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1. Einleitung Die Gesamtheit der Wörter einer ... - Das slavische Verb

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8. LEXIKOLOGIE UND LEXIKOGRAPHIE (<strong>1.</strong> TEIL)<br />

<strong>1.</strong> <strong>Einleitung</strong> 1<br />

2. Lexikalische Bedeutung und ihre Beschreibung 2<br />

2.1 Lexikalische Bedeutung 2<br />

2.2 Vokabel und Lexem 3<br />

2.3 Lexikalische Explikation 3<br />

2.4 Lexikalisches Konzept 5<br />

2.5 Denotation und Konnotation 7<br />

2.6 Lexikographie 7<br />

3. Intralexikalische Paradigmatik: Polysemie und Bedeutungsvarianz 8<br />

4. Interlexikalische Paradigmatik 9<br />

4.1 Formale interlexikalische Beziehungen 9<br />

4.2 Funktionale interlexikalische Beziehungen 10<br />

5. Phraseologie 11<br />

6. Lexikalische Fel<strong>der</strong> 13<br />

7. Lexikalische Stilistik 15<br />

7.1 Stilschicht 15<br />

7.2 Emotional-expressive Färbung 17<br />

7.3 Stilhöhe 17<br />

Literatur 17<br />

Im ersten Teil werden grundlegende traditionelle Begriffe vorgestellt. Im zweiten Teil (Kap. 20) wird<br />

dies vertieft, beson<strong>der</strong>s im Hinblick auf die Beschreibung und Klassifizierung übertragener Bedeutungen<br />

(Metaphern, Metonymien), auf die Explikation lexikalischer Bedeutungen und auf lexikalische<br />

Kategorien. In Kap. 20 gibt es auch eine Liste wichtiger <strong>Wörter</strong>bücher.<br />

<strong>1.</strong> <strong>Einleitung</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Gesamtheit</strong> <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong> <strong>einer</strong> Sprache ohne die grammatischen Derivate bildet ihren<br />

W o r t s c h a t z , ihr V o k a b u l a r . <strong>Die</strong> <strong>Wörter</strong> des Vokabulars mit lexikalischer<br />

Bedeutung bilden ihre L e x i k (auch: ihr Lexikon). <strong>Die</strong> L e x i k o l o g i e<br />

beschäftigt sich im Wesentlichen mit <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> lexikalischen Bedeutungen<br />

<strong>der</strong> Vokabeln und ihren paradigmatischen und ihren syntagmatischen Beziehungen<br />

innerhalb des Wortschatzes.<br />

<strong>Die</strong> beiden Hauptkomponenten <strong>der</strong> Sprache sind Lexik und Grammatik. Während<br />

die Grammatik eher mit <strong>einer</strong> Maschine vergleichbar ist, die aus bestimmtem Input<br />

einen bestimmten Output herstellt, ist die Lexik mit dem Material vergleichbar, das in


2 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

<strong>der</strong> Maschine zu einem bestimmten Produkt verarbeitet wird. Sie ist das Reservoir, aus<br />

dem das sprachlich zu Formende geschöpft wird. Psycholinguistisch gesprochen ist sie<br />

ein ungeheures Netzwerk, das in gewisser Weise einen vergleichsweise geringen Grad<br />

<strong>der</strong> Strukturiertheit aufweist. <strong>Die</strong> Lexikologie sieht ihre Aufgabe darin, in diesem<br />

Netzwerk strukturierte Komponenten zu ermitteln. <strong>Das</strong> geschieht in erster Linie, in dem<br />

alle Arten von Relationen beschrieben werden, in denen eine lexikalische Einheit, also<br />

ein Wort o<strong>der</strong> eine Bedeutung, mit an<strong>der</strong>en lexikalischen Einheiten steht. Daneben<br />

werden auch Mengen lexikalischer Einheiten beschrieben. Es sind Ausschnitte aus dem<br />

Netzwerk, und damit sind sie <strong>der</strong> psycholinguistischen Betrachtungsweise noch näher<br />

als die Beziehungen zwischen einzelnen lexikalischen Einheiten. Auf sie wurde im<br />

Kap. Psycholinguistik eingegangen, so dass hier nur <strong>der</strong> Begriff des lexikalischen<br />

Feldes vorgestellt werden muss.<br />

2. Lexikalische Bedeutung und ihre Beschreibung<br />

<strong>Wörter</strong> bestehen <strong>einer</strong>seits aus Morphemen (mindestens einem), an<strong>der</strong>erseits, wie die<br />

Morpheme, aus <strong>einer</strong> Form und <strong>einer</strong> Bedeutung. Man sagt auch “sie haben eine<br />

(äußere) Form und eine Bedeutung”. <strong>Die</strong> Form ist eine konkrete, d.h. wahrnehmbare,<br />

phonetische o<strong>der</strong> graphische Komponente, die Bedeutung eine ideelle, d.h. reale, aber<br />

nicht direkt wahrnehmbare Komponente.<br />

2.1 Lexikalische Bedeutung<br />

Unter B e d e u t u n g soll unter linguistischen Gesichtspunkten <strong>der</strong> geistige Inhalt<br />

verstanden werden, <strong>der</strong> <strong>einer</strong> sprachlichen Form F und nur ihr regelhaft zugeordnet ist.<br />

Unter funktionalen Gesichtspunkten ist die Bedeutung ein Potenzial semantischer,<br />

pragmatischer, kombinatorischer und stilistischer Funktionen. So gesehen gibt es keine<br />

Bedeutung an sich, son<strong>der</strong>n immer nur eine “Bedeutung von F”. <strong>Die</strong> Bedeutung bildet<br />

zusammen mit <strong>der</strong> sprachlichen Form eine bilaterale (zweiseitige) sprachliche Einheit.<br />

Lexikalisch ist nur diejenige Bedeutung, die selbständig einem Objekt, <strong>einer</strong><br />

Eigenschaft, <strong>einer</strong> aktionalen Situation o<strong>der</strong> eine Relation zugeordnet ist: Nur<br />

Inhaltswörter, also Substantive, Adjektive, <strong>Verb</strong>en und Adverbien (einschließlich <strong>der</strong><br />

entsprechenden Pronomina und Numeralia, s. Kap. Wortarten) haben eine lexikalische<br />

Bedeutung. <strong>Die</strong> lexikalische Bedeutung bildet einen Komplex aus semantischen und<br />

kombinatorischen Funktionen, sehr oft mit weiteren, pragmatischen o<strong>der</strong> stilistischen,<br />

Funktionen. <strong>Die</strong>se Funktionen werden traditionell auf die Komponenten Denotation<br />

und Konnotation verteilt (s.u.). Neben dem hier vorgestellten, gängigen Verständnis<br />

von Bedeutung gibt es in <strong>der</strong> Linguistik und darüber hinaus alle möglichen an<strong>der</strong>en<br />

Interpretationen dieses für die menschliche Sprache konstitutiven Begriffs.<br />

Über die Bedeutung stehen <strong>Wörter</strong> in Relation nicht nur zu unserem Wissen von <strong>der</strong><br />

Welt, son<strong>der</strong>n auch in Relation zu Weltphänomenen selbst (die unter diesem<br />

Gesichtspunkt auch Referenten, Referenzobjekte genannt werden), mit ihnen werden ja<br />

diese Phänomene bezeichnet: Objekte (Personen und Sachen), vgl. otec ‘Vater’, stol<br />

‘Tisch’, Eigenschaften, vgl. belyj ‘weiß’, aktionale Situationen, vgl. pisat’ ‘schreiben’,<br />

und Relationen, vgl. v�era ‘gestern’. Der Bezug zu diesen Weltphänomenen ist ein<br />

semantischer, die Funktion eine Bezeichnungsfunktion. Man sagt bei Vorkommen:


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 3<br />

“Mit dem Wort W wird das referenzielle Phänomen R bezeichnet”, bei Typen: “Mit<br />

dem Wort W kann das referenzielle Phänomen R bezeichnet werden.”<br />

2.2 Vokabel und Lexem<br />

Einem lexikalischen Stamm bzw. einem Wort können eine o<strong>der</strong> mehrere lexikalische<br />

Bedeutungen zugeordnet sein, im letzteren Falle ist das Wort polysem, vgl. golova <strong>1.</strong><br />

‘Kopf’ und golova 2. ‘Haupt, Führungsfigur’ o<strong>der</strong> serdce bol’nogo ‘Herz (des<br />

Kranken)’ und serdce Rossii ‘Herz (Russlands)’, s.u. <strong>Die</strong> sprachliche Form eines<br />

Wortes ohne grammatische Markierung mit d e r bzw. e i n e r lexikalischen<br />

Bedeutung bezeichnen wir als L e x e m (lekséma), die sprachliche Form eines<br />

Wortes mit allen ihren lexikalischen Bedeutungen als V o k a b e l 1 . Im Westen und<br />

oft auch in den <strong>slavische</strong>n Län<strong>der</strong>n wird <strong>der</strong> Ausdruck “Lexem” mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

gleichbedeutend für “Wort” bzw. „Vokabel“ verwendet. In <strong>der</strong> “Moskauer<br />

semantischen Schule”, die weltweit führend hinsichtlich lexikographischer<br />

Beschreibungen ist (für das Russische ist vor allem die Arbeitsgruppe von Ju. D.<br />

Apresjan zu nennen), wird dieser Ausdruck (“leksema”) dagegen verwendet für die<br />

Form eines Wortes mit <strong>einer</strong> bestimmten lexikalischen Bedeutung. In diesem, auch hier<br />

verwendeten Sinne, ist also golova <strong>1.</strong> ‘Kopf’ ein Lexem und golova 2. ‘Haupt,<br />

Führungsfigur’ ein an<strong>der</strong>es Lexem.<br />

2.3 Lexikalische Explikation<br />

Der lexikalische B e g r i f f , d.h. <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> lexikalischen Bedeutung, wird in <strong>einer</strong><br />

E x p l i k a t i o n beschrieben (Bedeutungserklärung, tolkovánie; sie erscheint in<br />

linguistischen Texten in einfachen Anführungszeichen; in <strong>Wörter</strong>büchern in einem<br />

beson<strong>der</strong>en Schriftformat; bei Polysemie werden die Bedeutungen durchnummeriert).<br />

Vgl. zu golova: ‚oberer Teil vom Körper des Menschen, oberer o<strong>der</strong> vor<strong>der</strong>er Teil vom<br />

Körper des Tiers, <strong>der</strong> das Gehirn enthält’ (nach MAS = „Malyj akademi�eskij slovar’“).<br />

<strong>Die</strong> Explikation repräsentiert den Begriff in wissenschaftlicher Form, so wie<br />

phonetische und phonologische Transkriptionen die äußere Form repräsentieren. Als<br />

Sprache <strong>der</strong> Explikation, als M e t a s p r a c h e also, kann die beschriebene o<strong>der</strong> jede<br />

an<strong>der</strong>e Sprache verwendet werden, sie kann mehr o<strong>der</strong> weniger formalisiert sein.<br />

Nach den Bestimmungen <strong>der</strong> Moskauer semantischen Schule (Ju.D.Apresjan, I.<br />

Mel’�uk und viele an<strong>der</strong>e) soll die Explikation diejenigen Komponenten <strong>der</strong> Bedeutung<br />

repräsentieren, die notwendig und zureichend für die Identifikation <strong>der</strong><br />

zu bezeichnenden Phänomene – Objekte, aktionale Situationen, Eigenschaften,<br />

Relationen – sind. Sie repräsentiert also den lexikalischen Begriff. <strong>Die</strong>se For<strong>der</strong>ung gilt<br />

in gleicher Weise für Definitionen wissenschaftlicher Termini. <strong>Die</strong> Explikationen von<br />

<strong>Wörter</strong>n unterscheiden sich von solchen Definitionen jedoch dadurch, dass das in <strong>der</strong><br />

Bedeutung aufgehobene so genannte naive Weltbild <strong>der</strong> Sprecher <strong>der</strong> beschriebenen<br />

Sprache abgebildet werden soll. Linguistische Bedeutungsexplikationen sind<br />

1 TKS: : “Edinicej opisaniä v TKS ävläetsä slovarnaä stat´ä, sootvetstvuüwaä odnoj<br />

LEKSEME ili odnoj FRAZEME: odno slovo ili odno frazeologiçeskoe soçetanie v odnom<br />

znaçenii. Gruppa slovarnyx statej leksem, dostatoçno blizkix po smyslu i imeüwix odno i<br />

to�e oznaçaüwee (= to�destvennuü osnovu), obßedinäetsä v odnu vokabulu.”


4 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

typischerweise empirisch, induktiv und beziehen sich auf alle Wortarten. Definitionen<br />

sind dagegen theoretische, meist auf empirischer o<strong>der</strong> theoretischer Forschung<br />

beruhende Konstrukte. Sie sind häufig axiomatisch, deduktiv und benennen in <strong>der</strong><br />

Regel Merkmale, die a l l e n Elementen <strong>einer</strong> genau abgegrenzten, ungestuften<br />

Klasse und nur diesen gemeinsam sind. Definiert werden meistens Substantive (mehr<br />

zu Definitionen in Kap. 20/<strong>1.</strong>).<br />

Es folgen Beispiele für die Explikationen von blagodarnyj ‚dankbar’ und zavidovat’<br />

‚beneiden’ (s. Apresjan 1974: 107-9; obrazcy tolkovanij; weitere Beispiele für<br />

lexikographische Explikationen im Anhang):<br />

X blagodaren Y-u za Z � ‘Sçitaä, çto Y sdelal X-y dobro Z, X çuvstvuet<br />

sebä obäzannym kompensirovat´ Z slovesnym priznaniem ili otvetnym<br />

dobrym postupkom’ (v slovaräx zdes´ krug - blagodarnyj tolkuetsä çerez<br />

priznatel´nyj i naoborot).<br />

X zaviduet Z-y Y-a � ‘X ne imeet Z-a, i Y imeet Z, i X ispytyvaet<br />

otricatel´nuü qmociü, kauziruemuü �elaniem, çtoby Y ne imel Z-a, a<br />

X imel Z’.<br />

In den beiden russischen Akademie-<strong>Wörter</strong>büchern <strong>der</strong> Nachkriegszeit (dem großen,<br />

BAS, mit 17 und dem kleinen, MAS, mit 4 Bänden) wird als Metasprache die russische<br />

Standardsprache verwendet, also die Sprache, die auch beschrieben werden soll.<br />

Gefor<strong>der</strong>t wird jedoch zunehmend für eine Sprache in <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Metasprache ein<br />

normierter Code. Der kann aus <strong>der</strong> russischen Standardsprache abgeleitet werden und<br />

besteht aus <strong>einer</strong> begrenzten Anzahl von <strong>Wörter</strong>n, Formen und syntaktischen Regeln,<br />

wobei Mehrdeutigkeiten (Polysemien) und Unschärfen getilgt sind. Eine genauere<br />

Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> für funktionale Beschreibungen aller Art so wichtigen Bedingungen für<br />

adäquate Explikationen gibt es im Anhang.<br />

Eine <strong>der</strong> wichtigsten Bedingungen für die Metasprache im Sinne <strong>der</strong> Moskauer<br />

semantischen Schule ist die Vermeidung von zirkulären Explikationen und von<br />

Synonyma (dies gilt natürlich in strengstem Maß auch für Definitionen). Vgl. eine<br />

zirkuläre Explikation mit Synonym in MAS:<br />

vynut´ <strong>1.</strong> ‘dostat´, izvleç´ otkuda-l., iz çego-l. ili peremestit´ iznutri<br />

naru�u’<br />

dostat´ <strong>1.</strong> ‘vzät´ çto-l. naxodäweesä na rasstoänii, izvleç´, vynut´ çto-l.<br />

iz çego-l.<br />

Erst durch wirklich explizite Explikationen ist u.a. die Vergleichbarkeit von Bedeutungserklärungen<br />

gewährleistet. An Explikationen mit standardisierten Beschreibungsverfahren<br />

können z.B. die Unterschiede und Übereinstimmungen in <strong>der</strong><br />

Bedeutung von <strong>Verb</strong>en wie in den folgenden Fällen abgelesen werden:<br />

X katitsja ‘x rollt’<br />

X katit Y-a ‘X bewirkt, dass Y rollt’<br />

X u�itsja (Z-omu) ‘X lernt Z’


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 5<br />

X u�it Y-a (Z-omu)’ ‘X bewirkt, dass Y (Z) lernt’<br />

In den Explikationen des BAS z.B. sind solche systematischen Zusammenhänge<br />

nicht direkt ablesbar, vgl.:<br />

uçit´ ‘peredavat´ komu-libo kakie-nibud´ znaniä, navyki’<br />

uçit´sä ‘usvaivat´ kakie-libo znaniä, ovladevat´ znaniämi, izuçat´ çtolibo’.<br />

Ein Begriff hatte bereits in <strong>der</strong> traditionellen Logik zwei Dimensionen: den<br />

I n h a l t und den U m f a n g (in neurer Sprechweise: Intension und Extension 2 ). Der<br />

Inhalt ist die Menge <strong>der</strong> Merkmale des Begriffs, repräsentiert durch die Explikation<br />

bzw. Definition. Der Umfang ist das, was heute als Kategorie 3 bezeichnet wird – die<br />

Menge <strong>der</strong> Elemente, die dem Begriff zugeordnet werden können. Der Umfang des<br />

Begriffs ‘Haus’ als Typus besteht also aus allen realen und fiktiven, gewesenen,<br />

seienden und zukünftigen Häusern. Der Umfang des Begriffs ‚seines Vaters Haus’ ist<br />

ein bestimmtes Haus. Je mehr Merkmale einem Begriff zukommen, desto kl<strong>einer</strong> wird<br />

<strong>der</strong> Umfang und umgekehrt. Holzhäuser gibt es weniger als Häuser (dies gilt für<br />

Begriffstypen und fast immer auch für Begriffsvorkommen).<br />

In <strong>der</strong> Umgangssprache wird übrigens häufig Begriff für Wort o<strong>der</strong> Ausdruck<br />

gesagt; das sollte vermeiden, wer klar sprechen will. Unprofessionell ist auch das<br />

Heranziehen etymologischer Gedanken für die Explikation von <strong>Wörter</strong>n o<strong>der</strong> Definition<br />

von Termini. So wenig, wie es beim Terminus Akkusativ um Anklagen geht, so wenig<br />

hat das Jägerschnitzel mit Jägern zu tun und Radikale mit einem „an die Wurzel“-<br />

Gehen. <strong>Das</strong> Atom ist nicht unteilbar, Nemcy sind nicht stumm und <strong>der</strong> Instrumental hat<br />

nur entfernt etwas mit Instrumenten zu tun.<br />

Man sprach im Strukturalismus bei Elementen <strong>der</strong> begrifflichen Metasprache in Analogie zu den<br />

phonetischen Merkmalen von semantischen Merkmalen (semantí�eskij príznak). So wäre ‘bewirken’ ein<br />

semantisches Merkmal, ebenso Begriffe wie ‘Mensch’, ‘Tier’, ‘Lebewesen’, u.s.w., auch ‘Fehlen’,<br />

‘Zugehörigkeit’, ‘Vergleich’ usw. <strong>Die</strong>se Merkmale wurden meist abgekürzt, mit Vorzeichen und in<br />

geraden Klammern geschrieben, z.B. [+HUM] für ‘Person / menschlich’, [-CAUS] für ‘nicht kausativ’ in<br />

katat’sja ‘rollen’.<br />

2.4 Lexikalisches Konzept<br />

<strong>Das</strong>, was aus dem Netzwerk <strong>der</strong> Lexik aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>einer</strong> einzelnen lexikalischen<br />

Einheit in den Blick kommt, bezeichnen wir hier als lexikalisches Konzept (s.u.). Ein<br />

lexikalisches Konzept ist die Menge aller konzeptuellen Einheiten, die mit <strong>einer</strong><br />

lexikalischen Bedeutung in Beziehung stehen. Es sind letztlich assoziative Relationen<br />

paradigmatischer und syntagmatischer Art. <strong>Die</strong> Bezugsgröße, quasi den Standort <strong>der</strong><br />

Beschreibung, dieses Netzausschnitts bildet ein Lexem, also die äußere Form <strong>einer</strong><br />

lexikalischen Vokabel mit <strong>einer</strong> bestimmten lexikalischen Bedeutung, z.B. golova 2.<br />

‚Kopf (Salat)’. <strong>Das</strong> Zentrum des lexikalischen Konzeptes bildet die denotative<br />

2 Der Ausdruck Extension wird auch auf Aussagen, und dann auf <strong>der</strong>en Wahrheitswert bezogen, hat also<br />

in diesem Kontext eine an<strong>der</strong>e Funktion.<br />

3 Früher waren damit allgemeine Begriffe wie Raum, Zeit, Kausalität gemeint.


6 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Bedeutung, <strong>der</strong> Begriff. Mit ihm sind die an<strong>der</strong>en Bedeutungen <strong>der</strong> Vokabel, an<strong>der</strong>e<br />

<strong>Wörter</strong> sowie konzeptuelle Einheiten verbunden, z.B. mental gespeicherte Gefühle,<br />

Bil<strong>der</strong>, Bewegungsabläufe und weiteres nichtsprachliches Wissen. <strong>Das</strong> Lexem L und<br />

das mit ihm paradigmatisch und syntagmatisch verbundene formale und funktionale<br />

sprachliche und nichtsprachliche Wissen bilden das lexikalische Konzept von L. <strong>Die</strong><br />

Beziehungen zu an<strong>der</strong>en Lexemen sind formal und funktional, bestehen in<br />

paradigmatischen und syntagmatischen Relationen.<br />

<strong>Das</strong> lexikalische Konzept bietet u.a. die Möglichkeit, das vielfältige lexikologische<br />

Begriffsangebot in einem integralen Zusammenhang, als <strong>der</strong> umfassendste<br />

lexikologische Begriff aus <strong>der</strong> Perspektive eines einzelnen Lexems, vorzustellen. Eine<br />

schematische Orientierung:<br />

Motivationen:<br />

Polysemie<br />

Wortfamilie<br />

Lexikalische<br />

Para- und Syntagmatik:<br />

interlexikalische Beziehungen<br />

lexikalische Kategorien<br />

Selektionsrestriktionen u.a.<br />

Lexikalischer Begriff<br />

mit seinen notwendigen und zureichenden<br />

Komponenten<br />

Welt- und Handlungswissen:<br />

Skripts und Frames<br />

Enzyklopädisches Wissen<br />

Schema: Komponenten eines idealen lexikalischen Konzepts<br />

Konnotationen<br />

im engeren Sinne:<br />

Stilfärbung<br />

Emotional-expressive Färbung<br />

Der Begriff ist das Zentrum eines lexikalischen Konzepts. Er ist das aus <strong>der</strong><br />

Bedeutung, d.h. aus dem funktionalen Potenzial eines Lexems (nicht <strong>einer</strong> ganzen<br />

Vokabel), was notwendig und zureichend ist, damit das gemeinte Weltphänomen<br />

identifiziert werden kann (s.u.).<br />

Polysemie, interlexikalische Paradigmatik (Synonymie, Homonymie usw.) und<br />

Konnotationen (s.u.) bilden traditionell die zentralen Themen <strong>der</strong> Lexikologie.<br />

Polysemie und Wortfamilie – letztere wird im Rahmen <strong>der</strong> lexikalischen Wortbildung<br />

behandelt, s. Kap. X – erfassen die Ableitungsbeziehungen von Bedeutungen und<br />

Formen und haben insofern vieles gemeinsam. Frames und Skripts gehören zum<br />

Bereich <strong>der</strong> Psycholinguistik (s. Kap. x).<br />

Enzyklopädisches, d.h. allgemein verbreitetes Wissen über individuelle und<br />

kategoriale Phänomene und Sachverhaltslogik wurden in <strong>der</strong> Linguistik, zumal <strong>der</strong><br />

Lexikographie, lange Zeit theoretisch ignoriert, praktisch meistens einbezogen. Aber<br />

mit <strong>der</strong> Verfolgung des Ziels, das Verstehen von Äußerungen zu modellieren wurde<br />

deutlich, dass in <strong>der</strong> Erfassung eine unumgängliche, auch für die Linguistik relevante


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 7<br />

theoretische Aufgabe besteht. <strong>Die</strong>ser Herausfor<strong>der</strong>ung haben sich vor allem<br />

kognitionswissenschaftliche Ansätze gestellt.<br />

<strong>Die</strong> meisten dieser Relationen können mithilfe von Assoziationstests ermittelt<br />

werden. <strong>Die</strong>s ist die psycholinguistisch-empirische Parallele zur lexikologischen<br />

Beschreibung, die die sprachlichen Formen, Introspektion und logische Schlüsse,<br />

Grammatik, Korpusarbeit und nicht zuletzt die lexikographischen Vorarbeiten einsetzt,<br />

um die lexikalischen Eigenschaften von Inhaltswörtern zu beschreiben. In<br />

Assoziationstests kommen immer auch individuelle Erfahrungen zum Ausdruck. Sie<br />

gehören ebenfalls zu einem psychologischen Konzept, bleiben aber in linguistischen<br />

Beschreibungen (und auch hier) unbeachtet. Denn es geht um sprachlich relevante und<br />

folglich mit einiger Häufigkeit auftretende Assoziationen. Sie sind auch im Schema<br />

nicht aufgeführt, das nur ideale (= idealisierte) Sachverhalte abbilden soll.<br />

2.5 Denotation und Konnotation<br />

Linguistische Beschreibungen erfassen je nach Zielsetzung Wissen, das Sprecher und<br />

Hörer mit <strong>der</strong> Verwendung eines Wortes aktivieren können. Es ist, wie eben erwähnt,<br />

nicht das gesamte Wissen, an<strong>der</strong>erseits beschränken sie sich keineswegs auf das, was in<br />

<strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>buchexplikation erscheint. Zunächst konzentriert sich die lexikographische<br />

Beschreibung auf den Begriff, d.h. auf die Bestandteile <strong>der</strong> Bedeutung, die notwendig<br />

und zureichend sind, um die Bezeichnungsmöglichkeiten des beschriebenen Wortes zu<br />

erfassen, was traditionell die D e n o t a t i o n (denotative Bedeutung) genannt wird.<br />

<strong>Die</strong> Wissensmengen, die wir sonst noch in <strong>Verb</strong>indung mit einem Wort gespeichert<br />

haben, können – in einem weiten Verständnis des Wortes – als K o n n o t a t i o n e n<br />

angesehen werden. Im engen (und hier verwendeten) Sinne gelten nur die Stilfärbungen<br />

als Konnotationen. <strong>Die</strong> Beschreibung konnotativer Komponenten setzt immer die <strong>der</strong><br />

denotativen voraus.<br />

Unter Zuordnung <strong>der</strong> Begriffe zu traditionellen systemlinguistischen und<br />

psycholinguistischen Sprechweisen könnte man folgende terminologische Parallelen<br />

formulieren (mit: Denotation = Begriff, Konnotation im weiten Sinne):<br />

Denotation + Konnotation = Bedeutung<br />

Begriff + Assoziationen = lexikalisches Konzept<br />

<strong>Die</strong> erste Variante entspricht <strong>der</strong> traditionellen sprachwissenschaftlichen<br />

Sprechweise, die zweite ist psycholinguistisch orientiert. Im Schema des idealen<br />

lexikalischen Konzepts in 2.4 sind diese Ebenen vermengt, weil jeweils die<br />

gebräuchlichsten Ausdrücke für die funktionalen Komponenten verwendet werden.<br />

2.6 Lexikographie<br />

<strong>Die</strong> anwendungsorientierte Schwester <strong>der</strong> Lexikologie ist die Lexikographie. Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Lexikographie ist die Bereitstellung von systematischen Beschreibungen des<br />

Wortschatzes bestimmter Sprachvarietäten o<strong>der</strong> von Teilen daraus in <strong>einer</strong> auf<br />

bestimmte Nutzerkategorien abgestimmten Form. In dieser Hinsicht sind insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Makrostruktur (Struktur des <strong>Wörter</strong>buchs als Ganzes) und die Mikrostruktur<br />

(Struktur eines <strong>Wörter</strong>buchartikels) grundlegende Strukturierungsprinzipien (in


8 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Apresjan 1986: 67f findet sich eine Auflistung aller Informationen, die ein<br />

<strong>Wörter</strong>buchartikel enthalten sollte).<br />

Während die Lexikologie sich meist auf die Beschreibung des aus Inhaltswörtern<br />

bestehenden Teils des Wortschatzes beschränkt, ist <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Lexikographie<br />

<strong>der</strong> gesamte Wortschatz. Insofern kann die Lexikologie als Disziplin angesehen werden,<br />

die einen Teilbereich aus dem Arbeitsbereich <strong>der</strong> Lexikographie bearbeitet, wobei sie<br />

die anwendungsbezogene Aufgabenstellung zugunsten <strong>einer</strong> allgemeinen Beschreibung<br />

all <strong>der</strong> Eigenschaften von Inhaltswörtern, die nicht grammatisch sind, aufgibt.<br />

<strong>Wörter</strong> werden lexikographisch in <strong>der</strong> Form von <strong>Wörter</strong>büchern, auch digitalen,<br />

erfasst. <strong>Die</strong> Typen von <strong>Wörter</strong>büchern spiegeln die Möglichkeiten lexikologischer<br />

Untersuchungen des Wortschatzes wie<strong>der</strong>. So gibt es z.B. <strong>Wörter</strong>bücher zum<br />

Wortschatz <strong>der</strong> russischen Standardsprache insgesamt, zu <strong>Wörter</strong>n einzelner Jargons<br />

wie dem von Studenten o<strong>der</strong> Computerspezialisten, zu Synonyma usw.). Sie sind in <strong>der</strong><br />

Regel alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben geordnet, einige, die grammatisch<br />

o<strong>der</strong> für die Wortbildung relevant sind, auch nach den Endbuchstaben (“a tergo”).<br />

Daneben gibt es thematische <strong>Wörter</strong>bücher, die den ganzen Wortschatz o<strong>der</strong> einen Teil<br />

davon nach Gegenstandsbereichen ordnen. <strong>Die</strong> wichtigsten Titel zu verschiedenen<br />

<strong>Wörter</strong>buchtypen sind unten im Abschnitt „<strong>Wörter</strong>bücher“ aufgelistet. Weitere Typen<br />

von <strong>Wörter</strong>büchern sind Dialektwörterbücher, Onomastische <strong>Wörter</strong>bücher<br />

(Personennamen, geographische Namen usw.), Abkürzungswörterbücher,<br />

Terminologische <strong>Wörter</strong>bücher, Orthographische und orthoepische (Aussprachenorm-)<br />

<strong>Wörter</strong>bücher.<br />

Traditionell enthalten <strong>Wörter</strong>bücher auch grammatische Informationen, vor allem zur Flexion und<br />

Rektion. Mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach einem „ i n t e g r a l e n W ö r t e r b u c h “ steht eine<br />

systematische Ausweitung <strong>der</strong> Grammatik im <strong>Wörter</strong>buch und die gegenseitige Bezugnahme von<br />

Grammatik und <strong>Wörter</strong>buch auf dem Programm (s. Apresjan 1986, 1995, erste umfangreiche<br />

Realisierung im TKS). Von einem integralen <strong>Wörter</strong>buch wird gefor<strong>der</strong>t,<br />

• dass es für Durchschnittsverwen<strong>der</strong> geeignet ist;<br />

• dass Grammatik und Lexik bezüglich <strong>der</strong> Typen <strong>der</strong> enthaltenen Information und formalen Sprachen<br />

ihrer Aufzeichnung aufeinan<strong>der</strong> abgestimmt sind;<br />

• dass es verschiedene Typen von Lexika, z.B. erklärende, Kollokations-, Synonymie-, Phraseologiewörterbücher<br />

in sich vereint.<br />

3. Intralexikalische Paradigmatik: Polysemie und Bedeutungsvarianz<br />

Ein, wenn nicht das zentrale Problem <strong>der</strong> Lexikologie ist die synchrone<br />

Verän<strong>der</strong>lichkeit, die Mehrdeutigkeit <strong>der</strong> Bedeutung. Hat ein lexikalischer Stamm (und<br />

damit ein Inhaltswort) als Typus mehrere lexikalische Funktionen, so sprechen wir von<br />

lexikalischer Alternation. Alternieren lexikalische Bedeutungen, liegt P o l y s e m i e<br />

vor, alternieren verschiedene Funktionen ein und <strong>der</strong>selben lexikalischen Bedeutung,<br />

liegt B e d e u t u n g s v a r i a n z vor. In den Artikeln <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>bücher werden die<br />

Bedeutungen unter einem Stichwort / Lemma meist in nummerierten Absätzen<br />

beschrieben, die Angaben zu Bedeutungsvarianten werden durch kleine Buchstaben<br />

o<strong>der</strong> Symbole, etwa senkrechte Striche, unterschieden.<br />

Für die “lexikalische Bedeutung” eines polysemen Wortes im hiesigen Sinne wird in <strong>der</strong> Russistik<br />

auch leksiko-semanti�eskij variant / lexikalisch-semantische Variante gesagt. Der Ausdruck „Variante“<br />

bedeutet also etwas ganz an<strong>der</strong>es als bei uns “Variante <strong>einer</strong> lexikalischen Bedeutung”. Als Oberbegriff<br />

für “lexikalische Bedeutung” und “lexikalische Bedeutungsvariante” kann <strong>der</strong> Ausdruck “Lesart”


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 9<br />

gebraucht werden, z.B. dann, wenn man sich nicht schlüssig ist, ob eine Bedeutung o<strong>der</strong> eine Variante<br />

vorliegt, was durchaus vorkommen kann. “Lexikalische Alternationen” können damit alternative<br />

Lesarten, alternative Bedeutungen o<strong>der</strong> alternative Bedeutungsvarianten sein.<br />

4. Interlexikalische Paradigmatik<br />

Polysemie und Bedeutungsvarianz betreffen Verhältnisse innerhalb eines Wortes<br />

(intralexikalische Beziehungen), die folgenden Begriffe das Verhältnis zwischen<br />

verschiedenen <strong>Wörter</strong>n, es sind interlexikalische Beziehungen. Im folgenden werden<br />

die wichtigsten interlexikalischen Beziehungen genannt, zunächst solche, bei denen es<br />

um formale Relationen, dann solche, bei denen es um Bedeutungsbeziehungen geht.<br />

Auch Wortbildungsrelationen sind interlexikalisch. Da sie aber formal und funktional<br />

systematischen Charakter haben, werden sie im Rahmen <strong>der</strong> Morphologie behandelt.<br />

4.1 Formale interlexikalische Beziehungen<br />

In den üblichen einsprachigen, so genannten erklärenden <strong>Wörter</strong>büchern, o<strong>der</strong> den<br />

zweisprachigen <strong>Wörter</strong>büchern, welche den Wortschatz o<strong>der</strong> Teile <strong>der</strong> Lexik <strong>einer</strong><br />

Sprache in alphabetischer Reihenfolge aufführen, wird die Beziehung “1 äußere Form :<br />

mehrere Bedeutungen” auf zwei Arten wie<strong>der</strong>gegeben: durch Eintragung mehrerer Bedeutungen<br />

unter einem Stichwort, z.B. rabota - <strong>1.</strong> ‘Tätigkeit’, 2. ‘Ergebnis <strong>der</strong><br />

Tätigkeit’, 3. ... o<strong>der</strong> durch Eintragung jeweils eines Stichwortes für jede Bedeutung,<br />

z.B. <strong>1.</strong> brak ‘Ehe’ und 2. brak ‘Ausschussware’. Im ersten Fall wird ein Wort als<br />

polysem angesehen, im zweiten Fall werden zwei <strong>Wörter</strong> angesetzt und als<br />

Homonyme (omónimy) betrachtet.<br />

Ganz offensichtlich besteht <strong>der</strong> Unterschied darin, dass zwischen den einzelnen<br />

Bedeutungen eines polysemen Wortes ein Zusammenhang gesehen wird, zwischen<br />

denen von Homonymen nicht. Allerdings gehen die Auffassungen <strong>der</strong><br />

<strong>Wörter</strong>buchverfasser, wie beim Ansetzen von Bedeutungen und Bedeutungsvarianten<br />

im Einzelfall, d.h. in <strong>der</strong> Frage, welche <strong>Wörter</strong> jeweils als Homonyme o<strong>der</strong> als polysem<br />

anzusehen sind, auseinan<strong>der</strong>, zum Teil sehr weit. So werden im <strong>Wörter</strong>buch von<br />

O�egov und im Homonymiewörterbuch von Achmanova (1974) dvor ‘Hof’ (‘vor dem<br />

Haus’ usw.) und dvor ‘Hof’ (‘des Zaren’ usw.) als Homonyme aufgeführt. Im russischdeutschen<br />

<strong>Wörter</strong>buch von Bielfeldt gilt dvor als polysem. Entscheidungen zwischen<br />

Homonymie und Polysemie erfor<strong>der</strong>n eindeutige Kriterien für die Feststellung, ob ein<br />

Zusammenhang zwischen zwei Bedeutungen gegeben ist o<strong>der</strong> nicht.<br />

Bezogen auf die Übereinstimmung nur in <strong>der</strong> mündlichen o<strong>der</strong> nur in <strong>der</strong><br />

schriftlichen Form unterscheidet man H o m o p h o n e und H o m o g r a p h e<br />

(omofóny - omográfy): vgl. die Homophone plod - plot, ‘Frucht’ - ‘Floß’, dolgo -<br />

dolga , ‘lange’ - ‘<strong>der</strong> Schuld’ gegenüber den Homographen múka - muká ‘Qual’ -<br />

‘Mehl’.<br />

Paronyme (parónim) werden bedeutungsverschiedene <strong>Wörter</strong>n mit ähnlicher<br />

äußerer Form genannt (�vecija – �vejcarija ‘Schweden – Schweiz’, devu�ka - devo�ka<br />

‘Mädchen (Kind)’ - ‘Mädchen, junge Frau’). Hier wird beson<strong>der</strong>s deutlich, dass sich<br />

Abgrenzungskriterien für die interlexikalischen Beziehungen an bestimmten –<br />

theoretischen o<strong>der</strong> praktischen – Zwecken orientieren sollten, um nicht beliebig zu sein,


10 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

d.h., dass die Termini selbst einen bestimmten Zweck haben müssen. Ein solches<br />

Kriterium wäre bei Paronymen etwa die Gefahr <strong>der</strong> Verwechslung durch bestimmte<br />

Verwen<strong>der</strong>gruppen, etwa Russisch-Lernende.<br />

4.2 Funktionale interlexikalische Beziehungen<br />

Bei Synonymie (sinonimíja) liegt weitgehende Identität <strong>der</strong> Bedeutung vor,<br />

vgl. z.B. vvoz - import, meist ist es nur eine weitgehende Ähnlichkeit (auch “Quasi-<br />

Synonymie”, z.B. trud - rabota). Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen,<br />

dass die Kriterien für die Feststellung von Bedeutungsähnlichkeiten sehr<br />

unterschiedlich ausfallen können, dementsprechend auch <strong>der</strong> Umfang dessen, was in<br />

einem Wortschatz als synonym angesehen wird.<br />

In Opposition zu den Synonymen sind A n t o n y m e (antónim) <strong>Wörter</strong> mit in<br />

irgend<strong>einer</strong> Weise konträrer Bedeutung (vysokij - nizkij, ljubit’ - nenavidet’, du�a - telo,<br />

vgl. dt. hoch - niedrig, lieben - hassen, Körper - Seele). K o n v e r s e Bedeutung<br />

haben Lexeme, wenn sie (bei Wechsel <strong>der</strong> Perspektive) äquivalente Sachverhalte<br />

bezeichnen können, z.B. dat’ ‚geben’ und polu�it’ ‚nehmen’ (X dal Y-u Z – Y polu�il Z<br />

ot X-a); vgl. noch kupit’ ‚kaufen’ – prodat’ ‚verkaufen’, otec ‚Vater’ – syn ‚Sohn’ usw.<br />

Von M e r o n y m i e (meronimija; auch: Partonymie) wird bei <strong>einer</strong> Relation<br />

zwischen <strong>Wörter</strong>n gesprochen, die <strong>einer</strong> Teil-Ganzes-Beziehung entsprechen, vgl.<br />

glaza, rot, usǐ , ... stehen als Bezeichnung <strong>der</strong> Teile in Relation zur Bezeichnung des<br />

Ganzen golova; kuxnja, vannaja, stolovaja, ... – kvartira.<br />

Hyponyme sind Hyperonymen begrifflich untergeordnet, z.B. sind die<br />

Hyponyme dub, lipa, ber�za, �lka ... dem Hyperonym <strong>der</strong>evo untergeordnet. Vgl. noch:<br />

su��estvitel´noe, prilagatel´noe, nare�ie, glagol ... sind Hyponyme zu �ast´ re�i; Rose,<br />

Nelke, Tulpe, Narzisse, ... zu Blume. Taxonomien (s.u. ...) sind Hyponymie-Systeme mit<br />

mehreren Ebenen. <strong>Die</strong> Bedeutung von Hyponymen wird durch die Bedeutung des<br />

Hyperonyms, des Wortes für den Oberbegriff, zusammengefasst, Hyponyme<br />

implizieren die Bedeutung des Hyperonyms, die Bedeutung von Rose impliziert die von<br />

Blume. Der U m f a n g (die Extension) <strong>der</strong> Bedeutung eines Hyponyms, d.h. die<br />

Erscheinungen, die von dem Hyponym bezeichnet werden können, ist ein Teil des<br />

Umfangs <strong>der</strong> Bedeutung des zugehörigen Hyperonyms. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Eichen ist ein<br />

Teil <strong>der</strong> Menge <strong>der</strong> Bäume.<br />

Intralexikalische<br />

Relationen<br />

Interlexikalische Relationen<br />

Bedeutung(en) funktionale Relationen formale Relationen<br />

Monosemie<br />

Synonymie<br />

Homonymie<br />

Polysemie<br />

(durch Modifikation,<br />

Metonymie, Metapher<br />

u.a. motiviert)<br />

Bedeutungsvarianz<br />

Partonymie<br />

Antonymie<br />

Hyponymie<br />

Konverse<br />

Paronymie<br />

Intra- und interlexikalische Paradigmatik


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 11<br />

5. Phraseologie<br />

<strong>Die</strong> Phraseologie (frazeológiä) wird im Russischen oft in Büchern über Lexikologie<br />

behandelt, gehört aber eigentlich zur Syntax, denn P h r a s e o l o g i s m e n<br />

(frazeologízm / frazeologíçeskaä ediníca / frazeologíçeskij oborót;<br />

idióm / idiomatízm) sind mehr o<strong>der</strong> weniger stark “eingefrorene”<br />

Wortkombinationen. Sie können als Produkte <strong>der</strong> Anwendung syntaktischer Regeln<br />

rekonstruiert werden, werden aber nicht mehr durch die freie Kombination von <strong>Wörter</strong>n<br />

entsprechend den synchronen Regularitäten <strong>der</strong> Sprache neu gebildet, son<strong>der</strong>n usuell<br />

mit bestimmten Bedeutungen und bestimmten äußeren Formen reproduziert.<br />

Strukturelle Typen von Phraseologismen sind:<br />

• Substantivfügungen (NP):<br />

wissenschaftliche Termini: slo�noe predlo�enie; fleksiä osnovy<br />

administrative Termini: �eleznaä doroga, attestat zrelosti, socialistiçeskoe<br />

sorevnovanie;<br />

Klischees: bor´ba za mir, türma narodov<br />

an<strong>der</strong>e: kruglyj durak, toçka zreniä<br />

• <strong>Verb</strong>fügungen:<br />

F u n k t i o n s v e r b g e f ü g e (= delexikalisiertes / semantisch entleertes <strong>Verb</strong> +<br />

<strong>Verb</strong>alabstraktum / Nominalisierung): xranit´ molçanie, sdelat´ predlo�enie,<br />

brosit´ vzgläd, nanesti udar, o<strong>der</strong>�at´ pobedu;<br />

an<strong>der</strong>e <strong>Verb</strong>fügungen: bit´ baklu‚i, kupat´sä v zolote<br />

• Sätze:<br />

Sprichwörter: Volkov boät´sä - v les ne xodit´; Ne vse to zoloto, çto blestit.<br />

Geflügelte Worte: Lübvi vse vozrasty pokorny;<br />

an<strong>der</strong>e Sätze: (deneg u menä) kot naplakal ‘(ich habe) sehr wenig (Geld)’<br />

Für die Klassifizierung von Phraseologismen nach funktionalen Gesichtspunkten<br />

werden in <strong>der</strong> Literatur viele Merkmale herangezogen (vgl. Eismann 1999; Kap. 2.2.,<br />

und 3). Es scheint aber sinnvoll, nach den auch für an<strong>der</strong>e lexikalische Zusammenhänge<br />

verbreiteten Begriffen zu arbeiten, nämlich nach dem Prinzip <strong>der</strong> Kompositionalität /<br />

Motiviertheit. <strong>Die</strong>se können wir mit in <strong>der</strong> Phraseologie geläufigen Kriterien 4<br />

verbinden. (<strong>Die</strong> älteren, mehr o<strong>der</strong> weniger auf Vinogradov zurückgehenden<br />

Klassifikationen, vgl. z.B. �anskij 1964: 193-204, von dem die meisten unserer<br />

Beispiele übernommen wurden, eignen sich aufgrund <strong>der</strong> unscharfen Definitionen nicht<br />

gut.)<br />

Phraseologismen sind dann zu definieren als Wortfügungen o<strong>der</strong> Sätze, die nicht<br />

anhand des syntaktisch-semantischen Kompositionalitätsprinzips rekonstruiert werden<br />

können, so dass für die funktionale Rekonstruktion nur die Analyse von<br />

Motiviertheitsbeziehungen in Frage kommt. Der Grund für diese Situation kann sein:<br />

(a) dass ein W o r t nur in <strong>einer</strong> bestimmten <strong>Verb</strong>indung mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n<br />

vorkommt (unikales Wort), z.B. zakadyçnyj (drug) ‘Busenfreund‘, skalit´ (zuby)<br />

4 <strong>Die</strong> im Folgenden genannten Kriterien (a) –(c) beruhen auf <strong>einer</strong> mündlichen Mitteilung von Klaus<br />

Hartenstein, Hamburg.


12 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

‚die Zähne fletschen’, o<strong>der</strong>�at´ pobedu ‘Sieg erringen’, potupit´ golovu ‘(beschämt)<br />

den Kopf senken’.<br />

Während hier jeweils das Substantiv in s<strong>einer</strong> freien (nicht phraseologisch<br />

gebundenen) Bedeutung auftritt und also teilweise motiviert ist (�anskij:<br />

frazeologíçeskoe soçetánie / Phraseologische Fügung), wäre als Spezialfall (a’)<br />

anzusetzen, dass ein Phraseologismus überhaupt nicht synchron motiviert ist, wie bit´<br />

baklu‚i, ‘faulenzen’, auch wenn darin bekannte <strong>Wörter</strong> wie hier bit’ vorkommen, dies<br />

jedoch in <strong>einer</strong> unbekannten (nicht freien) Bedeutung; vgl. auch neroven ças (on<br />

zametit qto) ‘plötzlich’; sem´ pätnic na nedele (u nego) ‘er wirft ständig seine<br />

Entscheidungen um‘ (�anskij:: frazeologíçeskoe srawénie / phraseologische<br />

Verflechtungen);<br />

(b) dass eine B e d e u t u n g eines Wortes nur in <strong>einer</strong> bestimmten <strong>Verb</strong>indung<br />

mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n (in Ausweitung <strong>der</strong> Definition: o<strong>der</strong> nur in <strong>einer</strong> bestimmten<br />

<strong>Verb</strong>indung mit an<strong>der</strong>en Begriffen) vorkommt, z.B. tresku�ij moroz ‚klirren<strong>der</strong> Frost’, v<br />

mgnovenie oka ‘Lidschlag‘, krylo doma ‚Flügel des Hauses’ („gebundene /<br />

idiomatische Bedeutung“ im Gegensatz zur „freien Bedeutung“);<br />

(c) dass für etwas Gemeintes eine bestimmte Ausdrucksform (als Standardform)<br />

bereitsteht (onomasiologisch gebundene / parametrische Ausdrucksform). Hierzu gibt<br />

es ein Kontinuum von vollständig transparenten bis kaum transparenten<br />

Phraseologismen:<br />

socialistiçeskoe sorevnovanie ‚sozialistischer Wettbewerb’;<br />

trudovye uspexi ‘Arbeitserfolge’;<br />

vys‚ee uçebnoe zavedenie ‚Hochschule’;<br />

Lübvi vse vozrasty pokorny ‚Der Liebe ist jedes Alter zu <strong>Die</strong>nsten’<br />

zakinut´ udoçku ‚die Angel auswerfen’ (wörtlich und übertragen), ‚seine Fühler<br />

ausstrecken’,<br />

Ne vse to zoloto, çto blestit ‚Es ist nicht alles Gold was glänzt’<br />

pervyj blin komom (kom ’Klumpen’) ‚Der erste Versuch geht gern mal daneben’<br />

namylit´ golovu ‘den Kopf waschen, gehörig kritisieren’<br />

brat´ sebä v ruki ‚sich zusammennehmen, -reißen’<br />

iz pal´ca vysosat´ ‚sich aus den Fingern saugen, sich ausdenken’<br />

Der zweite Beispielblock enthält Übertragungen, <strong>der</strong> erste nicht, das mittlere<br />

Beispiel kann wörtlich und übertragen verwendet werden. <strong>Die</strong> Bedeutung des<br />

Phraseologismus ist in allen Beispielfällen vollständig motivierbar. Der phraseologische<br />

Charakter besteht hier darin, dass nur diese und keine an<strong>der</strong>e Ausdrucksweise für den<br />

Fügungs- o<strong>der</strong> Satzbegriff verwendet wird. <strong>Die</strong> Beispiele des <strong>1.</strong> Blocks sind<br />

kompositional, jedoch nur im Hinblick auf die Analyse, d.h. es besteht nur eine<br />

semasiologische Kompositionalität. Im Hinblick auf die Produktion, onomasiologisch<br />

gesehen, besteht die Nichtkompositionalität darin, dass genau die Formulierung des<br />

Phraseologismus für den Fügungs- bzw. Satzbegriff zu wählen ist.


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 13<br />

<strong>Die</strong> Klassifizierung ist nicht immer eindeutig. Im folgenden Beispiel könnte sie<br />

Schwierigkeiten machen, es befindet sich im Übergang von Typ (c) zum nicht<br />

motivierbaren Typ (a’):<br />

polo�it´ zuby na polku ‘hungern, elend sein, (wörtlich) die Zähne aufs Regal<br />

legen‘<br />

In <strong>der</strong> westlichen Fremdsprachenvermittlung wird im Zusammenhang mit den<br />

Beschränkungen, die für die lexikalischen <strong>Verb</strong>indungsmöglichkeiten zwischen<br />

<strong>Wörter</strong>n <strong>einer</strong> Fügung gelten, <strong>der</strong> Ausdruck Kollokation verwendet. Kollokationen umfassen<br />

neben phraseologischen Fügungen vom Typ (c) vor allem Beschränkungen <strong>der</strong><br />

<strong>Verb</strong>indbarkeit von <strong>Wörter</strong>n mit an<strong>der</strong>en <strong>Wörter</strong>n. Im Russischen sind zum Beispiel<br />

folgende Kollokationen vorgegeben:<br />

inozemnye obyçai/nravy ‘Gebräuche/Sitten an<strong>der</strong>er Völker’<br />

zagraniçnye tovary ‘ausländische Waren’<br />

inostrannye äzyki ‘Fremdsprachen’<br />

Zagraniçnyj pasport ist ein Pass für das Ausland, inostrannyj pasport ein ausländischer<br />

Pass. Weitere Beispiele im Anhang unter A<strong>1.</strong><strong>1.</strong>2.Z<br />

6. Lexikalische Fel<strong>der</strong><br />

Im Strukturalismus, z.B. von de Saussure, wurde behauptet, dass sprachliche Zeichen<br />

nicht absolut, son<strong>der</strong>n durch ihren “Wert” bestimmt sind, d.h. dadurch, dass sie als<br />

Elemente eines Systems eine bestimmte Position in Relation zu den an<strong>der</strong>en Elementen<br />

dieses Systems haben. Ein Beispiel für ein solches System bzw. für einen Systemausschnitt<br />

aus dem Wortschatz sind die Notenskalen für Schülerleistungen. So sagt,<br />

absolut genommen, çetvörka noch nichts über den Leistungsstand aus, ebenso wenig<br />

wie unsere Note “Vier”. Erst wenn man den “Bedeutungswert” kennt, d.h. das<br />

Gesamtsystem und die relative Stellung von “Vier” zu den an<strong>der</strong>en Noten <strong>der</strong> Skala,<br />

bekommt man ein Bild von dem dadurch bezeichneten Leistungsstand. In Russland<br />

enthält die Notenskala fünf Einheiten, in <strong>der</strong> Zählung ausgehend von “Fünf” (otli�no)<br />

zur “Eins” (o�en’ plocho). Je nach Skalaeinteilung des Notensystems, ob es sechs<br />

Einheiten enthält, wie bei uns, o<strong>der</strong> zwanzig, wie in Frankreich, hat ein Ausdruck für<br />

eine Note also verschiedene Bedeutung. <strong>Das</strong> gilt analog auch für die Bezeichnung <strong>der</strong><br />

Leistung durch Adverbien wie choro�o, befriedigend usw.<br />

Ähnlich, wenn auch insgesamt komplizierter, verhält es sich mit den Bezeichnungen<br />

von Farben. Bekanntlich ist das Spektrum des Sonnenlichts ein Kontinuum, so dass es<br />

keine physikalischen Kriterien für das gibt, was man noch als blau o<strong>der</strong> schon als grün<br />

bezeichnen soll. Allerdings gibt es physiologische Ursachen dafür, dass fast alle<br />

Sprachen sehr wohl einen Unterschied z.B. zwischen Blau und Grün machen. <strong>Das</strong><br />

Russische freilich hat da, wo wir nur von blau und grün sprechen, die drei<br />

Bezeichnungen sinij – goluboj – zelenyj. Beiden Wortparadigmen liegt ein und<br />

desselben physikalische Farbenspektrum zu Grunde. Es geht bei sinij – goluboj nicht<br />

um einen Unterschied zwischen einem ‘Dunkelblau’ und ‘Hellblau’, also um den


14 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

jeweiligen Anteil von ‘Weiß’, son<strong>der</strong>n um eine unterschiedliche Einteilungen eines<br />

Kontinuums im Russischen und Deutschen.<br />

Systeme von paradigmatischen Bedeutungen, die sich in begrifflicher Nachbarschaft<br />

in einem Bezeichnungssystem befinden, werden lexikalische F e l d e r (póle) genannt.<br />

<strong>Die</strong> Betrachtung von Fel<strong>der</strong>n ist vor allem für die Beschreibung von Lexemen für<br />

ideelle, sensumotorisch nicht wahrnehmbare, Erscheinungen nützlich. Für die<br />

Unterschiede in <strong>der</strong> Intensität und an<strong>der</strong>e Abstufungen seelischer Schmerzen scheint es<br />

noch weniger objektive Anhaltspunkte zu geben als für Farben. Zur Bestimmung <strong>der</strong><br />

Bedeutung von toska sollte daher das Feld <strong>der</strong> <strong>Wörter</strong> für ‘seelischen Schmerz’ herangezogen<br />

werden und toska vor allem von den <strong>Wörter</strong>n grust’, pe�al’, gore, skorb’,<br />

kru�ina abgegrenzt werden. Dabei sind <strong>einer</strong>seits die Überlappungen <strong>der</strong> Bedeutungen<br />

dieser <strong>Wörter</strong> in Rechnung zu stellen, an<strong>der</strong>erseits die Tatsache, dass jedes dieser<br />

<strong>Wörter</strong> auf <strong>der</strong> Systemebene einen “Ausschnitt” (und nicht einen Punkt) aus <strong>der</strong> Skala<br />

<strong>der</strong> Gefühle des seelischen Schmerzes darstellt. Im Text kann die jeweilige Art des<br />

Schmerzes genauer eingegrenzt sein. Es ist jeweils ein bestimmter Bereich, und er führt<br />

dazu, dass z.B. �echov für seine Erzählung über den Kutscher, dessen Sohn gestorben<br />

ist, als Überschrift “Toska” wählt und damit beim Leser eine ganz bestimmte<br />

Vorstellung erreicht. <strong>Die</strong>se Vorstellung wäre nicht erreichbar durch grust’ o<strong>der</strong> pe�al’,<br />

die ein weniger starkes, eher vorübergehendes Gefühl ausdrücken, bei pe�al’ mit leicht<br />

poetischer Schattierung, auch nicht mit gore o<strong>der</strong> skorb’, die stärker den Anlass<br />

seelischen Schmerzes, ein Unglück, einen Verlust, in den Vor<strong>der</strong>grund stellen, skorb’<br />

wie<strong>der</strong>um in an<strong>der</strong>er, angehobener Stilhöhe. Noch deutlicher weicht das in <strong>der</strong><br />

Volksdichtung gebräuchliche kru�ina stilistisch von <strong>der</strong> neutralen Stilhöhe ab, auf <strong>der</strong><br />

toska angesiedelt ist. Auch diese noch recht groben Abgrenzungen im Feld ‘seelischer<br />

Schmerz’ machen deutlich, dass es bei <strong>Wörter</strong>n dieser Art weniger um eine absolute<br />

Umschreibung <strong>der</strong> Bedeutung gehen kann, als um die Feststellung des<br />

Bedeutungswertes, d.h. <strong>der</strong> semantischen und stilistischen Unterschiede zu den<br />

Nachbarn in diesem Feld.<br />

Wenn wir die Bestimmung eines Bedeutungswertes durch den Bezug auf Nachbarn<br />

im lexikalischen Feld “relativ” nennen, dann können wir von “absoluter” Bestimmung<br />

sprechen, wenn die Explikation ohne den ausdrücklichen Verweis auf die Feldnachbarn<br />

auskommt, wenn also die Explikation nur aus Elementen <strong>einer</strong> Metasprache besteht,<br />

z.B. die Explikation von u�it’ durch ‘peredavat´ komu-libo kakie-nibud´ znaniä,<br />

navyki / an jemanden irgendwelche Kenntnisse, Fertigkeiten weitergeben’, die das<br />

BAS (außer <strong>der</strong> Umschreibung mit dem Synonym obu�at’ kogo-libo) gibt. Ob eine<br />

bestimmte Bedeutungsbestimmung besser relativ o<strong>der</strong> absolut sein sollte, hängt sehr<br />

davon ab, was mit dem Wort bezeichnet wird. Oft wird es sinnvoll sein, beide<br />

Bestimmungsweisen gleichzeitig anzuwenden, oft wird keine <strong>der</strong> beiden etwas bringen<br />

(z.B. für elementare Sinneserfahrungen, auditive wie Klirren, Klingeln, Klingen,<br />

Klötern, Tönen, Läuten; hier wird man vor allem die Subjekte, die das Geräusch<br />

erzeugen, zur Bestimmung heranziehen). <strong>Die</strong> Vorstellung, eine Bedeutung sei<br />

ausschließlich o<strong>der</strong> auch nur primär relativ zu bestimmen, also durch ihr Verhältnis zu<br />

den paradigmatischen Feld-Nachbarn, ist eine <strong>der</strong> Übertreibungen von Strukturalisten.<br />

Deutlich zeigt sich dies z.B. an Verwandtschaftsbezeichnungen /-terminologie, vgl.<br />

otec, mat´, syn, doç´, ded, babu‚ka, zät´, ... , die eine beson<strong>der</strong>s klare Struktur zu<br />

bilden scheinen (und die zugleich die verschiedene Strukturierung ein und <strong>der</strong>selben


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 15<br />

semantischen „Substanz“ in verschiedenen Sprachen demonstrieren sollten). <strong>Die</strong><br />

Verwandtschaftsbezeichnungen <strong>einer</strong> Sprache bilden in <strong>der</strong> Regel eine logische<br />

Struktur mit dem „Ego“ als gemeinsamem Referenzpunkt, <strong>der</strong>en Einheiten sich durch<br />

Oppositionen von wenigen s e m a n t i s c h e n M e r k m a l e n wie ‘männlich’,<br />

‘weiblich’, ’Abkomme von ...’ beschreiben lassen. <strong>Die</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Sprache erfasst<br />

im Gefolge <strong>der</strong> sozioökonomischen Verän<strong>der</strong>ungen auch die Verwandtschaftsterminologie,<br />

so dass von <strong>der</strong> klaren Eleganz dieses Felds nicht mehr viel übrig bleibt.<br />

Viele Termini sind heute vielen Russen unbekannt o<strong>der</strong> undeutlich präsent (vgl. die<br />

Befragung von Rathmayr 1980: 140ff):<br />

svökor , svekrov´ ‘Vater / Mutter des Ehemanns’; test´, töwa ‘Vater / Mutter<br />

<strong>der</strong> Ehefrau’ von fast allen richtig umschrieben;<br />

dever´ ‘Bru<strong>der</strong> des Ehemanns’ und ‚urin ‚Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ehefrau’ von weniger als<br />

50% richtig umschrieben;<br />

zät´ von fast allen, aber nur in <strong>der</strong> Bedeutung ‘Mann <strong>der</strong> Tochter’; Levin (s.<br />

ebd.): für alle Arten von Schwager;<br />

nevestka ‘Frau des Sohnes’ dito, aber von den 1950-60 Geborenen zur Hälfte<br />

auch in <strong>der</strong> Bedeutung ‚Frau des Bru<strong>der</strong>s’ (also eine generationsmäßig bedingte<br />

Überschneidung);<br />

svoäk als ‘Mann <strong>der</strong> Schwester <strong>der</strong> Frau’ unbekannt, wenn angegeben, dann als<br />

‘Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Frau’.<br />

7. Lexikalische Stilistik<br />

<strong>Die</strong> lexikalische Stilistik ist ein traditioneller Bereich <strong>der</strong> Lexikographie im Übergang<br />

zur Soziolinguistik und <strong>der</strong>en Varietätensystem. Synonymwörterbücher, erklärende,<br />

zweisprachige u.a <strong>Wörter</strong>bücher enthalten Informationen über stilistische Eigenschaften<br />

<strong>der</strong> <strong>Wörter</strong>, z.B. zu da ‘und’ razg(ovornoe slovo), orat´ ‘laut sprechen’<br />

prostor(eçnoe slovo), vsledstvie ‘infolge’ kni�n(oe slovo), oralo ‘Pflug’<br />

ustar(eloe slovo). <strong>Die</strong>se so genannten Stilvermerke (stilistí�eskie pométy) beziehen<br />

sich auf Stilfärbungen (stilistí�eskaja okráska / -oe okra�énie). Sie haben verschiedenen<br />

Charakter, meist verfügt ein Wort über mehrere dieser Charakterzüge gleichzeitig:<br />

• die Stilschicht<br />

• die emotional-expressive Färbung<br />

• die Stilhöhe<br />

7.1 Stilschicht<br />

<strong>Die</strong> häufigsten Termini für stilistische Merkmalhaftigkeit verweisen auf die Stilschicht<br />

und beziehen sich auf die Zugehörigkeit <strong>der</strong> sprachlichen Einheiten zu den Varietäten<br />

<strong>der</strong> Ethnosprache Russisch, beson<strong>der</strong>s auf die Angemessenheit im Hinblick auf den<br />

Standard, die literatursprachliche Norm. Ein Wort kann diesbezüglich stilistisch neutral<br />

o<strong>der</strong> stilistisch merkmalhaft sein. Im letzteren Fall stammt es aus einem bestimmten<br />

Funktionsbereich innerhalb o<strong>der</strong> außerhalb <strong>der</strong> Standardsprache, dessen „Aura“ ihm<br />

anhaftet, z.B. die des Dialektalen (Ländlichen), des Ungebildeten, Professionellen,


16 Volkmar Lehmann: Linguistik des Russischen<br />

Bürokratischen, Feierlichen. <strong>Die</strong>se Aura hat eine wertende und eine expressive<br />

Komponente. Beispiele für Färbung nach Stilschicht (vs. obwenarodnaä leksika):<br />

• Professionalismen (professionalizmy): skal´pel´, alibi, kombajn, ‚apka<br />

‚Überschrift für mehrere Zeitungsartikel’;<br />

• umgangssprachliche <strong>Wörter</strong>: razgovornaja leksika (çepuxa ‚Unsinn’) o<strong>der</strong><br />

prostore�naja leksika (na-/stuçat´ ‚denunzieren’);<br />

• <strong>Wörter</strong> mit dialektaler Färbung (dialektizm / oblastnoe slovo ‚regionales Wort’,<br />

z.B. bach�á ‚Melonenfeld in <strong>der</strong> Steppe’); erscheint in <strong>der</strong> schönen Literatur um<br />

z.B. für Milieu-Authentizität u.ä. zu sorgen.<br />

Wie im Kap. Soziolinguistik erwähnt, stehen <strong>der</strong> städtische Substandard (das<br />

Prostore�ie) und die Dialekte, sowie Son<strong>der</strong>sprachen bestimmter Berufe o<strong>der</strong> sozialer<br />

Gruppierungen wie Studenten, Geheimsprachen außerhalb <strong>der</strong> literatursprachlichen<br />

Norm. Razgovornaja Re�’ (Standardumgangssprache) dagegen ist die prinzipiell<br />

mündlich realisierte Varietät <strong>der</strong> Standardsprache. Hat ein Wort den Stilvermerk<br />

„razg.(ovornoe slovo)“, steht es nicht außerhalb <strong>der</strong> literatursprachlichen Norm, kann<br />

aber nicht ohne speziellen Effekt in schriftsprachlichen Funktionalstilen verwendet<br />

werden, weil es d o r t die „Aura“ des Umgangssprachlichen besitzt. Noch stärker ist<br />

<strong>der</strong> Effekt, wenn <strong>Wörter</strong> aus einem Substandard in schriftsprachlichen Texten<br />

verwendet werden.<br />

Wenn also Stilvermerke in erklärenden o<strong>der</strong> zweisprachigen <strong>Wörter</strong>büchern wie<br />

prost., argo, obl.(astnoe slovo) auf die Zugehörigkeit zu sozialen o<strong>der</strong> regionalen<br />

Varietäten außerhalb <strong>der</strong> Standardsprache verweisen, bedeutet dies immer, dass die mit<br />

diesem Vermerk versehenen <strong>Wörter</strong> zwar in Texten <strong>der</strong> Standardsprache verwendet<br />

werden, dort aber aufgrund ihrer Stilfärbung einen Son<strong>der</strong>status haben. Es sind usuell<br />

gewordene, und in die Standardsprache integrierte stilistische Anomalien, sie haben<br />

innerhalb <strong>der</strong> normorientierten Rede jedoch ihren „Zitatcharakter“ behalten („Zitat“ aus<br />

<strong>einer</strong> an<strong>der</strong>en Varietät). <strong>Die</strong> Realisierung ist immer an die entsprechende, meist so<br />

genannte expressive Funktion gebunden, z.B. die Verwendung eines bestimmten<br />

prostore�ie-Wortes an die Funktion des Schimpfwortes.<br />

Mit den Stilschichten kommen also die verschiedenen Ebenen des Normsystems <strong>der</strong><br />

Ethnosprache Russisch ins Spiel. „Zitatcharakter“ bzw. expressive Funktion haben<br />

stilistisch gefärbte <strong>Wörter</strong> jedoch nur dann, wenn sie in einem Stilbereich verwendet<br />

werden, dem sie nicht zugehören. In ihrem angestammten Stilmilieu sind sie neutral,<br />

wie z.B. mundartliche <strong>Wörter</strong> in einem mundartlichen Text unbemerkt bleiben. <strong>Das</strong><br />

heißt, dass sich die stilistische Markiertheit erst außerhalb des angestammten<br />

Stilbereichs bzw. außerhalb <strong>der</strong> angestammten Varietät erweist. <strong>Wörter</strong>bücher, die das<br />

Vokabular <strong>einer</strong> bestimmten Varietät erfassen (Medizin, Razgovornaja re�’, Dialekt,<br />

Studentensprache usw.) sind daher kein Gegenstand <strong>der</strong> lexikalischen Stilistik, son<strong>der</strong>n<br />

soziolinguistischer Lexikographie.<br />

Eine zusätzliche Stilschicht neben denen <strong>der</strong> Standardumgangssprache und <strong>der</strong><br />

Substandards, nämlich eine zeitliche, kommt mit Vermerken wie ustar.(elyj) ‚veraltet’<br />

in die Liste <strong>der</strong> Stilschichten. Sie markieren Archaismen. Vermerke wie cerk.(ovno)kni�n.(oe<br />

slovo) ‚kirchen<strong>slavische</strong>s Wort’ verweisen ebenfalls auf eine archaistische<br />

Stilschicht. Es handelt sich dann um <strong>Wörter</strong>, die nicht, wie die meisten <strong>Wörter</strong>


8. Lexikologie und Lexikographie (<strong>1.</strong> Teil) 17<br />

kirchen<strong>slavische</strong>r Herkunft, so in das mo<strong>der</strong>ne Russisch integriert sind, dass die<br />

Sprecher sich dieser Tatsache sehr oft nicht mehr bewusst sind.<br />

7.2 Emotional-expressive Färbung<br />

Stilvermerke wie neodobr.(ítel´noe slovo) o<strong>der</strong> tor�.(éstvennoe slovo)<br />

verweisen auf die emotional-expressive Färbung eines Wortes (qmocional´noqkspressivnoe<br />

okra‚énie). <strong>Die</strong> Verwendung solcher <strong>Wörter</strong> ist freilich meist an<br />

Stilschichten gebunden. Im Unterschied zu den stilistisch gefärbten <strong>Wörter</strong>n, die<br />

aufgrund ihrer Verlagerung aus dem angestammten Stilbereich expressiv werden,<br />

tragen diese i m m e r eine expressive Färbung. Hinsichtlich <strong>der</strong> stilistischen Wertung<br />

ist damit <strong>der</strong> logische Unterschied zu machen, ob Wertung sich auf die Zugehörigkeit<br />

zu <strong>einer</strong> bestimmten Varietät (mit hohem o<strong>der</strong> niedrigem Prestige) bezieht o<strong>der</strong> auf das<br />

bezeichnete Phänomen. Bei den <strong>Wörter</strong>n selbst sind oft beide Komponenten<br />

kombiniert: kljá�a ‚Mähre’ ist zum einen ein Wort <strong>der</strong> Standardumgangssprache, <strong>einer</strong><br />

Varietät, zum an<strong>der</strong>en wird damit jedenfalls kein edles Rennpferd benannt, es sein<br />

denn, das Wort wird als Schimpfwort benutzt.<br />

Beispiele für expressive Stilfärbung sind buchsprachliche <strong>Wörter</strong> / kni�naä<br />

leksika: bessmertie, vostor�estvovat´ (= pobedit´), gräduwij (= buduwij)<br />

o<strong>der</strong> poqtiçeskaä leksika (lanity, persy, usta, �rebij, prelestnyj,<br />

predavat´sä).<br />

7.3 Stilhöhe<br />

Emotional-expressiv gefärbte <strong>Wörter</strong> sind meist auch merkmalhaft im Hinblick auf eine<br />

an<strong>der</strong>e Art <strong>der</strong> Stilfärbung, die <strong>der</strong> S t i l h ö h e , <strong>einer</strong> ebenfalls bewertenden, aus <strong>der</strong><br />

Vergangenheit <strong>der</strong> Sprachstilistik stammenden Begriffsskala. Sie umfasst meist die<br />

Termini<br />

vysókij ‚hoher’ / sre´dnij ‚mittlerer’ / nízkij, sní�ennyj ‚niedriger’ Stil.<br />

<strong>Die</strong> Skala <strong>der</strong> Stilhöhen geht auf das historische System <strong>der</strong> Stile zurück, das im 18. Jh. u.a. von<br />

Lomonosov aus dem Westen importiert und im Hinblick auf die damalige schöne Literatur des<br />

Russischen ausformuliert worden war. Es ist im Laufe <strong>der</strong> Zeit auf die russische Literatursprache<br />

insgesamt bezogen und den jeweiligen kulturellen Vorstellungen angepasst worden. <strong>Die</strong> Termini<br />

implizieren aber bis heute mehr o<strong>der</strong> weniger ausgeprägt eine Bewertung im Sinne von ‚höher = besser’.<br />

U.a. wegen dieser mit <strong>der</strong> hoch-niedrig-Orientierung verbundenen sozialen Wertung sind diese<br />

Begriffe von weniger belasteten, funktional orientierten Begriffen abgelöst worden. Mit <strong>der</strong> die<br />

Stilhöhen ersetzenden Stilschichtung wird die stilistische Funktion unter dem Gesichtspunkt<br />

<strong>der</strong> Zugehörigkeit eines Wortes zu <strong>einer</strong> Varietät betrachtet.<br />

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