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Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2013-10

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

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38 Zoom<br />

Interview mit dem „Lautsprecher Gottes“:<br />

Prälat Wilhelm Imkamp<br />

Herr Prälat, was ist ein Spießer?<br />

Ein Spießer ist immer und jederzeit ein Konformist,<br />

er tut, was man tut, und lässt, was man lässt. Ein<br />

Spießer ist immer ein Dackel des Zeitgeistes.<br />

Nun schließen sich katholisch und spießig allerdings<br />

nicht immer aus.<br />

Spießer passen sich immer an, wenn die Kirche gerade<br />

Konjunktur hatte, gab es durchaus das Phänomen,<br />

dass Spießer auch in der Kirche zu finden waren. Was<br />

aber immer unterschätzt wurde, ist das nonkonformistische<br />

Potential des Katholizismus. Die katholische<br />

Kirche ist immer unabhängig geblieben, sie ist nie<br />

im Staat und nie in der Gesellschaft aufgegangen.<br />

Das liegt auch im Wesen der Kirche begründet, das<br />

Urchristentum entstand in einer gesellschaftlichen<br />

Atmosphäre, die der heutigen hedonistischen Atmosphäre<br />

gar nicht so fern ist.<br />

Dann könnten Sie ja froh sein, wenn Sie die<br />

Spießer los sind.<br />

Ich würde sagen, es herrscht sogar eine positive<br />

katholische Konjunktur, schauen Sie sich den Papstwechsel<br />

an, schauen Sie sich die Päpste der letzten<br />

zwanzig Jahre an.<br />

Wieso dann der Mitgliederschwund?<br />

Diese Frage ist typisch deutsch, global gesehen<br />

wächst die Kirche. Nennen Sie mir eine Institution,<br />

die zweihundert Jahre lang solche Spitzenleute hatte,<br />

wie die katholische Kirche! Religion hat Konjunktur,<br />

besonders dann, wenn sie ihr nonkonformistisches<br />

Potenzial aktiviert.<br />

Aber der Katholizismus stand und steht doch<br />

nicht in Opposition zum Staat.<br />

Doch, denn der Katholizismus ist nie im Staat<br />

aufgegangen, er hat sich bemüht, mit dem Staat<br />

zusammenzuarbeiten. Jeder Staat hat den Versuch<br />

gemacht, die Kirche einzukassieren, das ist den orthodoxen<br />

Kirchen und den kirchlichen Gemeinschaften<br />

der Reformation passiert, die katholische Kirche<br />

wurde aber nie zur Staatskirche.<br />

Nennen Sie ein Feld, in dem die katholische<br />

Kirche heute nonkonformistisch ist.<br />

Wir grenzen uns, was das Leben angeht, scharf vom<br />

Mainstream ab. Wir sind für unbedingten Lebensschutz,<br />

vom ersten Moment an bis zum letzten<br />

Atemzug. Bei uns Katholiken wird es nie das Prinzip<br />

des sozialverträglichen Ablebens geben!<br />

Was würden Sie eigentlich zu einem Buch mit<br />

dem Titel: „Sei kein Spießer, sei moslemisch!“<br />

sagen?<br />

Den Islam kann man nicht mit dem Katholizismus<br />

vergleichen, da er kein nonkonformistisches Potenzial<br />

hat, sondern auf gewaltsame Konformität setzt. Der<br />

Islam ist in der Regel oder im Idealfall identisch mit<br />

dem Staat.<br />

Wenn Sie sagen, dass sich der Islam gewaltsam<br />

ausgebreitet hat, wie sehen Sie die heutigen<br />

Tendenzen des Islam?<br />

Das ist eine ganz schwierige Situation. Ich glaube,<br />

man kann nicht von einem Islam sprechen, denn er<br />

ist in sehr verschiedene Konfessionen geteilt. Zudem<br />

gibt es im Islam keine zentrale Autorität, deswegen<br />

sind Dialogbemühungen mit dem Islam extrem<br />

schwierig.<br />

Dann ist der Islam ein Phantom.<br />

Exakt, das ist auch eine gute Begründung für die hierarchische<br />

Struktur der katholischen Kirche. Bei uns<br />

gibt’s einen Boss, da weiß man, wo es langgeht.<br />

Ist der Islam Partner, Konkurrent oder Gegner ?<br />

Der Islam und das Christentum haben sicher einen<br />

gemeinsamen Gegner, das ist die hedonistische,<br />

weltliche, säkulare und im wahrsten Sinn des Wortes<br />

gottlose Gesellschaft.<br />

Was ist so schlecht an einer gottlosen Gesellschaft<br />

?<br />

Eine gottlose Gesellschaft ist in der Gefahr, alles zu<br />

machen, was technisch möglich ist. Eine Gesellschaft,<br />

in der Gott nicht mehr vorkommt, ist gottvergessen.<br />

Dort werden irgendwann als Werte nur noch Börsenwerte<br />

wahrgenommen und die einzige Moral ist die<br />

Steuermoral.<br />

Da würde jetzt ein atheistischer Humanist sagen:<br />

Wir haben auch ohne Religion Werte.<br />

Der atheistische Humanist hat große Werte, aber sie<br />

wechseln ständig, sie sind mit jeder Wetterlage anders.<br />

Wir sollten nie vergessen, dass gottlose Gesellschaften<br />

immer auch mit Massenmord zu tun haben.<br />

Die französische Revolution, die den Massenmord<br />

gesellschaftsfähig gemacht hat, der kommunistische<br />

Totalitarismus und der Nationalsozialismus.<br />

Ist der real existierende Kapitalismus auch<br />

gottlos?<br />

Das ist er in der Tat! Der Kapitalismus ist eine<br />

Perversion des Denkens und zu Ende gedacht führt<br />

der Kapitalismus zur Selbstauflösung. Er muss<br />

moralisch und sozial gebändigt werden, wenn das<br />

nicht geschieht, geht alles den Bach runter. Auch da<br />

sieht man wieder, wie notwendig der Glaube ist. Der<br />

Kapitalismus ist immer in Gefahr, zu einer strukturellen<br />

Sünde zu werden.<br />

Wie kann man den Kapitalismus zähmen?<br />

Indem man die Menschen zu Gott führt, die Eliten<br />

dürfen keine gottlosen Funktionärseliten oder Managersöldner<br />

sein, sie müssen Menschen sein, die ein<br />

gebildetes Gewissen haben, die sich verantwortlich<br />

für andere fühlen und auch verantwortlich vor Gott.<br />

Die Finanzkrise ist für mich eine zutiefst moralische<br />

Krise der Elite, die veröffentlichten Gespräche<br />

von Bankern während der Krise offenbaren eine<br />

Perversion des Denkens, das sind Gespräche aus der<br />

Vorhölle. Reichtum ist nie ein Selbstzweck, da wo<br />

Reichtum zum Selbstzweck wird, zur Finanzierung<br />

eines brutalen Egoismus, ist er schwer sündhaft.<br />

Sie haben mal gesagt, es gäbe in der herrschenden,<br />

politisch korrekten Meinung heimliche<br />

Dogmen, können Sie welche nennen?<br />

Es gibt unter dem Vorwand der Berufung auf das<br />

Menschenrecht die Aushebelung des Naturrechts. Die<br />

ganze Diskussion um die Homo-Ehe, die Ehe überhaupt.<br />

In dem Moment, in dem ich die Gesetzgebung<br />

zur Homo-Ehe kritisiere, werde ich als homophob<br />

bekämpft und eine Diskussion über das Thema ist<br />

gar nicht mehr möglich. Wer sich diesem Mainstream<br />

entgegenstellt, verschwindet in einer Schweigespirale.<br />

Deutschland hat keine Debattenkultur, es hat<br />

eine Empörungskultur. Das erinnert mich manchmal<br />

in Wortwahl und Inhalt an die Fatwas islamischer<br />

Großmuftis.<br />

Was ist gegen die Homosexualität aus kirchlicher<br />

Sicht einzuwenden?<br />

Schauen Sie im Katechismus der katholischen Kirche<br />

unter diesem Stichwort nach. Papst Franziskus hat in<br />

einem großen Interview genau das gesagt.<br />

Was sagt der Katechismus denn ?<br />

Die ausgeübte Homosexualität ist gegen die Natur<br />

und ist schwer sündhaft.<br />

Sie sagten: „In der kirchlichen Landschaft überwiegt<br />

eine Mischung aus pubertärem Übermut<br />

und präseniler Weinerlichkeit.“ Wo geht es in der<br />

kirchlichen Landschaft pubertär zu, wo senil?<br />

Beides geht prächtig zusammen, lesen Sie nur die<br />

Memoranden, die in den letzten Jahren in der Diözese<br />

<strong>Augsburg</strong> geschrieben worden sind, da trifft das<br />

genau zu.<br />

Worüber wird geweint?<br />

Über die böse Struktur der Kirche, dass die Laien zu<br />

wenig mitzureden hätten, Rom zu zentralistisch wäre,<br />

man endlich die Frauen zu Diakonen und Priestern<br />

weihen solle, dass mehr Demokratie in die Kirche rein<br />

müsste. Diese Leute haben die Geschichte verschlafen.<br />

Diese Rätestruktur ist doch eine Schaufensterveranstaltung,<br />

wen repräsentieren diese Räte denn?<br />

Die Gläubigen?<br />

Wenn man von den Teilnahmezahlen an den Wahlen<br />

ausgeht, wohl kaum. Die katholische Kirche in<br />

Deutschland beschäftigt sich zu sehr mit sich selbst.<br />

Womit soll sie sich sonst beschäftigen?<br />

Mit der Missionierung und Bekehrung der Ungläubigen<br />

und der Gläubigen! Wir müssen den Leuten<br />

klarmachen: Wenn ihr nicht als Sofakartoffel enden<br />

wollt, ist der beste Weg, der Weg in die Kirche.<br />

Das hilft gegen Sofakartoffelismus?<br />

Natürlich, wer richtig katholisch ist, ist intellektuell<br />

nie abgeschlafft, weil man immer bereit sein muss,<br />

über seinen Glauben Rechenschaft abzulegen.<br />

Sie haben den Kirchenkritikern mal penetrante<br />

emotionale Inkontinenz vorgeworfen.<br />

Wenn man etwas gegen das Frauenpriestertum<br />

sagt, sind führende Funktionäre und Funktionärinnen<br />

betroffen, das ist die Betroffenheitskeule.<br />

Dann wird gesagt: Was sie da sagen, macht mich<br />

betroffen!<br />

Und dann sagen Sie...<br />

Das ist auch gut so!<br />

Apropos Betroffenheit, wie finden Sie Claudia<br />

Roth?<br />

Claudia Roth ist sicherlich eine Betroffenheitslyrikerin<br />

von durchaus apokalyptischen Ausmaßen (lacht).<br />

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