"Ein neues Thier in den Weinbergen des deutschen ... - BTNG · RBHC
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Kotzebue, die ältere Schwester <strong>des</strong> Theaterdichters. Charlotte von Ste<strong>in</strong> aber<br />
ist die allbekannte Freund<strong>in</strong> <strong>des</strong> jungen Goethe während se<strong>in</strong>er ersten Jahre <strong>in</strong><br />
Weimar. Die Ten<strong>den</strong>z <strong>in</strong> Nietzsches genealogischem Phantasma wird<br />
deutlich. Aber Janz verfehlt es und schiebt das "Muthgen"-Kapitel zwischen<br />
zwei Kapitel mit <strong>den</strong> Titeln "Eisernes Diätprogramm" und "Das klassische<br />
Philosophiebild", wofür Kant als Modell dient (Janz, 1978, 535-537, 538,<br />
539-540). So wird Nietzsche zu e<strong>in</strong>em lauter rationellen Philosophen<br />
umstilisiert, der sich um se<strong>in</strong>e schwankende Gesundheit kümmert und nur<br />
mit dem rationellsten aller <strong>deutschen</strong> Denker verglichen wer<strong>den</strong> kann. Das<br />
niemals aufgemerkte Goethe-Phantasma ist e<strong>in</strong>er der vier Dimensionen<br />
unserer psychobiographischen Analyse. Dass sich solche elementare<br />
Erkenntnisse <strong>in</strong> der Nietzsche-Biographik nicht eher verbreitet haben, ist<br />
symptomatisch. Die Verständigung über Inhalte, dieses erste aller<br />
biographischen Interessen, rangiert wissenschaftlich weit h<strong>in</strong>ten, und der<br />
psychoanalytische Zugriff ist immer der ganz andere geblieben, zumal deren<br />
Resultate nur <strong>in</strong>nerhalb von deren eigenen engen Grenzen für gültig erachtet<br />
wer<strong>den</strong>. Die psychoanalytische Biographie von K.R. Eissler (1963), die zu<br />
<strong>den</strong> epochalen Leistungen <strong>in</strong>ternationaler Goethe-Biographik gehört, aber<br />
von <strong>den</strong> Goethe-Biographen totgeschwiegen wurde und lange Zeit unbeachtet<br />
blieb, ist dafür das beredteste Beispiel.<br />
Der Bedarf an e<strong>in</strong>er psychologisch-historischen Methode geht auch aus<br />
folgender Tatsache hervor. Dass Nietzsche mehr als zehnmal, offen oder<br />
verhüllt, über die polnische Herkunft se<strong>in</strong>er Familie (Nietzky) schrieb, wird<br />
zwar erwähnt, ist aber seltsamerweise noch nie untersucht wor<strong>den</strong>, was die<br />
Verzweiflung aller Biographen verrät. Nur e<strong>in</strong>e psychobiographische und<br />
historische Analyse <strong>des</strong> polnischen Themas <strong>in</strong> <strong>den</strong> Briefen und<br />
philosophischen Schriften vermochte <strong>den</strong> Ursprung und die Bedeutung dieses<br />
Phantasmas zu deuten (Devreese & Biebuyck, 2006). Die historische<br />
Dimension dieser Analyse wird von der Entdeckung von Nietzsches<br />
unbekanntem Vorfahren als e<strong>in</strong>em Jura-Stu<strong>den</strong>ten, der sich 1699 an der<br />
Universität Leipzig immatrikulierte, und von der Rekonstruktion se<strong>in</strong>er<br />
Laufbahn und se<strong>in</strong>er Auswanderung aus der Oberlausitz nach Thür<strong>in</strong>gen<br />
konkretisiert. Die psychologische Analyse weist auf die Entstehung jenes<br />
Phantasmas beim jungen Nietzsche h<strong>in</strong>, der sich nach dem frühen Tode<br />
se<strong>in</strong>es Vaters 1849 auf se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tellektuelle Tante Rosalie Nietzsche richtete,<br />
die älteste Tochter se<strong>in</strong>er Großmutter Erdmuthe Krause. In der e<strong>in</strong>maligen<br />
Polenbegeisterung <strong>in</strong> Deutschland nach dem polnischen Aufstand 1830 und<br />
der erotischen Schwärmerei der damals neunzehnjährigen, später aber ledig<br />
gebliebenen Tante Rosalie f<strong>in</strong>det Nietzsches Phantasma über se<strong>in</strong>e polnische<br />
"EIN NEUES THIER IN DEN WEINBERGEN DES DEUTSCHEN GEISTES" [449]