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Zur Geschichte der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch ...

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<strong>Zur</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> <strong>KZ</strong>-Gedenkstätte <strong>Kaltenkirchen</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirschVon Jürgen Gill nach Materialien und Aufzeichnungen von Gerhard Hoch, <strong>Kaltenkirchen</strong> im Oktober 2002Wie es anf<strong>in</strong>gDie Historische Arbeitsgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>„Hauptort <strong>der</strong> Verbannung“Neugestaltung <strong>der</strong> „Kriegsgräberstätte“ Moorkaten„Zwölf wie<strong>der</strong>gefundene Jahre“ von Gerhard HochE<strong>in</strong>e vergessene Ru<strong>in</strong>e, Reste <strong>der</strong> „Entlausungsanstalt“Die „Friedensgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>“„Von Auschwitz nach Hoste<strong>in</strong>“, über die Schwierigkeiten des Dorfes Sarau,mit <strong>der</strong> eigenen <strong>Geschichte</strong> konfrontiert zu werden.Langsamer Klimawandel – <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> neunziger JahreFünfzig Jahre nach Kriegsende – 1995 endlich <strong>der</strong> DurchbruchDie Entstehung <strong>der</strong> Gedenkstätte Spr<strong>in</strong>ghirschE<strong>in</strong>leitungEntdeckung von RestenMaren Grimm und Oliver GemballaMit dem Bagger zum DurchbruchDas Projekt bekommt EigendynamikE<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> SchulenDer Trägervere<strong>in</strong> gründet sichDas DokumentenhausWeiterer Ausbau <strong>der</strong> GedenkstätteWie geht es weiter?ZusammenfassungWie es anf<strong>in</strong>gDreißig Jahre nach <strong>der</strong> Befreiung von <strong>der</strong> Nazi-Herrschaft im Jahre 1975 veröffentlichte Gerhard Hoch <strong>in</strong> <strong>der</strong>


<strong>Kaltenkirchen</strong>er SPD-Zeitung „INFO“ e<strong>in</strong>en Artikel mit <strong>der</strong> Überschrift „<strong>Kaltenkirchen</strong>s blutige Erde“. Und hierschlug <strong>der</strong> Autor das Thema an, das ihn seitdem bis heute nicht mehr losließ: „Wir wollen immer auch,beson<strong>der</strong>s im H<strong>in</strong>blick auf die neuen und jüngeren Bürger, beitragen zur Erhellung von <strong>Geschichte</strong> undVergangenheit unserer Stadt.“ Das, was Gerhard Hoch damals so ankündigte, hat er gegen Wi<strong>der</strong>stände undwidrige Umstände unbeirrt, beharrlich, zielstrebig und erfolgreich bis heute <strong>in</strong> die Tat umgesetzt und zuse<strong>in</strong>em Lebenswerk gemacht.1975 war er auf die Spuren <strong>der</strong> Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>gestoßen, hatte zum an<strong>der</strong>en von e<strong>in</strong>em großen Gefangenenlager für russische Kriegsgefangene <strong>in</strong>Heidkaten bei <strong>Kaltenkirchen</strong> erfahren und von furchtbaren Häftl<strong>in</strong>gszügen kurz vor Beendigung des Kriegeserzählen gehört. Darüber war aber bisher <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> kaum etwas zu Ohren gekommen.Offensichtlich hatte sich <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> niemand für diese schreckliche Vergangenheit <strong>in</strong>teressiert. Esschien eher so, als sollte <strong>der</strong> Schleier des Vergessens darüber gelegt werden. Die meisten <strong>der</strong> Älteren, diedas Schreckliche gesehen, miterlebt o<strong>der</strong> selber mitgetragen hatten, wollten offenbar vergessen. Sie wolltennicht daran rühren, sei es, weil die Er<strong>in</strong>nerung sie als Betroffene zu sehr schmerzte, sei es, weil sich auf e<strong>in</strong>ernegativen Basis für sie ke<strong>in</strong> positives Selbstverständnis aufbauen ließ, sei es, weil sie das Entsetzliche zurBeruhigung des eigenen Gewissens verdrängen zu müssen glaubten o<strong>der</strong> sei es, weil sie unbequemenFragen und Anschuldigungen entgehen wollten. Doch dieser Schleier des Verschweigens, des Vergessensund des Nicht-daran-rühren-wollens beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te zunehmend die Entwicklung zu e<strong>in</strong>em demokratischen undhumanen Geme<strong>in</strong>wesen, wie an <strong>der</strong> Zunahme neonazistischer Umtriebe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region, wie anauslän<strong>der</strong>fe<strong>in</strong>dlichen Stammtischparolen und an <strong>der</strong> politischen Abst<strong>in</strong>enz <strong>der</strong> meisten Jugendlichenabzulesen war. Das erkannte Gerhard Hoch schon damals <strong>in</strong> aller Klarheit.Für ihn wurde es höchste Zeit, gerade die junge Generation darüber aufzuklären, wie sich <strong>in</strong> <strong>der</strong>Vergangenheit <strong>der</strong> verführerische Ungeist des Nationalsozialismus <strong>in</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren Heimat ausbreitete,sich <strong>in</strong> den Köpfen <strong>der</strong> meisten festsetzte und zuletzt se<strong>in</strong>e mör<strong>der</strong>ische Dynamik entfaltete. Aus <strong>der</strong>Vergangenheit lernen wurde für ihn zu e<strong>in</strong>er unabd<strong>in</strong>gbaren Voraussetzung dafür, Gegenwart human unddemokratisch leben und Zukunft human und demokratisch gestalten zu können. Diese Erkenntnis wurde zuGerhard Hochs Lebensmaxime, die er von damals – 1975 – bis heute leidenschaftlich verfolgte.E<strong>in</strong>ige Nie<strong>der</strong>lagen und beson<strong>der</strong>s die vielen Erfolge auf se<strong>in</strong>em Weg sollen hier dargestellt werden.Die Historische Arbeitsgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>1975 wurde die „Historische Arbeitsgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>“ gegründet. In ihr arbeiteten zeitweise bis zu achtMitglie<strong>der</strong>. Aber kont<strong>in</strong>uierlich <strong>in</strong> den ersten Jahren beteiligten sich lediglich Stephan B<strong>in</strong>dheim, se<strong>in</strong>e FrauGisela und Gerhard Hoch an <strong>der</strong> Aufklärungsarbeit über die braune Vergangenheit <strong>Kaltenkirchen</strong>s.In e<strong>in</strong>em Artikel <strong>der</strong> Nor<strong>der</strong>stedter Zeitung vom 2. 1. 1876 wird Gerhard Hoch wie folgt zitiert: „Ich habe vielVerständnis dafür, dass die Leute damals <strong>der</strong> Hakenkreuzfahne gefolgt s<strong>in</strong>d. Es war wie e<strong>in</strong> Rausch, <strong>der</strong>bl<strong>in</strong>d gegen das Unrecht gemacht hat. Deshalb wollen wir jetzt die Gründe darlegen, die dazu geführt haben,und mithelfen, dass so etwas nicht noch e<strong>in</strong>mal geschieht. Es geht uns nicht darum, heute noch Schuldige zuf<strong>in</strong>den. Wir wollen aufklären und schon den kle<strong>in</strong>sten Anfängen wehren, die sich für mich bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Angstunserer Jugend zeigen, sich politisch zu äußern.“Der im Jahre 1923 geborene Gerhard Hoch hat die Verführungen des Nationalsozialismus als junger Menscham eigenen Leibe erfahren, zumal er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em vom Nationalsozialismus geprägten Elternhaus aufgewachsenwar. Als Hitlerjunge und Soldat im Zweiten Weltkrieg wurde er geprägt und belastet wie die meisten se<strong>in</strong>erGeneration <strong>in</strong> Deutschland. Aber im Gegensatz zu vielen se<strong>in</strong>er Altersgenossen verarbeitete er bewusst alsErwachsener se<strong>in</strong>e Vergangenheit. Er beließ es nicht dabei und fand sich nicht damit ab, wie e<strong>in</strong> Ste<strong>in</strong>geworfen zu se<strong>in</strong>. Er fand sich nicht mit dem Etikett ab, zur „verlorenen Generation“ zu gehören. Er erkanntedas Verführerische, das Ver<strong>der</strong>bliche und das Mör<strong>der</strong>ische des nationalsozialistischen Ungeistes nach demKriege und machte e<strong>in</strong>en schmerzlichen Verwandlungsprozess durch.Um so glaubwürdiger konnte und kann er zur jungen Generation sprechen und sie darüber aufklären, zuwelchen schrecklichen Taten <strong>der</strong> Mensch fähig se<strong>in</strong> kann, wenn er e<strong>in</strong>er Ideologie wie <strong>der</strong> desNationalsozialismus hörig wurde. Somit erklärte sich die Leidenschaft und die Hartnäckigkeit von GerhardHoch, mit denen er an die Aufklärungsarbeit herang<strong>in</strong>g. Während die an<strong>der</strong>en des Historischen Arbeitskreises– alle fast e<strong>in</strong>e Generation jünger als er- früher o<strong>der</strong> später wie<strong>der</strong> absprangen, führte er die e<strong>in</strong>malbegonnene Arbeit konsequent fort. Die eigene Biografie mit ihren Brüchen und Wandlungen trieb ihn imGegensatz zu den Jüngeren an, den e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>geschlagenen Weg weiterzugehen und die begonnene Arbeit


zu vollenden.Schillers „Fluch <strong>der</strong> bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären“ wollte Gerhard Hoch durchse<strong>in</strong>e unbeirrte Er<strong>in</strong>nerungsarbeit durchbrechen. Was Bertolt Brecht <strong>in</strong> den fünfziger Jahren erkannte: „DerSchoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ ließ ihn nicht ruhen, beson<strong>der</strong>s aufklärend auf die jungeGeneration e<strong>in</strong>zuwirken.Jene „Traditionen, Mächte und E<strong>in</strong>flüsse..., die schon lange vor 1933 den Faschismus aus sichhervorgebracht haben“(Hoch: Von Auschwitz nach Holste<strong>in</strong>, Hamburg 1990, S. 172) und heute durchausimmer noch wirken, galt es aufzuspüren und ihrer Wirkung die Spitze zu nehmen.Die braune Vergangenheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> engsten Heimat, <strong>in</strong> <strong>der</strong> erlebten Heimat, wo man verwurzelt ist, die galt eszu erhellen. Das war für Gerhard Hoch <strong>Kaltenkirchen</strong> und Umgebung. Und er entdeckte, dass auch hier vorOrt all das Schreckliche geschehen war, worüber die Geschichtsbücher <strong>in</strong> beruhigen<strong>der</strong> Ferne berichteten.Die Vernichtungsmasch<strong>in</strong>erie <strong>der</strong> Nazis war nicht nur <strong>in</strong> Auschwitz o<strong>der</strong> <strong>in</strong> sonstiger Ferne angeworfengewesen, son<strong>der</strong>n auch hier vor <strong>der</strong> eigenen Haustür. Der Mikrokosmos <strong>Kaltenkirchen</strong> spiegelte haargenauden Makrokosmos des gesamten nationalsozialistischen Herrschaftsbereiches wi<strong>der</strong>. Hier geschah bis h<strong>in</strong> zuden scheußlichsten Gräueltaten alles das, was es unter dem nationalsozialistischen E<strong>in</strong>fluss an<strong>der</strong>swo auchgab. Und es war unter den Augen <strong>der</strong> Bevölkerung und mit <strong>der</strong>en überwiegen<strong>der</strong> Billigung geschehen.So entdeckte die Historische Arbeitsgruppe schon 1975 und 1976 viele E<strong>in</strong>zelheiten des <strong>KZ</strong>-Außenkommandos <strong>Kaltenkirchen</strong>, das Leiden und Sterben <strong>der</strong> dort zur Arbeit an dem Ausbau e<strong>in</strong>esKriegsflugplatzes gezwungenen Häftl<strong>in</strong>ge des <strong>KZ</strong>-Neuengamme. Sie nahm Kontakte zu Überlebenden auf,führte Gespräche mit Bewohnern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung und recherchierte <strong>in</strong> Archiven und Dokumentationen. Zumersten Mal erfuhr die Gruppe Wi<strong>der</strong>stand und Ablehnung, aber auch Zustimmung und Unterstützung bei ihrerArbeit.Schon damals stieß die Gruppe auf die Namen Hertha Petersen und Else Stapel als diejenigen Frauen, dieden geschundenen <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch halfen.Auch die Kontaktaufnahme zu ehemaligen Häftl<strong>in</strong>gen, wie zum Beispiel zu den Franzosen Richard Tackx,Louis Besancon, Roger Remond und zu dem Polen Sergiusz Jaskiewicz führten zur Aufklärung und Erhellungdessen, was damals <strong>in</strong> dem Arbeitslager Spr<strong>in</strong>ghirsch bei <strong>Kaltenkirchen</strong> an Entsetzlichem geschah.Bei ihren Untersuchungen erkannte die Historische Arbeitsgruppe sehr bald, dass die Bevölkerung <strong>in</strong> <strong>der</strong>Umgebung des Lagers, also die Menschen <strong>in</strong> Nützen, <strong>Kaltenkirchen</strong>, Alveslohe und erst recht <strong>in</strong> <strong>der</strong>unmittelbaren Nähe des unmenschlichen Geschehens vieles nicht nur vom Hörensagen erfahren hatten,son<strong>der</strong>n auch aus eigener Anschauung wahrgenommen haben mussten.Im August 1977, nach fast dreijähriger Arbeit, löste sich die Historische Arbeitsgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong> auf. AberGerhard Hoch setzte die Arbeit fort, die sich vor allem auf die Erhellung <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>szwischen 1933 und 1945 konzentrierte.„Hauptort <strong>der</strong> Verbannung“Als erstes Ergebnis <strong>der</strong> Forschung erschien 1977 das Heft „Reichsarbeitsdienst <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>, Abteilung8/73 `Jürgen Fuhlendorf`“ von Gerhard Hoch.Zwei Jahre später, 1979, kam das Buch „Hauptort <strong>der</strong> Verbannung – Das <strong>KZ</strong>-Außenkommando<strong>Kaltenkirchen</strong>“ heraus. Hier stellte Gerhard Hoch zum ersten Mal die Ergebnisse se<strong>in</strong>er vieljährigenUntersuchungen e<strong>in</strong>er breiten Öffentlichkeit vor, die das <strong>KZ</strong>-Arbeitslager <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch zu ihrem Gegenstandhaben.Im Spätsommer 1944 waren von Neuengamme etwa 500 <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge nach Spr<strong>in</strong>ghirsch, Geme<strong>in</strong>de Nützen,direkt neben <strong>der</strong> Reichsstraße 4, heute B4, verlegt worden, um an den überlangen Start- und Landebahnenfür e<strong>in</strong> neues düsenbetriebenes Jagdflugzeug zu arbeiten. Nach dem Pr<strong>in</strong>zip „Vernichtung durch Arbeit“waren hier bis zum Frühjahr 1945 vermutlich bis zu 700 Menschen durch Hunger, Kälte, Arbeit, Entbehrungenund Morde ums Leben gekommen. Es handelte sich um <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge aus vielen Nationen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>eRussen, Polen, Franzosen und Belgier.Wie dem Presseecho zu entnehmen war, wirbelte diese Dokumentation des Grauens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region viel Staubauf. Viele begrüßten das Werk, weil endlich das Augenmerk auf die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> unmittelbaren


unvergessenen Aktion an <strong>der</strong> Gräberstätte <strong>in</strong> Moorkaten teilgenommen.Doch immer noch sprach man offiziell von <strong>der</strong> „Kriegsgräberstätte Moorkaten“ und auch das H<strong>in</strong>weisschild an<strong>der</strong> Betonstraße wies nichts Genaueres aus. Es dauerte noch e<strong>in</strong>e Weile – 1995 -, bis Gerhard Hoch undse<strong>in</strong>e Freunde <strong>in</strong> <strong>der</strong> „Friedensgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>“ durchsetzten, dass alle Wegweiser zur Gräberstätte undauch die H<strong>in</strong>weistafel am E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> Moorkaten auf die toten russischen Kriegsgefangenen und die <strong>KZ</strong>-Opferausdrücklich h<strong>in</strong>wies. Der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“, <strong>der</strong> die Neugestaltung 1978 mitgetragen hatte, fühlte sich dadurch gestört und wollte die irreführende Bezeichnung „Kriegsgräberstätte“ nichtaufgeben. Doch die Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> folgte den e<strong>in</strong>leuchtenden Argumenten Gerhard Hochs, dass alleTafeln und Wegweiser unverschleiernd und unverfälschend auf das h<strong>in</strong>weisen müssen, was die Gräberstättetatsächlich barg: „Gräberstätte für Kriegsgefangene und <strong>KZ</strong>-Opfer“„Zwölf wie<strong>der</strong>gefundene Jahre“ von Gerhard Hoch1980 war das Manuskript zu dem Buch von Gerhard Hoch: „Zwölf wie<strong>der</strong>gefundene Jahre – <strong>Kaltenkirchen</strong>unter dem Hakenkreuz“ fertiggestellt worden. An diesem Werk hatte <strong>der</strong> Autor viele Jahre gearbeitet und allesWissenswerte über die Jahre 1933 bis 1945 <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> recherchiert, zusammengetragen und aufbe<strong>in</strong>druckende Weise dargestellt. Das Buch erfuhr nicht nur <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>, son<strong>der</strong>n bundesweit und sogarim Ausland e<strong>in</strong>e starke Resonanz.Zunächst fand e<strong>in</strong>e unerfreuliche Diskussion über die öffentliche Bezuschussung statt. Das umfangreicheWerk konnte nur als Buch gedruckt werden, wenn es aus öffentlichen Mitteln geför<strong>der</strong>t wurde. Aber geradedie CDU-Mehrheitsfraktion <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>, <strong>der</strong> Stadt, <strong>der</strong>en braune Vergangenheit sozusagen beispielhaftfür ähnliche Verhältnisse <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Teilen des „Tausendjährigen Reiches“ dargestellt worden war,verweigerte den Zuschuss. Die CDU-Ratsherren begriffen nicht die Chance für ihre Stadt. Mit <strong>der</strong>Bezuschussung des Buches hätte e<strong>in</strong> bundesweites, ja sogar <strong>in</strong>ternationales Zeichen gesetzt werdenkönnen. Denn am Beispiel <strong>Kaltenkirchen</strong>s war zum ersten Mal endlich klar, konkret, anschaulich und mitNamensnennungen <strong>der</strong> Schleier gehoben worden, <strong>der</strong> nicht nur hier, son<strong>der</strong>n auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en TeilenDeutschlands die jüngste Vergangenheit bedeckte und den E<strong>in</strong>druck vermittelte, als hätten die braunen Jahrehier nie und die Verbrechen nur <strong>in</strong> weiter abstrakter Ferne stattgefunden.Es hätte deutschlandweit und <strong>in</strong>ternational große Beachtung und viel Anerkennung dafür gefunden, dass diekle<strong>in</strong>e Stadt im südlichen Schleswig-Holste<strong>in</strong> die lückenlose Aufklärung ihrer „zwölf vergessenen Jahre“för<strong>der</strong>te und unterstützte. Aber kle<strong>in</strong>kariert befürchteten die CDU-Leute, dass ihre Stadt <strong>in</strong> die negativenSchlagzeilen käme. In die sie allerd<strong>in</strong>gs dann auch geriet, aber nicht durch die von Gerhard Hoch enthülltenbraunen Jahre <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>, son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong> ablehnenden CDU-Haltung, die Anlass zu vielerleiSpekulationen bot.Das Land und <strong>der</strong> Kreis för<strong>der</strong>ten das Buch. So konnte es zu e<strong>in</strong>em angemessenen Preis ersche<strong>in</strong>en.Inzwischen – im Jahre 1980 - hatte sich <strong>in</strong> Deutschland wenigstens <strong>in</strong> offiziellen Verlautbarungen dieStimmung e<strong>in</strong> wenig gewandelt. Es gab Ansätze dafür, dass jetzt auch <strong>der</strong> Alltag jener braunen Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong>unmittelbaren eigenen Nachbarschaft <strong>in</strong>s Blickfeld rückte. „Allzu offenkundig war die Kluft zwischen denInformationen über die großen L<strong>in</strong>ien, über Krieg, Judenverfolgung o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelpersonen wie Hitler und demweitgehenden Schweigen über das, was sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Familie, <strong>in</strong> Ortschaften o<strong>der</strong> ganzenLandstrichen abgespielt hatte.“(In: Frankfurter Rundschau vom 30.10.80 – Karsten Plog) So begann diePresse anzumerken.Doch <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> und Umgebung wirkten noch Reste des Vergessen- und Verschweigenwollens. Dasmusste <strong>der</strong> Verfasser schmerzhaft erfahren, als er am Telefon beschimpft wurde, unappetitliche Briefe erhieltund gewissen Anfe<strong>in</strong>dungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeit sich ausgesetzt sah. Aber <strong>in</strong>sgesamt überwog e<strong>in</strong>eerfreuliche und ihn ermunternde Zustimmung.Was hatte Gerhard Hoch mit se<strong>in</strong>em Buch geleistet? Er rekonstruierte akribisch die Jahre zwischen 1933 und1945 <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> und Umgebung. Auf 344 Seiten verpackte er <strong>in</strong> übersichtlicher Weise die politischenund gesellschaftlichen Entwicklungen, Verhältnisse und Ereignisse anschaulich, engagiert und nicht ohneAnteilnahme. Und er nannte Namen und Orte, an die sich ältere <strong>Kaltenkirchen</strong>er er<strong>in</strong>nern konnten. VieleSeiten wurden zum Beispiel <strong>der</strong> Rolle <strong>der</strong> ev. Kirche <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> gewidmet. Der damalige Pastor ErnstSzymanowski, im Amt seit den zwanziger Jahren, und se<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s unrühmlichen Aktivitäten im S<strong>in</strong>nedes Nationalsozialismus wurden nicht ausgelassen. Wie <strong>der</strong> das rassistische und unmenschlicheGedankengut <strong>der</strong> Nazis mit <strong>der</strong> Amtskirche im Rücken unter die Leute brachte, wurde genauso deutlichdargestellt, wie dessen weiterer schrecklicher Lebenslauf, als er se<strong>in</strong>en Talar auszog, unter dem verän<strong>der</strong>tenNamen Biberste<strong>in</strong> als SS-E<strong>in</strong>satzkommandoführer wurde und entsetzliche Verbrechen und Morde zu


verantworten hatte. Auch dessen unglaubliche Nachkriegsgeschichte, die e<strong>in</strong> erschreckendes Licht auf denZustand <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>der</strong> fünfziger, sechziger und siebziger Jahre warf, wurde nicht verschwiegen.1947 wurde Biberste<strong>in</strong>, alias Szymanowski, als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt, 1951 wandelte mandas Urteil <strong>in</strong> „lebenslänglich“ um und 1958 wurde er begnadigt und entlassen. Danach lebte er als„unbescholtener“ Bürger und Mitarbeiter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kirchenverwaltung Neumünster und bekam e<strong>in</strong>eGeneralabsolution vom Probst Richard Steffen persönlich und schriftlich, <strong>der</strong> ihm „vorbildliche Haltung“ auchwährend <strong>der</strong> Nazizeit besche<strong>in</strong>igte.Gerhard Hoch wollte auch mit diesem Werk ke<strong>in</strong> Richter se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n mit betroffener Sachlichkeit undkonkreter Anteilnahme das aufspüren und darstellen, was lange verdrängt und deshalb unbewusst weiterwirksam war. Indem er mit unverfälschtem und teilnehmendem Blick auf die vergessenen zwölf Jahre <strong>der</strong>engsten Heimat schaute, wurde Lernen aus Fehlern möglich, konnte Bewältigung und Verarbeitung desVergangenen geschehen, konnte durch Trauer und Schmerz Heilung herbeigeführt werden. Darum g<strong>in</strong>g esdem Autor. Er selber hatte die Chance auf solche Heilung am eigenen Leibe erfahren. Als junger Menschnationalsozialistisch geprägt und programmiert überwand er selber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schmerzhaften Prozess diesese<strong>in</strong>e Prägung. Die Hoffnung, dass so auch an<strong>der</strong>e, dass so die Gesellschaft gesunden möge, trieb se<strong>in</strong>ejahrelange akribische Arbeit <strong>der</strong> Aufklärung jener dunklen Jahre an. Dass sich die schreckliche Zeit niemalswie<strong>der</strong>holen möge – h<strong>in</strong>ter welcher Maske auch immer - , diesem e<strong>in</strong>en Ziel ordnete er alle se<strong>in</strong>e Aktivitäten,Initiativen und die vielen Publikationen, die noch folgten, unter.Welche Wellen das Buch im In- und Ausland schlug, belegten nicht nur die zahlreichen Reaktionen <strong>in</strong> <strong>der</strong>deutschen und ausländischen (beson<strong>der</strong>s französischen) Presse, auch Funk und Fernsehen nahmen sichdes Buches an. Radio Bremen zum Beispiel sah sich zu e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>stündigen Sendung „E<strong>in</strong>e Kle<strong>in</strong>stadt untermHakenkreuz“ veranlasst, e<strong>in</strong>e Sendung, die auf e<strong>in</strong>e große Resonanz stieß und wie<strong>der</strong>holt werden musste.Und dann brachte das ZDF am 28. Januar 1983 zur besten abendlichen Sendezeit e<strong>in</strong>eDokumentationssendung „Zum Beispiel <strong>Kaltenkirchen</strong>...“. Dieser Film des ZDF zeigte selber noch e<strong>in</strong>mal auf,welche Schwierigkeiten die Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> auch im Jahre 1983 noch mit <strong>der</strong> Aufarbeitung <strong>der</strong> eigenen<strong>Geschichte</strong> hatte. Denn im Zuge <strong>der</strong> Vorrecherchen zum Film ergaben sich Probleme. Die Reserviertheit <strong>der</strong>meisten <strong>Kaltenkirchen</strong>er war offenkundig. Aber nicht nur E<strong>in</strong>zelbürger taten sich schwer, die Arbeit desFilmautoren zu unterstützen, son<strong>der</strong>n auch Behörden. Hier sei beson<strong>der</strong>s die Kirchenbehörde genannt. Soverweigerte e<strong>in</strong> Pastor jedes Gespräch über mögliche Aktivitäten <strong>der</strong> Kirchengeme<strong>in</strong>de anlässlich <strong>der</strong>Ausstrahlung des ZDF-Filmes. Die Kirche hatte nicht vor, ihre Mitglie<strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er Diskussion über die ZDF-Sendung e<strong>in</strong>zuladen. Sie entzog sich so e<strong>in</strong>fach <strong>der</strong> e<strong>in</strong>maligen Gelegenheit zur Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong>eigenen örtlichen <strong>Geschichte</strong>.E<strong>in</strong>e vergessene Ru<strong>in</strong>e, Reste <strong>der</strong> „Entlausungsanstalt“Im Frühjahr 1983 erschien auf Son<strong>der</strong>seiten <strong>der</strong> Elmshorner Nachrichten e<strong>in</strong>e geschichtliche Abhandlung mitdem Titel „Er<strong>in</strong>nerungen an Holocaust: Das „Sterbelager“ für Kriegsgefangene an <strong>der</strong> B4“. Neben an<strong>der</strong>enFotos wurde hier das Foto e<strong>in</strong>er Ru<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Garagengröße an <strong>der</strong> B4 gezeigt und als verwitterter Rest des„Sterbelagers“ für sowjetische Kriegsgefangene <strong>in</strong> Heidkaten identifiziert. Bei diesem im Bild gezeigtenGebäu<strong>der</strong>est handelte es sich um die „Entlausungsanstalt“ des Lagers unter <strong>der</strong> offiziellen Bezeichnung„Erweitertes Krankenrevier des Stammlagers XA Schleswig, Zweiglager Heidkaten“. Die Darstellung <strong>in</strong> denElmshorner Nachrichten fußte auf den Nachforschungen von Gerhard Hoch, die er zuvor schon <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enBüchern und Aufsätzen veröffentlich hatte. Das Lager war schon 1941 errichtet worden und bestand bis 1944.Hierher verlegt wurden kranke russische Kriegsgefangene <strong>in</strong> vierstelliger Zahl, angeblich, um gesund gepflegtzu werden. Doch tatsächlich starben die meisten hier an den Entbehrungen und Krankheiten, denn an e<strong>in</strong>erRettung <strong>der</strong> „Untermenschen“, wie die Osteuropäer damals <strong>in</strong> Deutschland abqualifiziert wurden, durch guteVersorgung und Medikamente war man nicht <strong>in</strong>teressiert.In dem Bericht <strong>der</strong> Elmshorner Nachrichten hieß es: „Der frühere Lagerplatz ist noch heute gut erkennbar,dort wo jetzt die Bus-Haltestelle Heidkaten liegt: e<strong>in</strong>e große quadratische Fläche, mitten darauf <strong>der</strong>halbverfallene Rest <strong>der</strong> e<strong>in</strong>stigen Entlausungsanstalt, ke<strong>in</strong> Baum, nur dichtes Gras ist darüber gewachsen.Zum 30. Januar dieses Jahres beantragten <strong>Kaltenkirchen</strong>er Bürger bei ihrer Stadtvertretung, wenigstensdiese Ru<strong>in</strong>e als historisches Denkmal zu erhalten...“ Die damalige CDU-Mehrheitsfraktion allerd<strong>in</strong>gs konntesich nicht mit dem Vorschlag anfreunden.Im Sommer 1983 führte Gerhard Hoch oftmals Gruppen zu <strong>der</strong> Ru<strong>in</strong>e, die wie e<strong>in</strong> Zeugnis schrecklicherVergangenheit die Besucher bee<strong>in</strong>druckte. Darüber wurde öffentlich berichtet. Auch <strong>der</strong> SPD-Antrag <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Kaltenkirchen</strong>er Stadtvertretung, die Ru<strong>in</strong>e zu erhalten, e<strong>in</strong>e Gedenktafel anzubr<strong>in</strong>gen und e<strong>in</strong>e Zuwegungherzurichten, war nicht vergessen, son<strong>der</strong>n schwelte lange weiter im zuständigen Ausschuss <strong>der</strong> Stadt. Der


damalige Staatssekretär im Bundesverteidigungsm<strong>in</strong>isterium, Peter-Kurt Würzbach (CDU), verweigerteendgültig e<strong>in</strong>e Gedenke<strong>in</strong>richtung (2.2.1984). Kettenfahrzeuge des Bundeswehrstandortes zerstörtendaraufh<strong>in</strong> die unliebsame Ru<strong>in</strong>e. Das Landesbauamt Lübeck rechtfertigte h<strong>in</strong>terher den Abriss damit, dassman von <strong>der</strong> historischen Bedeutung nichts gewusst habe.Die „Friedensgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>“In den achtziger Jahren machte die „Friedensgruppe <strong>Kaltenkirchen</strong>“ häufig von sich reden. NebenStellungnahmen zu aktuellen politischen Ereignissen und neben Aktionen zur För<strong>der</strong>ung desFriedengedankens und <strong>der</strong> Völkerverständigung ließ die Gruppe niemals locker, auf die Vergangenheit<strong>Kaltenkirchen</strong>s mahnend und gedenkend h<strong>in</strong>zuweisen. Es ließ sie nicht ruhen, dass entlang <strong>der</strong> B4 <strong>in</strong> Höhe<strong>Kaltenkirchen</strong> nichts an die blutige Vergangenheit er<strong>in</strong>nerte. Deshalb stellte sie hier selbstangefertigteSchil<strong>der</strong> auf mit folgendem Inhalt: „Hier stand bis Ende September <strong>der</strong> letzte Gebäu<strong>der</strong>est desKriegsgefangenenlagers X A . In diesem Sterbelager wurden von 1941 – 44 e<strong>in</strong>ige Tausend sowjetischeKriegsgefangene zu Tode gebracht.“Es dauerte nicht lange, da erzwang die Bundeswehr die Beseitigung <strong>der</strong> Gedenktafeln. Die Zeit für e<strong>in</strong>eGedenkstätte vor Ort war im hiesigen Raum noch nicht gekommen.Aktionen, Veröffentlichungen, Anträge <strong>in</strong> den parlamentarischen Gremien und viele Vorträge hielten dieEr<strong>in</strong>nerung an <strong>Kaltenkirchen</strong>s „blutige Erde“ wach. Nur mit ihrem Wunsch nach <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>erGedenkstätte kam die „Friedensgruppe“ zunächst nicht weiter. Die <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong> herrschende CDUwar noch nicht soweit, ihr passten mahnende Gedenktafeln nicht <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>s Landschaft.Auch meldeten sich immer wie<strong>der</strong> Ältere zu Wort, die e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Aufarbeitung <strong>der</strong> Vergangenheit, wie sieGerhard Hoch betrieb, nicht ertragen konnten. E<strong>in</strong> Beispiel sei hier erwähnt. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>zwischen sehr alter Herr,Gustav Toosbüy, ehemaliger Leiter des Zweiglagers Moorkaten und pensionierter Wehrmachtsoffizier, hatte<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenen Brief an den <strong>Kaltenkirchen</strong>er Bürgermeister Fehrs, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den <strong>Kaltenkirchen</strong>er Nachrichtenvom 31.12.83 zitiert wird, u.a. folgendes geschrieben: „Die Tausenden von Kriegsgefangenen, die angeblich<strong>in</strong> Heidkaten von <strong>der</strong> Wehrmacht umgebracht worden se<strong>in</strong> sollen, existieren nur <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phantasie von GerhardHoch.“Gerhard Hoch hatte niemals die „Entlausungsanstalt“ im Zweiglager Moorkaten als Tötungsanstaltbezeichnet, wie Toosbüy unterstellen wollte. Son<strong>der</strong>n er schrieb immer über die durch Hunger, Entkräftung,Krankheit und Entbehrungen im Kriegsgefangenenlager Heidkaten umgekommenen russischenKriegsgefangenen.Solche E<strong>in</strong>wände belegten nur die tragische Verstrickung vieler jener Älteren, nämlich ihre Prägung durch dienationalsozialistische Ideologie <strong>in</strong> jungen Jahren und die davon bestimmte Wahrnehmung. Wer dazu erzogenworden war zu glauben, dass Osteuropäer m<strong>in</strong><strong>der</strong>wertige „Untermenschen“ seien, um die es nicht schade ist,wird <strong>in</strong> jenen Jahren die menschliche Tragödie <strong>der</strong> unterernährten, geschundenen und vernachlässigtenMillionen russischer Kriegsgefangenen <strong>in</strong> Deutschland so nicht wahrgenommen haben, selbst dann nicht,wenn sich e<strong>in</strong> Lager <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe befand o<strong>der</strong> man sogar damit zu tun hatte. Man verschloss dieAugen und im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> er<strong>in</strong>nerte man sich lieber zur eigenen Entlastung an Positives und neigte zurBeschönigung <strong>der</strong> Verhältnisse. Das ist tragisch, weil diese Selbsttäuschung und Wahrnehmungsfärbungunbewusst ablief und die Betroffenen an ihre gefärbte Wahrheit wirklich glaubten.Wie die Wahrnehmungspsychologie erkannt hat, ist Wahrnehmung immer von Überzeugungen, E<strong>in</strong>stellungenund Wertvorstellungen abhängig. Sie s<strong>in</strong>d die Rezeptoren und Antennen. E<strong>in</strong>e objektive „Wahrheit“ gibt esnicht. So schaute auch Gerhard Hoch durch e<strong>in</strong>e „Brille“, es ist aber die Brille <strong>der</strong> Menschenliebe, desMitfühlens und des Anteilnehmens, mit dieser Brille sah er auf das Leiden von russischen Kriegsgefangenen,von französischen <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> auf das Leiden von Angehörigen an<strong>der</strong>er Nationen, und dabei macht erke<strong>in</strong>e Unterschiede. Und deshalb nahm er die <strong>Geschichte</strong> <strong>der</strong> braunen Jahre als so schrecklich wahr, wie ersie dargestellt hat. Wer aber zu <strong>der</strong>, wie man sagt, „verlorenen Generation“ gehörte, die ihrenationalsozialistische Prägung kaum verän<strong>der</strong>t immer noch mit sich herumschleppte, diesen Alten musstenGerhard Hochs Darstellungen „ideologisch verzerrt“ und als Schwarzmalerei ersche<strong>in</strong>en.In den achtziger Jahren meldete sich <strong>der</strong> Historiker und Mahner Gerhard Hoch <strong>in</strong> Aufsätzen, Vorträgen undLeserbriefen häufig zu Wort und scheute sich nicht, deutlich auch zu aktuellen tagespolitischen ThemenStellung zu beziehen. Mit dem historisch geschulten Blick beobachtete er, kommentierte er, war unbequemdabei und för<strong>der</strong>te mit se<strong>in</strong>er geschichtlich sensibilisierten Beobachtungsgabe bedenkliche Entwicklungen <strong>der</strong>


Gegenwart zutage.So wurden die vielen Gedenktage <strong>in</strong> den achtziger Jahren genutzt, immer wie<strong>der</strong> mahnend an dieVergangenheit zu er<strong>in</strong>nern, wie zum Beispiel <strong>der</strong> Gedenktag „50 Jahre Reichspogromnacht am 9.11.88.“ Sostellte er zum Beispiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umschau vom 11.11.88 folgendes fest: „Die Auslän<strong>der</strong>fe<strong>in</strong>dlichkeit heute bildete<strong>in</strong> ähnliches Fundament, wie <strong>der</strong> früher eher unterschwellige Antisemitismus.“ Geme<strong>in</strong>t war <strong>der</strong>Antisemitismus <strong>in</strong> den zwanziger Jahren vor <strong>der</strong> Machtergreifung <strong>der</strong> Nazis.Am Ende des Jahres 1988 erschien e<strong>in</strong> weiteres Buch von Gerhard Hoch: „Das Scheitern <strong>der</strong> Demokratie imländlichen Raum. Das Beispiel <strong>der</strong> Region <strong>Kaltenkirchen</strong>/Henstedt-Ulzburg 1870 – 1933“, e<strong>in</strong> Buch, das erspäter als se<strong>in</strong> wichtigstes bezeichnete. In ihm wurde die Frage untersucht, wie es zu den furchtbaren zwölfJahren <strong>der</strong> Diktatur und <strong>der</strong> Unmenschlichkeit hatte kommen können und wie sich die enorme Stärke <strong>der</strong>NSDAP bei <strong>der</strong> Reichstagswahl 1932 mit 78,7 % aller Stimmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> hiesigen Region erklären lassen. ImHeimatspiegel vom 14.12.88 wurde Gerhard Hoch so zitiert: „Der Faschismus,..., kam nicht über dasdeutsche Volk, über die friedlichen Dörfer <strong>Kaltenkirchen</strong> und Henstedt-Ulzburg, er kam vielmehr aus ihrenHäusern, Vere<strong>in</strong>en, Schulen und Kirchen ... Dies zu erkennen und zu benennen, bedeutet ke<strong>in</strong>eswegs e<strong>in</strong>eEntfremdung von Vätern und Heimat. Es bedeutet, im Gegenteil, H<strong>in</strong>wendung und führt zu fruchtbarer, nichtsentimentaler Annäherung.“ Also handelte es sich um e<strong>in</strong> „Heimatbuch“ etwas an<strong>der</strong>er als <strong>der</strong> bishergewohnten Art. Nicht <strong>der</strong> kitschige Rückblick e<strong>in</strong>es Traumes von <strong>der</strong> heilen Welt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> klare, strenge,forschende Blick e<strong>in</strong>es Autoren, <strong>der</strong> genauso se<strong>in</strong>e Heimat liebte wie an<strong>der</strong>e.„Von Auschwitz nach Hoste<strong>in</strong>“, über die Schwierigkeiten des Dorfes Sarau, mit <strong>der</strong> eigenen<strong>Geschichte</strong> konfrontiert zu werden.Natürlich beschränkten sich die historischen Untersuchungen von Gerhard Hoch nicht nur auf den Raum<strong>Kaltenkirchen</strong>s. E<strong>in</strong> Beispiel se<strong>in</strong>er Recherchen an an<strong>der</strong>er Stelle sei hier erwähnt, weil es e<strong>in</strong> grelles Lichtauf jene Verdrängungs- und Verteidigungsmechanismen wirft, wie sie <strong>in</strong> den Dörfern und Städten Schleswig-Holste<strong>in</strong>s wie überall <strong>in</strong> Deutschland auch am Ende <strong>der</strong> achtziger Jahre noch wirksam waren. Gerhard Hochhatte bei se<strong>in</strong>en Nachforschungen erfahren, dass 1945 <strong>in</strong> Sarau, e<strong>in</strong>em Dorf an <strong>der</strong> Trave bei Ahrensbök,zwei Züge mit <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen angekommen waren. Der e<strong>in</strong>e Zug aus dem <strong>KZ</strong>-Auschwitz-Fürstengrube warvon dem SS-Oberscharführer Max Schmidt angeführt worden. Während des Zuges von Fürstengrube nachSarau, dem Geburtsort von Max Schmidt, kam es ständig zu Erschießungen kranker und zurückhängen<strong>der</strong>Häftl<strong>in</strong>ge aufgrund e<strong>in</strong>er Anweisung, Häftl<strong>in</strong>ge, die den Zug wegen Erschöpfung o<strong>der</strong> Krankheit aufhielten, zuerschießen. In Sarau selber, wo die jüdischen <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Scheune des Gutes Sibl<strong>in</strong> und auf demHof des Vaters von Max Schmidt untergebracht worden waren, starben die meisten von ihnen durch Hunger,Krankheit und durch Erschießungen. Die grausigen Vorgänge waren den Dorfbewohnern nicht verborgengeblieben.Max Schmidt war nach dem Kriege untergetaucht. Als er wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Heimatdorf Sarau auftauchte, lebteer lange unbehelligt, bis im Jahre 1964 e<strong>in</strong> förmliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet wurde. DasVerfahren schleppte sich Jahre lang h<strong>in</strong>. Am 18.4.1979 erg<strong>in</strong>g <strong>der</strong> Beschluss <strong>der</strong> Großen Strafkammer, denbeschuldigten Max Schmidt „außer Verfolgung“ zu setzen. In <strong>der</strong> Begründung hieß es, wie Gerhard Hoch denAkten entnahm, dass Max Schmidt „die Verantwortung für die Tötungen während <strong>der</strong> Evakuierung gehabthat. In e<strong>in</strong>em Fall habe er wahrsche<strong>in</strong>lich selber getötet, doch (hier zitiert Hoch wörtlich aus <strong>der</strong>Urteilsbegründung) „se<strong>in</strong>e Verurteilung ist ausgeschlossen durch Verfahrensvorschriften, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e überdie Strafverfolgungsverjährung“.“ (Siehe Gerhard Hoch: Von Auschwitz nach Holste<strong>in</strong>, Hamburg1990, S.153)Wer o<strong>der</strong> was hat die Verschleppung des Verfahrens zu verantworten?Dass <strong>der</strong> unbehelligt <strong>in</strong> Sarau lebende Max Schmidt es nicht gerne sah, dass nun erneut <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Geschichte</strong>gewühlt wurde, kann man irgendwie nachvollziehen. Dass aber e<strong>in</strong> ganzes Dorf e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> SPD-Mehrheitsfraktion <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sarauer Geme<strong>in</strong>devertretung wie e<strong>in</strong>e verschworene Geme<strong>in</strong>schaft dieAufklärungsarbeit beh<strong>in</strong><strong>der</strong>te und mauerte, das gab doch sehr zu denken.Und wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>mal waren Teile <strong>der</strong> protestantischen Kirche Schleswig-Hoste<strong>in</strong>s stärker an <strong>der</strong>Aufrechterhaltung e<strong>in</strong>es positiven Images <strong>in</strong>teressiert als an <strong>der</strong> Aufklärung ihrer Rolle und ihrer <strong>Geschichte</strong>während und vor <strong>der</strong> Nazizeit. Gerhard Hoch wollte die Sarauer Kirchenchronik e<strong>in</strong>sehen, um dieerzieherischen E<strong>in</strong>flüsse, Traditionen und Mächte kennen zu lernen, die es schon vor 1933 gegeben hat unddie auf den heranwachsenden Max Schmidt e<strong>in</strong>gewirkt haben. Übrigens „Traditionen, Mächte und E<strong>in</strong>flüsse,...die durchaus noch nicht aus <strong>der</strong> Welt s<strong>in</strong>d.“ (Gerhard Hoch: Von Auschwitz nach Holste<strong>in</strong>, Hamburg 1990,S. 172)


Die Kirche verweigerte ihm die E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> die Sarauer Kirchenchronik, von <strong>der</strong> aber schon durchgesickert ist,dass <strong>in</strong> ihr vor und nach 1933 e<strong>in</strong> deutsch-nationale Geist wehte und 1941 <strong>der</strong> „Aufbruch nach Osten“ mitGebeten begleitet wurde.Auch das Nordelbische Kirchenamt lehnte ab. Man fürchtete wohl, es könne e<strong>in</strong> schlechtes Licht auf dieheutige Kirche fallen, wenn <strong>der</strong>en e<strong>in</strong>stige Rolle als Wegbereiter und Begleiter des Nationalsozialismussichtbar gemacht würde.Vor, während und nach den braunen Jahren führte Pastor Hesse die Pfarrei <strong>in</strong> Sarau. Se<strong>in</strong> Sohn, Pastor <strong>in</strong>Kiel, befürchtete nun die Beschädigung des Ansehens se<strong>in</strong>es Vaters und die jetzige Pastor<strong>in</strong> Frau Großmanndie Bee<strong>in</strong>trächtigung des Friedens im Dorf. Selbst Bischof Ulrich Wilckens <strong>in</strong> Lübeck vermochte nicht,Kirchenvorstand und Pastor<strong>in</strong> <strong>in</strong> Sarau umzustimmen.Gerhard Hoch schrieb abschließend <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch (S.172): „Wo sich die <strong>Geschichte</strong> jedoch im eigenentrauten Umfeld zu personifizieren beg<strong>in</strong>nt, stößt sie auf Abwehr... Man kann vor ihr die Augen verschließen;man kann sie vor den eigenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Enkeln wegzuschließen versuchen. Aber das wird vergeblichse<strong>in</strong>.“ So formulierte Hoch hoffnungsvoll. Schließlich <strong>in</strong>formierte er den Leser ganz am Schluss se<strong>in</strong>esBuches (S. 173): „Der Ahrensböker Kaufmann K.H., früher selber Angehöriger <strong>der</strong> Waffen-SS, for<strong>der</strong>te michlautstark auf, endlich „das Herumwühlen <strong>in</strong> den alten Sachen“ zu unterlassen. E<strong>in</strong> Mann wie Max Schmidthabe doch nur getan, was se<strong>in</strong> Auftrag war. Auf me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wurf: „Die Kranken und Schwachen amStraßenrand abschießen?“ kam se<strong>in</strong>e fl<strong>in</strong>ke Antwort: „Hätte er die denn mitschleppen sollen?!“Als Frucht des Buches von Gerhard Hoch gründeten Frauen und Männer <strong>in</strong> Ahrensbök e<strong>in</strong>e Vere<strong>in</strong>igung, <strong>der</strong>es <strong>in</strong>zwischen gelang, am Ort e<strong>in</strong>e Gedenkstätte zu errichten.Langsamer Klimawandel – <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> neunziger JahreDie „Barschelaffäre“ 1987 und die anschließende Beendigung <strong>der</strong> Jahrzehnte langen CDU-Mehrheiten <strong>in</strong>Schleswig-Holste<strong>in</strong>, aber wohl auch <strong>der</strong> immer größer werdende Abstand zu den braunen Jahren – zynischausgedrückt: „<strong>der</strong> biologisch bed<strong>in</strong>gte Wandel“ - verän<strong>der</strong>te allmählich das Klima im Lande, wenn es an dieörtliche Aufarbeitung <strong>der</strong> Vergangenheit g<strong>in</strong>g.So konnte im Sommer 1989 e<strong>in</strong> von <strong>der</strong> Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und von <strong>der</strong> Stadt<strong>Kaltenkirchen</strong> geför<strong>der</strong>ter alternativer Stadtführer „Zeitgeschichtliche Spuren <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> 1933 bis 1945“ersche<strong>in</strong>en, <strong>der</strong> an die Schüler und Jugendvere<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Stadt verteilt wurde. Lei<strong>der</strong> sehr kurz gefasst aufzwanzig Seiten – zu mehr reichte <strong>der</strong> Zuschuss nicht – zeigte das Heftchen den Jugendlichen zwanzigStationen e<strong>in</strong>er alternativen Stadtrundfahrt <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>, wo es Zeugnisse <strong>der</strong> braunen Vergangenheit zuentdecken gab. Der Autor Gerhard Hoch fasste hier <strong>in</strong> knappster, aber anschaulicher Form se<strong>in</strong>eForschungsarbeit <strong>der</strong> letzten Jahre zusammen. Lei<strong>der</strong> musste wegen <strong>der</strong> Enge des Darstellungsraumesmanches unberücksichtigt bleiben. Doch die wesentlichsten Punkte konnten angerissen werden: DasHauptversammlungslokal <strong>der</strong> örtlichen NSDAP „Hüttmanns Gasthof“, das e<strong>in</strong>stige Gefangenenhaus nebendem heutigen Jugendzentrum, von wo aus e<strong>in</strong>st KPD-Mitglied Otto Gösch <strong>in</strong>s <strong>KZ</strong>-Kuhlen verschleppt wurde,die beiden Pastorate, die vor und während <strong>der</strong> Nazizeit e<strong>in</strong>e unrühmliche Rolle gespielt haben, dasReichsarbeitsdienstlager an <strong>der</strong> Kieler Straße, die Stelle <strong>der</strong> plattgewalzten Ru<strong>in</strong>e <strong>der</strong> „Entlausungsanstalt“,das <strong>KZ</strong>-Außenkommando <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch an <strong>der</strong> B4, wo <strong>der</strong> „Wald des Vergessens“ wuchs, um e<strong>in</strong>igeBeispiele zu nennen.Dem Autor Gerhard Hoch dürfte während <strong>der</strong> Herstellung des schmalen Heftchens schmerzhaft bewusstgeworden se<strong>in</strong>, wie sehr <strong>Kaltenkirchen</strong> e<strong>in</strong>e Gedenkstätte entwe<strong>der</strong> am Platz <strong>der</strong> „Entlausungsru<strong>in</strong>e“ o<strong>der</strong> <strong>in</strong>Spr<strong>in</strong>ghirsch gebraucht hätte, wo Tausende russische Kriegsgefangene, beziehungsweise Hun<strong>der</strong>te von <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen ums Leben gekommen waren.*Doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Folgezeit wandte sich Gerhard Hoch und die Friedensgruppe häufiger aktuellen Themen und <strong>der</strong>Friedenspolitik (Golfkrieg) zu. Und zudem wurde jetzt die NS-Zeit <strong>der</strong> Nachbarstädte von <strong>Kaltenkirchen</strong>,Quickborn, Elmshorn, Barmstedt und Bad Bramstedt beleuchtet, was dort fast ähnliches Aufsehen auslöstewie se<strong>in</strong>erzeit <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>. Die Konfrontation mit <strong>der</strong> am Ort vergessenen <strong>Geschichte</strong> löste Verblüffung,Abwehr und –endlich- Gedenken aus. Die H<strong>in</strong>weise auf die vergessenen Zwangsarbeiter <strong>in</strong> Elmshorn und


Quickborn, die Entdeckung <strong>der</strong> Bedeutung des fast vergessenen jüdischen Mitbürgers Oskar Alexan<strong>der</strong> fürdie Stadt Bad Bramstedt und dessen für die Stadt unrühmliches Schicksal s<strong>in</strong>d Beispiele. Alexan<strong>der</strong> war ab1931 Direktor <strong>der</strong> Rheumakl<strong>in</strong>ik gewesen, nach 1933 aus se<strong>in</strong>en Funktionen gedrängt worden und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<strong>KZ</strong> umgekommen.In <strong>Kaltenkirchen</strong> verän<strong>der</strong>ten sich die Verhältnisse langsam. Zwar mauerte die Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> immernoch lange, auf dem Friedhof an <strong>der</strong> Kieler Straße e<strong>in</strong>e Gedenkstätte zu errichten, die an hier begrabene un<strong>der</strong>mordete Opfer <strong>der</strong> Nazis er<strong>in</strong>nern sollte. Nicht die Stadt, son<strong>der</strong>n die Kirche sei zuständig, hieß es immer.Endlich zeigte sich die Kirche am Ort aufgeschlossener gegenüber dem Gedenken an vergangenes Unrecht.So war also auf dem Friedhof nach langem Bemühen <strong>der</strong> Friedensgruppe schließlich die Gedenkstättedurchgesetzt worden. Gerhard Hoch sagte während e<strong>in</strong>er offiziellen Begehung <strong>der</strong> Stätte am 46. Jahrestagnach <strong>der</strong> Befreiung, am 8. Mai 1991: „Die Gedenkstätte ist ke<strong>in</strong> Ort <strong>der</strong> Anklage, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Ermutigung undBestärkung für auf Frieden zielendes Handeln – auch im H<strong>in</strong>blick auf Fe<strong>in</strong>dschaft und Gewalt <strong>in</strong> unsererheutigen Gesellschaft.“ (Siehe Heimatspiegel am 15.5.1991)*Wenn sich auch auf <strong>der</strong> offiziellen Seite, <strong>in</strong> den Parteien, den Kirchen und Verbänden, die E<strong>in</strong>stellung h<strong>in</strong> zumehr Offenheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> <strong>Geschichte</strong> bewegten, Fremdenfe<strong>in</strong>dlichkeit undRassismus waren nicht besiegt, son<strong>der</strong>n zeigten <strong>in</strong> den neunziger Jahren ihre hässliche Fratze und kahleKöpfe. 1992 war es zu e<strong>in</strong>em Anschlag auf den Wohnconta<strong>in</strong>er für Asylbewerber im Kamper Stieg <strong>in</strong><strong>Kaltenkirchen</strong> gekommen. Scheiben waren e<strong>in</strong>geschlagen und e<strong>in</strong> Auto <strong>in</strong> Brand gesteckt worden. In e<strong>in</strong>eröffentlichen Veranstaltung am 9.11.92 vor dem <strong>Kaltenkirchen</strong>er Rathaus for<strong>der</strong>te Gerhard Hoch dieBevölkerung auf, „sich schützend vor Asylsuchende zu stellen.“(Umschau vom 11.11.92)*Nachdem 1990 <strong>der</strong> „Eiserne Vorhang“ gefallen war, meldeten sich aus Osteuropa Stimmen ehemaliger <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge des Außenkommandos <strong>Kaltenkirchen</strong>. Sie bestätigten dankbar die bisherigen Untersuchungen. Ine<strong>in</strong>em Punkt korrigierte aber <strong>der</strong> ehemalige Häftl<strong>in</strong>g Krajewski Hochs Darstellung. Hoch war davonausgegangen, dass <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e stammende Kriegsgefangene Koszlowski von e<strong>in</strong>em uniformiertenWächter erschossen worden war. Der sich aus Polen meldende Krajewski er<strong>in</strong>nerte sich aber, dass <strong>der</strong>Ukra<strong>in</strong>er von e<strong>in</strong>em deutschen Vorarbeiter, also e<strong>in</strong>em Zivilisten, <strong>der</strong> die Arbeiten an <strong>der</strong> Verlängerung <strong>der</strong>Startbahn des Flughafens beaufsichtigte, ermordet worden war. Die ausgemergelten und geschundenen <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge waren deutschen Firmen aus auch aus <strong>Kaltenkirchen</strong>, die den Ausbau des Flughafens betrieben,sozusagen als Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt worden.(Siehe Bericht <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>er Nachrichten vom14.11.92)Im November 1992 ließ Gerhard Hoch öffentlich durchblicken, dass er an e<strong>in</strong>e „zeitgeschichtlicheDauerausstellung“ <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> denke (KN vom 14.11.), und zwar im Rathaus. Er wies außerdem daraufh<strong>in</strong>, dass er bei se<strong>in</strong>en vielen Kontakten zu Schülern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region auf großes Interesse und auf den Wunschgestoßen sei, Überreste des Lagers wie<strong>der</strong> auszugraben und zu konservieren. Das sei bisher aber am Geldgescheitert. Deshalb müsse die Stadt e<strong>in</strong>spr<strong>in</strong>gen.Somit war das Thema 1992 angeschlagen, das ihn seitdem nicht mehr losließ. Nachdem dieForschungsarbeit weitgehend abgeschlossen und veröffentlicht war, musste jetzt e<strong>in</strong>e Dauerausstellung desvielfältig vorhandenen Materials und e<strong>in</strong>e mahnende Gedenkstätte am Ort des ehemaligen Geschehens ambesten mit Fundstücken und konservierten Resten geschaffen werden. Denn nur so konnte die zurBewältigung <strong>der</strong> Gegenwart notwendige Er<strong>in</strong>nerung an die schreckliche Vergangenheit e<strong>in</strong>er breitenÖffentlichkeit zugänglich gemacht und wachgehalten werden. Doch auf dem Weg dorth<strong>in</strong> mussten noch vieleSte<strong>in</strong>e aus dem Weg geräumt werden.Fünfzig Jahre nach Kriegsende – 1995 endlich <strong>der</strong> DurchbruchSchon 1994 hatte die Friedensgruppe <strong>der</strong> Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> vorgeschlagen, Straßennamen nach Personenzu benennen, die eng mit dem <strong>KZ</strong>-Außenkommando <strong>Kaltenkirchen</strong> verbunden waren und unter <strong>der</strong>Gewaltherrschaft <strong>der</strong> Nazis gelitten hatten. Im Jahre 1995, fünfzig Jahre nach <strong>der</strong> Befreiung von <strong>der</strong>Gewaltherrschaft, signalisierte die Stadt Zustimmung. Zunächst nannte die Friedensgruppe folgende vierPersonen, die durch Straßenbenennungen geehrt werden sollten:


a. Richard Tackx, <strong>der</strong> französischer Wi<strong>der</strong>standskämpfer war, <strong>in</strong>s <strong>KZ</strong> Neuengamme verschleppt wurde, im<strong>KZ</strong>-Außenkommando <strong>Kaltenkirchen</strong> als Tischler Särge für bestimmte Tote zimmern musste und <strong>der</strong> alszeitweiliger Anführer des Beerdigungskommandos gegen das Verbot vielen verstorbenen FranzosenErkennungszeichen mit <strong>in</strong>s Grab legte, womit sie später identifiziert werden konnten.b. Hertha Petersen, die drei entflohenen Häftl<strong>in</strong>gen unter Lebensgefahr half, <strong>in</strong>dem sie sie <strong>in</strong> ihrer Wohnungversteckte, Häftl<strong>in</strong>gen heimlich Nahrungsmittel zusteckte und wichtige illegale Aufzeichnungen von R. Tackxund dem Lagerschreiber S. Jaskiewicz bis nach <strong>der</strong> Befreiung verwahrte.c. Else Stapel, die wie Frau Petersen sich um die Häftl<strong>in</strong>ge verdient gemacht hatte, weil sie trickreich dieInsassen des Lagers mit Lebensmitteln versorgte.d. Otto Gösch, <strong>der</strong> als Kommunist <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> denunziert und mehrfach verhaftet worden war, im <strong>KZ</strong>-Kuhlen und Esterwegen e<strong>in</strong>sitzen musste und erschöpft und krank schon vor dem Kriegsende <strong>in</strong> Hamburgverstarb.Die Friedensgruppe hatte e<strong>in</strong>en Zehn-Punkte-Katalog dem Magistrat <strong>der</strong> Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> vorgelegt unde<strong>in</strong>e überraschend positive Resonanz erhalten. Neben den vier Vorschlägen für künftigeStraßenbezeichnungen hatte <strong>der</strong> Magistrat e<strong>in</strong>er weiteren For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Friedensgruppe zugestimmt,nämlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> nächsten Ausgabe <strong>der</strong> Stadt<strong>in</strong>formation für Neubürger endlich die Ortsgeschichte <strong>der</strong> Nazizeitaufzunehmen. Gerhard Hoch wurde gebeten, e<strong>in</strong>en Textvorschlag zu machen. Auch mit dem Austausch <strong>der</strong>H<strong>in</strong>weisschil<strong>der</strong> zur Gräberstätte Moorkaten war man schließlich e<strong>in</strong>verstanden. Die Verkehrsaufsicht desKreises Segeberg hatte zugestimmt, dass die irreführende Bezeichnung „Kriegsgräberstätte“ durch„Gräberstätte für Kriegsgefangene und <strong>KZ</strong>-Opfer“ ersetzt werden konnte.Doch vom Vorschlag bis zur Zustimmung <strong>in</strong> den Gremien und dann bis zur Umsetzung <strong>in</strong> die Wirklichkeitdauerte es für die Initiatoren unerträglich lange. Ständiges Er<strong>in</strong>nern, Schriftverkehr h<strong>in</strong>- und her, Korrekturenund Ergänzungen erfor<strong>der</strong>ten viel Geduld.E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Schwierigkeit tat sich noch auf, als im November 1995 Gerhard Hoch plötzlich mitgeteilt wurde,dass <strong>der</strong> Magistrat <strong>der</strong> Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> Otto Gösch als Namensgeber für e<strong>in</strong>e Straße nicht haben möchte.Um den ganzen Vorgang zu retten, schlug Gerhard Hoch e<strong>in</strong>en Ersatz vor und zwar den RealschullehrerGustav Meyer, den er „mit gutem Gewissen“(Hoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an die Friedensgruppe vom 22.12.95)empfehlen konnte.Gustav Meyer, Lehrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>er Mittelschule am Marschweg, war 1943 von e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Schülerdenunziert worden, als er die Rede Goebbels „Wollt ihr den totalen Krieg“ im Unterricht kritisiert hatte. Manentfernte den Lehrer aus dem Dienst, <strong>der</strong> sich im Gegensatz zu se<strong>in</strong>en Kollegen für e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>esMenschenbild als das <strong>der</strong> Nazis e<strong>in</strong>gesetzt hatte, und sperrte ihn für viele Monate <strong>in</strong>s Zuchthaus. Nach demKriege musste er drei Jahre warten, bis er wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Schuldienst e<strong>in</strong>gestellt wurde, weil alte Seilschaften<strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> ihn nicht haben wollten.So bedauerlich es war, dass für die Öffentlichkeit <strong>der</strong> Name Otto Gösch <strong>in</strong> diesem Zusammenhangverschwand, Gustav Meyer war e<strong>in</strong> würdiger und geeigneter Namensgeber für e<strong>in</strong>e Straße.Es dauerte noch e<strong>in</strong> Jahr bis zum 21.9.96, als die vier neuen Straßenschil<strong>der</strong> offiziell enthüllt werden konnten.Die Witwe Madame Tackx mit Freunden aus Frankreich waren anwesend. Die noch lebende Witwe vonGustav Meyer dagegen sagte die Teilnahme ab, weil sie die „so wenig gute(n) Er<strong>in</strong>nerungen“(Brief an Hochim Jan.1996) lieber ruhen lassen wollte.Aber <strong>der</strong> Name „<strong>Kaltenkirchen</strong>“ begann nunmehr e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Klang anzunehmen. Dass <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>e<strong>in</strong>e Straße nach e<strong>in</strong>em französischen Wi<strong>der</strong>standskämpfer und <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>g benannt worden war und dieGräberstätte <strong>in</strong> Moorkaten als Gedenkstätte für hier begrabene Kriegsgefangene und <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge gestaltetund als solche auch deutlicher kenntlich gemacht worden war, wurde <strong>in</strong> Frankreich sehr positivaufgenommen.Seitdem kamen französische Besucher, ehemalige <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge, ihre Verwandten und Freunde, alle zweiJahre im Mai nach <strong>Kaltenkirchen</strong> und freuten sich darüber, wie die Stadt das Andenken an vergangenesUnrecht wach hielt. <strong>Kaltenkirchen</strong> machte sich e<strong>in</strong>en Namen.Aber es galt zum Beispiel an <strong>der</strong> Gräberstätte Moorkaten weitere Verbesserungen zu erreichen. In E<strong>in</strong>gabenan den Magistrat wurde die Än<strong>der</strong>ung des Textes <strong>der</strong> Tafel am E<strong>in</strong>gang zu den Gräbern angemahnt, e<strong>in</strong>Radweg zur Gräberstätte vorgeschlagen, die bessere Gestaltung <strong>der</strong> Zuwegung durch den Wald zu denGräbern gefor<strong>der</strong>t und die Beseitigung des abschreckenden Schildes <strong>der</strong> Bundeswehr mit dem H<strong>in</strong>weis auf„Schusswaffengebrauch“ verlangt. In fast allen Punkten versprach <strong>der</strong> Magistrat entsprechend zu handeln. Esbewegte sich etwas - wenn auch langsam - <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>.Nur <strong>der</strong> Text auf <strong>der</strong> neu zu erstellenden Informationstafel an <strong>der</strong> Gräberstätte Moorkaten führte <strong>in</strong>


<strong>Kaltenkirchen</strong> zu Diskussionen, die an die früheren Verschleierungstendenzen und Wi<strong>der</strong>stände er<strong>in</strong>nerten.Dadurch alarmiert, schrieb Gerhard Hoch am 13.3.2000 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief an die Stadt: „Der hervorragende, jae<strong>in</strong>zigartig gute Ruf <strong>der</strong> Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong> im ganzen Bundesland ... sollte nicht durch e<strong>in</strong>en Rückfall <strong>in</strong>frühere Jahrzehnte beschädigt werden.“Worum g<strong>in</strong>g es?Die Arbeitsgruppe hatte <strong>der</strong> Stadt e<strong>in</strong>en Textvorschlag für e<strong>in</strong>e Informationstafel an <strong>der</strong> Gräberstättevorgelegt. Während e<strong>in</strong>er öffentlichen Ausschusssitzung beanstandete <strong>der</strong> Seniorenbeirat <strong>der</strong> Stadt dreiBegriffe im Textvorschlag. Der H<strong>in</strong>weis, dass es sich bei dem „Erweiterten Krankenrevier des Stammlagers XA Schleswig, Zweiglager Heidkaten“ um e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>richtung <strong>der</strong> deutschen Wehrmacht gehandelt hatte, wolltendie Senioren gelöscht haben. Aber auf e<strong>in</strong>e <strong>der</strong>artige Empf<strong>in</strong>dlichkeit konnte und durfte ke<strong>in</strong>e Rücksichtgenommen. Denn für den Tod <strong>der</strong> zahlreichen russischen Kriegsgefangenen war nun mal die Wehrmachtverantwortlich, und das durfte auf <strong>der</strong> Tafel nicht verschwiegen werden.Des weiteren hieß es im Textvorschlag, dass die Leichen <strong>in</strong> Massengräbern auf dem heutigen Übungsplatz<strong>der</strong> Bundeswehr verscharrt worden waren. Hieran stießen sich ebenfalls die Senioren. E<strong>in</strong>mal, weil hier dieBundeswehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schrecklichen Zusammenhang erwähnt wurde, und zum an<strong>der</strong>en störte dieFormulierung „verscharrt“. Doch auf die korrekte Lage dieser Massengräber h<strong>in</strong>zuweisen, erschienunverzichtbar. Lediglich auf das Verb „verscharrt“ wurde verzichtet und durch „vergraben“ ersetzt.Der erneute Versuch, geschichtliche Tatbestände zu verschleiern o<strong>der</strong> abzuschwächen, konnte abgewehrtwerden. Die <strong>Kaltenkirchen</strong>er Stadtvertretung übernahm e<strong>in</strong>stimmig den Textvorschlag. E<strong>in</strong>e Bee<strong>in</strong>trächtigungdes mittlerweile guten Rufes <strong>der</strong> Stadt wollte man sich nicht leisten. Trotzdem zeigte <strong>der</strong> Vorgang, dass selbstim neuen Jahrtausend jene Stimmen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stadt noch nicht verstummt waren, die auf die Vergangenheitgerne die Decke <strong>der</strong> Beschönigung legen würden.Auch das pe<strong>in</strong>liche Gerangel um die Zusatz<strong>in</strong>formationen für e<strong>in</strong> Straßenschild <strong>in</strong> Bad Bramstedt, das an denGrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rheumakl<strong>in</strong>ik Oskar Alexan<strong>der</strong> er<strong>in</strong>nern sollte, zeigte die immer noch gepflegte Scheu davor, aufdie unangenehmen Tatsachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit schauen zu wollen. Dass Oskar Alexan<strong>der</strong> Jude war undim <strong>KZ</strong>-Sachsenhausen zu Tode kam, sollte als erläutern<strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis am Straßenschild angebracht werden.Örtliche CDU-Vertreter wollten das verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, freilich mit <strong>der</strong> unehrlichen Argumentation, dass solcheZusatz<strong>in</strong>formationen an Straßenschil<strong>der</strong>n „ungeeignet“ seien (Leserbrief <strong>in</strong> Segeberger Zeitung vom 19.3.96durch CDU-Sprecher Claus Bornhöft). Schließlich konnte <strong>der</strong> H<strong>in</strong>weis auf den Todesort „<strong>KZ</strong>-Sachsenhausen“durchgesetzt werden, aber dass Oskar Alexan<strong>der</strong> <strong>in</strong>s <strong>KZ</strong> kam, weil er Jude war, geht aus dem Schild, das amEnde aufgestellt wurde, nicht hervor. FDP und CDU hatten es verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t.Die Entstehung <strong>der</strong> Gedenkstätte Spr<strong>in</strong>ghirschE<strong>in</strong>leitungDie Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Gedenkstätte für das Lager des <strong>KZ</strong>-Außenkommando <strong>Kaltenkirchen</strong> <strong>in</strong>Spr<strong>in</strong>ghirsch an <strong>der</strong> B 4 kann nicht <strong>in</strong> allen E<strong>in</strong>zelheiten dargestellt werden, zu viel ist passiert, zu vieleGänge, Briefe, Gespräche, Handlungen zur Geldbeschaffung und für Genehmigungen durch Behörden warennötig, zu viele Wi<strong>der</strong>stände, Hemmnisse aber auch Unterstützungen und Hilfen hat es gegeben, als dass e<strong>in</strong>evollständige Aufzählung s<strong>in</strong>nvoll und nicht verwirrend wäre. Aber e<strong>in</strong> zusammenfassen<strong>der</strong> Überblick, <strong>der</strong>e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>druck von dem beispielhaften Engagement und dem nie nachlassenden Elan e<strong>in</strong>iger wenigervermittelt, ist möglich.Man sagt, dass <strong>der</strong> Glaube Berge versetzen könne. Die Gedenkstätte entstand als das notwendige undfolgerichtige Ergebnis e<strong>in</strong>es beharrlichen Willens, des seit mehr als zwanzig Jahren glühenden Willensnämlich, für die Jugend und für die breite Öffentlichkeit <strong>in</strong> <strong>der</strong> hiesigen Region den eigenenzeitgeschichtlichen H<strong>in</strong>tergrund bewusst zu machen und wach zu halten. Angetrieben von <strong>der</strong> Sorge und <strong>der</strong>Verantwortung, dass niemals wie<strong>der</strong> solches Unglück –h<strong>in</strong>ter welcher Maske auch immer- von deutschemBoden ausgehen möge, wurde <strong>in</strong> zäher Kle<strong>in</strong>arbeit und mit hartnäckigem Beharren durch private Initiative dieGedenkstätte <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch geschaffen.<strong>Kaltenkirchen</strong> gilt heute als e<strong>in</strong> positives Beispiel für die Aufarbeitung <strong>der</strong> regionalen <strong>Geschichte</strong>. In vielenan<strong>der</strong>en Städten und Geme<strong>in</strong>den Deutschlands steht e<strong>in</strong>e solche Arbeit noch aus. Aber <strong>Kaltenkirchen</strong> istnichts Beson<strong>der</strong>es. Es hatte nur Glück. Es verdankte se<strong>in</strong> Glück <strong>der</strong> Leidenschaft e<strong>in</strong>es Mannes, <strong>der</strong> zufällighier se<strong>in</strong>e Wurzeln hatte.


Entdeckung von RestenImmer wie<strong>der</strong> zog es Gerhard Hoch und se<strong>in</strong>e Frau Gesa auf Spaziergängen zu dem Waldstück h<strong>in</strong>, wo nachse<strong>in</strong>er Kenntnis das Lager des <strong>KZ</strong>-Außenkommandos <strong>Kaltenkirchen</strong> gewesen se<strong>in</strong> musste. An e<strong>in</strong>emSpätherbsttag im Jahre 1994 spazierten beide erneut im Waldgelände herum, als gäbe es hier doch nochetwas zu f<strong>in</strong>den. Plötzlich gab an e<strong>in</strong>er Stelle das Laub unter ihren Füßen gefährlich nach. Mit bloßen Händenbeseitigten sie Laubstreu und Geäst, und stießen schließlich auf Beton. Offensichtlich waren sie am Nordranddes ehemaligen <strong>KZ</strong>-Geländes auf Reste gestoßen.Somit war zu erwarten, dass mit weiteren Ausgrabungen hier noch mehr Überreste zu f<strong>in</strong>den wären, visuelleE<strong>in</strong>drücke, die sich für die Errichtung e<strong>in</strong>er Gedenkstätte an dieser Stelle hervorragend eignen würden.Immer wie<strong>der</strong> besuchte Gerhard Hoch das Gelände, e<strong>in</strong>mal sogar mit e<strong>in</strong>er Wünschelrutengänger<strong>in</strong>. Dieme<strong>in</strong>te, ihre Wünschelrute schlüge ganz stark an solchen Stellen aus, wo beson<strong>der</strong>s schweres menschlichesLeid gewesen sei. Entlang <strong>der</strong> auf den britischen Luftaufnahmen von 1945 identifizierten Nordbaracke schlugdie Rute tatsächlich extrem aus.Maren Grimm und Oliver GemballaIm Mai 1997 meldeten sich zwei junge Leute, e<strong>in</strong>e Student<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> Student aus Hamburg, die Bücher vonG. Hoch gelesen hatten. Maren Grimm und Oliver Gemballa begannen zusammen mit Gerhard Hoch <strong>in</strong>tensivund systematisch nach Spuren des früheren Lagers zu suchen. Maren Grimm kannte den GrabungsexpertenDietrich Alsdorf, dessen Interesse schnell geweckt wurde und <strong>der</strong> die drei bei ihren Grabungen fachmännischunterstützte.Ausgehend von <strong>der</strong> Betonplatte wühlten und gruben mit Hacke und Schaufel Maren Grimm, Oliver Gemballaund Gerhard Hoch, zeitweise unterstützt von Freunden aus <strong>Kaltenkirchen</strong> und Hamburg, <strong>in</strong> <strong>der</strong>geschichtsträchtigen Erde. Die „Untere Denkmalsschutzbehörde“ <strong>in</strong> Segeberg, die Standortverwaltung <strong>der</strong>Bundeswehr <strong>in</strong> Neumünster, die Flughafengesellschaft Hamburg, das zuständige Forstamt wurden <strong>in</strong>formiertund ihre Zustimmung e<strong>in</strong>geholt. Den umfangreichen Schriftverkehr auch mit an<strong>der</strong>en Stellen erledigteGerhard Hoch. Dabei kamen ihm die Bekanntheit und die vielen Kontakte zugute, die er wegen se<strong>in</strong>er Bücherhatte.Die Ergebnisse <strong>der</strong> Suche waren mager. Offensichtlich waren die Fundamente <strong>der</strong> Holzbaracken nichtdurchgehend vorhanden. E<strong>in</strong> Bagger musste her. Die Hoffnung auf Hilfe durch die Firma Brockmann <strong>in</strong>Nützen zerschlug sich. Der E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>es Baggers würde den Initiatoren viel Geld kosten.Mit dem Bagger zum DurchbruchInzwischen hatte Dr. H.-J. Häßler, Vorsitzen<strong>der</strong> des Institutes für Friedens- und Konfliktforschung <strong>in</strong>Hannover, von dem Vorhaben erfahren. Er sagte e<strong>in</strong>en Zuschuss von 1000 DM zu. Damit konnte e<strong>in</strong> Baggergemietet werden. Der kam <strong>in</strong> Sommer 1997, von <strong>der</strong> Firma Brockmann für 800 DM mit Fahrer pro Arbeitstaggemietet, zum E<strong>in</strong>satz. Sehr schnell stieß <strong>der</strong> Bagger auf Überreste <strong>der</strong> Wasch- und Latr<strong>in</strong>enbaracke, weilwegen des dort fehlenden Baumbestandes am Ostrand des Lagers gebaggert wurde. Die Arbeiten mit demBagger wurden aber bald abgebrochen, um die gefundenen Fundamente nicht zu zerstören. Mit kle<strong>in</strong>eremGerät wurde später hier sorgfältig weitergearbeitet.Das Projekt bekommt EigendynamikInzwischen wurde e<strong>in</strong> Spendenkonto bei <strong>der</strong> Kreissparkasse Segeberg <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> e<strong>in</strong>gerichtet.Das Wissenschaftsm<strong>in</strong>isterium <strong>der</strong> Landesregierung wurde im September 1997 auf die Arbeiten aufmerksam.Es bot f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung an. Im Dezember 1997 sagte es 10 000 DM zu.


Die „Amical International de Neuengamme“, <strong>der</strong> Freundeskreis ehemaliger Neuengammer Häftl<strong>in</strong>ge, erfuhrvon den Projekt.Im Oktober 1997 stellte die Firma Rasch, Weddelbrook e<strong>in</strong>en Frontla<strong>der</strong> gegen Entgelt zur Verfügung. DerErdaushub diente zur Anlage e<strong>in</strong>es Walles entlang des nördlichen Weges.Im November 1997 vermaßen Fachleute aus Hamburg das Gelände auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> britischenLuftfotos, so dass die Lage <strong>der</strong> ehemaligen Baracken und die Splitterschutzgräben zugeordnet werdenkonnten.Im November 1997 arbeiteten Maren Grimm und Oliver Gemballa mit e<strong>in</strong>em M<strong>in</strong>ibagger, den sie für 100 DMpro Tag ausliehen. Damit konnten sie die Latr<strong>in</strong>engrube vollständig entleeren. Seitdem waren dieFundamente <strong>der</strong> Baracke mit Waschraum und die Latr<strong>in</strong>engrube freigelegt und sichtbar.Im Dezember 1997 begrüßte <strong>der</strong> Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge das Projekt und empfahl e<strong>in</strong>eFirma zur Herstellung e<strong>in</strong>er Informationstafel.Im Januar 1997 begann das Bemühen, das Amt <strong>Kaltenkirchen</strong> Land zur Übernahme <strong>der</strong> Trägerschaft zubewegen. Sie scheiterten an <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> politischen Vertretung <strong>der</strong> Amtsgeme<strong>in</strong>den und an dembeson<strong>der</strong>s ablehnenden E<strong>in</strong>fluss des Amtsvorstehers und gleichzeitigen Bürgermeisters <strong>in</strong> Nützen, Brakel.Im Sommer 1998 erfolgten weitere Arbeiten zum Ausbau <strong>der</strong> Gedenkstätte. Es g<strong>in</strong>g um die Sicherung <strong>der</strong>Fundamente, Erde musste bewegt, Kies geschüttet, Maurerarbeiten ausgeführt, Unkraut gejätet,Begehungspfade angelegt und <strong>der</strong> Wall entlang des Weges bepflanzt.Die verdienten Initiatoren des Projektes, die Hamburger Student<strong>in</strong> Maren Grimm und <strong>der</strong> Hamburger StudentOliver Gemballa, zogen sich aus dem Projekt zurück. Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen <strong>der</strong>Großstädter über e<strong>in</strong> Gedenkstättenkonzept, das für den ländlichen Raum taugen musste.Bis zum Herbst 1998 erschienen viele Besucher auf dem Gelände, die für die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gedenkstättewichtig waren, u.a. die Kultusm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong> Gisela Böhrk von <strong>der</strong> rot-grünen Landesregierung <strong>in</strong> Schleswig-Holste<strong>in</strong>. Zugegen war auch <strong>der</strong> Amtsleiter des Amtes <strong>Kaltenkirchen</strong> Land. Frau Böhrk empfahl dem Amt<strong>Kaltenkirchen</strong> Land, die Trägerschaft <strong>der</strong> Gedenkstätte zu übernehmen. Herr Brakel lehnte ab.Gerhard Hoch schrieb Briefe um Spenden an hiesige Firmen, an zuständige E<strong>in</strong>richtungen und Stiftungenund hatte Erfolg. Zum Beispiel spendete die Deutsche Bank 5000 DM.Nun, da schon so viel konkret und sichtbar auf den Weg gebracht worden war, bekam das Unternehmen e<strong>in</strong>egewisse Eigendynamik des Erfolges.Weitere Spenden g<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>. Am 4.11.1998 überwies Prof. Dr. Philippe Reemtsma 5000 DM. Auch die AKNzeigte sich entgegenkommend, <strong>in</strong>dem sie den Druck von Infoblättern för<strong>der</strong>te. Die AKN hatte damals dieHäftl<strong>in</strong>gstransporte besorgt und auch den Evakuierungstransport nach Wöbbel<strong>in</strong> im April 1945 durchgeführt,für den sie noch nach dem Krieg e<strong>in</strong>e Rechnung ausstellte. Diese Rechnung hatte Gerhard Hoch im Zugese<strong>in</strong>er Recherchen wie<strong>der</strong>gefunden.E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> SchulenGerhard Hoch bemühte sich beson<strong>der</strong>s um die Schulen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Region. Sie sollten e<strong>in</strong>geladen werden,Patenschaften für die Gedenkstätte zu übernehmen. Am 16. 11. 1998 trafen sich zum ersten Mal 16Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realschule am Marschweg <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>. Von diesem Zeitpunkt an beganne<strong>in</strong>e äußerst fruchtbare und für die spätere Pflege <strong>der</strong> Gedenkstätte enorm wichtige Zusammenarbeit. Schonvorher hatten immer wie<strong>der</strong> Schülergruppen <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch gearbeitet. Jetzt konnte man e<strong>in</strong>e regelmäßigeBetreuung <strong>der</strong> Gedenkstätte durch Schüler verabreden. Die Lehrer zogen mit, weil sie froh darüber waren,endlich Zeitgeschichte hautnah und handlungsorientiert ihren Schülern nahe br<strong>in</strong>gen zu können. Damiterfüllten sie e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> Hauptanliegen von Gerhard Hoch.20 Schulen im Umkreis <strong>der</strong> Gedenkstätte haben sich zur Patenschaft <strong>in</strong> monatlichem Wechsel bereiterklärt.E<strong>in</strong>e jede dieser Schulen verpflichtete sich damit, die Pflege <strong>der</strong> Gedenkstätte für e<strong>in</strong>en Monat zuübernehmen. Dabei g<strong>in</strong>g es nicht nur darum, mit Gartengerät, Hacke und Schaufel Müll zu beseitigen,Unkraut zu jäten, Unterholz zu entfernen o<strong>der</strong> weiter nach historischen Resten zu graben, son<strong>der</strong>n auch imRahmen des Geschichtsunterrichtes handlungsorientiert Zeitgeschichte zu erfahren. Bei solcherart


pädagogischen Unternehmungen <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch ließ es Gerhard Hoch sich nicht nehmen, anwesend zu se<strong>in</strong>und mit den Schülern zu sprechen. Und <strong>in</strong>tensiver als es die Lehrkräfte vermochten gelang es ihm dieSchüler zu <strong>in</strong>teressieren. Er erschien ihnen wie <strong>der</strong> Großvater, <strong>der</strong> die schreckliche Zeit desNationalsozialismus selbst erlebt hat. Wie staunten sie, wenn er erzählte, dass er selber als junger MenschNazi und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hitlerjugend gewesen war. Von den Nazis hatten sie im Geschichtsunterricht gehört wie vonfremden Wesen e<strong>in</strong>er fernen Galaxie. Zwar war dem e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Schüler e<strong>in</strong> Schauer über denRücken gelaufen angesichts <strong>der</strong> ungeheuren Verbrechen im fernen Ausschwitz, aber dass hier vor ihnenleibhaftig e<strong>in</strong> ehemaliger Nationalsozialist stand und freimütig von <strong>der</strong> jüngsten Vergangenheit ihrer eigenenHeimat berichtete, das fesselte sie. Das warf <strong>in</strong> ihnen Fragen auf, die sie, wie Gerhard Hoch hoffte, zu Hause<strong>in</strong> ihren Familien stellen würden.Durch eigenes Mittun und Arbeiten am Ort des damaligen Leidens und <strong>der</strong> Unmenschlichkeit könntenBetroffenheit, Mitleiden und Neugier bei den jungen Menschen geweckt werden, so hofften die Initiatoren. DieSchüler sollten die Erfahrung gew<strong>in</strong>nen, „dass die schlimmsten Ersche<strong>in</strong>ungsformen des Nationalsozialismusnicht nur <strong>in</strong> fernen Gegenden zutage traten, son<strong>der</strong>n gleichfalls <strong>in</strong> <strong>der</strong> engsten Heimat und mitten <strong>in</strong> <strong>der</strong>damaligen Gesellschaft unter den Augen Tausen<strong>der</strong> von Zeitgenossen“(G. Hoch: Bericht an die DGB-Jugendam 16.9.2002), also möglicherweise vor den Augen ihrer Groß- und Urgroßeltern.Im Herbst 1998 ließ Jürgen Fock von Realschülern e<strong>in</strong> Modell des früheren <strong>KZ</strong>-Außenkommandos anfertigen.Als Grundlage dienten den Schülern die britischen Luftaufnahmen von Frühjahr 1945. Das Ergebnis <strong>der</strong>Schülerarbeit war sehr bee<strong>in</strong>druckend. Später bestätigten ehemalige Häftl<strong>in</strong>ge des Lagers dieWirklichkeitsnähe des Modells.Der Trägervere<strong>in</strong> gründet sichIm Februar 1999 formierte sich e<strong>in</strong>e „Arbeitsgruppe <strong>KZ</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong>“, die, wie hätte es an<strong>der</strong>s se<strong>in</strong> können,Gerhard Hoch um sich versammelt und <strong>in</strong>s Leben gerufen hatte. Dem Kreis <strong>der</strong> ständigen Mitarbeitergehörten folgende Personen an:Claudia Mennel, Jürgen Fock, Georg Stock, Wolfgang Raabe, Bernhard Müller und Bernd Gerken.Sie trieben die weitere Ausgestaltung <strong>der</strong> Gedenkstätte voran. Es g<strong>in</strong>g um die Textgestaltung e<strong>in</strong>erInformationstafel, um e<strong>in</strong>e dauerhafte Markierung <strong>der</strong> ehemaligen Gebäude des Lagers, die die Größe undLage <strong>der</strong> Baracken für die Besucher sichtbar machen sollte, und um das Modell e<strong>in</strong>er Trägerschaft, damit fürdie Zukunft die Gedenkstätte gesichert werden konnte.Nachdem das Amt <strong>Kaltenkirchen</strong> Land die Übernahme e<strong>in</strong>er Trägerschaft abgelehnt hatte, wandte sich dieArbeitsgruppe an die Stadt <strong>Kaltenkirchen</strong>. Zwar war auch sie nicht bereit, e<strong>in</strong>e alle<strong>in</strong>ige Trägerschaft zuübernehmen, aber sie half das Modell e<strong>in</strong>er Trägerschaft zu entwickeln, welche die er<strong>in</strong>nernde, mahnendeund pädagogische Funktion <strong>der</strong> Gedenkstätte sichern konnte.So gründete sich am 5. Juli 1999 mit Hilfe <strong>der</strong> Stadt <strong>der</strong> „Trägervere<strong>in</strong> für die <strong>KZ</strong>-Gedenkstätte Spr<strong>in</strong>ghirsch“.Ihm traten sofort die Geme<strong>in</strong>den <strong>Kaltenkirchen</strong>, Alveslohe, Barmstedt, Kisdorf, Hasenmoor und <strong>der</strong> KreisSegeberg als Mitglie<strong>der</strong> bei. Bad Bramstedt und Lentföhrden erklärten ihre Bereitschaft alsbald e<strong>in</strong>zutreten.Der Mitgliedsbeitrag wurde auf bescheidene 12,- DM für Privatpersonen und auf 50,- DM für Geme<strong>in</strong>den undFirmen festgelegt. Schon auf <strong>der</strong> Gründungsversammlung trugen sich 28 Personen neben den genanntenKommunen e<strong>in</strong>.Am gleichen Abend wurde <strong>der</strong> Vorstand des Trägervere<strong>in</strong>s gewählt, <strong>der</strong> bis heute besteht. Gerhard Hochübertrug man den Vorsitz. Se<strong>in</strong> Stellvertreter Jürgen Fock, Kassierer<strong>in</strong> Claudia Mennel, Schriftführer<strong>in</strong> UtaKörby und die Beisitzer Jürgen Wiese, Wolfgang Raabe, Hans-Joachim Wolfram und Bernhard Müllerübernahmen mit ihm die Aufgabe, die Gedenkstätte zu e<strong>in</strong>em Ort des Er<strong>in</strong>nerns, Lernens und Mahnensauszubauen.Das DokumentenhausAm 3. April 2000 erhielt Gerhard Hoch <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> den mit 25 000 DM dotierten Marion-Samuel-Preis. Diesegroße Ehrung wurde ihm zuteil wegen se<strong>in</strong>es fünfundzwanzigjährigen unermüdlichen Wirkens um dieAufarbeitung <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vergangenheit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Heimatregion. Unter <strong>der</strong> Schirmherrschaft<strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>igung „Gegen das Vergessen – Für Demokratie“ war <strong>der</strong> Marion-Samuel-Preis <strong>der</strong> Stiftung


Er<strong>in</strong>nerung zum zweiten Mal vergeben worden. Das war e<strong>in</strong>e weitere beson<strong>der</strong>s ehrenvolle Anerkennungse<strong>in</strong>er Arbeit, nachdem ihm vier Jahre zuvor die Ehren-Nadel des Landes Schleswig-Holste<strong>in</strong> verliehenworden war. Das Geld nun, den hohen Betrag von 25 000 DM, für den Ausbau <strong>der</strong> Gedenkstätte Spr<strong>in</strong>ghirsche<strong>in</strong>zusetzen, war se<strong>in</strong> erster Gedanke. „Damit können wir e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Gebäude für e<strong>in</strong>e Dauerausstellung unde<strong>in</strong>en Gruppenraum realisieren“ zitierte ihn die Barmstedter Zeitung am 30. März 2000.Aber <strong>der</strong> Traum von e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Dokumentenhaus und e<strong>in</strong>er Tagungsstätte ließ sich auch ohne denvollständigen E<strong>in</strong>satz des Preisgeldes verwirklichen, weil die Spendenbereitschaft von Firmen undE<strong>in</strong>richtungen für solche Projekte <strong>in</strong>zwischen gewachsen war. E<strong>in</strong> Jahr später nämlich wurde e<strong>in</strong> ansehnlicherBüroconta<strong>in</strong>er vor Ort zusammengesetzt und dort auf solide Fundamente gestellt. Der Conta<strong>in</strong>er wurde von<strong>der</strong> Hamburger sozialen E<strong>in</strong>richtung „Beschäftigung und Bildung e.V. Betriebsstätte Metallbau F<strong>in</strong>kenwer<strong>der</strong>“beson<strong>der</strong>s preisgünstig überlassen. Den Transport zur Gedenkstätte f<strong>in</strong>anzierten die KreissparkassenSegeberg und P<strong>in</strong>neberg, ebenso e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Innene<strong>in</strong>richtung. Tische und Stühle spendete die Firma„dodenhof <strong>Kaltenkirchen</strong>“. Die Schleswag verlegte kostenlos e<strong>in</strong> Stromkabel zum Dokumentenhaus.Damit hatte <strong>der</strong> Ausbau <strong>der</strong> Gedenkstätte e<strong>in</strong>en gewaltigen Schritt nach vorne getan. Dokumentenhaus mitTagungsraum! Dass sich e<strong>in</strong> solcher Traum bald verwirklichen könnte, daran hatte zuvor kaum jemandgeglaubt.Seit dem April 2002 wird das Dokumentenhaus sonntags von 11 Uhr bis 17 Uhr für das Publikum geöffnet.Tafeln e<strong>in</strong>er Ausstellung, die im Sommer 2001 zum Anlass <strong>der</strong> 700-Jahrfeier <strong>Kaltenkirchen</strong>s gezeigt wordenwaren, umfangreiches Schriftenmaterial und Bücher aus dem Schaffen von G. Hoch, Dokumente und wenigeFundstücke stehen hier seitdem e<strong>in</strong>em breiten Publikum zur Verfügung. Die provisorische Plakatausstellungsoll im Dezember 2002 durch e<strong>in</strong>e professionell gestaltete Ausstellung ersetzt werden. Die Texte dafürformulierte Gerhard Hoch. Auch Fotos und Dokumente lieferte er aus se<strong>in</strong>em umfangreichen Materialfundus.Weiterer Ausbau <strong>der</strong> GedenkstätteIm Frühjahr 2000 entstanden die beiden großen Gedenktafeln, die seitdem durch ihre Größe dieAufmerksamkeit <strong>der</strong> Besucher auf sich lenken. Das e<strong>in</strong>e ansehnliche Schild gibt e<strong>in</strong>en übersichtlichenLageplan des ehemaligen <strong>KZ</strong>-Außenkommando <strong>Kaltenkirchen</strong> nach e<strong>in</strong>em Luftfoto <strong>der</strong> Royal Air Force vom25.12.44 wi<strong>der</strong>. Das an<strong>der</strong>e ebenso große, sicher und fest <strong>in</strong>stallierte Schild stellt den Besuchern die<strong>Geschichte</strong> und Bedeutung des damaligen Lagers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text e<strong>in</strong>drucksvoll dar. Den Text hatte GerhardHoch verfasst.Der Text spricht u.a. vom <strong>der</strong> „hohe(n) Todesrate“ <strong>der</strong> <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge, verursacht durch „rücksichtslosenArbeitse<strong>in</strong>satz, mangelhafter Ernährung, unzureichen<strong>der</strong> Kleidung, fehlen<strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischer Versorgung,Erniedrigungen, Schläge und auch Morde“. Im Text heißt es dann weiter, dass viele Tote imFlughafengelände „verscharrt“ worden s<strong>in</strong>d. Diesmal hatte sich niemand an dem Begriff „verscharrt“gestoßen, wie noch e<strong>in</strong>ige Jahre zuvor. E<strong>in</strong>erseits mag das Ansehen und die Anerkennung <strong>der</strong> Arbeit vonGerhard Hoch, die er <strong>in</strong>zwischen vielfach erfahren hatte, e<strong>in</strong>e Rolle gespielt haben, an<strong>der</strong>erseits diemittlerweile gereifte Zeit für ehrliches Er<strong>in</strong>nern und Gedenken.E<strong>in</strong>e weitere enorme Aufwertung erfuhr die Gedenkstätte mit <strong>der</strong> künstlerischen Gestaltung durch denBildhauer Ingo Warncke. Er setzte ansehnliche Stelen aus Ste<strong>in</strong> fest auf solides Fundament. Verteilt über dasGedenkstättengelände benennen sie jeweils die Funktion <strong>der</strong> Baracken bzw. <strong>der</strong> Barackenteile. Beson<strong>der</strong>sbee<strong>in</strong>druckt <strong>der</strong> Drehste<strong>in</strong>, auf dem <strong>der</strong> letzte Abschnitt des Gedichtes von Stefan Herml<strong>in</strong> „Asche vonBirkenau“ spiralförmig von oben nach unten aufgetragen ist. Um den Text lesen zu können, muss <strong>der</strong>Besucher entwe<strong>der</strong> im Kreis um die Säule herumlaufen o<strong>der</strong> den Ste<strong>in</strong> drehen. Die äußere Bewegung, sodachte sich <strong>der</strong> Künstler, möge <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Bewegung des Besuchers entsprechen.Drei weitere Gedenkste<strong>in</strong>e, <strong>der</strong> Küchenste<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Bunkerste<strong>in</strong> und <strong>der</strong> Sargste<strong>in</strong>, komplettieren diekünstlerische Gestaltung <strong>der</strong> Gedenkstätte. Die Europäische Kommission <strong>in</strong> Brüssel und dasBildungsm<strong>in</strong>isterium f<strong>in</strong>anzierten die ste<strong>in</strong>erne Kunst mit e<strong>in</strong>em namhaften Betrag.Wie geht es weiter?Weitere Grabungsarbeiten auf dem Gedenkstättengelände, vornehmlich am Ort <strong>der</strong> Splitterschutzgräben,sollen als Projektaufgabe Gymnasien vorgeschlagen werden. Auf diese Weise könnte die konkrete und


„handgreifliche“ Begegnung mit <strong>der</strong> Zeitgeschichte <strong>der</strong> engeren Heimat für die Schüler <strong>in</strong>tensiviert werden.Außerdem hofft man auf neue Funde, die das Wissen über das <strong>KZ</strong>-Gefangenenlager ergänzen. Dieerhaltenden und pflegenden Arbeiten <strong>der</strong> Patenschulen s<strong>in</strong>d davon nicht berührt und werden mit verbesserterKoord<strong>in</strong>ierung fortgeführt.In e<strong>in</strong>er groß angelegten öffentlichen Präsentation soll die neue Ausstellung <strong>der</strong> Öffentlichkeit vorgestelltwerden. Das könnte im Dezember 2002 soweit se<strong>in</strong>.Weiterh<strong>in</strong> sollen öffentliche Veranstaltungen das Er<strong>in</strong>nern und Gedenken för<strong>der</strong>n. Zum Beispiel denkt mandaran, am Volkstrauertag W<strong>in</strong>dlichter auf die Gräber <strong>in</strong> Moorkaten auszubr<strong>in</strong>gen, für jeden Verstorbenen e<strong>in</strong>W<strong>in</strong>dlicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Novembernacht.Die Namen und Daten <strong>der</strong> Toten des Lagers sollen, soweit sie bekannt s<strong>in</strong>d, auf Tafeln – vielleicht aus Ste<strong>in</strong>– o<strong>der</strong> auf runden Flussste<strong>in</strong>en festgehalten und ausgelegt werden. Gestaltung und Anordnung sollenSchüler übernehmen.Die Anlage soll durch e<strong>in</strong>en ansehnlichen Zaun und durch das Auslegen von Gehwegplatten verbessertwerden.Man ist auf <strong>der</strong> Suche nach e<strong>in</strong>em Logo für den Trägervere<strong>in</strong>.ZusammenfassungEs hat lange gedauert, bis das Ziel erreicht war, e<strong>in</strong>e Gedenkstätte e<strong>in</strong>zurichten. Mehr als fünfundzwanzigJahre <strong>in</strong>tensive Forschungsarbeit durch Gerhard Hoch waren die Voraussetzungen dafür, dass heute e<strong>in</strong>eGedenkstätte an <strong>der</strong> Stelle existiert, wo sich das Leiden von <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>gen vieler Nationen und russischerKriegsgefangenen konzentrierte. Und wenn es nach den Vorstellungen früherer Generationen <strong>in</strong><strong>Kaltenkirchen</strong> und Umgebung gegangen wäre, würde heute noch <strong>der</strong> Wald des Vergessens die Stelleüberwachsen.Nur <strong>der</strong> Beharrlichkeit, <strong>der</strong> Hartnäckigkeit und dem unermüdlichen Engagement von Gerhard Hoch hat es<strong>Kaltenkirchen</strong> zu verdanken, dass es sich mit dieser Gedenkstätte bundesweit und <strong>in</strong> Ausland e<strong>in</strong>en Namenmachen konnte. Gerhard Hoch hatte die Erkenntnis angetrieben, dass Menschen sich er<strong>in</strong>nern müssen, dasssie sich mit <strong>der</strong> Zeitgeschichte ihrer engsten Heimat ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen müssen, um heute wach undsensibel für jede Form von Intoleranz und Menschenverachtung se<strong>in</strong> zu können.Was hatte er <strong>in</strong> <strong>Kaltenkirchen</strong> anfangs vorgefunden? Vergessenwollen, Angst vor „Nestbeschmutzung“,Spuren alten unseligen Denkens, und e<strong>in</strong> eisiges Schweigen, das sich wie Reif über alles legte und dieHerzen verschloss. Niemandem, <strong>der</strong> damals lebte, als das Lager <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch existierte, konnte verborgengeblieben se<strong>in</strong>, was sich dort ereignete. Zu oft waren die Elendszüge <strong>der</strong> <strong>KZ</strong>-Häftl<strong>in</strong>ge auf ihren Straßen undan ihren Häusern vorbeigekommen, zu sehr waren hiesige Firmen, Mitarbeiter und Geschäfte an demFlugplatzausbau unter dem Motto „Vernichtung durch Arbeit“ beteiligt. Aber im Nachkriegs-<strong>Kaltenkirchen</strong>wurde die eigene grausige <strong>Geschichte</strong> unter den Teppich gekehrt, bis 1975 Gerhard Hoch anf<strong>in</strong>g, denTeppich zu lüften.Wie verheerend sich <strong>in</strong> Familien die Ausgrenzung, das Leid o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gewaltsame Tod vonFamilienangehörigen auswirken, wenn <strong>der</strong> Vorgang tabuisiert und die Trauerarbeit verweigert wird, das hat<strong>der</strong> Therapeut und frühere katholische Priester Bernd Hell<strong>in</strong>ger mit se<strong>in</strong>em „Familienstellen“ nachgewiesen.Um die krankmachende Wirkung abzustellen, wird durch das Aufstellen <strong>der</strong> Familienangehörigen nach <strong>der</strong><strong>in</strong>neren Vorstellung e<strong>in</strong>es Betroffenen <strong>der</strong> verschwiegene Vorgang und die Tabuisierung aufgedeckt unddurch Wahrnehmen und Er<strong>in</strong>nern <strong>der</strong> verschütteten Ereignisse werden Trauer und Schmerz wachgerufen.Erst nach <strong>der</strong> Enthüllung <strong>der</strong> tabuisierten Vorkommnisse kann daran gearbeitet werden. Durch Trauer undSchmerz, durch Anerkennung und Beachtung <strong>der</strong> Leiden von Ausgegrenzten und Verleugneten bis h<strong>in</strong> zurVerneigung vor <strong>der</strong>en Schicksal, geschieht Heilung <strong>in</strong> den betroffenen Familien, wo vorher Gefühlskälte,Hass, Sucht- o<strong>der</strong> Krebskrankheiten herrschten. Die Betroffenen erhalten ihre Freiheit zurück, sie könnensich zur Liebe, zur Achtung, zu menschlichem Umgang mit sich und an<strong>der</strong>en entscheiden. Der geworfeneSte<strong>in</strong> verwandelt sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Luft zu e<strong>in</strong>em Vogel, <strong>der</strong> selbst entscheidet, woh<strong>in</strong> er fliegt.Das funktioniert selbst Tätern, Mitläufern o<strong>der</strong> Hilfeverweigerern <strong>der</strong> Nazizeit gegenüber. Es wird mitverstehenwollendem, klarem, ja sogar liebevollem Blick auf sie gesehen, <strong>der</strong> zwar ihre Verstrickungen undTaten schonungslos aufgedeckt, aber nicht verurteilt, nicht negativ wertet o<strong>der</strong> dämonisiert. Dann passiertnicht das, was <strong>der</strong> Sozialpsychologe Harald Welzer befürchtet, <strong>der</strong> gesagt hat: „Auf e<strong>in</strong> negatives


Ursprungsereignis h<strong>in</strong> kann man ke<strong>in</strong>e positive Identität ausbilden“(In: FR vom 27.9.2002). Die positiveIdentitätsausbildung bleibt möglich.E<strong>in</strong>e Gesellschaft - wie die unsrige mit dieser Vergangenheit – braucht die Er<strong>in</strong>nerung an das Gewesene undnicht se<strong>in</strong>e Tabuisierung o<strong>der</strong> Dämonisierung, wenn Mitmenschlichkeit, Achtung vore<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und Integrationdes Fremden gel<strong>in</strong>gen sollen. Hält sie die Er<strong>in</strong>nerungen nicht wach, dann ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, wennsich Neonazismus, Auslän<strong>der</strong>hass und Rücksichtslosigkeit ausbreiten.Die <strong>KZ</strong>-Gedenkstätte <strong>Kaltenkirchen</strong> <strong>in</strong> Spr<strong>in</strong>ghirsch b<strong>in</strong>det Kommunen, Kirchengeme<strong>in</strong>den, Schulen, Parteienund Privatpersonen im Umland an die Verpflichtung, sensibel, wach und aufbegehrend zu reagieren, wennsich menschenverachtende Tendenzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Umgebung zeigen sollten. Somit leistet die Gedenkstätte e<strong>in</strong>enBeitrag zur Weiterentwicklung e<strong>in</strong>er humanen Gesellschaft, <strong>in</strong> <strong>der</strong> alle Menschen, so unterschiedlich sie auchse<strong>in</strong> mögen, sicher und geschützt leben können.Auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>teressanten E<strong>in</strong>wand soll hier am Schluss e<strong>in</strong>gegangen werden. Der oben erwähnteSozialpsychologe Harald Welzer hat <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Ausgabe <strong>der</strong> FR <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Interview angemerkt: „An <strong>der</strong>Stelle, wo es e<strong>in</strong>e bestimmte Sättigung an Mahnmalen gibt, ist <strong>der</strong> ganze Vorgang musealisiert. Dann muss<strong>der</strong> Anlass des Gedenkens nicht mehr zur Kenntnis genommen werden. Wenn also etwas zum Denkmalgeworden ist, dann ist es eigentlich auf <strong>der</strong> vitalen Ebene erledigt.“Solcher Gefahr kann damit begegnet werden, dass <strong>in</strong> unserer Gedenkstätte die Orig<strong>in</strong>alfunde, also dieausgegrabenen Fundamente und Reste das Herzstück <strong>der</strong> Gedenkstätte bleiben müssen. Die Begegnung mitdem Orig<strong>in</strong>al werden die Menschen auf ihrer „vitalen Ebene“ bewegen. Außerdem sollen nicht das „museale“Gedenken, son<strong>der</strong>n die Informationen über das Leben, Arbeiten und Sterben im ehemaligen Schreckenslagerim Mittelpunkt stehen. Wenn ohne erhobenen moralischen und mahnenden Zeigef<strong>in</strong>ger über das Vergangene<strong>in</strong>formiert wird – dies freilich deutlich und schonungslos –, dann wird sich <strong>der</strong> Besucher <strong>der</strong> Wucht <strong>der</strong>damaligen Ereignisse nicht entziehen können.

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