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GU NATURFÜHRER<br />
ALPENBLUMEN<br />
Die wichtigsten Arten<br />
entdecken und bestimmen
20 • ALPENBLUMEN<br />
■ Die Ostalpen liefern ein gemäßigteres Bild. Ihre Täler sind breiter,<br />
die Gipfel weniger steil. Während sich an ihrem Nord- und Südrand<br />
Bergketten aus Kalkgestein hinziehen (nördliche und südliche<br />
Kalkalpen), bestehen die dazwischen liegenden Zentralalpen<br />
aus Silikatgestein (siehe Seite 21). Nach Osten zu fl achen die<br />
Ostalpen immer weiter ab und laufen schließlich in zwei Arme aus,<br />
deren nördlicher sich jenseits des Wiener Beckens in den Karpaten<br />
fortsetzt und deren südlicher über die Kette der Julischen Alpen zu<br />
den Gebirgen der Balkanhalbinsel überleitet.<br />
Übrigens: Während im deutschsprachigen Raum heutzutage die<br />
genannte Zweiteilung der Alpen üblich ist, die auf den geologischen<br />
Unterschieden fußt, zieht man in Italien und Frankreich eine historisch<br />
bedingte Dreigliederung der Alpen in West-, Zentral- und Ostalpen<br />
vor. Wir halten es in diesem Buch jedoch mit den Deutschen und<br />
verwenden den Begriff »Zentralalpen« für die in der Mitte gelegenen,<br />
hauptsächlich aus silikatischem Gestein bestehenden Gebirgsstöcke<br />
der Ostalpen.
HARTE TATSACHEN – DIE GESTEINE DER ALPEN<br />
DIE GESTEINE DER ALPEN • 21<br />
Weil Berge nun mal aus Gestein bestehen, und weil die Gesteine die<br />
Grundlage für die unterschiedlichen Böden bilden, auf denen die<br />
Alpenblumen wachsen, sollte sich jeder, der sich mit den Blumen<br />
befasst, auch ein wenig mit den Gesteinen beschäftigen. Doch keine<br />
Sorge, wir machen es kurz und einfach.<br />
Im Großen und Ganzen braucht man nur zwei Kategorien von Gesteinen<br />
auseinanderhalten: Silikatgestein und solches aus Kalk.<br />
■ Kalkgesteine enthalten, der Name sagt es schon, hauptsächlich<br />
Kalk (Kalziumkarbonat). An ihren Bruchstücken sind keinerlei<br />
Kristalle zu erkennen, nicht einmal mithilfe einer Lupe. Das gilt<br />
ebenso für Dolomit (Kalzium-Magnesium-Karbonat), bei dem ein<br />
Teil des Kalks durch Magnesium ersetzt ist.<br />
■ Silikatgestein ist hingegen ein kristallines Gestein. Es setzt sich<br />
aus Kristallen der kieselsäurehaltigen Mineralien Feldspat, Quarz
28 • ALPENBLUMEN<br />
Viele Alpenblumen sorgen vor und legen schon im Herbst die neuen<br />
Blütenknospen an, um im Frühjahr damit keine Zeit zu verlieren.<br />
Kaum schmilzt der Schnee, schon stehen sie in schönster Blüte da.<br />
Schutz gegen UV-Strahlung<br />
Wind und Kälte sind nicht die einzigen Faktoren, die den Pfl anzen zusetzen,<br />
auch die starke UV-Strahlung im Hochgebirge macht ihnen zu<br />
schaff en. Eine dichte, weißwollige Behaarung von Blättern und Stängeln<br />
dient vielen Alpenblumen als Sonnenschutz. Das bekannteste<br />
Beispiel dafür ist unser Edelweiß. Werden seine Samen einmal durch<br />
einen Gebirgsbach ins Tiefl and hinab getragen, entwickelt es sich<br />
dort zu einer ganz anders aussehenden Pfl anze: Es wächst zu einer<br />
gestreckteren Pfl anze heran, der zudem die markante weiße »Wolle«<br />
auf den die Blüten umstehenden Hochblättern weitgehend fehlt.<br />
Auch dunkelpurpurne Pigmente, wie sie zahlreiche Alpenblumen in<br />
ihren Blättern und Stängeln aufweisen (siehe Seite 16/17), schützen<br />
das Pfl anzengewebe vor allzu intensiver UV-Strahlung.<br />
Kissen- und Polsterwuchs<br />
Die Mehrzahl der Alpenblumen der alpinen Stufe wachsen in Form<br />
eines fl achen Kissens oder Polsters. Das schützt vor Austrocknung<br />
durch den Wind, denn im Inneren des Polsters ist es so gut wie<br />
windstill. Dazu kommt, dass die Polster sehr, sehr langsam wachsen<br />
und mehrere Jahrzehnte alt werden. Dabei bilden sie jedes Jahr neue,<br />
kleine Triebe, im Inneren sterben alte Blätter ab, verrotten und werden<br />
zu Humus. Auf ansonsten trockenen, vom Wind blankgefegten<br />
Felsen sammelt die Pfl anze auf diese Weise Feinerde an, die reichlich<br />
Wasser zurückhalten kann. So schaff t sich die Pfl anze gewissermaßen<br />
ihren eigenen Boden, auf dem sie wachsen kann.<br />
Schuttspezialisten<br />
Ein spezieller Lebensraum im Hochgebirge sind die Hänge mit<br />
Felsschutt. Wer sich darauf ansiedelt, riskiert, von Gesteinsbrocken<br />
getroff en oder von rutschendem Schutt mitgerissen oder verschüttet<br />
zu werden. Die Felsschuttbewohner unter den Alpenpfl anzen haben<br />
aber die Fähigkeit, aus sogenannten schlafenden Augen – das sind<br />
ruhende Vegetationspunkte ihrer Stängel – immer wieder neu auszutreiben,<br />
wenn sie verschüttet worden sind. Außerdem sind ihre Stängel<br />
und Wurzeln extrem biegsam und halten so den mechanischen<br />
Belastungen und zerrenden Kräften im beweglichen Schutt stand.<br />
Folgende Strategien haben sich bei Felsschuttbewohnern entwickelt:
EXTREME LEBENSBEDINGUNGEN • 29<br />
Das Alpen-Leinkraut (oben links), die Silberwurz (unten links) und die<br />
Zwerg-Glockenblume (unten rechts) können selbst auf grobem, beweglichem<br />
Felsschutt wachsen. Das Edelweiß (oben rechts) schützt sich durch<br />
eine wollig weiße Behaarung gegen die UV-Strahlung.<br />
Schuttwanderer zeichnen sich durch biegsame Kriechtriebe aus, die<br />
den Schutt durchziehen und sich dabei immer wieder neu bewurzeln.<br />
Ein Beispiel für diesen Typ Pfl anzen ist die Zwerg-Glockenblume<br />
(siehe Seite 172/173).<br />
Schuttüberkriecher wachsen mit vielen dünnen, biegsamen Trieben<br />
über den Felsschutt hinweg und hemmen auf diese Weise dessen<br />
Beweglichkeit. Das Alpen-Leinkraut (siehe Seite 204/205) ist eine<br />
solche Pfl anze.<br />
Schuttdecker machen es ähnlich. Nur schlagen die Zweige, die sie<br />
über die Schuttfl äche ausbreiten, in kurzen Abständen Wurzeln und<br />
verfestigen so die oberen Schuttschichten. Die Silberwurz (siehe<br />
Seite 146/147) steht beispielhaft für die Gruppe der Schuttdecker.
70 •<br />
Behaarte Primel<br />
Primula hirsuta
BLÜTEZEIT<br />
J F M A M J J A S O N D<br />
Typisch<br />
PRIMELGEWÄCHSE • 71<br />
Während im Tal die Primeln mit goldgelben Blüten den Frühling begrüßen,<br />
blühen ihre Verwandten hoch auf den Bergen mit Ausnahme<br />
der Aurikel (siehe Seite 208/209) alle in Rot. So auch die Behaarte<br />
oder Leimprimel. Sie haben sich damit an die Tagfalter angepasst,<br />
die dort oben ihre Bestäuber sind. Diese können nämlich die Rottöne<br />
gut wahrnehmen – anders als die rotblinden Bienen und Hummeln,<br />
für die die Primeln im Tiefl and ihre Blüten gelb gefärbt haben.<br />
VORKOMMEN in den Zentralalpen und südlichen Randalpen, etwa<br />
von den Grajischen Alpen bis zu den Hohen Tauern; außerdem in<br />
den Pyrenäen; in 1000–3600 m Höhe; bevorzugt kalk- und stickstoff -<br />
armen, feuchten Boden; auf steinigem Rasen, ruhendem Schutt, in<br />
Felsspalten; zerstreut<br />
MERKMALE 2–7 cm hohe Staude; Blätter etwas fl eischig, eiförmig,<br />
am Rand grob gezähnt; 1–3 Blüten auf einem kurzen Stängel, stehen<br />
knapp über den Blättern, Krone rosa bis purpurrot mit weißem<br />
Schlund, die 5 gerundeten Kronblattzipfel herzförmig eingekerbt, zart<br />
duftend; Frucht eine zylindrische Kapsel<br />
ACHTUNG! Das klebrige Drüsensekret der Blätter und Stängel<br />
kann bei empfi ndlichen Menschen Hautreizungen oder allergische<br />
Reaktionen hervorrufen.<br />
VERWENDUNG Die Behaarte Primel<br />
ist eine der Stammeltern unserer<br />
bekannten Garten-Aurikel. Sie wurde<br />
dazu mit der Alpen-Aurikel gekreuzt.<br />
Alle grünen Pfl anzenteile<br />
sind dicht mit weißlichen<br />
Drüsenhaaren<br />
besetzt, die ein klebriges<br />
Sekret ausscheiden.<br />
Gelegentlich bleiben<br />
dadurch kleine Sandkörnchen<br />
oder andere<br />
Partikel an den Blättern<br />
kleben.
130 •<br />
Trauben-Steinbrech<br />
Saxifraga paniculata<br />
Typisch<br />
Auf dünnen Stängeln<br />
schweben die zarten<br />
Blütenrispen hoch über<br />
den fl achen, graugrünen<br />
Blattrosetten.
STEINBRECHGEWÄCHSE • 131<br />
Auf den ersten Blick sehen die zu einem lockeren Polster vereinten<br />
Blattrosetten des Trauben-Steinbrechs graugrün aus. Erst wenn<br />
man genauer hinsieht, erkennt man feinen Kalkstaub und weißliche<br />
Kalkbrösel auf den Blättern und zudem oft mals eine Bordüre weißer<br />
Kalkschuppen an ihren Rändern. Zwischen den Zähnchen am Rand<br />
der Blätter befi nden sich sogenannte Wasserspalten, aus denen die<br />
Pfl anze kalkhaltiges Wasser aktiv ausscheidet, um einen Kalküberschuss<br />
zu vermeiden. Wenn das Wasser in der Sonne verdunstet, fallen<br />
die darin gelösten Kalziumsalze als Kalziumkarbonat, also Kalk,<br />
aus. Mit der Zeit bilden sich über den Wasserspalten Kalkschuppen,<br />
die dann häufi g abbröseln und auf der Blattfl äche liegen bleiben. Der<br />
weiße Staub trägt zum Sonnenschutz der Pfl anze bei, indem er das<br />
Licht refl ektiert.<br />
VORKOMMEN in den gesamten<br />
Alpen; ebenso in den<br />
übrigen Gebirgen Eurasiens;<br />
vorzugsweise auf kalkreichem<br />
Untergrund; auf steinigem<br />
Rasen, in Felsfl uren und in<br />
Felsspalten; zerstreut<br />
MERKMALE 5–40 cm hohe,<br />
immergrüne Polsterstaude<br />
mit fl achen Blattrosetten und<br />
hohen, dünnen Blütenstängeln;<br />
Rosettenblätter fl eischig,<br />
zungenförmig, am Rand knorpelig gezähnt; Blüten in einer lockeren,<br />
vielblütigen Rispe, Kronblätter rundlich, weiß, oft mit feinen, roten<br />
Punkten; Frucht eine kleine, vielsamige Kapsel<br />
VERWENDUNG Weil die immergrünen Blattrosetten das ganze Jahr<br />
über hübsch aussehen und die Pfl anze zudem rasch wächst und<br />
willig blüht, zählt sie zu den beliebtesten Steingartenpfl anzen.<br />
BLÜTEZEIT<br />
J F M A M J J A S O N D<br />
Weiße Kalkschüppchen am gezähnten<br />
Blattrand betonen die Konturen<br />
der Blätter.
140 •<br />
Frühlingskrokus<br />
Crocus vernus ssp. albifl orus<br />
Wo der Schnee sich gerade zurückgezogen hat, schieben sich oft mals<br />
Hunderte von weißen bis violetten Blütentrichtern aus dem Wiesenhang.<br />
Die Nässe des Schmelzwassers ist dem Frühlingskrokus gerade<br />
recht, er mag es feucht. Ist die Blütenpracht dahingewelkt, bildet sich<br />
über jeder der tief im Boden sitzenden Knollen eine neue. Auf diese<br />
Weise allerdings kämen nach einigen Jahren die neuen Knollen in die<br />
Nähe der Erdoberfl äche und damit in den Bereich des strengen Bodenfrosts<br />
– wenn die Pfl anze nicht vorbeugen würde. Aus der jungen<br />
Knolle wachsen kräft ige Wurzeln aus und verankern sich im Boden.<br />
Sobald die alte Knolle verrottet ist, ziehen sie sich zusammen und<br />
bringen damit die neue Knolle ungefähr auf die Tiefe der alten.<br />
VORKOMMEN in den Alpen weit verbreitet und häufi g; in<br />
600–2700 m Höhe; auch in den Pyrenäen, im Jura und Elsass sowie<br />
auf der Balkanhalbinsel; auf frischen bis feuchten, nährstoff reichen<br />
Wiesen und Weiden<br />
BLÜTEZEIT<br />
J F M A M J J A S O<br />
N D
MERKMALE bis 15 cm hohe<br />
Knollenpfl anze; Blätter grasartig<br />
schmal mit weißem Mittelnerv; Blüten<br />
einzeln oder zu zweit, wachsen<br />
direkt aus dem Erdboden, Blütenblätter<br />
überwiegend weiß, aber auch<br />
hellviolett oder weiß mit violetten<br />
Längsstreifen, im Boden zu einer<br />
langen, engen Röhre verwachsen,<br />
über dem Boden auf den oberen<br />
3–5 cm frei, einen Trichter bildend,<br />
3 dottergelbe Staubblätter, 3 kürzere,<br />
orangegelbe Narben; Frucht eine<br />
dreiklappige Kapsel<br />
SCHWERTLILIENGEWÄCHSE • 141<br />
Ein kleiner Frühlingsbote auf<br />
vielen Bergwiesen!<br />
VERWENDUNG In die zahllosen Hybridarten und -sorten der<br />
Gartenkrokusse fl ossen südeuropäische, großblütige Sippen des<br />
Frühlingskrokus ein. Die heute geschützte Wildart des Frühlingskrokus<br />
selbst ist hingegen in Gärten nur selten zu fi nden.<br />
ÄHNLICHE ART Auch die ähnliche, aber überaus giftige Herbstzeitlose<br />
(Colchicum autumnale) kommt auf feuchten Wiesen und Weiden<br />
vor. Allerdings blüht sie im Herbst, hat nicht 3, sondern 6 Staubblätter<br />
und ihre Laubblätter sind zur Blütezeit noch nicht entwickelt.<br />
Typisch<br />
Nicht nur über Nacht<br />
schließen sich die Blütentrichter,<br />
sondern oft -<br />
mals schon bei vorüberziehenden<br />
Wolken. Sie<br />
reagieren erwiesenermaßen<br />
schon auf Temperaturschwankungen<br />
von nur 0,2 Grad.
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