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Geistliches Wort von Dr. Michael Menke-Peitzmeyer - Erzbistum ...

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Domvikar <strong>Dr</strong>. <strong>Michael</strong> <strong>Menke</strong>-<strong>Peitzmeyer</strong><br />

Paderborn<br />

Das Geistliche <strong>Wort</strong><br />

Das Geistliche <strong>Wort</strong><br />

2. Weihnachtsfeiertag, 26. Dezember 2004<br />

8.05 Uhr – 8.20 Uhr, WDR 5<br />

Stephanus – ein unerschrockener Glaubenszeuge<br />

Heute mit Domvikar <strong>Michael</strong> <strong>Menke</strong>-<strong>Peitzmeyer</strong>. Ich lebe in Paderborn und<br />

und bin dort tätig als Persönlicher Referent und Sekretär <strong>von</strong> Erzbischof Becker. Gu-<br />

ten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer.<br />

Könnten Sie sich ein Fest vorstellen, das niemals aufhört? Ein Fest, das einmal an-<br />

fängt und immer weitergeht, unaufhaltsam, ohne Ende? Man kann es sich eigentlich<br />

nicht so recht vorstellen; ein Fest kommt und ist schön und geht vorüber – so kennen<br />

wir`s, so feiern wir es gerade wieder an Weihnachten und so ist es gut. Und wenn es<br />

anders wäre, wenn es wirklich so etwas wie ein endloses Fest gäbe? Vielleicht würden<br />

wir uns schon nach wenigen Tagen den ganz normalen Alltag zurückwünschen,<br />

das einfache, regelmäßige Leben, ungefähr in der Mitte zwischen Höhe und Tiefe,<br />

die schlichte Normalität irgendeines beliebigen Wochentags. Und wenn die Tage<br />

dann langsam wieder allzu alltäglich und farblos werden, dann ist auch das nächste<br />

Fest bestimmt nicht mehr weit.<br />

Fest und Alltag gehören zusammen, das Besondere und das Gewöhnliche, das Einmalige<br />

und das, was sich wiederholt. Ohne diesen Kontrast gäbe es weder das eine<br />

noch das andere, und wenn es das gäbe, wäre es nicht mehr menschlich und kaum<br />

noch zu ertragen. Und so stellt uns der zweite Weihnachtstag dann auch schon wieder<br />

den Alltag in Aussicht. Der trifft uns allerdings reichlich hart, wenn uns heute die<br />

Schilderung der Steinigung des Stephanus in der Apostelgeschichte begegnet.<br />

Musik I<br />

Nach alter Tradition gedenkt die Kirche am Zweiten Weihnachtstag des Diakons Stephanus<br />

– in diesem Jahr wegen des Sonntags verdrängt durch das Fest der Heiligen<br />

Familie. Der Gegensatz könnte krasser gar nicht sein: Die Liturgie selbst stellt die<br />

1


weihnachtliche Atmosphäre in Frage, indem sie unter dem Glanz der Christbaumkugeln<br />

einen Gesteinigten feiert. Nur eine Nacht und einen Tag lang beschäftigt sie<br />

sich mit der Geburt des Erlösers Jesus Christus, um sofort danach den Tod des ersten<br />

Glaubenszeugen zu verkünden.<br />

Gläubigen Juden in der Umgebung des Stephanus, sind seine geisterfüllten <strong>Wort</strong>e<br />

und Taten im Volk ein Gräuel. Darunter befindet sich auch Saulus, der spätere Völkerapostel<br />

Paulus. So beschließen die Juden, den unbequemen Stephanus aus dem<br />

Weg zu schaffen. Im Sinne der Selbstjustiz machen sie sich auf, um ihn vor den Toren<br />

der Stadt zu steinigen: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ Und: „Herr, rechne<br />

ihnen diese Sünde nicht an!“ das sind die letzten <strong>Wort</strong>e seines Lebens. „Nach diesen<br />

<strong>Wort</strong>en starb er“ heißt es in den Aufzeichnungen, die über ihn in der Apostelgeschichte<br />

zu lesen sind (vgl. Apg 7,54-60). Auf die Geburtsanzeige Jesu in Bethlehem<br />

folgt also die Todesanzeige des Stephanus in Jerusalem.<br />

Im Schicksal des mutigen Glaubenszeugen Stephanus, der den Widerständen des<br />

Lebens standhält, sehe ich auch die Nöte und Sorgen vieler gläubiger und gleichzeitig<br />

bedrängter Menschen <strong>von</strong> heute vor mir. Der Märtyrer als lebendiger „Störfaktor“<br />

steht gleichsam für alle, denen auch in diesem Jahr das Weihnachtsfest keine Perspektive<br />

aufgezeigt, geschweige denn eine Linderung ihrer Lebensnot gebracht hat.<br />

Kerzen und Tannenbäume heben keine einzige Passion auf. Insofern bin ich dankbar<br />

für die störende Unterbrechung <strong>von</strong> Glimmer und Glanz durch Stephanus.<br />

Seitdem ich das Stephanusfest mitfeiere, fasziniert mich, auf welche Weise er mit der<br />

Situation, in die er hineingeworfen wird, umgeht. Viele meiner üblichen Verhaltensmuster<br />

treffen auf ihn nicht zu. Wenn über mich die Menschen mit „den Zähnen knirschen“,<br />

versuche ich möglichst schnell dem Streit zu entkommen. Stephanus resigniert<br />

nicht, er jammert nicht, er flieht nicht, er winselt nicht um Gnade und Barmherzigkeit,<br />

nein: er sieht den Himmel offen. Auf der Erde wartet der sichere Tod, aber er<br />

spricht vom Himmel als seiner neuen Welt. Wahrscheinlich hat seine Reaktion bereits<br />

den Autor der Apostelgeschichte überrascht. Fast erklärend schiebt er ein, dass<br />

über Stephanus die Kraft des Heiligen Geistes gekommen sein müsse. Wie wäre<br />

sonst die Vision vom offenen Himmel zu verstehen, als die Menge „aufs äußerste<br />

über ihn empört war“? In jedem Moment kann der erste Stein fliegen und damit der<br />

2


Anfang vom Ende eingeläutet werden – trotzdem bleibt Stephanus offen für die Zu-<br />

kunft, die Gott bereithält.<br />

Ich frage mich: Woher nimmt ein Mensch wie Stephanus diese Unerschrockenheit,<br />

diesen Mut zu einer Zukunft, die vielen <strong>von</strong> den Jüngern und Wegbegleitern Jesu<br />

durch alle Jahrhunderte bis heute tatsächlich Verfolgung und einen qualvollen Tod<br />

gebracht hat? Denn Stephanus ist nur der erste <strong>von</strong> ungezählten Männern und Frauen,<br />

die ihre Treue zu Jesus Christus mit dem Leben bezahlt haben. Woher nehmen<br />

Christen heute die Kraft durchzuhalten, wenn sie lächerlich gemacht, schikaniert und<br />

benachteiligt werden. Wie kommt es, dass Christen bis in den Tod standhaft bleiben,<br />

wenn sie im Auftrag <strong>von</strong> Diktatoren ermordet werden, weil ihr Einsatz für die Armen<br />

und Unterdrückten den Interessen der Reichen und Mächtigen gefährlich in die Quere<br />

kommt? Die Unerschrockenheit der Jünger <strong>von</strong> damals und der Mut der Frauen<br />

und Männer, die heute ihr Lebensglück und manchmal sogar ihr Leben für das Evangelium<br />

riskieren – dieser Mut muss mit der Botschaft der Heiligen Nacht zu tun<br />

haben; er muss mit jener Botschaft an die Hirten - und nicht nur an sie - zu tun haben:<br />

„Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14) - Friede den Menschen,<br />

die das Gute wollen.<br />

Musik II<br />

Weihnachten ist nicht irgendein Fest, nicht ein Fest, das kommt und ein bisschen zu<br />

Herzen geht und dann auch schnell wieder vorbei ist. Weihnachten ist kein Fest, <strong>von</strong><br />

dem allenfalls ein paar Geschenke, Fotos und vielleicht ein überstrapazierter Magen<br />

übrigbleiben. Weihnachten ist vielmehr ein Fest, wie es in der ganzen Weltgeschichte<br />

einzigartig ist: Wenn in diesem wehrlosen Kind <strong>von</strong> Bethlehem Gott wirklich selbst in<br />

die Welt kommt, dann verändert sich nicht nur etwas, sondern alles. Nichts bleibt<br />

dann, wie es vorher war. Weihnachten ist ein Fest mit Konsequenzen. Allerdings: Die<br />

Konsequenzen <strong>von</strong> Weihnachten fallen nicht einfach vom Himmel, sie müssen wachsen,<br />

merklich und beständig, wie ein Kind wächst; sie müssen sich erst Bahn brechen,<br />

sich durchsetzen gegen die Kruste <strong>von</strong> Jahrhunderten, gegen die Schwerkraft<br />

<strong>von</strong> Gleichgültigkeit und Resignation, gegen die übermächtigen Kräfte des Unfriedens<br />

im Großen und im Kleinen. Jeder weiß: Veränderungen – ob in der Familie oder<br />

unter Freunden und Kollegen – können sehr wehtun, sie bringen Konflikte und<br />

Kämpfe mit sich – und erst die entscheiden, was sich schließlich durchsetzt: das Alte<br />

oder das Neue.<br />

3


Wer sich wie Stephanus der Botschaft und dem Leben Jesu aussetzt, der wird in einen<br />

solchen Kampf verwickelt, in eine Auseinandersetzung zwischen Altem und<br />

Neuem, zwischen Angst und Vertrauen, zwischen Festhalten und Loslassen, zwischen<br />

Zurück und Vorwärts.<br />

Diesen Konflikt zwischen Ja und Nein zugleich muss ich aber nicht nur mit anderen<br />

austragen – nein, diese Spannung steckt ja schon in mir selbst. Ich muss diesen<br />

Konflikt vor allem mit mir selbst austragen, mit meinen vielfältigen Wünschen, die<br />

nicht zusammenpassen, mit meiner Trägheit, die ihre Ruhe haben will, mit meiner<br />

Feigheit, die nur ja nicht auffallen möchte, mit meinem Egoismus, der mich fragen<br />

lässt: Was habe ich da<strong>von</strong>?<br />

Friede den Menschen, die das Gute wollen; Friede den Menschen, die sich doch zutiefst<br />

nach dem Guten sehnen, auch wenn sie immer wieder <strong>von</strong> anderem überwältigt<br />

werden. „Friede auf Erden den Menschen seiner Gnade“ – da<strong>von</strong> zeugt das Licht der<br />

Heiligen Nacht, das hineingestrahlt hat in das Leben des Stephanus - und das auch<br />

in unserem Leben „Lichtblicke“ möglich macht.<br />

Dieser Friede ist allerdings Geschenk, wir können ihn nicht selbst machen oder herbeizwingen.<br />

Aber wir können unterschiedlich mit ihm umgehen: sorgsam und liebevoll,<br />

wie man eben ein kostbares Geschenk behandelt, oder auch unachtsam, leichtfertig,<br />

so als ob es darauf gar nicht ankäme. Es kommt aber darauf an, dass wir den<br />

Frieden pflegen, ja dass wir ihn wachsen lassen: in uns, zwischen uns, zwischen allen<br />

Geschöpfen, zwischen Gott und seiner Welt.<br />

Immer kommt es darauf an, dass wir den Frieden schrittweise einüben, die Verheißung<br />

der Weihnacht gleichsam in kleine Portionen teilen, so dass wir sie annehmen<br />

können, ohne uns gleich daran zu verschlucken. Der Dichter Hermann Hesse meint:<br />

„Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden“.<br />

Das großartige Geschenk des offenen Himmels muss also ständig neu übersetzt<br />

werden in das Maß unserer menschlichen Möglichkeiten.<br />

Selbst im äußeren Unfrieden versuchen, für sich und in seinem Umfeld friedvoll zu<br />

leben – vielleicht liegt darin das Geheimnis jener unerschrockenen, mutigen Gelassenheit,<br />

mit der seit den Tagen des Stephanus ungezählte Christen der Verfolgung<br />

standgehalten haben im Leben und im Sterben!<br />

4


Der unvergessliche Papst Johannes XXIII. hatte <strong>von</strong> Jugend auf eine besondere Be-<br />

ziehung zum Diakon Stephanus. Als junger Student schrieb er in sein Tagebuch:<br />

„Heiliger Stephanus, <strong>von</strong> meiner stillen Kammer aus sende ich dir einen...Gruß brü-<br />

derlicher Verbundenheit, weil du ein junger Mensch warst wie ich und als solcher<br />

starbst, und zwar für dieselbe Sache, für die ich lebe und hoffe. Gib mir <strong>von</strong> deinem<br />

Glauben, deinem Mut, deiner Begeisterung und vor allem <strong>von</strong> deiner unbezwingba-<br />

ren Stärke“ (vgl. Johannes XXIII., <strong>Geistliches</strong> Tagebuch, Freiburg 11. Auflage 1966).<br />

Wenn Weihnachten eines ist, dann wirklich ein Fest mit Folgen. Ein Fest mit Folgen<br />

für den Alltag. Weihnachten – ein Fest für den Alltag. Stephanus, der unerschrocke-<br />

ne Glaubenszeuge: er weist mir den Weg vom Fest in den Alltag, der spätestens<br />

morgen wieder beginnt.<br />

Musik III<br />

[Darin]<br />

Das war das Geistliche <strong>Wort</strong>. Heute aus der katholischen Kirche. Aus Paderborn<br />

verabschiedet sich Domvikar <strong>Michael</strong> <strong>Menke</strong>-<strong>Peitzmeyer</strong>.<br />

5

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