Programmheft Download (PDF) - Murnauer Kammerorchester eV
Programmheft Download (PDF) - Murnauer Kammerorchester eV
Programmheft Download (PDF) - Murnauer Kammerorchester eV
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Georg Friedrich Händel<br />
* 23. Februar 1685 in Halle<br />
† 14. April 1759 in London<br />
Acis and Galatea HWV49a (entst. 1718)<br />
Masque (mythologisch-musikalisches Maskenspiel) nach Ovid<br />
Galatea: Christina Arden<br />
Acis: Bernhard Appich<br />
Polyphemus: Benedikt Göbel<br />
Damon: Jutta Bazelt<br />
Sprecherin: Christiane Fänder<br />
<strong>Murnauer</strong> <strong>Kammerorchester</strong>:<br />
Jan Nevoigt (Soli), Birte Kutschera, Paula Reichart,<br />
Monika Jung (Soli), Tina Szermin, Gisela Vielhuber, Elisabeth Raab - Violinen<br />
Ursula Sondermann (Soli), Pia Schrank, Reinhild Schupfner - Violoncelli<br />
Markus Zahnhausen, Sjur Haga Bringeland - Blockflöten<br />
Anne Isenberg - Cembalo<br />
Christoph Garbe, Leitung und Cembalo<br />
Textgestaltung: Christiane Fänder, Christoph Garbe<br />
<strong>Programmheft</strong>texte: Christoph Garbe<br />
Grafik: Matthias Fänder<br />
Arrangements: Christoph Garbe<br />
Jahre · <strong>Murnauer</strong><br />
40<strong>Kammerorchester</strong><br />
www.murnauer-kammerorchester.de
Ort und Zeit der Handlung:<br />
mythische Zeit, Sommer; mythische, mediterrane Landschaft, „sozial“ abgestuft in:<br />
1. Wiesen mit Quellen und Bächen (Welt der Hirten und Nymphen) und<br />
Hainen (als ruhigere Rückzugsorte)<br />
2. Wälder (eine Zwischenwelt)<br />
3. Gebirge (eher einsam, zerklüftet, bedrohlich) mit Vulkan (Sinnbild für Polyphemes)<br />
I. Teil: The Lovers – Die Liebenden<br />
Gezeichnet wird die sommerliche Idylle von glücklichen Nymphen (göttliche Wesen) und Hirten<br />
(sterbliche Menschen). Aber Galatea, eine der Nymphen, ist unglücklich: Ihr Geliebter, Acis, ein<br />
junger Hirte, irrt, sie suchend, durchs Gebirge. Sie finden und lieben sich.<br />
II. Teil: The Monster – Das Ungeheuer<br />
Polypheme, ein riesenhafter Zyklop, bricht – anfangs lebensbedrohlich – in die Idylle ein. Er umwirbt<br />
Galatea und wird zurückgewiesen. Acis meint gegen ihn kämpfen zu müssen.<br />
III. Teil: Acis’ Death – Der Tod von Acis<br />
Galatea bittet Acis, nicht zu kämpfen: Ihr, als Nymphe göttlichen Ursprungs, stehen ja noch ganz<br />
andere Kräfte gegen Polypheme zur Verfügung. Polypheme aber tötet Acis mit einem Felsen. Galatea<br />
erwacht aus ihrer Trauer und verwandelt den toten Acis unter dem Felsen in eine Quelle,<br />
sein Blut in einen Bach.<br />
Rollen und Charaktere von<br />
„Acis and Galatea“<br />
Acis: Ein junger Hirte, ein schöner Jüngling,<br />
aber eben auch ein sterblicher Mensch. Zwar<br />
scheint es ganz normal zu sein, dass die sterblichen<br />
Hirten mit den unsterblichen Nymphen<br />
oder mit Berggeistern Umgang haben (Nr.2<br />
und Nr.5), trotzdem wird Acis von Damon gewarnt,<br />
sich nicht zu sehr auf Galatea einzulassen<br />
sondern eher Umgang mit seinesgleichen<br />
zu suchen (Nr.6). Damon weiß, dass die kurze<br />
Lebensspanne der Menschen mehr Leid als<br />
Freude bringt (Nr.16) und beschreibt damit<br />
den tragischen Grundkonflikt der Geschichte:<br />
die Liebe zwischen Galatea und Acis kann nicht<br />
gutgehen, sie sind zu verschieden.<br />
Acis weiß selbst, dass er – als Mensch – physisch<br />
zu schwach ist, um gegen Polypheme zu<br />
bestehen (Rezitativ vor Nr. 15). Polypheme –<br />
ebenfalls ein Wesen mit übernatürlichen Kräften<br />
– tötet interessanterweise Acis deshalb,<br />
weil er so „presumtuous – überheblich/vermessen“<br />
(Nr. 17) ist, sich einzumischen bzw. eine<br />
Unsterbliche zu lieben, weil er also seine<br />
natürlichen – und sozialen – Grenzen überschreitet.<br />
Aber Acis bleibt gar keine Wahl, weil<br />
seine Gefühle für Galatea stark sind: Das zeigt<br />
er in seiner kriegerischen Arie Nr. 15 „Love<br />
sounds th’alarm“ mit ihren trompetenähnliche<br />
Fanfarensignalen, besonders im Mittelteil.<br />
Acis ist physisch schwach und sterblich, aber er<br />
ist emotional stark. Eine große Brücke wird für<br />
diese emotionale Stärke von Händel fast über<br />
das ganze Werk geschlagen zwischen Acis’musikalisch<br />
und textlich wunderschöner Liebes-<br />
Arie Nr. 7 „Love in her eyes“ in Es-Dur und Galateas<br />
letzter Arie Nr. 21 „Heart, the seat of soft<br />
delight“, die diese Es-Dur-Tonart aufgreift.
Jetzt, am Schluss des Werkes, kann Galatea den<br />
toten Acis in eine lebensspendende Quelle verwandeln,<br />
aber nur aufgrund seiner starken<br />
Liebe, die eben hier auch besungen wird. Quellen<br />
werden in der griechischen Mythologie als<br />
heilig verehrt. Acis wird so – wunderbarerweise<br />
– göttlich („Acis now a god appears“ sagt der<br />
Schluss-Chor Nr. 22). Die wiederaufgegriffene<br />
Es-Dur-Tonart wirkt nicht nur symbolisch, sondern<br />
beim Zuhören unbewusst wie eine starke,<br />
besondere (Klang-)Farbe.<br />
Durch Verwandlung und Überwindung seines<br />
Todes wird Acis die eigentliche Hauptfigur des<br />
Stückes.<br />
Galatea: in der griechischen Mythologie sogar<br />
eine Tochter des Meeresgottes Nereus. Wir<br />
müssen sie uns als überirdisch-wunderschöne<br />
Nymphe vorstellen (Nymphen sind nahe am<br />
oder im Wasser zu finden, besonders in Quellen).<br />
Sie wird in Händels Stück immer wieder als<br />
sehr traurig und in dieser Traurigkeit extrem<br />
introvertiert, für andere fast unerreichbar, ja,<br />
nicht ansprechbar gezeichnet: durch das leise,<br />
dünne Klangbild (nur Streicher) für Galateas<br />
Melancholie im Accompagnato-Rezitativ Nr. 3<br />
„Ye verdant plains“ oder in der psychologisch<br />
extremen Nr. 20 „Must I my Acis still bemoan“.<br />
Stark und selbstbewusst erscheint sie gegenüber<br />
Polypheme, und sie zweifelt auch in gefährlichen<br />
Situationen nicht an ihren Kräften<br />
(Rezitativ vor Nr. 17).<br />
Händel und seine Textdichter ziehen zudem<br />
Bilder von Vögeln zu ihrer Charakterisierung<br />
hinzu: Es gibt einen komischen kleinen Streit<br />
zwischen ihr und den musikalisch-frechen<br />
Nachtigallen, deren Gesang ein Symbol für<br />
schmerzlich-schöne Liebessehnsucht ist, sie<br />
aber in diesem Moment (eben deswegen) einfach<br />
nur nervt (Arie Nr. 4 „Hush, ye pretty<br />
warbling choir“). Und das Bild der Taube in der<br />
hocherotischen Nr. 8 „As when the dove“.<br />
Extrem wird der Moment, in dem der Konflikt<br />
zwischen Acis und Galatea einerseits und Polypheme<br />
andererseits eskaliert: Das geschieht<br />
im Trio Nr. 17 „The flocks shall leave the mountains“.<br />
Ensemblestücke (nicht: Chornummern)<br />
sind in der barocken Oper selten, Arien und Rezitative<br />
sind für Emotionen und<br />
Handlung/Dialoge die Regel. Händel vertont<br />
die gegenseitigen Beteuerungen des Paares<br />
brüchig, ängstlich und doppelbödig, ineinander<br />
verzahnt, aneinander geklammert (indem<br />
er die Melodie dissonanzreich, kurzatmig, gestoßen<br />
und nervös gestaltet). Es wirkt so, als<br />
wüssten beide um den unausweichlichen Tod<br />
von Acis, und als wüssten beide, dass das, was<br />
sie gerade singen, nicht wahr ist oder sein<br />
kann.<br />
Polyphemes wütende Einwürfe sind nicht einfach<br />
eine starke Basslinie zu diesem Duett:<br />
Sein Part zerstört den Gesang der beiden Liebenden<br />
immer mehr und lässt das ganze Stück<br />
in dem Ausruf „die! – stirb!“ und in dem auskomponierten<br />
Felswurf zusammenbrechen.<br />
Polypheme: Er ist eine der spannendsten, widersprüchlichsten<br />
und vielschichtigsten Charaktere<br />
in diesem Stück. In der griechischen<br />
Mythologie ist er ein Zyklop, ein einäugiges,<br />
riesiges Ungeheuer, das später von Odysseus<br />
getötet wird. In manchen Fassungen ist er ein<br />
Sinnbild für die Gefahren eines Vulkanes.<br />
Im Chor Nr. 10 „Wretched Lovers“ wird er auch<br />
als bedrohlich angekündigt, Händel zeichnet<br />
Erdbeben und Tsunamis im Klangbild nach sowie<br />
Panik und Schock unter den Sängern.<br />
Schon im folgenden Rezitativ „I rage, I melt, I<br />
burn“ aber verwandelt sich Polypheme: Die<br />
Musik ist anfangs noch pompös-gewaltig,<br />
wird dann aber immer leiser, sogar zarter: Offenbar<br />
schwächt ihn seine Verliebtheit. Er versucht,<br />
seine Kraft (symbolisiert in der Pinie) abzulegen<br />
und seiner Sehnsucht durch Flötenspiel<br />
(ein Requisit aus der Hirtenwelt!) Ausdruck<br />
zu verleihen:<br />
Die Arie Nr. 15 ist ein grotesk-verzerrtes Ständchen:<br />
Polypheme versucht, Galatea poetisch zu
umwerben und scheitert kolossal: Er vergreift<br />
sich im Ton, weil er Metaphern für Galateas<br />
Schönheit sucht, die peinlich wirken müssen:<br />
Musikalisch wandelt sich die liebliche Flötenlinie<br />
in das Gemecker von Ziegen. Die Streicher<br />
spielen von vorneherein unbeholfene, sperrige<br />
Achtel. (Metaphern sind typisch für barocke<br />
Dichtkunst. Auch Polypheme glaubt, unbedingt<br />
welche verwenden zu müssen).<br />
Im folgenden Rezitativ „Whither, fairest“ ist<br />
Polypheme nun kein bedrohliches Ungeheuer<br />
mehr, sondern ein größenwahnsinniger Tolpatsch,<br />
eine lächerliche Figur: Er vergleicht<br />
sich mit dem Göttervater Jupiter und stellt<br />
sein barbarisches Leben als königlich dar. Galatea<br />
kann sich nur angewidert abwenden.<br />
Doch bei dieser Charakterverwandlung bleibt<br />
es nicht. In der Arie Nr. 13 „Cease to beauty to<br />
be suing“ wird uns nocheinmal ein ganz anderer<br />
Polypheme gezeigt: Es ist eine edle, ernste,<br />
männlich-ausdrucksstarke Liebesklage, musikalisch<br />
eine der kraftvollsten Arien des ganzen<br />
Stückes.<br />
Der Sängerdarsteller des Polypheme hat mit<br />
dieser Arie Gelegenheit, andere Aspekte seines<br />
Könnens zu zeigen als die, die für die Rolle des<br />
Polypheme zwingend erforderlich sind. Und<br />
der Komponist Händel überrascht, indem er<br />
das barocke Opernschema „Bassist = Bösewicht,<br />
Zauberer“ durchbricht und lange, fast<br />
romantische Melodielinien (allerdings nicht<br />
im romantischen legato) für einen Bass<br />
schreibt, wie sie in dieser Zeit eigentlich nur<br />
für hohe Stimmen geschrieben wurden (z.B.<br />
Arie des Acis Nr. 7 „Love in her eyes“).<br />
Damon: Oberflächlich betrachtet ist Damon<br />
nur ein Hirtenkollege von Acis. Der Name „Damon“<br />
aber geht auf „Dämon“ zurück, bzw. auf<br />
das griechische „daimónion“. Wir müssen davon<br />
ausgehen, dass Händels Publikum für<br />
„Acis and Galatea“, die Hofgesellschaft des<br />
First Duke of Chandos, Sir James Brydges, sehr<br />
vertraut war mit der altgriechischen Kultur<br />
und Mythologie, also auch mit Sokrates’ Philo-<br />
sophie, in der die innere Stimme des Menschen,<br />
sein Gewissen, „daimónion“ genannt<br />
wird.<br />
Damons Aufgabe bei Händel ist es, Acis und<br />
auch Polypheme zu beraten, zu warnen, ihnen<br />
„vernünftigere“ Alternativen zu ihrem Handeln<br />
aufzuzeigen, er vertritt die ratio, den „gesunden<br />
Menschenverstand“:<br />
Im Rezitativ Nr. 6 „Stay, sheperd, stay!“ und in<br />
der humorvollen Arie Nr. 7 „Sheperd, what art<br />
thou pursuing?“ sagt er Acis im Prinzip: „Schuster,<br />
bleib’ bei deinen Leisten“ durch den pragmatischen<br />
Hinweis auf den verwahrlosten Zustand<br />
von Acis’ Herde, der Existenzgrundlage<br />
eines Hirten, und durch die Aufforderung, das<br />
Leben genauso wie die anderen Hirten zu genießen,<br />
also die eigene soziale Schicht nicht zu<br />
verlassen (Galatea als unsterbliche Nymphe<br />
gehört zu den Göttern).<br />
Die Arie Nr. 14 „Would you gain the tender<br />
creature“ lebt von der barocken Situationskomik:<br />
Damon erteilt dem tolpatschigen Polypheme<br />
eine Lektion in Charme und der Kunst,<br />
höfisch-korrekt eine Dame zu umwerben, er<br />
bringt dem Ungeheuer sozusagen Manieren<br />
bei, gibt ihm Ratschläge von Mann zu Mann.<br />
Die Arie Nr. 16 „Consider, fond sheperd“ aber<br />
ist – im Gegensatz zu den heiter-humorvollen<br />
Arien, die Damon zuvor gesungen hat – eine<br />
tiefernste, fast melancholische Meditation<br />
über Vergänglichkeit und Hoffnung, die barokke<br />
vanitas, die über Acis’ Schicksal schwebt wie<br />
ein Damoklesschwert. Die Tonarten dieser<br />
Arie, anfangs G-Dur, und noch extremer das emoll/H-Dur<br />
im Mittelteil, sind weit weg von<br />
der idyllischen Grundtonart B-Dur der ersten<br />
Nummern. Sie wirken wie von einem anderen<br />
Planeten. Händel verleiht dem vertonten Text<br />
durch das schwebende Klangbild dieser Arie<br />
große emotionale Tiefe.<br />
Natürlich können weder Acis noch Polypheme<br />
die Ratschläge von Damon umsetzen, weil ihr<br />
Charakter bzw. ihre emotionale Haltung („Affekt“)<br />
das nicht zulassen. Genau diese werden<br />
aber durch Damons Widerspruch für das Pu-
likum umso deutlicher. Damon ist auch musikalisch<br />
ein starker Gegenspieler zu den Protagonisten<br />
und muss – nach dem Schwierigkeitsgrad<br />
der von Händel konzipierten Gesangslinie<br />
– von einem einmalig-virtuosen Tenor<br />
gesungen worden sein. In späteren Aufführungen<br />
hat Händel den Damon dann auch<br />
von einem Knabensopran singen lassen, möglicherweise<br />
stand ein geeigneter Tenor nicht<br />
zu Verfügung. Wir besetzen den Damon mit<br />
der Sopranistin Jutta Bazelt, die – als Kontrast<br />
zu den lyrischen, leichteren Stimmen von Galatea<br />
und Acis – eher über eine dramatischkräftigere<br />
Stimme verfügt.<br />
Der „Chor“: Die Chorpartien sind von Händel<br />
ausgesprochen kompliziert und schwierig gesetzt,<br />
hervorstechend ist auch hier wieder die<br />
extrem hohe und virtuose Linie des Damon-<br />
Darstellers. Gesungen wurden die Chorpartien<br />
bei der Uraufführung – genauso wie in unserer<br />
Aufführung – von denselben Sängern, die<br />
auch jeweils solistisch die Arien von Acis, Galatea,<br />
Polypheme und Damon gestalteten, aber<br />
sie sind in diesen Chorpartien nicht Acis/ Galatea/<br />
Polypheme/ Damon sondern bilden zusammen<br />
eine weitere, eine fünfte Person.<br />
Der „chóros“ als anonyme, die Handlung kommentierende<br />
Masse war Bestandteil des antiken<br />
Theaters. Die altenglischen Schauspielmusiken<br />
vor Händel, die „Masques“ (z.B. Purcells<br />
Musik zu Shakespeares Sommernachtstraum)<br />
greifen diese Funktion des „chóros“ auf, um<br />
dem Publikum Stimmungen, Ambiente, Emo-<br />
tionen, Gedanken oder Meinungen zu übermitteln,<br />
die sonst unausgesprochen bleiben<br />
müssten. Oft tut der Chor dies nicht als abstrakte<br />
Instanz sondern sozusagen im Gewand<br />
von im Stück auftretenden Gruppen, z.B. hier:<br />
Nymphen und Hirten.<br />
So in der Nr. 2 „O the pleasure of the plains!”:<br />
Nachdem die Nr. 1, die “Sinfonia”, den Abend<br />
mit einem musikalisch-verspielten Feuerwerk<br />
eröffnet (das mit der Handlung nichts zu tun<br />
hat sondern der Hofkapelle des First Duke of<br />
Chandos und dem Komponisten Händel Gelegenheit<br />
gibt, ihr Können unter Beweis zu stellen),<br />
führt dieser erste Chor in das sommerlicheidyllische<br />
Ambiente der Handlung ein. Gleichzeitig<br />
ist dieser Chor ein Spiegelbild für das Publikum:<br />
Händel komponierte das ganze Stück<br />
für eine Aufführung auf dem Landsitz Cannons.<br />
Die vertonten Sätze könnten auch das Motto für<br />
eine adelige (und elitäre) barocke Hofgesellschaft<br />
in „Ferien“-Stimmung sein. Händel fesselt<br />
also mit der virtuosen Sinfonia die Aufmerksamkeit<br />
seines Publikums, um es mit der<br />
Nr. 2 abzuholen und in die Geschichte zu entführen.<br />
Diese Chornummer fordert zusammen<br />
mit der Sinfonia das ganze Ensemble zur Gestaltung<br />
eines üppigen Klangbildes in B-Dur, der<br />
positiven Basistonart für das ganze Werk.<br />
Die Nr. 10 „Wretched Lovers“ bedeutet den<br />
Wendepunkt in der Handlung: Händel lässt<br />
den Chor am Anfang als „das Schicksal“ selbst<br />
sprechen (eine häufig anzutreffende, zusätzliche<br />
und die Handlung entscheidende allegorische<br />
Figur im barocken Drama). Der Urteilsspruch<br />
über Acis wird im strengen, polyphonen<br />
Renaissanceklangbild verkündet. Mit den<br />
„Behold“-Rufen verändert sich dieses Klangbild:<br />
leise aufkommende Panik und Schock<br />
(Pausen!). Polypheme wird in der Ferne gesichtet<br />
und kommt immer näher, musikalisch wird<br />
dies gezeichnet durch Intensivierung der Lautstärke<br />
und Klangdichte. Der Basssänger beginnt,<br />
sich klanglich immer mehr aus dem Ensemble<br />
zu lösen. Er wird bereits zum Ende der<br />
Nummer 10 zum bedrohlichen Ungeheuer.
Der Chor reagiert mit Schrecken in den irrationalen<br />
„hark!“-Rufen.<br />
Nr. 19 „Mourn, all ye muses!“, unmittelbar<br />
nach Acis’Tod ist die typische, intensive barokke<br />
Darstellung von Trauer: die komplexe und<br />
daher trüb wirkende Tonart f-moll, weinende<br />
Seufzermotive, enge, gequält wirkende, chromatische<br />
Linien, Klagerufe, schmerzvolle Dissonanzen<br />
bilden ein dichtes, bedrückendes Gesamtklangbild<br />
in langsamem Tempo, das eine<br />
intensive Zeitlupe beschreibt: Die Handlung<br />
steht still, die Emotionen verdichten sich.<br />
Das ist nun ein sehr spannender Moment in<br />
diesem Stück: Der Tiefpunkt der Geschichte ist<br />
mit der fast unerträglich-intensiven, allumfassenden<br />
Trauer über den Tod der Hauptfigur<br />
Acis erreicht. Was muss nun geschehen, damit<br />
die Handlung weitergehen kann, damit die<br />
Überlebenden aus ihrer Erstarrung erlöst werden<br />
können? Händels Lösung, die Nr. 20 „Must<br />
I my Acis still bemoan“, ist überraschend und<br />
intensiv durch ihre Vielschichtigkeit:<br />
Das Klangbild hellt sich zwar auf vom verdichteten<br />
f-moll in das scheinbar klare F-Dur. Aber<br />
es ist zuerst ein wahnsinniges, abgehobenes,<br />
entrücktes F-Dur: Die Perspektive wechselt<br />
jetzt von der allgegenwärtigen, allumfassenden<br />
Trauer des vorangegangenen Trauerchores<br />
Nr. 19 und wir erhalten Einblick in die innersten<br />
Gedanken und Gefühle von Galatea,<br />
die ihr selber vielleicht gar nicht bewusst sind.<br />
Alles ist Pianissimo und Adagio, also noch intensiver<br />
als in Nr. 19 (von Händel Adagio non<br />
troppo bezeichnet), und in scheinbar einfachem,<br />
schmerzlich-schönem Stil vertont.<br />
Galateas Gedanken kreisen in sich – irrational,<br />
schwebend in unbeantworteten Fragen – in<br />
langen Tönen und weitgespannten Melodien.<br />
Gleichzeitig versucht die Außenwelt, der Chor,<br />
zu ihr durchzudringen mit dem beharrlich<br />
wiederholten Impuls „Cease, Galatea, cease to<br />
grieve!“ Musikalisch bringt der Chor jetzt allmählich<br />
mehr Bewegung in das Stück und gewinnt<br />
Raum. Das F-Dur selber wird wieder das<br />
ursprüngliche, „einfache“, pastorale F-Dur und<br />
führt zurück zu B-Dur, der optimistischen Basistonart<br />
des ganzen Stückes (allerdings erst<br />
nachdem die Arie Nr. 21 „Heart, the seat of soft<br />
delight“ das entscheidende Es-Dur wieder aufgegriffen<br />
hat).<br />
Im Schluss-Chor „Galatea, dry thy tears“ wird<br />
dieses B-dur erreicht. Ähnlich wie bei den bisher<br />
von uns aufgeführten Barockopern „Dido<br />
and Aeneas“ und „Tamerlano“ endet auch dieses<br />
Stück nicht in einem Feuerwerk-Finale.<br />
Händel überzeichnet die sanfteren Teile des<br />
Textes nicht mit bombastischen Klangeffekten<br />
sondern vertont noch einmal das sanfte Murmeln<br />
des Baches als leise pulsierende Klangfläche.<br />
Das Publikum: Neben Acis, Galatea, Polypheme,<br />
Damon, dem chóros und dem Orchester<br />
gehört zu einer Aufführung des 18. Jahrhunderts<br />
auch immer das Publikum, und zwar in<br />
einer aktiveren Funktion als wir das heute bei<br />
Aufführungen „klassischer“ Musik kennen. Die<br />
Figuren des Stückes und der chóros kommunizieren<br />
miteinander, treten in Beziehung zueinander<br />
und kommentieren sich gegenseitig.<br />
Das Orchester intensiviert mit seinen Klangfarben<br />
und musikalischen Gesten die Dynamik<br />
der Handlung und die Emotionen der Figuren<br />
und zeichnet ein klangliches Bühnenbild. Alles<br />
wird vom Komponisten, von den Textdichtern<br />
und von den Musikern aber auf ein bestimmtes<br />
Publikum hin zugeschnitten.<br />
Zuerst einmal war dieses Publikum – anfangs<br />
noch der Adel, später immer mehr durchsetzt<br />
vom Bürgertum – in den meisten Fällen der<br />
Auftrags- oder Anlassgeber für die gespielten<br />
Stücke. Komponisten schrieben ihre Werke also<br />
für ein bestimmtes Ereignis, für einen bestimmten<br />
Raum, eine bestimmte Besetzung<br />
und vor allem für Zuhörer, die sie genau kannten<br />
und deren Hörerwartungen und Reaktionen<br />
sie einzuschätzen wussten und von denen<br />
sie verstanden werden wollten und verstanden<br />
werden mussten.<br />
Diese Zuhörer kannten aber auch ihre Kompo-
nisten genau, waren äußerst aufgeschlossen<br />
gegenüber deren aktuellen Entwicklungen<br />
und stellten hohe Ansprüche an die Musiker:<br />
Sie wollten grundsätzlich nur zeitgenössische<br />
Musik hören und auch davon am liebsten nur<br />
Werke, die noch nicht aufgeführt worden waren.<br />
Sie waren selber musikalisch und kompositorisch<br />
sehr aktiv, z.T. auf hohem Niveau: Ein<br />
Dilettant, ein Musik-Liebhaber galt sehr viel.<br />
Die gängigen musikalischen Formschemata,<br />
z.B. Rezitativ und Arie, Suite, Sinfonia, Messe,<br />
Sonate, Konzert, Tänze waren ihnen (von klein<br />
auf) bekannt und prägten ihre Erwartungen<br />
an das neue Stück. Vergleichbar ist das in etwa<br />
mit der Form des beruflichen Bewerbungsschreibens<br />
heute, die mit bestimmten Erwartungen<br />
verknüpft ist. Der Arbeitgeber kann<br />
aber auch positiv überrascht sein, wenn der<br />
Bewerber die Form seiner Bewerbung auf besonders<br />
originelle Weise erfüllt, ja, er wird es<br />
vielleicht sogar begrüßen, wenn der Schreiber<br />
von dieser Form abweicht, um besondere inhaltliche<br />
Zusammenhänge herauszuarbeiten,<br />
die für die Stellenbesetzung relevant sind.<br />
Genauso ließ sich das Publikum des 18. Jahrhunderts<br />
gerne überraschen und belohnte originelle<br />
Wendungen und spannende Einfälle<br />
sogar mit Applaus während der Aufführung<br />
oder forderte die spontane Wiederholung eines<br />
besonders gelungenen Stückes. Die Komponisten<br />
spielten und flirteten also mit den<br />
Hörerwartungen ihres Publikums und setzten<br />
subtile und starke Effekte ein, um zu überzeugen<br />
und „Leidenschaften zu erregen“, wie von<br />
den Musikern und Komponisten damals immer<br />
wieder gefordert wurde.<br />
Bei einem Stück wie dem heute abend aufgeführten<br />
war den Zuhörern die Sage um Acis,<br />
Galatea und Polypheme nicht neu, sie kannten<br />
sie bereits und waren bereit, diese Geschichte<br />
als Metapher für ihre eigene Zeit zu sehen und<br />
sich mit ihr zu identifizieren. Sie waren neugierig<br />
darauf, wie und mit welchen musika-<br />
lisch-emotionalen Mitteln diese Geschichte erzählt<br />
werden würde 1) . Da der Ausgang der<br />
Handlung bzw. die Spannung, wie sich alles<br />
auflösen würde, keine Rolle spielte, ließ sich<br />
das Publikum gerne von Widersprüchen und<br />
Abweichungen innerhalb der Handlung unterhalten:<br />
zum Beispiel Polypheme, der sich<br />
vom bedrohlichen Ungeheuer zum tolpatschigen<br />
Liebhaber wandelt, dann in der Arie Nr. 13<br />
„Cease to beauty“ als edle, gekränkten Seele erscheint<br />
und im Trio Nr. 17 wieder zerstörerisch<br />
wird. Oder Damon, der als Hirtenkollege und<br />
Ratgeber von Acis mit seiner Arie Nr. 14<br />
„Would you gain“ plötzlich beginnt, Polypheme<br />
(Acis Rivale) Ratschläge zu erteilen.<br />
Die Reaktionen<br />
des zeitgenössischen<br />
Publikums<br />
Die musikalische Sprache von Händel und Mozart<br />
ist zutiefst emotional. Das ist für uns heute<br />
entscheidend, denn sonst hätten wir keinen<br />
Zugang zu einer Musik, die vor fast 300 Jahren<br />
für eine ganz andere Zeit geschrieben wurde.<br />
Wir hätten nichts, womit wir uns identifizieren<br />
könnten, und eine Aufführung dieser Musik<br />
würde heute keinen Sinn mehr ergeben.<br />
Aber genau in diesem Punkt kommt uns die<br />
Musik Händels und Mozarts entgegen:<br />
Mozart wird 1756, drei Jahre vor Händels Todesjahr<br />
1759 geboren. 1753 formuliert Carl<br />
Phillipp Emanuel Bach, als Cembalist und<br />
Komponist ein wichtiger Impulsgeber für die<br />
Mitte des 18. Jahrhunderts, dass das „Erregen<br />
von Leidenschaften“ im Zuhörer Aufgabe und<br />
Ziel der Musiker sein soll.<br />
Robert Price spricht genau davon, wenn er etwa<br />
1760 rückblickend über Händel notiert:<br />
„Denn obwohl die Entwürfe seiner Phantasie<br />
mehr auf das Großartige und Erhabene als auf<br />
1) als Gegenteil z.B. der auflösungsorientierte Aufbau eines Filmes wie „The Sixth Sense“
andere Stile hin ausgerichtet waren, so hat er<br />
doch manchmal selbst die italienischen Komponisten<br />
im Ausdruck des Leidenschaftlichen und<br />
Pathetischen übertroffen … um alle Seelenbewegungen<br />
ausdrücken zu können, die gewaltsamsten<br />
Wirkungen von Hass und Verzweiflung.“<br />
E.T.A. Hoffmann, selbst Komponist und Zeitgenosse<br />
Mozarts, beobachtet eine intensive Emotionalität<br />
in Mozarts „Don Giovanni“: „Das Anschwellen<br />
von sanfter Melodie bis zum Rauschenden,<br />
bis zum erschütternden des Donners,<br />
die sanften Klagetöne, der Ausbruch der wütendsten<br />
Verzweiflung, das Majestätische, das Edle<br />
des Helden, die Angst des Verbrechers, das Abwechseln<br />
der Leidenschaften in seiner Seele alles<br />
dieses findest Du in dieser einzigen Musik – sie ist<br />
allumfassend, zeigt Dir den Geist des Componisten<br />
in allen möglichen Modifikationen… «Don<br />
Juan» fiel in Wien bei der ersten Darstellung<br />
durch, und es gab wohl viele, die den großen Meister<br />
einen Tollhäusler nannten, der nur krauses<br />
Zeug zu machen verstehe, das ohne Sinn und Verstand<br />
sei, und das niemand zu spielen vermöge.“<br />
Mozarts Musik scheint in ihrer Intensität, Neuartigkeit<br />
und Dichte sogar irritiert und überfordert<br />
zu haben. So schreibt z.B. ein Kritiker zu<br />
einer Don-Giovanni-Aufführung, Oktober<br />
1791 („Musikalisches Wochenblatt“): „Nie<br />
kann man in seinen Werken einen Gedanken<br />
finden, den man schon einmal gehört. Unaufhörlich<br />
wird man ohne Ruhe und Rast von einem<br />
Gedanken zum andern gleichsam fortgerissen…“<br />
Für uns können genau diese Äußerungen negativer<br />
Kritik aufschlussreicher sein als lobende<br />
Worte: Sie zeigen, wo Mozart beginnt, als<br />
Komponist extrem zu sein in seiner Gestaltung<br />
von Emotion. Damit riskierte er, die Erwartungen<br />
seiner Zeitgenossen zu stören bzw.<br />
dass der Faden zwischen ihm und seinem Publikum<br />
zu reißen beginnt.<br />
Wir teilen heute die Meinung dieser Kritiker<br />
wahrscheinlich nicht. Aber wir können durch<br />
diese Zitate in Mozarts Musik eine Intensität<br />
wiederentdecken, die uns heute verlorenge-<br />
gangen ist, weil wir uns zu sehr an sie gewöhnt<br />
haben.<br />
Selbst der Frankfurter Kritiker Schreiber kann<br />
sich dieser intensiveren Emotionalität offenbar<br />
nicht verschließen, wenn er 1789 über eine<br />
Aufführung des „Don Giovanni“ berichtet:<br />
„Wieder eine Oper, die unserem Publikum die<br />
Köpfe schwindeln machte. Viel Prunk und Lärm<br />
für den großen Haufen. Fader Stoff, Abgeschmacktheiten<br />
für den gebildeten Teil! Auch<br />
die Musik, zwar groß und harmonisch, aber<br />
mehr schwer und kunstvoll als gefällig. Nicht<br />
populär genug, um allgemeine Sensation zu erregen.<br />
Ungeachtet das Ganze eine Mönchsposse<br />
ist, muss ich gestehen, dass die Szene auf dem<br />
Kirchhofe mich mit Grausen ergriff. Mozart<br />
scheint die Sprache der Geister von Shakespeare<br />
gelernt zu haben.“<br />
Wie gerne sich das Publikum andererseits<br />
auch überraschen ließ zeigt folgender Bericht<br />
über ein Konzert des jüngeren Mozarts in der<br />
„Augsburgischen Staats- und Gelehrten-Zeitung“<br />
aus dem Jahr 1777: „Alles war außerordentlich,<br />
geschmackvoll und bewundernswert.<br />
Die Komposition gründlich, feurig, mannigfaltig<br />
und einfach; die Harmonie so voll, so kräftig,<br />
so unerwartet, so erhebend; die Melodie so angenehm,<br />
so tändelnd, und alles so neu; der Vortrag<br />
auf dem Forte-Piano so nett, so rein, so voll<br />
Ausdruck, und doch zugleich so außerordentlich<br />
geschwinde, dass man kaum wusste, worauf<br />
man zuerst merken sollte, und alle Zuhörer<br />
zum Entzücken hingerissen wurden. Man sah<br />
hier Meisterstücke in dem Vortrag, Meisterstükke<br />
in den Instrumenten, alles zusammen vereinigt.<br />
Eins erhob immer das andere so sehr, dass<br />
die zahlreiche Versammlung über nichts missvergnügt<br />
war, dass nicht ihr Vergnügen noch<br />
länger dauerte...“
Aufführungspraxis<br />
für Händel aus Sicht<br />
eines Dirigenten<br />
Auszug aus Nikolaus Harnoncourt:<br />
„Musik als Klangrede“<br />
Schon ein flüchtiger Blick auf das Notenbild<br />
zeigt uns erhebliche Unterschiede in den großen<br />
Werken der beiden Zeitgenossen Bach und<br />
Händel. Bachs Musik wirkt wesentlich ausgearbeiteter,<br />
seine Mittelstimmen vor allem sind<br />
viel intensiver und selbständiger am musikalischen<br />
Geschehen beteiligt als die Mittelstimmen<br />
Händels; andrerseits finden wir bei Händel<br />
größere melodische Bögen in den Oberstimmen.<br />
Im ganzen sind bei Bach sämtliche<br />
Stimmen viel detaillierter ausgearbeitet, alle<br />
Verzierungen ausgeschrieben, ist kein Platz<br />
für Improvisation – bei Händel hingegen ist<br />
der große Bogen stets dem Detail übergeordnet,<br />
dieses oft nur angedeutet, manches dem<br />
Interpreten überlassen, natürlich auch die Verzierung<br />
von Kadenzen und Dacapos. Die Vorherrschaft<br />
des Melodischen bei Händel gegenüber<br />
dem stimmig Durchgearbeiteten bei<br />
Bach gibt uns wohl den Schlüssel für eine sinnvolle<br />
Interpretation.<br />
Seit Händels Werke wiederaufgeführt werden,<br />
erkannte man mehr und mehr die Möglichkeiten,<br />
das Monumentale zu betonen. Gerade die<br />
vorhin beschriebene mehr flächige Kompositionsweise<br />
kann eine klangprächtige Interpretation<br />
herausfordern. Die durch die Aufführungsart<br />
des 19. Jahrhunderts erzielte klangliche<br />
Monumentalität wurde ohne weiteres auf<br />
die Substanz der Musik selbst übertragen, die<br />
Tempi wurden zerdehnt, das breit Akkordische<br />
derart hervorgehoben, dass ein primitiv-harmonischer<br />
Monumentalstil entstand, von dem<br />
sich der Hörer, ihn bequem genießend, beruhigen<br />
lassen kann. Dieser Aufführungsstil wur-<br />
de bald geradezu als Inbegriff der Barockmusik<br />
empfunden: riesige Klangmassen, die in<br />
prächtigen und sehr einfachen harmonischen<br />
Abfolgen eine Art von kindlicher Feststimmung<br />
erzeugen.<br />
Die relativ einfache Faktur, die Dominanz des<br />
Melodischen, die Begleitfunktion der Mittelstimmen<br />
weisen schon auf die Klassik hin. Sie<br />
sind sicherlich sozial begründet, ob das dem<br />
Komponisten bewusst war oder nicht. Das Musikleben<br />
Englands zur Zeit Händels war wesentlich<br />
liberaler als das auf dem Kontinent;<br />
sein Publikum in Oper und Oratorium war das<br />
Volk. 3)<br />
Wenn man bei Aufführungen Händelscher<br />
Werke die bekannten Prinzipien damaliger<br />
Aufführungspraxis bezüglich Artikulation, Besetzungsstärke,<br />
Tempi, Dynamik, Verzierung<br />
sinnvoll anzuwenden versucht, kommt plötzlich<br />
eine schlanke, federnde Musik zum Vorschein.<br />
Gerade dadurch wird die Vorherrschaft<br />
des Melodischen sinnvoll, geistloses Pathos<br />
durch klare, leicht fassliche Aussage ersetzt.<br />
Die Musik rückt tatsächlich wie von selbst<br />
mehr in die Nähe der Frühklassiker, ja Mozarts.<br />
Die Kraft dieser Werke liegt noch in der musikalischen<br />
Substanz, nicht aber in der Zahl der<br />
Mitwirkenden (Große Orchester wurden nur<br />
bei Freiluftaufführungen oder bei ganz außergewöhnlichen<br />
Anlässen oder Bedingungen<br />
eingesetzt.) Es gibt keinen Grund, anzunehmen,<br />
dass er diese kleinen Besetzungen, für<br />
die er komponierte, sozusagen als Provisorium,<br />
als Notlösung betrachtete, ja viele Details<br />
sind überhaupt nur in derartiger Besetzung<br />
realisierbar. Die deutliche Artikulation kleiner<br />
Notenwerte, das Wesentliche der Tonsprache<br />
seiner Zeit, ist gerade bei Händels Koloraturen<br />
und sonstigem musikalischen Vokabular wichtig.<br />
Alle zeitgenössischen Schulwerke heben<br />
die Wichtigkeit der richtigen Betonung dieser<br />
Klein- und Kleinstphrasen – die sie mit Silben<br />
und Wörtern der Sprache vergleichen – beson-<br />
3) Allerdings wurde „Acis and Galatea“ für die Hof gesellschaft des First Duke of Chandos, Sir James Brydges, geschrieben.
ders hervor. Bei der praktischen Erprobung<br />
zeigt sich sofort, welch neue Dimensionen sich<br />
dem Musiker und Hörer erschließen, aber<br />
auch, dass diese Art von Artikulation nur in<br />
entsprechend kleiner Besetzung sinnvoll ausführbar<br />
ist. Bei größerer Chor- und Orchesterbesetzung<br />
verschwimmt wieder alles, oder die<br />
Betonungen wirken penetrant übertrieben<br />
und aufgesetzt. Ähnlich verhält es sich mit den<br />
Tempi: wählt man die überlieferten zügigen<br />
Zeitmaße, braucht man unbedingt einen<br />
schlanken und beweglichen Klangapparat. Die<br />
ideale Klangverschmelzung bei aller erwünschten<br />
Deutlichkeit und Durchhörbarkeit<br />
lässt sich überhaupt nur mit den Instrumenten<br />
der Zeit realisieren.<br />
Das Ziel der so erarbeiteten Interpretation ist<br />
ein moderner Händel-Stil. Der Hörer muss da-<br />
bei wieder zum aktiven Hörer werden, er wird<br />
nicht mit vorfabriziertem, aber bei genauem<br />
Hinhören undifferenziertem Prachtklangbrei<br />
abgespeist. Die Musik spielt sich also nicht<br />
mehr allein auf dem Podium ab, während sich<br />
der Hörer genießerisch von ihr umspülen lässt,<br />
sondern sie entsteht eigentlich erst im Zusammenwirken<br />
von Interpret und Zuhörer im aktiven<br />
Verständnis der Klangrede. So scheint mir<br />
die den historischen Voraussetzungen am ehesten<br />
entsprechende Interpretation nicht nur<br />
die werkgemäßeste, sondern zugleich auch die<br />
modernste.<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Autors,<br />
Copyright 2004, Residenzverlag
Die Künstler<br />
Christina Arden<br />
begann ihr Gesangsstudium an der Musikhochschule<br />
in Mannheim und wechselte 2001<br />
an das Richard-Strauss-Konservatorium München<br />
in die Klasse von Marilyn Schmiege. Im<br />
Juli 2005 legte sie das Künstlerische Diplom<br />
der Staatlichen Musikhochschule München<br />
im Fach Gesang ab.<br />
Neben diversen Kirchenkonzerten in Messen<br />
und Oratorien von Haydn, Mozart, Schubert<br />
und Bach sowie Liederabenden mit Werken<br />
von Brahms, Schumann, Mendelssohn, Wolf,<br />
Schubert, R.Strauss und Dominick Argento<br />
trat sie als Amor in Glucks Orfeo ed Euridice in<br />
einer Aufführung mit dem Regensburger<br />
<strong>Kammerorchester</strong> in Freising auf und sang<br />
das Sopransolo in Orffs Carmina Burana und Trionfo di Afrodite in München<br />
sowie in den Opernhäusern von Kairo und Alexandria. Im Herbst 2005 war sie<br />
im Brahms-Requiem mit den Bad Reichenhaller Philharmonikern zu hören.<br />
In den Opernproduktionen des Konservatoriums wirkte sie als Servilia (La Clemenza<br />
di Tito von W.A.Mozart), Belinda (Dido and Aeneas von H.Purcell) und<br />
als Tau- und Sandmännchen (Hänsel und Gretel von E.Humperdinck) mit.<br />
Christina Arden absolvierte Lied- und Meisterkurse bei Donald Sulzen, Krisztina<br />
Laki, Hilde Zadek und Prof. Charlotte Lehmann.<br />
Bernhard Appich<br />
Der in Augsburg geborene Tenor studierte am<br />
Würzburger Konservatorium Violine und Gesang.<br />
Gegen Ende des Studiums entschied<br />
sich der junge Künstler für eine berufliche<br />
Laufbahn als Sänger und trat 1999 in den<br />
Opernchor des Würzburger Stadttheaters ein.<br />
2000 engagierte ihn dann das Staatstheater<br />
am Gärtnerplatz in München als Opernchormitglied<br />
mit solistischen Verpflichtungen.<br />
Neben seinem Beruf am Theater ist Bernhard<br />
Appich vor allem als Konzertsänger zu hören.<br />
Schwerpunkt bilden hier die geistlichen Werke<br />
von Bach, Händel und Mozart.
Benedikt Göbel<br />
wurde 1982 in Nürnberg geboren und sammelte in seiner<br />
Kind- und Jugendzeit Chorerfahrungen in diversen Ensembles.<br />
Noch während seiner Schulzeit begann seine Gesangsausbildung<br />
unter Hartmut Elbert mit der Aufnahme in die<br />
Bayerische Singakademie im Jahr 1999. Hier wirkte er solistisch<br />
an Projekten wie „Ulysses“ von Reinhard Kaiser und<br />
„Das Jüngste Gericht“ von Dietrich Buxtehude mit.<br />
Seit 2004 studiert er Musik und Mathematik auf Lehramt an<br />
Realschulen und erhält im Rahmen dieses Studiums Gesangsunterricht<br />
bei Minari Urano an der Hochschule für<br />
Musik und Theater München. Im Jahr 2005 wirkte er als Solist bei einem französischen Konzert<br />
in München mit Werken von Du Mont, Gervais, Rameau und Laland, mit.<br />
Jutta Bazelt<br />
Jutta Bazelt (Sopran) wurde in Mühldorf am Inn geboren und erhielt während ihrer Schulzeit<br />
Unterricht in den Instrumenten Klavier, Geige und Blockflöte. Nach dem Abitur studierte<br />
sie am Richard-Strauss-Konservatorium Gesang in der Klasse von Jennifer Trost und erhielt<br />
dafür ein Stipendium der Karl und Lilly Till Stiftung. Sie<br />
nahm an der Liedklasse von Donald Sulzen, an Operninterpretationskursen<br />
bei Prof. Julie Kaufmann, sowie an Projekten der<br />
Opernschule und der Pasinger Fabrik teil (u.a. Gretel in Humperdincks<br />
„Hänsel und Gretel“ in München unter Ekkehard<br />
Klemm, szenische Aufführung von Bachs weltlichen Kantaten<br />
in Verona, Clarice in Haydns „Die Welt auf dem Mond“, Dido in<br />
Purcells „Dido und Aeneas“). Während des Studiums absolvierte<br />
sie Meisterkurse bei Prof. Kurt Widmer und Prof. Sharon Weller<br />
(Basel) in Salzburg, Lörrach und im Rahmen der Academia<br />
Vocalensis Tirolensis in Wörgl, des weiteren nahm sie am<br />
Münchner Sommerkurs für Operninterpretation 2003 teil. Sie<br />
schloss ihre Ausbildung mit dem pädagogischen und künstlerischen<br />
Diplom ab. Zur Zeit vervollständigt sie ihre künstlerische<br />
Ausbildung bei Tanja d’Althann und absolviert ein<br />
Schulmusik-Studium mit den Fächern Klavier und Querflöte<br />
an der Hochschule für Musik und Theater in München.<br />
Christiane Fänder<br />
erhielt viele Jahre Instrumentalunterricht im Fach Querflöte.<br />
Begleitend zu ihrer Mitwirkung in verschiedenen Chören<br />
und Vokalensembles nahm sie Gesangsunterricht. 2004<br />
Ausbildung zur Berufssprecherin in Wien. Seitdem zahlreiche<br />
Produktionen für den Bayerischen Blindenbund, Sprecherstimme<br />
für Deutsche Post WorldNet, sowie literarischmusikalische<br />
Projekte.
Markus Zahnhausen<br />
Geboren 1965 in Saarbrücken, studierte Blockflöte am<br />
Münchener Richard-Strauss-Konservatorium bei Hermann<br />
Elsner sowie Slawische Philologie und Musikwissenschaft<br />
an den Universitäten von Trier und München.<br />
Als Blockflötist und Komponist zahlreiche Auftritte, Rundfunk-,<br />
Fernseh- und CD-Produktionen, sowie Workshops<br />
und Gastdozenturen in ganz Europa und den USA. 2002<br />
verpflichtete ihn die Hochschule für Musik und Theater in<br />
München als Dozent für Blockflöte. Für sein Schaffen erhielt<br />
er den Bayerischen Staatspreis „Villa Concordia“, ein<br />
Stipendium der Millay Colony for the Arts (New York), den<br />
Rodion-Shchedrin-Kammermusikpreis sowie das Musikstipendium<br />
der Stadt München.<br />
Sjur Haga Bringeland<br />
wurde 1984 im norwegischen Bergen geboren. Er erhielt seinen<br />
ersten Klavierunterricht mit 6 Jahren, den ersten Blockflötenunterricht<br />
mit 15 Jahren. Er absolvierte das Städtische Musikgymnasium<br />
seiner Heimatstadt, wo er heute an der Grieg-Akademie<br />
Blockflöte bei Frode Thorsen studiert. Seit 2002 verbinden ihn eine<br />
enge Zusammenarbeit und private Blockflötenstudien mit<br />
Markus Zahnhausen. Sjur Haga Bringeland ist Gründer und Leiter<br />
des Bergener Barockensembles „Musici Holbergenses“.<br />
Christoph Garbe<br />
Als Kind sang Christoph Garbe im Tölzer Knabenchor, oft<br />
auch als einer der Drei Knaben in Mozarts Zauberflöte.<br />
Danach begann er, Klavier und Cello zu spielen. Bei Ulrich<br />
Weder am Richard-Strauss-Konservatorium in München<br />
und bei Johannes Schlaefli an der Musikhochschule<br />
Zürich studierte er Dirigieren, bei Wilfried Hiller Komposition.<br />
Auftragswerke, z.B. vom Bayerischen Rundfunk,<br />
vom Amatiensemble München, vom Kulturförderkreis<br />
Gasteig e.V., Zusammenarbeit als Dirigent und<br />
Komponist mit verschiedenen Ensembles in und um<br />
München. 2002/03 Stipendiat des Bayerischen Kultusministeriums<br />
in der Villa Concordia, Bamberg. 2003 Assistenz für Musiktheater an der Musikhochschule<br />
München. CD’s: „Fanfaren – 100 Jahre Deutsches Museum“ (als Dirigent) und<br />
„einmal anders“ Cavalli Records/Edition Villa Concordia (Klavier solo). Christoph Garbe leitet<br />
seit September 2001 das <strong>Murnauer</strong> <strong>Kammerorchester</strong>.
„Acis and Galatea“<br />
Libretto von John Gay /Alexander Pope<br />
1. Sinfonia<br />
I. Teil: The Lovers – Die Liebenden<br />
2. Chorus<br />
O the pleasure of the plains!<br />
Happy nymphs and happy swains,<br />
Harmless, merry, free and gay,<br />
Dance and Sport the hours away.<br />
For us the zephyr blows,<br />
For us distills the dew,<br />
For us unfolds the rose,<br />
And flow’rs display their hue.<br />
For us the winters rain,<br />
For us the summers shine,<br />
Spring swells for us the grain,<br />
And autumn bleeds the vine.<br />
3. Recit. (Galatea)<br />
Ye verdant plains and woody<br />
mountains,<br />
Purling streams and bubbling<br />
fountains,<br />
Ye painted glories of the field,<br />
Vain are the pleasures which we yield;<br />
Too thin the shadow of the grove,<br />
Too faint the gales, too cool my love.<br />
4. Air (Galatea)<br />
Hush, ye pretty warbling choir!<br />
Your thrilling strains<br />
Awake my pains,<br />
And kindle fierce desire.<br />
Cease your Song, and take your flight,<br />
Bring back my Acis to my sight!<br />
5. Air (Acis)<br />
Where shall I seek the charming fair?<br />
Direct the way, kind genius of the mountains!<br />
Übersetzung von Christoph Garbe<br />
2. Chorus<br />
Welch’ Vergnügen hier auf den Wiesen!<br />
Glückliche Nymphen, glückliche Burschen,<br />
unbeschwert, vergnügt, frei und lebenslustig,<br />
im Tanzen und Herumtollen verfliegen<br />
die Stunden.<br />
Für uns (nur) weht der Wind,<br />
für uns (nur) perlt der Tau,<br />
für uns (nur) blüht die Rose,<br />
und Blumen zeigen alle ihre Farben.<br />
Für uns (nur) fällt Regen im Winter,<br />
für uns (nur) strahlt die Sommersonne,<br />
das Korn sprießt für uns im Frühjahr,<br />
und im Herbst Wein wie Blut.<br />
3. Accompagnato (Galatea)<br />
Ihr grünen Wiesen, bewaldete Berge, murmelnde<br />
Bäche und sprudelnde Quellen, alle<br />
Herrlichkeit der Gegend, schön wie gemalt,<br />
eitel und ganz umsonst sind die Vergnügungen,<br />
die man hier ernten (genießen) kann.<br />
Zu dünn auch der Schatten (hier) im Hain,<br />
um dem Sturm (in mir) die Kraft zu nehmen,<br />
um meine Liebe zu kühlen.<br />
4. Arie (Galatea an die Nachtigallen)<br />
Psst! Seid leise, ihr, die ihr so hübsch im Chor<br />
trällert! Euer hinreißendes Lied weckt meinen<br />
Schmerz und entfacht heftiges Verlangen.<br />
Hört auf mit Eurem Lied und fliegt los,<br />
Bringt mir meinen Acis zurück, ich will ihn<br />
sehen.<br />
5. Arie (Acis, durchs Gebirge irrend)<br />
Wo soll ich die bezaubernde Schöne suchen?<br />
Zeige mir den Weg, freundlicher Geist der<br />
Berge!
0 tell me, if you saw my dear,<br />
Seeks she the groves, or bathes in crystal<br />
fountains?<br />
Recit. (Damon)<br />
Stay, shepherd, stay!<br />
See, how thy flocks in yonder valley stray!<br />
What means this melancholy air?<br />
No more thy tuneful pipe we hear.<br />
6. Air (Damon)<br />
Shepherd, what art thou pursuing?<br />
Heedless running to thy ruin;<br />
Share our joy, our pleasure share!<br />
Leave thy passion till tomorrow,<br />
Let the day be free from sorrow,<br />
Free from love, and free from care!<br />
Recit. (Acis)<br />
Lo! hear my love!<br />
Turn Galatea, hither turn thine eyes;<br />
See, at they feet the longing Acis lies!<br />
7. Air (Acis)<br />
Love in her eyes sits playing,<br />
And sheds delicious death;<br />
Love in her lips is straying<br />
And warbling in her breath!<br />
Love on her breast sits panting,<br />
And swells with soft desire;<br />
No grace, no charm is wanting,<br />
To set the heart an fire.<br />
Recit. (Galatea)<br />
Oh! didst thou know the pains of absent<br />
love,<br />
Acis would ne’er from Galatea rove.<br />
8. Air (Galatea)<br />
As when the dove<br />
Laments her love,<br />
All on the naked spray;<br />
O sag’ mir, wenn Du meine Liebste gesehen<br />
hast, sucht sie die Haine auf, oder badet sie<br />
in kristallklaren Fontänen?<br />
Rezitativ (Damon)<br />
Halt an, Schäfer, bleib’! Schau’ wie deine Herde<br />
dort drüben im Tal herumstreunt! Was<br />
soll dein melancholisches Lied? Wir hören<br />
deine schönen (schöneren) Flötenmelodien<br />
nicht mehr.<br />
6. Arie (Damon)<br />
Schäfer, wem oder was jagst du da hinterher?<br />
Kopflos läufst in dein Verderben.<br />
Sei (doch) mit uns zusammen fröhlich und<br />
vergnügt!<br />
Für heute lass’ ab von Deiner Leidenschaft,<br />
lass’ diesen Tag frei sein von Kummer, frei<br />
von (deinen) Liebe(sgeschichten), frei von<br />
Sorge!<br />
Rezitativ (Acis)<br />
Schau’ hierher, meine Liebe! Hierher, Galatea,<br />
richte deinen Blick; Siehe, zu Deinen Füßen<br />
liegt Acis, voller Sehnsucht!<br />
7. Arie (Acis, Galatea betrachtend)<br />
Liebe spielt in ihren Augen<br />
und versprüht den köstlichsten Tod,<br />
Liebe irrt auf ihren Lippen umher<br />
und bebt in ihrem Atem.<br />
Liebe pocht in ihrer Brust<br />
und wächst mit leisem Verlangen;<br />
alle Anmut, jeder Zauber<br />
um das Herz in Brand zu stecken.<br />
Rezitativ (Galatea)<br />
Oh, hättest du gewusst wie qualvoll es ist,<br />
wenn der/die Geliebte nicht da ist,<br />
du hättest mich nie allein gelassen.<br />
8. Arie (Galatea)<br />
[…so qualvoll wie wenn…]<br />
Eine Taube verharrt auf kahlem Zweige in<br />
Liebesklage;
When he returns,<br />
No more she mourns,<br />
But love the live-long day.<br />
Billing, cooing,<br />
Panting, wooing,<br />
Melting murmurs fill the grove,<br />
Melting murmurs, lasting love.<br />
9. Duet (Galatea and Acis)<br />
Happy we!<br />
What joys I feel!<br />
What charms I see!<br />
Of all youth, thou dearest boy!<br />
Of all nymphs, thou brightest fair!<br />
Thou all my bliss, thou all my joy!<br />
[1. Pause]<br />
II. Teil: The Monster – Das Ungeheuer<br />
10. Chorus<br />
Wretched lovers! Fate has passed<br />
This sad decree: no joy shall last.<br />
Wretched lovers, quit your dream!<br />
Behold the monster Polypheme!<br />
See what ample strides he takes!<br />
The mountain nods, the forest shakes:<br />
The waves run frightened to the shores:<br />
Hark, how the thund’ring giant roars!<br />
11. Recit. (Polyphemus)<br />
I rage, I melt, I burn!<br />
The feeble god<br />
has stabb’d me to the heart.<br />
Thou, trusty pine,<br />
Prop of my god-like steps, I lay thee by!<br />
Bring me a hundred reeds of decent growth,<br />
To make a pipe for my capacious mouth;<br />
In soft enchanting accents<br />
let me breathe<br />
Sweet Galatea’s beauty, and my love.<br />
(Aber) wenn er zurückkommt, dann gibt es<br />
nichts mehr zu trauern sondern sie liebt den<br />
ganzen, lieben langen Tag.<br />
Schnäbeln, Gurren,<br />
Keuchen, Werben,<br />
schmachtendes Murmeln erfüllt den Hain,<br />
Stunden der Liebe.<br />
9. Duett (Galatea und Acis)<br />
Wir Glücklichen!<br />
Welche Freuden fühle ich!<br />
Welche Reize erlebe ich!<br />
Von allen Jünglingen –<br />
du liebster Mann!<br />
Von allen Nymphen – du strahlendste Schöne!<br />
Du – all’ mein Glück, Du – meine ganze<br />
Freude!<br />
10. Chor<br />
Ihr elenden Liebenden! Das Schicksal sprach<br />
dieses traurige Urteil: Keine Freude soll von<br />
Dauer sein. Ihr elenden Liebenden, gebt euren<br />
Traum auf!<br />
Schaut! Das Monster Polypheme! Seht mit<br />
welch’ riesigen Schritten er sich nähert! Der<br />
Berg neigt sich, der Wald wird erschüttert:<br />
Wie in Panik stürzen die Wellen auf die Küste:<br />
Hört, wie der donnernde Riese brüllt!<br />
11. Accompagnato (Polypheme)<br />
Ich tobe, ich rase, ich wüte! Ich schmelze dahin,<br />
ich brenne! Der schwächste der Götter<br />
[der Liebesgott] hat in mein Herz gestochen!<br />
Du treuer Pinienbaum, (bisher) Stütze für<br />
meine göttlichen Schritte, hier lege ich Dich<br />
nieder!<br />
Verwandle dich in hundert anständig gewachsene<br />
Rohrpfeifen, so dass ich für meinen<br />
geräumigen Mund (mein großes Maul)<br />
eine Flöte habe;<br />
Sanfte, bezaubernde Tönen will ich hinein-
12. Air (Polyphemus)<br />
O ruddier than the cherry,<br />
O sweeter than the berry,<br />
O nymph more bright<br />
Than moonshine night,<br />
Like kidlings blithe and merry!<br />
Ripe as the melting cluster,<br />
No lily has such lustre;<br />
Yet hard to tame<br />
As raging flame<br />
And fierce as storms that bluster!<br />
Recit. (Polyphemus, Galatea)<br />
(Polyphemus)<br />
Whither, fairest, art thou running,<br />
Still my warm embraces shunning?<br />
(Galatea)<br />
The lion calls not to his prey,<br />
Nor bids the wolf the lambkin stay.<br />
(Polyphemus)<br />
Thee, Polyphemus, great as Jove,<br />
Calls to empire and to love,<br />
To his palace in the rock,<br />
To his dairy, to his flock,<br />
To the grape of purple hue,<br />
To the plum of glossy blue,<br />
Wildings, which expecting stand,<br />
Proud to be gather’d by thy hand.<br />
(Galatea)<br />
Of infant limbs to make my food,<br />
And swill full draughts of human blood!<br />
Go, monster! bid some other guest:<br />
I loathe the host, I loathe the feast!<br />
13. Air (Polyphemus)<br />
Cease to beauty to be suing,<br />
Ever whining love disdaining.<br />
blasen, um die Schönheit der süßen Galatea<br />
und meine Liebe zu besingen.<br />
12. Arie (Polypheme)<br />
Oh röter als die Kirsche,<br />
Oh süßer als die Beere,<br />
Oh Nymphe, heller<br />
als die Mondscheinnacht,<br />
wie Zicklein, munter und fröhlich!<br />
Reif wie weiche Trauben,<br />
keine Lilie hat solch’ einen Glanz,<br />
doch bisher schwer zu zähmen<br />
wie tobende Flammen,<br />
und wild wie Stürme die toben!<br />
Rezitativ (Polypheme, Galatea)<br />
Polypheme:<br />
Wohin, du Schönste, rennst du denn?<br />
Immer noch weichst du meinen warmen<br />
Umarmungen aus!<br />
Galatea:<br />
Der Löwe ruft nicht seine Beute an,<br />
auch der Wolf bittet das Lämmlein nicht, zu<br />
bleiben<br />
Polypheme:<br />
Dich ruft Polyphemus, groß wie Jupiter,<br />
mit ihm zu herrschen, ihn zu lieben,<br />
er ruft dich in seinen Felspalast,<br />
zu seiner Molkerei, zu seiner Herde,<br />
zu den purpurfarbenen Früchten,<br />
zu den glänzend blauen Pflaumen,<br />
zu all’ den Pflanzen, die nur darauf warten,<br />
gepflückt zu werden.<br />
Galatea:<br />
Meine Mahlzeiten sollen die Gliedmassen<br />
von Kindern sein, und Menschenblut soll ich<br />
saufen?<br />
Geh’, du Scheusal! frag’ jemand anderes: ich<br />
ekele mich vor so einem Gastgeber, und so<br />
eine Einladung widert mich an!<br />
13. Arie (Polypheme)<br />
Lauf’ nicht schönen Frauen hinterher, die dich<br />
nur verachten, wenn du vor Liebe winselst.
Let the brave their aims pursuing,<br />
Still be conq’ring, not complaining.<br />
14. Air (Damon)<br />
Would you gain the tender creature,<br />
Softly, gently, kindly treat her:<br />
Suff’ring is the lover’s part;<br />
Beauty by constraint possessing<br />
You enjoy but half the blessing,<br />
Lifeless charms without the heart.<br />
Recit. (Acis)<br />
His hideous love provokes my rage;<br />
Weak as I am, I must engage!<br />
Inspir’d with thy victorious charms,<br />
The god of love will lend his arms.<br />
15. Air (Acis)<br />
Love sounds th’alarm,<br />
And fear is a flying!<br />
When beauty’s the prize,<br />
What mortal fears dying?<br />
In defence of my treasure,<br />
I’d bleed at each vein;<br />
Without her no pleasure<br />
For life is a pain.<br />
[2. Pause]<br />
III. Teil: Acis’ Death – Der Tod von Acis<br />
16. Air (Damon)<br />
Consider, fond shepherd,<br />
How fleeting’s the pleasure,<br />
That flatters our hopes<br />
In pursuit of the fair!<br />
The joys that attend it,<br />
By moments we measure,<br />
But life is too little<br />
To measure our care.<br />
Ein starker Mann verfolgt seine Ziele und gewinnt,<br />
aber er beschwert sich nicht.<br />
14. Arie (Damon)<br />
Wenn du ein so zartes Geschöpf für dich gewinnen<br />
willst, dann musst du sie schon<br />
sanft, freundlich und gut behandeln: Dass<br />
sie dich dabei (etwas) leiden lässt, das gehört<br />
schon dazu;<br />
Wenn du versuchst, sie zu zwingen, zu drängen,<br />
dann wirst du aber nur halb glücklich<br />
werden; das hat (dann aber) weder Zauber<br />
noch Herz.<br />
Rezitativ (Acis)<br />
Seine scheußliche Liebe reizt mich<br />
bis auf Blut; So schwach/wenig gewachsen<br />
ich ihm bin, ich muss ein-/angreifen!<br />
Von deiner (Galateas ) Schönheit überwältigt,<br />
muss (ja sogar) der Liebesgott mir Kraft<br />
verleihen.<br />
15. Arie (Acis)<br />
Die Liebe ruft zum Kampf (wie ein Trompeter<br />
zur Schlacht), und die Furcht schwindet!<br />
Wenn es um (solch’ eine) Schönheit geht,<br />
was ist dagegen die Todesangst der Sterblichen?<br />
Mein ganzes Blut würde ich geben<br />
Um meine Geliebte zu verteidigen;<br />
Ohne sie gäbe es keine Freude mehr,<br />
das Leben wäre eine Qual.<br />
16. Arie (Damon)<br />
Bedenke, mein lieber Hirte, wie flüchtig das<br />
Vergnügen ist, das sich unseren Hoffnungen<br />
einschmeichelt bei unseren Bemühungen<br />
um das Schöne!<br />
Die Freude, die wir gewinnen, messen wir<br />
(nur) in Augenblicken, unser ganzes Leben<br />
aber ist zu kurz, um das (ganze) Ausmaß unserer<br />
Sorge zu begreifen.
Recit. (Galatea)<br />
Cease, O cease, thou gentle youth,<br />
Trust my constancy and truth,<br />
Trust my truth, and pow’rs above,<br />
The pow’rs propitious still to love!<br />
17. Trio (Acis, Galatea, Polypheme)<br />
(Galatea, Acis)<br />
The flocks shall leave the mountains,<br />
The woods the turtle dove,<br />
The nymphs forsake the fountains,<br />
Ere I forsake my love!<br />
(Polyphemus)<br />
Torture! fury! rage! despair!<br />
I cannot, cannot bear!<br />
(Galatea, Acis)<br />
Not show’rs to larks so pleasing,<br />
Not sunshine to the bee,<br />
Not sleep to toil so easing,<br />
As these dear smiles to me.<br />
(Polyphemus)<br />
Fly swift, thou massy ruin, fly!<br />
Die, presumptuous Acis, die!<br />
Recit. (Acis)<br />
Help, Galatea! help ye parent gods!<br />
And take me dying to your deep abodes.<br />
20. Chorus<br />
Mourn, all ye muses!<br />
weep all ye swains!<br />
Tune your reeds to doleful strains!<br />
Groans, cries and howlings fill the<br />
neighb’ring shore:<br />
Ah, the gentle Acis is no more!<br />
21. Solo (Galatea) & Chorus<br />
(Galatea)<br />
Must I my Acis still bemoan,<br />
Inglorious crush’d beneath that stone?<br />
Rezitativ (Galatea zu Acis)<br />
Nicht! Du sanfter Jüngling, lass’ ab.<br />
Verlass’ dich auf meine Standhaftigkeit und<br />
Treue, vertrau’ mir und (meiner) göttlicher<br />
Macht, den Kräften, die unserer Liebe noch<br />
immer gewogen sind!<br />
17. Trio (Acis, Galatea, Polypheme)<br />
Acis, Galatea:<br />
Eher sollen die Herden die Berge verlassen<br />
und die Turteltaube das Gehölz,<br />
eher weichen die Nymphen von ihren Quellen<br />
als ich von meiner Liebe!<br />
Polypheme:<br />
Folter! Raserei! Zorn! Verzweiflung!<br />
Ich kann das unmöglich ertragen!<br />
Galatea, Acis:<br />
(Kühle) Regenschauer können die<br />
Seen erquicken, Sonnenstrahlen können die<br />
Biene wärmen und Schlaf kann Mühe lindern<br />
– aber dieses liebe Lächeln berührt<br />
mich tiefer.<br />
Polypheme:<br />
Fliege schnell, du schwerer Felsbrocken, flieg!<br />
Stirb, hochmütiger Acis, stirb!<br />
Rezitativ (Acis)<br />
Hilf’, Galatea, helft, Ihr (ihr verwandten) Götter!<br />
Und geleitet mein Sterben<br />
in Eure tiefe Heimat (die Unterwelt).<br />
20. Chor<br />
Trauert, all’ ihr Musen (Nymphen), weint, all’<br />
ihr Burschen (Schäfer)!<br />
Stimmt Klageweisen an<br />
auf euren Flöten!<br />
Stöhnen, Schreie und Heulen überall:<br />
Ah, der sanfte Acis ist nicht mehr!<br />
21. Solo (Galatea) & Chor<br />
Galatea:<br />
Muss ich immer und immer meinen Acis beweinen,<br />
ihn, der so gemein unter diesem Felsen<br />
zermalmt liegt?
(Chorus)<br />
Cease, Galatea, cease to grieve!<br />
Bewail not whom thou canst relieve.<br />
(Galatea)<br />
Must the lovely charming youth<br />
Die for his constancy and truth?<br />
(Chorus)<br />
Call forth thy pow’r, employ thy art,<br />
The goddess soon can heal thy smart.<br />
(Galatea)<br />
Say what comfort you can find?<br />
For dark despair o’erclouds my mind.<br />
Recit. (Galatea)<br />
’Tis done: thus I exert my pow’r divine;<br />
Be thou immortal, tho’ thou art not mine!<br />
22. Air (Galatea)<br />
Heart, the seat of soft delight,<br />
Be thou now a fountain bright!<br />
Purple be no more thy blood,<br />
Glide thou like a crystal flood.<br />
Rock, thy hollow womb disclose!<br />
The bubbling fountain, lo! it flows;<br />
Through the plains he joys to rove,<br />
Murm’ring still his gentle love.<br />
23. Chorus<br />
Galatea, dry thy tears,<br />
Acis now a god appears!<br />
See how he rears him from his bed,<br />
See the wreath that binds his head.<br />
Hail thou gentle murm’ring stream,<br />
Shepherds pleasure, muses’ theme!<br />
Through the plains still joy to rove,<br />
Murm’ring still thy gentle love.<br />
Chor:<br />
Galatea, lass’ ab von deinem Kummer,<br />
beklage nicht den, für den jede Rettung zu<br />
spät kommt.<br />
Galatea:<br />
Muss dieser wunderbare, bezaubernde Jüngling<br />
denn wirklich für seine Standhaftigkeit<br />
und Treue sterben?<br />
Chorus:<br />
Rufe deine Macht, nutze deine Zauberkraft,<br />
das Göttliche in dir kann deinen Schmerz<br />
heilen.<br />
Galatea:<br />
Sagt, welchen ein Trost gibt es noch?<br />
Denn dunkle Verzweiflung überschattet<br />
meinen Geist.<br />
Rezitativ (Galatea)<br />
Es ist vollbracht: so handle ich mit meiner<br />
göttlichen Macht. Sei du unsterblich, wenn<br />
du auch nicht mein sein kannst!<br />
22. Arie (Galatea)<br />
Herz, Heimat sanfter Freude,<br />
sei nun eine helleuchtende Quelle!<br />
Purpurfarben soll dein Blut nicht mehr sein,<br />
fließe dahin wie kristallklare Flut.<br />
Fels, öffne deinen Schoß!<br />
Die sprudelnde Quelle, seht! Sie fließt;<br />
So wird er gerne seinen Lauf durch die Wiesen<br />
nehmen, und immer noch wird er von<br />
seiner sanften Liebe murmeln.<br />
23. Chorus<br />
Trockne deine Tränen, Galatea,<br />
als Gott erscheint nun Acis! Sieh, wie er sich<br />
von seiner Ruhestätte erhebt,<br />
Sieh, das Blumengewinde, das sein Haupt<br />
krönt.<br />
Heil dir, du freundlich murmelnder Bach,<br />
den Hirten spendest du Freude, die Musen<br />
werden dich besingen, so wirst du wohl deinen<br />
Lauf durch die Wiesen nehmen und immer<br />
noch von deiner sanften Liebe murmeln.