empirische Sozialforschung - MZES
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Arbeitspapiere - Mannheimer Zentrum für Europäische <strong>Sozialforschung</strong> 3<br />
Aber auch das diskursive Interview ist nur eine Interaktionsform unter anderen (und zudem eine artifizielle<br />
und für die Befragten ungewohnte). Es bleibt somit das Problem situativer Effekte: In einer anderen<br />
Interaktionsform als dem diskursiven Interview würden auch andere Stellungnahmen und Begründungen<br />
generiert werden. Entsprechend muß man von situationstypischen Derivationen ausgehen. 30<br />
Als problematisch kann es sich dann erweisen, wenn der "Zugzwang zur Begründung" zu stark wird.<br />
Werden dann womöglich zusätzlich Begründungsangebote unterbreitet, ist die Gefahr eines invaliden<br />
Rückgriffs auf Deutungsmuster groß. Ein zu starker Rechtfertigungsdruck kann aber auch ohne solche<br />
Angebote dazu führen, daß vorwiegend auf Deutungsmuster zurückgegriffen wird, die die Befragten<br />
für konform und opportun halten, was zwar die Bedeutung dieser Deutungsmuster unterstreicht, aber<br />
die Spannbreite der evozierten Deutungsmuster erheblich einschränken könnte.<br />
Situative Effekte können auch beim diskursiven Interview nicht ausgeschlossen, sondern nur durch<br />
eine günstige Erhebungssituation verringert werden. Ebenso ist nicht auszuschließen, daß geäußerte<br />
Derivationen auch - im Grenzfall sogar nur - Ausdruck individueller Idiosynkrasien sind. Deren Einfluß<br />
wird jedoch dadurch eliminiert, daß soziale Deutungsmuster niemals aus einzelnen Derivationen rekonstruiert<br />
werden, sondern das Ergebnis systematischer Vergleiche sind. Zugleich verhindern die<br />
Methode der Fallkontrastierung und die parallele Interpretation, die einer Typenbildung vorausgeht,<br />
daß sich subjektive Einflüsse seitens der Interpreten stärker auswirken. Gleiches gilt auch für die Bildung<br />
von Idealtypen. Durch die "irreale" Eigenart der Idealtypen und durch die höhere Bedeutung des<br />
Erklärungspotentials von Idealtypen gegenüber deren Konstruktion für die Beurteilung ihrer Qualität<br />
werden die Gefahren fehlerhafter Interpretationen deutlich verringert.<br />
30 Allgemein zum Einfluß des situativen Kontextes auf das Antwortverhalten bei Befragungen vgl. a. Esser (1986)<br />
sowie Kohli (1978: 13ff.). Das Problem der sozialen Erwünschtheit ist also auch hier vorhanden, jedoch weit<br />
geringer als sonst: Denn zum einen gelten qualitative Interviews zu Recht als in diesem Sinne unproblematischer:<br />
Das gesamte Interviewsetting, insbesondere die Kombination von Offenheit, Anonymität und die bewußte<br />
Orientierung an den Relevanzen des Befragten sind dazu angetan, daß auch vermeintlich "unorthodoxe"<br />
Ansichten eher geäußert werden. Aber auch unabhängig von der Art der Interviewtechnik kann von einer<br />
gestiegenen Bereitschaft zur Äußerung sozial womöglich unerwünschter Meinungen ausgegangen werden.<br />
Hierfür sprechen u.a. das gesunkene Prestige von (Sozial)Forschern und der Wertepluralismus, der schon<br />
das Erkennen "sozialer Erwünschtheiten" erheblich erschwert. Schließlich bieten die Aussagen der Befragten<br />
selbst eine gute Kontrollmöglichkeit: Sind diese heterogen oder weichen von den individuellen Ansichten der<br />
Interviewer ab bzw. von dem, was noch am ehesten als "herrschende Meinung" gelten kann, sind keine besonderen<br />
(d.h. eindimensionalen) Verzerrungen anzunehmen.<br />
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