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Rede zur Ausstellung "Tora, Tora, Tora" , Galerie Clemens Thimme ...

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<strong>Rede</strong> <strong>zur</strong> <strong>Ausstellung</strong> "<strong>Tora</strong>, <strong>Tora</strong>, <strong>Tora</strong>" , <strong>Galerie</strong> <strong>Clemens</strong> <strong>Thimme</strong>, Karlsruhe, Juni<br />

2010<br />

Shigeru Hasegawa, O Jun, Mari Ota, Yoko Ooga<br />

GIBT ES EIGENTLICH ZEN IN JAPAN ?<br />

werde ich in Deutschland oft gefragt, wenn Leute erfahren, daß ich recht regelmäßig in Japan bin.<br />

Um das zu beantworten:<br />

Es gibt ihn tatsächlich, er ist aber nur eine von vielen buddhistischen Schulen und Strömungen und<br />

sehr hermetischen Geheimleeren, die nach wie vor praktiziert werden und denen es dank eines<br />

Systems der Unterstützung durch bemittelte Schüler auch gut geht.<br />

Japan ist besetzt mit Klischees und falschen Vorstellungen.<br />

Tatsache ist:<br />

die Japaner im Allgemeinen, besonders natürlich die in den Städten, leben seit dem Ende des zweiten<br />

Weltkrieges ein "unangemessenes" und frustrierendes amerikanisiertes Leben unter einem Druck, den<br />

ein Europäer oder Amerikaner brüsk ablehnen würde und nicht ohne weiteres durchstehen könnte.<br />

Japaner eigentlich auch nicht - das erklärt für mich deren großes demographisches Problem.<br />

So sagt ausgerechnet einer der Stars der pathetischen japanischen "Mantel und Degen"-TV-Serien,<br />

die alle in der langen Epoche des Tokugawa-Shogunats, also in einer Zeit der selbstgewählten<br />

Isolation Japans spielen, als der Kaiser noch in Kyoto residierte und der über ihn siegreiche Shogun<br />

boshaft den noch schöneren Palast vor dessen Nase baute, in einem Interview, erschöpft in seiner<br />

Garderobe, beim Abschminken: "Wir sind Fremde im eigenen Land."<br />

Wenn man die alten Hauptstädte Nara oder Kyoto besucht, glaubt man eine nicht verwunderliche<br />

Parallelität zu Europa zu sehen:<br />

die Instrumentalisierung der Religion.<br />

Der Todaiji-Tempel, die Halle des großen Buddah in Nara, ist eine ungeheuerliche Konstruktion, war<br />

in seiner Ursprungsform das bis heute größte je existente Holzgebäude der Welt; die regelmäßigen<br />

Erdbeben konnten ihm nichts anhaben, ein Feuer dann leider doch. Jetzt steht da eine leicht<br />

verkleinerte Version, die in ihren Ausmaßen immernoch völlig unglaublich ist - Weltkulturerbe,<br />

Touristen und Schulklassen ziehen täglich zu hunderten und tausenden durch.<br />

In einer der Holzsäulen der Halle gibt es eine quer hindurch geschnittene Öffnung, die einen direkten<br />

Zugang zum buddhistischen Paradies verspricht - wenn man hindurchpasst.<br />

Die japanischen Lehrer und ihre Schulklassen machen sich einen Spaß daraus, am Fließband die<br />

aufgeregten Schüler bis 12 Kopf voran unter ziemlicher Lärmentwicklung hineinzuschieben und vom<br />

anderen Ende wieder herauszuziehen....<br />

Das ist ein lustiges Gruppenerlebnis, sichtbar aufregend und ernst für die Schüler (wie jedes gute<br />

Spiel ernst ist...) - und unvermittelt entsetzlich für die, die zu oft bei McDonalds waren...<br />

-viel entsetzlicher für ein japanisches Kind, als irgendetwas 'gruppendynamisches' für ein<br />

europäisches Kind sein kann, denn die erste, größte gefühlte Pflicht für jeden Japaner ist, <strong>zur</strong> Gruppe<br />

dazuzugehören und mit der Gruppe mitzugehen...<br />

Aber:


insgesamt steht der japanische Nudelküchen-Koch genau so in diesem 10 000 Tonnen schweren<br />

Wunderwerk wie z.B. der römische Pizzabäcker im Petersdom......<br />

Es berührt unter der Oberfläche, macht schüchtern und stolz zugleich, ist viel zu groß, um gemütlich<br />

zu sein, und ist auch nicht so gedacht.<br />

Es repräsentiert einen chauvinistischen Weltmachtanspruch, und dafür ist natürlich das Beste gerade<br />

gut genug, die besten Architekten, Bildhauer und Maler, die den besten tiefsten oder einfach den<br />

durchgesetzten Philosophien einen 'Anschein' geben - jedenfalls den Teilen davon, die massenhaft<br />

vermittelbar sind. Und die besten Architekten, Handwerker, Bildhauer und Maler haben da gearbeitet,<br />

wo Geld war.<br />

Kein Unterschied zu Europa !<br />

Aber:<br />

Es gibt einen Unterschied zu Europa, der in der Kunst sichtbar wird :<br />

Japaner leben in einem "animistischen" Weltbild - alles um sie herum ist beseelt.<br />

Anders als in Europa, wo Gott in der Kunst immer woanders, immer hinter dem Horizont, in einem<br />

Lichtstrahl, Im Versprechen der Zentralperspektive, gespiegelt im verdrehten Blick nach oben,<br />

inzwischen in seinem eigenen fernen Paradies lebt, haben die Japaner einen Pantheon von 8<br />

Millionen - wobei die heilige Zahl 8 auch als 'unendlich viele' gemeint sein kann - buddhistischen und<br />

shintoistischen Bosatsu und Kami - Göttern, Dämonen, Heiligen, geadelten Vorfahren und Berg-, Feld-<br />

, Hof-, Haus- hinab zu Büchsen-geistern....<br />

Und sie leben mit ihnen wie mit Verwandten, die man sich ja nicht aussuchen kann,<br />

man ist um sie besorgt oder von ihnen verärgert, mit ihnen liebevoll verbunden oder durch sie lästig<br />

verpflichtet.<br />

Für den Reisbauern gibt es die Götter, die er im Herbst, wenn sie über das Meer verschwinden,<br />

inständig bittet, im Frühjahr wiederzukommen und für die nächste Ernte zu sorgen, aber es gibt auch<br />

den albernen schadenfrohen Hofgeist mit seinen kindischen Scherzen, den er verflucht und<br />

verantwordentlich macht, wenn er seine Gummistiefel nicht findet.<br />

Daran kann auch die ganze modernistische Zumutung des heutigen verwestlichten Lebens nichts<br />

ändern<br />

- die Beseeltheit des Alltags hilft aber im Umgang mit dieser Zumutung.<br />

Japaner sind neugierig, begabt und sehr verspielt, und sie lassen sich begeistert selbstvergessen mit<br />

der neuesten 'Playstation' wie ein Kind im Schoß seiner Mutter im allgegenwärtigen Schleier ihrer<br />

Kultur nieder, um sich, rundherum beschützt, ganz dem Neuen hinzugeben.<br />

Sie sagen sehr schlicht:<br />

"Das Alte ist wichtig und das Neue auch."<br />

Das wichtige 'Alte' in der japanischen Kunst wäre zum Beispiel der Frosch.<br />

Man findet ihn, wenn man eine Weile sucht, im Holzschnitt des 18. Jhdts im Schilf des Hintergrundes,<br />

winzig, während sich vorne auf der Bühne der legendäre Samurai und der furchterregende Dämon<br />

einen spektakulären blutspritzenden Kampf liefern.<br />

Trotzdem ist er eine selbstverständliche und wichtige Hauptfigur der Szene.


Wenn alles um einen herum beseelt ist, ist alles auf der gleichen Ebene wichtig - oder im<br />

Umkehrschluß nicht so wichtig.... - alles, auch das Allergrößte überholt und relativiert sich<br />

irgendwann.... So reduziert in der Kunst der federleichte Frosch den vulkangleichen Berggott, ohne<br />

eine Flosse zu rühren.<br />

Der Samurai und der Dämon sind Repräsentanten, sie illustrieren die Weltmächte - noch größer : die<br />

kosmischen Kräfte und deren schwankenden Kampf um Balance, das Konstruktive, das Destruktive,<br />

das Wachsen, den Tod, die günstige oder ungünstige Konstellation der Sterne am Himmel, den<br />

Triumph der Kultur und der Form - den Kampf konfuzianischer Harmonie mit dem Eigennutz.<br />

- der Frosch stiert, blinzelt mit seinen herausstehenden Augen , schluckt leer und wartet weiter auf die<br />

Fliege.<br />

Das 'Neue' wäre dann der Frosch, wie ihn Takashi Murakami als ein blendendes, quietschbuntes, 5<br />

Meter hohes Comic-Monstrum zeigen würde.<br />

- wie konnte er so groß werden ?!<br />

Aktuell könnten Sie sich z.B. Barack Obama und den BP-Konzern daneben vorstellen, und das<br />

Größenverhältnis stimmt wieder...<br />

Wir glauben ja nun inzwischen, bis <strong>zur</strong> völligen Beliebigkeit "entspannt" zu sein - anything goes, die<br />

young british artists usw versuchen immernoch, für den Turner-Preis den letzten Schock<br />

herauszukitzeln, die japanische Antwort darauf ist der Weltstar Murakami, der nicht in das<br />

schockierend blutrünstige abgedriftet ist, sondern in das schockierend konsequente Marketing der<br />

verchromten Überzuckerung....<br />

- wenn die fester werdende Fessel schon in dieser Richtung lockerbar ist, dann aber bitte noch breiter,<br />

bunter, fetter, lustiger, und naiv-pornographisch-kommerzieller als Walt Disney.<br />

Matisse und seine Vorgänger, beeinflußt von außereuropäischer Kunst, haben versucht, den<br />

europäischen Lichtstrahl, auf einem flächigen Nebeneinander aufprallend, endlich, nach<br />

Jahrhunderten, wieder zu entspannen . (Künstler wie Damien Hirst würden ihn gerne wieder bündeln,<br />

scheren sich aber nicht wirklich um seine Richtung ...)<br />

Die europäische Kunst war ja mal flächig, als sie religiösen Ernst hatte, vor der Renaissance.<br />

Werner Haftmann, ehemaliger Direktor der Kunstsammlung NRW, beschreibt sehr schön ein kleines<br />

anonymes byzantinisches Bildchen auf Goldgrund, mit einer schwarz 'zerdunkelten' Silhouette und<br />

einer unbeholfen aufgereihten Vogel-Warteschlange als DAS Bild, auf dem er Franz von Assisi sieht -<br />

schon bei Giotto sieht er das figurativ realistische Abbild eines Mönchs, der Tauben füttert...<br />

Die japanische Kunst aber ist letztendlich unbeeindruckt mit all dem einhergegangen; zwar kam mit<br />

der Meiji-Restauration 1886 eine sichtbare Verwestlichung auch in die Kunst, landete aber sofort in<br />

einer plakathaften Form, wie sie Toulouse-Lautrec dann verwendet hat oder das politische Plakat<br />

Europas seit dem frühen 20.Jhdt.<br />

In der japanischen Empfindung atmet die Fläche nach wie vor horizontal und vertikal auf und ab.<br />

Wenn sie sich nicht wie Murakami mit der ganzen Welt anlegt, und wenn sie nicht westliche<br />

Vorgehensweisen aus Markt-Gründen einfach nur kopiert, dann riecht sie weiterhin nach Tatamis oder<br />

Rauch, dem japanischen Symbol für gute reiche Zeiten, oder heutzutage eben nach Acryl-Lack oder<br />

Drucker-Tinte in der Hand nur leicht irritierter und sehr anpassungsfähiger rauchiger Hausgeister...<br />

"<strong>Tora</strong>, <strong>Tora</strong>, <strong>Tora</strong>", der Schlachtruf der Japaner beim Angriff auf Pearl Harbour, bedeutet 'Tiger, Tiger,<br />

Tiger' - wir sind übrigens gerade im Jahr 4707 chinesischer Zeitrechnung, in einem Jahr des Tigers ! -<br />

1941 war aber leider ein Jahr der Schlange - kein Wunder, daß es letztendlich schief gegangen ist.


Natürlich bin ich sicher, daß das nachvollziehbar erklärbar wäre - ich kann es nicht - , und ist sowieso<br />

kein Anlaß zu dümmlichen Scherzen...<br />

( - immer aber an den Frosch denken !)<br />

Das Komplexeste wird am besten durch eine Anekdote erklärt, hier kommt eine:<br />

O Jun und ich - wir sind seit 15 Jahren dick befreundet - sitzen nebeneinander auf einer langen<br />

Express-S-Bahn-Fahrt durch dieses grauenhaft flächig ausgeuferte Tokyo, schweigend,<br />

ich schrecke hoch und werde plötzlich lebhaft (alle sonst gegenüber und daneben sitzen schlafend<br />

zusammengesunken... zum Glück sind wir am frühen Nachmittag unterwegs, später müßte man<br />

voraussichtlich stehen, 45 Minuten lang ! - was fast noch eine Kurzstrecke für Tokyo-Verhältnisse ist),<br />

und ich frage: "Na, und du ...?!"<br />

(O Jun spricht Deutsch, er hat ein paar Jahre in Düsseldorf gelebt. Aber er spricht SEIN Deutsch....so<br />

, wie es langsam schlechter wird, wird mein Japanisch sehr langsam besser, und wir nähern uns<br />

einem abenteuerlichen Mix, den manchmal nur wir beide noch verstehen können. )<br />

"Ja," sagt er, " ... wenn ich darf, denke ich jetzt an." .............<br />

" - O Jun, man sagt: Ich denke NACH"<br />

"Ah ..! Wenn ich darf, denke ich jetzt NACH meine Arbeit....."<br />

Diese spaßige Sprachverwirrung zeigt als ernstgenommene deutsche Formulierung sehr schön die<br />

Tatsache, daß für ihn ein während und ein nach der Arbeit das Gleiche sind, daß er auch mit 90 km/h<br />

im Expresszug in seinem zeitlichen und örtlichen Zentrum sitzt....<br />

Japaner laufen nicht besonders zielstrebig - außer im Fußball, sollte man aktuell sagen - sondern<br />

machen gerade, jeweils genau da wo sie sind, einen Schritt - wenn sie sich bewegen müssen, ziehen<br />

sie die schwere Brühe - oder das Luftkissen - der beseelten Bedingungen mit jedem Schritt hinter sich<br />

her...<br />

eine Last und ein Schatz.<br />

Die Zeichnung ist ein emblematisches Abbild eines Moments, einer Konstellation, einer Leichtigkeit<br />

oder Schwere, eines Maßstabes...<br />

Wir haben den Ausdruck des 'Ausschnittes'.<br />

In Japan umfasst der Ausschnitt aber Alles - im Schnitt (der durchaus gewalttätig empfunden wird und<br />

schmerzhaft gemeint ist) wird der Moment im Ganzen, in jedem Aspekt erfasst, die Welt aus ihrer<br />

Kontinuität genommen, zu beispielhafter Form...<br />

Den Zen muß man für diese Haltung nicht bemühen. Die atemlose Ehrfurcht esoterisch angehauchter<br />

Europäer ist nicht nötig.<br />

Falls Sie irgendetwas völlig wertloses in Ihrer Kramschublade haben, das sie auch beim<br />

gnadenlosensten Aufräumen wieder in die Schublade <strong>zur</strong>ücklegen, weil es sie vielleicht an einen<br />

Moment, eine Reise oder eine Person erinnert, also mit einem Wert aufgeladen ist, der es<br />

'unantastbar' macht, dann haben Sie etwas, das Sie 'japanisch' betrachten.<br />

Für eine 100stel Sekunde strahlt Sie breit der winzige Schubladen-Geist von unten an und öffnet die<br />

kurzen Ärmchen...<br />

Eine Billiarde Kilometer über Ihnen verdreht Gott amüsiert die Augen ( - vielleicht <strong>zur</strong> nächst höheren<br />

Instanz ...) und bleibt gnädig.


Ich hoffe, diese sehr allgemeinen Gedanken konnten IHR Zentrum leicht verschieben und Sie etwas<br />

einstimmen auf die Papierarbeiten von Shigeru Hasegawa, O Jun, Yoko Ooga und Mari Ota, 4<br />

Vertretern zweier Generationen zeitgenössischer japanischer Kunst,<br />

ausgestattet mit, hervorgegangen aus einer etwas anderen Haltung als Sie die sonst voraussetzen<br />

würden.<br />

O Jun & Shigeru Hasegawa lehren beide an Akademien in Tokyo bzw. Nagoya und hatten keine Zeit,<br />

<strong>Clemens</strong> <strong>Thimme</strong> und ich freuen uns aber, daß Mari Ota und Yoko Ooga den weiten Weg auf sich<br />

genommen haben, um bei ihrer ersten <strong>Ausstellung</strong> in Deutschland anwesend zu sein.<br />

Hans Benda, Verviers, Juni 2010

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