empirische Sozialforschung - MZES
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Arbeitspapiere - Mannheimer Zentrum für Europäische <strong>Sozialforschung</strong> 3<br />
Für Begründungsaufforderungen gilt noch weit mehr als für Aufforderungen zu Stellungnahmen, daß<br />
sie sich negativ auf die Interviewsituation auswirken können. Denn insbesondere, wenn sie durch<br />
Konfrontationen und Polarisierungen (s.u.) unterstützt werden, besteht die Gefahr, daß die Befragten<br />
den Eindruck gewinnen, sich gegenüber den Interviewführenden rechtfertigen zu müssen. Dies kann<br />
sich nicht nur ungünstig auf die Befragungssituation auswirken (bis hin zur Antwortverweigerung oder<br />
gar zum Abbruch des Interviews), sondern vor allem auch zu invaliden Ergebnissen führen, da die<br />
Befragten "trotzig" oder "eingeschüchtert" (soziale Erwünschtheit) reagieren können. Diesen Gefahren<br />
ist durch eine entsprechende Interviewführung vorzubeugen. Auch für Begründungsaufforderungen<br />
gilt daher, daß sie erst nach der Schaffung einer konstruktiven und vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre<br />
erfolgen sollten. Darüber hinaus sollten Begründungsaufforderungen eher sparsam verwendet<br />
werden, um nicht in eine Art Dauerdiskussion mit den Befragten zu geraten und dadurch ein zu großes<br />
Übergewicht von Argumentationstexten zu verursachen. Begründungsaufforderungen sollten<br />
daher möglichst erst nach Aufforderungen zu Stellungnahmen (und beide wiederum erst nach Erzählaufforderungen)<br />
erfolgen. Denn dadurch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Begründungen<br />
ohne explizite Begründungsaufforderungen (nämlich im direkten Kontext von Erzählungen und Stellungnahmen),<br />
die nicht nur die Interviewsituation weniger belasten, sondern vermutlich auch glaubwürdiger<br />
sind.<br />
4.2.4. Fragen und Stimuli zur Evokation von Stellungnahmen und Begründungen<br />
Aufgrund der hohen Bedeutung von Stellungnahmen und Begründungen für die Rekonstruktion und<br />
Analyse sozialer Deutungsmuster muß ein Verfahren zur Analyse sozialer Deutungsmuster über Möglichkeiten<br />
einer gezielten Evokation von Stellungnahmen und Begründungen verfügen. Im diskursiven<br />
Interview sind hierzu spezifische Frage- und Stimulusarten vorgesehen.<br />
(1) Hypothetische Situationen:<br />
Ein Mittel zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von Stellungnahmen und expliziten Begründungen<br />
sind hypothetische Situationen. Dabei werden die Befragten gebeten, sich in andere Situationen<br />
zu versetzen und zu überlegen, zu welchen Entscheidungen, Beurteilungen etc. sie in<br />
einem solchen Fall kommen würden ("Wenn Sie [...] wären, was würden Sie dann tun?", "Stellen<br />
Sie sich vor, [...]; wie würden Sie Ihre Situation dann beurteilen?" etc.). Durch hypothetische<br />
Situationen ist es möglich, von Befragten auch zu solchen Sachverhalten Stellungnahmen zu<br />
erhalten, von denen sie nicht unmittelbar betroffen sind. Außerdem können einzelne Parameter<br />
eines im Interview erörterten Sachverhalts variiert werden. Meist werden hypothetische Situationen<br />
in diesem Sinne an die konkreten, bereits thematisierten Sachverhalte angeknüpft. Hypothetische<br />
Situationen sind aber auch ohne direkten Interaktionsbezug möglich. So können Befragte<br />
etwa aufgefordert werden, sich in die für sie irreale Situationen eines Verantwortungsträgers<br />
(z.B. eines politischen Mandatsträgers oder Arbeitgebers) zu versetzen ("Wenn Sie als/in<br />
der Funktion eines [...] zu entscheiden hätten: Was würden Sie hinsichtlich [...] ändern?" etc.).<br />
Auch solche eher unvermittelten hypothetischen Situationen können Aufschluß über grundlegende<br />
Situationsdefinitionen und Deutungsmuster geben. Der damit verbundene Perspektivenwechsel<br />
läßt aber vor allem Widersprüche und Inkonsistenzen in den Begründungen deutlicher<br />
hervortreten (bzw. macht diese wahrscheinlicher). Als interne Konfrontationen (s.u.) können diese<br />
wiederum zur Präzisierung und Evokation weiterer Stellungnahmen und Begründungen genutzt<br />
werden.<br />
(2) "Persilscheine":<br />
Um auch Sichtweisen zu erfassen, die von Befragten selbst womöglich als prekär, also als nur<br />
schwer kommunikativ zu validieren, eingeschätzt werden, ist eine Gesprächssituation erforder-<br />
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