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Gedächtnis I: Vom Nürnberger Trichter und Gedächtniskünstlern

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Dr. Götz Fabry<br />

Vorlesung Medizinische Psychologie<br />

07.06.2013: <strong>Gedächtnis</strong> I: Lernen <strong>und</strong> Behalten<br />

Warum sollte man sich im Medizinstudium mit der Psychologie des <strong>Gedächtnis</strong>ses befassen? Zum einen<br />

natürlich deshalb, weil ein solides Gr<strong>und</strong>lagenwissen über die psychischen Funktionen für Ärzte unverzichtbar<br />

ist, man denke nur an die zunehmende Bedeutung von dementiellen Erkrankungen aber auch<br />

an <strong>Gedächtnis</strong>störungen in Folge von Unfällen oder anderen Erkrankungen. Viel naheliegender ist aber<br />

möglicherweise noch der Eigennutz, den solche Kenntnisse haben können: Schließlich gehört das Medizinstudium<br />

zu den lernintensivsten Studiengängen überhaupt <strong>und</strong> von daher ist es gut zu wissen, wie die<br />

ungeheuren Stoffmengen am nachhaltigsten erarbeitet werden. Dass es damit bislang nicht unbedingt<br />

zum besten steht, zeigt beispielhaft Folie 1: Hier wurde an einer Gruppe von kanadischen Medizinstudenten<br />

im 2. Studienjahr untersucht, wie viel von dem Stoff, der in naturwissenschaftlichen Praktika<br />

gelernt wurde, über längere Zeit erhalten bleibt. Dazu wurden die Ergebnisse der Abschlusstestate (t1)<br />

mit den Ergebnissen eines Tests 10 bzw. 11 Monate später (t2) verglichen. Andere Studien in anderen<br />

Ländern kamen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Lässt sich dieser Schw<strong>und</strong> verhindern? Natürlich kann<br />

die Menge des pro Zeiteinheit gelernten Stoffes nicht beliebig gesteigert werden <strong>und</strong> möglicherweise ist<br />

ein nachhaltiges „tiefes“ Lernen unter den real existierenden Bedingungen des Medizinstudiums gar<br />

nicht immer möglich (ob es für das Ziel der ärztlichen Ausbildung überhaupt nötig ist, soviel Stoff zu<br />

lernen, soll an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden). Dennoch stellt sich die Frage, wie ein Lernen<br />

aussehen müsste, dass zu nachhaltigem Wissen führt <strong>und</strong> dazu kann die psychologische <strong>Gedächtnis</strong>forschung<br />

wichtige Hinweise geben.<br />

Folie 1<br />

nachhaltiges Lernen?<br />

Testergebnisse kanadischer Medizin-Studenten im 2. Studienjahr<br />

% richtige<br />

Antworten<br />

90<br />

80<br />

Neuroanatomie (n=24)<br />

Immunologie (n=29)<br />

Physiologie (n=25)<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

t1<br />

10-11 Monate<br />

t2<br />

D‘Eon 2006<br />

Als Pionier dieser Forschung (<strong>und</strong> einer der Gründerväter der wissenschaftlich-experimentellen Psychologie<br />

überhaupt) gilt Hermann Ebbinghaus (1850 – 1909), der in seinem 1885 erschienen Buch „Über<br />

das <strong>Gedächtnis</strong>“ die Ergebnisse einiger Selbstversuche der Öffentlichkeit präsentierte. Ebbinghaus hatte<br />

Listen mit sinnlosen Silben auswendig gelernt (z.B. DAX, BUC, LOC) <strong>und</strong> berechnet, wie viel schneller<br />

das Lernen nach unterschiedlich langen Pausen vonstatten ging, bis er sich an alle Silben erinnern konnte,<br />

wie viel Zeit er also sparte. Seine in Kurvenform dargestellten Ergebnisse sind als die<br />

„Ebbinghaussche Lernkurve“ (auch Vergessenskurve) in die Psychologiegeschichte eingegangen (Folie<br />

2). Ebbinghaus stellte außerdem fest, dass zusätzliche Wiederholungen derselben Wortliste dazu<br />

führten, dass er das Material nach 24 St<strong>und</strong>en wesentlich schneller lernen konnte (er also eine größere<br />

Zeitersparnis hatte), als ohne diese zusätzlichen Wiederholungen. Neben anderen Gründen war die Erkenntnis,<br />

dass das Wiederholen von Informationen zu ihrer dauerhaften Speicherung beiträgt, ein Gr<strong>und</strong><br />

für die Theorie des Kurzzeitgedächtnisses, die in ihrer einflussreichsten Form von Atkinson & Shiffrin<br />

1968 formuliert wurde. Nach dieser Vorstellung müssen Informationen, die durch die Sinnesorgane aus<br />

der Umwelt aufgenommen werden durch das Kurzzeitgedächtnis „hindurch“, um im Langzeitgedächtnis<br />

gespeichert werden zu können. Es wird also genau das im Langzeitgedächtnis aufbewahrt, was zuvor im<br />

Kurzzeitgedächtnis memoriert, das heißt z.B. mehrmals wiederholt wurde (wenn man sich etwa eine<br />

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Telefonnummer mehrmals vorsagt, bis man sie sicher gespeichert hat). Würden die Inhalte des Kurzzeitgedächtnisses<br />

dagegen nicht ins Langzeitgedächtnis überführt dann wären sie für immer verloren<br />

(Folie 3).<br />

Folie 2<br />

100<br />

Die Ebbinghaussche Vergessenskurve<br />

Behalten (% Ersparnis)<br />

80<br />

60<br />

20 Minuten<br />

1 St<strong>und</strong>e<br />

40<br />

9 St<strong>und</strong>en<br />

20<br />

0<br />

1 2 6<br />

Behaltensintervall<br />

31<br />

(Tage)<br />

Folie 3<br />

<strong>Gedächtnis</strong>systeme <strong>und</strong> -prozesse<br />

Aufmerksamkeit<br />

Memorieren<br />

Sensorisches<br />

<strong>Gedächtnis</strong><br />

(Ultrakurzzeitgedächtnis)<br />

Kurzzeitgedächtnis<br />

Langzeitgedächtnis<br />

Atkinson & Shiffrin 1968<br />

Die Alltagserfahrungen insbesondere beim Lernen von abstraktem Material scheinen diese Theorie zu<br />

bestätigen: was häufig <strong>und</strong> länger wiederholt wird bleibt besser hängen. Allerdings konnte durch empirische<br />

Studien auch gezeigt werden, dass es nicht allein das Wiederholen ist, dass die Langzeitspeicherung<br />

sicherstellt, sondern dass die Wahrscheinlichkeit der Behaltensleistung vor allem dann steigt, wenn<br />

das Material in einer bedeutungshaltigen Weise verarbeitet wird. So ließ man Probanden, sich eine<br />

vierstellige Zahl zwei Sek<strong>und</strong>en lang einprägen. Dann sollten Sie Wörter für zwei, sechs oder 18 Sek<strong>und</strong>en<br />

memorieren <strong>und</strong> anschließend die Zahl wiederholen. Während die Probanden der Meinung waren,<br />

es handele sich um einen Test zum Erinnern von Zahlen (<strong>und</strong> das Wörterlernen diene lediglich dazu, die<br />

Zeit zu überbrücken) wollte man tatsächlich ihre Behaltensleistung für die Wörter testen, nach denen die<br />

Probanden am Ende dann auch gefragt wurden. Die in Folie 4 dargestellten Ergebnisse zeigen eindrucksvoll,<br />

dass es offenbar keinen Zusammenhang zwischen der Wiedergabeleistung <strong>und</strong> der Dauer des<br />

Memorierens gibt. Auch dieses Phänomen ist uns aus dem Alltag vertraut: Im Extremfall ist sogar keine<br />

Wiederholung notwendig, um einen besonders bedeutungsvollen Sachverhalt dauerhaft behalten zu<br />

können.<br />

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Folie 4<br />

Memorieren = Wiederholen?<br />

1) 2 sec lang 4stellige Zahl einprägen (z.B. 3627)<br />

2) Wörter memorieren für (a) 2 sec (b) 6 sec (c) 18 sec<br />

Test:<br />

Ziffern wiedergeben<br />

unerwarteter Test:<br />

Wörter wiedergeben<br />

Wiedergabeleistung<br />

(a) 11%<br />

(b) 7%<br />

(c) 13%<br />

Glynberg, Smith & Green 1977<br />

Aufgr<strong>und</strong> dieser widersprüchlichen Bef<strong>und</strong>e hat man die traditionelle Vorstellung vom Kurzzeitgedächtnis,<br />

in dem Informationen vor der Ablage ins Langzeitgedächtnis lediglich zwischengespeichert werden,<br />

heute verlassen. Stattdessen stellt man sich ein Arbeitsgedächtnis vor, das einerseits die Funktion<br />

hat, neue Informationen aktiv zu verarbeiten <strong>und</strong> andererseits alte Informationen aus dem Langzeitgedächtnis<br />

bereitstellt. Im Arbeitsgedächtnis werden Informationen also nicht lediglich zwischengespeichert<br />

sondern auch aktiv manipuliert (Folie 5).<br />

Folie 5<br />

Arbeitsgedächtnis<br />

zentrale Exekutive<br />

visuell-räumlicher<br />

Notizblock<br />

phonologische<br />

Schleife<br />

episodischer<br />

Zwischenspeicher<br />

visuelle<br />

Bedeutung<br />

episodisches<br />

Langzeitgedächtnis<br />

Sprache<br />

Baddely 2000<br />

Nach dem derzeit gängigen Modell des Arbeitsgedächtnisses, besteht dieses aus einer „zentralen Exekutive“,<br />

die als „übergeordnete Behörde“ den Einsatz der ihr zuarbeitenden „Referate“ steuert. Dazu<br />

gehört die „phonologische Schleife“, einem Zwischenspeicher für verbales Material, das dort für eine<br />

gewisse Zeitspanne „frisch“ gehalten werden kann. Seit langem ist bekannt, dass die Menge der Information,<br />

die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt behalten können, begrenzt ist. Diese Menge wird<br />

häufig mit etwa sieben Einheiten angegeben, z.B. sieben Wörter oder sieben Zahlen (also eine Telefonnummer<br />

zum Beispiel). Nahm man zunächst an, dass es sich dabei gewissermaßen um die Anzahl der<br />

„Speicherplätze“ im Kurzzeitgedächtnis handelt, die belegt oder nicht belegt sein können, so geht man<br />

heute davon aus, dass die Information vielmehr durch die Bearbeitungsgeschwindigkeit des verbalen<br />

Materials begrenzt ist. Ein interessantes Experiment dazu zeigt Folie 6: Probanden wurden aufgefordert,<br />

Sequenzen von jeweils fünf Wörtern von unterschiedlicher Silbenlänge zu lesen <strong>und</strong> diese unmittelbar<br />

darauf wiederzugeben. Zusätzlich wurde bestimmt, wie viele Wörter die Probanden pro Sek<strong>und</strong>e lesen<br />

können. Das verblüffende Ergebnis war, dass die Häufigkeit korrekter Wiedergaben in genau demselben<br />

Maß abnahm wie die Leserate. Offenbar ist es also so, dass nicht in erster Linie die Anzahl der Einheiten<br />

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egrenzt ist, die wir in der phonologischen Schleife zwischenspeichern können, sondern vor allem die<br />

Zeit, bis eine Erinnerungsspur verblasst, wenn sie nicht erneut aufgefrischt wird (Folie 7).<br />

Folie 6<br />

Arbeitsgedächtnis<br />

korrekte Wiedergabe<br />

in %<br />

100<br />

90<br />

80<br />

korrekte Wiedergabe<br />

2,5<br />

2,3<br />

2,1<br />

Leserate<br />

Wörter /<br />

Zeit<br />

70<br />

1,9<br />

60<br />

Leserate<br />

1,7<br />

50<br />

1,5<br />

40<br />

1,3<br />

30<br />

1,1<br />

20<br />

0,9<br />

10<br />

0,7<br />

0<br />

1 2 3 4 5<br />

Anzahl der Silben<br />

0,5<br />

n. Anderson 2001<br />

Folie 7<br />

Als zweites Hilfssystem des Arbeitsgedächtnis wird der visuell-räumliche Notizblock beschrieben, der<br />

eine ähnliche Funktion wie die phonologische Schleife für visuelle Informationen übernimmt (allerdings<br />

werden die Informationen dort dem Modus entsprechend nicht seriell verarbeitet). Seine Arbeitsweise<br />

kann man sich verdeutlichen, wenn man etwa eine Rechenaufgabe löst. Viele Menschen „notieren“ sich<br />

dabei geistig Zwischenergebnisse, so als würden sie die Aufgabe auf einem Blatt Papier ausführen. Überhaupt<br />

müssen wir bei vielen Aufgaben in unserem Alltag vorübergehend Informationen speichern, bis<br />

wir die Aufgabe ausgeführt haben, etwa wenn wir in einem Gespräch unterbrochen werden, kurz antworten<br />

<strong>und</strong> dann das erste Gespräch fortsetzen. Die Störanfälligkeit solcher „delayed-response“-<br />

Aufgaben verweist auf die bereits angesprochene Flüchtigkeit der im Arbeitsgedächtnis aufbewahrten<br />

Inhalte.<br />

In jüngster Zeit wurde die Existenz eines dritten Hilfssystems postuliert, des sogenannten episodischen<br />

Zwischenspeichers, der für die multimodale Verarbeitung von Information zuständig ist (also viele<br />

verschiedene Informationen zu einem einheitlichen Gesamteindruck zusammenbringt, weshalb er in Folie<br />

6 als Kochtopf symbolisiert ist), während die beiden anderen Systeme jeweils nur eine Modalität verarbeiten.<br />

Das Arbeitsgedächtnis ist also wesentlich mehr als lediglich ein Zwischenspeicher auf dem Weg<br />

ins Langzeitgedächtnis. Es stellt die zentrale Schnittstelle des <strong>Gedächtnis</strong>systems dar, wo einerseits neue<br />

Informationen vor dem Hintergr<strong>und</strong> von Erfahrung <strong>und</strong> Wissen in einer sinnhaften Weise so aufgearbeitet<br />

werden, dass sie langfristig behalten werden können <strong>und</strong> andererseits Informationen aus dem Langzeitgedächtnis<br />

für den Abruf bereitgestellt werden (Folie 8).<br />

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Folie 8<br />

<strong>Gedächtnis</strong>systeme <strong>und</strong> -prozesse<br />

Aufmerksamkeit<br />

Abruf<br />

Abruf<br />

Einarbeiten<br />

Sensorisches<br />

<strong>Gedächtnis</strong><br />

(Ultrakurzzeitgedächtnis)<br />

Arbeitsgedächtnis<br />

Langzeitgedächtnis<br />

Britzel, Brand & Markowitsch, 2003<br />

Mittlerweile sind zahlreiche Faktoren bekannt, welche die Verarbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis<br />

<strong>und</strong> damit auch die Speicherung im Langzeitgedächtnis beeinflussen. Als besonders bedeutsam<br />

hat sich die sogenannte Verarbeitungstiefe (Elaboration) herausgestellt. Das heißt: Je „tiefer“, d.h.<br />

bedeutungshaltiger die Information aufgearbeitet werden kann, umso besser wird sie behalten. Folie 9<br />

zeigt ein Experiment dazu, bei dem gleichzeitig auch noch gezeigt werden konnte, dass es beim Lernen<br />

offenbar nicht darauf ankommt, ob man die Absicht hat, etwas zu lernen oder nicht.<br />

Folie 9<br />

Verarbeitungstiefe<br />

Gruppe 1 + 2:<br />

Sequenz von 24 Wörtern, jedes Wort wird 3 sec dargeboten.<br />

Gruppe 1:<br />

„e oder g im Wort?“<br />

Gruppe 2:<br />

„Wörter angenehm?“<br />

Gruppe 1a:<br />

Gruppe 1b:<br />

Gruppe 2a:<br />

Gruppe 2b:<br />

Ziel: Wörter<br />

lernen<br />

Ziel bleibt<br />

offen<br />

Ziel: Wörter<br />

lernen<br />

Ziel bleibt<br />

offen<br />

Test:<br />

Wortwiedergabe<br />

Gruppe 2 Gruppe 1<br />

zufälliges Lernen (b)<br />

absichtliches Lernen (a)<br />

68%<br />

69%<br />

39%<br />

43%<br />

Hyde & Jenkins 1973, n. Anderson 3 2001<br />

Die Erkenntnisse dieses <strong>und</strong> ähnlicher Experimente lassen sich auch im Alltag nutzen, um die Effizienz<br />

des Lernens z.B. bei der Lektüre von Texten zu erhöhen. Besonders bewährt hat sich die in Folie 10<br />

dargestellte „PQ4R-Technik“, deren Wirksamkeit auch empirisch überprüft wurde, wie das in Folie 11<br />

gezeigte Experiment belegt: Ein wesentlicher Schritt der Elaboration scheint die Aktivierung des bereits<br />

vorhandenen Vorwissens zu sein, so dass die neue Information in bereits bestehende Wissensnetzwerke<br />

integriert werden kann, wo sie leichter zugänglich ist, als wenn sie ohne Verbindung „abgelegt“ wird.<br />

(Als Vergleich könnte man vielleicht die Suchmaschine Google heranziehen: ein wichtiges Kriterium dafür,<br />

wie schnell eine Internet-Seite gef<strong>und</strong>en wird, bzw. wie weit vorne sie unter den Suchergebnissen<br />

auftaucht, ist das Ausmaß ihrer „Verlinkung“: Verweisen viele Links auf eine Seite wird sie schneller gef<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> höher „gerankt“ als Seiten, auf die nur wenig verwiesen wird. Entsprechend werden Wissensinhalte<br />

im <strong>Gedächtnis</strong> schneller gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> länger behalten je stärker sie in verschiedene Wissensnetzwerke<br />

integriert sind).<br />

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Folie 10<br />

Die PQ4R-Technik<br />

(vgl. auch die PQRST- <strong>und</strong> SQ3R-Technik)<br />

Preview<br />

(Übersicht)<br />

Question<br />

(Fragen an den Text)<br />

Read<br />

(sorgfältig Lesen)<br />

Reflect<br />

(Nachdenken, Beispiele)<br />

Recite<br />

(Wiedergeben)<br />

Review<br />

(Rückblick)<br />

Folie 11<br />

Aktivieren von Vorwissen<br />

Gruppe 1:<br />

spez. Fragen vor Lesen des<br />

Textes (Nachdenken).<br />

Gruppe 2:<br />

Lesen des Textes ohne<br />

vorherige Instruktionen.<br />

Fragetest<br />

(a) Bezug zu Vorbereitung<br />

(b) ohne Bezug zur Vorb.<br />

Gruppe 1:<br />

gesamt: 64% richtig<br />

(a) 76% richtig<br />

(b) 52% richtig<br />

Gruppe 2:<br />

gesamt: 57% richtig<br />

Frase 1975, n. Anderson 3 2001<br />

Überhaupt lässt sich die <strong>Gedächtnis</strong>leistung durch Training in erheblichem Umfang steigern, wie immer<br />

wieder sogenannte „<strong>Gedächtnis</strong>künstler“ beweisen, die sich etwa mehrere tausend Stellen der Zahl Pi<br />

merken können. Folie 12 zeigt anhand eines wissenschaftlichen Experiments diesen Vorgang: Hier trainierte<br />

ein Student ganz gezielt seine <strong>Gedächtnis</strong>spanne für Zahlen. Normalerweise liegt ihr Umfang bei<br />

7±2 Ziffern, so dass wir uns im Alltag eine Telefonnummer meist problemlos merken können, längere<br />

Zahlenreihen dagegen behalten wir nicht ohne weiteres. Allerdings gibt es Techniken, um diese Begrenzung<br />

zu überwinden. Der wichtigste Schritt besteht im sogenannten „Chunking“. Das bedeutet, mehrere<br />

einzelne Ziffern (oder auch anderes Material) zu größeren sinnvollen Einheiten zusammenzufassen<br />

(z.B. einem Geburtsdatum, anderen Jahreszahlen). Genau diese Technik wandte der Student an: er<br />

wandelte die Ziffern für sich in Zeitangaben um, die er auf sportliche Leistungen (z.B. Weltrekorde etc.)<br />

beziehen konnte (mit denen er sich gut auskannte). Damit konnte er jeweils 3 oder 4 Ziffern zu Einheiten<br />

zusammenfassen, die sich wiederum zu größeren Gruppen <strong>und</strong> diese nochmals zu „Supergruppen“<br />

kombinieren ließen. Damit erreichte er innerhalb von etwa 200 Übungsst<strong>und</strong>en eine Steigerung seiner<br />

<strong>Gedächtnis</strong>spanne auf etwa 80 Ziffern.<br />

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Folie 12<br />

<strong>Gedächtnis</strong>training<br />

<strong>Gedächtnis</strong>spanne<br />

80<br />

60<br />

40<br />

20<br />

Strategien:<br />

- Chunking<br />

- visuelle<br />

Vorstellung<br />

- Methode der Orte<br />

- ...<br />

Prinzip: Elaboration!<br />

10 20 30 40 50<br />

Übung (5-Tage-Blöcke)<br />

(Chase & Ericsson 1982)<br />

Weitere Methoden, um die <strong>Gedächtnis</strong>leistung zu steigern sind z.B. visuelle Vorstellungen zu abstraktem<br />

Material zu bilden (sich z.B. Bilder für Zahlen vorzustellen, z.B. einen Schwan für eine 2) <strong>und</strong> diese<br />

Bilder zu Geschichten zu verknüpfen. Bekannt aus der klassischen Rhetorik ist auch die Methode der<br />

Orte: Um eine Rede auswendig zu lernen, kann man sich den Weg durch eine Stadt vorstellen (z.B. von<br />

zuhause zur Arbeit) <strong>und</strong> an entsprechend markanten Stellen Teile der Rede „deponieren“. Während des<br />

Vortrags geht man dann in der Vorstellung den Weg ab <strong>und</strong> kann die einzelnen Teile wieder einsammeln.<br />

Im Gr<strong>und</strong>e gehen alle diese Techniken auf das Gr<strong>und</strong>prinzip der Elaboration zurück: das Material<br />

wird zusätzlich angereichert <strong>und</strong> mit bekannten Inhalten verknüpft <strong>und</strong> ist damit besser vernetzt.<br />

Dass Menschen Informationen nicht neutral verarbeiten zeigen auch Experimente, mit denen der Einfluss<br />

des Lernkontextes auf die Behaltensleistung untersucht wurde. Folie 13 zeigt eines der spektakulärsten<br />

Experimente dazu: Taucher mussten Wortlisten auswendig lernen <strong>und</strong> zwar einmal an Land <strong>und</strong><br />

einmal unter Wasser, anschließend prüfte man ihre Behaltensleistung <strong>und</strong> zwar ebenfalls einmal an Land<br />

<strong>und</strong> einmal unter Wasser. Interessanterweise waren die Ergebnisse dann am besten, wenn Lern- <strong>und</strong><br />

Testumgebung übereinstimmten.<br />

Folie 13<br />

kontextbezogenes Wissen<br />

14<br />

mittlere Anzahl 13<br />

der reproduzierten<br />

Wörter<br />

12<br />

Reproduktion<br />

unter Wasser<br />

11<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

Reproduktion<br />

an Land<br />

6<br />

5<br />

4<br />

an Land<br />

unter Wasser<br />

Lernumgebung<br />

Godden & Baddely, 1975<br />

Ähnlich wie der Kontext können auch emotionale Faktoren die Behaltensleistung beeinflussen (Folie<br />

14): Probanden lernten in neutraler Stimmung drei unterschiedliche Wortlisten: eine mit negativen, eine<br />

mit positiven <strong>und</strong> eine mit neutralen Wörtern. Anschließend induzierte man eine positive bzw. negative<br />

Stimmung <strong>und</strong> überprüfte die Behaltensleistung. Dabei ergab sich, dass jeweils diejenigen Wörter besser<br />

erinnert wurden, die kongruent zu der Stimmung waren, in der sich die Probanden gerade befanden.<br />

Dieses Ergebnis ist von besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit affektiven Störungen: so ist es<br />

nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass ein depressiver Patient sich besonders gut an die Ereignisse in seinem Leben<br />

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erinnern kann, die in irgendeiner Weise zu seiner depressiven Stimmung kongruent sind. Damit entsteht<br />

ein fataler Teufelskreis: die negativ getönten Erinnerungen halten die depressive Stimmung aufrecht, die<br />

wiederum verhindert, dass positive Erinnerung abgerufen werden. Es bedarf großer therapeutischer Anstrengungen,<br />

diesen Kreislauf zu unterbrechen.<br />

Folie 14<br />

Stimmungskongruenz<br />

Reproduktionsleistung<br />

1,2<br />

1) Lernen:<br />

• neutrale Stimmung<br />

• Liste mit positiven,<br />

negativen, neutralen<br />

Wörtern<br />

2) Wiedergabe:<br />

• nach Induktion eines<br />

positiven bzw. negativen<br />

Stimmungszustands<br />

1,1<br />

1,0<br />

0,9<br />

0,8<br />

0,7<br />

0,6<br />

0,5<br />

0<br />

negative Wörter<br />

neutrale Wörter<br />

positive Wörter<br />

gehoben<br />

gedrückt<br />

Stimmung zum Testzeitpunkt<br />

Teasdale & Russell 1983<br />

Ähnliche Kongruenzphänomene werden auch für den Einfluss von Drogen auf das Lernverhalten beschrieben,<br />

wie die Ergebnisse des in Folie 15 dargestellten Experiments zeigen: Die Probanden musste<br />

eine Wortliste lernen, vier St<strong>und</strong>en später wurde ihre Erinnerungsleistung überprüft. Auch hier zeigte<br />

sich, dass die Erinnerungsleistung besser war, wenn der Lernkontext <strong>und</strong> der Reproduktionskontext<br />

gleich waren. (Bevor aus diesem Experiment möglicherweise Schlussfolgerungen für die eigene Lernpraxis<br />

abgeleitet werden, sollte allerdings berücksichtigt werden, dass sich die Lernleistung unter Drogeneinfluss<br />

generell schlechter darstellt als in nüchternem Zustand.)<br />

Folie 15<br />

Lernen unter Drogen<br />

Lernsituation<br />

Testsituation<br />

normale Zigarette Joint Durchschnitt<br />

normale Zigarette<br />

Joint<br />

25%<br />

12%<br />

20% 23%<br />

23%<br />

18%<br />

Eich et al. 1975<br />

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Folie 16<br />

take-home-message<br />

• Arbeitsgedächtnis als dynamische Schnittstelle<br />

zwischen Kurzzeit- <strong>und</strong> Langzeitgedächtnis<br />

• entscheidend für das Behalten von Informationen ist<br />

vor allem die bedeutungshaltige Bearbeitung<br />

(Elaboration)<br />

• die Behaltensleistung wird von emotionalen,<br />

situativen, lebengeschichtlichen Faktoren beeinflußt<br />

Weiterführende Literatur:<br />

- Anderson JR: Kognitive Psychologie. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer Verlag) 6 2007.<br />

- Baddeley A (2000): The episodic buffer: a new component of working memory? Trends in Cognitive<br />

Sciences 4 (11): 417-423.<br />

- Kolb B, Whishaw IQ: F<strong>und</strong>amentals of Human Neuropsychology. New York (W.H. Freeman) 6 2008.<br />

- Pritzel M, Brand M, Markowitsch HJ: Gehirn <strong>und</strong> Verhalten. Heidelberg, Berlin (Spektrum Akademischer<br />

Verlag) 2003.<br />

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