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30 - GEW Landesverband Bayern

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Das Verhältnis zum eigenen Körper<br />

»Die Einstellung zur Selbstbefriedigung ist immer noch<br />

sehr ambivalent (obgleich auch problemloser als früher),<br />

wobei mit zunehmendem Alter die Jungen deutlich liberaler<br />

sind als die Mädchen« (S. 24) – auch ein Statement aus<br />

den 70er-Jahren. Was daraus wurde?<br />

Aufschluss geben die anonymisierten Fragen und Antworten,<br />

die sich Mädchen und Jungen während unseres<br />

Unterrichts, der nach Geschlechtern getrennt abläuft,<br />

stellen. Auf die Frage »Wie oft machen Jungen eigentlich<br />

Selbstbefriedigung pro Woche?« kann sich die Jungengruppe<br />

meist rasch auf die Antwort »zwischen drei und sechs<br />

Mal ungefähr« einigen. Die Frage, ob Jungs das tun, steht<br />

gar nicht zur Debatte – weder bei den Mädchen noch bei<br />

den Jungen.<br />

Die Formulierung der Gegenfrage klingt dagegen auffällig<br />

anders: »Machen Mädchen auch Selbstbefriedigung?«,<br />

will die Jungengruppe vorsichtig wissen. Meine Kolleginnen<br />

berichten, dass die Mädchen es nicht einmal untereinander<br />

wagen zuzugeben, dass sie »so was« tun. Deshalb<br />

lautet die Antwort oft: »Wir schätzen zwei Mal im Monat,<br />

aber nur bei 60 % der Mädchen.«<br />

Viel hat sich also nicht geändert. Ansporn genug für<br />

unsere weitere pädagogische Arbeit: Ein lustvoller Zugang<br />

zum eigenen Körper ist gerade für Mädchen nach wie vor<br />

deutlich schwieriger, scham- und angstbesetzter als für<br />

Jungen. Diese geringere Wertschätzung des eigenen Körpers<br />

erschwert auch das selbstbewusste Einstehen für die<br />

eigenen Interessen. Trotz dieser Problematik ist es bei unserer<br />

Arbeit besonders wichtig, die gruppenpädagogische<br />

Ebene nicht zugunsten eines beraterisch-therapeutischen<br />

Ansatzes zu verlassen. Deshalb machen wir auf die Unterschiede<br />

zwischen der Einstellung der Mädchen und der<br />

Jungen aufmerksam und regen Diskussionen darüber an.<br />

Wir fragen aber nicht, wer welche Erfahrungen bereits gemacht<br />

hat, da Schamgrenzen von uns nicht überschritten<br />

werden dürfen.<br />

Sexualität und Bilder<br />

In den 70er-Jahren standen bei diesem Thema Printmedien<br />

sowie das öffentlich-rechtliche Fernsehen im Fokus<br />

der Diskussion: »In der Regel wird dort ein klischeehaftes<br />

Wissen über Sexualität vermittelt, sei es in einem<br />

pseudowissenschaftlichen Sex-Report einer Zeitschrift<br />

oder sei es in einer meist in immer gleichen Mustern ablaufenden<br />

Liebesszene eines Spielfilms. Das setzt Maßstäbe!«<br />

(S. 25)<br />

Drei Medien, die heute unsere Lebenswelt bestimmen,<br />

gab es damals noch gar nicht: Privatfernsehen, Internet<br />

und Handys. Medien, die Jugendliche heute nutzen, um an<br />

Bilder über Sex zu kommen – auch an Bilder, die für sie, ja<br />

sogar für Erwachsene verboten sind. Gerade für sehr viele<br />

Jungen gilt: Lange, bevor sie jemandem sexuell näher<br />

kommen, haben sie den Geschlechtsakt oft in tausendfacher<br />

Variation in bewegten Bildern gesehen. Das setzt heute<br />

Maßstäbe.<br />

Sammeln wir in unseren Gruppen z. B. Begriffe zum<br />

Thema Sexualität, entspringen sehr viele der Pornografie.<br />

Es braucht viel Zeit, um klarzustellen, dass Pornos in aller<br />

Regel keine realen sexuellen Begegnungen wiedergeben<br />

oder das zeigen, was Frauen wirklich wünschen. Auch<br />

der Hinweis, dass die Bilder oft verfremdet sind, wird lange<br />

nicht angenommen. Deshalb thematisieren wir auch,<br />

dass pornografische Bilder nicht nur erregen, sondern<br />

auch irritieren, verunsichern und abstoßen können – und<br />

zwar nicht nur Mädchen. Und selbstverständlich geht es<br />

auch darum, dass die Weitergabe von Pornografie an unter<br />

18-Jährige schlicht verboten ist, auch wenn der Weitergebende<br />

unter 18 Jahre ist.<br />

Vom Beratungsbus zur Online-Beratung<br />

Während all der Jahre stell(t)en wir uns immer wieder<br />

die Frage, wie wir Jugendliche auf unser Beratungsangebot<br />

aufmerksam machen können. In den 70er-Jahren waren<br />

es die Beratungsbusse auf gut besuchten, öffentlichen<br />

Plätzen. Mitte der 90er-Jahre begannen wir mit der telefonischen<br />

Jugendberatung – beide Projekte wurden mangels<br />

Erfolgs wieder eingestellt.<br />

Der vorläufig letzte Versuch eines regionalen Beratungsangebots<br />

war die sogenannte »First-Love-Ambulanz«.<br />

Einmal pro Woche konnten Jugendliche hier anonym<br />

und kostenlos einer SexualpädagogIn und einer ÄrztIn<br />

psychosoziale und medizinische Fragen stellen. Das<br />

Medien-Echo war groß, ebenso der Werbeaufwand. Doch<br />

auch dieses Projekt wurde wegen mangelnder Akzeptanz<br />

wieder eingestellt. Befragte Jugendliche sagten uns, es sei<br />

unglaublich peinlich, schambesetzt, schlicht uncool, zu einer<br />

Beratungsstelle zu gehen.<br />

Das Internet brachte dann vor einigen Jahren den<br />

Durchbruch. Jugendliche chatten dort, holen sich Infos,<br />

knüpfen Kontakte ... Die Online-Beratung »Sextra.de«,<br />

ein bundesweites pro-familia-Projekt, dockte hier an. Und<br />

Sextra.de boomt. Über Sextra.de beraten wir heute wesentlich<br />

mehr Jugendliche als in den vergangenen Jahren über<br />

andere Kommunikationskanäle.<br />

von Sebastian Kempf<br />

Diplom-Sozialpädagoge (FH), arbeitet seit 18 Jahren<br />

im Sexualpädagogischen Team<br />

der pro familia München<br />

Kontakt: sebastian.kempf@profamilia.de<br />

Literatur:<br />

Senta Fricke/Michael Klotz/Peter Paulich: Sexualerziehung? Handbuch für die<br />

pädagogische Gruppenarbeit für Berater und Eltern. Reinbek 1983.<br />

DDS März 2012 10

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