Die Geschichte eines Nazi Gegners, der kurz vor ... - Herbert Winkler
Die Geschichte eines Nazi Gegners, der kurz vor ... - Herbert Winkler
Die Geschichte eines Nazi Gegners, der kurz vor ... - Herbert Winkler
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Die</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>eines</strong> <strong>Nazi</strong> <strong>Gegners</strong>, <strong>der</strong> <strong>kurz</strong> <strong>vor</strong> Kriegsende 1945 hingerichtet wurde.<br />
Recherchen vom Neffen <strong>Herbert</strong> <strong>Winkler</strong> Köfering<br />
Mein Onkel und Taufpate Ludwig Hirn wurde Opfer <strong>der</strong> <strong>Nazi</strong>-Herrschaft. Er war ein Einzelkämpfer gegen<br />
Hitler, er wurde wegen s<strong>eines</strong> Wi<strong>der</strong>standes <strong>kurz</strong> <strong>vor</strong> Kriegsende 1945 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der<br />
aus ärmlichen Verhältnissen stammende Ludwig, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> meiner Mutter Anna <strong>Winkler</strong>, wurde am<br />
19. November 1918 in Kiefenholz Kreis Regensburg geboren. <strong>Die</strong> Familie verzog nach Köfering, wo er mit<br />
seinen weiteren Geschwistern aufwuchs. Nach einer unterbrochenen Schlosserlehre bewarb er sich 1935 als 18-<br />
Jähriger noch als Landarbeiter in einem Anwesen in Hausen. Als Junger gesun<strong>der</strong> Bursche wollte er möglichst<br />
bald sein eigenes Geld verdienen und <strong>der</strong> Mutter nicht mehr auf <strong>der</strong> Tasche liegen. Daher bewarb er sich 1936<br />
bei <strong>der</strong> Deutschen Wehrmacht, er wollte Flieger werden. Nachdem Ludwig alle Hürden geschafft hatte,<br />
verpflichtete er sich am 30.04.1937 für die Dauer von vier Jahren zu <strong>Die</strong>nstleistungen bei <strong>der</strong> Luftwaffe.<br />
Am 25.4.1939 kam schon Post aus Böblingen/ Stuttgart, wo er bereits beim 1. Jagdgeschwa<strong>der</strong> 433, Staffel 2 im<br />
Einsatz war. Weitere Briefe erreichten uns dann im Oktober 1939 aus <strong>der</strong> Postsammelstelle Hannover<br />
Feldpostnummer 27976. Im März 1940 folgt ein weiterer Brief aus Langenhagen II. unter <strong>der</strong> Feldpostnummer<br />
16239 Luftpostamt Hamburg I. In den Briefen führt er auf, dass er den Krieg und die Einsätze in Polen (1939)<br />
schon nicht gemocht hat, aber es wird noch schlimmer kommen. Im Juli 1940 schreibt er wie<strong>der</strong> aus Hamburg,<br />
dass die ganze Flugmannschaft öfter die Luftschutzkeller aufsuchen mussten, wenn sie nicht gerade in <strong>der</strong> Luft<br />
waren. In <strong>der</strong> Zwischenzeit trat die Führeranweisung Nr. 17 vom 1. August 1940 in Kraft, am folgenden Tag<br />
ergeht die Weisung durch Reichsmarschall Hermann Göring zum Angriff “Adler“. <strong>Die</strong> Bomber <strong>der</strong> Luftflotte 2.<br />
und 3. fliegen fast 500 Einsätze, die Jäger fliegen 1000 Einsätze gegen die Britischen Inseln. 1940 wird Ludwig<br />
Vater, <strong>der</strong> Sohn Hans wurde als lediges Kind geboren, es wuchs teils bei <strong>der</strong> Großmutter in Köfering auf. Im<br />
Dezember 1940 schreibt er schon von Heirat, er möchte das Mädel heiraten, die ihm ein Kind schenkte.<br />
Der Krieg ist bereits voll entbrannt, nach dem Einmarsch in Polen wurden auch weitere Län<strong>der</strong> angegriffen. Bei<br />
<strong>der</strong> Luftschlacht gegen England verlor die Luftwaffe 1.733 Maschinen samt Besatzungen. <strong>Die</strong> Royal Air Force<br />
verlor 915 Maschinen. Weil die Deutschen keine Erfolge in <strong>der</strong> Luft erringen konnten, versuchten sie am 24.<br />
August 1940 die Angriffe direkt auf London zu richten und warfen Bomben auf das Stadtgebiet von London. Ein<br />
Vergeltungsschlag am 25., 26. und am 29. August 1940 auf Berlin <strong>der</strong> Royal Air Force brachte schwere Verluste<br />
für Deutschland.<br />
Mein Taufpate<br />
Nun kam ich ins Spiel, am 9.10.1941 wurde ich geboren, Ludwig war nicht nur mein Onkel son<strong>der</strong>n wurde<br />
Taufpate und Namenspate und zugleich. Ich kenne ihn lei<strong>der</strong> nur aus Bil<strong>der</strong>n, soweit ich in Erfahrung bringen<br />
konnte, war er zweimal in Deggendorf, wo wir damals wohnten.<br />
Abwurfverweigerung<br />
In diesem Zeitraum fällt auch die Abwurfverweigerung des deutschen Flugpiloten Ludwig Hirn, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />
Flotte 2., Staffel 2. zwar in Richtung England flog, aber dann <strong>vor</strong> dem Zielort kehrt machte und keine Bomben<br />
auf unschuldige Englän<strong>der</strong> abwarf, son<strong>der</strong>n unverrichteter Dinge zum Stützpunkt nähe Bordeaux zurückkehrte.<br />
Ich bin mir fast sicher, dass die Entscheidung nicht allein von ihm ausging, son<strong>der</strong>n die ganze Staffel dahinter<br />
stand. Jedenfalls wurde ihm diese Verweigerung zum Verhängnis, denn sie brachte ihn wegen Verrat und<br />
Befehlsverweigerung in Untersuchungshaft. Ich kann mir gut <strong>vor</strong>stellen, dass die Inhaftierung nicht einfach war,<br />
viel Leid und Schmerz verursachte, zumal man mit <strong>Nazi</strong> Gegnern nicht gerade zimperlich umging. Zum an<strong>der</strong>en<br />
konnte er aber von Glück reden, denn in <strong>der</strong> Regel wurden solche Verstöße sofort mit dem Tode bestraft.<br />
Liebeserklärung<br />
Jedenfalls setzte Ludwig 1941 noch das Tüpfel auf das i, als er eine Liebeserklärung an den Führer richtete, er<br />
malte an einen Balken seiner Baracke (vermutlich im Untersuchungsgefängnis) die Worte „Deutschland alles<br />
Scheiße – Hitler verrecke“. Ab dieser Zeit ging es Ludwig noch schlechter, zwischenzeitlich war es 1941, denn<br />
dann tauchen erstmals amtliche Belege vom 31.1.1942 aus Greifswald auf, dass er vom Obergefreiten zum<br />
Flieger mit Wirkung vom 15.12.1941 degradiert wurde und als Berufssoldat ausgeschieden ist, aber im<br />
Gefängnis landete.<br />
Arrestanstalt Quedlinburg<br />
<strong>Die</strong> nachfolgenden Briefe kamen dann schon aus <strong>der</strong> Arrestanstalt Quedlinburg, wobei er sehr zuversichtlich ist<br />
und bald wie<strong>der</strong> frei sein wird. Am 18. März 1942 erscheint ein weiteres amtliches Schreiben aus Quedlinburg<br />
mit dem Hinweis, dass sich <strong>der</strong> Flieger Ludwig Hirn in <strong>der</strong> hiesigen Arrestanstalt wegen „staatsfeindlicher<br />
Äußerungen“ in Untersuchungshaft befindet. <strong>Die</strong> aus- und eingehenden Briefe wurden bereits zensiert und als<br />
Absen<strong>der</strong> wird das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin angegeben. Im gleichen Brief schreibt
Ludwig, dass er eine Erfindung herausgebracht hat, wenn ich es gebaut habe, das Modell und es klappt, was ja<br />
bereits feststeht, dann ist unsere Lebensexistenz gesichert. Es ist dasselbe, führt er weiter aus, wo meine Brü<strong>der</strong><br />
Hans und Mathias schon lange hingearbeitet haben, bei denen funktionierte es jedoch nicht. Auf die Erfindung<br />
ist er weiter nicht eingegangen.<br />
Ludwig ist immer noch im Gefängnis<br />
Ludwig schickt im Juni 1942 ein Paket nach Deggendorf, in dem sich seine Uniform befindet, die er anscheinend<br />
wegen <strong>der</strong> Degradierung ablegen musste. Der Absen<strong>der</strong> lautete Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin.<br />
Das Urteil<br />
Am 12. August 1942 schreibt <strong>der</strong> Luftwaffenbefehlshaber Mitte, dass die Strafsache gegen den Flieger Ludwig<br />
Hirn v. 7./ Fliegerausbildungsregiment 42, Quedlinburg, wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz<br />
AZ. 3K.St.L. 296/42 das Feldgericht des Höheren Fliegerausbildungskommandos 3.<br />
Verfügung. Ich bestätige das Feldurteil des Feldgerichtes des Höheren – Flieger – Ausbildungs – Kommandeurs<br />
3. vom 16. Juli 1962 gegen den Flieger Ludwig Hirn. Das Urteil ist zu vollstrecken.<br />
<strong>Die</strong> seit dem 16.April 1942 verbüßte Freiheitsentziehung ist auf die Strafzeit anzurechnen.<br />
Das Dokument ist abgezeichnet und Unterschrieben von - Generaloberst Weise.<br />
Das Feldgericht schreibt an die Mutter Katharina Hirn nach Köfering<br />
Das Feldgericht Berlin – Willmersdorf teilt am 25.08.1942 mit, dass Ludwig Hirn, wegen Angriffe auf Staat und<br />
Partei und zum Schutze auf die Parteiuniform in Tateinheit mit Vergehen nach § 1 dieses Gesetzes zu 8 Monaten<br />
Gefängnis verurteilt wurde. Ihr Sohn befindet sich z. Z. im Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Berlin Tegel.<br />
Des Weiteren gibt es mehrere Briefkontakte zwischen Ludwig und seiner Schwester, doch nach 8 Monaten kam<br />
er nicht frei, warum konnte ich jedoch nicht ermitteln. Der Briefkontakt reißt dann teilweise ab, die von<br />
Deggendorf abgesendeten Briefe kommen zurück. 1943 und 1944 kommen vereinzelt Briefe durch.<br />
Als <strong>eines</strong> <strong>der</strong> wichtigsten Dokumente ist sein privates Bord-Tagebuch <strong>vor</strong>handen, in dem viele technische<br />
Eintragungen und beson<strong>der</strong>e Kontakt-Adressen eingetragen sind. <strong>Die</strong>ses Taschenbuch trägt die letzten<br />
Eintragungen von 1943, wie das Tagebuch in unserem Besitz kam, ist mir nicht bekannt, womöglich hat er das<br />
Buch bei einem seiner letzten Besuche in Köfering hinterlassen, denn hier wurde er von <strong>der</strong> SS aufgegriffen, als<br />
ihn Gemeindebürger verraten haben.<br />
Am 10.8.1943 schreibt Ludwig aus Königsberg<br />
Dabei schreibt er seiner Mutter, er hat 65 R Mark <strong>der</strong> Kompanie zum Versenden gegeben, <strong>der</strong> Brief ist aber ohne<br />
Geld in Köfering angekommen, das Geld wurde vermutlich vom Absen<strong>der</strong> unterschlagen. Mutter soll sich bei<br />
<strong>der</strong> <strong>Die</strong>nststelle <strong>der</strong> Geldp. Nr. 3924 B erkundigen, wo das Geld abgeblieben ist. Als Feldpostnummer wurde<br />
L 16239 Paris angegeben.<br />
Am 28.11.1943 erreicht uns in Deggendorf ein kl<strong>eines</strong> Briefchen, Abs. O.U. F.P. Nr. 29213 A Stempel vom<br />
29.11.43, darin schreibt er, dass er Weihnachten doch nicht kommen kann, schicke mir ein Paar Zigaretten.<br />
Weiter schreibt er: Hoffentlich ist <strong>der</strong> Krieg bald <strong>vor</strong>bei, damit wir uns alle wie<strong>der</strong> gesund treffen können.<br />
Eine <strong>der</strong> letzten Nachrichten vom 18.12.1944 an meine Mutter zeigt deutliche Spuren <strong>der</strong> Verzweiflung, die<br />
winzigen Zettel, mehr Abfallpapier als Briefpapier, sind mit Zensurstempel, Adler und Hakenkreuz versehen,<br />
als Absen<strong>der</strong> wird Fliegerhorst Hermsdorf 2, Horstkomp. Brieg angegeben.<br />
Hitlers Todesgeschwa<strong>der</strong><br />
Schnell entledigt sich das SS- Todesgeschwa<strong>der</strong> um Adolf Hitler von unliebsamen Wi<strong>der</strong>standskämpfern, die in<br />
verschiedenen KZ Lagern und Feldlagern verteilt einsitzen. Für Ludwig Hirn kam die Hilfe zu spät, denn einige<br />
Tage zu<strong>vor</strong>, noch im Januar 1945 konnte die Rote Armee z. B. das Todeslager Auschwitz befreien. Meine<br />
Vermutung liegt nahe, dass man ihn wegen seiner Erfindung so lange eingesperrt und am Leben ließ, als aber die<br />
Kriegslage aussichtslos erschien, hat man ihn wegen einer mir nicht benannten Straftat (vielleicht Ausrede <strong>der</strong><br />
SS) o<strong>der</strong> aber wegen einer früheren Straftat, per 17.1.1945 zum Tod verurteilt.<br />
Das Todesurteil<br />
Am 21.2.1945 kommt eine amtliche Mitteilung aus dem Feldgericht O.U., anzunehmen, dass es sich um Berlin<br />
Tegel handelt. Dabei wird mitgeteilt: das gegen den Straflagerverwahrten Flieger Ludwig Hirn, wegen <strong>der</strong> von<br />
ihm begangenen Straftat am 17.1.1945 vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt wurde. Das Urteil ist nach<br />
Bestätigung durch den zuständigen Gerichtsherrn am 20.2.1945 vollstreckt worden. <strong>Die</strong> Bestattung erfolgte auf<br />
dem Friedhof in Butschowitz/ Mähren. Todesanzeigen o<strong>der</strong> Nachrufe in Zeitungen, Zeitschriften und<br />
<strong>der</strong>gleichen sind verboten.
Abschiedsbrief von Ludwig Hirn, <strong>vor</strong> seiner Hinrichtung an seine Mutter<br />
Der amtlichen Meldung vom 21.2.1945 lag <strong>der</strong> Abschiedsbrief vom 20.2.1945 von Ludwig Hirn bei, in dem er<br />
schreibt: Mit dem heutigen Tage werde ich von den irdischen Qualen erlöst. Ich habe die heiligen<br />
Sakramente empfangen und sterbe mit meinem Gott. Erziehe meinen Jungen gut, das ist mein letzter<br />
Wunsch. Der letzte Gruß für meinen Hanserl. Dein Sohn Ludwig.<br />
Ende des Deutschen Reichs<br />
Über den kompletten und detaillierten Ablauf gibt es trotz <strong>der</strong> 40 <strong>vor</strong>handenen Briefe sehr viele offene Fragen,<br />
die ich trotz intensiver Recherchen nicht beantworten kann, fest steht aber, dass sich die NS Schergen und<br />
fanatischen Hitlertreuen noch <strong>vor</strong> Kriegsende von unliebsamen Hitlergegnern durch die Todesstrafe trennten.<br />
Der Selbstmord Adolf Hitlers am 29.4.1945 beendete den sinnlosen Krieg mit <strong>der</strong> bedingungslosen Kapitulation<br />
am 17.5.1945, am 9.5.1945 endete das Deutsche Reich.<br />
<strong>Die</strong> Bil<strong>der</strong> zeigen den Bomberflieger Ludwig Hirn aus Köfering<br />
Das Urteil vom Luftwaffenbefehlshaber<br />
Einer <strong>der</strong> letzten Briefe von Ludwig Der letzte Brief <strong>vor</strong> seiner Hinrichtung