />
Problem, dessen Relevanz für die politische Auseinandersetzung<br />
nicht auf den ersten Blick ersichtlich<br />
ist. So hatte er den Psychologen Prof. Dr. Klaus<br />
Weber, Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-<br />
Stiftung in Bayern und Vorsitzender des Kurt-Eisner-Vereins,<br />
zu der Fragestellung „Wann ist mein<br />
Kind normal? – Hyperaktivität bei Kindern“ eingeladen.<br />
Weber stellte zu Beginn klar, dass sich mit dieser<br />
Frage jede und jeder befassen könne, auch wenn<br />
keine eigenen Kinder vorhanden seien. Vielleicht<br />
sei letzteres sogar besser, weil der Blick noch unverstellt<br />
ist. Er selbst jedenfalls habe seine pädagogischen<br />
Einstellungen auch nach Geburt seines<br />
Sohnes nicht verändert.<br />
Das Kind – Objekt der Pädagogen<br />
Weber erinnerte, das trotz des abgelaufenen „Jahrhunderts<br />
des Kindes“ Kinder nicht die Orte, an den<br />
sie leben, sei es Kindergarten, Schule oder die Gestaltung<br />
des Wohnviertels, mitbest<strong>im</strong>men und mitgestalten<br />
könnten. Dagegen könne eine zunehmende<br />
Pädagogisierung und Pathologisierung der<br />
Kindheit wahrgenommen werden. Das Kind sei<br />
zum Objekt der Pädagogen und der „helfenden<br />
Wissenschaften“ geworden.<br />
Weber verdeutlicht dies am Beispiel des Aufmerksamkeitsdefizit-/Aufmerksamkeitshyperaktivitätssyndroms<br />
(ADS/ADHS). Hierzu präsentiert er folgende<br />
der FAZ entnommen Zahlen: Während 1990<br />
noch 15.000 Kinder mit Methylphenidat, bekannt<br />
unter den Handelsnamen wie z.B. Ritalin oder Medikinet,<br />
medikamentös eingestellt wurden, waren<br />
es 005 zwischen 50.000 und 100.000 Kinder. Nach<br />
Schätzung der Kinder- und Jugendpsychiater seien<br />
500.000 Kinder betroffen.<br />
Das Medikament soll das Problem, die Störung<br />
„wegmachen“. Die Denkweise dahinter lautet: Das<br />
Kind hat ein Problem, die Störung liegt <strong>im</strong> Kind. Es<br />
werde auf Heilung, nicht auf einen besseren Umgang<br />
mit dem Kind gesetzt. Mit der Medikation<br />
trete zunächst Beruhigung in der Familie ein. Das<br />
Problem sei benannt, man spreche nicht über eine<br />
Absetzung. Weber verwies auf ein Forschungsprojekt<br />
in einer Schule in Berlin. Dort sei der Unterricht<br />
so gestaltet worden, dass auf den Bewegungsund<br />
Betätigungsdrang der Kinder Rücksicht genommen<br />
worden sei: Es habe keine ADS/ADHS<br />
Kinder mehr gegeben.<br />
Die Ursache des ADS/ADHS sei wissenschaftlich<br />
nicht geklärt. Dies habe zuletzt eine Anfrage der<br />
Grünen <strong>im</strong> Bundestag bestätigt. Die Medikation<br />
erfolge entgegen festgeschriebener Richtlinien häufig<br />
ohne psychosoziale Begleitung von Kind und<br />
Familie. Dies sei ähnlich wie in der Substitutionsbehandlung<br />
von Drogenabhängigen, in denen Praxen<br />
Methadon ohne die kostenaufwendige Betreuung<br />
verabreichen.<br />
Lange habe es keine Langzeitstudien zu Methyl-<br />
phenidat gegeben, Ergebnisse lägen erst jetzt vor.<br />
Folgen der Medikation seien Störungen der Grobund<br />
Feinmotorik, Auch sei festgestellt worden, dass<br />
Alzhe<strong>im</strong>er bei Personen, die mit Methylphenidat<br />
behandelt worden waren, durchschnittlich 1 Jahre<br />
früher auftrete, als bei unbehandelten Alzhe<strong>im</strong>erpatienten.<br />
Wer oder was ist normal?<br />
Wer wissen will, wie das definiert wird, schlage z.B.<br />
das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of<br />
Mental Disorder), das Handbuch zur Klassifikation<br />
psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen<br />
Vereinigung, auf. Während in der Erstausgabe<br />
195 Kinder noch nicht erwähnt waren,<br />
werden 1980 <strong>im</strong> DSM-III erste Störungsbilder beschrieben.<br />
Die Definitionen stellen Ergebnisse von<br />
Einigungsprozessen der Wissenschaft, nicht der<br />
Forschung dar. Weber erinnerte daran, dass Homosexualität<br />
in den 70er Jahren noch zu den Störungsbildern<br />
zählte. Andererseits eröffnete die<br />
Definition von Alkoholismus als Krankheit für die<br />
Betroffenen Behandlungsmethoden. Für Kinder sei<br />
der Katalog in der Folge <strong>im</strong>mer größer geworden;<br />
ein gigantischer Pathologisierungsprozess sei eingeleitet<br />
worden.<br />
Begonnen habe der Versuch festzulegen, ob ein<br />
Kind normal entwickelt sei, zu Beginn des vorigen<br />
Jahrhunderts. Das französische Unterrichtsministerium<br />
lies dazu erste Testverfahren zur Schulfähigkeit<br />
entwickeln. Aufgenommen wurde die Entwicklung<br />
der Testdiagnostik dann von William<br />
Stern, der die differenzielle Psychologie begründete.<br />
Man geht dabei von der sogenannten Normalverteilung<br />
aus, nach der sich 75 % einer Gruppe <strong>im</strong><br />
Normalbereich (IQ von 90 bis 110) bewegen, die<br />
restlichen 5 % stellen Ausreißer nach oben oder<br />
unten dar, und sind somit als hoch oder minderbegabt<br />
einzustufen. Auch in der Notengebung an den<br />
Schulen wird gefordert, dass Noten entsprechend<br />
der Normalverteilung vergeben werden. Dies bedeutet,<br />
das ein Ergebnis zu erzeugen ist, das vorher<br />
bereits festgelegt ist.<br />
Eingebürgert habe sich ein pragmatischer Normalitätsbegriff:<br />
Normal sei, Fortsetzung Seite 20<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 19
was die Mehrheit als normal empfindet. Hier stellte<br />
Weber die Frage, wer sich denn mit der Etikettierung<br />
„normal“ noch wohlfühle. Seien nicht eher<br />
Begriffe wie Individualität, Eigenwilligkeit und<br />
Besonderheit positiv besetzt; gebe es nicht mittlerweile<br />
den „Otto Normalabweicher“? Kinder hingegen<br />
gestehe man die Unterschiedlichkeit nicht zu.<br />
Die Abweichung wird zur Störung.<br />
Wo eine Störung, da eine Behandlung<br />
Am Bespiel der Lese-Rechtschreib-Schwäche (Legasthenie)<br />
verdeutlichte Weber, wie der Therapiemarkt<br />
nach Angebot und Nachfrage funktioniert.<br />
In Deutschland, wo früher weder über das BSHG<br />
noch über die Krankenkassen eine Kostenübernahme<br />
der Therapie möglich war, war das Störungsbild<br />
kaum gegeben. In der Schweiz, wo Legasthenietherapie<br />
über die Krankenkasse abgerechnet werden<br />
kann, war dagegen eine Zunahme der Fälle zu verzeichnen.<br />
In Deutschland ist auf der Grundlage des<br />
1995 eingeführten § 35a SGB VIII eine Kostenübernahme<br />
durch die Kinder- und Jugendhilfe möglich.<br />
Nehmen Eltern diese Hilfe für ihr Kind in Anspruch,<br />
müssen sie gegenwärtig sein, dass dieses<br />
damit als seelisch behindert oder von seelischer<br />
Behinderung bedroht eingestuft und gegebenenfalls<br />
stigmatisiert wird. Was eine Leistungsschwäche<br />
war, wird zur Krankheit.<br />
Was tut Kindern gut und was nicht<br />
Eine mögliche Ursache für die wachsenden Schwierigkeiten<br />
von Kindern liege in der Veränderung der<br />
Bedingungen des Lernens, was er am Beispiel der<br />
Recherche verdeutlicht. Wo sich früher das Kind<br />
auf den Weg machte und in Kommunikation trat,<br />
um Fachwissen zu erhalten, googelt es nun <strong>im</strong> Internet<br />
und wird in kürzester Zeit mit Informationen<br />
überflutet, was, neben dem damit einhergehenden<br />
Bewegungsmangel, eine hohe Aufmerksamkeitsleistung<br />
abverlangt. Soziale Kompetenz hingegen<br />
wird nicht entwickelt und verkümmert. Einen<br />
weiteren Grund sieht Weber in der völligen<br />
Beliebigkeit, ja Verwahrlosung des Umgangs miteinander,<br />
wenn z.B. Absprachen nicht eingehalten<br />
werden. Gleichzeitig laste ein hoher Druck auf der<br />
Elternschaft, ihr Kind fit zu machen für Schule und<br />
Berufsleben.<br />
Alle an der Erziehung Beteiligten, Eltern, Erzieher,<br />
Lehrer, stellen Anforderungen, die das Kind erfüllen<br />
kann oder nicht. Erziehung stelle <strong>im</strong>mer auch<br />
Machtausübung dar. Die Erziehungsziele der Eltern<br />
oder Erzieher seien nicht <strong>im</strong>mer selbst gewählt und<br />
selbstbest<strong>im</strong>mt. Weber stellte die Forderung, Ziele<br />
und Anforderungen den Kindern zu erklären und<br />
damit nachvollziehbar zu machen.<br />
In der Diskussion wurde vor allem die bei Weber<br />
anklingende Kritik am Normalitätsbegriff in Frage<br />
gestellt. So sei zu überlegen, ob der Begriff des Normalen<br />
nicht auch auf Handlungsweisen einer sozialen<br />
Praxis ziele, die sich ein Kind erarbeiten müsse,<br />
um an ebendieser sozialen Praxis teilnehmen zu<br />
können.<br />
In der politischen Auseinandersetzung wird die<br />
Kindererziehung häufig als rein finanzielles Problem<br />
abgehandelt oder dient der Ideologisierung<br />
best<strong>im</strong>mter Lebensweisen. Webers Herangehensweise<br />
zeigte jedoch, dass durchaus auch die Inhalte<br />
von Erziehung einer politischen Betrachtung zugänglich<br />
sind.<br />
0 mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
ein Veranstaltungsbericht zum thema<br />
Gemeinschaftsschule“<br />
„Finnisch schlau oder<br />
bayerisch blöd?“<br />
Von natascha eichner<br />
Eine Veranstaltung zum Thema Gemeinschaftsschule<br />
mit dem Titel „Finnisch schlau?“ fand am<br />
.7.08 <strong>im</strong> EineWeltHaus statt. Als Referenten waren<br />
eingeladen Gabi Gabler von der GEW-Bayern<br />
und Lena Tietgen, Erziehungswissenschaftlerin<br />
und Journalistin aus Berlin.<br />
Wenn von Gemeinschaftsschule die Rede ist, wird<br />
in der Regel das politische Projekt als Arbeits- und<br />
Zielgrundlage angesehen. Gerne wird in diesem<br />
Zusammenhang vergessen, auf welchem Fundament<br />
diese Forderung beruht. Sie stellt nicht nur<br />
eine politische Ziellinie dar, sondern beruht auf<br />
handfesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die<br />
Pädagogik und die Psychologie haben schon lange<br />
erkannt und gefordert, was in die Köpfen der bayerischen<br />
CSU-Politiker erst langsam Zugang findet.<br />
Kinder sind nicht homogenisierbar. Sie sind nun<br />
mal Individuen wie jeder andere Mensch auch und<br />
brauchen als solche eine Schule für Individuen. Lena<br />
Tietgen ging in der ersten Phase ihres Vortrags<br />
auf diese Grundlagen ein und verdeutlichte die<br />
pädagogische Notwendigkeit einer Schule für alle.<br />
Schule für alle – In Berlin bereits Realität<br />
Politisch ist die Schule für alle mit Hilfe mehrerer<br />
Akteure in Berlin schon Realität. Wenn auch erst in<br />
den Kinderschuhen, so existiert sie doch zumindest<br />
schon an einzelnen Schulen. Der Berliner Koalitionsvertrag<br />
machte eine Gemeinschaftsschule in<br />
<strong>im</strong>merhin elf Berliner Schulen zur Realität und<br />
man kann sich nur für alle Beteiligten freuen. Berlin<br />
hat aber noch mehr zu bieten. So berichtete Lena<br />
von einem runden Tisch, an dem es die GEW<br />
Berlin geschafft hat, die verschiedensten Vertreter<br />
und Befürworter der Gemeinschaftsschule zusammenzubringen.<br />
Wenn es um die Verwirklichung einer Schule für<br />
alle geht, kann nicht von heute auf morgen der Blitz<br />
einschlagen, und alles ist gut. Aus diesem Grund ist<br />
es notwendig, verschiedenste Projekte und Pfade zu<br />
beschreiten. Einer davon ist die Modellschule in<br />
Winterhude/Hamburg. Das Bemerkenswerte an<br />
dieser Schule ist die Herangehensweise an Reformen.<br />
Diese Schule verdankt ihre Reformen dem<br />
großen Engagement der Eltern. Sie waren es, die<br />
aus der Schule eine Reformschule machten. Die<br />
Winterhuder Schule stellt gewiss keine Patentlösung<br />
aller Probleme dar, aber sie ist mit ihrem<br />
Status als Leuchtturmprojekt einer der Vorreiter<br />
in Sachen Kreativität <strong>im</strong> Schulbetrieb. Pädagogik<br />
ist <strong>im</strong> Gegensatz zur Naturwissenschaft nicht an<br />
Formeln gebunden. Sie ist an den Menschen gebunden,<br />
und dieser ist nicht berechenbar. Aus diesem<br />
Grund ist der Weg der Schule in Winterhude von<br />
unten nach oben, von den Eltern zur Schulleitung<br />
genauso richtig und wichtig wie der umgekehrte in<br />
Berlin. Berlin machte die ersten Gehversuche einer<br />
Schule für alle durch den politischen Willen, die<br />
politische Möglichkeit und durch den Wähler mög
lich. Dieses Top-down-Prinzip bei so wichtigen<br />
Reformen wie der Gemeinschaftsschule ist genauso<br />
notwendig wie Botton-up in Winterhude.<br />
Winterhude und Berlin bilden zwei Leuchttürme<br />
deren Feuer hoffentlich noch vielen Schiffen den<br />
Weg in den Hafen des gemeinsamen Lernens weist.<br />
In der Veranstaltung bildeten sie jedenfalls die<br />
Grundlage für die Frage nach bayerischen Verhältnissen.<br />
Gabi Gabler von der GEW wies diese in unmissverständlicher<br />
Klarheit auf.<br />
Die Schule in Bayern ist nicht „dreigliedrig“<br />
sondern „vielgliedrig“<br />
Die Schule in Bayern ist nicht dreigliedrig. Sie ist<br />
vielgliedrig. Sie beinhaltet Förderschulen der verschiedensten<br />
Schwerpunktsetzung, hat innerhalb<br />
der Hauptschule nochmals eine Unterteilung und<br />
ist so gesehen sehr durchlässig. Nach unten geht für<br />
den bayerischen Schüler <strong>im</strong>mer gut. Andersherum<br />
sieht die Sache nicht ganz so rosig aus.<br />
Wer von unten kommt und nach oben will muss sich<br />
schon gewaltig anstrengen. Die Argumentation der<br />
CSU hat an dieser Stelle einen großen Haken. Sie<br />
hängt die Ausnahmen auf und will damit ins ganze<br />
Land erstrahlen.<br />
Tatsache ist, dass diejenigen, die von unten kommen<br />
und es bis nach oben schaffen, <strong>im</strong>mer weniger<br />
werden. Schon alleine die Hürde von der Förderschule<br />
zurück an die Regelschule ist kaum zu überwinden,<br />
und weitergehend kann das nur funktionieren,<br />
wenn das Kind über Fähigkeiten wie Zielbewusstsein,<br />
Ehrgeiz und Motivation verfügt. Diese<br />
Eigenschaften sind selten angeboren. Sie werden<br />
vermittelt. Hier beisst sich der Hund in den<br />
Schwanz. Den betroffenen Kindern wird meistens<br />
alles andere vermittelt, aber nicht die Möglichkeit<br />
einer positiven Zukunft. Motivation wächst nicht<br />
auf dem Acker. Sie wird geweckt. Durch Interesse<br />
und Selbstbest<strong>im</strong>mung. Selbstbest<strong>im</strong>mt ist der Weg<br />
der bayerischen Kinder in ihre Zukunft nicht, und<br />
insofern ist das bayerische Konzept schon schlüssig.<br />
Gehorsam und Obrigkeitsstaatsdenken halten<br />
wieder Einzug in die süddeutsche Pädagogik. Ein<br />
vorgezeichneter Weg ist einzuhalten, und die indische<br />
Kaste lässt grüßen.<br />
Die Bestrebungen der SPD, das System wenigstens<br />
um ein Glied zu reduzieren und die Hauptschule<br />
mit der Realschule zusammenzulegen, wird von<br />
Seiten der bayerischen GEW abgelehnt. Diese Variante<br />
stellt keinen Weg hin zur Schule für alle dar.<br />
Sie beruhigt nur die aufgewühlten Nerven aller<br />
Eltern und Pädagogen. Kurz: Das ist derselbe Mist<br />
in neuem Gewand.<br />
Die anschließende Diskussion offenbarte, wie viel<br />
Unsicherheit noch hinsichtlich der neuen Wege<br />
herrscht. Fragen waren unter andern der Wert von<br />
Leuchtturmprojekten wie Winterhude. Der pädagogische<br />
Mehrwert von einzelnen Modellbausteinen<br />
in der Praxis und die Sinnhaftigkeit von Lernen<br />
lernen. An dieser Stelle wäre eine Vertiefung<br />
sicher gut gewesen, denn das Thema des lebenslang<br />
lernenden Menschen, des sich selbst organisierenden<br />
Individuums und die Notwendigkeit solcher<br />
Fertigkeiten in einer <strong>im</strong>mer komplexeren Umwelt<br />
sind auch für die linke pädagogische Debatte<br />
interessant. Zusammenfassend lässt sich durchaus<br />
sagen, dass die Schule für alle von der Mehrheit der<br />
Anwesenden für richtig, wichtig und gut befunden<br />
wurde.<br />
Wahlkampfeindrücke – erfahrungsbericht einer<br />
nicht mehr ganz naiven bürgerin<br />
„nazis raus aus den<br />
köpfen“ …<br />
… dieses Plakat war in der Vergangenheit schon bei<br />
vielen Demonstrationen dabei. Bei der diesjährigen<br />
Kundgebung am 9. August zum Thema „Tierrechte“<br />
und „Einschränkung der Versammlungsrechte“<br />
allerdings nicht. Das lag nicht daran, dass wir keines<br />
mehr gehabt hätten oder dass wir es nicht mehr<br />
mögen. Nein, wir mögen unser Plakat <strong>im</strong>mer noch,<br />
und wir haben noch viele davon. Es lag viel mehr an<br />
zwei Beamten in grüner Uniform, die der Meinung<br />
waren, dieses Plakat könnte Nazis zu Dingen reizen,<br />
die nicht gut sind für uns und für den Rest der<br />
Welt. Sie verboten kurzerhand das Plakat und bedrängten<br />
den Veranstalter, dafür zu sorgen, dass es<br />
verschwindet. Andernfalls drohten sie mit Auflösung<br />
der Kundgebung.<br />
So ein Nazi ist leicht reizbar. Soweit so gut. Jetzt,<br />
nachdem ich von den Polizisten über den Gemüts-<br />
zustand eines Nationalsozialisten aufgeklärt wurde,<br />
kann ich mir das gut vorstellen. Ein bisschen<br />
wie bei einem Stier mit einem roten Tuch vor der<br />
Nase. Der rennt auch nur einfach los. Noch absurder<br />
wird alles, wenn man sich die Zusammenhänge<br />
einmal genauer ansieht. Ich zähle jetzt nur mal die<br />
Fakten auf:<br />
a) Versammlung zum Schutz der Tiere und gegen<br />
die Verschärfung der Versammlungsfreiheit.<br />
b) Plakat gegen Nazis.<br />
c) Polizisten verbieten Plakat und helfen Nazis,<br />
weil die ja reizbar sind.<br />
d) Ratlosigkeit bei uns und der Eindruck wir sind<br />
<strong>im</strong> falschen Film.<br />
Es ging nicht nur um das Plakat. Als sich die Beamten<br />
erst einmal logisch heißgelaufen haben, mussten<br />
auch noch alle anderen Materialien zum Thema<br />
Rechtsextremismus vom Tisch. Zwischendurch<br />
schlenderten sie dann vorbei, um nach dem Rechten<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 1
zu sehen. Wir sahen’s ja ein. Die Gedankenfolge<br />
Nazi-reizbar – Polizist-hilft hat ja was.<br />
Also machten wir, was alle freiheitsliebenden Menschen<br />
machen, wenn sie durch staatliche Willkür<br />
an der Ausübung ihrer rechtlich verankerten Meinungsfreiheit<br />
gehindert werden. Wir gingen in den<br />
Untergrund. Genauer in den Untergrund unter dem<br />
Tisch. Ab diesem Zeitpunkt gab es „schmutziges<br />
Material“ für alle Interessierten unter der Hand.<br />
Das Nazi-Plakat wurde umgedreht aufgehängt und<br />
der rasierte Schädel guckte unterm Tisch dem verbotenen<br />
Treiben zu. Ich wartete, dass er sich gereizt<br />
fühlt, aber der war friedlich. Gott sei Dank.<br />
Na ja, was soll ich sagen, das Material gegen die<br />
NPD wurde von uns in einem Anfall von Widerstandswillen<br />
auf den Tisch gelegt.<br />
Einer hielt Ausschau, wann die Polizisten sich nä-<br />
be<strong>im</strong> ersten mal 4,3% und in vier bezirks-<br />
tagen vertreten<br />
Wir bedanken uns bei allen Bayerinnen und Bayern,<br />
die uns mit ihren St<strong>im</strong>men gewählt und damit ihr Vertrauen<br />
geschenkt haben! Wir werden für die Ideen<br />
unseres Wahlprogramms in den nächsten fünf Jahren<br />
in Bayern außerparlamentarisch streiten, denn Demokratie<br />
und Veränderung beginnt nicht erst bei den<br />
Stufen zum Max<strong>im</strong>ilianeum.<br />
Wir werden <strong>im</strong> Bundestag, Europaparlament, den<br />
Kommunalparlamenten und auf der Strasse für mehr<br />
Wie es sich gehört, saßen die beiden VertreterInnen<br />
der <strong>LINKE</strong>N, Beate Jenkner und Dr. Klaus Weber,<br />
auf der ersten oberbayerischen Bezirkstagssitzung<br />
Ende Oktober, links außen. Vor der Sitzung gab es<br />
schon Hinweise darauf, dass die SPD aus ihrer<br />
Wahlniederlage in Bayern nichts gelernt hat: Zum<br />
einen schrieben zwei Bezirksräte der SPD einen<br />
Drohbrief an den DGB, weil dieser der <strong>LINKE</strong>N<br />
zur Wahlparty den Großen Saal vermietet hatte,<br />
zum anderen gab es Gerüchte, die SPD werde mit<br />
der CSU eng zusammenarbeiten.<br />
Die Wahl des Bezirkstagspräsidenten brachte es an<br />
den Tag: CSU und SPD haben eine große Koalition<br />
geschlossen, um sich gegenseitig die Posten zuzuschanzen<br />
und um die kleinen Parteien (die <strong>im</strong>merhin<br />
mehr als 40% ausmachen) gar nicht erst zu berücksichtigen.<br />
Gewählt wurde der CSU-Mann Mederer<br />
mit den St<strong>im</strong>men der SPD; und das, obwohl<br />
die GRÜNEN eine Sozialdemokratin (Bittner) für<br />
den Posten vorschlugen. Die SPD-Frau wurde als<br />
Stellvertreterin gewählt – die zweite Stellvertreterin<br />
kam wieder aus den Reihen der CSU.<br />
„Wir sind eine Kooperation mit der CSU eingegangen“<br />
und „In Abst<strong>im</strong>mung mit der CSU schlagen<br />
wir vor …“, hieß es von Fraktionsführer Asam<br />
(SPD), als er gegen den lautstarken Protest der<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong>, OktOber <strong>2008</strong><br />
herten. Schwupp, wurde der Flyer zur Kindererziehung<br />
darüber geschoben. Wie man weiß, wird starker<br />
Reizbarkeit und geringer Frustrationstoleranz<br />
durch falsche Erziehung Grund gelegt. Das ging<br />
ein, zwei Mal gut und be<strong>im</strong> dritten Mal wurden wir<br />
erwischt. Schuldbewusstes Schauen auf meiner<br />
Seite brachte nicht viel.<br />
Die nette blonde Beamtin droht mit Platzverweis.<br />
Sie sei ja nicht doof. Sah’ ich ein und nahm den Flyer<br />
weg. So verging der Tag mit ein bisschen Widerstand,<br />
und wir bekamen eine Ahnung davon, was<br />
uns noch blüht, wenn wir es nicht schaffen, eine<br />
freiheitlich-demokratische Grundordnung am Leben<br />
zu erhalten. Wenn wir es nicht schaffen, den<br />
Sicherheitsstaat zu verhindern, oder wenn wir es<br />
nicht schaffen, Gesetze zu verhindern, die der Willkür<br />
Tür und Tor öffnen. (N.E.)<br />
soziale Gerechtigkeit kämpfen. Beide ehemaligen<br />
Volksparteien CSU und SPD haben ihr schlechtestes<br />
Ergebnis der Nachkriegsgeschichte eingefahren.<br />
<strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> bekam bei ihrem ersten Antritt 4,3% (rund<br />
461.000 Wählerst<strong>im</strong>men), die wir in den nächsten Jahren<br />
ausbauen werden.<br />
Der Grundstein ist gelegt, wir sind auch in Bayern angekommen.<br />
Mit Ergebnissen von 3,7% in Oberbayern<br />
(2 Sitze), 4,0 % in Schwaben (1 Sitz), 5% in Mittelfranken<br />
(1 Sitz) und 4,8% in Unterfranken (1 Sitz) gelang<br />
zudem der Einzug in 4 von 7 Bezirkstagen.<br />
www.dielinkebayern.de<br />
Wir gratulieren beate Jenkner und Dr. klaus Weber zur Wahl in den bezirksausschuss und freuen uns auf<br />
eine gute Zusammenarbeit!<br />
bezirkstag: Die sPD an CsU – kaufen Posten,<br />
zahlen mit Demokratie Dr. klaus Weber (bezirksrat für Die linke)<br />
sechs kleinen Gruppierungen erläutern wollte, wieso<br />
das in den letzten Jahrzehnten von der SPD geforderte<br />
Auszählverfahren Haare/Niemeyer diesmal<br />
nicht angewandt werden soll. Die Ausschüsse<br />
(Personal-, Bezirks-, Umwelt, Sozial/Gesundheitsausschuss<br />
etc.), welche nach dem Gesetz den Wählerwillen<br />
widerspiegeln sollten, sind nun zu zwei<br />
Dritteln mit VertreterInnen der CSU/SPD besetzt,<br />
während die kleinen Parteien sich um den Rest<br />
schlagen konnten. Eine Ausschussgemeinschaft der<br />
kleinsten Gruppierungen (ÖDP, Bayernpartei) mit<br />
der <strong>LINKE</strong>N, die rechnerisch möglich gewesen wäre,<br />
wurde dadurch verhindert, dass die CSU dem<br />
Vertreter der Bayernpartei <strong>im</strong> Kulturausschuss einen<br />
Sitz abgab und die ÖDP-Vertreterin einen (auch<br />
finanziell attraktiven) Referentinnen-Posten von<br />
CSU/SPD zugesprochen bekam.<br />
Was <strong>im</strong> Bezirkstag gelernt werden kann ist, ist die<br />
Grundlehre fürs Studium bürgerlicher Parlamente:<br />
Jede/r kann mit Posten und Macht gekauft werden.<br />
Die <strong>LINKE</strong> wird allerdings langfristig von der<br />
Strategie der Großparteien und der Anbiederung<br />
der kleinen Parteien profitieren. Voraussetzung dafür<br />
ist allerdings etwas, was der Bezirkstag von<br />
Oberbayern scheut wie der Teufel das Weihwasser:<br />
breite Öffentlichkeit.
Die stadtratslinke in der münchner<br />
Presse Von Ursula stöger<br />
In den vergangenen Monaten schrieben die Zeitungen<br />
vor allem über die bayerische <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong><br />
Rahmen der Berichterstattung und von Kommentaren<br />
zur Landtagswahl. Es überrascht nicht, dass<br />
die Darstellung der <strong>LINKE</strong>N in der Münchner Tagespresse<br />
meist wenig positiv war. So sieht die Süddeutsche<br />
Zeitung <strong>DIE</strong> <strong>LINKE</strong> als Partei ohne Identität<br />
(SZ vom 8.8) und die Abendzeitung schaut<br />
mit einem despektierlichen Blick auf die Wahlkampftour<br />
von Gysi und Lafontaine, indem sie sich<br />
etwa über Gysis Essgewohnheiten mokiert. (AZ<br />
vom 11.9).<br />
Gegenüber einer derart niveaulosen Berichterstattung<br />
gibt es dann schon Anlass zur Freude, wenn<br />
der Münchner Merkur über ehemalige CSU-Mitglieder<br />
berichtet, die zur Linken gewechselt sind<br />
und sogar für den Landtag kandidieren (MM vom<br />
10.9) oder die Süddeutsche Zeitung erkennt, dass<br />
der Kreuzzug der CSU gegen die <strong>LINKE</strong> ein<br />
„Kreuzzug gegen die eigene Angst“ (SZ vom 6.8)<br />
ist. Artikel, die nüchtern über die Politik der LIN-<br />
KEN berichten, oder positive Kommentare sind<br />
selten. Ein Beispiel ist ein Programmvergleich unter<br />
den bayerischen Parteien, darunter auch der<br />
<strong>LINKE</strong>N, der in einer tabellarischen Überblicksdarstellung<br />
die Positionen zu Bildungsfragen, zur<br />
Energiepolitik, zum Mindestlohn oder zur inneren<br />
Sicherheit darstellt (SZ vom 3.9.).<br />
Die Berichterstattung über die Politik der <strong>LINKE</strong>N<br />
<strong>im</strong> Münchner <strong>Stadtrat</strong> in den vergangenen Monaten<br />
war dagegen anders. Insgesamt wird über politische<br />
Aktivitäten der drei Münchner StadträtInnen<br />
zwar viel zu selten berichtet. Die wenigen Berichte,<br />
die seit Juli über die <strong>Stadtrat</strong>sgruppe veröffentlicht<br />
wurden, sind dafür in der Regel weniger polemisch,<br />
sondern meist recht nüchtern. Interessanterweise<br />
berichtet gerade der konservative Münchner Merkur<br />
am häufigsten über die Politik der <strong>LINKE</strong>N.<br />
Zudem fallen die Artikel auch durch eine größere<br />
Fairness als die der anderen Münchner Tageszeitungen<br />
auf. Die Berichte beschränken sich meist<br />
auf sachliche Ausführungen über die politischen<br />
Initiativen der Münchner StadträtInnen. Für alle<br />
Münchner Tageszeitungen gilt jedoch, dass über die<br />
Initiativen der <strong>LINKE</strong>N sehr knapp, d.h. meist ohne<br />
Hintergrundinformationen berichtet wurde.<br />
Seit Ende Juli berichteten die Münchner Tageszeitungen<br />
über folgende Aktivitäten der Münchner<br />
<strong>Stadtrat</strong>slinken:<br />
Der Münchner Merkur schreibt am 3.7., dass die<br />
<strong>LINKE</strong> gegen den Beschluss des <strong>Stadtrat</strong>s, das<br />
P+R-Parkhauses in Fröttmaning zu sanieren,<br />
st<strong>im</strong>mte. Am 8.7. berichtet er über eine Anfrage<br />
von Dagmar Henn, mit der sie sich über mögliche<br />
negative Auswirkungen <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />
Schließung der Münchner Postfilialen informieren<br />
will. Seitens des Referats für Arbeit und Wirtschaft<br />
wurden diese Bedenken in der Antwort verneint.<br />
Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass sich die<br />
<strong>LINKE</strong> gegen die Umbaupläne von zwei Fabrikhallen<br />
in der Kistlerhofstraße ausgesprochen hat. Der<br />
<strong>Stadtrat</strong> beschloss schließlich die Sanierung, die<br />
allerdings doppelt so teuer wie ursprünglich geplant<br />
werden wird (SZ vom 6.7.).<br />
Eine Initiative der <strong>LINKE</strong>N zur städtischen Woh-<br />
nungspolitik wurde sogar in zwei Münchner Tageszeitungen<br />
erwähnt. Es geht um die Zukunft der<br />
Werkswohnungen von Siemens. Die Stadt <strong>München</strong><br />
soll sich bei einer Veräußerung der Wohnungen<br />
durch Siemens einmischen und diese aufkaufen.<br />
Dies forderte Brigitte Wolf in einem Antrag. Auch<br />
der genossenschaftliche Wohnungsverband „GI-<br />
MA“ könnte ihretwegen daran beteiligt werden<br />
(AZ und MM vom 9.7.).<br />
Einen zwar sehr kurzer aber positiver Bericht erschien<br />
<strong>im</strong> Münchner Merkur über eine Anfrage, in<br />
der Orhan Akman sich für die Stärkung von Fahrgemeinschaften<br />
einsetzt. Er will wissen, ob es die<br />
Möglichkeit gibt, dass sich mehrere Personen einen<br />
PKW teilen und dafür Parkausweise für verschiedene<br />
Parkzonen erhalten können (MM vom 30.7.).<br />
Etwas ausführlicher berichtete die Süddeutsche<br />
Zeitung über einen Antrag von Dagmar Henn. Sie<br />
fordert eine Weihnachtsbeihilfe für Sozialhilfeund<br />
Hartz IV-BezieherInnen. Insbesondere Kinder<br />
sind betroffen, wenn ihnen ihre Eltern keine Geschenke<br />
kaufen können. In unserem Kulturkreis ist<br />
es kaum möglich, sich den weihnachtlichen Konsumbotschaften<br />
und den Weihnachtsritualen zu<br />
entziehen. Deshalb soll die Stadt <strong>München</strong> dem<br />
Beispiel anderer Kommunen folgen und zwischen<br />
60 und 80 Euro an jede/n HilfeempfängerIn auszahlen<br />
(SZ vom 14.8.).<br />
Über eine Anfrage zur Arbeitsmarktpolitik der<br />
Stadt <strong>München</strong> schreibt der Münchner Merkur am<br />
30.9.. Mit dieser will Orhan Akman sich informieren,<br />
wie viele Ein-Euro-Stellen <strong>im</strong> Stadtgebiet bestehen<br />
und wer diese Stellen anbietet. In der Antwort<br />
wurde ihm mitgeteilt, dass in <strong>München</strong> bei<br />
etwa <strong>13</strong>0 Trägern von insgesamt 000 fast 1500 solcher<br />
Stelle besetzt sind. Zu den Anbietern gehören<br />
neben der Landeshauptstadt selbst auch verschiedene<br />
soziale Träger. Weiter will Orhan Akman wissen,<br />
ob die Stellen mittelfristig in normale Beschäftigungsverhältnisse<br />
umgewandelt werden, was das<br />
Sozialreferat verneint. Da Ein-Euro-Stellen Arbeitslose<br />
wieder an den Arbeitsmarkt heranführen<br />
sollen, seien sie zusätzliche Stellen (MM vom 30.9.).<br />
Kurz berichtet der Münchner Merkur über das Abst<strong>im</strong>mungsverhalten<br />
der <strong>LINKE</strong>N bei Beschlüssen<br />
zum Behindertenbeirat ( 6.9.) und zu einem geschlossenem<br />
He<strong>im</strong> für 10- bis 16-Jährige ( 4.9.).<br />
Entgegen der Mehrheit st<strong>im</strong>mte Dagmar Henn für<br />
den Wunsch des Behindertenbeirats, künftig organisatorisch<br />
direkt be<strong>im</strong> Direktorium und nicht<br />
be<strong>im</strong> Sozialreferat angesiedelt zu werden. Zudem<br />
wendet sich Dagmar Henn als einzige Stadträtin<br />
gegen die Errichtung eines He<strong>im</strong>es für Kinder und<br />
Jugendliche, in dem diese bis zu drei Tagen eingesperrt<br />
werden dürfen.<br />
Eine interessante Information erschien in der tz<br />
von 4. August. In einem Interview äußert der Oberbürgermeister<br />
seine Meinung über die <strong>LINKE</strong> <strong>im</strong><br />
Münchner <strong>Stadtrat</strong>. Diese fiel außergewöhnlich positiv<br />
aus. Im Umgang mit den beiden neuen StadträtInnen<br />
Orhan Akman und Dagmar Henn fehle ihm<br />
zwar die Erfahrung, der Stadträtin Brigitte Wolf<br />
muss er jedoch eine hohe Informiertheit und Sachlichkeit<br />
bescheinigen. Insgesamt kann er also nichts<br />
Nachteiliges über die <strong>LINKE</strong> sagen (tz vom 4.8.)<br />
mitlinks nr. <strong>26</strong> – OktOber <strong>2008</strong> 3
Leider hatte man es nicht geschafft,<br />
ein Bündnis mit allen<br />
fortschrittlichen, physischen und<br />
metaphysischen Kräften aufzubringen:<br />
Wie Walter Listl als Moderator<br />
der Kundgebung selber einräumte,<br />
war der Wettergott eindeutig und<br />
einseitig mit den Millionärinnen<br />
und Millionären, die sich in der<br />
Neuen Messe, die „Sachen anschauen<br />
konnten, die man mit dem Geld,<br />
das man uns für die Finanzkrise<br />
raubt, kaufen kann“, so weiter Listl.<br />
Aber vielleicht ist der Wettergott<br />
gar nicht so fortschrittlich, wie <strong>im</strong>mer<br />
behauptet wird. Schade war es<br />
jedenfalls, dass die schön geplante<br />
Aktion des Münchner Sozialforums<br />
wegen durchgehenden Regens und<br />
Sturms zum einen nicht die Aufmerksamkeit<br />
fand, die sie verdient<br />
hätte, zum anderen verfrüht abgebrochen<br />
werden musste, in den<br />
Worten Listls: man die Millionäre<br />
eine Stunde früher, mit „ihrem<br />
traurigen Schicksal allein“ ließ. Immerhin:<br />
auch bei Medien mit unwesentlich<br />
größerer Verbreitung als<br />
unserem Blatt wie der BBC fand die<br />
Aktion Beachtung. Und die Passanten,<br />
die sich vom Regen abschrecken<br />
ließen, waren letztlich selber<br />
schuld, einige gute Gelegenheiten<br />
verpasst zu haben. So gab es auf<br />
einem Sklavenmarkt, selbige bereits<br />
ab einem Preis von 500 Euro, bei<br />
einer Auktion hätte man exklusive<br />
Alu- und Joghurtbecher, bereits ab<br />
4.000 Euro ersteigern können (ein<br />
Genosse hatte 3 Milliarden geboten,<br />
Gott sei Dank wurde, noch bevor<br />
er den Zuschlag erhielt, entlarvt,<br />
dass er über diese Summe seit<br />
der Finanzkrise nicht mehr verfüge).<br />
Gefährlich wurde es jedoch, als<br />
„Angela und Peer“, noch dazu unterstützt<br />
von der Clownsarmee, loszogen,<br />
um die 50 Milliarden, die <strong>im</strong><br />
„Finanzcasino“ verschwunden waren,<br />
zu rauben. Die Ausgeraubten<br />
wurden wenigstens vom Attac Chor<br />
mit seinem abschließenden „Rationalisierungslied“<br />
<strong>im</strong>materiell entschädigt.<br />
Nein –, auch wenn die<br />
Rolle der Luxusgüterproduktion<br />
für die Wirtschaft vielleicht mal einer<br />
längeren Beschäftigung wert<br />
wäre: Dass die demonstrative, um<br />
nicht zu sagen, aggressive Zurschaustellung<br />
eines durch nichts<br />
mehr zu rechtfertigenden Reichtums,<br />
in einer Welt in der alle fünf<br />
Sekunden ein Kind an Hunger<br />
stirbt, um sich erneut an Listl zu<br />
halten, etwas Obszönes hat, ist<br />
schwer zu leugnen. Darum an dieser<br />
Stelle Dank an das Sozialforum,<br />
dass es mit der kreativen Aktion auf<br />
diese Perversion aufmerksam gemacht<br />
hat. J.K.<br />
Wie <strong>im</strong>mer: Millionäre auf der<br />
Messe – das Volk <strong>im</strong> Regen …<br />
… Protest des Münchner Sozial-<br />
forums gegen die Millionaire Fair