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Wessen Herz schlägt da in meiner Brust - Apsys

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©Guni Leila Baxa <br />

3 <br />

Die offenen, fast bedeutungsfreien Namen erlauben Mehrdeutigkeit. Sie nehmen den<br />

Charakter von Metaphern, Symbolen und Ritualen an. Diesen wohnt ja gerade<br />

deswegen so große Wirkkraft <strong>in</strong>ne, weil sie Mehrdeutigkeit zulassen und halten<br />

können.<br />

E<strong>in</strong>e Verneigung vor e<strong>in</strong>em gleichgeschlechtlichen Elternteil bezieht ja<br />

möglicherweise auch e<strong>in</strong> Verneigen vor der eigenen Weiblichkeit bzw. Männlichkeit<br />

mit e<strong>in</strong>. Gleichzeitig könnte es auch e<strong>in</strong> Verneigen vor der Reihe der<br />

männlichen/weiblichen Vorfahren se<strong>in</strong> oder dem weiblichen/männlichen Lebensstrom<br />

überhaupt. Vielleicht aber steckt <strong>in</strong> dieser Verneigung auch e<strong>in</strong>e Verneigung vor<br />

e<strong>in</strong>em wichtigen Lehrer. Natürlich s<strong>in</strong>d den Klient.Innen zum Zeitpunkt e<strong>in</strong>er<br />

Verneigung nicht all diese Alternativen bewusst; auch den Aufstellungsleitern nicht.<br />

Doch die Seele ahnt sie. Sie ruhen dort als Potential und implizites Wissen. Und<br />

tauchen häufig <strong>da</strong>nn auf, wenn Klienten um erweiterte Handlungsspielräume und<br />

E<strong>in</strong>sichten r<strong>in</strong>gen. Es ist <strong>da</strong> manchmal wie bei e<strong>in</strong>er Zwiebel: Man kann Schicht für<br />

Schicht ablösen und bei jeder Schicht öffnen sich neue S<strong>in</strong>nzusammenhänge.<br />

Als Ruth die Benennung „ <strong>da</strong>s ist der Spender des <strong>Herz</strong>ens“ hörte, wirkte sie wie<br />

elektrisiert und sehr erregt. Sie fasste nach me<strong>in</strong>er Hand, schaute mich mit grossen<br />

Augen an und fragte: „Ja, wessen <strong>Herz</strong> <strong>schlägt</strong> denn <strong>da</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er <strong>Brust</strong>?“<br />

„Ich b<strong>in</strong> <strong>da</strong> aufgewacht“, sagte sie später zu diesem Moment der Aufstellung.<br />

In der Aufstellung wandte sich <strong>da</strong>s „<strong>Herz</strong>“ zuerst zu „Ruth“ und me<strong>in</strong>te: „Ich würde ja<br />

gerne zu dir kommen. Doch ich konnte mich überhaupt nicht von ihm verabschieden“<br />

und zeigte <strong>da</strong>bei auf den „Spender des <strong>Herz</strong>ens.“ Dann starrte sie gebannt auf ihn<br />

und rief, als ob sie ihm nach weith<strong>in</strong> etwas zuriefe: „Du bist nicht tot! Weißt Du <strong>da</strong>s?<br />

Du bist nicht tot! Du lebst <strong>in</strong> mir weiter und ich b<strong>in</strong> es, die de<strong>in</strong> <strong>Herz</strong> hütet.“<br />

Ruth ist e<strong>in</strong>e kluge, hoch <strong>in</strong>telligente Frau und enorm belesen. Bis zur<br />

Transplantation war sie als Wissenschaftsjournalist<strong>in</strong> tätig und zusätzlich e<strong>in</strong>e<br />

engagierte und geschätze Politiker<strong>in</strong> für Umweltfragen. Psychotherapie war ihr<br />

fremd.<br />

„Ich konnte mich ja überhaupt nicht von ihm verabschieden,“ sagt nun dieses „<strong>Herz</strong>“.<br />

Abschiedsschmerz e<strong>in</strong>es Organs? E<strong>in</strong> körperliches Organ als etwas eigenständig<br />

Fühlendes und Empf<strong>in</strong>dendes? Für unser von den Naturwissenschaften geprägtes<br />

Weltbild ist <strong>da</strong>s undenkbar. Gehört <strong>da</strong>s nicht ganz und gar <strong>in</strong> den Bereich<br />

versponnener Esoterik?<br />

Die klassische Schulmediz<strong>in</strong>, mit der Ruth auf Du und Du stand, betrachtet den<br />

Körper als e<strong>in</strong>e chemische Fabrik. Für sie ist der Körper e<strong>in</strong> Gegenstand, dessen<br />

Bauplan und Funktionen uns rational zugänglich s<strong>in</strong>d. Haben wir diesen Bauplan<br />

erforscht, können wir ihn – ohne seelische oder geistige Konsequenzen – beliebig<br />

manipulieren und verändern.<br />

Bei diesem lauten Ruf ihrer Stellvertreter<strong>in</strong> an den „Spender“ zuckte Ruth<br />

zusammen. Sie schüttelte irritiert den Kopf und rang sichtlich mit sich. Doch nach<br />

e<strong>in</strong>er Weile begann sie bitterlich zu schluchzen.

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