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Heidkaten - KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch

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Das Erweiterte Krankenrevier des<br />

Stammlagers XA Schleswig.<br />

Zweiglager <strong>Heidkaten</strong><br />

Von Mitte 1941 bis zum April 1944 existierte im <strong>Kaltenkirchen</strong>er Ortsteil <strong>Heidkaten</strong><br />

unmittelbar an der Reichsstraße 4 e<strong>in</strong> im Volksmund „Russenlager“ genanntes Zweiglager des<br />

Stalag XA Schleswig. Es handelte sich um e<strong>in</strong> „Erweitertes Krankenrevier“. Hierher wurden<br />

die entkräfteten und kranken sowjetischen Kriegsgefangenen aus den umgebenden Lagern<br />

und Arbeitskommandos gebracht, die zur Arbeit nicht mehr fähig waren. Wie Anwohner nach<br />

dem Kriege und auch später <strong>in</strong> den achtziger und neunziger Jahren ältere Bewohner der<br />

Umgebung übere<strong>in</strong>stimmend berichteten, kamen die völlig entkräfteten, halbtoten oder schon<br />

toten Kriegsgefangenen <strong>in</strong> kurzen Abständen mit der Bahn an der Station „Hoffnung“ an. Die<br />

Augenzeugen betonten, zwar laufend die Krankentransporte nach <strong>Heidkaten</strong> beobachtet zu<br />

haben, aber niemals Rücktransporte von Genesende von dort. Ferner berichteten Bauern und<br />

Fuhrleute übere<strong>in</strong>stimmend, dass die Sterberate im Lager außerordentlich hoch gewesen sei.<br />

Leichentransporte zu mehreren Massengräbern auf dem Gebiet des heutigen<br />

Bundeswehrübungsplatzes seien ihr häufiges Geschäft gewesen.<br />

1993 meldete sich e<strong>in</strong> ehemaliger Mar<strong>in</strong>esoldat, der 1942 als junger Mann im<br />

Ausbildungslager der Mar<strong>in</strong>e, das unweit neben dem „Russenlager“ lag, zur Ausbildung<br />

weilte. Er schrieb, dass er während der kurzen Zeit se<strong>in</strong>er Ausbildung dort aus e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Entfernung beobachtete, „wie <strong>in</strong> Abständen tote russ. Soldaten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er großen Kiste zu e<strong>in</strong>em<br />

Massengrab getragen wurden.“<br />

E<strong>in</strong>e erst kürzlich erschlossene Quelle bestätigte die „katastrophalen“ Zustände im Lager. E<strong>in</strong><br />

ehemaliger Standortarzt aus Boostedt, der während se<strong>in</strong>es Dienstes viermal das Zweiglager<br />

<strong>Heidkaten</strong> besuchte, berichtete wie folgt: „Die Zustände waren katastrophal: es fehlte am<br />

Nötigsten und die deutsche Lagerführung hatte nicht das ger<strong>in</strong>gste Interesse auch nur das<br />

Ger<strong>in</strong>gste an der Situation zu ändern: die Menschen wurden wie Dreck behandelt und<br />

betrachtet....Die Baracken waren mit Menschen überfüllt, m<strong>in</strong>destens 400 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er, wer davon<br />

noch lebte oder schon tot war, konnte man nicht mehr unterscheiden. Die Wenigen, die sich<br />

noch auf den Be<strong>in</strong>en halten konnten, waren damit beschäftigt ihre toten Kameraden zur<br />

„Müllkippe“, die zentrale Leichenablage, beim Revier IV zu br<strong>in</strong>gen...“ Er schätzte die<br />

Sterblichkeitsrate auf „ca. 95%“. Alle<strong>in</strong> aus dem Lager Boostedt seien <strong>in</strong> der Zeit der Existenz<br />

des Lagers <strong>in</strong> <strong>Heidkaten</strong> 450 sowjetische Kriegsgefangene <strong>in</strong> das Erweiterte Krankenrevier<br />

e<strong>in</strong>geliefert worden, von denen ke<strong>in</strong>er dort lange überlebt habe.<br />

Lagerführer war der damalige Hauptmann Gustav Toosbuy, mit dem wir bis <strong>in</strong> die achtziger<br />

Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> brieflichen Kontakt pflegten. Herrn Toosbuy war die Er<strong>in</strong>nerung an das von ihm<br />

geführte Lager sichtlich unangenehm und versuchte mehrfach die schlimmen Verhältnisse<br />

herunterzuspielen. Trotzdem bestätigte er <strong>in</strong>direkt die für die Kriegsgefangenen tödlichen<br />

Umstände. In e<strong>in</strong>em Brief vom 8.5.78 führte er aus: „Die Schuld für die Misere lag nicht beim<br />

Lager <strong>Heidkaten</strong>, sondern bei der höchsten militärischen und politischen Spitze....So kam e<strong>in</strong><br />

großer Teil <strong>in</strong> die Lüneburger Heide, wo die Kgf., da ke<strong>in</strong>e Unterkünfte vorhanden,<br />

wochenlang im Freien bzw. <strong>in</strong> Erdlöchern bei kärglicher Verpflegung zubr<strong>in</strong>gen mussten. Sie<br />

haben damals die Bäume entr<strong>in</strong>det und die R<strong>in</strong>de gegessen, dazu Regenwürmer und anderes<br />

Getier. Diese total entkräfteten Menschen wurden dann, nachdem kaum noch was zu retten


war, auch nach Schleswig-Holste<strong>in</strong> auf Arbeitskommandos gebracht. Die Folge war, dass sie<br />

von allen Seiten nach <strong>Heidkaten</strong> <strong>in</strong> das Krankenrevier kamen, wo viele nicht mehr gerettet<br />

werden konnten...Ihre Zeugen haben recht, das wird nicht bestritten....dass viele gestorben<br />

s<strong>in</strong>d, ist durchaus bekannt...E<strong>in</strong>e Besserung des Zustandes der Russen konnte nur ganz<br />

allmählich erreicht werden, und das erklärt auch die Beobachtung Ihrer Zeugen, dass im<br />

Anfang ke<strong>in</strong>e Russen auf ihr Kommando zurücktransportiert wurden.“<br />

Hier wurde von e<strong>in</strong>em Mann, der e<strong>in</strong> persönliches Interesse daran sah, unangenehme<br />

glaubwürdige Zeugenaussagen zu relativieren, mehr oder weniger deutlich bestätigt, dass<br />

Hunderte, wenn nicht Tausende von sowjetischen Kriegsgefangenen im Erweiterten<br />

Krankenrevier <strong>Heidkaten</strong> ihr Leben verloren. Auffällig s<strong>in</strong>d die vielen Zeugenaussagen der<br />

Bauern aus der Umgebung, die damals Spanndienste leisten und regelmäßig viele Leichen zu<br />

verschiedenen Massengräbern fahren mussten.<br />

Herr Toosbuy, der ehemalige Lagerführer, beschrieb die Konstruktion des ehemaligen Lagers<br />

so: „In <strong>Heidkaten</strong> war ke<strong>in</strong> Kgf.-Lager im üblichen S<strong>in</strong>n, sondern e<strong>in</strong> Stalag für russische<br />

Kgf. mit e<strong>in</strong>em erweiterten Krankenrevier, e<strong>in</strong>er Entlausungsanstalt und Kammer mit<br />

Handwerkerstube.“ In e<strong>in</strong>em Brief an den <strong>Kaltenkirchen</strong>er Bürgermeister Fehrs vom 26.11.83<br />

stellte Herr Toosbuy die Funktion der „Entlausungsanstalt“ dar. Da im Lager Fälle von<br />

Fleckfieber aufgetreten seien, habe auf hohe Betonfundamente gesetzte Baracken gebaut<br />

werden müssen, <strong>in</strong> denen die Entlausung vorgenommen wurden. In Baracke 1 hätten sich die<br />

Kriegsgefangenen entkleiden müssen. „Die Kleider kamen nach Bar. 4, wo sie durch Dampf<br />

erhitzt wurden zum Abtöten der Läuse und Nissen. Die Kgf. kamen <strong>in</strong> Baracke 2, wo sie<br />

gründlich gebadet wurden. Dann g<strong>in</strong>gs <strong>in</strong> Bar. 3 , wo die Kgf. ihr Kleider wieder erhielten.“<br />

E<strong>in</strong>e Ru<strong>in</strong>e dieser „Entlausungsanstalt“ existierte bis zum Herbst 1983 wie e<strong>in</strong> Symbol des<br />

„Russenlagers“ und er<strong>in</strong>nerte an das Erweiterte Krankenrevier <strong>Heidkaten</strong>, <strong>in</strong> dem so viele<br />

sowjetische Kriegsgefangene gestorben s<strong>in</strong>d. Sie stand unmittelbar an der B 4 und konnte von<br />

dort gesehen werden. „Aus Sicherheitsgründen“ wie es hieß, ließ die Bundeswehr die Ru<strong>in</strong>e<br />

abbrechen. An dieser Stelle möchte nun der Trägervere<strong>in</strong> <strong>KZ</strong>-<strong>Gedenkstätte</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong><br />

e<strong>in</strong>e Gedenktafel aufstellen, die genauer über das ehemalige Erweiterte Krankenrevier<br />

<strong>Heidkaten</strong> <strong>in</strong>formieren soll. Zwar gibt e<strong>in</strong>e Tafel <strong>in</strong> der 2 ½ km entfernten Gräberstätte<br />

Moorkaten Auskunft über das Stalag XA Schleswig, Zweiglager <strong>Heidkaten</strong>, aber hier nur als<br />

H<strong>in</strong>weis auf die Herkunft der sowjetischen Kriegsgefangenen <strong>in</strong> dem Massengrab. Deshalb ist<br />

an Ort und Stelle des ehemaligen „Russenlagers“ unbed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e Gedenktafel nötig, die e<strong>in</strong>e<br />

genauere und ausführlichere Beschreibung gibt und die Er<strong>in</strong>nerung an die Vergangenheit als<br />

Mahnung und Aufforderung wach hält. So am Rande des Bundewehrübungsgeländes und<br />

unmittelbar an der B 4 gelegen, dürfte die Tafel den Übungsbetrieb ke<strong>in</strong>esfalls stören.<br />

Jürgen Gill

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