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Vernehmlassung ZGB 26.3.2013 elektronisch - Schweizerischer ...

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Bundesamt für Justiz<br />

Bundesrain 20<br />

3003 Bern<br />

Muri b. Bern, 26. März 2013<br />

JPB/tm<br />

<strong>Vernehmlassung</strong> zum Vorentwurf der Revision von Art. 55 SchlT <strong>ZGB</strong><br />

Sehr geehrte Frau Bundesrätin Sommaruga<br />

Sehr geehrte Frau Vizedirektorin Jametti Greiner<br />

Sehr geehrte Damen und Herren<br />

Wir gestatten uns, Ihnen die nachfolgende <strong>Vernehmlassung</strong> zu unterbreiten; es diene was<br />

folgt:<br />

A. VORBEMERKUNGEN<br />

1. Übersicht<br />

In der Übersicht zum erläuternden Bericht wird der Zweck der Vorlage definiert. Danach<br />

ist Ziel und Zweck der Vorlage eine Konsolidierung und eine Weiterentwicklung<br />

des Beurkundungsrechtes.<br />

Angeknüpft wird an die bundesgesetzliche Ordnung des Beurkundungsverfahrens für<br />

letztwillige Verfügungen einerseits sowie an die von der Rechtssprechung entwickelten<br />

inhaltlichen Mindestanforderungen und an die Rechtslehre.<br />

1


Das ungeschriebene Recht soll endlich im Interesse der Klarheit und der Rechtssicherheit<br />

kodifiziert werden. Das Bundesgericht könne alsdann jederzeit zusätzliche<br />

Mindestanforderungen entwickeln.<br />

Bezüglich des e-Geschäftsverkehrs gelte es, die technischen Möglichkeiten auszuschöpfen.<br />

Schliesslich soll die e-Archivierung zur Erhöhung von Sicherheit und Transparenz<br />

beitragen.<br />

2. Arbeitsmethode<br />

Das Gesetzgebungsprojekt wird an den vorstehenden Zielsetzungen gemessen. Berücksichtigt<br />

wurden hiefür die Arbeitsergebnisse einer eigens hiefür eingesetzten Arbeitsgruppe<br />

der Stiftung Schweizerisches Notariat sowie die Meinungsäusserungen<br />

der angeschlossenen Kantonalverbände.<br />

In einem ersten allgemeinen Teil werden die Wirkungen des Projektes in einem gesamtheitlichen<br />

Zusammenhang betrachtet. In einem zweiten speziellen Teil wird auf<br />

die Gesetzesbestimmungen im Einzelnen eingegangen. Zum Schluss ergeht eine zusammenfassende<br />

Würdigung mit Schlussfolgerungen und Aufträgen.<br />

Dabei stellt der SNV die Erhöhung und Förderung der Rechtssicherheit sowie den<br />

Schutz der Urkundsparteien als höchstes politisches Ziel in den Vordergrund und beleuchtet<br />

das Ganze vornehmlich aus der Sicht des Praktikers. Wissenschaftliche Hinweise<br />

werden nur ausnahmsweise mit Quellenangaben dokumentiert.<br />

2


B. ALLGEMEINER TEIL<br />

1. Zur Konsolidierung und Weiterentwicklung<br />

1.1. Allgemeines<br />

Der Entwurf wird generell an den vom Gesetzgeber definierten Zielsetzungen gemessen.<br />

Es ist zunächst zu untersuchen, ob es der Konsolidierung der bundesgerichtlichen<br />

Rechtssprechung überhaupt bedarf und ob damit eine Weiterentwicklung des Beurkundungsrechts<br />

verbunden ist.<br />

Der Beurkundungsprozess ist eine Verfahrensordnung zur Herstellung öffentlicher Urkunden<br />

und ist Bestandteil der Gerichtsbarkeit (freiwillige Gerichtsbarkeit). Bundesrechtlich<br />

ist dieses Verfahren einzig für letztwillige Verfügungen geordnet worden (Art.<br />

499 ff. <strong>ZGB</strong>).<br />

Das Zweizeugen-Verfahren steht ab initio unverändert im Gesetz. Dass es diese Ordnung<br />

im <strong>ZGB</strong> gab, hatte seinen Grund in der Tatsache, dass die Kantone noch gar keine<br />

entsprechenden öffentlich-rechtlichen Erlasse kannten. Dies hat sich mittlerweile<br />

fundamental verändert. Es gibt längst keine Kantone mehr, die keine Notariatsprozessordnung<br />

kennen.<br />

Diverse kantonale Prozessordnungen erlauben das <strong>ZGB</strong>-Verfahren für alle Willensbeurkundungen<br />

alternativ, während die Mehrheit die Anwendung nur gerade bei letztwilligen<br />

Verfügungen vorsehen. Damit wird die grundsätzliche Problematik, die sich aus<br />

dem Primat des Bundesrechtes und dem Nebeneinander von bundesrechtlichen und<br />

kantonalrechtlichen Prozessbestimmungen ergibt, deutlich.<br />

Das <strong>ZGB</strong>-Verfahren gehört klar nicht zu den Mindestanforderungen an die öffentliche<br />

Beurkundung. In der Praxis erfreut es sich auch nicht besonderer Beliebtheit, indem es<br />

überzogen formalistisch und veraltet wirkt. Andererseits dispensiert es die Notarinnen<br />

3


und Notare jener Kantone, die die Selbstlesung der Urkunden nicht kennen und das<br />

Verfahren alternativ zulassen, von der Vorlesung.<br />

Die bundesrechtliche Ordnung ist daher im Ergebnis für die Konsolidierung des Prozessrechtes<br />

keine taugliche Vorgabe, was andernorts im erläuternden Bericht eingeräumt<br />

wird.<br />

1.2. Verfassungsmässige Grundlage<br />

Das Prozessrecht ist traditionell als öffentliches Recht der Kompetenz der Kantone<br />

vorbehalten. Das galt sowohl für die streitige als auch die nichtstreitige Gerichtsbarkeit<br />

unverändert. Mit Art. 122 BV hat sich diese Kompetenzordnung geändert. In die Bundeskompetenz<br />

im Zivilrecht fällt nun neu auch der Zivilprozess als Verfahrensordnung<br />

der streitigen Gerichtsbarkeit, nicht dagegen der Notariatsprozess! Dies ergibt sich aus<br />

den Materialien und aus Absatz 2 der Vorschrift von Art. 122 BV eindeutig. Gerade<br />

deswegen musste Art. 1 des Entwurfes der Bundeszivilprozessordnung umformuliert<br />

werden.<br />

Ein Eingriff in diese klare Kompetenzausscheidung ist grundsätzlich unzulässig, hat also<br />

keine verfassungsmässige Grundlage und kann nicht von der bestehenden Ordnung<br />

für die Beurkundung von letztwilligen Verfügungen abgeleitet werden, sondern ist<br />

grundsätzlich unannehmbar.<br />

Wenn es denn der gesetzgebenden Behörde darum gehen sollte, den Notariatsprozess<br />

zu vereinheitlichen, was dem erläuternden Bericht gerade nicht zu entnehmen ist,<br />

faktisch aber geschieht, wäre hiefür zunächst die verfassungsmässige Grundlage zu<br />

schaffen!<br />

1.3. Verfassungsmässige Kompetenzen<br />

Soweit der Gesetzesentwurf in den Notariatsprozess eingreift, ist er also nicht verfassungskonform.<br />

Das trifft für jene Normen zu, die das kantonale öffentliche Recht fest-<br />

4


legen, auch wenn es sich dabei nur um Minimalanforderungen handeln soll. Es sei an<br />

dieser Stelle hervorgehoben, dass es sich dabei keineswegs nur um eine Konsolidierung<br />

handeln kann, wie dies in der Zielsetzung feierlich erklärt wird. Vielmehr ist damit<br />

neues Recht geschaffen und es erfolgt eine Vereinheitlichung der anwendbaren Prozessnormen<br />

und der damit verbundenen Folgen ihrer Verletzung. Dabei sind die Verletzungsfolgen<br />

der Formvorschriften im Obligationenrecht grundsätzlich abschliessend<br />

geordnet und von der Lehre und Rechtssprechung differenziert konkretisiert (Art. 11 ff.<br />

OR). Es gibt keinen Grund, davon abzuweichen, aber auch keine Notwendigkeit, ergänzendes<br />

dazu zu kodifizieren.<br />

Der Hinweis, es handle sich nur um Minimalanforderungen, vermag nicht darüber hinweg<br />

zu täuschen, dass diese per se anwendbar sind und nicht nur stellvertretend für<br />

eine allenfalls fehlende oder lückenhafte kantonale Prozessordnung umgesetzt werden<br />

können. Dies hat, wie noch zu zeigen sein wird, weitreichende Konsequenzen, welche<br />

offensichtlich nicht bedacht worden sind.<br />

An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass die Gesetzesvorlage nicht nur organisatorische<br />

prozessrechtliche Vorschriften öffentlich-rechtlicher Natur zum Gegenstand hat,<br />

sondern auch materielles Prozessrecht, wofür die verfassungsmässige Grundlage<br />

ebenfalls fehlt.<br />

Grundsätzlich erschöpft sich die Bundeskompetenz in der Befugnis, die qualitativen<br />

Anforderungen an das Institut der öffentlichen Beurkundung zu normieren, wobei das<br />

Verfahren zur Herstellung der öffentlichen Urkunde Sache des kantonalen Prozessrechtes<br />

bleiben muss. Es ist einzuräumen, dass die Ausscheidung nicht überall leicht<br />

fällt. Das allein ist allerdings bereits ein deutliches Signal dafür, dass die Belange der<br />

Rechtssicherheit aufs Spiel gesetzt werden. Die an und für sich von der Bundesverfassung<br />

klar definierte Ausgangslage ist bei der vom SNV mit der Stiftung Schweizerisches<br />

Notariat ausgearbeiteten Norm des geltenden Artikel 55 a SchlT <strong>ZGB</strong> strikte<br />

respektiert worden. Der Gesetzesentwurf stellt hingegen alle dazu erarbeiteten Grundlagen<br />

und Erkenntnisse zur freien Disposition, wobei die vom Gesetzgeber selbst definierten<br />

Zielsetzungen entweder verfehlt oder weit übertroffen werden.<br />

5


1.4. Zur Konsolidierung und zur Rechtsfortentwicklung<br />

Die bundesgerichtliche Rechtssprechung respektiert erwartungsgemäss die Zuständigkeitsordnung<br />

der Bundesverfassung durchwegs und hat sich daher stets nur zu qualitativen<br />

Anforderungen an das Institut der Beurkundung geäussert, und zwar klar immer<br />

bezogen auf den Einzelfall. Von einer Entwicklung kann bezogen auf die jeweiligen<br />

einzelfallweise betrachteten Aspekte nicht wirklich gesprochen werden. Umgesetzt<br />

wurden vielmehr die Erkenntnisse der Lehre und Dogmatik und die an das Institut der<br />

öffentlichen Beurkundung zu stellenden verfassungsmässig begründeten Anforderungen.<br />

Ferner ist evident, dass im Rahmen strafrechtlicher Entscheidungen teilweise<br />

andere Aspekte im Vordergrund stehen als im Bereiche des Zivilrechtes, wobei allerdings<br />

die strafrechtliche Würdigung des Urkundswesen an die zivilrechtliche Ordnung<br />

gebunden ist. Dies hat auch der Gesetzgeber zu respektieren. Die vorgegebene Ordnung<br />

des Obligationenrechtes kann und darf nicht über den Schlusstitel zum <strong>ZGB</strong> abgeändert<br />

werden.<br />

Schliesslich ist die Rechtssprechung des Bundesgerichtes faktisch eine Anweisung an<br />

die Kantone und nicht eine solche an den Bundesgesetzgeber. Die aus der Rechtssprechung<br />

entwickelten Schranken der kantonalen Prozessvorschriften haben weitgehend<br />

verfassungsrang, so beispielsweise das Verbot der Vereitelung des Bundeszivilrechts<br />

durch formelle Prozessvorschriften. Die von Lehre und Praxis entwickelten<br />

Grundsätze bedürfen der Konsolidierung grundsätzlich nicht, sie sind die Konsolidierung<br />

selbst, die Konsolidierung der bestehenden rechtlichen Ordnung nämlich. Im Übrigen<br />

hat die „Konsolidierung“, die materiell eine Vereinheitlichung ist, ausschliesslich<br />

negative Folgen. Aufs Spiel gesetzt wird namentlich die Rechtssicherheit, und zwar in<br />

erheblichem Umfang.<br />

Es ist fraglich, ob der Begriff der Mindestanforderungen die Sache wirklich trifft. Die<br />

verfassungs- und bundesrechtskonforme Auslegung einzelner zentraler Prozessvorschriften<br />

wurde jeweilen gemessen am Einzelfall konkretisiert. Daraus kann kein Katalog<br />

von Mindestanforderungen an Prozessordnungen als Ganzes abgeleitet werden,<br />

weil er eben unvollständig nur einzelne Teilaspekte eines Ganzen erfasst und so gesehen<br />

kein kohärentes Ganzes sein kann. Zwangsläufig fehlt dem Entwurf die Kohärenz.<br />

6


Die sogenannten Mindestanforderungen sind Grundsätze, die der Gesetzgeber zu respektieren<br />

hat und nicht Grundsätze, die es zu normieren gilt.<br />

Vorerst ist aber hervorzuheben, dass eine „Konsolidierung“ nur dann Sinn machen<br />

kann, wenn es darum gehen müsste, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, um eben<br />

gestützt darauf eine Wirkung zu erzielen, was ganz allgemein jeder Anordnung des<br />

Gesetzgebers inne wohnt. Gänzlich unvorstellbar ist allerdings, was denn beispielsweise<br />

eine Mindestanforderung an eine genügende Ausbildung für Wirkungen erzielen<br />

soll. Sicher sind dazu nur die Folgen, nämlich Streitereien um Zulassung zum Notariatsberuf.<br />

Schliesslich ist festzustellen, dass es mittlerweile keine kantonalen Notariatsordnungen<br />

mehr gibt, welche solcher Mindestanforderungen bedürfen. Im Gegenteil sind ausnahmslos<br />

alle kantonalen Vorschriften deutlich ausführlicher als die nun vom Bundesgesetzgeber<br />

präsentierte Ordnung. Sie gehen deutlich weiter, unterscheiden namentlich<br />

zwischen Willens- und Sachbeurkundungen, was von erheblicher Bedeutung ist<br />

und was das Projekt nicht tut. Füglich lässt sich folgern, dass es absolut keine Notwendigkeit<br />

gibt, Mindestanforderungen zu kodifizieren. Die Kodifikation bliebe, so offenbar<br />

die Meinung im erläuternden Bericht, insofern folgenlos, möchte man aus dem<br />

Bericht folgern, es sei also nicht störend, wenn die kantonalen Ordnungen hinreichend<br />

seien. Gerade diese Meinung ist jedoch fatal falsch, weil die Kodifikation einen einheitlichen<br />

Massstab setzt, der umgesetzt werden muss.<br />

Überdies lässt sich auch nicht sagen, die Kodifikation von Mindestanforderungen diene<br />

der Klarheit. Das Gegenteil ist der Fall.<br />

Bisher konnte sich die bundesgerichtliche Rechtssprechung vornehmlich auf die Lehre<br />

abstützen und musste sich nicht mit den aktuell angepriesenen Mindestanforderungen<br />

befassen, weil es in der Kognition die Möglichkeit gab, Gesetzeslücken zu schliessen<br />

und kantonale Vorschriften verfassungskonform auszulegen, was unter Zuzug der Erkenntnisse<br />

der Lehre zu einer Konkretisierung einzelner tragender Grundsätze der<br />

Auslegung führen konnte. Daraus fliesst typischerweise die Schranke, dass eine kantonale<br />

Prozessordnung die Wirksamkeit des Bundeszivilrechtes nicht beeinträchtigen<br />

7


oder gar verunmöglichen darf. Wie schon erwähnt hat der Grundsatz verfassungsrang<br />

und bedarf der Legiferierung ganz und gar nicht.<br />

Wird nun aber in solchen Dingen legiferiert, bleibt das Bundesgericht an die neue Bundesgesetzgebung<br />

strikte gebunden, übrigens selbst dann, wenn die verfassungsmässige<br />

Grundlage fehlt. Für eine Interpretation ist kein Raum, auch nicht für die Rechtsfortbildung.<br />

Folgerichtig wird die Rechts-Fortentwicklung der gesetzlich geordneten Belange<br />

in der Rechtsanwendung derselben kein Thema mehr sein können. Das Thema<br />

wird sein, wie sich die neue Kodifikation versteht und welche Bedeutung der kantonalen<br />

Kodifikation überhaupt noch zukommt. Der Hinweis, die Rechts-Fortentwicklung<br />

bleibe offen, ist daher schlicht falsch.<br />

Mit der Kodifikation werden überdies in der Rechtsanwendung gravierende neue Probleme<br />

geschaffen, die es noch nie gab, indem sich regelmässig die Frage stellen wird,<br />

ob die Erfüllung der Mindestanforderungen bei gleichzeitiger Verletzung weiterreichender<br />

kantonaler Vorschriften überhaupt Folgen hat und wenn ja welche. Besonders<br />

schwerwiegend ist die vom Gesetzgeber selbst geschaffene Konfusion in der Frage<br />

der Nichtigkeit oder Ungültigkeit von öffentlichen Urkunden, unterschiedslos anwendbar<br />

auf Willens- und Sachbeurkundungen, zumal die bundesrechtliche Ordnung gerade<br />

nicht als nur subsidiär anwendbar deklariert wird. Dies bedeutet, dass die Verletzung<br />

kantonaler Prozessvorschriften nur noch disziplinarisch geahndet werden darf, wobei<br />

eine disziplinarische Ahndung der Verletzung kantonaler Prozessvorschriften in Erfüllung<br />

bundesrechtlicher Mindestanforderungen wohl gar nicht erfolgen kann. Dies bedeutet<br />

aber auch, dass spezialisierte kantonal geordnete Prozessverfahren unzulässig<br />

werden, notabene weil sie der Bundesgesetzgeber nicht kennt. Auch damit wird eine<br />

mögliche Rechts-Fortentwicklung in ihr Gegenteil verwandelt, in eine Nivellierung nach<br />

unten nämlich. Das Ganze widerspricht also der feierlichen selbstgesetzten Ziel- und<br />

Zwecksetzung des Bundesgesetzgebers vehement. Zu Ende gedacht wird es nur noch<br />

Mindestanforderungen geben.<br />

Füglich lässt sich folgern, dass die Kodifizierung von Mindestanforderungen weder<br />

notwendig noch zweckmässig ist und im Ergebnis nur Verwirrung und Unklarheit, damit<br />

verbunden Rechtsunsicherheit und Prozessflut verursachen wird.<br />

8


1.5. Gesetzessystematik<br />

Unter dem Titel Kodifizierung von Mindestanforderungen wurde der Vorlage ein gefälliges,<br />

gut geschminktes Auge aufgedrückt. Eigentlich wirkt der Vorspann zum erläuternden<br />

Bericht elegant logisch und aufgeschlossen, dem Institut des Notariates lieblich<br />

dienstbar. Allerdings trifft das Gegenteil zu.<br />

Abgesehen von den bis dahin im Grundsatz aufgezeigten negativen Folgen einer Kodifizierung<br />

gehört der Erlass aber auch nicht in die Schluss- und Übergangsbestimmungen<br />

des Zivilgesetzbuches. Ferner bleibt die Frage der Verordnungskompetenz zu den<br />

erlassenen Vorschriften unklar.<br />

Schliesslich ist zu rügen, dass bewährte Rechtsinstitute und bewährte Terminologie<br />

missachtet wird. Beispielsweise ist nicht auszumachen, was das „massgebende“ Archivexemplar<br />

der <strong>elektronisch</strong>en Urschrift sein soll. Auch wird da und dort nicht unterschieden<br />

zwischen dem Beurkundungsvorgang und dem Inhalt der öffentlichen Urkunde.<br />

Die Kodifikation bundesrechtlicher Minimalanforderungen an bestehende kantonalen<br />

Gesetzgebungen ist systematisch erstmalig. Es entsteht eine Konkurrenz von Normen<br />

unterschiedlicher Rangordnung, die ungeregelt ist. Mit den etablierten Auslegungsgrundsätzen<br />

der Rechtssprechung wird es nicht möglich sein, diese neuartige Konkurrenz<br />

aufzulösen. Es herrscht weder echte noch unechte Konkurrenz, eine neue Konkurrenzlehre<br />

muss erst entstehen. Damit verbunden werden zahllose Streitereien sein,<br />

die sich letztlich nicht ausräumen lassen. Die Rechtssicherheit ist so gut wie nicht mehr<br />

gewährleistet.<br />

1.6. Rechtssicherheit / Schutz der Urkundsparteien<br />

Es bedarf keiner weitergehenden Erläuterungen, dass die Rechtssicherheit durch den<br />

Erlass massiv leiden wird und der Schutz der Urkundsparteien eine Nivellierung nach<br />

unten erfährt.<br />

9


1.7. Zur e-Urschrift<br />

Der SNV hat mit der Stiftung Schweizerisches Notariat notabene im Auftrag des Bundesamtes<br />

für Justiz in eigenen Kosten sowohl bei den privatrechtlich organisierten<br />

Kantonen über deren Verbände als auch bei den Amtsnotariaten eine Umfrage zur Akzeptanz<br />

der <strong>elektronisch</strong>en Urschrift durchgeführt, ausgewertet und zur Verfügung gestellt.<br />

Der Zuspruch war mässig ausgefallen und es wurde klar, dass damit zugewartet<br />

werden sollte, bis die Auswertung des e-Geschäftsverkehrs mit Ausfertigungen zur<br />

Verfügung steht.<br />

Es wundert sehr, dass der Bundesgesetzgeber diese Umfrage veranlasst hat und nun<br />

im Widerspruch dazu die damit ermittelten Erkenntnisse im Gesetzgebungsprojekt<br />

übergeht und die e-Urschrift als Errungenschaft und Ausschöpfung bestehender technischer<br />

Ressourcen darstellt. Von besonderer Delikatesse ist dabei die Bemerkung, die<br />

bestehende Ordnung sei inkonsequent, die e-Urschrift also nur gerade eine Konsequenz,<br />

die es zwingend zu ziehen gelte.<br />

In der Sache ist vorerst festzustellen, dass der erläuternde Bericht im Argumentarium<br />

die e-Urschrift und den <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehr entweder verwechselt oder<br />

nicht auseinander hält. Die bisher allgemein formulierte Rüge, der Umgang mit der Gesetzessystematik<br />

gebe zu grossen Bedenken Anlass, trifft auch für den Umgang mit<br />

bewährter Terminologie zu! Sie ist hier besonders ungepflegt und gibt auch anderweitig<br />

zu Kritik Anlass.<br />

10


C. BESONDERER TEIL<br />

1. Zu Art. 55: Öffentliche Beurkundung, Begriff<br />

Die Legaldefinition entspricht der klassischen Umschreibung der öffentlichen Urkunde<br />

durch das Bundesgericht und ist insofern nicht zu beanstanden. Die Definition für sich<br />

allein gibt hingegen nichts her, was auf den qualitativen Inhalt schliessen liesse. Sie<br />

bestätigt lediglich die kantonale Kompetenz zum Erlass der notwendigen Prozessvorschriften.<br />

Gegenstand der öffentlichen Beurkundung können Willenserklärungen und Sachbeurkundungen<br />

sein. Den Sachbeurkundungen ist auch die Beglaubigung als Sonderkategorie<br />

zuzurechnen.<br />

Die bundesgerichtliche Rechtssprechung hat bereits in BGE 39 II 42 festgestellt, dass<br />

der Beglaubigungsvorgang von der in Erfüllung der bundesrechtlichen Anforderungen<br />

an die Haupturkunden vorzunehmenden öffentlichen Beurkundung zu unterscheiden<br />

ist. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass eine ganze Reihe von materiellen Prozessvorschriften<br />

unterschiedlich sein müssen und in allen kantonalen Prozessordnungen<br />

auch unterschiedlich sind. Nicht von ungefähr wurde daher im geltenden Art. 55 a<br />

SchlT <strong>ZGB</strong> sowie in Art. 1 der EÖBV zwischen den einzelnen Verfahrenskategorien<br />

unterschieden.<br />

Die vorgeschlagene Gesetzesrevision lässt diese Unterscheidung wegfallen, indem alles<br />

über eine Leiste geschlagen wird.<br />

Aus guten sachlichen und fachlichen Gründen unterscheiden also Lehre und Rechtssprechung<br />

aller modernen kantonalen Prozessgesetze zwischen Willens- und Sachbeurkundungen<br />

und legen für Feststellungsbeurkundungen namentlich in obligationsrechtlichen<br />

Beurkundungsprozessen besondere Verfahren fest. Auf diese Besonderheiten<br />

nimmt der Gesetzesentwurf keine Rücksicht. Dies wird im Verhältnis zu den bestehenden<br />

kantonalen Prozessordnungen, die nicht als lex spezialis aufgefasst werden<br />

können, in allen Belangen zu unheilbarer Konfusion und damit verbunden zu einer einschneidenden<br />

Gefahr für die Rechtssicherheit und zu einer Prozessflut führen. Dabei<br />

11


wird es der Rechtssprechung, die an die bundesrechtliche Kodifikation gebunden ist,<br />

nicht mehr möglich sein, einen Missstand oder eine Fehlentwicklung zu korrigieren. Die<br />

Simplifizierung ist unannehmbar.<br />

Das selbstgesetzte Ziel der Konsolidierung und Weiterentwicklung des Beurkundungsrechtes<br />

wird nicht nur verfehlt, sondern zunichte gemacht und in sein Gegenteil verwandelt,<br />

in einen unheilbaren Rückschritt nämlich.<br />

Im Übrigen wird deutlich, dass sich der Entwurf trotz der in der Zahl ansprechenden<br />

Menge an Quellenhinweisen weder mit der Praxis noch mit der Lehre wirklich auseinandergesetzt<br />

hat, wobei der Bericht an mehreren Stellen vom Gesetzestext nicht gedeckt<br />

ist und sogar Quellenangaben falsch widergegeben werden.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift bewirkt eine unsachliche Gleichbehandlung verschiedenster<br />

Sachverhalte.<br />

2. Art. 55 a: Vorschriften der Kantone<br />

Die systematisch ungeordnete und undurchsichtige Konkurrenz eidgenössischer und<br />

kantonaler materieller Prozessvorschriften, die durch die Vorlage erst entsteht, führt,<br />

wie im allgemeinen Teil schon deutlich gemacht, im Ergebnis dazu, dass die Bestimmung<br />

von neu Art. 55 a den Bestand der förderalistischen Ordnung zu bestätigen<br />

scheint und vorspielt, während die Vorlage als Ganzes diese grundsätzlich verfassungsmässig<br />

vorgegebene und bewährte Struktur in ihr Gegenteil verkehrt. Eine Konsolidierung<br />

des Beurkundungsrechts liesse sich nur durch eine Harmonisierung der<br />

einzelnen Prozessverfahren erreichen. Das bedeutet, dass kein Weg daran vorbeiführen<br />

wird, vorerst eine verfassungsmässige Grundlage zu schaffen.<br />

Im Übrigen ist in Erinnerung zu rufen, dass sich alle modernisierten kantonalen Prozessordnungen<br />

an der konsolidierten Lehre und Rechtssprechung orientieren und der<br />

bundesrechtlichen Hilfestellung im vorgeschlagenen Sinne grundsätzlich nicht bedürfen.<br />

Dies erklärt, dass der vorgeschlagene Entwurf weder geboten noch notwendig und<br />

zweckmässig ist und das Beurkundungsrecht durch eine Nivellierung nach rückwärts<br />

12


und nach unten in seine Zeiten der Anfänge zurückgeführt wird, wobei der aktuelle<br />

Stand nicht mehr entwickelt werden kann, namentlich nicht über die Lehre und Rechtssprechung.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift täuscht vor, die Gesetzgebungskompetenz der Kantone bleibe<br />

erhalten. In Wirklichkeit setzen die „Mindestanforderungen“ die bewährte<br />

Kompetenzausscheidung ausser Kraft.<br />

3. Art. 55 b: Ausbildung der Urkundspersonen<br />

In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre wird das Erfordernis einer hinreichenden<br />

Ausbildung in die Relation zur Rechtsbelehrungspflicht gesetzt. Allerdings wird<br />

nicht ersichtlich, auf welcher Stufe die Vorschrift umgesetzt werden sollte. Ob sie überhaupt<br />

notwendig und zweckmässig in dem Sinne ist, als es Kantone gibt, die keine<br />

ausreichende Ausbildung für die Berufsausübung verlangen, bleibe an dieser Stelle<br />

unbeantwortet. Dies hängt davon ab, wie man das Erfordernis der hinreichenden Ausbildung<br />

inhaltlich ausfüllen will und wie sich die Rechtsbelehrungspflicht umfangmässig<br />

verstehen lässt. Das Ziel einer Konsolidierung des geltenden Beurkundungsrechtes<br />

kann so jedenfalls nicht erreicht werden.<br />

Die von der Lehre angezogene Verbesserung der Qualität des Notariates, die durchwegs<br />

ihre Früchte getragen hat, wird damit regelrecht vernichtet, indem eine Nivellierung<br />

nach unten und eine Rückwärtsentwicklung eingeleitet wird, weil sich das Erfordernis<br />

der hinreichenden Ausbildung als Minimalanforderung nur am Vereitelungsverbot<br />

des Bundeszivilrechtes orientieren kann.<br />

Dies vermag auch der erläuternde Bericht nicht zu beschönigen, wird doch lapidar<br />

festgestellt, eine universitäre Ausbildung sei als Mindestanforderung nicht vorausgesetzt,<br />

was nur auf einer marginalen Bedeutung der Rechtsbelehrungspflicht gründen<br />

kann.<br />

13


Diese Tendenz der Nivellierung nach unten, die zwangsläufig allen Mindestanforderungen<br />

anhaftet, ist äusserst bedenklich und steht im eklatanten Widerspruch zur geltenden<br />

Rechtswirklichkeit.<br />

Die da und dort im Übrigen als rückständig apostrophierten Kantone mit Amtsnotariat<br />

(rein oder auch nur im Grundbuchwesen) haben sich längst unter der Federführung<br />

des Kantons Zürich zusammengeschlossen, wo eine fachspezifische universitäre Ausbildung<br />

angeboten und rege genutzt wird. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass das Notariatsinspektorat<br />

des Kantons Zürich nicht nur in Fragen der Ausbildung mit dem Verband<br />

bernischer Notare eng zusammenarbeitet; als Vorbild übernommen wurden eine<br />

Reihe von Vertragskonstellationen und Vertragsinhalten, die die lateinische notarielle<br />

Praxis entwickelt hat.<br />

Überdies dokumentiert die Nivellierung nach unten ein fehlgeleitetes Verständnis der<br />

Funktion des Notariates, indem indirekt der standardisierten, auf e-Träger gestützten<br />

und automatisch in die Register eingepflegten Datenübermittlung das Wort geredet<br />

wird, die das Notariat als störenden Wegbegleiter auffassen lässt, der letztlich abgeschafft<br />

werden sollte, sobald das technische und handwerkliche Instrument dies erlaubt<br />

und alle Urkunden standardisiert sind. Dabei ist eine Standardisierung gerade im<br />

Grundbuchwesen nur ganz ausnahmsweise überhaupt möglich.<br />

Diese Tendenz der Standardisierung ist klar in der nun ebenfalls vorgeschlagenen Revision<br />

des Obligationenrechtes erkennbar und führt dort genau wie beschrieben zur<br />

Abschaffung der Beurkundungsbedürftigkeit, was aus Gründen der Rechtssicherheit<br />

und der inhaltlichen Bestätigung und Förderung der notariellen Lehre und Praxis nicht<br />

geschehen darf. Das Ganze entspringt einem mangelnden Respekt vor der wirtschaftlichen<br />

Bedeutung der Rechtssicherheit und dem Institut der öffentlichen Beurkundung,<br />

wobei zu unterstreichen ist, dass abstrakt zum Ausdruck gebracht technische Möglichkeiten<br />

kein Ansatzpunkt sind, diese hohen Werte fallen zu lassen. Das Notariat ist so<br />

nicht mehr Rechtspflege, sondern nur noch die überflüssige Ausführung des Selbstverständlichen,<br />

selbstredend ein von der Informatik geleiteter Prozess, der keiner Begleitung<br />

bedarf, auch keiner Rechtsbelehrung, Informatiklösungen sind schliesslich selbsterklärend.<br />

14


Der SNV lehnt in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre und Rechtssprechung<br />

und seinen klar definierten politischen Zielsetzungen die beschriebenen Tendenzen<br />

vehement ab. Die Idee, Mindestanforderungen dekredieren zu wollen, erweist sich<br />

grundsätzlich als eine schlechte. Die Vorschrift entbehrt aber auch der verfassungsmässigen<br />

Grundlage. Die Ausbildung der Notarinnen und Notare, die unbesehen der<br />

Organisationsform der kantonalen Notariate eine hoheitliche Funktion ausüben, ist<br />

nicht einmal Gegenstand des Notariatsprozesses, sondern des materiellen öffentlichen<br />

Rechts der Kantone schlechthin(!). Diese flagrante Respektlosigkeit vor dem Verfassungsgesetzgeber<br />

und den Kantonen ist unannehmbar.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift verstösst gegen die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung<br />

und hat eine starke Nivellierung nach unten zur Folge.<br />

4. Art. 55 c: Öffentliche Urkunden in fremder Sprache<br />

Der Vorschlag übernimmt im Anschein den Wortlaut von Absatz 2 des gegenwärtig gültigen<br />

Art. 55 SchlT <strong>ZGB</strong>. Hingegen werden neu nicht nur ordnende Vorschriften zur<br />

Beurkundung in fremder Sprache verlangt, sondern fremdsprachige Urkunden, seien<br />

sie nun auf Papier oder „immaterialisiert“. In den Erläuterungen wird dazu der Eindruck<br />

erweckt, die Vorschrift sei eine Konsolidierung der herrschenden Lehre.<br />

Die herrschende Lehre ist in Tat und Wahrheit in etwa zweigeteilt, wobei eine qualitative<br />

Bewertung der Standpunkte hier klar unterbleiben muss. Die erläuternde Berichterstattung<br />

favorisiert indessen eine der beiden Lehrmeinungen und lässt die andere<br />

gänzlich unerwähnt.<br />

Damit wird das selbstgesetzte Mass der Konsolidierung von Mindestanforderungen klar<br />

verletzt und die Vorlage arbiträr. Im Übrigen will damit der Gesetzgeber kodifizieren,<br />

was die Rechtssprechung noch gar nie bestätigt hat und worüber sich die Dogmatik<br />

uneinig ist, notabene ohne die Folgen der Neuheit auch nur zu erwägen.<br />

Das Bundesgericht hat dazu – freilich im Zusammenhang mit dem Liegenschaftenhandel<br />

und nicht mit der Sprachregelung, sondern mit der Freizügigkeit der öffentlichen<br />

15


Beurkundung – entschieden, das Bedürfnis der Verkehrssicherheit und der Schutz der<br />

Parteien gegen die Abfassung von ungenauen und unklaren sowie den öffentlichen<br />

Verhältnissen zuwiderlaufenden Verträgen wiege stärker als die schweizweite Freizügigkeit<br />

der öffentlichen Urkunde und hat damit die herkömmlich geltende Einschränkung<br />

der Freizügigkeit in Grundbuchsachen bestätigt (BGE 113 II 50, Erw. 3a).<br />

Die Kriterien der Beurteilung und Gewichtung sind in der Sprachenfrage zweifelsfrei die<br />

gleichen. Hingegen geht es nicht ausschliesslich um den Schutz der Parteien schlechthin,<br />

sondern ebenso um die Rechtssicherheit.<br />

Der erläuternde Bericht meint nicht nur, für die Anwendung der Amtssprachen sein<br />

kein Raum, sondern geht sogar über die Anwendung der Landessprachen hinaus. So<br />

verstanden müssten die Urkundspersonen auch befähigt sein, in einer anderen Sprache<br />

zu beurkunden, namentlich auch in einer Sprache, die unsere Rechtskultur gar<br />

nicht kennt. Ob das der Genauigkeit und Klarheit der Rechtssicherheit und dem Schutz<br />

der Parteien zu dienen geeignet ist, darf füglich in Zweifel gezogen werden.<br />

Die Forderung nach Zulassung der Sprachenvielfalt übersieht ferner, dass ein Vertrag<br />

nicht nur die Willensübereinstimmung der Vertragsparteien zu dokumentieren hat, die,<br />

falls sie überhaupt die gleiche fremde Sprache sprechen, sich in ihrer Sprache sicher<br />

besser verstehen als in der ihnen unbekannten Amtssprache. Zu beachten ist, dass<br />

auch die Urkundsperson die Sprache beherrschen müsste, weil sie anders ihren<br />

Rechtsbelehrungspflichten nicht nachkommen kann und gegebenenfalls die Übertragung<br />

des Vertrages ins Grundbuch fehlerhaft ausfällt. Auch hier geht man davon aus,<br />

die Parteien bedürften der Mitwirkung der Urkundsperson eigentlich gar nicht.<br />

Konsequenterweise müsste mit der Sprachenfreiheit auch verlangt werden, dass die<br />

Grundbücher und Handelsregister mehrsprachig geführt werden. Dass das Ganze eine<br />

erhebliche Verminderung der Rechtssicherheit und Erhöhung des Haftungsrisikos zur<br />

Folge haben müsste, ist evident, aber auch der Aufwand für die Ausbildung sprachkundigen<br />

Personals ist zu berücksichtigen. Es leidet also die Verkehrssicherheit und<br />

die Rechtssicherheit erheblich.<br />

16


Die Kantone stellen die Verständlichkeit der öffentlichen Urkunde in der Regel durch<br />

Beizug eines Übersetzers sicher. Damit ist der Sprachenvielfalt Genüge getan. Die<br />

Vereitelung der Durchsetzung des Bundeszivilrechtes steht bei richtiger Betrachtungsweise<br />

in dieser Frage nicht zur Diskussion. Mit anderen Worten genügt die konsolidierte<br />

Lehre und Rechtssprechung und die vorgeschlagene gesetzliche Ordnung geht weit<br />

über eine gefestigte Minimalanforderung hinaus.<br />

Nach Massgabe des Berichtes soll eine nicht fremdsprachig abgefasste Urkunde, die<br />

von den Parteien nicht verstanden worden ist, automatisch zur Formnichtigkeit führen.<br />

Gemäss Art. 55 l des Gesetzesentwurfes ist die Formnichtigkeit allerdings in Abs. 2 nur<br />

vorgesehen, wenn eine Bestimmung des neuen Gesetzes selbst verletzt ist. Verletzt<br />

also eine Urkundsperson eine kantonalrechtliche Sprachenregelung, tritt die bundesrechtliche<br />

Sanktion nicht ein. Der Kohärenzmangel ist offenkundig.<br />

Im Übrigen ist die Sanktionsfolge der Verletzung kantonaler Formvorschriften in der<br />

Sprachregelung bei der Übersetzung von letztwilligen Verfügungen heute schon ein aktuelles<br />

Thema der Rechtssprechung und in der Lehre umstritten. (Piotet, La motion fédérale<br />

de l’acte authentique à l’épreuve de la doctrine, Festschrift J.M. Grossen, Basel,<br />

1992, Note 39).<br />

Diese auf die bundesrechtlichen Formvorschriften der letztwilligen Verfügungen beschränkten<br />

Unsicherheiten, Unklarheiten und Streitigkeiten werden nun mit dem Gesetzesentwurf<br />

auf alle Urkundentypen ausgedehnt, notabene auch auf Sachbeurkundungen!<br />

Die Vorschrift verlangt schliesslich, wie mehrfach erwähnt, nicht nur die Niederlegung<br />

der Urschrift in fremder Sprache, sondern lässt den praktisch häufigsten Fall der mündlichen<br />

Übersetzung der in der Amtssprache verfassten Urkunde unerwähnt und als unzulässig<br />

erscheinen. Materiell kann es hingegen immer nur darum gehen, dass die<br />

Vertragsparteien nicht „nur“ einen übereinstimmenden Willen äussern, sondern auch<br />

darin, dass die Urkundsperson diesen versteht und in der Urkunde widergibt (Kognition).<br />

Die Regelung schafft eine ganz neue Dimension von Unklarheiten und Konfusionen<br />

und erschwert die notarielle Praxis und die Grundbuchpraxis erheblich.<br />

17


Ferner bleibt der praktisch häufigste Fall, da nicht beide Parteien die gleiche Sprache<br />

sprechen, unerwähnt. Die Sprachenfreiheit, verstanden als Rechtsanspruch der Urkundspartei,<br />

ist kein von der Notariatsordnung zu schützendes Rechtsgut und dient<br />

insbesondere nicht dem Schutz der Partei, sondern sichert den Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör, der auch in der streitigen Gerichtsbarkeit mittels Übersetzern sichergestellt<br />

wird.<br />

Die korrekte mündliche Übersetzung und Erläuterung des Vertragsinhaltes, wie sie<br />

heute üblich und Praxis ist und nun nicht mehr erlaubt sein soll, ist im Vergleich zur<br />

Niederlegung der Urschrift in fremder Sprache nicht minderwertig. Auf die streitige Gerichtsbarkeit<br />

übertragen entspricht die Vorschrift der Abschaffung der Gerichtssprache,<br />

was undenkbar ist.<br />

Schliesslich werden die Urkundspersonen und die Registerführung einem empfindlichen<br />

Haftungsrisiko ausgesetzt; niemandem käme es in den Sinn, gerichtsprotokolle in<br />

fremder Sprache abzufassen.<br />

Fazit:<br />

Die gegenwärtige Ordnung ist für die Gerichtsbarkeit ganz allgemein etabliert<br />

und genügend. Der Prozess der Kognition wird minimalisiert, der Schutz der<br />

Urkundsparteien geschmälert und die Rechtssicherheit aufs Spiel gesetzt.<br />

5. Art. 55 d: Urkundspflicht<br />

Es überrascht, im Bundeszivilrecht eine Vorschrift zu finden, die zur Ausübung eines<br />

öffentlichen Amtes verpflichtet. Bezogen auf die streitige Gerichtsbarkeit ist das Korrelat<br />

dazu die bundeszivilrechtlich angeordnete Verpflichtung des Zivil(!)-Richters zur<br />

Durchführung eines Verfahrens und zur Fällung eines Urteils. Daraus wird deutlich,<br />

dass sich die Urkundspflicht auf das Verbot der Rechtsverweigerung zurückführt und in<br />

diesem Lichte eben gerade nicht das Korrelat zum Urkundsmonopol ist, wenn das Urkundsmonopol<br />

denn überhaupt ein Monopol im Rechtssinne ist, was bei richtiger Betrachtungsweise<br />

auch nicht zutrifft. Der Vorschrift fehlt also die verfassungsmässige<br />

Grundlage. Die Idee, die Pflichten von Amtsträgern bundeszivilrechtlich zu kodifizieren,<br />

ist in der Systematik des Gesetzes ohne Beispiel.<br />

18


Im Rahmen der selbsterklärten Kodifizierung von Mindestanforderungen ist zu sehen,<br />

dass es sich nur darum handeln kann, dem Verbot der Vereitelung des Bundeszivilrechtes<br />

Ausdruck zu verleihen. Davon leitet sich der verfassungsmässig verankerte<br />

Grundsatz ab, dass die Kantone eine taugliche Prozessorganisation zur Verfügung zu<br />

stellen und zu betreiben haben, mehr nicht, aber auch weniger nicht. Eine direkte Verpflichtung<br />

der Urkundsperson ist im Verhältnis zu den Kantonen nicht Gegenstand des<br />

Grundsatzes und muss im Einzelfall auch nicht bestehen.<br />

Richtig verstanden hat die Urkundspflicht als Konkretisierung Rechtsverweigerungsverbotes,<br />

wie bereits erwähnt, verfassungsrang. Deren Kodifikation ist nicht notwendig<br />

und im Schlusstitel besonders unangebracht.<br />

Mit Absatz 2 überschreitet die Vorschrift den Rahmen der Minimalanforderungen deutlich<br />

und greift in das materielle Prozessrecht ein. Die fehlerhaft aufgefasste Urkundspflicht<br />

soll als korrelat eines Monopols aus wichtigen Gründen nicht spielen. Die Vorschrift<br />

statuiert aber keine Pflicht, sondern nur eine Möglichkeit, die Beurkundung abzulehnen.<br />

Ob es sich dabei nur um eine ungepflegte Verwendung der rechtlichen Terminologie<br />

handelt, bleibe dahingestellt und muss dahingestellt bleiben, weil sich aus<br />

dem Gesetzestext eine Pflicht definitiv nicht ableiten lässt, auch wenn der Bericht davon<br />

handelt und so täuschend ist.<br />

Die Verwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen in Prozessordnungen ist mehr als<br />

fragwürdig.<br />

Fürs erste möchte man meinen, die Vorschrift sei eigentlich ohne besondere Bedeutung.<br />

Dies aber wäre ein fataler Irrtum mit weitreichenden Konsequenzen.<br />

Dem Bericht zum Vorentwurf, aber nicht dem Text der Vorschrift, entnimmt sich, dass<br />

mit der fakultativen Ablehnung der Beurkundung aus wichtigen Gründen auch die Ausstandspflicht<br />

mit umfasst sein soll. Dies ist eine folgenschwere Verknüpfung zweier<br />

vollständig unterschiedlicher Dinge. Die Urkundspflicht respektive deren Ausnahmeregelung<br />

wird mit dem Katalog der Ausstandspflichten verknüpft. Die Ausstandspflichten<br />

19


leiten sich aber nicht vom Rechtsverweigerungsverbot ab, sondern sichern die Unabhängigkeit<br />

und Unparteilichkeit der Justiz.<br />

Die überall kantonalrechtlich konkret und abschliessend kodifizierten Ausstandsgründe,<br />

die den verfassungsmässig garantierten Anspruch des Rechtsunterworfenen auf Unparteilichkeit<br />

und Unabhängigkeit sicherstellen sollen, werden durch die nur fakultativ<br />

ausgestaltete „Ablehnungspflicht“ illusorisch gemacht. Zum Hauptthema wird stattdessen<br />

die Frage, wie der unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes einheitlich zu<br />

konkretisieren ist und ob die kantonalrechtlichen Vorschriften, die die bundesrechtlichen<br />

Vorschriften überschiessen, überhaupt eingefordert werden können.<br />

Damit wird die kantonal-rechtlich korrekt gesicherte Verfassungsmässigkeit des Verfahrens,<br />

welche regelmässig durch klare und abschliessende Definition der Ausstandsgründe<br />

garantiert wird, zur Farce. Die Verletzung einer mit Nichtigkeitsfolge belegten<br />

kantonalen Formvorschrift wird zum fakultativen Dispens von der Urkundspflicht.<br />

Fazit:<br />

Die kantonalrechtlich ohne jede Ausnahme bereits heute sichergestellte<br />

Wahrung der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Justiz wird mit Abs. 2<br />

der Vorschrift aufgelöst.<br />

6. Art. 55 e: Rechtsbelehrungspflicht<br />

Der Bestand der Rechtsbelehrungspflicht ist nicht in Frage zu stellen. Hingegen ist der<br />

Inhalt der Pflicht in den diversen kantonalen Prozessvorschriften unterschiedlich umfassend<br />

konkretisiert und in der Lehre und Praxis auch noch nicht konsolidiert.<br />

Die Rechtsbelehrungspflicht wird überdies erheblich eingeschränkt, nämlich auf die<br />

Form, den Inhalt und die rechtlichen Wirkungen der Urkunde. Sie hat somit keine konkretisierende<br />

Wirkung, konsolidiert nichts, sondern schränkt eben ein. Es ist damit weder<br />

der Wissenschaft noch der Rechtssprechung geholfen. Die Tragweite, welche der<br />

Rechtsbelehrungspflicht zugeordnet wird, ist kantonal überdies unterschiedlich ausgeprägt,<br />

namentlich weil damit eine Staatshaftung begründet wird, welche die einen befürworten,<br />

weil sie die Qualität der notariellen Dienstleistung fördern wollen, die ande-<br />

20


en ablehnen, weil sie sich nicht ohne Not einer Verantwortlichkeit aussetzen wollen. In<br />

der Praxis geht die Rechtsbelehrung indessen vielerorts deutlich weiter und beschlägt<br />

auch öffentlich-rechtliche Verhältnisse, die über die Besteuerung der Transaktion weit<br />

hinaus gehen und vor allem das, was der Bericht geringschätzig nicht dem Notariat zuordnen<br />

will, die Rechtsberatung. Sie ist geradezu von zentraler Bedeutung.<br />

Wenn im Bericht zum Vorentwurf als Beispiel die Rechtsbelehrung über die steuerlichen<br />

Folgen eines Vertragsschlusses oder die Erörterung der damit verbundenen Vorund<br />

Nachteile angesprochen werden, so entspricht dies dem Dienstleistungsangebot<br />

des lateinischen Notariates, und dazu gehört auch die konzeptionelle Beratung. Der mit<br />

der Vorschrift allerdings klar verbundene Zwang, einen schweizweit einheitlichen Nenner<br />

anwenden zu müssen, namentlich was die Konsequenzen der Verletzung der<br />

Rechtsbelehrungspflicht betrifft, kann nur eine Nivellierung nach unten zur Folge haben<br />

und ist für die meisten Kantone faktisch und rechtlich ein grosser Rückschritt.<br />

Gänzlich illusorisch ist die Rechtsbelehrungspflicht bei Verträgen, die der Urkundsperson<br />

vorgelegt werden und auf deren Inhalte sie nach dem Willen der Parteien keinen<br />

Einfluss nehmen soll. Das im Bericht erwähnte Beispiel, die Urkundsperson habe die<br />

Beurkundung abzulehnen, wenn sich die Urkundspartei nicht belehren lasse, widerspricht<br />

im Übrigen der Vorschrift von Art. 55 d, wonach dies nur eine Ablehnungsmöglichkeit<br />

sein soll. Der Kohärenzmangel ist offensichtlich.<br />

Fazit:<br />

Der kodifizierte Umfang der Rechtsbelehrungspflicht ordnet ganz direkt die<br />

Haftung der Kantone und liegt gänzlich ausserhalb der Kompetenz des Bundes.<br />

Die Haftungsordnung schränkt die Entwicklung faktisch ein und führt zu<br />

einer Nivellierung nach unten.<br />

7. Art. 55 f: Unparteilichkeit<br />

Wie bereits festgestellt hat die Pflicht zur Wahrung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit<br />

ebenfalls verfassungsrang. Eine entsprechende Bestimmung auf Gesetzesebene<br />

ist nicht nur nicht notwendig, sondern macht generell nur dann Sinn, wenn sie<br />

eine eigenständige Bedeutung haben kann. Das trifft hier klar nicht zu. Absatz 2 ordnet<br />

21


unter dem Titel aber nicht die Unparteilichkeit selbst, sondern materiell Ausstandsgründe.<br />

Hiefür bedient sich der Entwurf gleich mehrerer unbestimmter Rechtsbegriffe, was unannehmbar<br />

ist. Dem gegenüber ordnen die kantonalen Vorschriften die Ausstandsgründe,<br />

namentlich jene der Beteiligung nahestehender Personen, detailliert und abschliessend.<br />

Die Formulierung „nahestehende Personen“ und „Beteiligte“ sind für sich<br />

allein unklar und entsprechend unsicher, ja sogar obskur.<br />

Die geltenden kantonalen Prozessordnungen verstehen darunter Urkunden, an denen<br />

die Urkundsperson direkt oder indirekt beteiligt ist, sei es verwandtschaftlich oder bei<br />

Gesellschaften als Organ oder Beteiligte. Diese Ausstandsgründe werden jeweilen abschliessend<br />

dekrediert und sind deshalb klar messbar und überprüfbar und die an die<br />

Verletzung der Ausstandsvorschriften anzuknüpfenden Rechtsfolgen diskussionslos<br />

anwendbar. Diese Vorzüge werden preisgegeben, die Klarheit wird aufgelöst, was besonders<br />

in Relation zur rigiden Ordnung von Art. 55 l über das „nicht entstehen“ der<br />

Urkunde schwer wiegt.<br />

Überdies sind die Ausstandsgründe unterschiedslos auf Willens- und Sachbeurkundungen<br />

anwendbar.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift konsolidiert nichts, sondern eröffnet Anwendungsschwierigkeiten,<br />

die es noch zu keiner Zeit gegeben hat. Gerade damit ist die Verkehrsund<br />

Rechtssicherheit, vor allem in Anbetracht von Art. 55 l, in hohem Masse<br />

gefährdet und der Schutz der Rechtsunterworfenen massiv reduziert.<br />

8. Art. 55 g: Wahrheitspflicht<br />

Die Urkundsperson beurkundet wahrheitsgetreu. Gemeint ist damit eine Eigenschaft<br />

der Urkundsperson und nicht eine Tätigkeit. Die Urkundsperson ist aber im Rahmen<br />

einer Protokollierung verpflichtet, Feststellungen der erklärenden Personen zu beurkunden,<br />

von denen sie ganz genau weiss, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen.<br />

Das verschweigt der Bericht zum Vorentwurf zwar nicht. Hingegen geht der Bericht<br />

22


über den Wortlaut hinaus, indem Beispiele genannt werden, die den Sachbeurkundungen<br />

zuzurechnen sind, also eben Protokolle, wobei der Gesetzesentwurf eine unterschiedliche<br />

Würdigung von Willens- und Sachbeurkundungen nicht nur nicht vorsieht,<br />

sondern schlicht unmöglich macht. Die simple alleinstehende Feststellung, die Urkundsperson<br />

möge sich befleissigen, wahrheitsgetreu und klar zu beurkunden, wäre<br />

füglich klarer.<br />

Die kantonalen Vorschriften im Bereiche der Abfassung und Darstellung von öffentlichen<br />

Urkunden sind vielerorts sehr umfangreich und namentlich hinsichtlich der Bezeichnung<br />

der Parteien, der Vertragsverhältnisse oder der Grundstückbeschreibungen<br />

detailliert. Die da und dort als überspitzt formalistisch bezeichneten Vorschriften haben<br />

ausnahmslos die Sicherheit und Klarheit im Fokus. In ganz besonders gravierenden<br />

Fällen müsste es daher im Ergebnis auch möglich bleiben, die kumulierte Verletzung<br />

solcher Vorschriften mit Nichtigkeitsfolge zu belegen. Dies schliesst der vorgeschlagene<br />

Entwurf namentlich mit Blick auf die einschränkende Fassung von Art. 55 l gänzlich<br />

aus.<br />

Fazit:<br />

Die undifferenzierte Behandlung der Wahrheitspflicht hat untragbare Folgen.<br />

9. Art. 55 h: Schweigepflicht<br />

Mit Schweigepflicht wird eine neue Variante des Berufsgeheimnisses (das Amtsverhältnis<br />

darf hier gar nicht geordnet werden!) in einer neuen Variante aufgelegt.<br />

Vorerst ist in Erinnerung zu rufen, dass die Gerichtsbarkeit gar kein einheitliches Berufsgeheimnis<br />

kennt. Während der Anwalt an ein umfassendes Berufsgeheimnis gebunden<br />

ist, hat sich die Schweigepflicht der Gerichtsbedienung am Amtsgeheimnis zu<br />

orientieren. Diese fundamentale Unterscheidung zwischen Berufs- und Amtsgeheimnis<br />

liegt auch der strafrechtlichen Sanktionsordnung zu Grunde und wird hier einfach überspielt.<br />

Dies zeigt sich an den Bestimmungen von Absatz 2 der Vorschrift deutlich. Gemäss<br />

Abs. 2 Ziffer 1 können die Urkundsparteien die Urkundsperson von der Schweigepflicht<br />

23


(recte Berufsgeheimnis) entbinden. Das können sie sehr wohl gegenüber einem freiberuflich<br />

tätigen Notar mit Rechtswirkung tun (Art. 321 StGB). Wirkungslos und ausgeschlossen<br />

bleibt aber die Entbindung von der Schweigepflicht gegenüber einem Amtsnotar.<br />

Notwendig ist hiefür zwingend die Entbindung vom Amtsgeheimnis durch die dazu<br />

per Gesetz legitimierte vorgesetzte Behörde. Die Entbindung durch die Parteien<br />

kann gegebenenfalls rechtfertigend sein, mehr aber nicht. Ebenso vermöchte die Einwilligung<br />

der vorgesetzten Behörde aber die freiberuflich tätige Urkundsperson nicht<br />

wirksam von der Schweigepflicht zu entbinden.<br />

Schliesslich liegt die Gesetzgebungskompetenz zur Festsetzung von Amtspflichten und<br />

Verantwortlichkeiten zwischen dem Rechtsunterworfenen und den kommunalen und<br />

kantonalen Amtspersonen und anderen Trägern öffentlich-rechtlicher Aufgaben (so<br />

eben auch das freiberuflich organisierte Notariat) gänzlich ausserhalb der Bundeskompetenz<br />

im Bereiche des Zivilrechtes. Es käme wohl niemandem in den Sinn, die Amtspflichten<br />

der (Zivil!) Richter zu ordnen, schon gar nicht im Schlusstitel des <strong>ZGB</strong>. Wenn<br />

denn Anlass zu gesetzgeberischer Entfaltung gesucht wird, dann ist auch die eingeschlagene<br />

Richtung unglücklich, wenn man die Entwicklung des Rechtes in der streitigen<br />

Gerichtsbarkeit zum Vorbild nimmt; es wird auf Art. 13 BGFA verwiesen.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift ist verfassungs- und bundesrechtswidrig.<br />

10. Art. 55 i: Hauptverfahren, Beurkundungsvorgang<br />

Dem Randtitel der Bestimmung folgend ist diese nur bei rechtsgeschäftlichen Beurkundungen<br />

anzuwenden. Der Begriff der rechtsgeschäftlichen Beurkundung ist gemessen<br />

an dem, was der Bericht erläutert, nicht wirklich verständlich oder klar. Wenn damit<br />

Willensbeurkundungen gemeint sein sollen, ist in Erinnerung zu rufen, dass die<br />

Schuldbrieferrichtung als rechtsgeschäftliche Beurkundung zu qualifizieren ist. Sie<br />

muss also der ordentlichen repräsentierten Grundpfandgläubigerin vorgelesen oder zu<br />

lesen gegeben werden, notabene in Anwesenheit der Urkundsperson, überdies simultan,<br />

weil die generelle Dispensation der Grundpfandgläubigerin kein wichtiger Grund im<br />

Sinne von Art. 55 j sein kann!<br />

24


Damit werden alle anderen im Schuldbriefrecht bekannten Beurkundungsprozesse unzulässig,<br />

welche von der Mitwirkung der Grundpfandgläubigerin im EGz<strong>ZGB</strong> gänzlich<br />

dispensieren oder der von der Lehre entwickelten Konstellation des zweiseitigen<br />

Rechtsgeschäftes ohne Mitwirkungspflicht des Begünstigten folgen, unzulässig, weil<br />

sie gegen eine bundesrechtlich kodifizierte Mindestanforderung verstossen. Dies<br />

scheint der Gesetzgeber nicht berücksichtigen zu wollen, obschon Art. 13 OR dies vorgibt.<br />

Demgegenüber ist die Verknüpfung des Formzwanges mit der Anwesenheit des<br />

Grundpfandgläubigers zum Zeitpunkt der Beurkundung nicht zu rechtfertigen (Brückner,<br />

Schweizerisches Beurkundungsrecht, § 83, N 2068).<br />

Die in den verschiedenen Notariatssystemen da und dort noch mit harten Bandagen<br />

verteidigten Prozesse der Kognition durch Selbstlesung oder Vorlesung werden als<br />

gleichwertig nebeneinander gestellt, ohne Prioritäten festzulegen und insbesondere<br />

nicht zu bestimmen, ob es sich dabei um eine Wahlfreiheit der Parteien oder der kantonalen<br />

Prozessordnungen handelt; mehr noch, es stellt sich die Frage, ob die zwingende<br />

bundesrechtliche Prozessordnung für letztwillige Verfügungen noch gelten kann<br />

oder nicht, indem die Selbstlesung und die Vorlesung dort einander nicht alternativ gegenüberstehen.<br />

Beide Verfahren, die Selbstlesung und die Vorlesung, haben ihre Vor- und Nachteile.<br />

In jenen Kantonen, die die Vorlesung anordnen, aber die Selbstlesung mit Zeugenbescheinigung<br />

alternativ zulassen, wird auf das bundesrechtliche Verfahren oftmals ausgewichen,<br />

um der wortwörtlichen Vorlesung, die grundsätzlich eingehalten werden<br />

muss, zugunsten der Ausschöpfung des Rechtsbelehrungsgrundsatzes und der Erläuterungen<br />

zum Vertragsinhalt schlechthin (hier nicht verstanden als notwendige Rechtsbelehrung<br />

in Abgrenzung der Beratung) auszuweichen. Dem Zweck des Beurkundungsprozesses<br />

wird dies am besten gerecht.<br />

Nun sieht Absatz 2 die Rekognition so vor, dass die rechtsgeschäftliche Urkunde nur<br />

gerade von der Urkundsperson unterzeichnet werden muss und dispensiert die Parteien<br />

von der Beisetzung ihrer Unterschrift. Die Willensbeurkundung ist damit zur Tatsachenbeurkundung<br />

umfunktioniert, indem die Urkundsperson nur noch feststellt, den<br />

Parteien sei die Urkunde zu lesen gegeben oder vorgelesen worden, worauf sie ihr, der<br />

Urkundsperson (ausdrücklich, oder nur stillschweigend, oder konkludent?) erklärt hät-<br />

25


ten, ob (gemeint ist doch wohl dass!) die Urkunde ihrem Willen entspreche (gemeint ist<br />

wohl, den Ausdruck ihres Willens enthalte, indem der Wille auch mit Mängeln behaftet<br />

sein kann). Derweil die Urkundsperson bereits durch unangebrachte Standardisierungsbestrebungen<br />

in ihrer Bedeutung herabgemindert wird, werden nun auch die Parteien<br />

wie Behinderte behandelt, die, des Schreibens überdrüssig geworden, die „allgemeinen<br />

Vertragsbestimmungen“ nicht mal mehr ankreuzen müssen.<br />

Die bundesgerichtliche Rechtssprechung hat sich evidentermassen bislang weder direkt<br />

noch indirekt zur Frage äussern müssen, ob eine öffentliche Urkunde von den Parteien<br />

grundsätzlich unterzeichnet werden muss oder ob sie auch ohne Unterschriften<br />

gültig ist. Dies überrascht auch nicht, zumal sich die Frage im positiven Recht nicht<br />

stellt.<br />

Der Entwurf betrachtet also den Prozess der Rekognition einerseits als unabdingbar,<br />

dispensiert aber nun von der unterschriftlichen Anerkennung des Willens durch die<br />

Parteien. Damit wird die bewährte Kaskade der Formen von der Vertragsfreiheit und<br />

der Regel der Formfreiheit über das Erfordernis der Schriftlichkeit hin zur qualifizierten<br />

Schriftlichkeit bis zur perfektionierten Form der öffentlichen Beurkundung am langen<br />

Ende wiederum in die Mündlichkeit verwiesen.<br />

Exkurs: Die öffentliche Urkunde kann eine übereinstimmend zu Protokoll gegebene Erklärung<br />

der Parteien sein, die von der ggf. sprachunkundigen Urkundsperson nicht<br />

wirklich verstanden werden muss, allerdings nichts enthalten darf, das die Urkundsperson<br />

als wahrheitswidrig erkennt, was sie wegen fehlender Sprachkenntnis gar nicht erkennen<br />

kann, allerdings aber folgenlos falsch sein darf, ohne dass die Urkundsperson<br />

die Beurkundung ablehnen müsste….<br />

Die Vorstellung des Gesetzgebers, in der öffentlichen Beurkundung auf die Unterschrift<br />

der Parteien verzichten zu können, ist bundesrechtswidrig (Art. 13 OR).<br />

Nach Massgabe von Art. 500 <strong>ZGB</strong> hat der Erblasser der Urkundsperson ihren Willen<br />

mitzuteilen. Dies bedeutet, dass die Urkundsperson auch bei Vorlage eines Entwurfes<br />

durch die Partei abzuklären hat, was der Wille der Partei wirklich ist und ob die Urkunde<br />

diesen wiedergibt. Theoretisches Gerede über die Zulässigkeit der Vorlage fertiger<br />

26


Urkunden hin oder her, muss die Urkundsperson dem Gebot der Wahrheit und Klarheit<br />

entsprechen und die Rechtsbelehrungspflichten und die Schutzpflichten erfüllen. Der<br />

Prozess der Kognition lässt sich bei richtiger Betrachtungsweise nicht in jenen der Rekognition<br />

verschieben. Hingegen findet der Prozess der Kognition herkömmlicherweise<br />

nicht massgeblich im Hauptverfahren, sondern im Vorverfahren statt. Art. 500 Absatz 1<br />

<strong>ZGB</strong> fokussiert vorerst ebenfalls auf das Vorverfahren, wobei die Selbstlesung im<br />

Hauptverfahren die Überprüfung der vom Erblasser der Urkundsperson delegierten<br />

Formulierung ihres im Vorfeld der Beurkundung mündlich vorgetragenen Willens ist. Im<br />

Übrigen ist nur die Selbstlesung vorgesehen und nicht die Vorlesung. Der Erblasser<br />

hat alsdann zu unterzeichnen und erst in der Folge ist die Urkunde von der Urkundsperson<br />

zu datieren und ebenfalls zu unterzeichnen. Art. 500 <strong>ZGB</strong> erklärt also die<br />

Selbstlesung zur verbindlichen Prozessvorschrift und dispensiert grundsätzlich<br />

nicht von der Unterschrift des Erklärenden.<br />

Art. 501 <strong>ZGB</strong> ordnet im Übrigen nicht das Hauptverfahren, sondern nur die Mitwirkung<br />

der Zeugen. Die Verfahrensgrundlage ist in Art. 499 <strong>ZGB</strong> zu finden. Wenn nun der Bericht<br />

glauben lassen will, der Verzicht auf die Unterschrift sei rechtlich möglich, so ist<br />

dem entgegen zu halten, dass das positive Recht dies nicht erlaubt. Art. 14 OR legt<br />

fest, dass die Unterschrift eigenhändig beizusetzen ist. Art. 15 OR ordnet unter dem Titel<br />

„Ersatz der Unterschrift“ den Verzicht auf die eigenhändige Unterschrift abschliessend,<br />

und zwar nur für die schreibunkundige Person.<br />

Will der Erblasser also keine eigenhändige letztwillige Verfügung in qualifizierter<br />

Schriftlichkeit gemäss Art. 505 <strong>ZGB</strong> errichten, etwa weil er der Beratung bedarf, welche<br />

hier bedeutend wichtiger ist als die Rechtsbelehrung im einschränkend aufgefassten<br />

Sinne und in der Regel die Beurteilung des ehelichen Güterrechts voraussetzt, wählt er<br />

die Form der öffentlichen Beurkundung.<br />

Gemäss Art. 499 <strong>ZGB</strong> erfolgt diese Form unter Mitwirkung von zwei Zeugen vor der<br />

Urkundsperson. Die Beurkundung ist also ihrerseits eine Form der qualifizierten Schriftlichkeit<br />

im Sinne von Art. 505 <strong>ZGB</strong>. Dort, wo der Gesetzgeber die Schriftform verlangt,<br />

ist die Urkunde selbstverständlich zu unterzeichnen, so auch bei der öffentlichen Beurkundung.<br />

Ein Verzicht auf die Unterschrift ist bei Schriftform hier wie dort nicht denkbar<br />

27


und führt bei der einfachen Schriftlichkeit zur Formungültigkeit. Dies gilt zwingend auch<br />

für die öffentliche Beurkundung.<br />

Der Zweck der öffentlichen Beurkundung liegt auch nicht darin, die Unterschrift zu substituieren.<br />

Im Gegenteil, der Unterschriftsvorgang ist durch die Mitwirkung zweier Zeugen<br />

ergänzt. Art. 500 <strong>ZGB</strong> sieht also nicht nur vor, dass die Selbstlesung der Urkunde<br />

vorgeschrieben ist und auf die Unterschrift des Verfügenden nicht verzichtet<br />

werden kann, sondern macht die Einhaltung weitergehender Formvorschriften<br />

notwendig.<br />

Einfachheitshalber sei an dieser Stelle das Bernische Beurkundungsverbal zitiert:<br />

Diese Urschrift wird vom Notar aufgesetzt und durch die ihm persönlich bekannte<br />

und testierfähige Testatorin in seiner Gegenwart gelesen. Unmittelbar danach<br />

werden als Zeugen beigezogen:<br />

1. Frau …….<br />

2. Frau …….<br />

Hierauf datiert der Notar die Urschrift, welche von ihm und den Parteien unterzeichnet<br />

wird.<br />

Beurkundet ohne Unterbrechung und in Anwesenheit aller Mitwirkenden im Büro<br />

des Notars am<br />

Die Testatorin:<br />

Der Notar:<br />

Anschliessend stellen die Zeugen folgende<br />

Bescheinigung<br />

aus:<br />

1. Die Testatorin hat die vorliegende Urschrift vor uns und mit dem Notar unterzeichnet.<br />

2. Sie hat uns in Gegenwart des Notars erklärt, dass sie die Urkunde in dessen<br />

Beisein gelesen habe und dass diese ihr Testament enthalte.<br />

28


3. Nach unserer Wahrnehmung befand sich die Testatorin im Zustande der<br />

Verfügungsfähigkeit.<br />

Muri b. Bern, …………. 2013<br />

Die Zeugen:<br />

Die Zeugen müssen den Inhalt der letztwilligen Verfügung nicht kennen, weil sie nichts<br />

inhaltliches zu bezeugen haben und der Inhalt höchstpersönlich ist und höchstpersönlich<br />

bleiben soll. Zu früheren Zeiten holten sich die Urkundspersonen die Zeugen auf<br />

der Strasse und es war für sie ein begehrter Glücksfall, an einer Beurkundung mitwirken<br />

zu dürfen, kamen sie doch in den Genuss des in Bern jedenfalls ortsgebräuchlichen<br />

Zeugenfünflibers.<br />

Aus dem hievor wiedergegebenen Zeugenverbal geht der Zweck der Mitwirkung der<br />

Zeugen hervor. Sie haben die Einhaltung des bundesrechtlich angeordneten Verfahrens<br />

zu bezeugen.<br />

Art. 502 <strong>ZGB</strong> ordnet demgegenüber nicht den Normalfall, sondern einen Spezialfall,<br />

nämlich den Fall, da eine Person lese- und schreibunkundig ist. Das Verfahren<br />

von Art. 502 <strong>ZGB</strong> ist die prozessuale Konkretisierung von Art. 15 OR, die den Ersatz<br />

der Unterschrift abschliessend ordnet und nur für Schreibunkundige zulässt, denen<br />

die öffentliche Beurkundung zugänglich sein muss. Es wird damit dem Erblasser<br />

nicht die freie Wahl, ob er lesen will oder nicht und ob er unterzeichnen will oder nicht,<br />

eröffnet. Vielmehr stellt die Vorschrift sicher, dass auch der Schreibunkundige letztwillige<br />

Verfügungen erlassen kann und ordnet die hievor notwendigen Anpassungen des<br />

Verfahrens an. Im Unterschied zum Normalfall muss daher die Urkunde vorgelesen<br />

werden, weil sie der schreibunkundige Erblasser ja nicht lesen kann, sie soll nicht unterzeichnet<br />

werden (auch nicht mit den bekannten XXX), weil nicht unterzeichnet werden<br />

soll, was nicht gelesen werden kann.<br />

29


Die Person, die nicht schreiben und lesen kann, leidet nicht an mangelhafter Willensbildung<br />

oder Wahrnehmung oder Äusserungsfähigkeit, sie bedarf indessen eines besonderen<br />

Prozesses, weil sie nicht lesen und schreiben kann.<br />

Art. 501 <strong>ZGB</strong> sieht also nicht nur vor, dass die Selbstlesung der Urkunde nicht genügt,<br />

sondern ordnet ein besonderes Verfahren unter Mitwirkung von Zeugen an, nämlich<br />

die Vorlesung der Urkunde, und zwar in Anwesenheit der Zeugen, welche die Einhaltung<br />

des Verfahrens zu bestätigen haben. Das Verfahren ist die prozessuale Umsetzung<br />

der Formvorschrift von Art. 15 OR.<br />

Die modernen kantonalen Beurkundungsvorschriften haben nach dem Vorbild von Art.<br />

501/502 <strong>ZGB</strong> alle notwendigen Beurkundungsformalien für solche Spezialfälle haarklein<br />

geordnet und den jeweiligen Bedürfnissen behinderter Personen angepasst. Bern<br />

hat folgende Fälle geordnet:<br />

• 121: Ausserordentliches Verfahren: Eine Partei kann nicht unterzeichnen<br />

• 122: Ausserordentliches Verfahren: Eine Partei kann nicht hören<br />

• 123: Ausserordentliches Verfahren: Eine Partei kann weder hören noch lesen<br />

• 124: Ausserordentliches Verfahren: Eine Partei kann weder sprechen noch unterzeichnen<br />

• 125: Ausserordentliches Verfahren: Eine Partei versteht die Urkundssprache<br />

nicht<br />

Das Bundesamt hat das Gesetzgebungsprojekt an je einer Tagung in Neuenburg und<br />

Zürich vorgestellt und exakt die hier besprochene Vorschrift, ganz im Unterschied zum<br />

Bericht, nur gestreift und sehr nebensächlich behandelt respektive nur erwähnt. Der<br />

Sprecher meinte ganz einfach, man habe sich an der bernischen Praxis orientiert und<br />

diese nun einfach zur Regel gemacht. Dass die bernische Praxis gerade nicht auf die<br />

Unterschrift verzichtet, weil dies Art. 501 <strong>ZGB</strong> gar nicht erlaubt und dies eben nur für<br />

Schreibunkundige erlaubt ist, schien unbekannt zu sein. Freilich stand die Frage an der<br />

Tagung nicht im Vordergrund.<br />

30


Grotesk ist hingegen, wenn nun in epischer Breite Dogmatik, Lehre und Praxis sowie<br />

bundesgerichtliche Entscheidungen bemüht werden und die Kardinalfrage, ob die Unterschrift<br />

des Erblassers notwendig ist oder nicht, ausgeblendet wird, grotesk deshalb,<br />

weil dazu neuerdings zur Begründung Brückner zitiert wird.<br />

In Ziffer 1950 hält der Kommentar wörtlich fest,<br />

„Unverzichtbarer Teil des Beurkundungsvorganges ist - …… - die eigenhändige<br />

Unterzeichnung der Urkunde durch die Erklärenden in Anwesenheit der<br />

Urkundsperson.“<br />

Damit ist das positive Recht und die herrschende Lehre und Praxis in der gebotenen<br />

Einfachheit und Klarheit wiedergegeben. Eingeschoben ist unter - …………-<br />

„wenn die erklärenden lese- und schreibfähig sind“<br />

Die Idee, die hinter dem Verzicht auf die Unterschrift steckt und den Schreib- und Lesefähigen<br />

zum hilfsbedürftigen Behinderten macht, war wohl eine ganz andere, nämlich<br />

der Wunsch, die e-Urschrift zu fördern, indem sich die qualifizierte <strong>elektronisch</strong>e<br />

Signatur zur Unterzeichnung der Urkunde durch die Parteien wohl kaum so verbreiten<br />

wird wie bisher dafür Geld ausgegeben wurde.<br />

Fazit:<br />

Der Verzicht auf die eigenhändige Unterschrift widerspricht der abschliessenden<br />

geordneten bundesgesetzlichen Ordnung der Formvorschriften von<br />

Art. 13 (Unterschrift als Minimalanforderung für die Begründung von Pflichten),<br />

Art. 14 (Erfordernis der eigenhändigen Beisetzung der Unterschrift,<br />

Ausnahme der mechanischen Nachbildung, Gleichstellung der qualifizierten<br />

<strong>elektronisch</strong>en Signatur) und Art. 15 (Ersatz der Unterschrift bei Schreibunkundigen).<br />

31


11. Art. 55 j: Einheit des Aktes<br />

Die Bestimmung verletzt Bundesrecht und entbehrt der verfassungsmässigen Grundlage.<br />

Daran ändert auch die in <strong>ZGB</strong>R 1983, S. 36, dazu publizierte gegenteilige Auffassung<br />

des Bundesamtes für Justiz nicht. Die herrschende Lehre ist hier im Übrigen<br />

einhelliger Meinung. Einmal mehr wird die herrschende Lehre im Entwurf missachtet.<br />

Von Konsolidierung kann daher nicht gesprochen werden.<br />

Die Vorschrift ist sowohl auf Willensbeurkundungen wie auch Sachbeurkundungen unterschiedslos<br />

anwendbar. Wenn sich der Bericht dahingehend äussert, bei diversen<br />

Sachbeurkundungen sei das Prinzip der Einheit des Aktes nicht massgebend und<br />

deswegen nicht anwendbar, geht dies über den Text hinaus, der keinen entsprechenden<br />

Vorbehalt aufweist und daher unterschiedslos angewendet werden muss und für<br />

die Rechtssprechung verbindlich sein wird, also auch die Rechtsfortentwicklung verhindert.<br />

Mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht werden von Lehre und Rechtssprechung<br />

entwickelte kantonalrechtliche Besonderheiten des Verfahrens, namentlich<br />

jene der obligationenrechtlich zwingend angeordneten Protokollierung von Generalversammlungsbeschlüssen,<br />

die nicht an einem einzigen Ort abgehalten werden, sondern<br />

auf einer audiovisuellen Verbindung gründen, unmöglich gemacht. Der Kohärenzmangel<br />

innerhalb des Bundeszivilrechtes ist offenkundig.<br />

Besonders unglücklich wirkt sich hier die Verwendung unbestimmter Gesetzesbegriffe<br />

aus, die schon dem Grundsatze nach abgelehnt werden muss.<br />

Wenn schon der Begriff Urkundspartei nirgends definiert ist (man beachte dazu auch<br />

die vorstehenden Bemerkungen über die Schuldbrieferrichtung, welche die Grundpfandgläubigerin<br />

als Partei in Missachtung der herrschenden Lehre und Rechtssprechung<br />

und der Bestimmung von Art. 13 OR zur zwingend teilnehmenden Urkundspartei<br />

machen), bleibt restlos unklar, was denn unter dem Begriff einer Nebenperson verstanden<br />

werden könnte. Nicht unbedeutend ist die Frage, wenn Nebenpersonen im<br />

Sinne des Gesetzesentwurfes an der Beurkundung nicht teilnehmen, weil damit gemäss<br />

Art. 55 l Ziffer 3 Nichtigkeitsfolge verbunden wird. Die Nichtigkeitsfolge als<br />

schwerwiegendste Sanktion der Verletzung von Formvorschriften wird unbestimmbar<br />

gelassen, aber auch die Ausnahmeregelung (Sukzessivbeurkundung) an wichtige<br />

32


Gründe gebunden. Derweil Lehre und Praxis im Vertragsrecht die Konkretisierung<br />

wichtiger Gründe gelingt, weil darunter auch rein unjuristisch betrachtet etwas verstanden<br />

werden kann (gleichermassen unter dem Begriff der höheren Gewalt), bleibt die<br />

inhaltliche Bedeutung im Prozessrecht in jeder Hinsicht im Dunkeln verborgen.<br />

Fazit:<br />

Der Grundsatz der Einheit des Aktes ist keine Mindestanforderung an die öffentliche<br />

Beurkundung. Die Zulassung der Sukzessivbeurkundung folgt den<br />

Regeln über die Entstehung der Obligation durch Offerte und Akzept und ist<br />

keine Frage von wichtigen Gründen.<br />

12. Art. 55 k: Anwendung bundesrechtlichen statt kantonalen Verfahrens<br />

Die Vorschrift ist grundsätzlich zu begrüssen, wird aber praktisch kaum Konsequenzen<br />

haben. Sie ist hingegen nicht geeignet, die Konkurrenzfragen des Nebeneinanders von<br />

bundesrechtlichen und kantonalrechtlichen Prozessvorschriften zu klären.<br />

Fazit:<br />

Gesamtheitlich betrachtet scheint damit die bestehende Kompetenzordnung<br />

als bestätigt, die durch den Erlass aber gerade aufgehoben wird.<br />

13. Art. 55 l: Nichtentstehen der Urkunde<br />

Die Vorschrift ist als Folge ihres undifferenzierten Inhaltes die grösste Gefahr für die<br />

Rechtssicherheit.<br />

Vorerst entsteht eine Urkunde immer, wenn die Sprache geschrieben wird. Unter dem<br />

Nichtentstehen einer Urkunde ist wohl deren Nichtigkeit zu verstehen. Sicher ist indessen<br />

auch diese Schlussfolgerung nicht.<br />

Der Bericht referenziert dazu auf Art. 11 OR und die zugehörige bundesgerichtliche<br />

Rechtssprechung. Die obligationenrechtliche Ordnung der Formvorschriften wird also<br />

bestätigt, derweil sie in Art. 55 i über Bord geworfen wurde.<br />

33


Art. 11 OR statuiert die Verbindlichkeit der Formvorschriften im Allgemeinen. Die<br />

Nichtbeobachtung der Formvorschrift macht den Vertrag ungültig. Die Urkunde ist hingegen<br />

dennoch existent, jedoch mit einem Formmangel behaftet.<br />

Entsteht keine Urkunde, bedeutet dies begrifflich, dass es keine Urkunde gibt, was beweisrechtlich<br />

insofern von Bedeutung ist, als der Bestand eines Rechtsverhältnisses<br />

trotz fehlen der Urkunde nachgewiesen werden kann und nachgewiesen werden muss.<br />

Ist eine Urkunde vorhanden, obschon sie nicht entstanden ist, ist das Beweisthema der<br />

Mangel, welcher der Urkunde anhaftet.<br />

Damit ist jedoch auch noch nichts geklärt, was die Folge des Mangels der nichtentstandenen<br />

und dennoch existierenden Urkunde sein soll.<br />

Gemeint ist wohl, wie eingangs erwähnt, die Nichtigkeitsfolge.<br />

Exkurs: Bei nichtexistenter Urkunde kann die Nichtigkeitsfolge mangels Urkunde gar<br />

nicht eintreten, wie wohl aber der registerliche Eintrag einer nicht entstandenen Urkunde<br />

möglich ist, was in der Regel mit heilender Wirkung verbunden wird. Das bedeutet<br />

nun aber auch, dass kein Formmangel geheilt wird, sondern einer Urkunde, die nicht<br />

entstanden ist, aber existiert, jene Wirkung verleihen wird, die sie nicht entfalten konnte,<br />

da sie nicht entstanden ist.<br />

Die Lehre von der Nichtentstehung öffentlicher Urkunden ist eine Folge der bisherigen<br />

Trennung der Frage, ob eine öffentliche Urkunde formell gültig entstanden ist (kantonalrechtliche<br />

formelle und materielle Prozessvorschriften, die in Übereinstimmung mit<br />

der positivrechtlichen Ordnung der Formvorschriften des Obligationenrechtes stehen<br />

müssen) von der anderen Frage, ob die Urkunde materiellrechtlich gültig ist und die<br />

gewünschten Rechtswirkungen haben kann (materiellrechtliche Konsequenz/<br />

Sanktionsordnung). Die Rechtfertigung dieser Trennung fällt dahin.<br />

Geht man davon aus, dass mit Nichtentstehen der Urkunde die Sanktionsfolge der<br />

Nichtigkeit geordnet werden soll, ergeben sich weitere gravierende Schwierigkeiten.<br />

34


Gemäss Ziffer 1 wird die nicht wahrheitsgetreue Urkunde mit der Sanktionsfolge der<br />

Nichtigkeit belegt. Dazu ist zu bemerken, dass die Frage, ob ein Urkundeninhalt nicht<br />

wahrheitsgetreu ist, kein Formmangel darstellt und in der Regel nicht einfach zu beantworten<br />

ist. Dem gegenüber ist die Verletzung von Formvorschriften klar messbar.<br />

Der Bezug auf Art. 11 OR ist also nur ein scheinbarer. Die Vorschrift wirft bei richtiger<br />

Betrachtungsweise die Gesamtheit der differenzierten etablierten Auslegungsregeln<br />

und Sanktionsfolgen von inhaltlichen Mängeln und Willensmängeln kurzerhand über<br />

Bord.<br />

Orientiert man andererseits den Begriff der Wahrheit an der strafrechtlichen Rechtssprechung,<br />

so steht eine intellektuelle Urkundenfälschung zur Diskussion, die als<br />

Falschbeurkundung im positiven Recht niemals die Nichtigkeit der Urkunde wegen<br />

Formmangels zur Folge haben kann. Die Sanktionsfolge der Nichtigkeit steht im unversöhnlichen<br />

Kontrast zur positivrechtlichen Ordnung und ist im Übrigen in jeder Bedeutung<br />

des Wortes masslos.<br />

In Ziffer 2 hat die „nicht eindeutige Parteibezeichnung“ oder die „nicht eindeutige“ Bezeichnung<br />

der Vertretungsverhältnisse also Nichtigkeitsfolge, notabene für sich allein<br />

betrachtet, also auch dann, wenn der Mangel materiell folgenlos ist. Nach der etablierten<br />

Lehre und Rechtssprechung erweist sich eine derart ausgestaltete kantonale Vorschrift<br />

als überspitzt formalistisch. Im Übrigen bleibt unklar, ob unter den Begriff „nicht<br />

eindeutig“ ebenfalls eine Unvollständigkeit subsummiert werden muss. Sachlich betrachtet<br />

müsste die Sanktionsfrage der Nichtigkeit nur eintreten, wenn die Person<br />

gänzlich nicht identifiziert werden kann.<br />

Systematisch gänzlich an der Sache vorbei geht schliesslich die in Ziffer 3 dekredierte<br />

Einschränkung der Sanktionsfolge der Nichtigkeit auf die Verletzung der bundesrechtlichen<br />

Vorschriften, was nichts anders bedeuten kann, als dass es andere Nichtigkeitsgründe<br />

in öffentlichen Urkunden, namentlich kantonalrechtlich kodifizierte, zwar noch<br />

geben kann; sie bleiben indessen folgenlos!<br />

Fazit:<br />

Unbesehen der guten Absichten, die dem Entwurf zugrunde liegen mögen,<br />

bleibt die Konkurrenz bundesrechtlicher und kantonalrechtlicher Prozesser-<br />

35


lasse unlösbar. Von Lehre und Rechtssprechung längst gelöste Fragen werden<br />

neu aufgeworfen und neue Probleme geschaffen. Die Rechtssicherheit<br />

ist fundamental gefährdet.<br />

14. Art. 55 m: Anerkennung der Urkunde<br />

Die Anerkennung der öffentlichen Urkunde kann mit der Vorschrift gar nicht gemeint<br />

sein. Vielmehr geht es um die Freizügigkeit der Ausübung des Notariates.<br />

Wie zur Sprachregelung bereits ausgeführt hat das Bundesgericht unmissverständlich<br />

und in Übereinstimmung mit der massgebenden Lehre und Rechtssprechung gefolgert,<br />

dass die Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit im Immobiliarsachenrecht die Wahlfreiheit<br />

der Urkundspartei überwiege und die positivrechtlich herrschende Einschränkung<br />

der Zuständigkeitsordnung im Immobiliarsachenrecht zwangslos als sachlich richtig<br />

erklärt. Deren Existenz der Zuständigkeitsordnung ist also als Minimalanforderung<br />

zu verstehen und nicht die Freizügigkeit.<br />

Die Vorschrift ist daher auch keine Bestätigung der herrschenden Lehre und Rechtssprechung,<br />

sondern eine Änderung, wobei diese der zweifellos ausgewogenen Abwägung<br />

des Bundesgerichtes bezüglich der zu schützenden Rechtsgüter widerspricht. Sie<br />

ist daher abzulehnen.<br />

Insbesondere ist der im Bericht zur Prämisse erhobene Ansatzpunkt, es gelte, die<br />

Wahlfreiheit den Parteien zu überlassen, fundamental falsch. Die Wahlfreiheit ist nicht<br />

Schutzobjekt der Prozessgebung. Es erstaunt sehr, dass sich der Vorentwurf erlaubt,<br />

dem Bundesgericht zu widersprechen.<br />

Der Wahlfreiheit steht nicht nur die Rechts- und Verkehrssicherheit entgegen, sondern<br />

auch die gebotene Rechtsbelehrung und damit der Schutz der Parteien, welchen die<br />

massgebenden örtlichen Besonderheiten zu vermitteln sind, insbesondere aber auch<br />

die örtlich massgebenden kantonalen und kommunalen Vorschriften (Gebührenfolgen,<br />

Steuerfolgen, kantonale und kommunale Besonderheiten des Baurechts, Ausgestaltung<br />

und Praxis des Mieterschutzrechtes etc.).<br />

36


Orientiert an der gültigen materiellen Rechtsordnung gilt es hier auch darauf hinzuweisen,<br />

dass diese ihrerseits eine Reihe zwingender Zuständigkeitsbestimmungen kennt<br />

(Beispiel Erbausschlagung), deren es aus sachlichen Gründen unzweifelhaft bedarf. In<br />

der streitigen Gerichtsbarkeit ist die Zuständigkeitsordnung ebenfalls an sachlichen<br />

Gründen orientiert. Niemandem käme es in den Sinn, eine bewährte Ordnung der<br />

Wahlfreiheit zu opfern und den fliegenden Gerichtsstand für allgemeinverbindlich zu<br />

erklären.<br />

Hervorzuheben ist, dass die unterschiedlich ausgeprägten kantonalen Prozessordnungen<br />

für sich gesehen kein Grund sein können, die Wahlfreiheit zu postulieren und das<br />

Risiko schlechter Wahl dem Rechtssuchenden zu delegieren. Das Institut der öffentlichen<br />

Beurkundung ist dazu da, dieses Risiko gar nicht entstehen zu lassen. Es muss<br />

also Sache der Kantone bleiben, dazu eine taugliche Organisation zur Verfügung zu<br />

stellen und zu betreiben. Die Preisgabe der bewährten Ordnung hat auch grosse Auswirkungen<br />

auf das Erfordernis hinreichender Ausbildung der Urkundspersonen. Die Urkundspersonen<br />

sind nur dann hinreichend ausgebildet, wenn sie ihre Rechtsbelehrungspflicht<br />

erfüllen können und damit verbunden den gebotenen Schutz der Parteien<br />

auch garantieren können und auch Fremdsprachen beherrschen. Mit der Freizügigkeit<br />

ist also auch ein erhebliches Haftungsrisiko und ein erheblicher Aufwand in der Grundbuchführung<br />

verbunden.<br />

Ferner bleibt die Frage offen, wie sich die Freizügigkeit mit der Urkundspflicht vertragen<br />

sollte. Schliesslich stellt die obrigkeitlich angeordnete Freizügigkeit der Urkunde<br />

einen unerwünschten und unangemessenen ordnungspolitischen Eingriff in die Notariatssysteme<br />

der Kantone dar.<br />

Fazit:<br />

Es gibt keine Gründe, die bewährte Ordnung aufzugeben.<br />

15. Art. 55 n: Elektronische öffentliche Beurkundung<br />

Unlängst wurde die bundesrätliche Auffassung publiziert, dass die e-Urschrift nicht<br />

kommen solle und die Papierform erhalten werden müsse. Gewissermassen über<br />

37


Nacht ist eine neue Erkenntnis herangereift. Der Bericht verweist Überlegungen zur<br />

Einführung der e-Urschrift unzulässigerweise in den allgemeinen Teil, die hier zunächst<br />

aufgegriffen werden müssen.<br />

Die Ausgangslage ist bekanntermassen die, dass die Urschrift derzeit auf Papier als<br />

Träger (nicht in Papierform!) erstellt wird. Ob die Urschrift am Rechtsverkehr teilnimmt<br />

oder nicht, ist weder de lege lata noch de lege ferenda von Belang. Es gibt in allen kantonalen<br />

Beurkundungsprozessen beide Varianten. Die Unterscheidung orientiert sich<br />

nicht am Träger der Urschrift, sondern in der Regel an der Rechtsnatur der Urkunde,<br />

namentlich auch an der Ausscheidung zwischen Willens- und Sachbeurkundungen.<br />

Selbst dort, wo die Urschriften an die Bundesregister ausgegeben werden, werden zuhanden<br />

der Parteien Ausfertigungen erstellt.<br />

Bis zum Tage, da der vorliegende Entwurf geschrieben wurde, gab es schweizweit im<br />

Handelsregister kein Dutzend Anmeldungen auf <strong>elektronisch</strong>em Träger. Dies spricht<br />

Bände, nicht etwa dafür, dass der <strong>elektronisch</strong>e Geschäftsverkehr nun abzulehnen wäre.<br />

Hingegen ist rein quantitativ (endlich!) zur Kenntnis zu nehmen, dass die erdrückende<br />

Mehrheit der Parteien keine Urkunden auf e-Träger wünschen und dies auch in<br />

absehbarer Zeit keine Veränderung erfahren wird. Das schon fast historisch gewordene<br />

Dogma vom papierlosen Büro wird keine Erfrischung erfahren. Die Forderung nach<br />

medienbruchfreier Arbeit für die Notarin und den Notar ist daher kein massgebendes<br />

Argumentarium, schon gar nicht für die e-Urschrift. Ob ein „e-Original“ oder eine e-<br />

Ausfertigung verwendet wird, ist einerlei. Die Einführung der e-Urschrift lässt sich daher<br />

auch nicht mit der allgegenwärtigen Förderung des e-Geschäftsverkehrs begründen.<br />

Vorteile bringt die Urkunde auf e-Träger, ob Urschrift oder Ausfertigung ist einerlei,<br />

nur gerade der Registerführung, derweil sie für die notarielle Tätigkeit eine zusätzliche<br />

Auflage darstellt. Überdies wird für so lange nicht ohne Medienbruch gearbeitet,<br />

als die Papierdokumente begehrt bleiben.<br />

Zum zweiten erweist es sich als geradezu grotesk, argumentativ darauf hinzuweisen,<br />

das Papierdokument müsse zur Herstellung einer e-Ausfertigung eingelesen werden,<br />

wogegen die e-Urschrift medienbruchfrei möglich werde. Der Gesetzgeber hat sich aus<br />

Anlass der Ausarbeitung der EÖBV beharrlich geweigert, die Herstellung der e-<br />

38


Ausfertigungen auf e-Träger auch nur alternativ zu erlauben (sogenannte sig-<br />

Ausfertigung), notabene mit der Begründung, die Parteiunterschriften müssten unbedingt<br />

auf der Ausfertigung sichtbar sein (sic), derweil nun bei der Erstellung einer e-<br />

Urschrift sogar von der Unterschrift dispensiert werden soll. Dabei ist die Herstellung<br />

der sogenannten sig-Ausfertigungen in vielen Kantonen weit verbreitet und bewährt.<br />

Medienbruchfreies Arbeiten wäre in diesem Umfang also ohne weiteres zu haben gewesen,<br />

wenn denn die Einsicht da gewesen wäre, die nun über Nacht Einzug gehalten<br />

haben will.<br />

Mit den zu Unrecht und fälschlicherweise gepriesenen Vorteilen der e-Urschrift wird<br />

übersehen, dass sowohl bei Vorlesung oder Selbstlesung der Urkunde die Urkundsparteien<br />

den Entwurf vor sich haben wollen. Medienbruchfrei wird ganz abgesehen von<br />

der üblichen und gewünschten Ausgabe von Papier-Ausfertigungen wohl nirgends gearbeitet,<br />

weil die Parteien sowohl bei Selbstlesung als auch bei Vorlesung ein Papierexemplar<br />

vor sich haben wollen. Die Forderung nach medienbruchfreier Arbeit wäre<br />

nur zu erfüllen, wenn den Parteien je ein mit der Notarin oder dem Notar vernetzter<br />

Bildschirm zur Verfügung stünde. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob ein Medienbruch<br />

im Beurkundungsprozess vor dem Hintergrund des Gebotes der Einheit des<br />

Aktes überhaupt erlaubt sein kann.<br />

Bei dieser Gelegenheit wird auch klar, dass die Bestimmung von Art. 10 Abs. 2 EÖBV,<br />

die das Einlesen der Urkunde als zwingend erforderlich vorgibt, ohne verfassungsmässige<br />

Grundlage ist. Die Art und Weise der Herstellung einer Ausfertigung ist dem kantonalen<br />

öffentlichen Recht vorbehalten und sprengt den Rahmen des geltenden Art. 55<br />

a SchlT <strong>ZGB</strong>, indem gestützt darauf im gebotenen Respekt vor der verfassungsmässig<br />

vorgegebenen Kompetenzausscheidung nur Normen zur Sicherstellung der Interoperabilität,<br />

Integrität, Authentizität und Sicherheit der Daten erlassen werden dürfen.<br />

Wenn es denn darum gehen sollte, in der heutigen gesetzlichen Ordnung eine Inkonsequenz<br />

auszumachen, so läge diese eben gerade in Art. 10 Abs. 2 EÖBV begründet,<br />

welcher dringendst angepasst werden sollte, aber auch in der Tatsache, dass die<br />

EÖBV die Archivierung der e-Urkunden nicht ordnet. Hingegen ist das Fehlen der Möglichkeit<br />

der Erstellung einer e-Urschrift keine Konsequenzfrage.<br />

39


Schliesslich ist es historisch nicht nur so, dass Art. 55 a SchlT <strong>ZGB</strong> vom SNV und der<br />

Stiftung Schweizerisches Notariat auf Ersuchen des Bundesamtes für Justiz in die Sachenrechtsrevision<br />

eingebracht worden ist. Es ist auch falsch, dass erst damit die Möglichkeit<br />

der Herstellung <strong>elektronisch</strong>er Ausfertigungen geschaffen worden wäre. In der<br />

Argumentation wird auch hier der e-Geschäftsverkehr mit der e-Beurkundung verwechselt.<br />

Die Herstellung einer e-Urschrift und einer e-Ausfertigung bedarf keiner expliziten<br />

bundesrechtlichen gesetzlichen Grundlage. Diese erschöpft sich in der Kompetenz<br />

zur notwendigen Koordination und Festsetzung der technischen Belange. Art. 55<br />

a SchlT <strong>ZGB</strong> kann und darf daher nur ordnen, was die Bundesgesetzgebung im Bereich<br />

der e-Beurkundung koordinieren muss, um eine einheitliche Anwendung sicherzustellen,<br />

womit eben der Rahmen der verfassungsmässig legitimierten bundesrechtlichen<br />

Kompetenz klar abgesteckt ist. Dabei bleibt die Zuständigkeit, ob die e-<br />

Beurkundung überhaupt erlaubt ist, bei den Kantonen, aber auch die Zuständigkeit, die<br />

Regeln der Beurkundung selbst auszugestalten und zu dekretieren. Die Koordinationsaufgabe<br />

des Bundes besteht nur gerade darin, die notwendigen technischen Grundlagen<br />

und deren Verwendung festzulegen, nicht um damit eine einheitliche Prozessordnung<br />

zu schaffen, sondern um eine einheitliche registerliche Behandlung der e-<br />

Urkunde zu ermöglichen.<br />

Mehrere Kantone verfügen seit längerem über eine gesetzliche Grundlage für die Herstellung<br />

von Urkunden auf <strong>elektronisch</strong>em Träger, so namentlich Waadt und Basel-<br />

Stadt, aber auch Uri. Dass die Möglichkeiten nicht umgesetzt wurden, liegt weniger an<br />

den Kantonen, sondern an der Praxis und an der Tatsache, dass die Behörden teilweise<br />

Papier vorziehen und auf die <strong>elektronisch</strong>e Verarbeitung gar nicht vorbereitet sind<br />

(so die Zürcher Praxis der Gerichte gegenüber der Anwaltschaft).<br />

Wie andernorts schon ausgeführt bedarf es für die Herstellung einer Urkunde auf e-<br />

Träger gar keiner gesetzlichen Grundlage im formellen Sinn. Die grundsätzliche Zulässigkeit<br />

ergibt sich aus der Vorschrift von Art. 14 Abs. 2 bis OR.<br />

Ob sich die Herstellung von e-Urkunden in der Praxis durchsetzt, sei es als Ausfertigung<br />

oder e-Urschrift, wird nicht vom Gesetzgebungsprojekt abhängen. Medienbruchfreies<br />

Arbeiten wird rein quantitativ gesehen, wenn überhaupt, erst dann ein Thema<br />

sein, wenn die Kantone den e-Geschäftsverkehr nicht nur erlauben, sondern obligato-<br />

40


isch erklären (so im Kanton Waadt für die Archivierung als zwangsläufige Konsequenz<br />

der Herstellung von Urkunden auf <strong>elektronisch</strong>em Träger). Selbst dann werden die Bedürfnisse<br />

der Urkundsparteien nach Vertragsexemplaren auf Papier noch lange bleiben,<br />

man darf füglich sagen, nie verschwinden. Und die Kantone werden ein Obligatorium<br />

erst dann einführen wollen, wenn die Macht des faktischen gespielt hat, das Bedürfnis<br />

nach Urkunden auf <strong>elektronisch</strong>em Träger also weit verbreitet ist. Und die<br />

Macht des faktischen wird erst dann spielen können, wenn die Herstellung der e-<br />

Urkunden mehrheitlich erwünscht und praktisch eine einfache Selbstverständlichkeit<br />

geworden ist. Die Forderungen nach Durchsetzung des e-Geschäftsverkehrs werden<br />

also quantitativ durchwegs falsch bewertet (so auch die Quantifizierung des e-<br />

Geschäftsverkehrs zwischen Banken und Grundbüchern, wo für marginale Mengen<br />

von Massengeschäft die Rede ist). Wie schon erwähnt benefizieren davon nur die Registerbehörden,<br />

sicher aber nicht die Notariate.<br />

Wenn im Zusammenhang mit der e-Beurkundung (nicht e-Urschrift!) von Konsequenz<br />

gesprochen werden kann, dann nur im Bereiche der Archivierung. Mit der e-<br />

Ausfertigung lassen sich alle Bedürfnisse und Anforderungen der neuen Technologie<br />

erfüllen.<br />

Eine logische Konsequenz technischer Möglichkeiten oder organisatorischer Vorteile<br />

kann die Einführung der e-Urschrift also nicht darstellen. Deren Einführung hat indessen<br />

eine von der Rechtsordnung bisher unbekannte Dimension zur Folge, welche<br />

übergangen oder übersehen wird. Wird die Urschrift auf e-Träger erstellt, verliert sie ihre<br />

Eigenschaft als Original und ist als Original auch nicht mehr zu ermitteln. Sie verliert<br />

also eine Eigenschaft, die an den Grundfesten der öffentlichen Beurkundung rüttelt.<br />

Die im Bericht angezogenen wissenschaftlichen Sicherheitsvergleiche, die sich an verschiedenen<br />

Methoden orientieren, gehen an der Sache vollständig vorbei. Die Beibehaltung<br />

der Papierurschrift als Original bleibt deswegen unerlässlich.<br />

Belange der Rechtssicherheit verbieten es, darauf zu verzichten. In einer korrekten<br />

Abwägung der zu schützenden Rechtsgüter hat die Rechtssicherheit gerade im<br />

Grundbuchwesen allerhöchste Bedeutung. Das Grundbuch ist die Verfassung der<br />

staatlichen Bodenrechtsordnung. Es käme niemandem in den Sinn, eine Papierverfas-<br />

41


sung zu vernichten und durch ein „Original“ auf e-Träger zu ersetzen, und zwar schon<br />

gar nicht heute, indem die Risiken der Langzeitsicherung und vor allem auch die damit<br />

verbundenen Kosten noch gar nicht abgeschätzt werden können.<br />

Auch das Kriterium des Fälschungsrisikos ist nicht von entscheidender Bedeutung. In<br />

diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass seit Einführung des schweizerischen<br />

Strafgesetzbuches kein einziger Fall der registerlichen Hinterlegung einer gefälschten<br />

Urschrift bekannt geworden wäre. Ferner ist die kolportierte Meinung, die<br />

Verwendung der <strong>elektronisch</strong>en qualifizierten Signatur verhindere eine Fälschung der<br />

Urkunde und die e-Urschrift sei daher fälschungssicherer als die Papier-Urschrift,<br />

grundsätzlich falsch. Zum ersten ist die Fälschung der e-Urkunde deutlich einfacher als<br />

die Fälschung der Papier-Urkunde zu bewerkstelligen und bedarf keiner besonderen<br />

Fähigkeiten, sie ist für den Betrachter auch nicht sichtbar! Es entstehen keine Blüten.<br />

Die Signatur stellt lediglich sicher, dass die Fälschung ermittelt werden kann. Mit anderen<br />

Worten geht der e-Urschrift nicht nur die Eigenschaft des Originals ab, die Feststellung<br />

ihrer Unversehrtheit bedarf sofistizierter technischer Systeme, deren Sicherheit<br />

auch nicht garantiert werden kann.<br />

Die e-Technologie ist deswegen nicht abzulehnen. Sie hat ihren hohen Nutzen im Geschäftsverkehr.<br />

Unlängst wurde es möglich, im Zug zu telefonieren, dann im Bus und<br />

dann telefonisch zu signieren, Verträge zu schliessen, das Kino-Billet zu bestellen, das<br />

Kino-Billet zu bezahlen und auf das Bankkonto zuzugreifen, alles bestens gesichert,<br />

einfach, selbstverständlich, klar, begehrt, schnell, auf dem Fusse machte aber die<br />

Möglichkeit Schule, die Kontodaten des Telefonbenützers auf dem Telefon abzufischen.<br />

Derweil in der Papierwelt der Fälschungstatbestand eine gewisse Bedeutung und<br />

Wichtigkeit hatte, haben sich die daherigen Gefahren, die übrigens nie gross waren,<br />

verändert und verschoben, nämlich auf den Missbrauch der allgemein zugänglichen<br />

und gebräuchlichen technologischen Möglichkeiten. Die Fälschung beginnt mit dem<br />

Missbrauch der Signatur durch eine unberechtigte Person, indem damit eine echte Urkunde<br />

hergestellt werden kann, die sogar als Fälschung gar nicht mehr ermittelt werden<br />

kann!<br />

42


Die Gefahren lassen sich nicht klein reden. Sie bestehen und haben gravierenden wirtschaftlichen<br />

Schaden zur Folge, namentlich bei den Banken, welche darüber nicht berichten,<br />

um das in ihre Systeme gesetzte Vertrauen nicht zu stören. Im Übrigen lehnen<br />

sie jede Haftung in allgemeinen Geschäftsbestimmungen ab. Evident ist, dass die Fälschungsgefahren<br />

nicht nur grösser geworden sind, sondern die breite Masse erfassen<br />

können.<br />

Fazit:<br />

Die e-Urschrift bringt gemessen an der e-Ausfertigung keine Vorteile und<br />

stellt die Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit in ihren Grundfesten in<br />

Frage.<br />

16. Art. 55 o: Gleichwertigkeit der Form<br />

Die Vorschrift, welche die Gleichwertigkeit der Formen festlegt, aber die Gleichwertigkeit<br />

der Träger anspricht und sich im Übrigen auf Art. 14 Abs. 2 bis OR zurückführt, ist<br />

in jeder Hinsicht unnötig und schafft Verwirrung, ebenso der Bericht dazu. Deutlich wird<br />

nur, dass Art. 14 OR für den Notariatsprozess verbindlich ist und deshalb mit Blick auf<br />

Art. 14 OR der Verzicht auf die Signatur der Parteien auch nicht zulässig sein kann.<br />

Gemäss Art. 14 Abs. 2 bis OR ist die qualifizierte <strong>elektronisch</strong>e Signatur der handschriftlichen<br />

Signatur gleichgestellt. Deren Verwendung setzt einen e-Träger voraus, derweil<br />

die handschriftliche Signatur auf einem e-Träger zwar abgebildet, aber nicht beigesetzt<br />

werden kann.<br />

Die Annahme, dass der Beweiswert der Schriftform durch unterschiedliche Träger beeinflusst<br />

werden könnte, ist irrig. Der Beweiswert leitet sich nicht vom Träger der Urkunde<br />

ab, sondern von der Signatur auf dem Träger, sei diese nun handschriftlich auf<br />

Papier beigesetzt oder mittels qualifizierter <strong>elektronisch</strong>er Signatur technisch in einen<br />

<strong>elektronisch</strong>en Träger eingefügt worden. Die auf dem Kunstwerk „Öl auf Leinwand“ angebrachte<br />

Unterschrift hat den gleichen Beweiswert wie die auf Papier angebrachte.<br />

43


Der ab initio in die Gesetzgebung eingebrachte umgangssprachliche Begriff der <strong>elektronisch</strong>en<br />

Form, die gar keine Form im Rechtssinne ist, sorgt buchstäblich für Verwirrung.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift bringt nichts.<br />

17. Art. 55 p: Schweizerisches Register der Urkundspersonen<br />

Die Vorschrift ist zu ergänzen. Die Organisation, welche mit der Bereitstellung und dem<br />

Betrieb des Registers betraut werden kann, muss „geeignet“ sein. Das Register der<br />

Urkundspersonen ist der hoheitlichen Sphäre zuzurechnen und entsprechend zu<br />

schützen. Diese klare und notwendige Trennung der Sphären gilt es generell zum<br />

Ausdruck zu bringen, so auch was die Archivierung betrifft.<br />

Die vorgesehene Anhörung der Kantone gemäss Abs. 3 ist zu begrüssen. Bisweilen<br />

wurde sie allerdings im Notariatswesen nicht auf die Urkundspersonen und ihre Organisationen<br />

ausgedehnt, so dass zwischen Amtsnotariaten und lateinisch organisierten<br />

Notariaten eine unzweckmässige Ungleichheit aufkam. Wir regen daher eine Klärung<br />

an. Die kantonalen Notariatsinspektorate der freiberuflich organisierten Kantone vertreten<br />

nicht die Aspekte des Institutes der öffentlichen Beurkundung, sondern erfüllen<br />

Aufsichtsaufgaben.<br />

Fazit:<br />

Die Vorschrift ist zu begrüssen und gibt der registergestützten Identifikation<br />

der Urkundsperson mit Funktionsnachweis als Instrument des Auftrages von<br />

Art. 55 a SchlT <strong>ZGB</strong> die für erforderlich gehaltene gesetzliche Grundlage.<br />

18. Art. 55 q, r, s: Aufbewahrung und Registrierung / Technische Anforderungen /<br />

Gebühren<br />

Die Aufbewahrung und Archivierung der kantonalen und kommunalen öffentlichen Urkunden<br />

fällt in die Organisationskompetenz der Kantone. Art. 122 BV erlaubt die<br />

44


Rechtssetzung nur bezüglich der Register. Dass die öffentlichen Urkunden die Belege<br />

der Register sind, ändert an dieser klaren Kompetenzausscheidung nichts.<br />

Ob die Archivierung, die vor allem im Grundbuchwesen insofern eine spezielle Bedeutung<br />

hat, als dass die Belegarchive nicht wirkliche Archive sind, sondern tagtäglich von<br />

den Urkundspersonen konsultiert werden, um ihre Arbeit zu verrichten, nun zweckmässigerweise<br />

auf Bundesebene zentralisiert werden soll, darf füglich in Frage gestellt<br />

werden.<br />

Die von bundesrechts wegen bisher sichergestellte Langzeitarchivierung ist genügend<br />

und zweckmässiger, weil sie alle Registerbelege erfassen kann. Dagegen führt die<br />

vorgeschlagene Ordnung nur zu einem Teilarchiv, das den Bedürfnissen des Notariates<br />

nicht gerecht werden kann. Die Urkundspersonen jener Kantone, die die e-<br />

Ausfertigung nicht zulassen wollen, mehr noch, auch all jene, die kein Obligatorium<br />

kennen, werden nicht oder nur teilweise <strong>elektronisch</strong> archivieren. Sowenig wie das<br />

Bundesrecht die Organisation der Gerichte anordnen kann, sowenig ist ein bundeszivilrechtlicher<br />

Zwang gegenüber der Urkundsperson denkbar.<br />

Im Übrigen bedarf die Führung eines zentralen Archives, das wohl neben den kantonalen<br />

Archiven Bestand haben wird, der Ordnung der Zugriffsberechtigungen im Tagesgebrauch,<br />

welche zweckmässigerweise über das Register der Urkundspersonen gesteuert<br />

wird, wobei die daherige bundesrechtliche Konzeption und Funktionsweise<br />

nicht genügt. Es liegt daher nahe, die für den Registerbetrieb vorgesehene Delegation<br />

an eine geeignete (!) Organisation ausserhalb der Bundesverwaltung, auch für die Archivierung<br />

vorzusehen.<br />

Die Vorschrift will die zentralisierte Archivierung über eine Verpflichtung der Urkundsperson<br />

erreichen und sicherstellen. Die Verpflichtung, e-Urkunden in e-Archive zu legen,<br />

ist grundsätzlich zu begrüssen. Sie ist tatsächlich die fehlende Konsequenz der<br />

Einführung des <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehrs. Ob die Anlage eines e-Archives<br />

aber grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage überhaupt bedarf, muss bezweifelt<br />

werden.<br />

45


Notwendig und wichtig ist aber die Sicherstellung der technischen Anforderungen gemäss<br />

Art. 55 t, die möglichst bald feststehen und nicht ständig geändert werden sollte,<br />

wie dies bei der Bereitstellung des Registers der Urkundspersonen noch immer der<br />

Fall ist.<br />

Die Registrierung des „Erstexemplars“ der Urkunden gemäss Abs. 2 zeigt die mit dem<br />

Wegfall der Eigenschaft der Originalität der e-Urschrift verbundene Verlegenheit, präjudiziert<br />

aber auch, dass die registerlichen Anmeldeprozesse zwingend als erste Anlaufstelle<br />

das Bundesarchiv haben sollen. Die Anmeldung über das Archiv hat der SNV<br />

längst beliebt gemacht und auch die damit verbundenen Möglichkeiten der Rationalisierung<br />

auf Kantonsebene aufgezeigt. Sie sind nicht in Abrede zu stellen. Dagegen<br />

muss bezweifelt werden, dass sie auf Akzeptanz stossen, wenn sie auf die Bundesebene<br />

übertragen werden sollen.<br />

Im Bericht ist die Rede von der ewigen Archivierung. Es bleit dabei unberücksichtigt,<br />

dass eine ganze Reihe kantonaler Notariatsordnungen diese gerade nicht vorsieht.<br />

Das hat auch seinen guten Grund. Die Sicherung des Beweiswertes einer Privaturkunde<br />

ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Staates, sondern der betroffenen Partei, die<br />

daraus Rechte ableiten will. Es ist daher erwägenswert, die Archivierungsdauer aus<br />

dieser Sicht zu hinterfragen. Ewig zu archivieren sind sicher die Register, daran besteht<br />

kein Zweifel. Dem Register kommt nach der geltenden Rechtsordnung auch die<br />

prioritäre Bedeutung zu. Das Beleg muss erst verfügbar gemacht werden, wenn der<br />

Eintrag Zweifel an seiner Bedeutung und rechtlichen Wirkung aufkommen lässt.<br />

Nicht ausgereift sind die Bestimmungen, welche Belege archiviert werden sollen. Die<br />

Frage stellt sich insbesondere, ob letztwillige Verfügungen als Objekte ausserhalb der<br />

Sphäre des Notariates überhaupt deponiert werden dürfen und ob beglaubigte Kopien<br />

und Unterschriften (Unterschriftsbeglaubigungen?) überhaupt archiviert werden sollen.<br />

Ferner ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die e-Archivierung der Pflege bedarf,<br />

die weit grösser ist als die Archivierung auf Papier. Die Fachwelt beteuert, dass<br />

die Sicherheitsrisiken und die Folgen der Pflege zur Erhaltung der Lesbarkeit gar nicht<br />

abschätzbar sind und ungeheuerlich hoch sein könnten. Der SNV vertritt daher die Auf-<br />

46


fassung, dass nicht nur die e-Urschrift nicht eingeführt werden darf, sondern aus Sicherheitsgründen<br />

ein Papierexemplar existieren muss.<br />

Die Unbeholfenheit, welche der Wegfall der Eigenschaft der e-Urschrift als Original erzeugt,<br />

wird in der Terminologie deutlich.<br />

Exkurs: In Absatz 3 ist die e-Urschrift als Kopie der <strong>elektronisch</strong>en öffentlichen Urkunde<br />

bezeichnet (was eigentlich bedeutet, dass sie auf Papier hergestellt wurde) und wird<br />

der Ausfertigung einer auf Papier errichteten Urschrift vorangestellt, wobei das „Erstexemplar“<br />

gemäss Abs. 2 das massgebende sein soll. In der „dematerialisierten“ Welt<br />

ist der hier verwendete Begriff „Erstexemplar“ klar nicht das treffende Wort, indem es<br />

keine Exemplare gibt. Die fehlerhafte Terminologie ist aber geeignet, fehlerhafte<br />

Schlussfolgerungen zu entlarven. Wenn es kein Exemplar mehr geben kann, kann<br />

auch kein Exemplar massgebend sein. Massgebend ist für gewöhnlich das Original,<br />

das es aber als Originalexemplar gar nicht mehr gibt. Die Urschrift als Original kann<br />

keine Kopie des Originals sein. Die „dematerialisierte“ gibt es dagegen auch nicht. Die<br />

Urkunde ist ab e-Träger beliebig kopierbar; dematerialisiert ist deswegen der Träger<br />

nicht, sondern das Erscheinungsbild erscheint so, eine neue Erscheinigungsform der<br />

potentiellen Ubiquität?).<br />

Fazit:<br />

Die Archivierung der Urkunde auf e-Träger dient primär den Bedürfnissen<br />

des Verkehrs. Sie ist eine Konsequenz, die es aus grundsätzlichen Erwägungen<br />

zu ziehen gilt. Die Vorschrift ist daher zu begrüssen. Papierarchive<br />

werden den Ansprüchen aus dem Geschäftsverkehr nicht mehr gerecht.<br />

Die Zentralisierung des Archivs auf Bundesebene missachtet die Kompetenzordnung<br />

zwischen Bund und Kantonen und wird deshalb schon auf Widerstand<br />

stossen. Sie ist überdies nicht zweckmässig. Eine Verbesserung<br />

der Transparenz wird damit nicht erreicht. Das Bundesarchiv als massgebendes<br />

Archiv präjudiziert den Ablauf des e-Geschäftsverkehrs unnötigerweise.<br />

Die gebotene Datensicherheit ist auch noch nicht hinreichend sicher.<br />

47


19. Art. 55 t: Haftung des Bundes<br />

Vor dem Hintergrund der Unwägbarkeiten, die bezüglich der Sicherheiten und Kosten<br />

der <strong>elektronisch</strong>en Archivierung bestehen, ist die einschränkende Haftungsvorschrift<br />

von Art. 55 t nicht wirklich angebracht.<br />

48


D. ABSCHLIESSENDE WÜRDIGUNG UND ANTRÄGE<br />

Die bestehende Ordnung hat sich grundsätzlich bewährt und hat keine Mängel. Die<br />

Kantone verfügen ganz allgemein über hochstehende Prozessordnungen. Es besteht daher<br />

keine Notwendigkeit und noch weniger ein Bedürfnis, daran etwas zu ändern.<br />

Die Kodifikation von Mindestanforderungen an die öffentliche Beurkundung ist ebenfalls<br />

klar unnötig, aber auch klar mit Nachteilen verbunden. Sie schwächt die Institution des<br />

Notariates erheblich. Sie bringt keinen Fortschritt, sondern eröffnet neue Fragen in einer<br />

neuen Dimension, deren Beantwortung die Rechtssprechung nicht auf der Grundlage der<br />

bisher bekannten Interpretationskriterien wird lösen können. Sie ist ferner mit der herrschenden<br />

Kompetenzausscheidung zwischen Bund und Kantonen kaum in Einklang zu bringen.<br />

Sie missachtet aber auch die bestehende Grundordnung der Formvorschriften des Obligationenrechtes<br />

und ändert diese fundamental ab (Verzicht auf die Signatur der Parteien). Die<br />

Vorschriften gehen also weit über das hinaus, was als Mindestanforderung gesehen werden<br />

könnte. Das Projekt bringt also Nachteile, die nicht heilbar sind, in das privatrechtlich bewährte<br />

System der Formschriften des Obligationenrechtes ein und ändert diese ab, was klar<br />

nicht im Schlusstitel des <strong>ZGB</strong> erfolgen kann. Die der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellte<br />

qualifizierte <strong>elektronisch</strong>e Signatur hat ihren Platz nicht umsonst in Art. 14 Abs. 2 bis<br />

OR gefunden.<br />

Wir tragen Ihnen deshalb an, die Kodifikation von Art. 55 SchlT <strong>ZGB</strong> unverändert zu belassen<br />

und von der Kodifikation von Mindestanforderungen abzusehen. Dies steht im Einklang<br />

mit der Zielsetzung, den <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehr zu fördern und hiefür möglichst<br />

rasch die für notwendig erachteten gesetzlichen Grundlagen und damit eine klare Basis zu<br />

schaffen.<br />

Hingegen befürwortet der SNV die Förderung des <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehrs<br />

grundsätzlich und begrüsst die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für das schweizerische<br />

Register der Urkundspersonen. Damit ist keine bundeszentrierte Vereinheitlichung des<br />

eigentlichen Notariatsprozesses verbunden. Das Register ist vielmehr Ausfluss der bereits<br />

bestehenden Norm von Art. 55 a SchlT <strong>ZGB</strong> und dient der notwendigen und zweckmässigen<br />

Sicherstellung der Interoperabilität, ist also zweifelsfrei verfassungskonform.<br />

49


Bei dieser Gelegenheit machen wir darauf aufmerksam, dass die Vorlage den Einbezug der<br />

Register nicht thematisiert. Die Aufgabe der Sicherstellung der Interoperabilität der Systeme<br />

macht es rechtlich möglich, den Notariaten den <strong>elektronisch</strong>en Zugang zu Infostar<br />

anzubieten. Der Zugriff auf Infostar ist tagtäglich für die Arbeit der Notarinnen und Notare<br />

nötig, in der Papierwelt aufwändig, umständlich und teuer, <strong>elektronisch</strong> aber einfach machbar,<br />

arbeitstechnisch und kostenseitig interessant und hätte den Effekt einer Förderungsmassnahme,<br />

die sich sehr lohnt und auf Beliebtheit stossen wird. Die Steuerung der<br />

Zugriffsberechtigungen muss dabei wie bei der Archivierung innerhalb der hoheitlichen<br />

Sphäre verbleiben, wird also über das Schweizerische Register der Urkundspersonen erfolgen<br />

können. Im Ergebnis stellt die Öffnung eine Registerharmonisierungsmassnahme<br />

dar.<br />

Die Einführung der e-Urschrift lehnen wir indessen vehement ab. Sie hat keine Vorteile<br />

für den <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehr, die nicht schon die e-Ausfertigung mit sich bringt.<br />

Die Vorschrift geniesst überdies gänzlich keine Akzeptanz und ist nur geeignet, der teilweise<br />

unsachlich motivierten Ablehnung des e-Geschäftsverkehrs schlechthin weitere Nahrung zu<br />

verschaffen und die Einführung des e-Geschäftsverkehrs erheblich zu verzögern oder gar zu<br />

verunmöglichen.<br />

Die Anlage eines e-Archives halten wir als zwangsläufige Folge der Implementierung<br />

des <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehrs für richtig und begrüssen diese sehr, soweit sie<br />

innerhalb der hoheitlichen Sphäre verbleiben muss, grundsätzlich vorbehaltlos. Das e-Archiv<br />

erfüllt die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, die mit einem Papierarchiv nicht mehr zu bewältigen<br />

sind. Das e-Archiv ist also echter Fortschritt, vielerorts aber auch bereits Rechtswirklichkeit.<br />

Hingegen ist der Wegfall der Papierurschrift mit rechtlichen und technischen Unsicherheiten<br />

behaftet, die vorläufig nicht eingegangen werden dürfen. So sehr die Zentralisierung<br />

von Registern und Archiven (Objektregister) wünschbar erscheinen mag, halten wir es<br />

aber mindestens vorläufig für verfrüht, eine Zentralisierung auf Bundesebene anzugehen.<br />

Die Akzeptanz des e-Geschäftsverkehrs wird deswegen nur noch mehr leiden. Die Sicherstellung<br />

der Interoperabilität und die Registerharmonisierung machen die Notwendigkeit der<br />

Zentralisierung elegant und ohne Störung der kantonalen hoheitlichen Befugnisse möglich.<br />

Die materiellen Vorschriften der Archivlösungen müssten indessen noch überarbeitet werden,<br />

und zwar vor allem mit den betroffenen Urkundspersonen selbst. Im Ergebnis tragen wir<br />

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Ihnen daher an, das Gesetzgebungsprojekt auf die Notwendigkeiten der Einführung und<br />

Förderung des <strong>elektronisch</strong>en Geschäftsverkehrs zu redimensionieren.<br />

Wir danken Ihnen für die Gelegenheit zur Stellungnahme und bitten Sie höflich, unseren<br />

Überlegungen gebührend zu würdigen.<br />

Namens des Vorstandes<br />

<strong>Schweizerischer</strong> Notarenverband<br />

Jean-Pierre Becher<br />

Rechtsanwalt und Notar<br />

Generalsekretär SNV<br />

PS. Eine Übersetzung der Eingabe in die französische Sprache ist in Arbeit und wird nachgereicht.<br />

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