Phraseoschablonen - PD Dr. Wolfgang Schindler
Phraseoschablonen - PD Dr. Wolfgang Schindler
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Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
Institut für Deutsche Philologie<br />
Hauptseminar „Probleme der Phraseologie“<br />
Leiter: <strong>PD</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Schindler</strong><br />
Referentin: Max Voigtmann<br />
Datum: 04.06.2012<br />
<strong>Phraseoschablonen</strong><br />
auch: „Modellbildungen“<br />
Allgemeines über <strong>Phraseoschablonen</strong><br />
``<br />
Grenzbereich zwischen Phraseologie und Syntax<br />
``<br />
Einordnung zur Phraseologie war (früher) strittig<br />
``<br />
Definitionsmodelle für Phraseologismen auf <strong>Phraseoschablonen</strong> oft nicht anwendbar<br />
Wie werden <strong>Phraseoschablonen</strong> beschrieben?<br />
``<br />
syntaktisch-semantische Struktur, deren Bedeutung markiert ist [Burger u.a. 1982]<br />
``<br />
syntaktisches Schema, das weitgehend frei mit Lexemen gefüllt werden kann<br />
[Häusermann 1977]<br />
``<br />
eine Art syntaktische Idiomatizität [Fleischer1977, vgl. auch Burger u.a. 1982]<br />
``<br />
Strukturschema mit konstanter semantischer Interpretation [Burger 2010]<br />
Probleme mit <strong>Phraseoschablonen</strong><br />
``<br />
erkennbare Schablone, aber keine konstante Semantik<br />
``<br />
Schablonen-Strukturen ohne klar erkennbare Semantik<br />
``<br />
Schablone ist nur teilweise mit Lexemen frei belegbar<br />
``<br />
einzelne Bildungen einer Schablone sind idiomatisiert<br />
``<br />
Abgrenzung zur Anspielung auf idiomatisierte Form<br />
Was war zuerst da?<br />
``<br />
Phraseoschablone steht Modell für idiomatisierte Form<br />
``<br />
aus idiomatisierter Form entwickelt sich Phraseoschablone<br />
Beispiele für <strong>Phraseoschablonen</strong><br />
``<br />
Wiederholung von Lexemen, verbunden mit „ist“ [Burger u.a. 1982, Fleischer 1997,<br />
Donalies 2009]<br />
Sicher ist sicher.<br />
Dienst ist Dienst.<br />
Vorbei ist vorbei.<br />
``<br />
Wiederholung des finiten Verbs, verbunden durch „und“ [Burger u.a. 1982, Fleischer<br />
1997]<br />
Das wird und wird nichts.<br />
Die Farbe trocknet und trocknet nicht.<br />
Er rührt und rührt sich nicht.
``<br />
Eine emphatische Konstruktion, eingeleitet mit „was“ oder „wer“ [Burger u.a. 1982]<br />
Was zu viel ist, ist zu viel.<br />
Was zu spät ist, ist zu spät.<br />
Wer zuletzt lacht, lacht am besten. [!, so bei Burger u.a. 1982]<br />
``<br />
Doppelung des gleichen Substantivs, verbunden durch Präposition [Burger u.a. 1982,<br />
Fleischer 1997]<br />
Schulter an Schulter<br />
Tag für Tag<br />
Hand in Hand<br />
Fleischer zählt hierzu auch die intensivierende Genitivkonstruktion:<br />
Buch der Bücher<br />
Spiel der Spiele<br />
``<br />
Doppelung der gleichen Präposition, verbunden durch „und“ [MV]<br />
nach und nach<br />
``<br />
Doppelung des gleichen Substantivs mit antonymischen Adverbpaar [Burger u.a. 1982,<br />
Fleischer 1997]<br />
Bedeutung: kontradiktorisch<br />
Vater hin, Vater her …<br />
Bedeutung: launisch-wechselhaft<br />
Rein in die Büsche, raus aus den Büschen.<br />
„rin in de Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ [!]<br />
` ` „Incredulity Response Construction“ [Burger u.a. 1982, Bücker 2007, Fleischer 1997]<br />
Der und ein Freund?<br />
Das und funktionieren?<br />
Ich? Dich vermissen?<br />
``<br />
Substantiv + von + (unbest.) Artikel + Substantiv [Burger u.a. 1982, Fleischer 1997]<br />
ein Baum von einem Kerl<br />
ein Bild von einem Mädchen<br />
dieses Loch von einer Wohnung<br />
``<br />
Frageadverb / -pronomen + Substantiv als Ausrufesatz [Fleischer 1997]<br />
Was für eine Frau!<br />
Wieviel Arbeit!<br />
``<br />
Frageadverb / -pronomen + finites Verb als Ausrufesatz [Fleischer 1997]<br />
Wie er läuft!<br />
Was du nicht alles geleistet hast!
``<br />
es / Substantiv + ist + zum + substantivierter Infinitiv [Fleischer 1997, Donalies 2009]<br />
Es ist zum Heulen.<br />
Es ist zum Davonlaufen.<br />
Die Luft ist zum Schneiden.<br />
Du bist zum Schreien. [MV]<br />
Fleischer zählt hierzu auch Konstruktionen aus haben + gut + Infinitv ohne zu:<br />
Du hast gut lachen.<br />
Du hast gut arbeiten.<br />
``<br />
von + Substantiv + zu + Substantiv [Häusermann 1977]<br />
von Tag zu Tag<br />
von Ort zu Ort<br />
von Mann zu Mann<br />
von Pontius zu Pilatus<br />
``<br />
Vergleichsformen (Komparative Phraseologismen) [vgl. Häusermann 1977, vgl. Burger 2010]<br />
jmd. steht da wie ein Schluck Wasser in der Kurve<br />
jmd. gibt an wie eine Steige voller Affen<br />
frech wie Oskar [?]<br />
dumm wie Bohnenstroh [?]<br />
``<br />
Alle reden vom + Substantiv + Wir + Gegensatz [Donalies 2009]<br />
Alle reden vom Klimaschutz. Wir tun etwas dafür.<br />
Alle reden vom Alter, wir sind jung.<br />
Alle reden vom Klima. Wir ruinieren es.<br />
``<br />
Nur ein + Adjektiv + Substantiv + ist ein guter + Substantiv [Donalies 2009]<br />
Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.<br />
Nur ein schuldbewusster Angestellter ist ein guter Angestellter.<br />
``<br />
Kein X, nirgends [Donalies 2009]<br />
Kein Sturm, nirgends.<br />
Kein Zentrum, nirgends.<br />
``<br />
X bleibt X [Donalies 2009]<br />
Mainz bleibt Mainz<br />
doof bleibt doof<br />
Verlierer bleibt Verlierer<br />
``<br />
Lieber x als y [Donalies 2009]<br />
Lieber tot als rot.<br />
Lieber arm dran als Arm ab.<br />
Lieber hochschwanger als niederträchtig.
Konstruktionsgrammatische Betrachtungen [Staffeldt 2011]<br />
``<br />
Vier Einträge im Redensarten-Duden<br />
in jmds. Hand/Händen sein<br />
in festen Händen sein (ugs.)<br />
in sicheren/guten Händen sein<br />
in guten/schlechten Händen sein/liegen<br />
``<br />
werden von Staffeldt auf zwei Schablonen / Schemata reduziert:<br />
der Spezialistenphraseologismus<br />
[SUBJEKT + ist/sind + bei + NP in ADJEKTIV bewertend {gut/richtig<br />
} + Händen]<br />
der Besitzphraseologismus<br />
[SUBJEKT + ist/sind + in + Adjektiv {-bewertend<br />
} + Hand/Händen]<br />
Von der Phraseoschablone zum formelhaften Text [Gülich 1997]<br />
``<br />
Formelhafte Texte sollen den <strong>Phraseoschablonen</strong> zugerechnet werden<br />
``<br />
<strong>Phraseoschablonen</strong> als Teil einer komplexen Formulierungstheorie<br />
``<br />
Beispiel: Todesanzeigen, Glückwünsche, Danksagungen<br />
„Ich plädiere dafür, dieses Konzept [der <strong>Phraseoschablonen</strong>, MV] auch auf Texte<br />
zu übertragen. Es bietet einen Ansatz zur Beschreibung von Formelhaftigkeit auf<br />
verschiedenen Ebenen, der über die Grenzen einer traditionellen Phraseologie<br />
hinausweist.“ [Gülich 1997, 170]<br />
Nicht ganz ernst gemeintes Fazit<br />
„Eine Phraseoschablone ist eine Phraseoschablone ist eine Phraseoschablone.“<br />
[Donalies 2009, 98]<br />
Literatur<br />
Burger, Harald (2010): Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen. 4. Aufl. Berlin.<br />
Burger, Harald & Annelies Buhofer & Ambros Sialm (1982): Handbuch der Phraseologie. Berlin/New York.<br />
Burger, Harald u. a. (Hgg.) (2007): Phraseologie - Phraseology. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen<br />
Forschung. Berlin; New York<br />
Donalies, Elke (2009): Basiswissen Deutsche Phraseologie. Tübingen<br />
Fleischer, <strong>Wolfgang</strong> (1997). Phraseologie der deutschen Gegenwartssprache. 2. Aufl. Tübingen<br />
Häusermann, Jörg (1977). Phraseologie. Hauptprobleme der deutschen Phraseologie auf der Basis sowjetischer<br />
Forschungsergebnisse. Tübingen: Niemeyer.<br />
Staffeldt, Sven (2011). In der Hand von Konstruktionen. Eine Fallstudie zu bestimmten Phraseologismen mit in ... Hand.. In<br />
Lasch, A. & Ziem, A. (editors), Konstruktionsgrammatik III. Aktuelle Fragen und Lösungsansätze. Tübingen: Stauffenburg.<br />
Gülich, Elisabeth (1997): „Routineformeln und Formulierungsroutinen. Ein Beitrag zur Beschreibung ‚formelhafter Texte‘“. In:<br />
Wimmer, Rainer/Berens, Franz-Josef (eds.): Wortbildung und Phraseologie. Tübingen, Niemeyer: 130–175.‘<br />
Bücker, Jörg (2007): ‚Du und tolerant?‘ – Zur Syntax, Semantik und Pragmatik deutscher ‚Incredulity Response Constructions‘<br />
(IRCs). gidi [= Arbeitspapierreihe des Projektes ‚Grammatik der Interaktion‘] 2007/5.<br />
Die neuerschiene Dissertation des Autors greift das Thema wieder auf:<br />
Bücker, Jörg (2012): Sprachhandeln und Sprachwissen. Grammatische Konstruktionen in der kommunikativen<br />
Praxis. Berlin: De Gruyter.<br />
Palm, Christine (1995): Phraseologie: eine Einführung. Tübingen.