29.10.2013 Aufrufe

Programm - Gaia Festival

Programm - Gaia Festival

Programm - Gaia Festival

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

KONZERT 2<br />

Riesen am Klavier<br />

Wenn man die Komponisten des vorangegangenen<br />

Konzertes betrachtet – Mozart, Beethoven,<br />

Brahms –, fällt auf, dass sie als grosse Tonsetzer<br />

den «Pool» der kollektiven Erinnerungen bereichern,<br />

aber kaum als praktische Musiker, die<br />

sie doch auch waren: Mozarts Status als «Wunderkind»<br />

gründete mindestens ebenso auf seine<br />

Fähigkeiten am Klavier wie auf seine frühe<br />

Kompositionskunst, und seine Anstellungen als<br />

Hofkapellmeister oder Organist erlangte er auf<br />

Grund seines Instrumentalspiels. In Brahms’<br />

Klavierspiel entdeckte der Geiger Joseph Joachim<br />

«intensives Feuer», in Wien reüssierte der<br />

so Gelobte als Pianist und Chorleiter. Allenfalls<br />

Beethoven macht auch als ausübender Musiker<br />

gleichsam bis in die Gegenwart hinein Schlagzeilen:<br />

Seine wilde, streckenweise groteske Art,<br />

das Klavier zu traktieren oder ein Orchester zu<br />

dirigieren, wird zur Verdeutlichung seiner Ausserordentlichkeit<br />

gerne aus historischen Dokumenten<br />

zitiert.<br />

Eben deshalb, wegen seiner Bedeutung als<br />

Pianist, erscheint Ludwig van Beethoven auch<br />

in diesem Konzert. Dennoch sind die «Riesen»<br />

(Giants) dieses <strong>Programm</strong>s, also die zu ihrer Zeit<br />

als Virtuosen am Klavier berühmten «Auch-Komponisten»,<br />

unbestreitbar Sergei Rachmaninow,<br />

Ferruccio Busoni und Franz Liszt. Allerdings auf<br />

unterschiedliche Weise: Beispielsweise blieb<br />

Frédéric Chopin auch als Komponist ein Mann<br />

des Klaviers, Liszt erfand jedoch «nebenbei» mit<br />

der Sinfonischen Dichtung eine neue Musikgattung.<br />

Auch Busoni, zunächst als Wunderkind à la<br />

Mozart vorgezeigt, strebte mit seinem «Entwurf<br />

einer neuen Ästhetik der Tonkunst» als Tonsetzer<br />

zu neuen Ufern. Für Rachmaninow hingegen, als<br />

Komponist nicht selten belächelt, öffnete seine<br />

virtuose Kunst am Klavier den Weg zu internationalem<br />

Ruhm. Er kehrte von Gastspielen als Pianist<br />

in Skandinavien nicht in die Sowjetunion<br />

zurück und liess sich 1918 in den USA nieder, wo<br />

er rastlos eine Konzerttournee nach der anderen<br />

Jürgen Hartmann<br />

absolvierte. Dass dies auf Kosten seiner Kreativität<br />

als Komponist ging, verwundert nicht. Robert<br />

Schumann, der das <strong>Programm</strong> komplettiert, hatte<br />

eine Pianistenkarriere angepeilt, vereitelte diese<br />

aber selbst, indem er in unreflektiertem Streben<br />

nach Perfektionierung die Beweglichkeit seiner<br />

Finger ruinierte. Als Dirigent machte Schumann<br />

eine bestenfalls durchschnittliche Karriere – all<br />

dies ist sozusagen die Kehrseite einer Virtuosenkarriere,<br />

im Schatten eines zwar geliebten, aber<br />

auch eifersüchtig belauerten (weiblichen) «Riesen»<br />

– der berühmten Pianistin Clara Schumann.<br />

Das <strong>Programm</strong> beginnt mit zwei Werken aus<br />

jungen Jahren: Rachmaninow war noch Student,<br />

als er 1891/92 sein Trio elégiaque komponierte,<br />

Busoni begann gar als Vierzehnjähriger mit dem<br />

Scherzo und fügt wenige Jahre später anlässlich<br />

einer Überarbeitung das Andante mit Variationen<br />

hinzu. Rachmaninow schrieb ein Klaviertrio,<br />

das dem verehrten Lehrer Tschaikowsky<br />

huldigte, teils in der Klangsprache, teils in der<br />

Bezeichung «elégiaque» oder auch der Tempovorschrift<br />

«lugubre», die Tschaikowsky andernorts<br />

verwendet hatte. Ein gutes Jahr später liess der<br />

junge Komponist nach dem Tod des Älteren ein<br />

zweites Werk in dieser Besetzung folgen. Natürlich<br />

spielte Rachmaninow bei der Uraufführung<br />

seines frühen Trios selbst den Klavierpart. Das<br />

einsätzige Werk, das das «elegische» Hauptthema<br />

nacheinander den drei Instrumenten zuteilt<br />

und in einem Trauermarsch intensiviert, ist ein<br />

eindrucksvoller Beweis für die Vielfalt an Klangfarben,<br />

die Rachmaninow insbesondere dem<br />

Klavier zu entlocken wusste. Im Gegensatz zu<br />

dem russischen Komponisten blieb bei Busoni<br />

das Klaviertrio mit dem Andante mit Variationen<br />

und Scherzo ein Einzelstück in dieser Besetzung.<br />

sein op. 1 ist ein kleiner Zyklus von Klaviertrios,<br />

und op. 70 ist ein «Doppelpack» der mittleren Lebensphase<br />

(gleich nach der «Pastorale» und in der<br />

lyrischen Stimmung dieser durchaus verwandt).<br />

Das erste Werk führt den Beinamen «Geistertrio».<br />

Wie so oft, ist dies wohl eher einem Zufall zu verdanken:<br />

In einer Skizze zu dieser Komposition<br />

findet sich ein Verweis auf Shakespeares «Macbeth»<br />

(ein wahres «Geisterdrama») – es ist aber<br />

nicht klar, ob Beethoven sich mit diesem Stück<br />

befassen wollte und erst recht nicht, ob das so<br />

genannte «Geistertrio» von «Macbeth» inspiriert<br />

ist. (Immerhin verdanken wir dem seltsamen<br />

Beinamen ein gleichnamiges Fernsehspiel von<br />

Samuel Beckett.)<br />

Während Beethoven sich in Wien anfangs als<br />

Instrumentalist einen Namen machte und bald<br />

als «Riese unter den Klavierspielern» galt (so Konrad<br />

Huscher in seinem Buch «Beethoven als Pianist<br />

und Dirigent»), fügt sich Robert Schumanns<br />

Tätigkeit als Dirigent in den Rahmen seines im<br />

Grossen und Ganzen unglücklichen Lebens ein.<br />

In Düsseldorf, wo er als Leiter der Rheinischen<br />

Musikfeste 1850 optimistisch angetreten war,<br />

kritisierten ihn schon bald die Presse, die Mitwirkenden,<br />

das Publikum. Von kurzer Dauer war<br />

besagter Optimismus, Clara Schumann kündigte<br />

schon 1852 an: «Die erste Gelegenheit, die sich<br />

uns bietet, und wir verlassen Düsseldorf.» Dazu<br />

sollte es nicht mehr kommen, 1854 wurde ihr<br />

Mann in eine Heilanstalt verbracht, wo er zwei<br />

Jahre später starb. Der sechsteilige Zyklus von<br />

Impromptus «Bilder aus Osten» scheint einige<br />

Jahre zuvor, 1848, in einem glücklichen Moment<br />

entstanden zu sein, und Robert Schumann wollte<br />

laut eigener Aussage mit dem vierhändigen Spiel<br />

bewusst «Herzensduette» schaffen. In diesem Fall<br />

ist der Beiname «Bilder aus Osten» sinnvoll und<br />

wurde vom Komponisten belegt: Schumann hatte<br />

bei Freunden ein Buch von Friedrich Rückert gelesen,<br />

eine Übersetzung aus dem Arabischen, und<br />

liess sich von dessen «kunstvoll verschlungenem<br />

Sprachausdruck» inspirieren.<br />

Frédéric Chopin und Franz Liszt sind als<br />

Pianisten gewiss «Riesen» des 19. Jahrhunderts<br />

– in unterschiedlicher Ausprägung: Chopin stellt<br />

man sich in den Pariser Salons vor, Liszt in grossen<br />

Konzertsälen. Was die Scheu vor dem gros-<br />

sen Publikum bei Chopin verhinderte, konnte<br />

aber auch ein Vorteil sein, wie ausgerechnet<br />

Franz Liszt meinte: «Nur selten und in grossen<br />

Abständen hat sich Chopin öffentlich hören<br />

lassen. Was aber für jeden anderen der sichere<br />

Weg zum Vergessenwerden und zu einem unbedeutenden<br />

Dasein gewesen wäre, verschaffte<br />

ihm im Gegenteil ein über allen Launen und<br />

Moden erhabenes Ansehen, und wurde ihm eine<br />

Schutzeinrichtung gegen Neid, Eifersucht und<br />

Ungerechtigkeit. Indem sich Chopin von dem<br />

rastlosen Treiben fern hielt, das seit einigen<br />

Jahren die Virtuosen des gesamten Erdkreises<br />

durcheinander und gegeneinander drängt, ist<br />

er doch beständig von treuen Anhängern umgeben<br />

geblieben.» Liszt hatte zwar ebenfalls nicht<br />

wenige Anhänger, aber auch viele Gegner, wofür<br />

sein – diplomatisch ausgedrückt – bewegtes Privatleben<br />

noch zusätzlichen Anlass bot.<br />

Auch experimentierte Franz Liszt gern:<br />

Während er mit «Romance oubliée» für Viola<br />

und Klavier eines der schönsten Duos der<br />

romantischen Musik schuf und damit auch<br />

für die immer gerne vernachlässigte Bratsche<br />

Ehre einlegte, arbeitete er «La lugubre gondola»<br />

mehrmals um. Womöglich als Vorahnung<br />

von Richard Wagners Tod Ende 1882 in Venedig<br />

entstanden, gibt es das Werk in Versionen<br />

für Klavier solo und in einer Fassung von 1885<br />

auch für ein Streichinstrument und Klavier.<br />

Diese spätere Version hat Liszt ganz sicher im<br />

Gedenken an Wagner verfasst. Auch die «Ungarischen<br />

Rhapsodien» sind gewissermaßen ein<br />

Experiment – einerseits mit der Folklore, mit Zigeunermelodien,<br />

die allerdings der Kunstmusik<br />

durchaus nahe stehen und deren «Originalität»<br />

zweifelhaft ist; andererseits mit Besetzungen.<br />

Dass Liszt aus den zwischen 1839 und 1847 geschriebenen<br />

«Rhapsodien» einige später orchestrieren<br />

liess und eine – die neunte mit dem Beinamen<br />

«Pester Karneval» – schon bald darauf,<br />

1848, selbst zum Klaviertrio umgestaltete, belegt<br />

auch einen verblüffend offenen Werkbegriff, der<br />

sich an Aufführungsbedingungen und «gute Gelegenheiten»<br />

geschmeidig anpasst. Die heutzutage<br />

so bindend erscheinende «Werktreue» ist<br />

ein Begriff des späten 20. Jahrhunderts – und<br />

womöglich, kaum wagt man es aufzuschreiben,<br />

ein grosses Missverständnis.<br />

14<br />

Ludwig van Beethoven hingegen pflegte diese<br />

Gattung der Kammermusik ausgiebig und sein<br />

ganzes schöpferisches Leben hindurch – schon<br />

15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!