31.10.2013 Aufrufe

Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990» (4.9MB)

Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990» (4.9MB)

Postmodernism. Style and Subversion 1970–1990» (4.9MB)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

«<strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong><br />

06.07.2012 – 28.10.2012<br />

Unterlagen für Schulen<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung


«<strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong><br />

06.07.2012 – 28.10.2012<br />

Unterlagen für Schulen<br />

Bildung & Vermittlung | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich<br />

Liebe Lehrerinnen und Lehrer<br />

Ein Stuhl, der zu zerfliessen droht, ein Regal in der Form eines chinesischen Schriftzeichens,<br />

eine Brücke als Schreibtisch – Architekten, Designer und Künstler spielten in den 70er und<br />

80ern mit Form und Funktion. Einige unter Ihnen werden sich noch persönlich an die Zeit<br />

erinnern, in der die Postmoderne auf Ihr Leben und die Sie umgebende Kultur und Design einen<br />

grossen Einfluss hatte. Für Ihre Schülerinnen und Schüler ist die Postmoderne bereits<br />

Geschichte, eine historische Epoche, die sie nicht selber erlebt haben. Nichtsdestotrotz hoffen<br />

wir, zusammen mit Professor Martin Roth, Direktor Victoria <strong>and</strong> Albert Museum London,<br />

«… auch das Interesse der jüngeren Generation zu wecken. Die jungen Leute sollen<br />

diese dramatische Periode in der Geschichte von Kunst und Design und ihren bis heute<br />

<strong>and</strong>auernden Einfluss für sich entdecken.»<br />

In Führungen und Workshops mit den Schülerinnen und Schülern gehen wir unter <strong>and</strong>erem den<br />

Fragen nach, was wir unter Postmoderne verstehen und wie sich die Postmoderne auf ihr Leben<br />

jetzt (noch) auswirkt. Ist die Postmoderne bereits zu Ende? Und jetzt? In welcher Epoche<br />

befinden wir uns heute?<br />

Wir freuen uns auf viele interessante Diskussionen. Weitere Informationen finden Sie unter<br />

www.l<strong>and</strong>esmuseum.ch/schulen.<br />

Wir freuen uns auf Ihren Besuch im L<strong>and</strong>esmuseum Zürich.<br />

Prisca Senn, Leitung Bildung & Vermittlung<br />

Rebecca S<strong>and</strong>ers, Lisa Trapp<br />

Bildung & Vermittlung | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung


Angebote für Schulen<br />

Angebote für Schulklassen aus der Schweiz sind kostenlos.<br />

Der Besuch der Ausstellung mit einer Schulklasse ist nur auf Anmeldung möglich.<br />

Einführung für Lehrpersonen<br />

Rundgang durch die Ausstellung mit Christina Sonderegger, Ausstellungskuratorin, Prisca Senn<br />

und Rebecca S<strong>and</strong>ers, Bildung & Vermittlung. Präsentation der Angebote für Schulen und<br />

didaktische Inputs. Anmeldung erwünscht: fuehrungen@snm.admin.ch<br />

Mi 11.07. | Mi 29.08.2012 | 17.00–18.30<br />

Führungen<br />

«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | 1<br />

Choco-Chair, ein Brückenschreibtisch, eine bonbonfarbene Teekanne, das Regal ‚Kung-Fu‘, der<br />

Film ‚Der Lauf der Dinge‘. Wir betrachten erstaunliche Objekte von Fischli/Weiss bis Ai Weiwei<br />

und erfahren, welche Trends in Musik und Kleidermode in den 70ern und 80ern angesagt waren.<br />

Führung für alle Stufen | Dauer 1 Stunde<br />

«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | 2<br />

Was ist ‚die Moderne‘, was ist ‚die Postmoderne‘? Ausgehend von Beispielen aus Architektur,<br />

Musik, Design, Kunst und Mode der Postmoderne stellt sich auch die Frage, was vorher war und<br />

worauf die Postmoderne reagiert. Mit Blick auf die Gegenwart diskutieren wir, in welcher<br />

Stilepoche wir uns heute befinden.<br />

Führung für Sekundarstufe I und II | Dauer 1 Stunde<br />

Workshop<br />

«Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche»<br />

Ausstellungsobjekte zu Architektur, Musik, Design, Kunst und Mode zeigen die zentralen<br />

Gestaltungselemente der Postmoderne. Ganz nach den Mottos «Ornament ist kein Verbrechen»<br />

und «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion» versuchen wir uns selber in der Gestaltung<br />

eines postmodernen Objekts.<br />

Workshop für alle Stufen | Dauer 2 Stunden | Materialbeitrag pro Klasse CHF 50.-<br />

Unterlagen für Schulen<br />

Unterlagen für Schulen zum Ausstellungsbesuch sowie zur Vor- und Nachbereitung stehen zum<br />

Download bereit unter www.postmodernism.ch/schulen<br />

Information & Anmeldung<br />

Büro Bildung & Vermittlung | 044 218 65 04 | Mo-Fr 9.00-12.30 Uhr | fuehrungen@snm.admin.ch<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 3


Inhalt<br />

Zur Ausstellung .............................................................................................................................................. 5<br />

Begleitpublikationen ..................................................................................................................................... 5<br />

Unterrichtseinheiten für Schulklassen | Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung ................................ 6<br />

«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | Für alle Stufen ............................................... 6<br />

«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | Für Sekundarstufe I und II ......................................................... 7<br />

Workshop «Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II .......................... 8<br />

Ausstellungsplan ........................................................................................................................................... 9<br />

Hintergrund.................................................................................................................................................. 10<br />

Was ist Postmoderne? ............................................................................................................................. 10<br />

«<strong>Postmodernism</strong>. Stil und <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong> ................................................................................ 11<br />

Mummenschanz und <strong>Postmodernism</strong> ..................................................................................................... 33<br />

Postmoderne in der Schweiz – Auszüge aus der Begleitpublikation ....................................................... 34<br />

schräg, solid, postmodern von Christina Sonderegger ............................................................................ 34<br />

Der Geist der Postmoderne von Alois Martin Müller ................................................................................ 38<br />

Timeline ....................................................................................................................................................... 44<br />

Glossar ......................................................................................................................................................... 50<br />

Postmoderne VIPs ........................................................................................................................................ 52<br />

Medienverzeichnis | Literatur und Links ...................................................................................................... 55<br />

Klassenmaterialien ...................................................................................................................................... 56<br />

KM 1 Modern! .............................................................................................................................. 56<br />

KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre .................................................................................................... 57<br />

KM 3 Die Postmoderne. Eine Checkliste ...................................................................................... 58<br />

KM 4 Architektur .......................................................................................................................... 59<br />

KM 5 Design ................................................................................................................................. 60<br />

KM 6 Mode ................................................................................................................................... 61<br />

KM 7 Grafik................................................................................................................................... 62<br />

KM 8 Musik ................................................................................................................................... 63<br />

KM 9 Anything goes ...................................................................................................................... 64<br />

KM 10 Filme & Videoclips ............................................................................................................... 65<br />

KM 11 Postmodernes Gestaltungselemt 1│Ironie & Witz .............................................................. 66<br />

KM 12 Postmodernes Gestaltungselemt 2│Zitieren ...................................................................... 67<br />

KM 13 Postmodernes Gestaltungselemt 3│Ornament & Farbe ..................................................... 68<br />

KM 14 Postmodernes Gestaltungselemt 4│Kitsch, High & Low .................................................... 69<br />

KM 15 Postmodernes Gestaltungselemt 5│Form &Funktion ........................................................ 70<br />

KM 16 Kunst und Kommerz ............................................................................................................ 71<br />

KM 17 Choco-Chair & Co. ............................................................................................................... 72<br />

KM 18 Quiz zur Postmoderne ......................................................................................................... 73<br />

KM 18 Quiz (Lösungen) ................................................................................................................... 74<br />

KM 19 Post-Postmoderne? ............................................................................................................ 75<br />

KM 20 Moderne – Postmoderne – und jetzt? ................................................................................. 76<br />

KM 21 Interview mit Zeitzeugen ..................................................................................................... 77<br />

_________________________________________________________________________________________<br />

Impressum<br />

Unterlagen für Schulen zur Ausstellung «<strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong> 06.07.2012 –<br />

28.10.2012. | Rebecca S<strong>and</strong>ers, Prisca Senn, Lisa Trapp, Bildung & Vermittlung L<strong>and</strong>esmuseum Zürich.<br />

Lektorat: Stefan Damiano, Matthias Senn<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 4


Zur Ausstellung<br />

Mit der einzigartigen Ausstellung «<strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong> kommt<br />

für einen Sommer das Victoria <strong>and</strong> Albert Museum London (V&A) ins L<strong>and</strong>esmuseum Zürich.<br />

Erstmals wird die Epoche der Postmoderne in einer umfassenden Präsentation mit<br />

internationalen Objekten aus den Bereichen Architektur, Kunst, Mode, Grafik, Musik und Design<br />

der 1970er- und der 1980er-Jahre gewürdigt. Die Ausstellung widmet sich damit einem der am<br />

heftigsten umstrittenen Phänomene der jüngsten Kunst- und Designgeschichte.<br />

Das V&A hat aus der Show eine kompakte Touring Exhibition mit den wichtigsten<br />

Schlüsselobjekten zusammengestellt. Präsentiert wird die rasante Entwicklung der<br />

postmodernen Bewegung, ausgehend von einer provokanten Architekturströmung der frühen<br />

1970er-Jahre bis hin zu ihrem Einfluss auf alle Bereiche der Populärkultur wie Film, Musik,<br />

Grafik und Mode.<br />

Das L<strong>and</strong>esmuseum Zürich ergänzt die Ausstellung mit den wichtigsten Schweizer Vertretern<br />

der Postmoderne und bindet das Ganze in eine Timeline aus politischen, wirtschaftlichen und<br />

sozialen Ereignissen ein. Trix und Robert Haussmann sind mit ihrem Manierismo Critico, Susi<br />

und Ueli Berger mit ihren ironischen Arbeiten vertreten. Die Tessiner Schule, Mario Botta und die<br />

Analoge Architektur bilden die architektonische Ausein<strong>and</strong>ersetzung in den 1980er-Jahren ab.<br />

Schmuck von Bernhard Schobinger, Kleider von Christa de Carouge, Grafik-Design, sowie<br />

Videokunst von Fischli/Weiss und Musik von Yello runden die Schweizer Beiträge ab. Bei den<br />

Exponaten h<strong>and</strong>elt es sich um Objekte aus der Sammlung des Schweizerischen<br />

Nationalmuseums sowie um Leihgaben von Privaten und Museen.<br />

Begleitpublikationen<br />

Zur Ausstellung erscheint eine bebilderte Publikation zur Postmoderne in der<br />

Schweiz. Neben Artikeln zum Zeitgeist sowie zu Architektur und Gestaltung<br />

geben Interviews mit Musik- und Modeexperten Einblick in die lebendige<br />

Schweizer Szene von 1970–1990.<br />

«<strong>Postmodernism</strong>. Aus Schweizer Sicht». Auf Deutsch. 64 Seiten, ca.<br />

40 Farbabbildungen. ISBN 978-3-905875-33-1. CHF 28.–<br />

Der umfangreiche und grosszügig bebilderte Ausstellungskatalog des V&A<br />

bietet eine stilistische Analyse der Postmoderne und in 38 Essays<br />

namhafter internationaler Autoren werden die Hauptobjekte der<br />

Ausstellung detailliert vorgestellt.<br />

Glenn Adamson & Jane Pavitt (Hg.). «<strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong><br />

<strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong>. Auf Englisch. 320 Seiten, 250 Abbildungen.<br />

Hardcover ISBN 978-1-85177-659-7. CHF 68.– Softcover ISBN 978-1-<br />

85177-662-7. CHF 44.–<br />

Erhältlich im Museumsshop, im Buchh<strong>and</strong>el oder über buchbestellung@snm.admin.ch<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 5


Unterrichtseinheiten für Schulklassen |<br />

Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung<br />

«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?» | Für alle Stufen<br />

Vorbereitung im Unterricht<br />

Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,<br />

‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen<br />

den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld<br />

dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur<br />

Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.<br />

KM 1 Modern!<br />

KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre<br />

Besuch im Museum<br />

Führung mit FachreferentIn | Dauer 1 Stunde<br />

«Postmoderne. Was hat Sterben mit Coca-Cola zu tun?»<br />

Der Choco-Chair, ein Brückenschreibtisch, eine bonbonfarbene Teekanne, das Regal ‚Kung-Fu‘,<br />

der Film ‚Der Lauf der Dinge‘: Wir betrachten erstaunliche Objekte von Fischli/Weiss bis Ai<br />

Weiwei und erfahren, welche Trends in Musik und Kleidermode in den 70ern und 80ern angesagt<br />

waren.<br />

Freie Besichtigung<br />

<br />

<br />

Mummenschanz Faces<br />

KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung<br />

Nachbereitung im Unterricht<br />

Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft<br />

werden. Das Kreieren eines postmodernen Objekts anh<strong>and</strong> der Checkliste (KM 3) (Fach<br />

Bildnerisches Gestalten) oder das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und<br />

ein Vergleich mit der heutigen Musikszene (Fach Musik) sind Möglichkeiten.<br />

KM 19 Und jetzt?<br />

KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?<br />

KM 21 Interview mit Zeitzeugen<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 6


Unterrichtseinheiten für Schulklassen<br />

Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung<br />

«Moderne, Postmoderne – und jetzt?» | Für Sekundarstufe I und II<br />

Vorbereitung im Unterricht<br />

Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,<br />

‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen<br />

den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld<br />

dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur<br />

Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.<br />

KM 1 Modern!<br />

KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre<br />

Besuch im Museum<br />

Führung mit FachreferentIn | Dauer 1 Stunde<br />

«Moderne, Postmoderne – und jetzt?»<br />

Was ist ‚die Moderne‘, was ist ‚die Postmoderne‘? Ausgehend von Beispielen aus Architektur,<br />

Musik, Design, Kunst und Mode der Postmoderne stellt sich auch die Frage, was vorher war und<br />

worauf die Postmoderne reagiert. Mit Blick auf die Gegenwart diskutieren wir, in welcher<br />

Stilepoche wir uns heute befinden.<br />

Freie Besichtigung<br />

<br />

<br />

Mummenschanz Faces<br />

KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung<br />

Nachbereitung im Unterricht<br />

Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft<br />

werden. Das Kreieren eines postmodernen Objekts anh<strong>and</strong> der Checkliste (KM 3) (Fach<br />

Bildnerisches Gestalten) oder das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und<br />

ein Vergleich mit der heutigen Musikszene (Fach Musik) sind Möglichkeiten.<br />

KM 19 Und jetzt?<br />

KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?<br />

KM 21 Interview mit Zeitzeugen<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 7


Unterrichtseinheiten für Schulklassen<br />

Vorschläge für die Ausstellungsbesichtigung<br />

«Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II<br />

Vorbereitung im Unterricht<br />

Der Schulstufe entsprechend können die Begriffe ‚postmodern/Postmoderne‘,<br />

‚modern/Moderne‘ eingeführt werden. Recherchen zu den 70er- und 80er-Jahren ermöglichen<br />

den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das politische und gesellschaftliche Umfeld<br />

dieser Zeit. Auch ein Einstieg über Spiel- und Dokumentarfilme sowie über Musik mit Bezug zur<br />

Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler bietet sich an.<br />

KM 1 Modern!<br />

KM 2 Die 70er- und 80er-Jahre<br />

Besuch im Museum<br />

Workshop mit FachreferentIn | Dauer 2 Stunden<br />

Workshop «Postmoderne. Die stylisch subversive Tasche» | Für Sekundarstufe I und II<br />

Ausstellungsobjekte zu Architektur, Musik, Design, Kunst und Mode zeigen die zentralen<br />

Gestaltungselemente der Postmoderne. Ganz nach den Mottos «Ornament ist kein Verbrechen»<br />

und «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion» versuchen wir uns selber in der Gestaltung<br />

eines postmodernen Objekts.<br />

Freie Besichtigung<br />

<br />

<br />

Mummenschanz Faces<br />

KM 3-18 mit Aufträgen zur selbständigen Besichtigung<br />

Nachbereitung im Unterricht<br />

Die in der Ausstellung angesprochenen Themen können im Unterricht nachbereitet und vertieft<br />

werden. Das Zusammenstellen von Musikstücken der 70er und 80er und ein Vergleich mit der<br />

heutigen Musikszene (Fach Musik) ist eine weitere Möglichkeit zur Vertiefung.<br />

KM 19 Und jetzt?<br />

KM 20 Moderne, Postmoderne – und jetzt?<br />

KM 21 Interview mit Zeitzeugen<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 8


Ausstellungsplan<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 9


Hintergrund<br />

Was ist Postmoderne?<br />

Die Postmoderne ist Reaktion und Gegenbewegung gegen die Orthodoxie der Moderne und<br />

gegen deren zunehmend als totalitär empfundenen Purismus. Mit der Postmoderne begannen<br />

Künstler und Gestalter Subkultur aufzuwerten. Eine neue Vielfalt von Form, Farbe, Material, Stil<br />

und Stilisierung schafft sich ihren Platz. Vermeintlich unumstössliche Wahrheiten des<br />

«Connaisseurs» werden mit Ideen von Eigenständigkeit, Sinn für Freiheit und Pluralität<br />

konfrontiert und relativiert.<br />

Von allen Strömungen in der Kunst- und Designgeschichte ist die Postmoderne die vielleicht<br />

kontroverseste. Mit ihren unterschiedlichen Graden an Theatralik und Theorie sperrt sie sich<br />

gegen eine Definition. Ihr Stil hatte viele Gesichter, war mal bunt und verfallen, dann wieder<br />

skurril und verschwenderisch. Doch so vielgestaltig die Postmoderne auch war, so eindeutig war<br />

ihr Leitgedanke: Sie forderte eine radikale Abkehr von den utopischen Visionen der Moderne, die<br />

auf Klarheit und Einfachheit gesetzt hatten.<br />

Wollten die Modernisten den Blick auf eine neue Welt werfen, so ähnelt die Postmoderne eher<br />

einem zerbrochenen Spiegel, dessen Scherben die Welt reflektieren. Komplexität und<br />

Widerspruch waren ihre Schlüsselprinzipien. Obwohl sie sich zunächst rebellisch gaben,<br />

verstrickten sich ihre Vertreter im Laufe der zwei Jahrzehnte von 1970 bis 1990 in eben jene von<br />

Geld und Macht beherrschten Zirkel, die sie ursprünglich hatten demontieren wollen.<br />

Die Postmoderne brach mit herkömmlichen Vorstellungen von Stil. Sie sagte sich in Sachen<br />

Design von allen Zwängen los und tat sich durch Gesten hervor, die zumeist witzig, manchmal<br />

streitlustig und gelegentlich absurd waren. Vor allem aber sorgte die Postmoderne für ein völlig<br />

neues Bewusstsein im Umgang mit Stil.<br />

Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 10


«<strong>Postmodernism</strong>. Stil und <strong>Subversion</strong> <strong>1970–1990»</strong><br />

Die «<strong>Postmodernism</strong>» lässt die Siebziger- und Achtzigerjahre wieder aufleben. In der<br />

Postmoderne wenden sich die Architekten vom Funktionalismus der Moderne ab. Das von der<br />

Moderne verpönte Ornament kehrt zurück, und es wird lustvoll aus vergangenen Stilen und<br />

Epochen zitiert. Ein buntes Nebenein<strong>and</strong>er charakterisiert die Postmoderne, in welcher die<br />

<strong>Subversion</strong> des Punks ebenso ihren Platz hat wie der Hedonismus der Yuppies (Young Urban<br />

Professionals). Die vom Victoria <strong>and</strong> Albert Museum London konzipierte Schau zeigt anh<strong>and</strong> von<br />

150 internationalen Objekten und Musikvideos die jüngste Bewegung der Kunst- und<br />

Kulturgeschichte mit Aldo Rossi, Ai Weiwei, Vivienne Westwood, Andy Warhol, Talking Heads,<br />

Ridley Scott oder Laurie Anderson. Das L<strong>and</strong>esmuseum Zürich ergänzt die Londoner Show mit<br />

einer Timeline aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen sowie den wichtigsten<br />

Schweizer Vertretern der Postmoderne wie Fischli/Weiss, Mario Botta, Trix und Robert<br />

Haussmann, Pipilotti Rist, Yello und vielen mehr. Robert Haussmann, einer der Hauptvertreter<br />

der Schweizer Postmoderne, entwarf exklusiv für das L<strong>and</strong>esmuseum ein Objekt, durch das man<br />

die Ausstellung betritt.<br />

Die Ausstellung gliedert sich in drei grob chronologisch geordnete Teile, in denen die<br />

wesentlichen Aspekte der Postmoderne zum Ausdruck kommen. Der erste Teil konzentriert sich<br />

weitgehend auf die Architektur. Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich der Hochblüte der<br />

Postmoderne: Design, Musik, Grafik, Performance und Club-Kultur der 1980er-Jahre. Der letzte<br />

Teil beh<strong>and</strong>elt die Kultur der Kommerzialisierung. Die Postmoderne lässt die<br />

unterschiedlichsten ästhetischen Kriterien zeitgleich gelten, bzw. sie verzichtet ganz auf<br />

richtungsweisende Kennzeichen. Ein Kriterium überlebt aber, dasjenige des kommerziellen<br />

Erfolges. Die Ausstellung endet in der Periode des wirtschaftlichen Booms und entlässt den<br />

Besucher mit diesem Paradox der Postmoderne. Auch aber mit der Aufforderung, sich selbst die<br />

heutige Relevanz der Postmoderne vor Augen zu führen – etwa beim Cloud-Computing oder<br />

beim Sampling.<br />

Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto).<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 11


Teil 1<br />

Last Rites & First Steps / Rituale des Übergangs<br />

Die Ausstellung gliedert sich in drei Teile, beginnend mit der Architektur, in der sich die<br />

Postmoderne zuerst manifestiert. Die Postmoderne – und der Ausstellungsparcours – beginnt<br />

mit dem Niedergang der Moderne, die der Architekturtheoretiker Charles Jencks mit der<br />

Sprengung der modernistischen Siedlung Pruitt-Igoe (St. Louis) 1972 gleichsetzt. Brennende<br />

und schmelzende Stühle unterstreichen als Auftakt der Ausstellung das Ende der Moderne.<br />

Unzählige Kritiker haben den Tod der Moderne verkündet. Der Architekturtheoretiker Charles<br />

Jencks datiert ihn auf den 15. März 1972, als um 15.32 Uhr die Pruitt-Igoe-Siedlung in St. Louis,<br />

Missouri, in die Luft gesprengt wurde.<br />

Die modernistische Siedlung nach Entwürfen des japanisch-amerikanischen Architekten Minori<br />

Yamasaki war zu einem sozialen Brennpunkt geworden; die Kriminalitätsrate war hoch, die<br />

Wohnanlagen waren versch<strong>and</strong>elt und unbewohnbar. Nur 16 Jahre nach ihrer Fertigstellung fiel<br />

die Siedlung dem Abriss zum Opfer.<br />

In seinem Buch The Language of Post-Modern Architecture (1977) schreibt Jencks, der Abriss<br />

der Pruitt-Igoe-Siedlung habe dem Idealismus der Moderne ein Ende gesetzt: „Lassen Sie uns<br />

also durch die Öde der modernen Architektur streifen und die archäologischen Stätten mit dem<br />

Abst<strong>and</strong> des Unbeteiligten besuchen. Schliesslich darf man, da sie unwiderruflich tot ist, die<br />

Leiche fleddern.“<br />

Für sein Projekt des Lassù-Stuhls entwarf der radikale italienische Designer Aless<strong>and</strong>ro Mendini<br />

einen ‚idealen‘ und sehr einfachen Stuhl, eine pure Form, und setzte diesen Stuhl zuoberst auf<br />

einen Treppenabsatz, wie einen Thron. Es war das Symbol des perfekten Objektes. Dann brachte<br />

Mendini den Stuhl in einen Steinbruch und zündete ihn an. Diesen Prozess fotografierte er. Der<br />

Zeitpunkt der Zerstörung kündigt einen neuen Moment im Design an: Wie ein Phönix wird ein<br />

Gegenst<strong>and</strong> verbrannt, aus der Asche kann etwas Neues entstehen.<br />

Zerstörung des Stuhls Monumentino da casa, 1974, Aless<strong>and</strong>ro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 12


Gas Pumps <strong>and</strong> Ziggurats / Zapfsäulen und Zikkurate<br />

In den späten 1960er-Jahren war Italien eines der wichtigsten Länder, in denen kritische<br />

künstlerische Praktiken der Postmoderne den Boden bereiteten. Desillusioniert von den<br />

utopischen Verheissungen der Moderne suchten Designer wie Ettore Sottsass und Aless<strong>and</strong>ro<br />

Mendini nach Alternativen und stellten soziale Normen, die Imperative des Marktes und<br />

herkömmliche Geschmacksvorstellungen in Frage.<br />

Sie plädierten für packende, impulsive Begegnungen mit der Kultur der Antike ebenso wie mit<br />

der Pop-Kultur. Präkolumbianische Monumente, Autobahn-Tankstellen, Plastik-Arbeitsplatten<br />

im Café um die Ecke – all das inspirierte sie zu den eklektischen Experimenten mit Bildern und<br />

Objekten, die sie als «Radical Design» bezeichneten.<br />

Totem, 1967, Ettore Sottsass. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Learning from Las Vegas / Lernen von Las Vegas<br />

‚Wer sich von der modernen Bewegung verabschieden will, hat die Wahl zwischen Versailles und<br />

Las Vegas‘, schrieb 1967 der italienische Kritiker Bruno Zevi. Eine der Errungenschaften der<br />

postmodernen Architektur ist das Neben- und Mitein<strong>and</strong>er der «hohen» Klassik und der<br />

«niederen» Popkultur. Nicht nur in dieser Hinsicht bekannte sich die Bewegung, wie der<br />

Architekt Robert Venturi sagte, zum Prinzip des Sowohl-als-auch und nicht dem des Entwederoder.<br />

Wegweisend sind die amerikanischen Architekten Robert Venturi und Denise Scott Brown, die<br />

ihre Erkenntnisse bezüglich der Trivialkultur von Las Vegas im Buch Learning from Las Vegas<br />

1972 publizierten. Für Venturi und seine Partnerin Denise Scott Brown waren die flirrenden<br />

Strassen und nicht enden wollenden Reklametafeln in Las Vegas ebenso aufregend wie<br />

lehrreich. In ihren Erinnerungen schrieb Scott Brown später: ‘Dazed by the desert sun <strong>and</strong><br />

dazzled by the signs, both loving <strong>and</strong> hating what we saw, we were both jolted clear out of our<br />

aesthetic skins.’ („Wir waren von der Wüstensonne benommen und überwältigt von den<br />

Reklametafeln, wir hassten und liebten, was wir sahen, und wurden beide in unseren<br />

ästhetischen Grundfesten erschüttert.“)<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 13


In den späten 1960er-Jahren lehrten beide an der Yale University und brachten ihre Studenten in<br />

die Hauptstadt des Glücksspiels, Las Vegas. Die Stadt der Neonschilder und des verbreiteten<br />

Konsumdenkens regte sie zu einer neuartigen Architektur an, die sich sehr vom rationalen, an<br />

Stahl und Glas orientierten, geometrischen Stil der Moderne abhob. Die Casinos in Las Vegas<br />

waren so gestaltet, dass man sie aus dem Auto heraus bei 50 km/h sehen sollte, und zeigten, so<br />

Venturi, eine ‚unordentliche Lebendigkeit‘ statt einer ‚offensichtlichen Einheitlichkeit‘.<br />

Zusammen mit ihren Studenten brachten sie eine Studie mit dem Titel Learning from Las Vegas<br />

(1972) heraus, welche die Macht der Architektur als Kommunikationsmittel unterstrich. Sie<br />

waren sich sehr wohl bewusst, dass Las Vegas (Highways gesäumt mit Einkaufszentren und<br />

Tankstellen in ganz Amerika) einen überwältigen kann, aber sie beobachteten auch, dass die<br />

Leute das anscheinend wollten. Ihre Frage lautete deshalb: ‘Is not Main Street almost all right?<br />

Indeed, is the commercial strip of a Route 66 almost all right? What slight twist of context will<br />

make them all right?’<br />

Denise Scott Brown und Robert Venturi in der Wüste von Las Vegas, 1966. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Lernen vom Alltäglichen: Die Bauten von Robert Venturi und Denise Scott Brown sowie ihr Buch<br />

Learning from Las Vegas werden auch in der Schweiz diskutiert und sinngemäss angepasst.<br />

Zum Vorbild für eine Neuausrichtung der Architektur gelangen Siedlungen auf dem L<strong>and</strong>, die<br />

anonymen Vorstädte oder die historische Stadt.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 14


Presence of the Past / Die Gegenwart der Vergangenheit<br />

Diesen Titel trug die 1. Architekturbiennale in Venedig 1980, die sich ganz der Postmoderne<br />

verschrieben hatte. Nur wer die Vergangenheit in sein Schaffen einbezieht und von ihr lernt,<br />

kann in die Zukunft weisen, lautet das Credo der Biennale von 1980. Gezeigt werden in diesem<br />

Teil der Ausstellung anh<strong>and</strong> der Zeichnungen der Architekten Rem Koolhaas, Trix und Robert<br />

Haussmann und James Sterling, wie man sich in der Postmoderne mit der architektonischen<br />

Vergangenheit ausein<strong>and</strong>ergesetzt hatte.<br />

In den 1960er- und 1970er-Jahren waren Experimente mit architektonischen Stilen der<br />

Vergangenheit, die oft als „Historizismus“ bezeichnet wurden, weit verbreitet. Gegner<br />

kritisierten diesen Trend als Rückzug, Pastiche oder blosse Ironie. Diese Kritik wird den<br />

Verdiensten der Postmodernisten jedoch nicht gerecht, denn diese hatten weit mehr im Sinn, als<br />

nur architektonische Witze auf Kosten der Geschichte zu machen. In den Anfangsjahren war<br />

postmoderne Architektur kein Ausdruck blossen Humors oder Zynismus. Ganz im Gegenteil<br />

konnte sie geradezu überschwänglich und optimistisch sein; dann wieder liess sie sich von<br />

einem elegischen Gefühl für die Vergangenheit leiten, das die Moderne ausgeblendet hatte. Die<br />

Postmoderne ersetzte eine monolithische Sprache durch eine Vielfalt an konkurrierenden Ideen<br />

und Stilen und wurde so ihrem zentralen Anliegen durchaus gerecht.<br />

Nun, da die Moderne attackiert worden war, stellte sich die naheliegende Frage, was an Stelle<br />

der Moderne kommen sollte. Viele Architekten beantworteten die Frage nicht, indem sie in die<br />

Zukunft, sondern auf die alltägliche Architektur der Gegenwart (wie Venturi und Scott Brown)<br />

oder die der Vergangenheit blickten.<br />

Säulenstumpf, 1978, Trix Haussmann und Robert Haussmann für Kollektion Röthlisberger. © Schweizerisches<br />

Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 15


Das war auch die Strategie von Charles Moore, dessen Piazza d’Italia ein Schlüsselstatement<br />

der postmodernen Architektur ist: Ein öffentlicher Platz, eingefasst mit klassischen<br />

Fragmenten, der eher aussieht wie eine Bühne denn ein Gebäude. Die Gestaltung war für eine<br />

italienische Gemeinschaft in New Orleans entworfen worden, und das war auch der Grund für<br />

den Bezug auf die römische Vergangenheit. Ein Brunnen auf dem Platz hat sogar die Form einer<br />

L<strong>and</strong>karte Italiens. Nachts war der Platz neonbeleuchtet wie ein Casino in Las Vegas. Die Piazza<br />

d’Italia ist ein gutes Beispiel für den Humor, die Farben und die Ausgefallenheit, welche ein<br />

postmodernes Design verkörpert.<br />

Piazza d'Italia in New Orleans, 1976-79, Charles Moore & Urban Innovations Group (mit Perez Associates).<br />

© Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 16


Bricolage<br />

Dieser Teil der Ausstellung verdeutlicht, dass es keine allumfassende Strategie der<br />

Postmoderne gibt. Vielmehr sind sie ein Zusammentreffen Gleichgesinnter mit<br />

unterschiedlichen Ausdrucksformen. Was hingegen Architekten und Designer in der<br />

Postmoderne verbindet, ist ein bestimmtes Verfahren: die Bricolage, das Ausschneiden und<br />

Einfügen von Versatzstücken. Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss definiert den bricoleur als<br />

jem<strong>and</strong>en, der mit „den Überbleibseln von früheren Konstruktionen oder Dekonstruktionen“<br />

auskommt. Postmoderne Bricolage ähnelt bisweilen den früheren modernistischen Collagen von<br />

Künstlern wie Kurt Schwitters und Hannah Höch. Sie ist jedoch breiter angelegt und öffnet sich<br />

der Vielfalt der Welt. Diese Bricolage-Technik veranschaulicht die postmoderne Ansicht, dass<br />

die Welt vielfältig ist und die vorgefundenen Elemente nicht zwingend in ein einheitliches<br />

Ganzes integrierbar sind. Zu sehen sind Objekte unter <strong>and</strong>erem von Frank O. Gehry sowie Ueli<br />

und Susi Berger.<br />

Stuhl Adhocist, 1968, Nathan Silver. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 17


Apocalypse Then / Nach der Apokalypse<br />

Während in der Moderne Objekte Utopie, Fortschrittsglaube und die Perfektion von Maschinen<br />

verkörpern, scheinen gewisse postmoderne Entwürfe aus einer düsteren und imperfekten<br />

Zukunft zu stammen. Die Mode der Japanerin Rei Kawakubo (Comme des Garçons), der<br />

Schmuck von Bernhard Schobinger oder Ridley Scotts Film ‚Blade Runner’ zeugen von dieser<br />

Haltung. Designer verwerteten und traktierten vorh<strong>and</strong>ene Materialien und gaben so einer<br />

Ästhetik urbaner Apokalypse Ausdruck.<br />

Der ultimativ postmoderne Film ist Ridley Scotts ‚Blade Runner’ (1982), der in einem imaginären<br />

Los Angeles von 2019 spielt. Das Setting ist eine Mischung aus asiatischen und westlichen<br />

Stilen, die an die Strassenmärkte von Hong Kong, das Neon von Tokyo oder Las Vegas und die<br />

Art Deco-Wolkenkratzer von Manhattan und Chicago erinnern. Die Mode ist zugleich angelehnt<br />

an die 1940er und futuristisch. Der Set-Designer Syd Mead sagt dazu: ‘One of the principles<br />

behind designing this film is that it should be both forty years in the future <strong>and</strong> forty years in the<br />

past.’ Im Film jagt ein Detektiv (Harrison Ford) missratene Roboter mit übermenschlichen<br />

Kräften. Einige dieser künstlichen Menschen wissen nicht, dass sie synthetisch sind, und sind<br />

geschockt, als sie bemerken, dass ihre Erinnerungen und Persönlichkeiten eingepflanzt worden<br />

sind. Der Film benützt das als eine allgemeine Metapher für die Postmoderne und deutet an,<br />

dass wir alle ‘gemacht‘ sind durch die Werbung, die wir sehen, durch die Städte, in denen wir<br />

leben, und die Fernsehsendungen, die wir konsumieren. Unsere eigenen Identitäten sind<br />

künstlich geworden.<br />

Film Blade Runner, 1982, Ridley Scott (Regisseur). © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

5-Minuten-Stuhl, 1970/2012, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 18


Fischli/Weiss: Peter Fischli und David Weiss beginnen ihre künstlerische Zusammenarbeit Ende<br />

der 1970er-Jahre. Triviale Alltagsgegenstände und Abfallprodukte spielen von Anfang an eine<br />

zentrale Rolle in ihrer Kunst. Mit vergänglichen, aus einfachsten Mitteln gebauten Installationen<br />

fangen sie die Magie des Augenblicks ein und erzielen mit simplen mechanisch-physikalischen<br />

Vorgängen effektvolle Überraschungen.<br />

Film Der Lauf der Dinge, 1987, Fischli/Weiss. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Einige postmoderne Exponenten liessen sich in der destruktiven Phase der Anti-Moderne der<br />

1970er nicht von Geschichte inspirieren, sondern von der Idee des Punk: Auch zerstörte,<br />

zerborstene und zerrissene Designs können ein Mode-Statement sein.<br />

Ron Arads Designstudio One-Off in London war ein Aushängeschild des Designs der Post-Punk-<br />

Ära. Arad fertigte Objekte aus zertrümmertem Metall oder „gefundenen“ Materialien wie einem<br />

Baugerüst oder recycelten Autositzen. Für diese apokalyptische Stereoanlage goss er einen<br />

Plattenteller, Lautsprecher und einen Verstärker in Stahlbeton und verw<strong>and</strong>elte so ein<br />

Hightech-Produkt in ein Objekt für eine post-industrielle Welt.<br />

Stereoanlage aus Beton, 1983, Ron Arad. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 19


Rei Kawakubos schwarze Strickkleider mit ihren offenen Löchern und seltsamen Formen<br />

wurden oft als ‚post-human fashion‘ bezeichnet. Sie richteten sich an sehr selbstbewusste<br />

Kunden in Tokyo (oder Paris, New York und London), die sich vielleicht mit der befremdenden<br />

und gewundenen Pose des Models im Bild von 1983 identifizieren konnten.<br />

Ensemble von Comme Des Garçons, 1983, Rei Kawakubo. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 20


Teil 2<br />

New Wave<br />

In den 1980ern erreicht die Epoche der Postmoderne im Design und in der Musik ihren<br />

Höhepunkt. Anfang der 1980er-Jahre tritt die Postmoderne in ihre „heisse Phase“ ein. Was als<br />

radikale Splitterbewegung begann, wird zum beherrschenden Look des «Jahrzehnts der<br />

Designer». Grelle Farben, Theatralik, Hochglanz und Übertreibung sind Ausdruck eines alles<br />

überstrahlenden Stils. Ob Hochglanz, Attrappe oder künstlich gealtert – hinter allem steckt der<br />

Wunsch, rebellische Inhalte werbewirksam zu verpacken. Image ist alles, was zählt: Grace<br />

Jones, Boy George, Neville Brody oder Aless<strong>and</strong>ro Mendini, um nur einzelne der herausragenden<br />

Protagonisten zu nennen.<br />

Die wichtigsten Medien dieser neuen Phase der Postmoderne waren Magazine und Musik. Dank<br />

Publikationen wie ‚Domus’ w<strong>and</strong>erten etwa die Arbeiten italienischer Designer – insbesondere<br />

des Studio Alchimia und der Gruppe Memphis – um die Welt. Unterdessen verströmten<br />

Musikvideos und innovative grafische Designs die Energie der Subkultur der Post-Punk-Ära.<br />

Dies war der historische Augenblick des New Wave: Es waren die elektrisierenden Jahre, in<br />

denen allein das Image zählte.<br />

Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 21


Studio Alchimia<br />

Die 1978 in Mail<strong>and</strong> gegründete Gruppe Studio Alchimia ist die erste, die sich komplett der<br />

Postmoderne verschrieben hat. In ihren Produkten werden die modernistischen<br />

Gestaltungskriterien wie Funktion, Material und Schlichtheit am offensichtlichsten verworfen.<br />

Alchimia – der Name ist Programm – geht auf die mittelalterlichen Praktiken zurück, mit denen<br />

versucht wurde, aus etwas Wertlosem etwas Wertvolles zu realisieren. Mit Aless<strong>and</strong>ro Guerriero<br />

und Aless<strong>and</strong>ro Mendini an der Spitze luden sie eine Vielzahl an Mailändern – darunter Ettore<br />

Sottsass – ein, sich an ihren Aktivitäten zu beteiligen. Ziel der Gruppe war es, so Mendini später,<br />

eine Position einzunehmen, die „in der Verschwendung, der Bedeutungslosigkeit von Disziplin,<br />

Dimension und Konzept agiert.“ Unter Mendinis Leitung nahm Alchimia eine kritische Haltung<br />

jenseits der etablierten kommerziellen Aktivitäten ein. Mit dem Erscheinen der eher<br />

medienwirksamen Gruppe Memphis, die aus Studio Alchimia entsteht, änderte sich dies jedoch<br />

grundlegend.<br />

In den späten 70er-Jahren hatte sich Aless<strong>and</strong>ro Mendini von den grossen Gesten (wie dem<br />

Verbrennen eines Stuhls) entfernt und hatte begonnen, ausdrucksstärkere Designbereiche zu<br />

erkunden. Das von ihm gegründete Designkollektiv Studio Alchimia produzierte fremde und<br />

fesselnde Objekte, normalerweise indem bereits existierende Objekte verändert oder mehrere<br />

unverbundene Ideen zu einem neuen, überraschenden Objekt kombiniert wurden. Der Proust-<br />

Sessel von 1978 ist ein gutes Beispiel dafür. Sein Name ist der Literatur entnommen (der<br />

moderne französische Autor Marcel Proust), die Form einem barocken Sessel aus dem<br />

18. Jahrhundert nachempfunden (aufgeblasen auf unwahrscheinliche Proportionen), und die<br />

Dekoration geht auf ein pointillistisches Gemälde von Paul Signac zurück. Die Gestaltung der<br />

Oberfläche wurde dadurch erreicht, dass man ein Dia mit dem Gemälde auf den Stuhl projizierte<br />

und die Farbtupfer nachmalte.<br />

Sessel Proust, 1978, Aless<strong>and</strong>ro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 22


Memphis<br />

Die Mitglieder von Memphis in der Boxring-Sitzgruppe Tawaraya von Masanori Umeda, 1981. Foto: Fabio Cirifino,<br />

Courtesy Studio Azzurro © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Die internationale Designergruppe Memphis macht unmittelbar nach ihrer Gründung 1981 in der<br />

ganzen Designwelt Furore. Obwohl die Gruppe ihren Sitz in Mail<strong>and</strong> hatte, trafen in ihr<br />

gleichgesinnte «enfants terribles» aus aller Welt aufein<strong>and</strong>er: Nathalie du Pasquier, Javier<br />

Marescial, Peter Shire, Aless<strong>and</strong>ro Mendini, Ettore Sottsass und weitere.<br />

Dieser Eindruck bestätigte sich mit dem legendären Foto des harten Kerns der Gruppe, der sich<br />

auf der Boxring-Sitzgruppe des japanischen Mitglieds Masanori Umeda tummelt. Der führende<br />

Kopf der Gruppe war Ettore Sottsass, das älteste, berühmteste und charismatischste Mitglied<br />

von Memphis. Er behauptete, das Design von Memphis könne nur bei sehr intensiven Menschen<br />

bestehen.<br />

Memphis war die einflussreichste Designergruppe der Postmoderne, einerseits weil sich so viele<br />

Künstler daran beteiligten, <strong>and</strong>ererseits, weil sie zu einem Medienphänomen wurde. Neben<br />

Sottsass, der bereits 64 Jahre alt war, als die Gruppe gegründet wurde, waren nebst vielen<br />

<strong>and</strong>eren italienischen Designern auch Vertreter der jüngeren Generation dabei, wie<br />

beispielsweise die französische Designerin Martine Bedin. Ebenfalls mit von der Partie war der<br />

Kalifornier Peter Shire mit seinem Sinn für Humor und Farben. Bedins ‚Super Lamp‘ ist ein gutes<br />

Beispiel für den Witz und den Charakter des Memphis Design. Die Lampe ist vielfarbig und fährt<br />

auf kleinen Rädchen (Bedin sagte, sie wollte eine Lampe kreieren, die sie mitnehmen könne wie<br />

einen Hund).<br />

Die Gruppe Memphis wurde dank Design-Zeitschriften auf der ganzen Welt bekannt, und ihr<br />

Umgang mit Farben, Plastikmaterialien, Mustern und Kitschelementen wurde in der Folge oft<br />

nachgeahmt.<br />

Lampenprototyp Super, 1981, Martine Bedin. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 23


New International <strong>Style</strong><br />

Sessel Bel Air, 1981-82, Peter Shire. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Memphis wurde über Nacht als der Auftakt eines «neuen internationalen Stils» gefeiert, der<br />

gegen den bürgerlichen Stil der Moderne rebellierte und ihn ablöste. In kürzester Zeit folgten<br />

Designer in ganz Europa, Amerika und Japan dem italienischen Beispiel.<br />

Memphis wurde zum Modell einer neuen unternehmerischen Praxis, welche die Schranken<br />

zwischen h<strong>and</strong>werklicher und industrieller Fertigung überschritt und neue Werbeformate<br />

nutzte. Der Einfluss aus Italien mischte sich mit <strong>and</strong>eren Strömungen wie etwa dem vom<br />

Feminismus beeinflussten Pattern <strong>and</strong> Decoration Movement in den USA und<br />

avantgardistischen Bestrebungen in kunsth<strong>and</strong>werklichen Ateliers in Grossbritannien und den<br />

USA. So entst<strong>and</strong> ein unverkennbarer Stil, der sich durch grelle Farben, lebhafte Muster und<br />

ausdrucksstarke Formen auszeichnete.<br />

Peter Shires Bel Air-Stühle wecken mit ihrer knalligen Farbpalette, der Haifischflossen-<br />

Rückenlehne und dem Wasserball-Fuss Erinnerungen an Str<strong>and</strong>szenen in Kalifornien.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 24


The Swiss Way / Schweizer Positionen<br />

Die Erneuerung der Gestaltung durch die Postmoderne verlief in der Schweiz weniger schrill und<br />

provokant als in <strong>and</strong>eren Ländern. Dennoch unterscheiden sich auch die postmodernen Möbel<br />

schweizerischer Herkunft eindeutig von denjenigen vor 1970. Es sind markante Solitäre, die<br />

keine Rücksicht auf Funktion, Schlichtheit, Materialechtheit oder Verhältnismässigkeit nehmen.<br />

Diese Infragestellung der Moderne äussert sich in Massstabsveränderungen, Material-, Inhaltund<br />

Formentransfer sowie in Verfremdungen zugunsten illusionistischer, überraschender und<br />

humorvoller Objekte.<br />

Die Ostschweizerin Irene Staub alias Lady Shiva war Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva des<br />

Milieus. Sie pflegte Freundschaften zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano<br />

Castelli oder Franz Gertsch. Ihr Lebensw<strong>and</strong>el und ihr Stilbewusstsein – auf diesem Foto trägt<br />

sie Kleider von Thema Selection – machten sie zur Femme fatale der Partyszene.<br />

Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto). © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 25


Strike a Pose / Postmoderne Posen<br />

Tänzer und Choreografen, Artdirektoren, Performance-Künstler, Drag Queens, Bluffer,<br />

Nachtschwärmer, Popstars und Partygänger verkörpern einige der bemerkenswertesten Stil-<br />

Haltungen der Postmoderne. Sie dekonstruieren Identitäten, deuten sie um oder persiflieren sie.<br />

In vielerlei Hinsicht glichen postmoderne Performance-Strategien jenen, mit denen in <strong>and</strong>eren<br />

Bereichen des Designs experimentiert wurde. Performance-Künstler dekonstruierten<br />

Identitätsdiskurse und deuteten sie um. Ihre Sprache war die Persiflage, und neben die visuelle<br />

Ebene traten nun weitere Dimensionen wie Musik, Bewegung und Text. Vor allem jedoch lenkten<br />

postmoderne Darsteller die Aufmerksamkeit auf die Darbietung ihrer Arbeiten und schufen, um<br />

mit Kate Linker zu sprechen, „flirrende gekünstelte Auftritte, deren künstliche Ursprünge sie<br />

stolz in Szene setzten.“<br />

Obwohl sich die Ideen der Postmoderne zuerst in der Architektur und im Design manifestierten,<br />

wurden sie von der Öffentlichkeit mehrheitlich über die Popmusik und <strong>and</strong>ere Bereiche der<br />

Popkultur wahrgenommen. Schlüsselfiguren waren Prominente wie Grace Jones, Madonna,<br />

Annie Lennox, Kraftwerk und Boy George, welche die Ideen der Postmoderne über die Welt der<br />

Kunst und des Designs hinaus weitertrugen und für ein breiteres Publikum zugänglich machten<br />

– unterstützt von einem peppigen Soundtrack.<br />

Endlossofa DS-600 Organic, 1970, Gemeinschaftsentwurf Ueli Berger, Eleonora Peduzzi-Riva, Heinz Ulrich, Klaus Vogt<br />

für de Sede, und: Liegemöbel Terrazza, 1973, Entwurf Ubald Klug für de Sede. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Auf einem Hologramm ist der Leadsänger der 1980er-Jahre-B<strong>and</strong> Culture<br />

Club zu sehen, der kokett als getüpfelter Clown posiert. Doch egal, aus<br />

welchem Blickwinkel man ihn ansieht – Boy George sieht durch den<br />

Betrachter hindurch. Er erinnert so an die einprägsame Bemerkung des<br />

Theoretikers Jean-Claude Lebensztejn, der den postmodernen Blick als<br />

„ruhig und ausdruckslos“ charakterisierte. Der Ernüchterung haftet hier<br />

ein ganz eigener Zauber an.<br />

Hologramm von Boy George, 1987, Edwina Orr und David Trayner für Richmond Holographic Studios.<br />

© Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 26


<strong>Style</strong> Wars / Krieg der Stile<br />

Auch postmoderne Grafik und Fotografie machen Gebrauch von Bricolage, Fragmentierung und<br />

Zitat. Künstler zitieren Bilder aus der Werbung, und Grafikdesigner kopieren Erzeugnisse der<br />

bildenden Kunst. Über Magazine oder Plattencovers gelangen Bilder an ein junges,<br />

stilbewusstes Publikum. Für diese Generation gibt es keinen Bruch zwischen Avantgarde und<br />

Kommerz. Ganz im Gegenteil ist die vollständige Verschmelzung von Avantgarde und Kommerz<br />

geradezu ein typisches Phänomen der Postmoderne. So erfährt auch die Schweizer Grafik,<br />

bekannt als «Swiss <strong>Style</strong>», in diesen Jahren im Bereich der Alternativkultur eine bemerkenswert<br />

radikale Wendung. Zu sehen sind im Ausstellungsbereich u.a. Werke von Helmut Newton, Cindy<br />

Sherman und Peter Saville. Künstler wie Richard Prince zitieren in ihren Arbeiten Bilder aus der<br />

Werbung; Grafikdesigner wie Peter Saville kopieren im Gegenzug «vorh<strong>and</strong>ene» Bilder aus der<br />

Kunst.<br />

Auch die Grafik bediente sich postmoderner Gestaltungskriterien wie Zitate, Kombination von<br />

verschiedenen, sich beissenden Elementen, Farben oder Ironie, um ihre Botschaft zu vermitteln.<br />

Die Grafik sieht aus, wie wenn sie mit der Hilfe von Photoshop oder <strong>and</strong>eren digitalen<br />

Designprogrammen hergestellt worden wäre, dabei ist sie tatsächlich von H<strong>and</strong> gemacht, mit<br />

Schere und Leim, und wurde dann fotografiert.<br />

© Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 27


Teil 3<br />

Money / Geld<br />

Stuhl Consumer's Rest, 1990, Frank Schreiner (für Stiletto Studios). © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Der letzte Ausstellungsteil stellt die kommerzielle Vermarktung der einst subversiven Ideen<br />

vielschichtig dar. Als 1980 das «Jahrzehnt der Designer» beginnt, boomt die Weltwirtschaft.<br />

Viele Vertreter der Postmoderne lassen sich begeistert auf eine Kultur ein, die auf Reichtum und<br />

Status basiert.<br />

Philip Johnsons Entwurf für das AT&T Gebäude in New York, das nicht nur ein Gebäude, sondern<br />

zugleich ein Firmenlogo ist, machte unmissverständlich klar, wie eng postmoderne Architektur<br />

mit Macht und Reichtum verknüpft war. Aless<strong>and</strong>ro Mendini begrüsste das gewagte<br />

architektonische Statement und bezeichnete Johnson als «den letzten Architekten in der Ära<br />

der Meister, und die erste Ära ohne Meister». Das fatale Zusammentreffen von Geld und<br />

Postmoderne trieb die Postmoderne letztlich jedoch in den Ruin. Die Bewegung brach unter dem<br />

Gewicht ihres Erfolgs zusammen.<br />

In Grossbritannien unter Margaret Thatcher st<strong>and</strong>en sich die Anhänger des Thatcherismus und<br />

die Befürworter des Sozialstaates gegenüber. Als Stadtteile wie die Dockl<strong>and</strong>s in London in<br />

hochpreisige Immobilienkomplexe verw<strong>and</strong>elt wurden, gingen viele Künstler und Designer zum<br />

politischen Protest über – mitsamt postmodernen Verfahren.<br />

Während Andy Warhol und Jeff Koons sich scheinbar darüber freuten kraftvolle Bilder zu<br />

kreieren, waren <strong>and</strong>ere Künstler deutlich kritischer gegenüber der Konsumkultur der 1980er.<br />

Das deutsche Designkollektiv Stiletto schuf den Consumer’s Rest-Stuhl als Satire auf das<br />

Einkaufserlebnis. Er ist aus einem Einkaufswagen gemacht und lädt dazu ein, sich, bequem<br />

darin sitzend, zwischen den Regalen eines Supermarkts herumschieben zu lassen.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 28


Protect Me From What I Want / Beschütze mich vor meinen Begierden<br />

Die New Yorker Künstlerin Jenny Holzer mietete 1985 eine Reklametafel am Times Square, die<br />

normalerweise nur für kommerzielle Zwecke genutzt wurde. Hier platzierte sie in Leuchtschrift<br />

die sechs Wörter Protect Me From What I Want. Der Schriftzug, den Holzer als «universelle<br />

Warnung an sich selbst und an <strong>and</strong>ere» beschreibt, fasst die in den 1980er-Jahren von vielen<br />

vertretene ambivalente Haltung gegenüber der Waren- und Konsumgesellschaft perfekt<br />

zusammen. Die Reklametafel, die hier in Grossaufnahme zu sehen ist, trifft am Times Square<br />

frontal auf die nahegelegenen postmodernen Luxusläden. Holzers Kunstwerk regt dazu an, das<br />

eigene Verlangen nach Luxus, die Wünsche und Begierden sowie deren Ursachen und Wirkungen<br />

– und den damit einhergehenden kommerziellen Trubel – kritisch zu überdenken.<br />

Protect Me From What I Want aus der Serie Survival, 1985, Jenny Holzer. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Craft <strong>and</strong> Commodity / H<strong>and</strong>werk und Ware<br />

H<strong>and</strong>werk ist traditionell mit Authentizität, räumlicher Tiefe und implizitem Wissen verbunden.<br />

Man könnte daher meinen, dass Keramiker, Möbeltischler und Kunstschmiede nur einen kurzen<br />

Blick auf die Postmoderne geworfen hätten, um sich dann schnurstracks von ihr abzuwenden.<br />

Aber das Gegenteil war der Fall. Keramiker und <strong>and</strong>ere H<strong>and</strong>werker wurden zu einigen der<br />

glühendsten Verfechter postmoderner Techniken. Sie nutzten ihre Fertigkeiten und kreierten<br />

Werke von grosser Finesse, bei denen der reine Sachwert des Objekts von seiner ironischen<br />

Selbstbespiegelung unterlaufen wurde. Die Reaktion des Marktes liess nicht lange auf sich<br />

warten. Ihre Produkte erschlossen einen neuen Markt und erzielten Spitzenpreise, sodass<br />

manche sich fragten, ob der Berufsst<strong>and</strong> nicht den Bezug zu seinem Ethos verloren habe.<br />

Typische Erzeugnisse dieser Zeit sind die Entwürfe postmoderner Architekten wie Aldo Rossi<br />

und Michael Graves für Alessi.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 29


Signs Taken for Wonders / Die Ambivalenz der Zeichen<br />

Die Thematik der Macht der Labels schliesst die Ausstellung ab und stellt die Frage in den<br />

Raum: Wie weiter? Am Ende der 1980er-Jahre ist die Postmoderne längst nicht mehr die<br />

radikale Idee und der Stil der Subkultur, die sie einst war. Für viele bricht eine Zeit an,<br />

innezuhalten, einen kritischen Blick auf die postmoderne Kultur und die äusserliche<br />

Aufmachung der Waren zu werfen. Insbesondere bildende Künstler machen sich Gedanken über<br />

die Macht des Br<strong>and</strong>ings und die Aufmachung von Waren zu deren Vermarktung. Die<br />

Mechanismen des Marktes, Kaufen und Verkaufen, beschäftigen sie permanent. Künstler<br />

kratzen an der Welt des schönen Scheins und versuchen so, die Macht der Waren gegen sich<br />

selbst zu wenden. Aless<strong>and</strong>ro Mendini kreiert einen Anzug, der nur aus Labels besteht, und Ai<br />

Weiwei versieht eine 2000 Jahre alte chinesische Urne aus der Han Dynastie mit dem Coca-Cola-<br />

Logo. Objekte wie diese gehören zu den Highlights der Ausstellung.<br />

Der chinesische Bildhauer Ai Weiwei ist, wie viele heutige Künstler, ein Produkt der<br />

Postmoderne. Besonders deutlich sichtbar wird das in einer Serie früher Arbeiten, bei denen er<br />

antike chinesische Urnen mit einem dreisten Coca-Cola-Logo versieht. Zugleich Dekoration und<br />

Verunstaltung, ist diese Geste eine frühe Kenntnisnahme des globalen Kapitalismus, der in<br />

China Einzug hält. Gerade wegen des historischen Wertes der Urne wirkt die postomoderne<br />

Technik der Collage von ungleichen Elementen so schockiernd.<br />

Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 30


Why can’t we be ourselves the way we were yesterday? / Warum können wir nicht die<br />

sein, die wir gestern waren?<br />

In den 1980er-Jahren übten die Reize und die Komplexität der Postmoderne einen ungeheuren<br />

Einfluss aus. Aber leben wir denn noch in einer postmodernen Ära? Sicherlich hat die Bewegung<br />

eine Reihe ungelöster intellektueller Fragen aufgeworfen. Das Musikvideo von New Order etwa,<br />

das den Schlusspunkt dieser Ausstellung bildet, stellt eine wehmütige Frage, über die<br />

nachzudenken sich noch immer lohnt: «Why can’t we be ourselves like we were yesterday?» Die<br />

Postmoderne war geprägt von einem Gefühl des Verlusts und der Destruktivität, aber sie<br />

bedeutete gleichzeitig auch eine radikale Ausweitung der Möglichkeiten.<br />

Die Popb<strong>and</strong> New Order bat 1986 Robert Longo, die Regie ihres Musikvideos ‚Bizarre Love<br />

Triangle’ zu übernehmen. Longo war damals in New York einer der angesagtesten<br />

zeitgenössischen Künstler, bekannt geworden mit seiner Serie ‚Men in the City’. Diese<br />

lebensgrossen Figurenstudien basierten auf Fotos, auf denen Männer, mit Anzügen bekleidet, in<br />

seltsamen, scheinbar schmerzhaften Zuckungen festgehalten sind: Tanzen sie? Oder sind sie<br />

aus kurzer Distanz erschossen worden? Eindeutig lassen sich diese Fragen nicht beantworten,<br />

und gerade darin lag natürlich der springende Punkt, die Absicht von Longos Werk. Wie bei so<br />

vielen <strong>and</strong>eren postmodernen Künstlern war seine Botschaft zugleich mehrdeutig und<br />

ekstatisch. Dieses Motiv des Unbestimmten adaptierte Longo dann auch im Musikvideo der<br />

Popgruppe New Order in einem Schlüsselbild: Während die Zeilen ‘Every time I see you falling’<br />

erklingen, sind angezogene Körper in einem endlosen freien Fall vor dem Hintergrund eines<br />

blauen Himmels zu sehen. Diese Sequenz versinnbildlicht den Zust<strong>and</strong> des postmodernen<br />

Subjekts, wie es im reibungsfreien Raum treibt.<br />

Aus der Serie Men in the City (Ohne Titel), 1981, Robert Longo. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 31


Im Video von New Order findet die postmoderne Welt ihren vollständigen Ausdruck als<br />

verwirrende und fesselnde Flut an Zeichen. Bilder zucken in rascher Folge über den Bildschirm,<br />

selbst die Technologie des Fernsehens ist zu sehen, Bilder von Magnetbändern und<br />

weissem Rauschen. Wie immer bei postmodernem Design gibt es nicht die eine richtige Art und<br />

Weise, darauf zu reagieren. Lies Theorie, geh einkaufen, style dich, sei subversiv. Or just get up<br />

<strong>and</strong> dance.<br />

Video Bizarre Love Triangle von New Order, 1986, Robert Longo (Regie). © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Designeranzug von Aless<strong>and</strong>ro Mendini (1931) mit Kean Etro (1964): Dieser Dreiteiler, entworfen<br />

und getragen von Aless<strong>and</strong>ro Mendini, ist nicht nur mit den Logos von multinationalen<br />

Konzernen wie Ford und McDonald’s bedruckt, sondern trägt auch die Schriftzüge der Firmen,<br />

für die Mendini arbeitete. Wenn Mendini ihn trug, gab er sich also als loyales Firmenmitglied zu<br />

erkennen – ähnlich einem Formel-Eins-Wagen, der mit den Markennamen seiner Sponsoren<br />

übersät ist.<br />

Designeranzug, Aless<strong>and</strong>ro Mendini mit Kean Etro, 2004. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

In der heutigen Welt des Designs, in der alles erlaubt, ungewiss und hyper-kommerzialisiert ist,<br />

sind die Auswirkungen der Postmoderne noch immer zu spüren. So gesehen sind wir heute alle<br />

post-modern, ob wir das wollen oder nicht.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 32


Mummenschanz und <strong>Postmodernism</strong><br />

Spielen mit der Fantasie: Besucherinnen und Besuchr kreieren mit dem Mummenschanz-Spiel<br />

‚Faces’ ein postmodernes Gesicht aus geometrischen Einzelteilen. Die 1972 gegründete<br />

Theatergruppe Mummenschanz steht für Poesie, Fantasie und Sinnlichkeit. Seit 40 Jahren<br />

bringt Mummenschanz das Publikum mit seinen Kreationen weltweit zum Staunen und Lachen.<br />

Zusammensetzen, Vergrössern, Isolieren und Verfremden sind die Gestaltungsmittel von<br />

Mummenschanz und der Postmoderne.<br />

Alle Bilder werden publiziert auf www.mummenschanz-faces.ch<br />

Mummenschanz hat viele Gesichter – wie die Postmoderne auch.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 33


Postmoderne in der Schweiz – Auszüge aus der Begleitpublikation<br />

schräg, solid, postmodern<br />

von Christina Sonderegger<br />

Als im Schweizerischen Nationalmuseum darüber diskutiert wurde, die Ausstellung<br />

„<strong>Postmodernism</strong>: <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong> 1970-1990“ des Londoner Victoria <strong>and</strong> Albert Museum<br />

(V&A) in Zürich zu zeigen, lag es nahe, die international bestückte Show mit Schweizer Objekten<br />

zu ergänzen. Die nachfolgenden Recherchen sollten zeigen, dass dies kein einfaches<br />

Unterfangen sein würde, was einerseits in der Stigmatisierung des Begriffs und <strong>and</strong>ererseits an<br />

der Unschärfe der Postmoderne selbst lag. Je nachdem, ob man die Architektur, das Design, die<br />

Grafik, die Musik oder die Mode fokussierte, waren die postmodernen Ausein<strong>and</strong>ersetzungen<br />

nicht nur unterschiedlich intensiv, sondern – je nach Gattung – auch sehr verschieden. Mit<br />

dieser Feststellung befindet man sich bereits mitten in der kontroversen Diskussion darüber,<br />

was die Postmoderne überhaupt gewesen sei. Jane Pavitt und Glenn Adamson, die Kuratoren<br />

des V&A, vergleichen sie mit einem zerbrochenen Spiegel, in dessen Scherben sich die Welt<br />

reflektiere. Ein sehr treffendes Bild, wie mir scheint, denn es beinhaltet nicht nur den Blick<br />

zurück, sondern vor allem das, was diese Strömung ausgezeichnet hat, nämlich<br />

Vielschichtigkeit und Facettenreichtum.<br />

Die Entscheidung, die Schweizer Objekte in die Struktur der Londoner Ausstellung einzugliedern<br />

und sie nicht in einem eigenen Teil zu separieren, bedeutete, mit denselben Fragestellungen zu<br />

arbeiten wie die Kuratoren des V&A: Wie äusserte sich die Kritik an der Moderne, wie f<strong>and</strong> die<br />

Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der Vergangenheit statt, welche waren die postmodernen<br />

Gestaltungsstrategien und wie wurden sie umgesetzt? Aber auch Fragen nach einem Höhepunkt<br />

der postmodernen Gestaltung und ihrem kommerziellen Erfolg st<strong>and</strong>en im Fokus der Londoner<br />

Kuratoren. Inwieweit das auch auf die Schweizer Gestaltung zutrifft und dies in der Ausstellung<br />

dargestellt werden konnte, soll im Folgenden erläutert werden.<br />

Festhalten oder Loslassen?<br />

Postmodern zu sein, bedeutete in erster Linie, auf die Moderne zu reagieren. Es wurde lustvoll<br />

vollzogen, was Jahrzehnte lang verpönt war, nämlich zu zitieren, zu collagieren, zu verkleiden<br />

und zu dekorieren. Damit wurde die Doktrin der gestalterischen Moderne – die Kausalität von<br />

Form und Funktion – in Frage gestellt. Obgleich es immer wieder Gegenbewegungen und<br />

Tendenzen wider das „form follows function“ und die „gute Form“ gegeben hatte – man denke<br />

an Heimatstil und Nierentisch –, so vermochte keine Strömung sich so viele Freiheiten zu<br />

erobern wie die Postmoderne.<br />

Ein wichtiger Anstoss in Richtung „Befreiung“ ging in der Schweiz vom Schweizerischen<br />

Werkbund aus, jener Institution, die seit ihrem Bestehen die Hüterin über die gute und richtige<br />

Gestaltung war. Der Werkbund lud 1967 Kunstschaffende sowie Gestalterinnen und Gestalter<br />

ein, frei nach ihrem Gutdünken „Sitzmöglichkeiten“ zu kreieren, die dann an der Aktion „Chair<br />

fun“ anlässlich der Jahrestagung des SWB versteigert wurden. 1 Die experimentellen,<br />

humorvollen Stühle st<strong>and</strong>en jenseits der konformen Gestaltungsregeln. Ein Jahr später<br />

proklamierte der Werkbund das Ende der „guten Form“, jener Auszeichnung, die er während<br />

Jahrzehnten für wegweisende Gestaltung verliehen hatte. Die moralische Instanz Werkbund<br />

fühlte sich in ihren Anliegen vom Publikum nicht mehr verst<strong>and</strong>en. „Funktionalismus“ und<br />

1 SWB-Geschäftsbericht November 1967 bis Oktober 1968, S. 3-4.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 34


„Materialechtheit“ waren, so der Werkbund selbst, zu Ideologien erstarrt, die ihre Aktualität<br />

verfehlten. 2 Zwar hatte der Werkbund mit der „Chair fun“ für mehr Spass, Fantasie und lustvolle<br />

Sinnlichkeit beim Gestalten geworben, doch der Flächenbr<strong>and</strong> blieb aus. Die wenigsten<br />

Gestalter wollten sich vom Gebrauchsnutzen und der über Jahrzehnte verinnerlichten,<br />

sachlichen Formensprache verabschieden. Claude Lichtenstein beschreibt das gestalterische<br />

Klima in der Schweiz der 1970er-Jahre weder als offen, noch bereit für einen internationalen<br />

Diskurs, dies im Unterschied zu den 1930er Jahren, als die Schweiz in der ersten Liga der<br />

Moderne mitspielte. 3 Auch an internationalen Ausstellungen zur Postmoderne waren die<br />

Schweizer an einer H<strong>and</strong> abzuzählen. 4 Lediglich die Gestalter Trix und Robert Haussmann, Susi<br />

und Ueli Berger sowie der Architekt Mario Botta f<strong>and</strong>en zu Beginn der Postmoderne<br />

international Beachtung.<br />

Erneuerung durch Rückblick<br />

Innerhalb der Schweizer Postmoderne bildeten Trix und Robert Haussmann eine<br />

Ausnahmeerscheinung, indem ihre Entwürfe auf der eigenen profunden Analyse historischer<br />

Stile beruhten. Zu Beginn der 1970er-Jahre fingen sie an, Bauten des Manierismus auf ihre<br />

Gestaltungsmerkmale hin zu untersuchen, vergleichbar mit dem, was der Amerikaner Robert<br />

Venturi 1966 in Bezug auf die Architektur unternommen hatte. 5 Das Ziel ihrer Forschung lag<br />

darin, im mannigfaltigen Reichtum der Baukunst – vor allem im Manierismus – eine Entgegnung<br />

auf die leer gewordenen Formen der Moderne, auf Funktionalismus und Purismus, zu finden. Die<br />

Beschäftigung mit der Vergangenheit an sich war während der Postmoderne nichts<br />

Aussergewöhnliches, im Gegenteil. Der Griff in die Geschichte mit den damit verbundenen<br />

Zitaten und Collagen historischer Versatzstücke war eine verbreitete Gestaltungsstrategie. Das<br />

Besondere der Haussmanns lag in ihrer Analyse und der ironischen Anwendung der<br />

untersuchten Themen. Ihre reichhaltigen Forschungen mündeten in der Ausarbeitung eines<br />

Katalogs von Entwurfsstrategien. Dieses persönliche Manifest postmoderner Gestaltung,<br />

nannten sie „kritischer Manierismus“. 6 Sehr verkürzt dargestellt, sind die vorgeschlagenen<br />

Gestaltungsmittel die Materialverfremdung, die Illusion, der Bedeutungstransfer, die<br />

Mehrdeutigkeit eines Objekts sowie der Einbezug von Zerstörung und Widerspruch in den<br />

Entwurfsprozess. Die so gewonnenen Erkenntnisse w<strong>and</strong>ten die Haussmanns fortan<br />

gleichermassen auf Architektur, Möbel, Tafelzubehör und Textilien an. Das Spiel mit Täuschung,<br />

Illusion und verschiedenen Bedeutungsebenen gelang ihnen perfekt. Die gekappte Säule ist in<br />

Tat und Wahrheit ein Schubladenmöbel, der gemauerte Bogen ein Schreibtisch. Wer glaubt, das<br />

geschlungene Tuch sei ein Textil, der irrt, ebenso wer ihre Textilien für Marmor oder Steinquader<br />

hält. Ein Meisterwerk subversiver Mehrdeutigkeit ist ihr Barschrank „seven codes“, der nicht<br />

weniger als sieben Bedeutungsebenen auf sich vereint. Staunen und Humor angesichts der<br />

Selbsttäuschung sind wichtige Aspekte ihres Gestaltungsrepertoires. Für die Haussmanns ist<br />

ihr spezifisches Verständnis von Postmoderne nicht bloss ein modisches Zwischenspiel,<br />

sondern eine Überzeugung, die bis heute Gültigkeit hat, ohne dass sie zur Doktrin geworden<br />

wäre.<br />

2 Antonio Hern<strong>and</strong>ez, Die „Gute Form am Ende ihrer Möglichkeiten“, in: Werk, 6/1968, S. 403-406.<br />

3 Claude Lichtenstein, Das Ende des Fortschritts und die Wiederentdeckung der Geschichte, in: Arthur<br />

Rüegg (Hrsg.), Schweizer Möbel und Interieurs im 20. Jahrhundert, Basel, Boston, Berlin 2002, S. 215-235.<br />

4 Siehe dazu die Ausstellungskataloge Volker Albus (Hrsg.), Gefühlscollagen. Wohnen von Sinnen, Köln<br />

1986 sowie Volker Fischer (Hrsg.), Design heute. Massstäbe: Formgebung zwischen Industrie und Kunst,<br />

München 1988.<br />

5 Deutsche Ausgabe: Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur, Braunschweig 1978.<br />

6 Wiedergegeben in: Röthlisberger Kollektion (Hrsg.), Die Allgemeine Entwurfsanstalt mit Trix und Robert<br />

Haussmann. Möbel für die Röthlisberger Kollektion, Sulgen und Zürich 2011, S. 18-20.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 35


Materialtransfer<br />

War die Verwendung eines bestimmten Materials in der Moderne die logische Konsequenz aus<br />

Funktion und Fertigung, so verwarf die Postmoderne diese einengende Kausalität kurzerh<strong>and</strong>.<br />

Dadurch stieg nicht nur die Auswahl an „Rohstoffen“ geradezu sprunghaft an, sondern auch die<br />

Rolle des Materials veränderte sich. Ein lustvoller und provokativer Umgang mit allem, was<br />

ausserhalb des modernen Materialkodex’ gest<strong>and</strong>en hatte, ersetzte den rein funktionalen<br />

Aspekt des Materials. Bei vielen Schweizern hingegen scheinen anstelle der<br />

Experimentierfreude kritische Anspielungen mitzuschwingen, um mittels Material vertraute<br />

Wahrnehmungen und Bedürfnisse infrage zu stellen. Stefan Zwicky kritisierte mit seinem Sessel<br />

„Gr<strong>and</strong> comfort sans comfort“ (1980) den Formalismus der Moderne, indem er Le Corbusiers<br />

Sessel „gr<strong>and</strong> comfort“ kurzerh<strong>and</strong> in Beton goss. 7 Beton, ein Material, das nicht nur wesentlich<br />

zum Siegeszug der architektonischen Moderne, sondern auch zu ihrem negativen Image<br />

beigetragen hatte. Mehrheitlich positiv konnotiert ist hingegen Schokolade. Kaum ein Material<br />

könnte schweizerischer und gleichzeitig ungeeigneter sein wie Schokolade, aus dem der Choco-<br />

Chair (1967) von Robert Haussmann zu bestehen scheint. Die Stuhlbeine stehen in<br />

dunkelbraunen Lachen und die Sitzfläche neigt sich bedrohlich auf die Seite.<br />

Eine radikale Abkehr vom traditionellen Verständnis von Schmuck vollzieht Bernhard<br />

Schobinger. Aus Glasscherben, Abfall und Bruchstücken aller Art schafft er Gebilde jenseits des<br />

konventionellen Schmucks. Mit seinen gefährlich anmutenden, ästhetisierten Objekten stellt er<br />

nicht nur den Akt des Sich-Schmückens in Frage, sondern er verweist darüber hinaus auf<br />

Themen ausserhalb der Gestaltung.<br />

Fragment und Bricolage<br />

Die Technik der „Bricolage“ gehört zu den wichtigen „Strategien“ postmoderner Gestaltung. Mit<br />

ihr wird das quasi unprofessionelle Zusammenbasteln heterogener Best<strong>and</strong>teile und<br />

unterschiedlicher Materialien bezeichnet. Eine Technik, die in der Moderne undenkbar gewesen<br />

wäre. Selbermachen war Ausdruck des postmodernen Aufbruchs und <strong>Subversion</strong> gegenüber<br />

dem Gestaltungsethos der Moderne. Auch technisch weniger Versierte konnten so ohne grosse<br />

Kenntnis von Konstruktion und Materialeigenschaften ihre Ideen in die Tat umsetzen, was oft zu<br />

Lasten des Gebrauchsnutzens ging. 8 Die Schweizer hingegen konnten das Funktionsdiktat nie<br />

ganz vergessen. Auch wenn sie sozusagen Unpassendes zusammenfügten, dann geschah dies<br />

nicht aus blosser Lust, sondern das Resultat hatte zu funktionieren. Nicht selten war damit ein<br />

Zusatznutzen verbunden. Hans Eichenberger fabrizierte aus einer freien künstlerischen Form<br />

und einem Sockel einen Beistelltisch und Susi und Ueli Berger verw<strong>and</strong>elten einen simplen<br />

Hocker durch ein angeschraubtes Brett in einen repräsentativen Hochlehner. Mit ihrem 5-<br />

Minuten-Stuhl liefern sie die Anleitung, wie aus einer Rolle Drahtgitter in wenigen Minuten ein<br />

Stuhl zu fabrizieren sei, und nehmen so das Do-it-yourself-Prinzip der Postmoderne beim Wort.<br />

7 Diesen Vorgang beschrieb Aless<strong>and</strong>ro Mendini als Re-Design, indem er Möbelklassiker durch<br />

Verfremdungen ironisierte.<br />

8 Ein äusserst beliebtes Material, das vor allem in Italien benutzt wurde, war das Laminat. Es war in allen<br />

erdenklichen Farben zu haben und eignete sich vorzüglich für grelle, glänzende Oberflächen und wilde<br />

Muster. Gleichzeitig konnten konstruktive Mängel mit der oberflächlichen Applikation geschickt kaschiert<br />

werden.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 36


Vom Typus zum Solitär<br />

So wie die Moderne es vorgesehen hatte, sollte das moderne Möbel nicht die individuelle<br />

H<strong>and</strong>schrift seines Entwerfers tragen, sondern möglichst sachlich und anonym erscheinen.<br />

Unterschiedliche Möbel verschiedener Entwerfer konnten so zu einem harmonischen Ganzen<br />

kombiniert werden. „Typenmöbel“ hiess das Zauberwort der Moderne. Auf die kombinierbaren<br />

Einzelmöbel folgten in den 1960er Jahren die Systemmöbel; entweder als Baukasten- oder<br />

Konstruktionssystem, wie beispielsweise das 1964 entwickelte Möbelsystem USM Haller. Das<br />

sollte sich mit Pop Art und Postmoderne ändern. Nicht mehr die Kombinierbarkeit des<br />

funktionalistischen Möbels st<strong>and</strong> im Mittelpunkt, sondern individuelle Form und künstlerische<br />

Aussage. Das postmoderne Möbel entwickelte sich aus dem Verbund des Interieurs heraus zum<br />

Solitär: Statement statt Funktion.<br />

Die Möbel und Gebrauchsgegenstände im Ausstellungsteil New Wave, die während der<br />

Hochblüte der Postmoderne in den 1980er Jahren entst<strong>and</strong>en waren, entsprechen diesem<br />

Prinzip. Die italienischen Designkollektive Studio Alchimia und Memphis waren die treibenden<br />

Kräfte und weit verbreiteten Vorbilder. In der Schweiz sind keine eigentlichen<br />

Gestaltungsgruppen auszumachen, sondern es blieb, wie eingangs schon erwähnt, bei<br />

signifikanten Einzelerscheinungen. Die Möbel des Architekten Mario Botta veranschaulichen die<br />

Tendenz zum Möbelobjekt exemplarisch. Allein schon Form und Dimension drücken aus, dass es<br />

nicht um die simple Umsetzung einer Funktion ging, sondern um die Kreation eines Objekts. Wie<br />

bei seinen Bauten geht Botta von stereometrischen Körpern aus, die er in einem logischen<br />

Entwurfsprozess mitein<strong>and</strong>er verbindet, um so zu einer neuen eigenständigen Formkreation zu<br />

kommen. Der Objektcharakter des Sessels Obliqua (1986) steht dermassen im Vordergrund,<br />

dass sich seine Funktion nicht sogleich erschliesst. Ein typischer Solitär ist auch das Regal<br />

Kung Fu (1980) von Susi + Ueli Berger. Obwohl mit dem in der Ausstellung vertretenen Regal<br />

„Carlton“ (1981) von Ettore Sottsass formal vergleichbar, kreierten die Bergers nicht eine freie<br />

Form, sondern sie paraphrasierten ein chinesisches Schriftzeichen. Unter Kung Fu ist nicht nur<br />

eine Kampfsportart zu verstehen, sondern der Begriff bedeutet ursprünglich so viel wie<br />

Kunstfertigkeit, die man durch harte, geduldige Arbeit erwirbt. Bei Bergers besteht diese Kunst<br />

in der gelungenen Überwindung der Moderne in Form eines humorvollen, mehrfachcodierten<br />

Möbels.<br />

Wider die Tradition<br />

Während im Schweizer Produktdesign die Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der Moderne nur punktuell<br />

und selten radikal war, hat in der Grafik ein erstaunlicher Aufbruch stattgefunden. Die<br />

Schweizer Grafik, bekannt und bewundert für ihre kompromisslose Sachlichkeit und Logik,<br />

erlangte in der Nachkriegszeit als „Swiss <strong>Style</strong>“ Weltruhm. Die in der Ausstellung gezeigten<br />

Plakate aus dem alternativ-kulturellen Umfeld der 1980er-Jahre haben nichts mehr mit diesem<br />

normierten Regelwerk gemein. Hier wurde gemixt, geklebt, vergrössert und Xerox-kopiert, was<br />

das Zeug hält. Machart und Bildsprache sind expressiver Ausdruck gegen Formalismus und<br />

Nüchternheit, die der Spätmoderne im Allgemeinen anhafteten. Viele Auftraggeber und Grafiker<br />

waren eng mit der Punk-, New Wave- und Jugendbewegung verbunden. Wie im Punk, wo jeder<br />

schnell und unkompliziert ein Musiker sein konnte, entst<strong>and</strong>en viele der damaligen grafischen<br />

Erzeugnisse wie Plattencovers, Kleinplakate oder Fanzines nach demselben unmittelbaren Doit-yourself-Prinzip.<br />

Mit Spontanität, Spass und Unverkrampftheit agierte man gegen die<br />

etablierte Konsumgesellschaft.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 37


Kontinuität im H<strong>and</strong>werk<br />

Im Grossen und Ganzen reagierten die Schweizer Gestalter – von den besprochenen Ausnahmen<br />

und dem Grafikdesign abgesehen – eher verhalten auf die Postmoderne. Die meisten, die sich<br />

auf sie einliessen, taten dies als vorübergehende Reaktion auf die internationalen Vorbilder. Zu<br />

stark waren die Maximen der Moderne verinnerlicht, zu sehr entsprach die sachlich rationale<br />

Gestaltung dem Designverständnis der Schweiz.<br />

Interessant ist, dass eine dieser modernen Maximen, nämlich die qualitativ hochstehende, auf<br />

Langlebigkeit angelegte Herstellung, kennzeichnend für den Grossteil postmoderner Möbel der<br />

Schweiz ist. Alfred Hablützel, Kenner der Szene, führt dies auf die h<strong>and</strong>werkliche<br />

Grundausbildung der meisten Schweizer Gestalter zurück sowie auf die Hersteller, die die<br />

qualitativ hochstehende Fertigung während der Postmoderne innovativ weiterentwickelt<br />

haben. 9 Was die Londoner Kuratoren in der Ausstellung als „fatal encounter“ von Geld und<br />

Postmoderne ansehen, scheint für die Schweiz weniger unglücklich gewesen zu sein. Vielmehr<br />

vermochte die Postmoderne dort als Katalysator zu wirken, wo sich gestalterisches Experiment<br />

und fertigungstechnisches Know-how nicht ausschlossen, sondern sich gegenseitig beflügelten.<br />

Die Schreinerei Röthlisberger hatte in den Entwürfen der Haussmanns und Bergers eine Nische<br />

gefunden, ihr h<strong>and</strong>werkliches Können auf höchstem Niveau anzuwenden. Der<br />

Ledermöbelproduzent de Sede liess sich 1970 mit dem Endlos-Sofa DS-600 Organic nicht auf<br />

ein kurzlebiges Experminent ein, sondern produziert dieses unkonventionelle Möbel heute noch.<br />

Wenn das viel zitierte „Sowohl-als-auch“ der Postmoderne bei den Schweizern zum Tragen<br />

gekommen ist, dann gewiss dort, wo es um die Verbindung von modernen und postmodernen<br />

Maximen ging.<br />

Der Geist der Postmoderne<br />

von Alois Martin Müller<br />

Jede Stilbezeichnung hat einen Anfang und ein Ende; die Ausstellung gibt für „<strong>Postmodernism</strong> –<br />

<strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong>“ 10 den Zeitraum von 1970 bis 1990 an. Allen Stilrichtungen jedoch geht,<br />

bevor sie auf einen Begriff gebracht werden, eine Inkubationszeit voraus. Es beginnen irgendwo<br />

Quellen zu sprudeln, daraus werden Bäche und Flüsse bis sich ein Strom und eine Strömung<br />

bildet. Und wenn diese Strömung zudem zur Epochenbezeichnung mutiert, dann prägt sie den<br />

Zeitgeist. Anh<strong>and</strong> von vier wirkungsmächtigen Quellentexten wird zunächst aufgezeigt, wes<br />

Geistes Kind die Postmoderne gewesen ist, um dann über die Schweiz zu einer knappen Bilanz<br />

zu gelangen.<br />

Grenzüberschreitungen: Fiedler<br />

Seinen berühmten Aufsatz „Cross the Border, Close the Gap“ platzierte der amerikanische<br />

Literat, Essayist und Professor Leslie A. Fiedler in der Zeitschrift „Playboy“ gleichsam<br />

grenzüberschreitend um die Playmate des Monats Dezember 1969 herum. Fiedler stellt fest,<br />

dass es im Amerika der Nachkriegszeit in den Künsten eine starke Bewegung gibt, den Graben<br />

zwischen High <strong>and</strong> Low, zwischen ernster Hoch- und niedriger Unterhaltungskultur zu<br />

überschreiten und zu schliessen. Es soll Schluss sein mit dem Gejammer der Kulturreligion des<br />

Modernismus; die neuen Kunstwerke beziehen ihre Stoffe aus der Volkskultur, aus Comics und<br />

9 Gespräch mit Alfred Hablützel im Dezember 2011.<br />

10 <strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong>, 1970-1990. V&A Publishing, London 2011.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 38


Science-Fiction, aus Filmen und Fernsehserien, aus Mythen, Folk und Western, aus Pornografie,<br />

Sentimentalität und Leidenschaft. Ab jetzt dringt die populäre Kunst in die „Zitadellen der<br />

Hohen Kunst“ ein, und die „Vorstellung von einer Kunst für die ‚Gebildeten’ und einer Subkunst<br />

für die ‚Ungebildeten’ bezeugt den letzten Überrest einer ärgerlichen Unterscheidung.“ 11<br />

Künstler wie Publikum werden zu Doppelagenten beider Kulturen und sind heimisch in High <strong>and</strong><br />

Low-Welten. Der neue Zeitgeist ist „apokalyptisch, antirational, offen romantisch und<br />

sentimental“, und die Literatur soll, prophetisch und universell, als fortdauernde Offenbarung<br />

„die weltliche Masse in eine heilige Gemeinde verw<strong>and</strong>eln, mit sich selbst eins und<br />

gleichermassen zu Hause in der Welt der Technologie und im Reich des Wunders.“ 12<br />

Camp: Sontag<br />

Die legendären „Anmerkungen zu ‚Camp’“ der amerikanischen Intellektuellen, Schriftstellerin<br />

und Filmemacherin Susan Sontag wurden auf Deutsch 1968 unter dem Titel „Kunst und<br />

Antikunst“ veröffentlicht. Es h<strong>and</strong>elt sich um einen Essay, der in 58 Punkten das Phänomen<br />

‚camp’ zu fassen versucht, durchsetzt mit zahllosen Beispielen aus allen Kunstbereichen. Camp<br />

ist eine Art des Ästhetizismus und die Camp-Sensibilität kann alles Mögliche – Dinge, Kleider,<br />

Möbel, Kunstwerke – in camp transformieren, denn der Camp-Blick „sieht alles in<br />

Anführungsstrichen“; 13 Susan Sontag zählt u.a. dazu: King Kong, französischen yé-yé-Rock,<br />

Filme für Herren, ohne Wollust betrachtet, Flash Gordon-Comics, billige und schlechte B-Filme,<br />

Kriminal-Serien, die Leere hinter dem vollkommenen Gesicht der Garbo, das Androgyne oder die<br />

gr<strong>and</strong>iosen Musical-Choreografien eines Busby Berkely. Und sie definiert: „38. Camp ist die<br />

konsequent ästhetische Erfahrung der Welt. Es stellt den Sieg des ‚Stils’ über den ‚Inhalt’ dar,<br />

des ‚Ästhetischen’ über das ‚Moralische’, der Ironie über die Tragödie.“ 14<br />

Wie fast alles Heldenhafte, Tiefernste und Hochseriöse balanciert Camp am R<strong>and</strong>e des<br />

Umkippens, dort, wo die Übergänge zwischen Kunst und Kitsch sich verflüssigen. Camp ist<br />

D<strong>and</strong>yismus im Zeitalter der Massenkultur und liebt das Dekorative und das Überbordende, die<br />

Stilisierung und den Trick, das Theatralische, die Übertreibung sowie die Ernsthaftigkeit, die<br />

ihren Zweck verfehlt. „Camp erklärt (...), dass es einen guten Geschmack des schlechten<br />

Geschmacks gibt“, „als waghalsigen und geistreichen Hedonismus“, und „dass die<br />

Erlebnisweise der hohen Kultur keinen Alleinanspruch auf Kultur hat“. 15 Als Tätigkeit ist ‚to<br />

camp’ eine Verführungsmethode mittels Manierismen, mit doppeldeutigen Gesten und<br />

anspielungsreichen Botschaften für Eingeweihte und Feinschmecker – kurz: der Camp-<br />

Geschmack riecht sophisticated.<br />

Vieldeutigkeit und Doppelcodierung: Venturi und Jencks<br />

Das dritte, bahnbrechende Dokument gegen den Purismus und Absolutismus der klassischen<br />

Moderne erscheint 1966 in den USA. Es ist gleichsam das Gründungsmanifest der<br />

postmodernen Architektur. Verfasser ist der Architekt Robert Venturi. Er hatte zwei Jahre in<br />

Rom studiert und gelangte dort zu den fundamentalen Einsichten, welche sein Buch<br />

„Komplexität und Widerspruch in der Architektur“ durchziehen. Es hebt an mit einem<br />

11 Leslie A. Fiedler, Überquert die Grenze, schliesst den Graben!, in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus<br />

der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 68.<br />

12 Ebenda S. 58. resp. S. 73.<br />

13 Notes on „Camp“. Erstveröffentlichung in der Partisan Review 1964. Deutsch: Anmerkungen zu ‚Camp’,<br />

in: Susan Sontag, Kunst und Antikunst, Frankfurt/M., 2009, S. 327.<br />

14 Ebenda S. 335.<br />

15 Ebenda S. 340.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 39


Paukenschlag: "Für eine beziehungsreiche Architektur! - Ein behutsames Manifest". 16 Venturi<br />

reitet eine Attacke gegen die moderne Architektur des Internationalen Stils, welche – wie 1932<br />

verkündet worden war – „weltweit verbreitet, einheitlich und umfassend, nicht fragmentarisch<br />

und widersprüchlich“ zu sein hatte. Der Internationale Stil sollte wieder eine "gerichtete<br />

Entwicklung" zulassen und eine "einheitliche Ordnung" stiften. 17 Globalisierung avant la lettre,<br />

und, wie man sieht, in den Auswirkungen verheerend.<br />

Venturi hat genug von den Ordensregeln der Modernen und von Stil, der zur hohlen Form<br />

geworden ist. Es geht nicht mehr um Transparenz und Klarheit, um Reduktion und<br />

Funktionalismus, und nicht mehr um Ästhetik als Moralismus. Er zieht das Vermessene dem<br />

Gemessenen, die Vielfalt der Einfalt, das Verzerrte dem Stocksteifen, die vermurkste<br />

Lebendigkeit der langweiligen Ehrlichkeit vor. Kurz: Er plädiert gegen den Kult des Reinen und<br />

für den Reichtum des Lebens und meint: "Die Architekten können es sich nicht länger mehr<br />

leisten, durch die puritanisch-moralische Geste der orthodoxen modernen Architektur<br />

eingeschüchtert zu werden." 18<br />

Venturi schreibt ein Manifest gegen den Stil, und letztlich – wie Susan Sontag – für<br />

Manierismen. 19 Bei fast sämtlichen architektonischen Beispielen, die er im Bildprogramm im<br />

Buch abbildet und kommentiert, h<strong>and</strong>elt es sich um Gebäude, die eigensinnige Manieren haben<br />

und da und dort überraschende Ansichten zeigen: seltsame Asymmetrien oder<br />

Unentschiedenheiten, Disharmonien oder Perspektivetäuschungen, Regelbrüche oder Elemente<br />

mit Doppelfunktionen. Venturi hat ein Sensorium, wie er selbst sagt, für Widersprüche,<br />

Mehrdeutigkeit, Konfusion, Vielschichtigkeit, Sinn-Verschiebungen, Überlagerungen,<br />

Doppeldeutigkeiten und Paradoxa.<br />

Sein zweites, bahnbrechendes Buch hat sich mit einem U(n)-Ort par excellence befasst, mit Las<br />

Vegas. Zu dritt erfahren Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour im<br />

Strassenkreuzer buchstäblich diese Unterhaltungsarchitekturen, welche traditionell zur Neuen<br />

Welt gehören, erstellen eine Typologie, analysieren und dokumentieren minutiös und stellen<br />

historische Vergleiche mit der Alten Welt an. 20<br />

Die postmodernere Architektur bringt dann rund zehn Jahre später Charles Jencks auf den<br />

Punkt. Das Fundamentalkriterium heisst ‚Doppelkodierung’. 21 Ein postmodernes Gebäude soll<br />

zwei Bevölkerungsschichten ansprechen: die Fachleute und die sogenannte breite Bevölkerung.<br />

Die verschiedenen Geschmackskulturen finden in den postmodernen Bauten ihren Ausdruck,<br />

deshalb haftet ihnen etwas Zwitterhaftes an. Das Gebäude wird quasi zum Doppelagenten<br />

Leslie A. Fiedlers, es bekommt etwas Camp-artiges und Doppeldeutiges von Susan Sontag, und<br />

es wird beziehungsreich und vielfältig in der Formensprache und zeigt Manier im Sinne Venturis.<br />

Es soll E und U, ‚high’ und ‚low’ zugleich sein, mindestens doppelkodiert und folglich zweifach<br />

lesbar.<br />

16 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur, hg.v. Heinrich Klotz, Braunschweig<br />

1978, S. 23f.<br />

17 Henry-Russell Hitchcock, Philip Johnson, Der Internationale Stil, 1932, Braunschweig 1985, S. 23.<br />

18 Wie Anm. 7.<br />

19 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Architecture as Signs <strong>and</strong> Systems. For a Mannerist Time,<br />

Cambridge, Massachusetts, London 2004. Bei diesen Harvard-Vorlesungen wird explizit die Beziehung<br />

zum Manierismus erläutert und mit Architekturbeispielen dargelegt. Das 1. Kapitel heisst auch: New<br />

Mannerism rather than Old Expressionism.<br />

20 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Learning from Las Vegas. The Forgotten Symbolism<br />

of Architectural Form, Cambridge, Massachusetts, London 1977.<br />

21 Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Entstehung und Entwicklung einer<br />

alternativen Tradition, Stuttgart 1978 (engl. Erstausgabe 1977). Auszugsweise in: Wolfgang Welsch<br />

(Hrsg.), Wege aus der Moderne, Weinheim 1988, S. 85-98.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 40


Postmodernes Wissen: Lyotard<br />

1979 begann die Weltkarriere des Buches „La condition postmoderne“. 22 Geschrieben hatte es<br />

der französische Philosoph Jean-François Lyotard im Auftrag des Universitätsrates der<br />

Regierung von Québec als Bericht über die Zukunft des Wissens in höchstentwickelten<br />

Gesellschaften, wobei er von amerikanischen Soziologen die Bezeichnung „postmodern“<br />

übernommen hatte. Die drei „Grossen Erzählungen“ der Moderne – erstens die aufklärerische,<br />

dass sich der Mensch von beherrschenden Mächten emanzipiert und sich als autonomes<br />

Subjekt begreift; zweitens die idealistische, dass durch permanente Selbstkritik und -korrektur<br />

die fortschrittliche Vernunft siegen wird; und drittens die historistische, dass der Geschichte ein<br />

zielgerichteter Sinn innewohnt, der über blindes Schicksal triumphieren wird – stecken in einer<br />

grossen Krise. Mit dieser Transformation der Meta-Erzählungen in blosse Fabeln verliert auch<br />

das Wissen an Legitimierung, weil ihm damit der Boden einheitlicher Wahrheitsannahmen<br />

entzogen ist. Lyotard entwirft gegen dieses Einheitsdenken und gegen die Obsession derartiger<br />

Ganzheitsvorstellungen eine positive Philosophie der Pluralität. Er schätzt das Heterogene, das<br />

Spezifische, die Mehrdimensionalität, er zeigt auf, dass die Reduktion aller Fragen und<br />

Probleme auf die modernen ‚Wahrheitsdiskurse’ der Vielfalt Zwang antut. Im Verlust der<br />

„Grossen Erzählungen“ sieht die Postmoderne einen Gewinn an Wissens- und<br />

Erkenntnisformen, an transversaler Vernunft, und Lyotard plädiert für Widerstreit und in<br />

einzelnen Fällen schlicht für Unvergleichbarkeit.<br />

Auch im Bereich der Künste übt er Kritik an jeder Vereinheitlichung und moderner<br />

Abwesenheitsmelancholie, statt sich dem die Vernunft übersteigenden Nicht-Darstellbaren zu<br />

widmen: „Die Postmoderne wäre dasjenige, das im Modernen in der Darstellung selbst auf ein<br />

Nicht-Darstellbares anspielt; das sich dem Trost der guten Formen verweigert (...). Wir haben die<br />

Sehnsucht nach dem Ganzen, dem Einen (...) teuer bezahlt. (...) Die Antwort lautet: Krieg dem<br />

Ganzen, zeugen wir für das Nicht-Darstellbare, aktivieren wir den Widerstreit (...).“ 23<br />

Hellsichtig hat er auch vorausgesehen, dass das Wissen mit dem Verlust der „Grossen<br />

Erzählungen“ unter Legitimationsdruck kommen wird und nun zunehmend an seiner<br />

‚performance’ gemessen wird – im doppelten Sinne: zum einen muss das Wissen beginnen, sich<br />

selbst zu ‚performen’, d.h. sich in der Öffentlichkeit aufzuführen und für sich zu werben, und<br />

zum <strong>and</strong>ern wird Wissen kommerziell an seiner Wertschöpfung und Effizienz gemessen, an<br />

seinem Input/Output-Verhältnis. Das bedeutet nach Lyotard, dass mit der Zeit eine Gleichung<br />

zwischen Effizienz, Wahrheit und Reichtum sich abzeichnen wird. Dieses Performanz-Denken<br />

ist inzwischen in Kultur und Wissenschaft zur Routine geworden.<br />

In der Schweiz: Frisch und Habermas<br />

Neben der „internen“ Entwicklungsgeschichte hat die Postmoderne auch eine externe,<br />

politische Aussenseite. Und die sieht nicht sehr gut aus. Konservative Regierungen waren an die<br />

Macht gekommen, 1979 Margret Thatcher in Engl<strong>and</strong>, 1981 Ronald Reagan in den USA, 1982<br />

Helmut Kohl in der Bundesrepublik Deutschl<strong>and</strong>, und François Mitter<strong>and</strong> regierte ab 1981 in<br />

Frankreich wie ein sozialistischer Sonnenkönig. Die Postmoderne wurde zum Ausdruck der<br />

konservativen Wende. In zwei Aufsätzen hat der deutsche Philosoph Jürgen Habermas,<br />

gleichsam das Gewissen der Nation, den <strong>Postmodernism</strong>us den Neokonservativen zugeordnet<br />

22 Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, Graz 1986 (frz. Erstausgabe 1979).<br />

23 Jean-François Lyotard, Beantwortung der Frage: Was ist postmodern?, in: Wolfgang Welsch (Hrsg.),<br />

Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 203.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 41


und die postmoderne Architektur als konservativ und antimodernistisch abgestempelt. 24<br />

Selbstverständlich hatte er auch Lyotard im Visier, der ironisch bemerkt, dass er von Habermas<br />

wegen Neo-Konservatismus eine schlechte Zensur erhält. Es ist wahrlich als Leistung zu<br />

bezeichnen, dass die beiden Philosophen kein einziges Mal mitein<strong>and</strong>er debattiert haben; da<br />

st<strong>and</strong> von deutscher Seite die Mauer für einmal am Rhein. Drüben war „Franzosentheorie“, im<br />

Modus quasi-postmoderner Unübersetzbarkeit.<br />

Die Debatten in der Schweiz folgten dem Muster Habermas’. Es gab kaum eine ernsthafte<br />

Diskussion, und in den Feuilletons war man sich weitgehend einig: Die Postmoderne ist eine<br />

neokonservative, reaktionäre Bewegung und ästhetisch h<strong>and</strong>elt es sich um billigen<br />

Neoklassizismus. 25 Exemplarisch sei hier Max Frisch erwähnt. 1985 polemisiert er im Tages-<br />

Anzeiger gegen den Bahnhof Stadelhofen von Santiago Calatrava und gegen die Postmoderne. Er<br />

führt praktisch alle Negativ-Vokabeln der Postmoderne-Kritik ins Feld: Architektur als<br />

Konditorei in Eisenbeton, Aufbruch ins Beliebige, Baugeschichte als Supermarkt, Dekoration,<br />

Ausverkauf der Stile, Anti-Aufklärung, Liebling des Kapitals, Verschleierung, Fassaden als<br />

Verkleidung und Faxen, Infantilismus, Micky Maus als Urahn der Postmoderne, Disneyl<strong>and</strong>,<br />

Geschwätz, reine Verzierung, Mode, Enthemmung. 26 Seine Attacke zählt beinahe lückenlos auf,<br />

welches Spektrum „Postmoderne“ als Schimpfwort damals auch abdeckte. Vergessen hat er<br />

einzig das berühmte „Anything goes“. 27<br />

Frisch tut Calatrava selbstverständlich Unrecht, aber er hat auch Recht in dem, was die<br />

Postmoderne zum Teil – in ihrer platt neohistoristischen Ausprägung – auch gewesen ist. Leider<br />

wird jedoch mit solchen Ausfällen alles in einen Topf geworfen und asymmetrisch verglichen:<br />

„gute“ Moderne gegen „schlechte“ Postmoderne, die übrigens mit ihren Säulchen und<br />

Giebelchen, mit der ganzen vermurksten Architektursprache und dem spiessigen Protzertum<br />

sehr schnell in die Agglomeration vertrieben wurde. Ausgeblendet wird dabei die massenhafte,<br />

knapp genügende bis miese „Moderneproduktion“, die es auch gibt.<br />

Die Postmoderne im Rückspiegel<br />

Die Postmoderne ist, wie die Ausstellung auch zeigt, historisch geworden, und sie kann als<br />

abgeschlossene Phase betrachtet werden. Sie stellte keinen Bruch mit der Moderne dar,<br />

sondern war deren logische Weiterführung und Transformation. Zwei Entwicklungen liefen nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg parallel, die um 1970 ihre volle Wirkung entfalteten: erstens ein<br />

unfassbares Wirtschaftswunder und zweitens das schleichende Verschwinden des<br />

vielgescholtenen Bildungsbürgers, der sich elitär und unkritisch in der vergangenen, hohen<br />

Kultur aufhielt. Eine neue Generation von Kreativen war am Werk, welche in zwei Kulturen<br />

aufwuchsen: in der klassischen, „hohen“ Kultur und in der sogenannten Pop-Kultur. Die<br />

24 Jürgen Habermas, Moderne und postmoderne Architektur; und: Die Moderne – ein unvollendetes<br />

Projekt. Beide in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-<br />

Diskussion, Weinheim 1988, S. 110-120 resp. S. 177-192.<br />

25 Daran hat Jencks auch seinen Anteil, weil er eine kurze Programmschrift herausgegeben hat, die nur<br />

diese schwache und belanglose Seite der Postmoderne beh<strong>and</strong>elt. Charles Jencks, Was ist Postmoderne?<br />

Der neue Klassizismus in Kunst und Architektur, Stuttgart 1993.<br />

26 Siehe unter www.tagesanzeiger.ch: Max Frisch, Die Architektur der Micky Maus.<br />

27 Diese Formel in die Welt gesetzt hat der Wissenschaftstheoretiker und Philosoph Paul Feyerabend, der<br />

von 1980 bis 1994 auch an der ETH Zürich lehrte. Die deutsche Übersetzung von ‚anything goes’ lautet:<br />

‚Mach’ was du willst’. Leidenschaftlich hat er für Vielfalt, für die radikale Freiheit der Bildung und des<br />

Wissens und für eine anarchistische Wissenschaftstheorie gestritten, die Regeln bricht und Methoden<br />

jederzeit modifiziert. Für die Künste ist die Regel ‚anything goes’ schon längt die einzige Regel. Siehe:<br />

Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt/M. 1975; und: Die Vernichtung der Vielfalt. Ein<br />

Bericht, Wien 2005.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 42


homogene, bürgerliche Moderne zerfiel genauso wie das homogene Individuum. Eine heterogene<br />

Kultur der Vermischung, der Überlagerungen und der Vielfalt bildete sich heraus, eine Kultur des<br />

Spiels mit Farben, Formen, Materialien, Klischees, Stilisierungen, mit Hoch und Niedrig sowie<br />

mit historischen Versatzstücken. Was Fiedler, Sontag und Venturi postuliert hatten, wurde<br />

Wirklichkeit. Die Postmoderne hat hervorgebracht, was Ihab Hassan zu den Merkmalen<br />

postmoderner Kultur zählt: Auflösung des Kanons und Fragmentarisierung, Unbestimmtheiten<br />

und Hybridisierung, Karnevalisierung und Eventbestimmtheit, aber auch Teilnahme und<br />

Performanz. 28<br />

Das ist bis heute so geblieben, und geblieben sind auch zwei weitere Phänomene. Erstens das<br />

„heterogene“ Publikum, welches sich in dieser Mischkultur erlebnisorientiert und situativ<br />

bewegt und sich hier ästhetische Subjektivität und subjektive „Performance“ antrainiert; und<br />

zweitens ein Kulturbetrieb, der „eventorientierter“ ist und sich im Positionieren von kulturellen<br />

Ereignissen der Formen der Unterhaltungsbranche bedient. Zudem ist Perfomance auch in<br />

diesem Feld längst zum Schlüsselbegriff der Kulturmanager avanciert.<br />

Das Schicksal aller Produkte und Artefakte erleben auch die „postmodernen“: Entweder sie<br />

veralten schlicht und einfach oder sie gehen als die einen Zeitabschnitt prägenden Klassiker in<br />

die Geschichte ein.<br />

Die Postmoderne hat auch als Katalysator für modernen Pluralismus gewirkt. Wenn Moderne<br />

heisst, sich gegen Dogmatismen aller Art zu stellen und sich permanent selbst einer kritischen<br />

Revision zu unterziehen, dann ist sich hier die Moderne mittels der Postmoderne einen Schritt<br />

näher gekommen.<br />

28 Ihab Hassan, Postmoderne heute, in: Wolfgang Welsch (Hrsg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte<br />

der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 47-56.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 43


Timeline<br />

Auf der Timeline ist eine Auswahl von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen<br />

aufgeführt, die kurz vor und während der Postmoderne stattgefunden haben.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 44


Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 45


Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 46


Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 47


Timeline (nur Text)<br />

Auf der Timeline ist eine Auswahl von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ereignissen<br />

aufgeführt, die kurz vor und während der Postmoderne stattgefunden haben.<br />

1968 Jugendunruhen. Die Auflehnung der Jugendlichen gegen die etablierte Gesellschaft<br />

erreicht in den westeuropäischen Staaten und in den USA ihren Höhepunkt.<br />

1969 Beznau I. Das erste Atomkraftwerk der Schweiz wird in Betrieb genommen.<br />

1969 Apollo 11. Erste bemannte Mondl<strong>and</strong>ung durch die US-amerikanische<br />

Raumfahrtbehörde NASA.<br />

1970 Ciba-Geigy. Fusion der Basler Chemiefirmen zum grössten Chemiekonzern der Schweiz.<br />

1970 Schwarzenbach-Initiative. Das Stimmvolk lehnt die Initiative gegen eine<br />

"Überfremdung" der Schweiz ab.<br />

1971 Greenpeace. Gründung der internationalen Umweltorganisation.<br />

1972 Frauenstimmrecht. Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz auf nationaler<br />

Ebene.<br />

1972 Grenzen des Wachstums. Der "Club of Rome" veröffentlicht seine kritische, weltweit<br />

beachtete Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft.<br />

1972 Geiseldrama. Geiselnahme israelischer Sportler durch palästinensische Terroristen an<br />

den Olympischen Spielen in München.<br />

1973 Ölkrise. Die massive Verteuerung des Erdöls hat gravierende wirtschaftliche<br />

Auswirkungen. Die Schweiz führt autofreie Sonntage ein.<br />

1974 Watergate-Sk<strong>and</strong>al. Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon nach der<br />

Aufdeckung von Amtsmissbräuchen.<br />

1975 Microsoft. Gründung des Softwarekonzerns durch Bill Gates und Paul Allen.<br />

1975 Ende des Vietnamkrieges. Einnahme von Saigon durch nordvietnamesische Truppen<br />

und anschliessende Wiedervereinigung des L<strong>and</strong>es.<br />

1976 Giftmüll-Sk<strong>and</strong>al. Im italienischen Seveso verunreinigt giftiges Dioxin die Umwelt.<br />

1976 Concorde. Erster kommerzieller Flug des französisch-englischen Überschall-<br />

Passagierflugzeuges.<br />

1976 Apple. Gründung der Computerfirma "Apple" durch Steve Jobs, Steve Wozniak und<br />

Ronald Wayne in Kalifornien.<br />

1977 Deutscher Herbst. Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hans Martin<br />

Schleyer durch die Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF).<br />

1978 Retortenbaby. Louise Brown, das erste im Reagenzglas gezeugtes Baby, kommt in<br />

Engl<strong>and</strong> zur Welt.<br />

1978 Islamische Revolution. Sturz des Schahs von Persien und Beginn der islamischen<br />

Revolution unter Ayatollah Khomeini im Iran.<br />

1978 Friede von Camp David. Israelisch-ägyptisches Friedensabkommen, ausgeh<strong>and</strong>elt vom<br />

amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter.<br />

1978 Brigate Rosse. Der italienische Ministerpräsident Aldo Moro wird von der<br />

Terrororganisation Brigate Rosse entführt und ermordet.<br />

1979 Walkman. Sony bringt das erste transportable Musikkassetten-Gerät auf den Markt.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 48


1979 Iron Lady. Margaret Thatcher wird als erste Frau Premierministerin Grossbritanniens.<br />

Über ein Jahrzehnt prägt sie die britische Wirtschaft.<br />

1980 Gotthard-Strassentunnel. Der mit 16.9 km drittlängste Strassentunnel der Welt wird<br />

eröffnet.<br />

1980 Opernhauskrawalle. Die Schweiz und vor allem die Stadt Zürich werden von<br />

Jugendunruhen erschüttert.<br />

1980 Ronald Reagan. Der ehemalige Schauspieler wird Präsident der USA.<br />

1981 AIDS. Die Immunschwächekrankheit wird als P<strong>and</strong>emie erkannt.<br />

1981 François Mitterr<strong>and</strong>. Erster sozialistischer Staatspräsident Frankreichs.<br />

1982 Helmut Kohl. Der CDU-Politiker wird Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschl<strong>and</strong>.<br />

1982 CD. Die erste Compact Disc von PolyGram/Philips kommt auf den Markt.<br />

1983 Die Grünen. Gründung der Grünen Partei der Schweiz im Zuge der Umweltbewegung.<br />

1984 Indira G<strong>and</strong>hi. Ermordung der indischen Premierministerin.<br />

1985 Ende des Kalten Krieges. Das Gipfeltreffen zwischen Michail Gorbatschow und Ronald<br />

Reagan in Genf leitet das Ende des Kalten Krieges ein.<br />

1985 Live Aid. Benefizkonzert zu Gunsten Afrikas aus Anlass der Hungerkatastrophe in<br />

Äthiopien.<br />

1985 Ozonloch. Forscher entdecken über der Antarktis ein Loch in der Ozonschicht.<br />

1986 Nein zur UNO. Das Schweizer Stimmvolk lehnt den UNO-Beitritt ab.<br />

1986 Katastrophe von Tschernobyl. Die Explosion im Kernkraftwerk von Tschernobyl in der<br />

damaligen Sowjetunion zeigt die globalen Auswirkungen einer Reaktorkatastrophe.<br />

1987 Black Monday. Der internationale Aktienmarkt bricht am 19. Oktober um 22% ein.<br />

1989 Fall der Berliner Mauer. Die Öffnung der Mauer zwischen Ost-und Westberlin leitet die<br />

Wiedervereinigung Deutschl<strong>and</strong>s ein.<br />

1989 Dalai Lama. Der geistige Führer der Tibeter erhält für seinen Einsatz für eine gewaltlose<br />

Befreiung des Tibets den Friedensnobelpreis.<br />

1989 Tian'anmen-Massaker. Gewaltsame Niederschlagung von Reformbewegungen auf dem<br />

Platz des Himmlischen Friedens in Peking.<br />

1989 WWW. Am Forschungsinstitut CERN Genf entwickelt Tim Berners-Lee die Grundstruktur<br />

des "World Wide Web".<br />

1990 Antiapartheid. Die Freilassung des südafrikanischen Menschenrechtlers Nelson<br />

M<strong>and</strong>ela leitet das Ende der Rassentrennung in Südafrika ein.<br />

1990 Glasnost und Perestrojka. Michail Gorbatschow erhält für seine Reformen in der<br />

Sowjetunion den Friedensnobelpreis.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 49


Glossar<br />

Analoge Architektur, s. Postmoderne VIPs/Miroslav Sik<br />

Architektur, Kritik an der<br />

In den späten 1960er Jahren häuft sich die Kritik an der gebauten Umwelt. Die Sensibilisierung<br />

für die Umweltzerstörung paart sich mit einem Unbehagen gegenüber jüngeren Werken aus dem<br />

Hoch- und Tiefbau. Es entstehen Vorschläge für eine individualisierte und „humane“ Architektur<br />

jenseits der als kalt und unmenschlich empfundenen Moderne. Am Beispiel von<br />

Scheibenhochhäusern aus der frühen Nachkriegszeit in der Zürcher Agglomeration macht der<br />

damalige Direktor der Hochschule für Gestaltung Zürich, Rudolf Schilling, Vorschläge, die<br />

„gesichtslose“ Architektur durch Begrünung, Balkonvorbauten und der Vorblendung von<br />

Werbetafeln wohnlicher und einladender zu gestalten.<br />

Bricolage<br />

Postmoderne Keramik – h<strong>and</strong>gemacht und „readymade“. Es liegt in der Natur der Sache, dass<br />

beim Ausschneiden und Zusammenführen von Versatzstücken bestehende Elemente von H<strong>and</strong><br />

zusammengesetzt werden müssen. So erwies sich die Bricolage-Technik als ideales Verfahren<br />

für h<strong>and</strong>werklich arbeitende Künstler, insbesondere jene, die den traditionell mit Ton, Metall<br />

oder Holz verbundenen Werten ablehnend gegenüberst<strong>and</strong>en. Kalifornien bot ihnen den idealen<br />

Nährboden für ihre Experimente.<br />

Gute Form 29 , die<br />

Funktionalität, einfache Form, hoher Gebrauchswert, lange Lebensdauer, ‚zeitlose‘ Gültigkeit<br />

Ordnung, Verständlichkeit, gute Verarbeitung, Materialgerechtheit, perfekte Details,<br />

Technologie, ergonomische Anpassung, Umweltverträglichkeit.<br />

Gute Form, das Ende der<br />

Der 1913 gegründete Schweizerische Werkbund SWB war bis in die 1960er-Jahre Hüter über die<br />

gute und richtige Gestaltung in der Schweiz. Mit dem Label die gute Form zeichnete er von 1952-<br />

1968 alljährlich Gebrauchsgüter von vorbildlicher Gestaltung aus. 1967, ein Jahr vor dem Ende<br />

der guten Form lud die SWB Ortsgruppe Bern Gestalter und Künstler ein, Stühle jenseits<br />

konformer Gestaltungsnormen zu entwerfen. Unter ihnen waren bekannte Namen wie Meret<br />

Oppenheim oder Daniel Spoerri. Die „Sitzmöglichkeiten“ wurden am 11.11.1967 an der Chair fun<br />

im Rahmen der Jahresversammlung des SWB versteigert.<br />

Hip Hop<br />

Der von Jugendlichen aus Queens und der Bronx erfundene Hip-Hop war die einflussreichste<br />

Musikrichtung der 1970er- und 1980er-Jahre. Seine zentrale Technik war das Sampling, das<br />

dem postmodernen Architekturzitat und der „Appropriation Art“ (Aneignungskunst) nahekam.<br />

Die beste Beschreibung des Hip-Hop lieferte Gr<strong>and</strong>master Flash, der seine ausgedehnten<br />

Kompositionen spontan aus bestehendem Soundmaterial an diesen Turntables<br />

zusammenmixte: „Anders als alle <strong>and</strong>eren Musikgenres kennt der Hip-Hop keine Grenzen.“<br />

Manierismo Critico, s. Postmoderne VIPs/Trix und Robert Haussmann<br />

Mode, postmoderne<br />

In einer Zeit selbstreferenzieller Bilder stammten die vielleicht manieriertesten Fotografien aus<br />

der Modeindustrie. Fotografen versuchten, die glänzenden Oberflächen von Magazinen zu<br />

unterlaufen, während sie dem traditionellen Modemix aus Sex, Stil und Fiktion ein neues<br />

Gesicht gaben. Wie fliessend die Übergänge zwischen dieser Sprache des Kommerzes und der<br />

bildenden Kunst der Zeit waren, zeigt ein Vergleich zwischen dem Modefotografen Helmut<br />

Newton und dem Konzeptkünstler Duane Michals.<br />

29 Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design, Köln 1995b. S. 131.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 50


Der postmoderne Look. Die in den 1970er Jahren gegründeten Schweizer Labels wie Thema<br />

Selection, Jet Set, Christa de Carouge, Pink Flamingo und A propos liefen in den 1980er-Jahren<br />

zu ihrer Höchstform auf. Die hedonistischen Tendenzen leisteten der Mode Vorschub, und das<br />

„think big“ wurde in jeglicher Beziehung gelebt. Die SAFT (Swiss Alternative Fashion Team,<br />

später Syndicate for Avantgarde Fashion Trends) prägte von 1977-1988 die Schweizer Mode und<br />

hatte Ausstrahlung ins Ausl<strong>and</strong>.<br />

Moderne, Tod der<br />

1974 nahm Aless<strong>and</strong>ro Mendini einen von ihm entworfenen, auf Stufen montierten Stuhl,<br />

brachte ihn zu einem verlassenen Steinbruch bei Genua, übergoss ihn mit Benzin und zündete<br />

ihn an. In diesem Akt, so behauptete er, zeige sich der Übergang vom „Objekt zum Relikt, von<br />

Materie zu Erinnerung“. Als Chefredaktor der italienischen Architekturzeitschrift Casabella<br />

platzierte Mendini die „Beisetzung“ später auf dem Cover seines Magazins. Mendinis<br />

nihilistische Geste warf implizit folgende Frage auf: Wenn der Idealismus der Moderne tot war,<br />

welcher Phönix würde dann aus der Asche wiedererstehen? Tod der Moderne!<br />

MTV<br />

1981 startete MTV (Music Television). Musikvideos waren ein wichtiges Medium, über das<br />

postmoderne Ideen in den Mainstream Eingang f<strong>and</strong>en. Prominente inszenierten sich vor<br />

laufender Kamera für ihr Publikum. Die in der Ausstellung gezeigten Clips dokumentieren das<br />

breite Spektrum an Musikstilen, die mit postmodernen Techniken experimentierten - vom Hip-<br />

Hop über New Romantic bis zu Techno.<br />

Redesign/ Aless<strong>and</strong>ro Mendini (1931)<br />

In den späten 1970er Jahren kreierte Mendini zahlreiche „Redesigns“, bestehender Objekte,<br />

indem er Alltagsgegenstände mit neuem Dekor überzog. Die Strategie des Redesigns diente<br />

dazu, den kommerziellen Zwang zum immer Neuen auszuhebeln. Ganz gleich, welcher<br />

Stilrichtung ein Objekt angehörte – Mendini machte es postmodern und hatte keine<br />

Hemmungen, sich dabei wahllos in der Kunst- und Designgeschichte zu bedienen.<br />

Tessiner Schule, s. Postmoderne VIPs/Mario Botta<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 51


Postmoderne VIPs<br />

Ai Weiwei (1957)<br />

Die postmoderne Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit Markennamen erfährt in dieser frühen Arbeit von Ai<br />

Weiwei eine schockierende Wendung. Der Künstler bemalte eine 2000 Jahre alte Urne mit dem<br />

Schriftzug von Coca-Cola (eine westliche Marke, die in China fast omnipräsent ist) und deutete<br />

so das unbehagliche Aufein<strong>and</strong>erprallen von alter Kultur und globalem Kapital an. Die Urne war<br />

bereits vor der Aktion sehr kostbar und wurde paradoxerweise noch wertvoller, nachdem Ai<br />

Weiwei sie verunstaltet und in zeitgenössische Kunst verw<strong>and</strong>elt hatte.<br />

Mario Botta (1943) / Tessiner Schule<br />

Mario Botta gilt als einer der wichtigsten Vertreter der in den 1970er-Jahren bekannt<br />

gewordenen Tendenza (Tessiner Schule). Charakteristisch sind seine stereometrischen<br />

Baukörper und die Übertragung historischer Baustile in eine zeitgenössische Formensprache.<br />

Die kleine über ein Glasdach belichtete Bergkirche verweist mit ihrer gestreiften Fassade und<br />

der stereometrischen Kubatur auf die Romanik und Renaissance Italiens. Die Neuinterpretation<br />

historischer Formen gehört zu den herausragenden Leistungen der Postmoderne.<br />

Michele De Lucchi (1951)<br />

Für die Firma Girmi entwickelte Michele De Lucchi verschiedene spielzeugähnliche Prototypen.<br />

Sie nehmen die heiteren, lebhaften Produktedesigns vorweg, die allgemeine Verbreitung f<strong>and</strong>en,<br />

als sich die Postmoderne in den 1980er-Jahren auf breiter Front durchsetzte. In Produktion<br />

gingen sie dennoch nie. „Alle mochten sie, nur die Ingenieure nicht“, bemerkte De Lucchi später<br />

trocken.<br />

Fischli/Weiss<br />

Peter Fischli (geb. 1952) und David Weiss (1946-2012) beginnen ihre künstlerische<br />

Zusammenarbeit Ende der 1970er-Jahre. Triviale Alltagsgegenstände und Abfallprodukte<br />

spielen von Anfang an eine zentrale Rolle in ihrer Kunst. Mit vergänglichen, aus einfachsten<br />

Mitteln gebauten Installationen (für ‚Der Lauf der Dinge‘) fangen sie die Magie des Augenblicks<br />

ein und erzielen mit simplen mechanisch-physikalischen Vorgängen effektvolle<br />

Überraschungen.<br />

Michael Graves<br />

Das Portl<strong>and</strong> Building, das aussah, als seien vier Reklametafeln an den Ecken zusammen<br />

geklebt worden, ist ein wichtiges Frühwerk von Michael Graves, dem prominentesten<br />

Architekten der Postmoderne in Amerika. Obwohl der Bauherr eine Privatperson und kein<br />

Unternehmen war, markiert das Gebäude einen Wendepunkt in Michael Graves’ Karriere.<br />

Nachdem er in den 1970er-Jahren die meiste Zeit mit ungebauter „Papierarchitektur“ und<br />

Aufträgen für Wohnbauten zugebracht hatte, schenkte ihm nun eine Klasse von Firmenkunden<br />

Beachtung, die mit neuem Selbstbewusstsein auftrat.<br />

Trix Haussmann (1933) und Robert Haussmann (1931) / Manierismo Critico<br />

Der Innenarchitekt Robert Haussmann und seine Frau, die Architektin Trix Haussmann bilden<br />

eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Postmoderne in der Schweiz. In den 1970er-Jahren<br />

begannen sie, die reiche Formensprache des Manierismus zu untersuchen, um mit neuen,<br />

sinnlichen Ausdrucksformen die leer gewordenen und stereotypen Formen der Spätmoderne zu<br />

überwinden. Architektonische Zitate und Anspielungen sowie eine wiederentdeckte Ornamentik<br />

zeichnen ihre Architektur und Möbel aus.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 52


Grace Jones<br />

Grace Jones, die Verkörperung der New Yorker Underground-Szene, präsentierte sich<br />

zusammen mit ihrem Partner, dem französischen Designer Jean-Paul Goude, als subversive<br />

Berühmtheit. In einem Aufzug, der sie wie die Hohepriesterin der Postmoderne aussehen liess –<br />

die kantige Taille diente dazu, ihre Schwangerschaft zu verbergen – machte sie sich das<br />

farbenfrohe Vokabular des postmodernen Stils zu eigen – mit verheerenden Auswirkungen.<br />

Karl Lagerfeld (1933)<br />

Als Karl Lagerfeld 1982 Chanel, das berühmteste Pariser Modelabel, übernahm, entstaubte er<br />

das Unternehmen von Grund auf. War es zuvor für seinen zurückhaltenden modernen Look<br />

bekannt, so wurde das kleine Schwarze nun zum Auslaufmodell. Lagerfeld liess stattdessen das<br />

goldene CC-Logo auf Taschen und Schnallen aufblitzen und führte enge Röcke, grelle Farben<br />

und glänzende Oberflächen ein. Unter seiner Regie erhielt das Label ein durch und durch<br />

postmodernes Gesicht.<br />

Aless<strong>and</strong>ro Mendini (1931), s. Glossar/Moderne, Redesign<br />

Nathalie du Pasquier (1957)<br />

Du Pasquier verkörperte die jugendliche Energie, die Memphis antrieb. Inspiration für ihre<br />

Arbeiten bezog sie aus Reisen nach Afrika. Zusammen mit ihrem Mann George Sowden druckte<br />

sie Muster von H<strong>and</strong>, liess sie dann maschinell in einer Mailänder Fabrik laminieren und<br />

produzierte so „einzigartige Objekte auf Grundlage eines industriellen Verfahrens.“ Ihr Projekt<br />

Objects for the Electronic Age entwickelte sich aus der Überlegung, die Arbeitsteile von<br />

elektronischen Geräten seien so klein, dass sie keinerlei Form diktierten. „Wenn es bei<br />

mechanischen Konstruktionen um reine Funktionalität geht“, so Sowden, „dann wird es bei<br />

elektronischen Konstruktionen um das Dekor gehen.“<br />

Aldo Rossi (1931-1997)<br />

Der Italiener Aldo Rossi gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Postmoderne und gehört zu<br />

den richtungweisenden Architekten und Theoretikern des 20. Jahrhunderts. Bereits Ende der<br />

1950er-Jahre fordert er eine kritische Revision der dogmatischen Prinzipien der Moderne. Als<br />

Gastprofessor an der ETH Zürich führt er in den 1970er-Jahren ein einer strengen, rationalwissenschaftlichen<br />

Methode verpflichtetes Entwurfsstudium ein. Sein Postulat für die<br />

Autonomie der Architektur, seine analytische Ausein<strong>and</strong>ersetzung mit der historischen Stadt<br />

sowie seine Hinwendung zur Typologie prägen eine ganze Architektengeneration.<br />

Bernhard Schobinger (1946)<br />

Der vom Punk beeinflusste Schweizer Schmuckkünstler Bernhard Schobinger begann seine<br />

Karriere in den späten 1970er-Jahren mit brachial anmutenden Abfallprodukten. Doch wenn<br />

auch seine Arbeiten aus dem urbanen Müll der damaligen Zeit stammen, so verweisen ihre<br />

Namen auf traumatische Momente der Geschichte und stellen Bezüge etwa zwischen<br />

Glasscherben und dem kriegszerstörten Berlin oder zwischen zertrümmerten Dachziegeln und<br />

Hiroshima her.<br />

Lady Shiva<br />

Die Ostschweizerin Irene Staub alias Lady Shiva war Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva des<br />

Milieus. Sie pflegte Freundschaften zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano<br />

Castelli oder Franz Gertsch. Ihr Lebensw<strong>and</strong>el und ihr Stilbewusstsein machten sie zur Femme<br />

fatale der Partyszene.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 53


Miroslav Sik (1953)<br />

In Anlehnung an den Architekten Aldo Rossi entwickelte Mirsolav Sik an der ETH Zürich die<br />

Theorie der Analogen Architektur. Ziel war es, die Wirklichkeit mittels einer neuen Poetik<br />

darzustellen, indem das Vorgefundene nicht kopiert, sondern mit etwas Fremdem konfrontiert<br />

und transformiert wurde. Dabei griff er vorwiegend auf anonyme Bauten vom L<strong>and</strong>e und aus der<br />

Vorstadt zurück. Die sogenannten Analogen haben den Architekturdiskurs der damaligen Zeit<br />

wesentlich beeinflusst.<br />

Ettore Sottsass (1917–2007)<br />

Der in den späten 1960er-Jahren einflussreichste Designer Italiens verbrachte einen Grossteil<br />

seines Lebens auf Reisen. In den USA begeisterte er sich für die amerikanische Popkultur, in<br />

Indien war er von religiösen Monumenten fasziniert. Diese Eindrücke verarbeitete Sottsass in<br />

einer Reihe von Totems namens Menhir, Zikkurat, Stupas, Hydranten und Zapfsäulen. „Ich<br />

möchte mir eine Zapfsäule machen, an der ich ein Leben lang Super in meine Adern pumpen und<br />

sie dann anzünden kann“, erklärte er später.<br />

Raumbehälter für Vergnügen. Mit seiner Begeisterung für Rituale und Popkultur entfernte sich<br />

Ettore Sottsass zusehends von einer aussichtsreichen Karriere im kommerziellen Design. Ihm<br />

schwebten Gebäude vor, die als „Super-Instrumente“ für Unterhaltungszwecke fungierten und<br />

in denen man sich mit Drogen, Sex, Musik und Stars vergnügen konnte. Sottsass entwarf die<br />

Requisiten eines unkonventionellen hedonistischen Lebensstils. Der italienische Designer liess<br />

es sich nicht nehmen, mit diesen Ideen in den unterschiedlichsten Grössenordnungen zu<br />

experimentieren. Seine Gebäude ähnelten Teekannen, seine Teekannen ähnelten antiken<br />

Tempeln.<br />

Swatch<br />

Die Einführung der Swatch 1982/1983, mitten in der Krise der Uhrenindustrie, ist nicht das<br />

Ergebnis einer gr<strong>and</strong>iosen Marketing-Strategie. Vielmehr geht ihre Entwicklung auf<br />

betriebswirtschaftliche Überlegungen zurück, die Herstellungskosten durch Reduktion der<br />

Best<strong>and</strong>teile zu senken. Im Laufe der Entwicklungsarbeit kristallisierte sich die Plastikuhr als<br />

einzig gangbare Lösung heraus. Der vielfältige und schnell wechselnde Look, die Bezüge zu<br />

Mode und Grafik sowie die auf ein junges Publikum ausgerichtete Werbung machten die Swatch<br />

zu einem typischen Produkt der gestylten Achtzigerjahre.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 54


Medienverzeichnis | Literatur und Links<br />

Ausstellungskataloge<br />

Adamson, Glenn, Pavitt, Jane (Hg.). <strong>Postmodernism</strong>. <strong>Style</strong> <strong>and</strong> <strong>Subversion</strong>, 1970-1990. London<br />

2011.<br />

Katalog zur Ausstellung im Victoria & Albert Museum London.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum (Hg.). <strong>Postmodernism</strong>. Aus Schweizer Sicht. Zürich 2012.<br />

Katalog zur Ausstellung im L<strong>and</strong>esmuseum Zürich.<br />

Literatur<br />

Berents, Catharina. Kleine Geschichte des Design((s?)). Von Gottfried Semper bis Philippe<br />

Starck. München 2011.<br />

exemplarisch aufgebaute Designgeschichte, versucht auch den theoretischen<br />

Hintergrund mit einzubeziehen, ab S. 161ff.<br />

Collins, Michael, Papadakis, Andreas. Post-Modern-Design. New York 1989.<br />

Fayet, Roger (Hg.). 70s versus 80s. Stuttgart 2001.<br />

Ausstellungskatalog Museum Bellerive Zürich.<br />

Fischer, Volker. Ornamente & Versprechen. Postmoderne und Memphis im Rückblick.<br />

Stuttgart/London 2005.<br />

Ausstellungskatalog Museum für Angew<strong>and</strong>te Kunst Frankfurt am Main.<br />

Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design. Köln 1995.<br />

Gute Übersicht und gute Zusammenfassung der Eigenschaften der verschiedenen Stile,<br />

sodass sie unter ein<strong>and</strong>er vergleichbar werden.<br />

Welsch, Wolfgang (Hg.). Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion.<br />

Weinheim 1988.<br />

Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion versammelt.<br />

Welsch, Wolfgang. Ästhetisches Denken (Perspektiven für das Design der Zukunft), Stuttgart<br />

1995.<br />

Welsch war ein wichtiger philosophischer Begleiter der Postmoderne. Seine damaligen<br />

„Perspektiven für das Design der Zukunft“ fassen die theoretischen Ansätze zusammen<br />

und formulieren interessante Gedanken zum Thema, S. 201ff.<br />

Link<br />

http://www.vam.ac.uk/content/videos/p/postmodernism-at-the-v-<strong>and</strong>-a/<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 55


Modern! KM 1<br />

Beschreibe, was für dich das Wort ‚modern‘ bedeutet.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Was gilt für dich als ‚modern’? Nenne Beispiele und begründe sie.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nimm einen Gegenst<strong>and</strong> in die Klasse mit, der für dich modern ist, und einen Gegenst<strong>and</strong>, der<br />

für dich nicht modern ist. Begründe deine Auswahl.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 56


Die 70er- und 80er-Jahre KM 2<br />

Die Ausstellung «<strong>Postmodernism</strong>» zeigt die Stilrichtung der 1970er- und1980er-Jahre in den<br />

Bereichen Architektur, Mode, Design, Kunst und Musik. Welche bedeutenden politischen<br />

Ereignisse haben zu der Zeit in der Schweiz und weltweit stattgefunden? Recherchiere in<br />

Geschichtsbüchern und im Internet.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Befrage eine Person in deinem persönlichen Umfeld, die diese Zeit erlebt hat. An welche<br />

Ereignisse erinnert sie sich?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

In der Ausstellung zeigt ein Zeitstrahl (Timeline) politische, wirtschaftliche und soziale<br />

Ereignisse aus der Schweiz und dem Ausl<strong>and</strong>. Vergleiche die Timeline mit deinen Recherchen.<br />

Was unterscheidet sich? Welche Ereignisse müssten bei der Timeline deiner Meinung nach<br />

ergänzt werden?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 57


Die Postmoderne. Eine Checkliste KM 3<br />

Wann ist ein Objekt postmodern?<br />

Die Gestaltungselemente der Postmoderne<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

__<br />

frech, ironisch, witzig<br />

provokativ<br />

nostalgisch, verwendet Elemente aus früheren Stilrichtungen<br />

Crossover der Stile: verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode<br />

wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

kitschig<br />

Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche<br />

sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-<br />

Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

verfremdet (etwas wird in ungewohntem Zusammenhang verwendet)<br />

Wähle in der Ausstellung ein Objekt aus. Welche Gestaltungselemente/Kriterien treffen auf dein<br />

Objekt zu? Stelle das Objekt deiner Klasse vor und begründe, warum es postmodern ist.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Beispiel<br />

_x_ verfremdet: Regal ‚Kung-Fu‘ in Form eines chinesischen Schriftzeichens.<br />

Die chinesische Schrift diente den Designern Ueli und Susi Berger als Inspiration, aber sie<br />

verwendeten die Schriftzeichen in einem ganz <strong>and</strong>eren, neuen Zusammenhang.<br />

Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 58


Architektur KM 4<br />

Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Architektur.<br />

Wähle drei Objekte aus dem Bereich Architektur.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Prüfe mit der Checkliste (siehe unten), warum sie zur Postmoderne passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nenne wichtige Architektinnen und Architekten der Postmoderne.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Finde heraus, welche Ideen diese Architektinnen und Architekten beeinflusst und zu ihren<br />

Werken inspiriert haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________<br />

Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente<br />

__frech, ironisch, witzig<br />

__provokativ<br />

__nostalgisch, verwendet Elemente aus <strong>and</strong>eren/früheren Stilrichtungen<br />

__Crossover der Stile. verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

__kitschig<br />

__Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

__verfremdet (etwas wird in ungewohntem Zusammenhang verwendet)<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 59


Design KM 5<br />

Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch das Design.<br />

Wähle drei Objekte aus dem Bereich Design.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nenne wichtige Designerinnen und Designer der Postmoderne.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Finde heraus, welche Ideen diese Designerinnen und Designer beeinflusst und zu ihren Werken<br />

inspiriert haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

__________________________________________________________________________<br />

Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente<br />

__frech, ironisch, witzig<br />

__provokativ<br />

__nostalgisch, verwendet Elemente aus <strong>and</strong>eren/früheren Stilrichtungen<br />

__Crossover der Stile. verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

__kitschig<br />

__Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

__verfremdet (etwas<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 60


Mode KM 6<br />

Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Mode.<br />

Wähle drei Objekte aus dem Bereich Mode.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nenne wichtige Modedesignerinnen und Modedesigner der Postmoderne.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Finde heraus, welche Ideen diese Modedesignerinnen und Modedesigner beeinflusst und zu<br />

ihren Werken inspiriert haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente<br />

__frech, ironisch, witzig<br />

__provokativ<br />

__nostalgisch, verwendet Elemente aus <strong>and</strong>eren/früheren Stilrichtungen<br />

__Crossover der Stile. verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

__kitschig<br />

__Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

__verfremdet (etwas<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 61


Grafik KM 7<br />

Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Grafik.<br />

Wähle drei Objekte aus dem Bereich Grafik.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nenne wichtige Grafikerinnen und Grafiker der Postmoderne.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Finde heraus, welche Ideen diese Grafikerinnen und Grafiker beeinflusst und zu ihren Werken<br />

inspiriert haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente<br />

__frech, ironisch, witzig<br />

__provokativ<br />

__nostalgisch, verwendet Elemente aus <strong>and</strong>eren/früheren Stilrichtungen<br />

__Crossover der Stile. verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

__kitschig<br />

__Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

__verfremdet (etwas<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 62


Musik KM 8<br />

Die Postmoderne hat unterschiedliche Bereiche beeinflusst, dazu gehört auch die Musik.<br />

Wähle drei Objekte aus dem Bereich Musik.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Prüfe mit der Checkliste unten, warum sie zur Postmoderne passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Nenne wichtige Musikerinnen und Musiker der Postmoderne.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Finde heraus, welche Ideen diese Musikerinnen und Musiker beeinflusst und zu ihren Werken<br />

inspiriert haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Checkliste der postmodernen Gestaltungselemente<br />

__frech, ironisch, witzig<br />

__provokativ<br />

__nostalgisch, verwendet Elemente aus <strong>and</strong>eren/früheren Stilrichtungen<br />

__Crossover der Stile. verwendet/zitiert <strong>and</strong>ere Stilrichtungen (z. B. in der Mode wird aus Afrika oder Asien zitiert)<br />

__ornamentverliebt, üppig dekoriert, farbig<br />

__kitschig<br />

__Form und Funktion sind ein<strong>and</strong>er fremd; Form, Funktion, Material und Oberfläche sind vonein<strong>and</strong>er unabhängig<br />

__neue Materialien werden verwendet: recycelbare Kunststoffe, High Tech-Keramik, Flüssigholz, Gel-Substanzen<br />

__verfremdet (etwas<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 63


Anything goes KM 9<br />

In der Moderne und in der Postmoderne haben sich Künstler und Künstlerinnen oft an Leitsätzen<br />

oder Mottos orientiert. Was bedeuten die folgenden Zitate? Diskutiere mit einem Partner, einer<br />

Partnerin ihre Bedeutung.<br />

01 «Zurück zur Fassade.» (Robert Venturi)<br />

02 «Ornament ist kein Verbrechen.» (Ettore Sottsass)<br />

03 «Der Kitsch ist das trojanische Pferd der Volksmassen.» (Aless<strong>and</strong>ro Mendini)<br />

04 «Less is more.» (Mies van der Rohe)<br />

05 «Mainstreet is almost all right.» (Robert Venturi)<br />

06 «Not ‚less is more’ (Mies van der Rohe), but ‘less is a bore’.» (Robert Venturi)<br />

07 «Nicht nur Funktion, sondern auch Fiktion.» (Heinricht Klotz)<br />

08 «Form, Funktion, Material und Oberflächen sind vonein<strong>and</strong>er unabhängige Kategorien.»<br />

(Barbara Radice)<br />

09 «Geschichte ist keine Sünde, sondern Voraussetzung allen gestalterischen H<strong>and</strong>elns.» (Paolo<br />

Portoghesi)<br />

10 «Form follows function.» (Louis Sullivan)<br />

11 «Ornament ist vergeudete Arbeitskraft.» (Adolf Loos)<br />

1) Unter den Zitaten sind zwei, die nicht auf die Postmoderne zutreffen, sondern während der<br />

Moderne als Leitsätze dienten. Finde sie und begründe, warum sie nicht zur Postmoderne<br />

passen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

2) Robert Venturi, Ettore Sottsass und Aless<strong>and</strong>ro Mendini sind bedeutende postmoderne<br />

Gestalter. Suche ihre Werke in der Ausstellung.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

3) Suche und benenne in der Ausstellung weitere Objekte, auf welche die obigen Zitate<br />

zutreffen, und begründe deine Auswahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Zitate aus: Fischer, Volker. Ornament & Versprechen. Postmoderne und Memphis im Rückblick. Stuttgart 2005.<br />

Adolf Loos ist zitiert in: Hauffe, Thomas. Dumont-Schnellkurs Design, Köln 1995b, S. 56.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 64


Filme & Videoclips KM 10<br />

Betrachte die Videoclips und Filme in der Ausstellung. Was macht sie postmodern, die<br />

Geschichte, die Filmtechnik, die Requisiten? Hast du die Filme oder Videoclips vorher schon<br />

gekannt? Könnte man sie heute noch senden?<br />

Wähle zwei Beispiele aus und notiere die postmodernen Kriterien dafür.<br />

Postmoderne Kriterien für Film/Videoclip 1:<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Postmoderne Kriterien für Film /Videoclip 2:<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Diskutiere deine Filmauswahl und die postmodernen Kriterien mit deinen Kolleginnen und<br />

Kollegen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Suche weitere postmoderne Videoclips im Internet. Wie findest du sie, auf welchen Seiten<br />

suchst du und welche Suchbegriffe verwendest du?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 65


Postmodernes Gestaltungselement 1 | Ironie & Witz KM 11<br />

Choco-Chair, 1967, Robert Haussmann. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

1) Lies den Text zu Ironie, Witz und Provokation als Gestaltungselemente der Postmoderne.<br />

«Vielen Objekten der Postmoderne ist ein gewisser Humor eigen. Designer/Architekten wehrten<br />

sich gegen den Leitsatz der Moderne «Form Follows Function». So wurde oftmals die Funktion<br />

oder die Form eines Objektes in Frage gestellt. Sie arbeiteten mit untypischen Materialien oder<br />

entwarfen funktionsfremde Formen. Das führte zu ironischen und witzigen Ergebnissen, wie<br />

zum Beispiel zum Choco-Chair von Robert Haussmann. Der Stuhl sieht aus, als ob er<br />

dahinschmelzen würde und deshalb in Schieflage geraten wäre. Als Sitzgelegenheit eignet er<br />

sich kaum.»<br />

2) Suche weitere Objekte, die auf dich ironisch, witzig und provokativ wirken. Begründe deine<br />

Auswahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 66


Postmodernes Gestaltungselement 2 | Zitieren KM 12<br />

Sessel Proust, 1978, Aless<strong>and</strong>ro Mendini. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

1) Lies den Text zum Zitieren als Gestaltungselement der Postmoderne.<br />

«Eine Strategie der Gestalter der Postmoderne, vor allem der Architekten, war das Aufgreifen<br />

von Stilelementen aus vergangenen Epochen der Kulturgeschichte. Sie sahen Geschichte als<br />

Voraussetzung allen gestalterischen H<strong>and</strong>elns. Sie zitierten Säulen von antik-griechischen<br />

Tempeln, mesopotamische Grabhügel und Möbel der Moderne und schufen daraus neue, eigene<br />

Werke. Dabei ging es ihnen nicht darum, nur die alten Stile nachzuahmen, sondern sie in die<br />

Gegenwart hereinzuholen. »<br />

Der Proust-Sessel von 1978 ist ein gutes Beispiel dafür. Sein Name stammt aus der Literatur<br />

(der moderne Autor Marcel Proust), die Form ist einem barocken Sessel aus dem<br />

18. Jahrhundert nachempfunden (aufgeblasen auf unwahrscheinliche Proportionen) und die<br />

Dekoration ist einem pointillistischen Gemälde von Paul Signac entnommen. Die Oberfläche<br />

wurde erreicht, indem ein Dia mit dem Gemälde auf den Stuhl projiziiert und die Farbtupfer<br />

nachgemalt wurden<br />

2) Suche weitere Objekte, die Zitate verwenden, und begründe deine Auswahl (Tipp: Begib dich<br />

in den Raum, der ein Kunstwerk des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zeigt).<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 67


Postmodernes Gestaltungselement 3 | Ornament & Farbe KM 13<br />

Sessel Bel Air, 1981-82, Peter Shire. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

1) Lies den Text zu Ornament und Farbe in der Gestaltung der Postmoderne.<br />

«Die postmodernen Gestalter experimentierten absichtlich übertrieben mit Ornamenten und<br />

Dekorationen, grell bunten Farben und funktionsfremden Formen. Dies ist als Reaktion auf die<br />

Moderne zu sehen, in der einfache, schmucklose geometrische Formen vorgezogen wurden,<br />

welche die industrielle Produktion vereinfachten und somit vergünstigten. Dekoration wurde als<br />

störend und verschwenderisch empfunden. Die Designer und Architekten der Postmoderne<br />

empf<strong>and</strong>en den Stil der Moderne als kalt und unmenschlich und arbeiteten stark mit Farben und<br />

Dekoration.»<br />

Peter Shires Bel Air-Stühle erinnern an das kalifornische Str<strong>and</strong>leben mit seiner knalligen<br />

Farbpalette, der Haifischflossen-Rückenlehne und dem Wasserball-Fuss.<br />

2) Suche weitere Objekte, die farbig oder dekoriert sind, und begründe deine Auswahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 68


Postmodernes Gestaltungselement 4 | Kitsch, High & Low KM 14<br />

Urne aus der Han-Dynastie mit Coca-Cola-Logo, 1994, Ai Weiwei. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

1) Lies den Text zu den Gestaltungselementen Kitsch, High & Low und Mainstream in der<br />

Postmoderne.<br />

«In der Postmoderne wurde das Alltägliche und Banale aufgegriffen und wurde Kunst. Kunst<br />

wiederum wurde verwendet im Design von Alltagsgegenständen. Comics, Werbung, Labels und<br />

Konsumgüter wurden in der Pop-Art von Künstlern wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol<br />

thematisiert, während das Design wiederum Elemente aus der Hohen Kunst verwendete. Die<br />

postmodernen Gestalter wollten die hohe, elitäre Kunst nicht mehr trennen von der populären<br />

Kunst der breiten Volksmasse.»<br />

Der chinesische Bildhauer Ai Weiwei ist wie viele heutige Künstler ein Kind der Postmoderne. In<br />

einer frühen Serie seiner Arbeit versieht er 2000 Jahre alte chinesische Urnen mit einem<br />

dreisten Coca-Cola-Logo und vereint so antike Geschichte mit einem alltäglichen<br />

Konsumschriftzug.<br />

2) Suche weitere Objekte, die Alltägliches mit hoher Kunst verbinden, die Kunstgegenstände<br />

zum Main Stream machen oder die Kitsch gebrauchen, und begründe deine Auswahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 69


Postmodernes Gestaltungselement 5 | Form & Funktion KM 15<br />

Regal Kung-Fu, 1981, Susi + Ueli Berger. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

1) Lies den Text zu Form und Funktion in der Gestaltung der Postmoderne.<br />

«Die Gestalter der Postmoderne wendeten sich ab vom modernen Leitsatz der «Guten Form»<br />

und wehrten sich gegen das Motto «Form Follows Function». Stattdessen kreierten sie<br />

Kunstwerke, deren Form und Funktion nicht zusammen passen, wie beispielsweise das Regal<br />

Kung-Fu von Susi + Ueli Berger in Form eines chinesischen Schriftzeichens.»<br />

2) Suche weitere Objekte, deren Form und Funktion nicht zusammenpassen, und begründe<br />

deine Auswahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 70


Kunst und Kommerz KM 16<br />

In der Postmoderne ging es bald auch darum, die eigenen Produkte zu verkaufen und damit Geld<br />

zu verdienen. Man spricht von einer Kommerzialisierung der Kunst. Einige Produkte sind bis<br />

heute erfolgreiche Konsumprodukte geblieben, <strong>and</strong>ere haben den Durchbruch nicht geschafft.<br />

Unten findest du einen Text zu einer Produktelinie, die nicht erfolgreich war.<br />

1) Lies den Text und betrachte anschliessend die Objekte in der Ausstellung.<br />

«Für die Firma Girmi entwickelte Michele De Lucchi verschiedene spielzeugähnliche Prototypen.<br />

Sie nehmen die heiteren, lebhaften Produktedesigns vorweg, die allgemeine Verbreitung f<strong>and</strong>en,<br />

als sich die Postmoderne in den 1980er-Jahren auf breiter Front durchsetzte. In Produktion<br />

gingen sie dennoch nie. „Alle mochten sie, nur die Ingenieure nicht“, bemerkte De Lucchi später<br />

trocken.»<br />

Prototypen für einen Toaster, 1979-80, Michele De Lucchi für Girmi. © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

2) Wähle Objekte in der Ausstellung, die als Produkte den kommerziellen Durchbruch geschafft<br />

haben.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 71


Choco-Chair & Co. KM 17<br />

Stühle haben schon immer zur Gestaltung angeregt. Sie haben auch für die postmodernen<br />

Designer eine besondere Rolle gespielt. In der Ausstellung sind verschiedene Sitzgelegenheiten<br />

zu sehen.<br />

1) In der Ausstellung findest du alle abgebildeten Stühle. Notiere die Jahreszahl der Stühle.<br />

Ordne die Stühle nach Alter (zuerst das älteste Modell) und du erhältst das Lösungswort.<br />

H<br />

E<br />

P<br />

M<br />

I<br />

M<br />

S<br />

Lösung: Die Mailänder Designgruppe auf dem Bild mit der Boxring-Sitzgruppe heisst<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐.<br />

2) Welcher Stuhl der Ausstellung gefällt dir am besten? Begründe deine Wahl.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

3) Kreiere deinen eigenen, postmodernen Stuhl. Zeichne einen Entwurf dieses Stuhls.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 72


Quiz zur Postmoderne KM 18<br />

1. ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ist die berühmteste Schweizer B<strong>and</strong> der 80er-Jahre.<br />

2. Wie heisst der chinesische Künstler, dessen Jahrtausende alte Urne mit<br />

Coca Cola-Schriftzug in der Ausstellung zu sehen ist?<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐<br />

3. Das Design eines Films (mit Harrison Ford, Regie Ridley Scott), der von Robotern<br />

h<strong>and</strong>elt, orientiert sich zugleich an den 1940er-Jahren und der Zukunft. Wie heisst<br />

der Film?<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ RUNNER.<br />

4. Das deutsche Designkollektiv ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ schuf den<br />

Consumer’s Rest-Stuhl.<br />

5. Die Designergruppe, die sich in der Boxring-Sitzgruppe fotografieren liess, heisst<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐.<br />

6. Die Designergruppe ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ (gegründet von Aless<strong>and</strong>ro<br />

Mendini) hat ihren Namen von einer mittelalterlichen Praktik, anh<strong>and</strong> derer versucht<br />

wurde Gold herzustellen.<br />

7. Das Architektenpaar Venturi und Denise Scott Brown liess sich von dieser<br />

amerikanischen Stadt inspirieren:<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐<br />

8. Wie heisst die Uhrenmarke, die viele Uhren im Popdesign herausgebracht hat?<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐ ☐<br />

Lösungswort<br />

☐ ☐ ☐<br />

Y<br />

☐ ☐ ☐ ☐ ☐<br />

Die Künstlermuse, Mode-Ikone und Diva der Postmoderne auf dem Bild pflegte Freundschaften<br />

zu Künstlern wie David Bowie, Daniel Schmid, Luciano Castelli oder Franz Gertsch. Ihr<br />

Lebensw<strong>and</strong>el und ihr Stilbewusstsein machten sie zur Femme fatale der Partyszene.<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 73


Quiz-Lösungen KM 18<br />

1. YELLO ist die berühmteste Schweizer B<strong>and</strong> der 80er-Jahre.<br />

2. Wie heisst der chinesische Künstler, dessen Jahrtausende alte Urne mit Coca<br />

Cola-Schriftzug in der Ausstellung zu sehen ist?<br />

AI WEIWEI.<br />

3. Das Design eines Films (mit Harrison Ford, Regie Ridley Scott), der von Robotern<br />

h<strong>and</strong>elt, orientiert sich zugleich an den 1940er-Jahren und der Zukunft. Wie heisst<br />

der Film? BLADE RUNNER.<br />

4. Das deutsche Designkollektiv STILETTO schuf den Consumer’s Rest-Stuhl.<br />

5. Die Designergruppe, die sich in der Boxring-Sitzgruppe fotografieren liess, heisst<br />

MEMPHIS.<br />

6. Die Designergruppe ALCHIMIA (gegründet von Aless<strong>and</strong>ro Mendini) hat ihren Namen von<br />

einer mittelalterlichen Praktik, anh<strong>and</strong> derer versucht wurde Gold herzustellen.<br />

7. Das Architektenpaar Venturi und Denise Scott Brown liess sich von dieser<br />

amerikanischen Stadt inspirieren: LAS VEGAS.<br />

8. Wie heisst die Uhrenmarke, die viele Uhren im Popdesign herausgebracht hat?<br />

SWATCH<br />

Lösungswort: LADY SHIVA<br />

Bild:Lady Shiva in Thema Selection, 1980, Hans Giesinger (Foto). © Schweizerisches Nationalmuseum<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 74


Post-Postmoderne? KM 19<br />

Die Postmoderne gilt heute als abgeschlossene Epoche, die in den 1980er-Jahren zu Ende ging.<br />

Wir befinden uns heute also in der ‚Post-Postmoderne‘, in der Zeit nach der Postmoderne (lat.<br />

post: nach).<br />

Beschreibe die Stilrichtung, in der wir uns heute befinden. Wie würdest du sie bezeichnen?<br />

Stelle dir vor, du erzählst später deinen Kindern oder Enkelkindern aus der Zeit zwischen 1990-<br />

2012. Was bewegte die Menschen damals?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Welche Gebäude (Architektur), Musik, Grafik, Mode und welches Design der heutigen Zeit haben<br />

für dich eine Bedeutung? Welche Begriffe und Konzepte sind heute in Architektur, Design, Mode,<br />

Musik, Grafik etc. wichtig?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Befinden wir uns heute in der Post-Postmoderne oder kann man eher sogar von einer Rückkehr<br />

zur Moderne sprechen? Führe ein Streitgespräch mit einem Partner, einer Partnerin. Notiere<br />

deine Argumente vor der Diskussion in Stichworten.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Wie bezeichnen Lexika und Nachschlagewerke die Zeit nach der Postmoderne und wie<br />

beurteilen sie sie?<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 75


Moderne – Postmoderne – und jetzt? KM 20<br />

Führe ein Streitgespräch mit einem Partner, einer Partnerin. Wählt aus den drei Positionen je<br />

eine aus. Bevor ihr mit der Diskussion beginnt, überleg dir einige Argumente und schreibe sie in<br />

Stichworten auf.<br />

1 Moderne<br />

«Ornament ist vergeudete Arbeitskraft und dadurch vergeudete Gesundheit, es bedeutet auch<br />

vergeudetes Material, und beides bedeutet vergeudetes Kapital. Der moderne Mensch, der<br />

Mensch mit den modernen Nerven, braucht das Ornament nicht, er verabscheut es.» (Adolf<br />

Loos, Architekt).<br />

2 Postmoderne<br />

«Heute wird alles, was man produziert, verbraucht. Es wird dem Leben gewidmet, nicht der<br />

Ewigkeit.» (Ettore Sottsass, Architekt und Designer)<br />

3 und jetzt?<br />

«Das karge Leben ist freudvoll.» (Herr aus Basel, der sich nur 1600 Watt pro Tag erlaubt und<br />

deshalb auf Tram fahren, Fernsehen, Kühlschrank, Heizung und die tägliche Dusche verzichtet.)<br />

«Simplicity is a virtue.» (‚Schlichtheit ist eine Tugend‘) (Steve Jobs, Gründer von Apple)<br />

Notiere deine Argumente in Stichworten.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 76


Interview mit Zeitzeugen KM 21<br />

Menschen erzählen von früher. Führe ein Interview mit Zeitzeugen der Postmoderne. Wie haben<br />

deine Eltern oder Grosseltern die Zeit der 1970er und 1980er erlebt? Woran erinnern sie sich<br />

noch besonders? Was hat sie besonders bewegt? Haben sie damals Kleider getragen, die sie<br />

heute nicht mehr tragen würden und warum? Welche Musik haben sie gehört, welche<br />

Fernsehsendungen gesehen? Überlege dir weitere Fragen und notiere sie. Halte die Antworten<br />

des Zeitzeugen, der Zeitzeugin stichwortartig fest.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Frage deine Interviewpartner auch nach Bildern von damals. Vielleicht findest du in<br />

Familienalben Fotos, die aus den 70er- und 80er-Jahren stammen. Betrachte die Bilder genau.<br />

Beschreibe Design, Architektur, Mode und Frisuren der Abbildungen.<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

___________________________________________________________________________<br />

Schreibe einen zusammenhängenden Text über die Erlebnisse deiner Interviewpartner und<br />

-partnerinnen. Suche Bilder zur Illustration deines Textes. Die fertigen Texte kannst du Bildung<br />

& Vermittlung, L<strong>and</strong>esmuseum Zürich schicken: fuehrungen@snm.admin.ch<br />

Schweizerisches Nationalmuseum. | L<strong>and</strong>esmuseum Zürich. | Bildung & Vermittlung 77

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!