Testi e linguaggi.qxd - EleA@UniSA
Testi e linguaggi.qxd - EleA@UniSA
Testi e linguaggi.qxd - EleA@UniSA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
M Á R I O M AT O S<br />
oder Gereist-Werden, in welchem er «das Reisen in der Masse, das Reisen nach<br />
Kontrakt» 13 kritisiert und heftig gegen «die neue bureaukratische, maschinelle<br />
Form des Massenwanderns, des Reisebetriebs» 14 polemisiert. Nicht nur die<br />
rapide Motorisierung, sondern auch die Explosion verschiedenster analoger<br />
Massenmedien (Foto, Film, Rundfunk, illustrierte Presse) waren bereits in der<br />
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausschlaggebend für eine intensive Reflexion<br />
der Problematik des Reisens und seiner Repräsentation im “Zeitalter der<br />
technischen Reproduzierbarkeit” (W. Benjamin). Einige dieser kritischen Zukunftsvisionen<br />
haben sich bis zum Ende des Jahrhunderts tatsächlich (zumindest<br />
teilweise) “materialisiert”, andere wiederum erscheinen auch noch in<br />
der Cyber-Ära als zählebige, jedoch weiterhin uneingelöste Prophezeiungen.<br />
Kracauers scharfsinnige Bemerkungen lesen sich diesbezüglich wie viele Tourismus-<br />
und Medienkritiken aus der heutigen Zeit, die kaum über die “futuristischen”<br />
Befunde aus den 1920er Jahren hinausgekommen zu sein scheinen:<br />
Je mehr die Welt dank Auto, Film und Aeroplan zusammenschrumpft, um so mehr<br />
wird freilich auch der Begriff des Exotischen relativiert […]. Diese Relativierung des<br />
Exotischen geht Hand in Hand mit seiner Verbannung aus der Wirklichkeit – so daß<br />
romantische Gemüter früher oder später die Anlage umzäunter Naturschutzparks<br />
werden anregen müssen, verschlossener, märchenhafter Bereiche, in denen man auf<br />
Erlebnisse hoffen darf, die zur Zeit Kalkutta kaum noch gewährt. Bald ist es soweit.<br />
Infolge der zivilisatorischen Annehmlichkeiten ist heute bereits nur der geringste Teil<br />
der Erdoberfläche terra incognita, die Menschen sind heimisch sowohl zuhause wie<br />
anderwärts und auch nirgends zuhause 15 .<br />
Mit dieser Voraussehung werden “Realitäten”, wie wir sie heute kennen und<br />
erleben, etwa die synthetischen Freizeit- und Abenteuerparks oder das Leben<br />
im “globalen Dorf” bereits treffsicher vorweggenommen. Auch die aktuelle<br />
Diskussion um die “De-Realisierung” von Welt durch die Medien wird bei<br />
Kracauer auf beeindruckende Weise antizipiert.<br />
Der Topos des durch Massentourismus und -medien induzierten paradoxen<br />
Gefühls des “Überall-und-nirgends-zuhause-Seins” in einer globalisierten<br />
Welt wird etwa dreißig Jahre später durch Max Frischs Romanfigur Homo faber<br />
– das Inbild des rast- und orientierungslosen, (post)modernen homo viators<br />
– in äußerst verdichteter Form verkörpert. In einer retrospektiven Passage<br />
über seine Studentenzeit in den 20/30er Jahren erinnert sich der kosmopolitische<br />
Ich-Erzähler denn auch an eine das Reisen in modernen Zeiten betreffende<br />
“Offenbarung” seines ehemaligen Professors:<br />
Eine Hochzeitsreise (so sagte er immer) genügt vollkommen, nachher finden Sie alles<br />
Wichtige in Publikationen, lernen Sie fremde Sprachen, meine Herren, aber Reisen,<br />
meine Herren, ist mittelalterlich, wir haben heute schon Mittel der Kommunikation,<br />
geschweige denn morgen und übermorgen, Mittel der Kommunikation, die uns die<br />
140