Die Zukunft ist aus Plastik
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TeXT SanDra SChüSSel<br />
<strong>Die</strong> <strong>Zukunft</strong> <strong>ist</strong><br />
<strong>aus</strong> <strong>Plastik</strong><br />
In Dresden bastelt der E-Reader-Hersteller Plastic Logic<br />
an einer Weltneuheit. Ein Blick hinter die Kulissen eines<br />
verschwiegenen Unternehmens.<br />
Drucken – das klingt nach<br />
Tradition, nach Gutenberg<br />
und seinen beweglichen<br />
Lettern. Und doch <strong>ist</strong> es ein<br />
Wort der <strong>Zukunft</strong>. 20 Autominuten<br />
nördlich von Dresden,<br />
mitten im Silicon Saxony, einem<br />
der größten Halbleiter-Produktionsstandorte<br />
der Welt, hat der<br />
E-Reader-Hersteller Plastic Logic<br />
sein Werk. Das Unternehmen<br />
Rachel Lichten (links) von<br />
Plastic Logic führt Börsenblatt-<br />
Redakteurin Sandra Schüssel<br />
den Reader vor<br />
Drum herum nur grüne Wiese: Plastic Logic<br />
eröffnete seine Fabrik 2008 in Dresden<br />
alle © Gaby Waldek<br />
markt 15<br />
druckt elektronische Kunststoff-<br />
Schaltungen auf hauchdünne <strong>Plastik</strong>träger<br />
– die Grundlage für ein<br />
völlig neuartiges Display. Gut möglich,<br />
dass die Revolution der beweglichen<br />
Lettern hier in Dresden ein<br />
zweites Mal stattfindet.<br />
<strong>Die</strong> Fertigungshalle steht inmitten<br />
grüner Wiesen, sie sieht <strong>aus</strong> wie<br />
ein silberner Ikea. Überwachungskameras<br />
reg<strong>ist</strong>rieren jede Bewegung<br />
rund um das Gebäude. Was<br />
genau sich unter dem begrünten<br />
Dach abspielt, <strong>ist</strong> streng geheim.<br />
Sicherheit geht vor: <strong>Die</strong> Überwachungskameras<br />
sehen alles<br />
Keine Führung, keine Fotos. »Sie<br />
wissen ja, die Konkurrenz«, erklärt<br />
Rachel Lichten, Kommunikationschefin<br />
bei Plastic Logic. Zumindest<br />
einen kurzen Film über das Herzstück<br />
der Produktion, den Reinraum,<br />
darf ich sehen. Weiße Roboterarme<br />
hieven fensterhohe Trägerplatten<br />
mit jeweils neun<br />
Kunststoff-Displays von einem<br />
Produktionsschritt zum nächsten.<br />
Laut <strong>ist</strong> es in der 4 000 Quadratmeter<br />
großen Halle, die Ingenieure<br />
in der weißen Schutzkleidung tragen<br />
Ohrenschützer. Der Raum <strong>ist</strong><br />
in ein gelbes Licht getaucht, um lithografische<br />
Prozesse zu ermöglichen.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Plastik</strong>-Displays, so flexibel<br />
wie Overhead-Folien, laufen<br />
als Massenware vom Band. »Alles<br />
<strong>ist</strong> so weit wie möglich automatisiert«,<br />
sagt Lichten.<br />
China <strong>ist</strong> die nächste Station für<br />
die fertigen Displays. Eine Partnerfirma<br />
steckt sie in feste weiße<br />
Rahmen. Biegen kann man den<br />
fertigen Plastic-Logic-Reader<br />
dann nicht mehr. Wieso ei-<br />
33 | 2009 börsenblatt
16<br />
börsenblatt 33 | 2009<br />
markt<br />
gentlich das steife Korsett? »Wir<br />
haben im Vorfeld Kundenbefragungen<br />
durchgeführt«, meint dazu<br />
Rachel Lichten. »Und das Interessante<br />
war: <strong>Die</strong> Befragten wollen<br />
lieber etwas Festes, Robustes.«<br />
Außerdem muss das Gehäuse Batterien<br />
und eine herkömmliche<br />
Platine unterbringen, welche die<br />
Treibersoftware und den Speicher<br />
enthält. Der Traum von einem<br />
roll- oder faltbaren Display geht<br />
also mit diesem Gerät erst mal<br />
nicht in Erfüllung. Noch nicht.<br />
Äußerlich unterscheidet sich der<br />
Plastic-Logic-Reader, den mir<br />
Lichten zum Ausprobieren in die<br />
Hand drückt, nicht groß von seinen<br />
Konkurrenten. Mit etwa 500<br />
Gramm <strong>ist</strong> der Reader nur wenig<br />
leichter als der Kindle DX (540<br />
Gramm), dafür viel flacher. Das<br />
Touch-Display <strong>ist</strong> gerade so groß,<br />
dass es den beschriebenen Bereich<br />
eines A4-Blatts anzeigen kann.<br />
Über WLAN, Mobilfunk oder Kabel<br />
kommen die Inhalte auf den Rea-<br />
der. Wie die me<strong>ist</strong>en anderen Reader<br />
setzt Plastic Logic auf E-Ink.<br />
Das elektronische Papier besteht<br />
<strong>aus</strong> T<strong>aus</strong>enden winziger <strong>Plastik</strong>kapseln<br />
mit schwarzen und weißen<br />
Farbpigmenten. Um die Kapseln<br />
anzusprechen, <strong>ist</strong> eine darunter-<br />
Plastic Logic<br />
Gründung im Jahr 2000 von Forschern des<br />
Cavendish-Laboratoriums der Universität im<br />
englischen Cambridge.<br />
Geschäftsidee Plastic Logic druckt elektronische<br />
Schaltungen auf dünne, bewegliche <strong>Plastik</strong>träger.<br />
Erste Anwendung <strong>ist</strong> ein etwa 6 Millimeter flacher E-<br />
Reader, der Anfang 2010 auf den Markt kommen soll.<br />
Standorte Seinen Hauptsitz hat das Unternehmen<br />
im kalifornischen Mountain View, für Forschung und<br />
Entwicklung <strong>ist</strong> Cambridge zuständig. Dresden <strong>ist</strong> der<br />
Produktionsstandort.<br />
Mitarbeiter weltweit ca. 300, am Standort Dresden<br />
sind es momentan 130, Einstellungen sind geplant.<br />
Kapital mehr als 200 Millionen US-Dollar.<br />
Kapitalgeber sind u.a. Intel, BASF und Siemens.<br />
liegende Steuerelektronik nötig.<br />
Und hier liegt der wichtige Unterschied:<br />
Bei herkömmlichen Readern<br />
<strong>ist</strong> die Steuerung auf eine feste,<br />
zerbrechliche Unterlage montiert.<br />
Bei Plastic Logic tritt eine<br />
dünne Folie mit aufgedruckten<br />
Schaltkreisen an ihre Stelle, ein so-<br />
Auch im Bürogebäude gilt für Besucher: Nicht<br />
ohne die Überziehschuhe<br />
Auf dem berührungssensitiven Display lässt<br />
sich eine Tastatur aufrufen<br />
genannter organischer Dünnfilmtrans<strong>ist</strong>or.<br />
Das macht das Gerät<br />
nicht nur leichter, dünner und stabiler,<br />
sondern auch günstiger in der<br />
Produktion.<br />
Seit einigen Wochen läuft die<br />
Herstellung auf Hochtouren, und<br />
zwar Tag und Nacht. »<strong>Die</strong> Techniker<br />
arbeiten in Schichten, 24 Stunden<br />
am Tag, fünf Tage in der Woche«,<br />
erklärt Lichten. Der Zeitplan<br />
<strong>ist</strong> eng: In den nächsten Monaten<br />
sollen Testnutzer Prototypen erhalten.<br />
Anfang 2010 will Plastic<br />
Logic seinen Reader auf den Markt<br />
bringen. Zunächst in den USA,<br />
später auch in Europa. Zu Preis und<br />
Vertriebsstrukturen schweigt das<br />
Unternehmen, zumindest bis zur<br />
Consumer Electronics Show am<br />
7. Januar 2010 in Las Vegas.<br />
<strong>Die</strong> anspannung <strong>ist</strong> groß, kurz vor<br />
dem Launch. »Es gibt diese Momente,<br />
wenn etwas nicht so läuft,<br />
wie man will. Aber wir haben immer<br />
wieder gesehen, dass wir diese<br />
Berge me<strong>ist</strong>ern«, sagt Lichten. <strong>Die</strong><br />
130 Mitarbeiter <strong>aus</strong> zehn Nationen<br />
halten zusammen, nicht nur in der<br />
Firma, sondern auch in der Freizeit<br />
als Drachenboot-Team, bei dem<br />
Lichten die Trommlerin <strong>ist</strong>. Der<br />
Umgang <strong>ist</strong> locker, man spricht sich<br />
mit Vornamen und »Sie« an. »Wie<br />
Google sind wir aber nicht«, meint<br />
Lichten.<br />
beide © Gaby Waldek<br />
Momentan arbeiten die Techniker<br />
daran, die Ausbeute in der Produktion<br />
zu verbessern. Qualität und<br />
Haltbarkeit stehen auf dem Prüfstand.<br />
<strong>Die</strong> reader-Produktion <strong>ist</strong> für Plastic<br />
Logic nur der Anfang, der Lackmustest<br />
für eine neue Technologie.<br />
Es sind die organischen Halbleiter,<br />
die bei Investoren für glänzende<br />
Augen sorgen. In naher <strong>Zukunft</strong><br />
könnten sie spröde und teure Silizium-Chips,<br />
die Hightech-Geräte<br />
üblicherweise brauchen, ersetzen.<br />
<strong>Die</strong> Industrie hofft auf gedruckte,<br />
biegsame Mikrochips, auf Lampen,<br />
Solarzellen und Displays, die billig<br />
am laufenden Meter vom Band rollen.<br />
Das Potenzial <strong>ist</strong> gewaltig: Auf<br />
335 Milliarden Dollar schätzt das<br />
Beratungsunternehmen IDTechex<br />
den Markt im Jahr 2029.<br />
Zusammen mit Batterien, die es<br />
auch schon als flexible und druckbare<br />
Varianten gibt, wären Kreditkarten<br />
mit aufgedrucktem Display,<br />
animierte Buchcover und Werbeplakate<br />
möglich. Aufgetragen auf<br />
große Flächen, könnten flexible und<br />
transparente <strong>Plastik</strong>-Halbleiter, sogenannte<br />
Oleds, Türen und Regale<br />
zum Leuchten bringen. Entwickler<br />
träumen von Lichtgardinen und<br />
transparenten Anzeigen für die<br />
Windschutzscheibe. Schon heute<br />
bekommt Plastic Logic »fast täglich«<br />
Anfragen <strong>aus</strong> der Industrie<br />
und von Verlagen. Zusammen mit<br />
anderen Unternehmen haben sie<br />
ein Netzwerk gebildet, das Organic<br />
Electronic Saxony.<br />
einige Kinderkrankheiten gibt es<br />
beim Reader noch zu überstehen.<br />
<strong>Die</strong> wabenartige Struktur des<br />
Touch-Displays soll bis zum Marktstart<br />
verbessert werden. Drückt<br />
man zu schnell auf dem Display<br />
herum, streikt der Reader ganz.<br />
»Das Gerät <strong>ist</strong> schon zwei Monate<br />
alt und nicht mehr auf dem neuesten<br />
Stand«, sagt Lichten.<br />
Schon wird es Zeit zu gehen, das<br />
Taxi wartet. Auf dem Rückweg machen<br />
wir noch einen Abstecher zum<br />
Gelände von Qimonda, das nur fünf<br />
Minuten entfernt liegt. Gespenstisch<br />
still <strong>ist</strong> es dort. Der Hersteller<br />
für Silizium-Mikrochips hat im Januar<br />
Insolvenz angemeldet. Viele<br />
ehemalige Angestellte arbeiten<br />
heute bei Plastic Logic. b