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Linde tisken im Gespräch - Arbeitszentrum NRW

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MOTIVE<br />

aus der anthroposophischen arbeit in nrw<br />

Nummer 7 | JaNuar 2013<br />

alexander Schaumann<br />

<strong>Linde</strong> <strong>tisken</strong> <strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong><br />

Vor einiger Zeit, nach einem etwas eiligen Rundgang durch das benachbarte<br />

Kunstmuseum, saß ich mit herbstlichem Ausblick auf einer Terrasse. Ich<br />

sah einen gelb strahlenden Baum, hindurchleuchtend den blauen H<strong>im</strong>mel<br />

und ein rotes Dach und sah das mit einem Mal mit den Augen der Maler<br />

des Blauen –Reiters: ein Farbereignis! Damit nicht genug. Ich hatte ein<br />

verändertes Leibesempfinden. Mein Leib war plötzlich warm, weich<br />

und bergend, wie ich das bisher nicht erlebt hatte. Ich steckte gleichsam<br />

tiefer drin und hatte den Eindruck, bis in den Leib hinein in eine andere<br />

Zeit versetzt zu sein. Seither erlebe ich Veränderungen in Bezug auf die<br />

leibliche Konstitution, wo ich früher nur veränderte Umstände und<br />

Inhalte erlebt hatte, gleichsam nur den historischen Kulissenwechsel. So<br />

erinnerte ich mich zum Beispiel <strong>im</strong>mer schon an das dunkelblaue, mit<br />

weißen Streublümchen übersäte Kleid meiner Großmutter. Jetzt fällt<br />

mir dagegen ein in leiblicher Hinsicht unerklärlicher Abstand auf, der<br />

nur von der seelischen Nähe übertönt wurde. Ich erhalte geradezu einen<br />

Geschmack der 20er Jahre, auch wenn ich diese selbst nicht erlebt habe.<br />

Weniger weit zurück führten mich Frau Tiskens Erzählungen von der<br />


› Entstehungszeit<br />

des Wittener Zweiges in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg, von der<br />

Suche und dem Zusammenhalt der Menschen untereinander, von Trost und Glück der gemeinsamen<br />

Arbeit und von der Sehnsucht, auch andere Menschen an diesem Glück teilnehmen<br />

zu lassen. Auch diese Erzählungen versetzen mich unter Menschen, die aus einem anderen<br />

Holz geschnitzt sind als ich selbst, die zäh und tapfer an dem einmal Erkannten festhalten,<br />

um es, allen widrigen Umständen zum Trotz, allmählich zur Entfaltung zu bringen.<br />

Frau Tiskens Liebe gilt dem Wittener Zweig, obwohl sie, aus Krankheitsgründen weitgehend<br />

an Bett und Z<strong>im</strong>mer gebunden, schon seit Jahren an der Arbeit nicht mehr teilnehmen kann.<br />

Sie unterhält jedoch Kontakt zu vielen Mitgliedern und ist die letzte, die die Anfänge des Zweiges<br />

und seine Vorgeschichte miterlebt hat – ein Grund zurückzudenken, zumal der Wittener<br />

Zweig demnächst fünfzig Jahre alt wird. So kam unser Kontakt zustande. Ich erhielt einen<br />

Namen und eine Telefonnummer und lernte bald einen Menschen kennen, dessen Händedruck<br />

nichts von seiner Schwäche ahnen ließ und dessen Lebhaftigkeit schnell über die Minuten der<br />

ersten Orientierung hinweghalf. Trotz ihrer Zurückgezogenheit zeigte sie Anteil am aktuellen<br />

Geschehen, um mich bald in eine andere Welt zu entführen.<br />

Ihr Kontakt zur Wittener anthroposophischen Arbeit bestand in ihren frühen Jahren zunächst<br />

darin, dass sie ihre Mutter dort abholte, von Bochum aus, wo sie mit künstlerischen Kursen<br />

beschäftigt war, die Vorrang hatten. Sie erzählt von ihrem Lehrer Anton Felderhoff, einem<br />

ertaubten Musiker, der sich der Malerei zugewandt hatte, obwohl es auch um sein Augenlicht<br />

schlecht bestellt war, und der, auch seinerseits Anthroposoph, an der Volkshochschule tätig<br />

war und ihr offenbar sein ganzes Verständnis von Mensch und Welt mitgegeben hat. Es muss<br />

eine bewegende Freundschaft gewesen sein, die jetzt noch in seinen Bildern gegenwärtig ist,<br />

die ringsum an den Wänden des kleinen Appartements sichtbar sind. Sie erzählt aber auch von<br />

den beiden ebenfalls in Bochum wohnenden Bergleuten, die oft in Doppelschicht arbeiten<br />

mussten, um die gemeinsame Arbeit nicht zu verpassen, und deren Beglückung sie miterleben<br />

konnte. Sie gehörten zu einer Gruppe über Westdeutschland verstreuter schlesischer Bergleute,<br />

die schon in ihrer He<strong>im</strong>at in einem Zweig zusammengearbeitet hatten und die zuweilen zur<br />

gemeinsamen Arbeit hinzustießen. Vor allem erscheint in ihren Erzählungen aber Frau Friedja<br />

Schugt, eine Musikerin aus Köln, die von Dortmund-Krukel aus die Arbeit betreute. Die<br />

Pflege dieser Gruppe scheint ihre ganze Sorge gewesen zu sein. Schwer beladen mit Büchern<br />

und Abschriften musste sie schon am frühen Nachmittag ihren Weg antreten, um dann einen<br />

Klassenraum <strong>im</strong> Obergeschoss einer alten Schule für die gemeinsame Arbeit einzurichten. Sie<br />

bereitete die Vorträge vor, las, leitete das <strong>Gespräch</strong>, hielt aber auch den Kontakt zu abwesenden<br />

Mitgliedern, besuchte Kranke, schrieb Briefe und sorgte dafür, dass sich alle an der Arbeit<br />

beteiligen konnten. Es war eine Gruppe von durch Krieg und Flucht scheinbar willkürlich<br />

zusammengewürfelter Menschen, die sich nichts desto weniger als Schicksalsgemeinschaft<br />

empfanden und in Treue und Dankbarkeit zusammenhielten.


Wenn ich in die Erzählungen des damaligen Geschehens eintauche, gewinne ich den Eindruck<br />

von einem starken Gegensatz zwischen Innen und Außen. In einer dunklen, seelenlosen Welt<br />

wird ein Licht angezündet. Die äußere Welt ist nicht fremd, man ist in ihr tätig und schaut mit<br />

großer Hoffnung darauf, dereinst vielleicht auch einmal anthroposophisch tätig sein zu können.<br />

Doch die gemeinsame Anthroposophische Arbeit ist etwas ganz anderes, eine Flamme, die<br />

He<strong>im</strong>at bedeutet und gepflegt und geschützt werden muss. Dazu gehört auch die Beziehung<br />

zu Dornach. An jedem Abend wurde ein Schälchen für Spenden aufgestellt, das von manchen<br />

unter wirklichen Opfern gefüllt wurde. Zu dieser He<strong>im</strong>at gehört aber auch die Beziehung zu<br />

den Verstorbenen, die stets als gegenwärtig und als Intensivierung empfunden und besonders<br />

in Bezug auf ein paar früh verstorbene Mitglieder wie z.B. Anton Felderhoff erlebt wurde.<br />

Andererseits sollte die Arbeit auch stark sein. Die Mitglieder sehnten sich nicht nach eigenen<br />

Räumen, sondern liebten es, Gast zu sein <strong>im</strong> Bewusstsein, dass ein geistiger Raum ohnehin<br />

nur durch gemeinsame geistige Arbeit entstehen kann. Als die Arbeit 1963 unter Frau Dr.<br />

Böckheler, der Frau Schugt die Leitung zwei Jahre zuvor übergeben hatte, zu einem regulären<br />

Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft wurde, war es ihnen deshalb klar, dass ihr Zweig<br />

Michaelzweig heißen sollte. Zwanzig Jahre später, am 15. Mai 1984, sprach Jörgen Smit anlässlich<br />

der Einweihung der Wittener Waldorfschule von einem Engel-Menschen-Gewebe, das<br />

darin besteht, <strong>im</strong> rechten Moment dem richtigen Menschen zu begegnen. – Kann das nicht<br />

nur dankbar hingenommen, kann daran aktiv gewoben werden? Angesichts der zahlreichen<br />

Gründungen in Witten und Umgebung kann die Frage entstehen, ob nicht die <strong>im</strong> Verborgenen<br />

geleistete Anthroposophische Arbeit, gerade weil sie ganz nach innen gerichtet war, das Ihrige<br />

zum Gelingen dieser Initiativen beigetragen hat. Wenn die innere Arbeit aber schließlich äußere<br />

Früchte trägt, hört die Fremdheit zwischen Innen und Außen auf, obwohl sie durch ihre Hilfe<br />

zur Konzentration anfangs gerade eine Kraftquelle gewesen war.<br />

Es ist bemerkenswert, dass Frau Tiskens intensivste Erzählungen die Zeit vor ihrer eigenen Teilnahme<br />

an der Zweigarbeit betreffen, vielleicht weil da der bildhafte Abstand selbstverständlicher<br />

ist, vielleicht aber auch, weil da andere Menschen aus dem Hintergrund mitsprechen. Umso<br />

mehr interessiert es mich zu erfahren, wer sie selbst ist. »Im Krieg war ich an vielen verschiedenen<br />

Orten <strong>im</strong>mer nur kurze Zeit, sodass mir schließlich das Abitur fehlte. Doch hatte ich<br />

den Wunsch, die Töpferei zu erlernen. Da wir in Bochum-Querenburg wohnten, fragte ich<br />

in der Töpferei Asshoff. Anschließend besuchte ich die Werkkunstschule in Düsseldorf und<br />

konnte später in sechs verschiedenen Volksschulen in Bochum das neue eingerichtete Fach<br />

Werken unterrichten, in das ich auch viele andere Kollegen einführte. Aber auch in viele andere<br />

Aufgaben, die erforderlich waren, tauchte ich voll ein, bis später die anthroposophische Arbeit<br />

wichtig wurde. Zum Schluss darf ich vielleicht noch erwähnen, dass ich sieben Jahre für die<br />

Marionettenbühne »Hurleburlebutz« lesen durfte. Während unserer vielen Aufführungen und<br />

Tourneen das Staunen der Kinder zu erleben, war die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches<br />

und einer der schönsten Erlebnisse meines Lebens.« |


michael Schmock<br />

Zwei strömungen <strong>im</strong> Geistesleben<br />

motive zur Zukunft der anthroposophischen Gesellschaft<br />

Wer sich mit den Lebensvorgängen in der Anthroposophischen<br />

Gesellschaft beschäftigt, wird bemerken, dass die<br />

Impulse der Anthroposophie in den Herzen und Gemütern<br />

der Menschen jeweils ihren eigenen »Resonanzboden« haben.<br />

Viele Menschen können sich mit den Impulsen Rudolf<br />

Steiners verbinden – und jeder auf seine eigene Art. Das<br />

führt zu vielen verschiedenen Initiativen und praktischen<br />

Auswirkungen. Das macht die Anthroposophie so interessant<br />

und auch lebensfähig. Die anthroposophische Gesellschaft ist<br />

wie ein Feld, auf dem die verschiedensten Pflanzen wachsen<br />

und gedeihen wollen. Sie ist eben keine Monokultur, sondern<br />

eher ein Biotop mit vielfältigsten Lebensformen.<br />

Schwieriger wird es, wenn die verschiedenen Arten und<br />

Haltungen der Menschen in einem Gesamtorganismus<br />

zusammenwirken. Da gibt es viele Synergien – aber auch<br />

Reibungen, Missverständnisse und Verletzungen. Eine<br />

Signatur zwei verschiedener Haltungen <strong>im</strong> Umgang mit<br />

der Anthroposophie wird mir <strong>im</strong>mer deutlicher, zumal<br />

sie an verschiedenen Orten und Zusammenhängen <strong>im</strong>mer<br />

wieder auftritt. Das kann in Dornach sein, das kann sich<br />

in der Deutschen Landesgesellschaft abspielen, aber auch<br />

bei uns <strong>im</strong> <strong>Arbeitszentrum</strong>. Da gibt es Menschen, die sich<br />

Rudolf Steiner und der Anthroposophie dadurch verbunden<br />

fühlen, dass sie einen unmittelbaren, inneren Anschluss an<br />

den Ursprung, die Gründungszeit, den »Ur-Vorstand«,<br />

eben an all das haben, was sich Ursprünglich vor 100 Jahren<br />

abgespielt hat, was originär und gehaltvoll zu Beginn des<br />

20. Jahrhunderts durch Rudolf Steiner inspiriert wurde.<br />

Darin liegt für sie die Quelle, und die gilt es rein zu halten<br />

und zu pflegen. Hier leben Erkenntnisbedürfnisse und<br />

Willensideale auf, die es zu schützen und zu pflegen gilt.<br />

Dabei ist es für diese Menschen oft ein Schmerz, wie sich<br />

dann <strong>im</strong> Laufe der Zeit die Anthroposophie verwässern,<br />

verdünnen und verschmutzen kann. Viele Impulse anderer<br />

Menschen, die anders geartet sind, werden dann tendenziell<br />

als Untreue, als Kompromiss an die gegenwärtige Kultur,<br />

oder als Angriff auf Rudolf Steiner und die »anthroposophische<br />

Wahrheit« gefühlt und abgelehnt.<br />

Einen anders gearteten Zugang und Umgang mit der Anthroposophie<br />

scheint mir in Menschen zu leben, die sich<br />

der Anthroposophie innerlich verbunden fühlen, aber mit<br />

den daraus erlebten Anregungen auf die Welt blicken und<br />

eine unmittelbare praktische Umsetzung suchen. Hier<br />

sind die Erfahrungen mit der gegenwärtigen Welt, mit<br />

der sozialen Not, mit den von Tag zu Tag auftretenden<br />

Anforderungen des Alltagslebens, die es ernst zu nehmen<br />

gilt, wo es darum geht anzupacken und zu gestalten, bzw. zu<br />

verändern. Das Auseinanderdriften der Lebensfelder und<br />

der Anthroposophischen Gesellschaftsarbeit, aber auch der<br />

Umgang mit »Erkenntnissuchern« und »Dreigliederern«<br />

oder das Spannungsfeld zwischen »Karmapraktikern«<br />

und »Karmazyklus-Studierenden« und Anderes scheint<br />

mir mit diesen verschiedenen Seelenhaltungen zusammen<br />

zu hängen. Ich sehe auch in der Vorstandszusammenarbeit<br />

mit Sergej Prokofieff in Dornach ähnliche Elemente,<br />

wie auch <strong>im</strong> <strong>Arbeitszentrum</strong> in der Diskussion zwischen<br />

»Zweigorientierung und Öffentlichkeitsarbeit«. Deutlich<br />

geworden ist mir das auch in der Kölner Tagung zu 100 Jahre<br />

Anthroposophische Gesellschaft. Die einen erleben in Peter<br />

Selgs Beitrag die wahrhaftige Anthroposophie und Andere<br />

fühlen sich nicht am richtigen Ort. Überhaupt scheint<br />

mir das Spannungsfeld eher größer als kleiner zu werden,<br />

so dass die Frage drängender wird, womit diese beiden<br />

verschiedenen Seelengesten oder Strömungen zusammen<br />

hängen. Wie kommen wir da weiter, wenn es auch in Zukunft<br />

noch eine Anthroposophische Gesellschaft geben soll? Ist<br />

es nicht gerade die Aufgabe der Gesellschaft, verschiedene<br />

Strömungen in einen Zusammenklang zu bringen?<br />

Rudolf Steiner verweist in einem Aufsatz über Dreigliederung<br />

auf diese beiden Geisteshaltungen und Formuliert<br />

Auf diese Art entstehen zwei Strömungen <strong>im</strong> Geistesleben<br />

(GA 24, Aufsatz Geistesleben, Rechtsordnung, Wirtschaft).<br />

Im Weiteren heißt es: Die eine holt ihren Inhalt aus den<br />

von Tag zu Tag auftretenden Anforderungen des politischrechtlichen<br />

und des Wirtschaftslebens und sucht Einrichtungen<br />

zu treffen, die sich aus diesen Anforderungen ergeben. Sie<br />

dringt dabei nicht zu den Bedürfnissen der geistigen Wesenheit<br />

des Menschen vor. Sie trifft äußere Einrichtungen<br />

und spannt die Menschen in diese hinein, ohne dabei auf<br />

das hinzuhorchen, was die innere Menschennatur dazu<br />

sagt. Die andere geht von inneren Erkenntnisbedürfnissen<br />

und Willensidealen aus. Sie gestaltet diese so, wie das<br />

Innere des Menschen sie verlangt. Aber diese Erkenntnisse


entstammen der Betrachtung. Sie sind nicht der Niederschlag dessen, was<br />

in der Praxis des Lebens erfahren wird. Und diese Ideale sind aus den Vorstellungen<br />

darüber entstanden, was wahr, gut und schön ist. Aber sie haben<br />

nicht die Kraft, die Lebenspraxis zu gestalten. Und Steiner kommt zu dem<br />

Schluss: Zwischen den beiden geistigen Strömungen liegt ein Abgrund.<br />

Wenn also in der einen Geisteshaltung der Ausgangspunkt in den äußeren<br />

Anforderungen des tagtäglichen Lebens, bzw. in der sozialen, gegenwärtigen<br />

Kultur-Welt erlebt wird, und nach Problemlösungen gesucht wird, lebt die<br />

Andere in »inneren Erkenntnisbedürfnissen« und »Betrachtungen« und<br />

macht sich Vorstellungen darüber »was wahr, gut und schön ist.« Letztere<br />

muss selbstverständlich alle Lösungsansätze der Ersteren für wesenlose<br />

Kompromisse halten und Erstere die Ansätze der Anderen für inhaltlose<br />

Betrachtungen über das Leben und den Geist, die an der Wirklichkeit vorbeigehen,<br />

weil sie sich dieser nicht stellt. Die einen gestalten Tagungen über<br />

lebenspraktische Probleme und versuchen daran die Anthroposophie zu<br />

entwickeln und die anderen rufen die »wahrhaftige« Anthroposophie auf,<br />

die sie in ihrer reinen Form als Lebenskraft empfinden. Wenn der von Rudolf<br />

Steiner angesprochene »Abgrund« zwischen diesen beiden Haltungen <strong>im</strong>mer<br />

mehr Realität wird, wie soll sich dann die Anthroposophische Gesellschaft in<br />

den nächsten Jahren entwickeln? Gibt es dann eine Prokofieff-Selg-Gesellschaft<br />

und eine Plato-Mackay-Gesellschaft? Ich meine diese Namen nur <strong>im</strong><br />

übertragenen Sinne, weil sich diese Vorgänge allerorts abspielen!<br />

Es bedarf einer Erkenntnis, die außermenschliche und die menschliche Welt<br />

in einem Zusammenhang zu erfassen. Das könnte bedeuten: Es geht darum,<br />

Zusammenkünfte, Studienarbeiten, Tagungen und Kolloquien zu gestalten, in<br />

denen beide Elemente bewusst vertreten sind und in einen fruchtbaren Dialog<br />

gebracht werden. Das hat zwei Voraussetzungen: Als erstes die Anerkennung<br />

dessen, dass wir tatsächlich von zwei verschiedenen Seiten in zwei verschiedenen<br />

Geistesarten mit der Anthroposophie umgehen. Zweitens: Die Erkenntnis,<br />

dass der Geist – Leben – Bezug bewusst ergriffen und in Beziehung gebracht<br />

werden kann. Auch wenn das einfach klingt: Es braucht für die Versammlungen,<br />

Tagungen und Kolloquien die verschiedenen »Geistesarten«, die<br />

sich aufeinander beziehen wollen. Das geschieht nur, wenn die Veranstalter<br />

das auch bewusst herbeiführen und »moderieren«. Hier liegt eine wirkliche<br />

Aufgabe für die Anthroposophische Gesellschaft in den nächsten 10 Jahren:<br />

Können wir diese beiden Strömungen <strong>im</strong> Geistesleben in einen fruchtbaren<br />

Dialog bringen? Ich würde so weit gehen zu sagen, dass die Anthroposophische<br />

Gesellschaft in den nächsten 10 Jahren deutliche »Substanzverluste« erleidet,<br />

wenn dieses Feld nicht beackert wird – auch <strong>im</strong> <strong>Arbeitszentrum</strong> <strong>NRW</strong>!<br />

Wenn wir ein lebendiges Biotop auf dem Acker haben wollen und nicht eine<br />

Monokultur, dann werden wir damit umgehen lernen müssen. |


Dörte abilgaard<br />

Geisteswissenschaft oder naturwissenschaft? – beides<br />

ein einkreisen des reinen Denkens mit martin Schlüter<br />

Vor ein paar Wochen Gemütlich ist es <strong>im</strong> Wohnz<strong>im</strong>mer der<br />

Familie Schlüter, in dem ich mit Martin Schlüter auf dem großen<br />

Sofa sitze und gut vier Stunden (mehr und mehr staunend<br />

bis verwirrt) höre, wie der promovierte Physiker wahrn<strong>im</strong>mt,<br />

forscht, denkt, arbeitet und wirkt. Von jetzt auf gleich finde ich<br />

mich in einem <strong>Gespräch</strong>, fast eher in einer Privatstunde, über<br />

die Intention, der Welt, dem Sozialen, dem eigenen, höheren<br />

Ich zu begegnen und daran selbst zu erwachen, in der Art und<br />

Weise, wie sich das reine Denken schulen und stärken lässt. Ich<br />

muss gestehen, auch jetzt, wo ich diese Sätze schreibe, habe ich<br />

nur eine ungefähre Ahnung, worum es hier ganz genau geht.<br />

Doch eins nach dem anderen …<br />

Vor einem Jahr Martin Schlüter begegnete ich Anfang 2012 zum<br />

ersten Mal. Er kam als Gast ins Kollegium des <strong>Arbeitszentrum</strong>s.<br />

Ein großer Mann, mit scharfen Gesichtszügen und auffallend<br />

wachen, warmen Augen. Auffallend auch seine St<strong>im</strong>me: tief, ruhig,<br />

tragend. Man könnte aus diesen ersten Eindrücken folgern: das<br />

ist ein Mann, der total in sich ruht, den nichts erschüttert und der<br />

schon <strong>im</strong>mer seinen Weg gradlinig, ruhig und best<strong>im</strong>mt gegangen<br />

ist. Einen, den keine inneren Kämpfe durchbeben. Doch auch an<br />

dieser Stelle: eins nach dem anderen …<br />

Vor vier Jahren Martin Schlüter wird in einer Zeit an das Institut<br />

für Waldorfpädagogik in Witten/Annen gebeten, als dort<br />

Umstrukturierungsmaßnahmen voll <strong>im</strong> Gange sind. Das Institut<br />

musste sein vormals reichhaltigeres Angebot den wirtschaftlichen<br />

Möglichkeiten anpassen. Das bedeutete die Schließung ganzer<br />

Fachbereiche und damit verbundene Kündigungen. Mittlerweile<br />

ist er dort <strong>im</strong> Vorstand und in der Leitungskonferenz, unterrichtet<br />

und gestaltet lebhaft die Zukunft des Institutes mit. In<br />

der Innengestaltung ist er in diesem Jahr verantwortlich für die<br />

Personalentwicklung, betreut die einjährige Postgraduiertenausbildung,<br />

unterrichtet in vielen Fächern die Studenten, von<br />

der Einführung in die Anthroposophie bis hin zu Wetterkunde,<br />

Mathematik- und Physikpädagogik. In der Außenvertretung des<br />

Institutes ist er mit drei weiteren Kollegen in einer Delegation, die<br />

auf diversen Konferenzen vom Bund der Freien Waldorfschulen<br />

bis hin zur Arbeitsgemeinschaft nordrheinwestfälischer Schulen<br />

Zukunftsfelder erschließt.<br />

Vor 14 Jahren Bevor er nach Witten-Annen kam, war er elf Jahre<br />

in Stuttgart als Lehrer an der Uhlandshöhe, in Seminaren und<br />

in der Forschung tätig. Schmunzelnd resümiert er, 150-prozentig<br />

eingebunden gewesen zu sein. Und das gern. Aus dieser Zeit sind<br />

feste Kontakte geblieben, die bis heute wirken: Ein Kolloquium,<br />

bei welchem sich schon seit vielen Jahren Erziehungswissenschaft-<br />

ler aus ganz Deutschland mit Waldorfpädagogen treffen und aus<br />

deren <strong>Gespräch</strong>en zahlreiche Veröffentlichungen hervorgegangen<br />

sind. Weiterhin ist er Mitglied in einem Forschungskolloquium<br />

zur allgemeinen Menschenkunde und Gründungsmitglied des<br />

Instituts für Mathematik und Naturwissenschaft an der Freien<br />

Hochschule Stuttgart, wo er vor Kurzem erst an einem Forschungskolloquium<br />

zur Erde als lebendigem Organismus mitwirkte.<br />

Dieses Thema zieht sich auch durch die davorliegenden<br />

Stationen. In den elf Jahren an der Waldorfschule in Stuttgart hat<br />

er gemeinsam mit dem Oberstufenkollegium, unter manchem<br />

anderen, eine Globalisierungsepoche ins Leben gerufen, wobei<br />

er an eine siebenjährige Forschungsinitiative am Fichte-Haus in<br />

Tübingen anknüpfen konnte.<br />

Vor 21 Jahren Dass er Waldorflehrer werden würde, hatte er nicht<br />

gedacht. War er doch voll und ganz Forscher, ein Naturwissenschaftler,<br />

der dem dualistischen Bild der »alten Entdecker« wie Newton,<br />

einen goetheanistisch-monistischen Entwurf entgegensetzen<br />

wollte. Nicht das Theoretisieren über die Phänomene, sondern ein<br />

Denken, das die Erscheinungen in sich aufzunehmen in der Lage<br />

ist, versuchte er auf verschiedenen Feldern zu entwickeln. Zusammen<br />

mit Albrecht Schad, Florian Roder und vielen Studenten des<br />

Fichte-Hauses arbeitete er in den neunziger Jahren sieben Jahre<br />

an der Erforschung der Erde, und vor allem der kl<strong>im</strong>atischen und<br />

kulturellen Signatur Mitteleuropas. Zu dieser Zeit war er intensiv<br />

<strong>im</strong> Stuttgarter <strong>Arbeitszentrum</strong> tätig, wurde zum Vertreter und<br />

rief mit einigen anderen <strong>Arbeitszentrum</strong>svertretern die »kleine<br />

Konferenz" der Landesgesellschaft ins Leben.<br />

Vor 22 Jahren Dem Schritt zur Leitung des Fichte-Hauses gingen<br />

etwa zwei Jahre reine Forschung am Carus-Institut (Niefern-Öschelbronn)<br />

voraus. Im Rahmen der goetheanistischen<br />

Grundlagenforschung entwickelte er die Wetterkunde Goethes<br />

weiter. Zur gleichen Zeit wurde er Mitglied <strong>im</strong> Kollegium der<br />

Naturwissenschaftlichen Sektion.<br />

Vor 25 Jahren Wie Steiner als junger Mann, suchte Martin Schlüter<br />

spätestens mit seiner Doktorarbeit über Goethes Farbenlehre und<br />

J.W. Ritter den goetheanistischen Ansatz. Mittlerweile diplomierter<br />

Physiker in der Schwerionenforschung, gab ihm sein Vater den<br />

einzigen Hinweis zu seinem Lebensweg, nun nicht weiter in die<br />

Elementarteilchenforschung zu gehen und zu promovieren, sondern<br />

sich seinen eigenen Intentionen zuzuwenden: der Entwicklung<br />

einer geistgemäßen Naturerkenntnis. Neben seiner Doktorarbeit<br />

beschäftigte ihn die Geschichte der Naturwissenschaften, besonders<br />

das Aufkommen der Elektrizität und des Magnetismus in<br />

Wissenschaft und Leben.


Vor 26 Jahren Wird Martin Schlüter Hochschulmitglied.<br />

Vor 28 Jahren Mit dem Thema seiner Diplomarbeit hätte er sich<br />

von der Frage nach dem Wesen der unbelebten Natur kaum weiter<br />

entfernen können. Er erforschte die Clusterbildung von schweren<br />

Kernen bei Stößen mit relativistischer Energie und entwickelte<br />

einen Algorithmus bzw. ein Computerprogramm weiter, mit dem<br />

sich derartige Teilchenexper<strong>im</strong>ente besser analysieren lassen. Zur<br />

gleichen Zeit arbeitete er vor allem zusammen mit Martin Basfeld<br />

am Hardenberg-Institut Heidelberg an der Ausarbeitung einer<br />

Entwicklungsgeschichte der Naturwissenschaften als Bewusstseinsgeschichte<br />

mit Schwerpunkt Goethezeit. Diese Arbeit konnte<br />

er in seiner Doktorarbeit verdichten und zu einem vorläufigen<br />

Abschluss bringen.<br />

Vor 29 Jahren Er wird Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft<br />

und Mitbegründer einer Zweiggruppe in Heidelberg.<br />

Vor 33 Jahren Die Auseinandersetzung mit einer Weltsicht,<br />

die rein materialistisch gedacht wird, ohne die Frage nach dem<br />

Menschen, bewegte Martin Schlüter schon in der Studienzeit. Mit<br />

22 Jahren, als Student der Physik <strong>im</strong> 4. Semester, kurz vor dem<br />

Vordiplom, entschließt er sich <strong>im</strong> Selbststudium die Theosophie<br />

zu lesen. Jeden Morgen studiert er die Schriften Steiners. Den<br />

Rest des Tages lernt er Physik für sein Vordiplom. Das Studium<br />

der Theosophie wird ihm zur Kraftquelle für die Erarbeitung der<br />

modernen Physik.<br />

Vor 38 Jahren Spielerisch nähert sich der 17jährige Waldorfschüler<br />

auf einer Studienfahrt mit den Freunden und einigen<br />

Weinkorken der Frage, ob und wie man den Menschen anhand der<br />

Dreiheit von Körper, Geist und Seele erklären und erfassen könne.<br />

Ein erstes Erwachen macht sich leise aber deutlich bemerkbar.<br />

Und diese Fragen bewegen und beschäftigen ihn. Bis heute.<br />

Vor 51 Jahren Ein träumerisches Kind kommt in den Waldorfkindergarten.<br />

Der Vater ist Naturwissenschaftler und Waldorflehrer mit<br />

Schwerpunkt Chemie. Die Mutter der Waldorfbewegung gegenüber<br />

eher skeptisch, aber ihrem Mann und ihren acht Kindern liebend<br />

zugetan. Der Junge, Martin Schlüter, träumt sich in eine spielerische,<br />

fantasievolle Welt. Man sollte nicht erwarten, dass dieser Junge<br />

eines Tages das Aufwachen an der Welt über den Weg der Physik<br />

und <strong>im</strong> lebendigen Umgang mit der Anthroposophie suchen wird. |


<strong>im</strong>pressum<br />

redaktion und grafik Alexander Schaumann<br />

layout, textgestaltung Philipp Tok, Benjamin Kolass<br />

herausgeber Anthroposophische Gesellschaft in <strong>NRW</strong><br />

Oskar-Hoffmann-Str. 25, 44789 Bochum<br />

tel 0234 33367 30, fax 0234 33367 45<br />

www.anthroposophie-nrw.de<br />

michael Jaeger<br />

wege zu Grenzerfahrungen<br />

aus den Studienarbeiten des Kollegiums<br />

In den Studienarbeiten des Kollegiums steht seit einiger Zeit das<br />

Thema »Grenzerfahrungen« <strong>im</strong> Mittelpunkt. Einzelne Kollegiumsmitglieder<br />

schildern ihre individuellen Erfahrungen an der<br />

Grenze zur übersinnlichen Welt, wie sie sich aus ihren jeweiligen<br />

Lebens- und Arbeitsweisen ergeben. Dabei sind die Zugangsweisen<br />

so unterschiedlich wie die Orte, an denen die Erfahrungen<br />

auftreten. Im nachfragenden <strong>Gespräch</strong> wird der Versuch unternommen,<br />

die beschriebenen Situationen begrifflich zu fassen<br />

und aus anderen Erfahrungs- und Forschungshintergründen zu<br />

beleuchten. Zwei Beispiele können einen Eindruck der möglichen<br />

Verschiedenheiten vermitteln.<br />

Sabine Goos schildert Grenzerfahrungen an den Orten der Gegenwartskrisen:<br />

<strong>im</strong> Verhältnis zur Natur, zum Mitmenschen, zur<br />

eigenen Seele und zur göttlichen Welt. Dies wird an Beispielen<br />

aus dem eigenen Leben illustriert.<br />

Dabei erinnert sie sich an ihr Kindheitsgefühl, ganz selbstverständlich<br />

zur Natur dazu zu gehören, das <strong>im</strong> jugendlichen<br />

Alter verloren ging, das in besonderen Momenten aber modifiziert<br />

wieder auftrat. So z.B. in Irland in der Wahrnehmung<br />

einer fast bedrängend lebendigen Natur nach einem Regenguss<br />

oder <strong>im</strong> Engadin, allein, be<strong>im</strong> Blick von einem Gipfel in<br />

die Tiefe. Situativ wurde die Trennung zwischen Natur und<br />

Selbst wieder aufgehoben. Die Eindrücke der Natur, der Erdentiefen,<br />

der Welt der Sterne oder der Elemente rücken näher.<br />

Etwas Wesenhaftes scheint sich auszusprechen. Die <strong>im</strong><br />

Mitmenschlichen auftretenden Grenzerfahrungen sind dagegen<br />

komplexer, können aber in den extremen Situationen<br />

von Geburt und Tod eine besondere Dichte erreichen. So war<br />

bei einer Geburt z.B. wahrnehmbar, wie das Kind parallel zu<br />

dem Geschehen seinen Namen aussprach. Auch der Zugang<br />

zur Welt der Verstorbenen ist offener geworden, sodass auch<br />

diese <strong>im</strong>mer wieder in ihrer charakteristischen Seelengestalt<br />

bemerkbar sind. Ganz entsprechend treten auch innerseelische


Grenzerfahrungen besonders in schicksalshaften Momenten<br />

auf, wenn z.B. eine wichtige Entscheidung zu treffen ist. Dabei<br />

ist aber deutlicher, als bei den anderen Beispielen, dass auch<br />

eine Vorarbeit geleistet werden muss: das Loslassen, dem ein<br />

oftmals bis an die Grenze der Kräfte gehendes Ringen vorangegangen<br />

ist. Dann kann Kraft und Sicherheit aus der Nacht<br />

hervorgehen. Nach einer Art Resignation oder besser, einem<br />

Zurücktreten ins Lauschen wird eine Wesensbegegnung möglich,<br />

aus der in neuer Weise ein harmonisches Verhältnis zum<br />

Geschehen und zur Welt hervorgeht.<br />

Methodisch legt Sabine Goos besonderen Wert auf den Wechsel<br />

von Konzentration und Entspannung der an der Betrachtung<br />

eines Steines erprobt wurde. Im ersten Schritt wird der<br />

Stein präzise beobachtet und anschließend auch <strong>im</strong> Gedächtnis<br />

möglichst genau reproduziert, um ihn dann erneut anzuschauen,<br />

jetzt aber möglichst unbest<strong>im</strong>mt (»Kuhblick«) mit dem<br />

Augenmerk auf mögliche Veränderungen. In der Auswertung<br />

der Erfahrungsbeschreibungen zeigt sich tendenziell, dass <strong>im</strong><br />

zweiten Schritt die Wahrnehmung gesättigter erscheint, allerdings<br />

je nach Betrachter mit unterschiedlichen Aspekten.<br />

Der Stein erweckt be<strong>im</strong> einen das Bild einer möglichen Herkunftslandschaft;<br />

be<strong>im</strong> anderen springt eine Bewegungsgestalt<br />

(Dynamik) hervor, die in Bezug auf die Gesteinsart als typisch<br />

empfunden werden kann. Der Stein wird lebendig. Man empfindet<br />

sich mit dem Stein verbunden. Dabei entsteht die Frage,<br />

ob sich in der zweiten Art der Wahrnehmungen bereits etwas<br />

Wesenhaftes ausspricht und wo das geschieht, <strong>im</strong> Bereich der<br />

eigenen Seelenkräfte des Denkens und Fühlens und Wollens?,<br />

oder »<strong>im</strong> Stein selbst«? Sich mittels eines präzisen Beobachtens<br />

mit dem Objekt verbinden, um sich nach einem Loslassen und<br />

Verlassen des Eindrucks dem Objekt erneut auf eine möglichst<br />

unbefangene, vorstellungsfreie Weise zuzuwenden, das sind drei<br />

methodische Schritte, die den Blick auf Grenzerfahrungen erschließen<br />

können. Mit der intensiven Beobachtung stellt sich<br />

ein Kontakt zum Objekt her, der bis zu einer Berührungserfahrung<br />

weitergetrieben werden kann. Dann aber ist ein Loslassen<br />

notwendig. In der Anstrengung wächst die Wachheit<br />

für eine qualitativ andere Erfahrung. So diszipliniert eine<br />

solche Übung aber auch gemacht wird, ein jeder macht sie<br />

mit den ihm zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, sodass<br />

gerade der Vergleich <strong>im</strong> <strong>Gespräch</strong> für die Übungspraxis des<br />

Einzelnen eine wertvolle Hilfe sein kann.<br />

Eine ganz andere Situation wird von Martin Schlüter avisiert,<br />

wenn er klassische naturwissenschaftliche Exper<strong>im</strong>ente thematisiert<br />

und vorführt. Er möchte die Betrachtung der Grenze zwischen<br />

sinnlichen und übersinnlichen Phänomenen von einem<br />

best<strong>im</strong>mten Aspekt aus angehen. Als Leitgedanke dient dabei die<br />

bekannte Äußerung R. Steiners aus »Mein Lebensgang«: »… so<br />

wie Geometrie muss man das Wissen von der geistigen Welt in<br />

sich tragen.« Dabei bereiten einige Gedankenschritte den Versuch<br />

vor. Noch <strong>im</strong>mer wird von der gängigen Naturwissenschaft<br />

die Entstehung des Kosmos auf den sogenannten »Urknall« zurückgeführt,<br />

der einen Punkt von unendlicher Dichte voraussetzt.<br />

Im Rückwärtsdenken der aus gewissen Phänomenen erschlossenen<br />

Expansion des Kosmos ergibt sich der Gedanke dieses Punktes<br />

mit selbstläufiger Konsequenz, ohne dass über diesen oder gar<br />

das ihm Vorausgehende genaueres gesagt werd kann. Dabei spielen<br />

Entdeckungen in Bezug auf den Zusammenhang zwischen<br />

Stoff und Licht die entscheidende Rolle. Brennende Metalle<br />

oder Stoffe erzeugen charakteristische Spektren mit deren Hilfe<br />

man das Licht der Sterne chemisch analysiert und auf Grund der<br />

»Absorption« Aussagen über Entfernungsveränderungen (Geschwindigkeit)<br />

in Bezug auf den eigenen Standort macht.<br />

Im nächsten, entscheidenden Schritt zeigt Martin Schlüter, wie<br />

der gedankliche Weg, der eine sichere Logik ausdrückt, selbst zum<br />

Gegenstand der Beobachtung werden kann. Die Anschauung eines<br />

gedanklichen Weges ist eine erste übersinnliche Erfahrung,<br />

auch wenn sie noch keinen konkreten Inhalt hat. Ein anschließendes<br />

<strong>Gespräch</strong> n<strong>im</strong>mt die Beobachtung der Gedankengänge<br />

bei den erlebten Versuchen zum Gegenstand. Dabei wird schrittweise<br />

ausgesprochen, wie in der Anschauung der Gedankengänge<br />

neue Qualitäten auftauchen. Z.B., wenn <strong>im</strong> Absorptionsphänomen<br />

Gleiches mit Gleichem best<strong>im</strong>mt wird, wie Materielles mit<br />

Materiellem aus dem gesamten Erscheinungsfeld ausgesondert<br />

wird. Es stellt sich die Frage, wie der Begriff zur Wahrnehmung<br />

steht, ob noch gesagt werden kann, dass die Wahrnehmung eine<br />

Anziehung auf ihren Begriff ausübe, oder, ob nicht vielmehr der<br />

Mensch durch seine Entscheidung für einen Gedankengang und<br />

seiner Wahl der Begriffe etwas Neues schaffe. Es wird gefragt, ob<br />

sich in den Vorgängen nicht auch zeige, wie die Götterwelt ins<br />

Phänomen erstirbt. Eine Fortsetzung der Betrachtungen mit der<br />

Suche nach weiteren Erfahrungen an dieser Grenze zum Übersinnlichen<br />

und wie der Vollzug der Erkenntnis deutlicher ins Bewusstsein<br />

gehoben werden kann wäre wünschenswert. |


markus Karutz<br />

Kölner besonderheiten<br />

Das merkurielle Element des Wassers als die für Köln maßgebliche<br />

Signatur – dieses Motiv wurde in drei Beiträgen an den großen<br />

Themen Geologie und Geschichte herausgearbeitet. Es zeigt sich<br />

aber auch in charakteristischen Einzelheiten. (Red.)<br />

Mit der beginnenden Industrialisierung erlangten zwei Genussgüter<br />

besondere Bedeutung: der Schnupftabak und das Kölnisch Wasser.<br />

Der Schnupftabak löst sich nicht in Luft, sondern <strong>im</strong> wässrigen Sekret<br />

der Nase – <strong>im</strong> Gegensatz zum gerauchten Tabak, der als Blattprodukt<br />

<strong>im</strong>mer noch starken Merkurbezug aufweist, während das<br />

Kölnische Wasser seine Signatur schon <strong>im</strong> Namen trägt. Natürlich<br />

riecht es, schafft damit aber auch eine gleichsam chemische Beziehung:<br />

es soll über den sehr stofforientierten Geruchssinn die Menschen<br />

zusammenführen, sie anziehend machen. Nicht das Auflösende<br />

steht damit <strong>im</strong> Vordergrund, sondern das Zusammenführende.<br />

Später kam eine gewichtigere Industrie hinzu: die chemischen<br />

Fabriken Kalk und Bayer Leverkusen (das wir hier »eingemeinden«).<br />

Sie zeugen von der die Stoffe bewegenden, verbindenden<br />

und trennenden Kraft des Merkur-Wassers, dem Chemismus. Aber<br />

selbst dort, wo in der Industrie stabilere, quasi irdischere Güter<br />

produziert werden, dienen diese der Bewegung, der Zusammenführung<br />

der Menschen: Ford produzierte die Auto-Mobile. Und <strong>im</strong><br />

übertragenen Sinne findet das Merkurielle seine Ausprägung dort,<br />

wo etwas von einem Menschen, der etwas hat aber nicht braucht, zu<br />

einem anderen, der es braucht, aber nicht hat, weitergereicht wird,<br />

ausgleichend, helfend, Menschen verbindend: dem Urbild des Versicherungswesens.<br />

Das hatte – natürlich! – in Köln eine Art Hauptstadt.<br />

Axa, Colonia, Gerling, Kölner Rück, viele Versicherungen<br />

haben hier ihre Zentrale, alle aber bedeutende Niederlassungen.<br />

J. W. v. Goethe: Brief an den maler Hoffmann in Köln:<br />

»Bey dieser Gelegenheit wollte ich Sie ersuchen,<br />

mir ein Kästchen mit sechs Gläsern eau de<br />

Cologne zu überschicken, wofür ich den Betrag mit<br />

dem übrigen gern erstatten werde.« 9.5.1802<br />

Und was die Kunst angeht, so ist Köln weniger der Platz herausragender<br />

origineller Produktion – die gibt es auch – sondern mehr<br />

Handels- und Umschlagsplatz. Die Art Cologne ist die weltweit<br />

größte und bedeutendste Kunstmesse, die Galerienzahl ist nach<br />

New York weltweit führend.<br />

Wenn man innerhalb der Kunst fragt, wo am ehesten eine originäre<br />

Produktion stattfindet, die über den Horizont der Stadt hinausreicht,<br />

so einerseits <strong>im</strong> Bereich des Wortes (Böll, Wallraff ) und andererseits<br />

in der Musik, der vielleicht merkuriellsten, »chemischsten«<br />

Kunst: das WDR Orchester und das Gürzenichorchester sind<br />

<strong>im</strong> Gegensatz zu Schauspiel und Oper überregional bedeutsam.<br />

Manche bedeutende Uraufführungen, z.B. von Brahms oder Mahler<br />

fanden hier durch das Gürzenichorchester statt, bedeutsame<br />

zeitgenössische Komponisten wie Kagel und Stockhausen wirken<br />

hier, die Trienale hat sich überregionale Bedeutung erworben, das<br />

unübersehbar große original kölsche Liedgut zeugt von der ungebremsten<br />

Schaffensfreude auch weniger »seriöser« Musiker. Auch<br />

Pop Com und Ringfest in ihrem Jahrmarktcharakter waren typisch<br />

kölsche, merkurielle Ereignisse, wie auch das Weltjugendtreffen von<br />

2005, die angeblich größte Festversammlung, die je in Deutschland<br />

stattgefunden hat. Die friedlich-freundlich-chaotische St<strong>im</strong>mung,<br />

die hierbei herrschte, war bezeichnend. Bevor Berlin als großer<br />

Staubsauger von Einrichtungen auftrat, war Köln auch die Stadt,<br />

in der viele überregional bedeutende Verbandssitze und Lobbyorganisationen<br />

angesiedelt waren wie der DIHT, BDI, KBV, die<br />

Bundesärztekammer etc. Auch deren Aufgabe als Verbindungsglied<br />

der Einzelmitglieder, als Interessensvertretung nach Außen und<br />

Abgleich nach innen ist eine sehr merkurielle Tätigkeit.


Das gilt auch für das Verhältnis zu den beiden großen, sich eigentlich<br />

widersprechenden Bewegungen von Katholizismus und<br />

Karneval. Oder, anders ausgedrückt, gerade in der Verbindung<br />

der Pole zwischen ausgelassener, oft ziemlich sinnlichen Weltlichkeit,<br />

und der strengen Religiosität der katholischen Kirche<br />

kann der merkurielle Mensch hin- und herschwingen, ohne sich<br />

<strong>im</strong> Widerspruch zu erleben. So sind auch die katholische und die<br />

karnevalistische Sexualmoral problemlos zu integrieren. Man kann<br />

den Kölner nicht fassen, er entwindet sich sogar dem gestrengen<br />

Kardinal. Und wenn die kirchlichen Beratungseinrichtungen geschlossen<br />

werden, so gründet der Kölner eben das Donum Vitae –<br />

und schon geht’s weiter. Und wenn der Erzbischof die aufmüpfigen<br />

Jesuiten der Karl Rahner Akademie durch Geldentzug kaltstellen<br />

will, so bekommen sie genügend Spenden, um weiterzuleben. Und<br />

wenn der Kardinal einem zu selbstständigen französischen Bischof<br />

Hausverbot erteilt, so geht er für seinen Vortrag in die Stadthalle.<br />

Wenn ihm auch diese verboten wird, macht er seine Sicht umso<br />

öffentlichkeitswirksamer schriftlich bekannt. Dass wir überhaupt<br />

diesen Kardinal haben, ist ein »Heilungsversuch« des kölschen<br />

Wesens durch den ehemaligen polnischen Papst: er meinte, mit<br />

dem Preußen das zu bewegliche, damit auch liberale Domkapitel,<br />

welches auf der Tradition des das Klauen (»fringsen«) salonfähig<br />

gemacht habenden Kardinal Frings fußte, erden, einfrieren zu<br />

können. Das konnte natürlich nur sehr begrenzt gelingen. Etwas<br />

von dieser merkuriellen Anarchie lebt heute noch am südlichen<br />

Rand in der Siedlung Kalscheurer Weg, die <strong>im</strong> kleinen mit ihrer<br />

chaotischen, jeglicher Regel abholden Bebauung (wildem Anzapfen<br />

von Strommasten, Kanalisation etc.), phantasievollen Haus- und<br />

Gartengestaltung, eigenem Sozialleben mit eigener »Gesetzlichkeit«<br />

eine quicklebendige, sich nicht festlegende, nicht erstarrende<br />

Stadt in der Stadt darstellt.<br />

Und schließlich die Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft<br />

als Trennung von der Theosophie: so wie der Rhein rechtes<br />

und linkes Land mit seiner starken Gegensätzlichkeit trennt, wie<br />

Wasser nicht nur eine verbindende, amalgamierende Kraft hat, sondern<br />

– z.B. be<strong>im</strong> Auflösen von Salzen <strong>im</strong> Wasser in die jeweiligen<br />

polaren Komponenten – auch eine stark trennend, lösende Seite<br />

besitzt, so musste die Trennung der »versalzten« Beziehung zu<br />

den Theosophen in Köln vorbereitet werden, um dann in Berlin<br />

endgültig vollzogen zu werden. Dazu gehört auch, dass Rudolf<br />

Steiner in diesem Zusammenhang bedeutende Vorträge – mit 80<br />

Vorträgen sind es neben Berlin und Dornach die drittmeisten – der<br />

Brückenbildung gewidmet hat: einerseits der Brücke zwischen<br />

Orient und Okzident (die Bhagavad-Gita und die Paulusbriefe)<br />

und andererseits der zwischen Erde und H<strong>im</strong>mel (über die Messe<br />

und das Gebet). Es passt aber auch, dass das begonnene Werk<br />

hier nicht vollendet werden konnte, dass Mathilde Scholl und<br />

die ganze Bewegung nach München und Dornach abwanderten,<br />

wie auch das Wasser weiterfließt. Dort, wo es zu konkreten, irdischen<br />

Realisierungen kommen sollte, mussten andere Kräfte der<br />

Verirdischung herrschen.<br />

Wenn wir schließlich einen letzten Blick auf den Kölner als leibliches<br />

Wesen werfen und einmal von seiner so großen Vorliebe für das<br />

merkurielle Bier absehen, so finden wir wieder unser Thema, eine<br />

Konstitution, die durch auffallend formlose, teigig nach unten hänge<br />

Wangen gekennzeichnet ist. Wenn man darauf erst einmal aufmerksam<br />

geworden ist, kann man überraschend oft etwa den Schwaben<br />

vom originalen Kölner unterscheiden. Das kann ich rückblickend<br />

schon für meine Studienzeit sagen, wo wir einen markanten Kölner<br />

Kommilitonen hatten, der sich durch rheinischen Frohsinn, durch<br />

eine merkwürdig blass-wässrige Augenfarbe und leicht verschwollener<br />

blass-rosa Haut auszeichnete. Ohne Widerstand, an dem man<br />

anstoßen konnte, ging er seinen Weg, klug, aber nicht prägend.<br />

Und oft kommt es in der Praxis vor, dass Patienten beklagen, mit<br />

chronischen Nebenhöhlenentzündungen zu tun zu haben seit sie in<br />

Köln leben. Der der Luft vorbehaltene Raum <strong>im</strong> Kopf, <strong>im</strong> Bereich<br />

des »kristallinen«, gebirgsartigen Nervensystems wird überspült<br />

vom Wasser und den schlammbildenden Kräften des Stoffwechsels,<br />

die auch früher hier Erdleibbildend waren. Und man höre sich die<br />

Sprache des Kölners an, mit den verschluckten, offenen Endungen,<br />

der Vermeidung harter Konsonanten (»ahl Krötsch« statt »alte<br />

Kröte« oder »dä fäht wie en jesengt sau« – »der fährt wie eine<br />

gesenkte Sau«) und der Lautumbildung z.B. des scharfen »Ch«<br />

in das rauschende, schäumende »sch« (»Isch« statt »Ich«), so<br />

fühlt man bis in die Sprache die prägende Kraft des Wassers. Dass<br />

die Kölner Witze zentral mit zwei Menschen, die aber scheinbar<br />

untrennbar zusammen auftreten, verbunden sind, Tünnes und<br />

Scheel, sei nur am Rande, passend zum Thema, erwähnt. |


Christof <strong>Linde</strong>nau<br />

um eine Kultur-notwendigkeit sichtbar zu machen<br />

Zur aufgabenstellung der anthroposophischen meditationswerkstatt Bochum-Witten<br />

Der letzte der 1925 an die Mitglieder der Anthroposophischen<br />

Gesellschaft gerichteten Leitsatz-Briefe Rudolf Steiners berührt<br />

uns – jedenfalls von heute her angeschaut – zweifellos<br />

auch durch seinen unmittelbar testamentarischen Charakter.<br />

Denn in ihm blickt Rudolf Steiner auf das heutige Schicksal<br />

des sich auf der Erde inkarnierenden Menschen. Von Kindheit<br />

an orientiert sich der Mensch durch den Erwerb des<br />

aufrechten Gehens und Stehens in die Erdenkräfte hinein.<br />

Diese Kräfte sind jedoch für die Geistesforschung keine, die<br />

wie der Mensch selber aus dem Kosmos stammen, sondern<br />

solche, die allein vom Erdbereich ausgehen.<br />

Sie sind also – anders als das, was wir als Farbe, Ton usw. um<br />

uns herum als Kind wahrnehmen – von einer bloß irdischen<br />

Eigenart. Gerade dadurch aber bilden sie nichts weniger als<br />

den Anfang dessen, was als ein rein Mechanisches in der<br />

heutigen Technik wirkt. Und wie sich der Mensch erst <strong>im</strong><br />

Erdbereich in dieses Mechanische einlebt, so wird auch erst<br />

<strong>im</strong> Erdbereich den aus dem Kosmos zugeflossenen Qualitäten<br />

seiner Sinneswahrnehmung die uns als Erwachsenen<br />

gewohnte Gegenständlichkeit eingepflanzt.<br />

»Das weitaus Meiste dessen,« so Rudolf Steiner, »was heute<br />

durch die Technik in der Kultur wirkt und in das er mit seinem<br />

Leben <strong>im</strong> höchsten Grade versponnen ist, das ist nicht Natur,<br />

sondern Unter-Natur. Es ist eine Welt, die sich nach unten<br />

hin von der Natur emanzipiert.«1 Dadurch aber trifft der<br />

Mensch, so Rudolf Steiner weiter, <strong>im</strong> Laufe des Erdenlebens<br />

<strong>im</strong>mer mehr auf eine Qualität, die von einer geistigen Macht<br />

ausgeht, welche den Menschen aus dem ihm eigenen Entwicklungsstrom<br />

herauslösen will, um ihn – von ihm selber unbemerkt<br />

– zu einem nur ihr allein dienenden Wesen zu machen.<br />

Rudolf Steiner nennt diese gegen das Eigenständige der<br />

menschlichen Entwicklung gerichtete Macht die ahr<strong>im</strong>anische.<br />

In Folge dessen steht heute der Mensch geistig vor der<br />

Aufgabe, sich durch sich selbst mit seinem eigenen Wesen »in<br />

das rechte Verhältnis zu diesem Ahr<strong>im</strong>anischen« zu setzen.<br />

»Der Mensch muss die Stärke, die innere Erkenntniskraft<br />

finden, um von Ahr<strong>im</strong>an in der technischen Kultur<br />

nicht überwältigt zu werden. Die Unter-Natur muss<br />

als solche begriffen werden.« Gelingen kann dies jedoch<br />

nur, »wenn der Mensch in der geistigen Erkenntnis mindestens<br />

gerade so weit hinaufsteigt zur außerirdischen<br />

Über-Natur, wie er in der Technik in die Unter-Natur<br />

heruntergestiegen ist.«<br />

Unser »Zeitalter braucht eine über die Natur gehende Erkenntnis,<br />

weil es innerlich mit einem gefährlich wirkenden<br />

Lebensinhalt fertig werden muss, der unter die Natur heruntergesunken<br />

ist.« Und eben dieser seit Rudolf Steiners<br />

Lebenszeit ins schier Unendliche vermehrten Notwendigkeit<br />

für das Menschsein möchte sich die »Anthroposophische<br />

Meditationswerkstatt Bochum-Witten« stellen. Sie will zu<br />

einer aus der Über-Natur <strong>im</strong>pulsierten Kultur beitragen,<br />

die so – wenn auch weithin unerkannt – die Gegenwart<br />

selbst fordert. Und zwar schlicht dadurch beitragen, dass sie<br />

ihre meditative Arbeit inhaltlich zunächst an nichts weiter<br />

anknüpft, als an die einzelnen Sinnesqualitäten. Denn da<br />

diese Qualitäten aus dem gleichen Kosmos stammen, aus<br />

dem er selber durch seine Geburt herabgestiegen ist, lernt<br />

auf diesem Weg der meditierende Mensch <strong>im</strong>mer mehr auch<br />

die Welt seines eigenen Ursprungs kennen.2 |<br />

1 Vergleiche dazu das Anliegen des Leitsatzbriefes »Von der Natur zur Unter-Natur« in »Anthroposophische Leitsätze. Der<br />

Erkenntnisweg der Anthroposophie. Das Michael-Mysterium« (GA 26), dem auch die folgenden Zitate entnommen sind.<br />

2 Gegenwärtig arbeitet diese Werkstatt in zwei Abteilungen. Die eine von ihnen bemüht sich darum, die anthroposophische<br />

Meditation <strong>im</strong> Sinne einer spirituellen Kulturtechnik zu vermitteln. Sie bildet dadurch eine Vorbereitung für die zweite, in der<br />

jeder ihrer Mitarbeiter – <strong>im</strong> Sinne einer Werkstattgemeinschaft für meditatives Forschen – seine eigenen Forschungsvorhaben<br />

auf diesem Felde vorstellt und mit den anderen Mitarbeitern bespricht.

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