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In einer Seitenkapelle der Kirche San Frediano<br />

in Lucca befindet sich ein gläserner Sarg,<br />

der den vertrockneten Körper einer alten Frau<br />

zur Schau stellt. Der Mund der alten Dame ist<br />

leicht geöffnet, fast sinnlich, als gäbe es noch<br />

im Zustand der Todesstarre etwas Wesentliches<br />

mitzuteilen, als müsste der von der Seele<br />

verlassene Leib der verwunderten Nachwelt<br />

beständig eine Botschaft vermitteln. Rosen<br />

sind um ihren Kopf gewunden, Blüten voller<br />

Frische und sinnlicher Pracht.<br />

Über dieses Arrangement sinnierend, vernimmt<br />

der in den Anblick des toten Körpers<br />

versunkene Betrachter bald eine bemerkenswerte<br />

Version der Bedeutung dieser von den<br />

Luccanern verehrten Dame. Die immer wieder<br />

in die Kirche eintretenden und zielstrebig<br />

zum beleuchteten Schrein der Aufgebahrten<br />

eilenden älteren Frauen der Stadt teilen sich<br />

mit der ihnen innenwohnenden und geschwätziger<br />

Begeisterung auch ohne Aufforderung<br />

mit: Sie sei eine außerordentliche Frau gewesen,<br />

aus einfachsten Verhältnissen und schon<br />

als Kind zu schlecht bezahlter Arbeit bei einer<br />

reichen Familie der Stadt als Dienstmagd<br />

genötigt worden. Sie, von den Herrschaften<br />

abschätzig Zita, Dienerin, gerufen, habe allerdings<br />

nie ihre Herkunft aus dem einfachen<br />

Volk vergessen und sich, wo es nur ging, mit<br />

den Hungernden und Entrechteten solidarisch<br />

gezeigt.<br />

So wird mit Nachdruck und Überzeugung eine<br />

Geschichte kolportiert, die in unserem Zusammenhang<br />

mit dem Brothaus bedeutsam wird:<br />

Von dem im Überfluss vorhandenen Brot habe<br />

sie immer wieder etwas abgezweigt, um es<br />

den Bedürftigen zukommen zu lassen. Diese<br />

Umverteilungsaktion sei eines Tages aufgefallen,<br />

weil die unter dem Gewand versteckten<br />

Brotlaibe ihrem hageren Körperbau zu ungewohnter<br />

Fülligkeit verhalfen. Man habe sie genötigt<br />

sich zu entblößen, gefunden habe man<br />

allerdings zum allgemeinen Erstaunen nur Rosenblüten.<br />

Seit ihrem Todesjahr 1272 verehrt<br />

7<br />

man sie nun als P<strong>at</strong>ronin der Dienstmägde,<br />

Hausangestellten und sonstigen subalternen<br />

Existenzen.<br />

Allen Bemühungen der Herrschenden zum<br />

Trotz, ihr Verhalten ins Demütige und Duldsame<br />

hinwegzustilisieren, h<strong>at</strong> der italienische<br />

Volksglaube unbeirrt an der Vorstellung einer<br />

selbstbewussten Person mit widerborstigem<br />

Verhalten festgehalten. Subversives Denken als<br />

Überlebensstr<strong>at</strong>egie verknüpft mit mythischen<br />

Bildern, die aus den Tiefen eines kollektiven<br />

Erklärungsmusters von Tod und Auferstehung<br />

erwachsen. Der Körper der Toten präsentiert<br />

sich als Aufforderung zu einer Erforschung des<br />

objektiv-real Möglichen und als Anstoß zur<br />

praktischen Transform<strong>at</strong>ion der Verhältnisse.<br />

Wenden wir uns dem Thema Brothaus zu:<br />

Architektur ist immer auch Zeichen und Aus-<br />

druck der Macht. Die Konstruktion des Brothauses<br />

ermöglicht hingegen durch das Mitnehmen<br />

der Brote sein Verschwinden. Die<br />

Auflösung der festgefügten Architektur „Brothaus“<br />

aus der Skyline der Häuser erweist sich<br />

als handlungsorientierte Transform<strong>at</strong>ion in<br />

eine andere, wie wir hoffen, positive Energie.<br />

Das ist es, was wir als mythischen Anteil in<br />

diesem Prozess verstanden wissen wollen.<br />

Das Mythologem der Hl. Zita artikuliert sich<br />

auf der strukturellen Ebene von Macht und<br />

Ohnmacht und der Str<strong>at</strong>egie der Überlistung.<br />

Hinzu kommt die durchaus heidnische Tradition<br />

der Überhöhung durch die Rosen. Sinnlichkeit,<br />

Lust und Überschwang sind üblicherweise<br />

die Attribute der Reichen und Herrschenden,<br />

der einfachen Magd steht nach den konventionellen<br />

Wertevorstellungen nur die Gänseblume<br />

zu. Indem nun die Rose in der Vorstellung der<br />

Antike als Gabe der Götter anzusehen ist und<br />

als Zeichen der Schönheit und der Liebe alleine<br />

der Aphrodite zusteht (Boticellis „Geburt<br />

der Venus“ zeigt einen Regen an Rosenblüten<br />

rund um den göttlichen Körper), h<strong>at</strong>ten dies<br />

auch die Ungebildeten des 13. Jhts. in Italien<br />

richtig zu deuten vermocht und nicht etwa im<br />

Sinne der Keuschheit der mittelalterlichen Marienverehrung.<br />

Die Transform<strong>at</strong>ion des Brotes<br />

in den Zustand der Rosen kann so als Übergang<br />

von einer notwendigen, kämpferischen,<br />

sozial orientierten Überlebenshandlung in den<br />

Zustand der Lebensfülle schlechthin verstanden<br />

werden.<br />

Mag sein, dass dem aufrührerischen Lied streikender<br />

amerikanischer Arbeiterinnen „Bread<br />

and Roses“ die selbe Intuition zugrunde liegt:<br />

Wenn wir zusammen gehen geht mit uns ein schöner Tag<br />

durch all die dunklen Küchen und wo grau ein Werkshof lag<br />

beginnt plötzlich die Sonne unsere arme Welt zu kosen<br />

und jeder hört uns singen: Brot und Rosen!<br />

Wenn wir zusammen gehen, kämpfen wir auch für den Mann<br />

Weil unbemuttert kein Mensch auf die Erde kommen kann<br />

Und wenn ein Leben <strong>mehr</strong> ist als nur Arbeit, Schweiß und<br />

Bauch<br />

wollen wir <strong>mehr</strong>: gebt uns das Brot, doch gebt uns die Rosen<br />

auch.<br />

Brot & Rosen<br />

Wenn wir zusammen gehen gehen unsere Toten mit<br />

Ihr unerhörter Schrei nach Brot schreit auch durch unser Lied<br />

Sie h<strong>at</strong>ten für die Schönheit, Liebe, Kunst erschöpft nie Ruh<br />

Drum kämpfen wir ums Brot und wollen die Rosen dazu.<br />

Wenn wir zusammen gehen, kommt mit uns ein besserer Tag<br />

Die Frauen, die sich wehren wehren aller Menschen Plag<br />

Zu Ende sei: das kleine Leute schuften für die Großen<br />

Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen!<br />

Brot und Rosen!<br />

Der Slogan Brot und Rosen stammt aus einem<br />

Gedicht von James Oppenheim, welches den<br />

Frauen im Westen gewidmet ist. Heutzutage<br />

wird er mit dem Streik von 14.000 Textilarbeiterinnen<br />

in Lawrence, Massachusetts am 14.<br />

März 1912 und dem 8. März (Weltfrauentag)<br />

in Verbindung gebracht. Beim sogenannten<br />

„Brot-und-Rosen-Streik“ kämpften Frauen mit<br />

Migr<strong>at</strong>ionshintergrund für ihre Interessen. Sie<br />

forderten nicht nur gerechten Lohn (Brot), sondern<br />

auch eine menschenwürdige Arbeits- und<br />

Lebensumgebung (Rosen). Der Streik führte<br />

dazu, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

<strong>mehr</strong> Lohn und eine gerechtere Bezahlung von<br />

Überstunden erhielten. Auch wurde zugesagt,<br />

dass Streikende in Zukunft nicht <strong>mehr</strong> diskriminiert<br />

werden sollen.<br />

Anton Thiel

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