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NS-Staatsterror trieb Lindauer Juden 1934 in den Tod

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e<strong>in</strong>zutragen, bzw. nicht zu verbriefen. Als Begründung diente amts<strong>in</strong>tern der Vorwand,<br />

die bei<strong>den</strong> Geschäftsleute wür<strong>den</strong> im Saarland Spen<strong>den</strong>gelder für die SPD und die KPD<br />

sammeln, was se<strong>in</strong>e Grundlage <strong>in</strong> entsprechen<strong>den</strong> Anschuldigungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der<br />

<strong>NS</strong>DAP-Spitzelberichte aus Saarbrücken hatte. Mitte Oktober bestätigte die Politische<br />

Polizei <strong>in</strong> München die Beschlagnahme jeglichen Besitzes der bei<strong>den</strong> Emigranten <strong>in</strong><br />

Deutschland.<br />

Auch die Vorsprachen e<strong>in</strong>es städtischen Gutsverwalters aus Neunkirchen, e<strong>in</strong>es<br />

befreundeten jüdischen Kaufmannes aus Ulm und e<strong>in</strong> Schreiben e<strong>in</strong>es Kölner<br />

Rechtsanwaltes für die Interessen der Gebrüder Herzberger konnten <strong>den</strong><br />

Vernichtungswillen der <strong>L<strong>in</strong>dauer</strong> Behördeleiter und der sie tragen<strong>den</strong> <strong>NS</strong>DAP nicht<br />

bremsen. Allerd<strong>in</strong>gs ermöglichten die L<strong>in</strong>dauaufenthalte der befreundeten Fürsprecher<br />

diesen, im Anschluss an ihre jeweiligen L<strong>in</strong>daubesuche die verfolgten Brüder über <strong>den</strong><br />

Stand der Entwicklung wenigstens halbwegs zu <strong>in</strong>formieren. Auch bemerkte die<br />

Politische Polizei <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dau erst im November, dass die Haushälter<strong>in</strong> von Julius<br />

Herzberger bereits im August das <strong>in</strong> dessen Banksafe bei der Vere<strong>in</strong>sbank verwahrte<br />

Hochzeitssilber treuhändig an die jüdischen Freun<strong>den</strong> der Familie <strong>in</strong> Ulm übergeben<br />

hatte. Das verbliebene Geld von rund 38 Mark beschlagnahmte allerd<strong>in</strong>gs die Polizei.<br />

Julius Herzberger zog im November <strong>in</strong> die „Casa Bellania“ <strong>in</strong> Ascona. Dort traf er se<strong>in</strong>e<br />

Schwester Maria und deren Mann. Montags traf sich hier damals e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Kreis<br />

deutscher Flüchtl<strong>in</strong>ge im Haus von Kunstmäzen Bernhard Mayer. Noch im Januar<br />

schrieb Herzberger an e<strong>in</strong>en freundschaftlich verbun<strong>den</strong>en Bauern <strong>in</strong> L<strong>in</strong>dau-<br />

Schöngarten e<strong>in</strong>en zuversichtlich kl<strong>in</strong>gen<strong>den</strong> Brief, welchen die Postzensur allerd<strong>in</strong>gs<br />

abf<strong>in</strong>g.<br />

Doch nachdem es L<strong>in</strong>daus Bürgermeister Siebert Anfang Februar <strong>1934</strong> gelang, <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

über die dortige Polizei auch noch verbliebene 80 Mark sowie Aktien im Wert von 3400<br />

Mark beim Bankhaus Bett, Simon & Co. zu beschlagnahmen, sah Julius Herzberger<br />

immer weniger die Möglichkeit e<strong>in</strong>er für ihn und se<strong>in</strong>e Frau menschenwürdigen Lösung.<br />

Am 22. Februar berichtet die Tess<strong>in</strong>er Zeitung „Il Cittad<strong>in</strong>o“: „Gestern Morgen<br />

gegen acht Uhr nahm sich e<strong>in</strong> Herr, der Ausländer H.J., 67 Jahre alt, mit e<strong>in</strong>em<br />

Revolverschuss <strong>in</strong> die Schläfe das Leben … Möglicherweise nahm sich Herr H. das<br />

Leben, weil er sich mit e<strong>in</strong>er schweren Nervenkrankheit quälte.“<br />

Se<strong>in</strong>e Frau, Cäcilie Herzberger, lebte 1935 wieder im Haus <strong>in</strong> der Schöngartenstraße 21<br />

und zog 1939 nach Reichenbach im Eulengebirge. Ihr weiteres Schicksal ist bisher<br />

unbekannt.<br />

Bruder Alfons Herzberger erreichte vorbei an <strong>den</strong> Machenschaften der <strong>L<strong>in</strong>dauer</strong><br />

Machthaber, dass e<strong>in</strong> Mitarbeiter der Reichsnährstandsbehörde <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> <strong>den</strong> alten<br />

Hal<strong>den</strong>hof oberhalb des Wannentals kaufen konnte, nachdem die<br />

Beschlagnahmeverfügung der Politischen Polizei <strong>in</strong> München im Juli <strong>1934</strong> wieder<br />

aufgehoben wurde. Die notarielle Verbriefung fand im saarländischen Neukirchen statt,<br />

welches erst im Januar 1935 Bestandteil von <strong>NS</strong>-Deutschland wurde.<br />

© Karl Schweizer<br />

Quellen und Literatur:<br />

• Stadtarchiv L<strong>in</strong>dau: Bayerische Akten II, Sign. BII/93/17 Beschlagnahme des<br />

Herzbergischen Guts auf der Bäuerl<strong>in</strong>shalde“.<br />

• Stadtarchiv Neunkirchen: Altakten A II Nr. 64, p.291 und „Alternativer<br />

Stadtrundgang zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht im November 1988 <strong>in</strong><br />

Neunkirchen“.<br />

• Archivio di Stato del Cantone Tic<strong>in</strong>o: Sechs Zeitungen mit der jeweiligen<br />

<strong>Tod</strong>esmeldung zu Julius Herzberger am 22. 2. <strong>1934</strong>.

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