Die Bibliotheca Anna Amalia ist eine Schatzkiste der ... - WBG

Madame nannten und deren König meistens Louis hieß, waren die seltsamen Namen
Neangir, Pasithea, Siroco, Sumi, Farsana, Ransu, Astramond ein Wohlklang im Ohr.
Trotz des exotischen Klangs sind sie leichter zu merken als die vollen Namen der
Höflinge, die Märchen schrieben unter dem Namen Anne-Claude-Philippe Caylus,
Comte de Tubières de Grimoire de Pestels de Lévy. Verurteilt zu einer steifen Etikette,
verwandelten sich Höflinge und Damen durch die Erzählung in klingende und
schwingende Gestalten und waren nicht länger die Staffage eines bestimmten Standes.
Das Hofprotokoll parodieren die Erzählungen oft genug, so etwa, wenn Adis und
Dahy, die beiden Gefangenen der Affen, hören, wie "Hymnen den beyden Vettern
des grossen Affen zu Ehren angestimmt werden".
Eine Gesellschaft freilich, die durchs Zeremoniell definiert ist, kann sich, auch wenn
sie ihm entflieht, nichts anderes als wieder ein Zeremoniell vorstellen, nur muss dieses
nun eines sein, das erheitert. Zauberformeln und Zauberdinge schreiben ebenso
strenge Verhaltensmuster vor wie die höfische Form. Die tanzende Uhr, in die Argentine
verwandelt ist, muss jede Nacht zu genau der richtigen Minute aufgezogen werden.
Ringe, die Zauberer verschenken, müssen am richtigen Finger getragen werden,
sonst haben sie keine Kraft. Talismane und Wunderdinge lenken die Märchenfiguren
durch Formeln und Rituale wie die Etikette die Damen und Herren des Hofes, nur
klingen diese mit "Aski, Kataski, Tetrax" geheimnisvoll und führen, wenn man ihnen
gehorcht, zum glücklichsten Augenblick des Lebens.
Jean Paul
Freiheitsbüchlein
Mit einem Nachwort von Sibylle Lewitscharoff
2007. 1. Auflage. 102 Seiten, Leinen mit Lesebändchen im Schmuckschuber.
Süddeutsche Zeitung Edition
Eine Streitschrift gegen die Zensur: Jean Pauls „Freiheits-Büchlein”
Das Freiheits-Büchlein fällt in die Zeit der napoleonischen Herrschaft und erschien im
Mai 1805. Zu diesem Zeitpunkt hatte Jean Paul seine großen Romane alle schon geschrieben,
die „Vorschule der Ästhetik” ebenso. Es sollten noch eine Reihe satirischer
Erzählungen folgen und der großartige „Komet”, sein letztes Werk, welches aber unvollendet
blieb, weil der Autor während der Abfassung starb. Ein Freidenker im politischen
wie religiösen Sinn war Jean Paul, seit er als junger Student der Theologie entlief.
Er erlebte die Französische Revolution als Befreiung und hielt ihr, als die Nachrichten
von den Gräueln der Schreckensherrschaft nach Deutschland drangen, im
Wesentlichen weiterhin die Treue, obwohl ihm die Gewalttaten eines Robespierre,
Saint-Just, Marat zuwider waren. Freidenkerei betrieb Jean Paul auch im Religiösen.
Davon zeugt die „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott
sei” aus dem „Siebenkäs”.
Überhaupt fahren die vielen Leichen, von denen es in Jean Pauls Romanen und Erzählungen
nur so wimmelt, nicht gerade friedlich unter die Erde und die davon abgelösten
Seelen keinesfalls in einen christlichen Himmel hinauf. Den feinstofflichen Substanzen
der Abgeschiedenen ist keine Ruhe vergönnt, sie belästigen vielmehr auf
heidnische Weise die Lebenden, stören deren Sinne oder steigen ihnen unliebsam zu
Kopfe.