01.11.2013 Aufrufe

Therapeutischer Erfahrungsbericht

Therapeutischer Erfahrungsbericht

Therapeutischer Erfahrungsbericht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Therapeuten berichten:<br />

Erfahrungs- und Beobachtungsbericht nach einem Jahr<br />

Tiergestützten Ergotherapie auf der Akut Station 2054<br />

Nun ist schon 1 Jahr vergangen seit Nelly ihren ersten offiziellen Arbeitstag hatte. Es hat sich in<br />

diesem Zeitraum sehr viel verändert.<br />

Die Atmosphäre ist insgesamt deutlich entspannter, freundlicher geworden, was auch die Patienten<br />

regelmäßig berichten und bestätigen. Insgesamt gehen die Patienten motivierter in die Ergo, sie<br />

warten oft schon an der Stationstüre auf Nelly, das Antriebs sowie das Arbeitsverhalten ist wesentlich<br />

stabiler geworden, Patienten zeigen eine konstantere Kontinuität in der Arbeit auf, halten die Ergo<br />

wesentlich länger durch als vorher, genauso konnte ich eine deutlichere Verbesserung der<br />

Wahrnehmung sowie der Flexibilität feststellen.<br />

Patienten schauen immer wieder zur Nelly was sie macht oder gerade liegt, oft liegt der Hund mitten<br />

im Raum oder unter dem Tisch, Patienten müssen daher immer wieder über den Hund steigen oder<br />

darauf achten, dass sie Nelly nicht mit den Füßen treten.<br />

Durch die Lebendigkeit, der großen Spielfreude sowie Nellys fröhliche Wesen und Zugewandtheit<br />

konnte ich bei den Patienten eine schnellere Verbesserung von Nähe und Distanz wahrnehmen.<br />

Nelly holt sich bei jedem ihre Streicheleinheiten ab oder wedelt immer mit dem Schwanz wenn man<br />

bei ihr vorbei läuft, Patienten kommen meist nicht daran vorbei von sich aus Kontakt mit dem Hund<br />

auf zu nehmen.<br />

Oft war es sehr mühsam Patienten (vor allem mit Minussymptomatik oder mit Depression) zu einer<br />

kleinen Runde durch das Gelände zu motivieren, Dank Nelly die ja raus muss, ist die Beweglichkeit<br />

der Patienten um einiges gestiegen.<br />

Es finden täglich 2 Gruppenspaziergänge statt ,wo sich erstaunlicherweise viele Patienten daran<br />

beteiligen, selbst Regen oder Schnee taten da kein Abbruch, was vor Nellys Zeit Undenkbar war, bei<br />

Regen spazieren gehen? Nein Danke<br />

Das Aggressionspotential, Interessenlosigkeit sowie bei einzelne Patienten die ein geringes<br />

Frustrationspotential auf weisen, wurde durch Nelly deutlich positiv beeinflusst.<br />

Es gab in dem ganzen Jahr keinerlei aggressive Durchbrüche mehr.<br />

Gleich in der ersten Woche stand eine Patientin kurz vor einem heftigen Erregungsanfall. Ich schaute<br />

mich schon um was sie denn diesmal als Wurfgeschoss nahm, bis dann Nelly von ihrem Platz<br />

aufstand und schwanzwedelnd zu Fr.X 1 hin lief. Da dachte ich: jetzt fliegt gleich der Hund.<br />

Nelly leckte der Patientin die Hände, die Stimmung von Fr.X klärte sich sofort auf, streichelte den<br />

Hund sehr zaghaft, ausgiebig, Nelly holte ihr Zerrseil bot es Fr.X an, die Patientin nahm das andere<br />

Ende und beide zerrten und tobten miteinander. Der Ärger war wie weggeblasen. Später sagte die<br />

Patientin „sie war so frustriert und sauer über die Situation hier zu sein“. Sie hätte nur noch rot<br />

gesehen, war kurz davor zu Explodieren, bis Nelly ihr die Hände leckte, da war sie so erstaunt das der<br />

Hund ihr soviel Zuneigung, Trost und Liebe entgegenbrachte ohne Wenn und Aber, einfach so.<br />

Patienten reagieren durchweg sehr positiv auf den Hund, freuen sich sogar wenn sie in die Ergo<br />

gehen können. Was vorher nicht so der Fall war. Ein kleiner Teil von Patienten sind Anfangs mehr<br />

oder weniger, verunsichert wenn der große, schwarze Hund schwanzwedelnd auf sie zukommt um<br />

diese zu begrüßen, was sich Dank Nellys Charme, dann schnell wieder legt. Dabei sind die Patienten<br />

durchweg erstaunt und auch froh, einige auch erleichtert, dass Nelly sie weder anspringt oder bellt.<br />

Viele Patienten setzen sich sehr ausgiebig mit Nelly auseinander, einige Wenige akzeptieren und<br />

tolerieren zwar den Hund möchten aber nichts mit ihr zu tun haben.<br />

Schön zu Beobachten ist wie Nelly immer wieder ihre Runden dreht und individuell Kontakt zu den<br />

Patienten aufnimmt. Der eine wird sehr zaghaft mit der Schnauze gestupst, beim Nächsten steckt sie<br />

gleich den Kopf zwischen den Ellenbogen und beim Anderen versucht sie an den Bart zu kommen.<br />

Bei sehr unsicheren Patienten läuft sie mehrfach vorbei und wedelt dabei sehr ausgiebig, die Wirkung<br />

lässt im Allgemeinen nicht lange auf sich warten. Eine sehr ängstliche Patienten die bisher immer die<br />

1 Patienten wurden mit XYZ gekennzeichnet


Straßenseite wechselte wenn sie einen Hund sah, nahm nach einer Woche selbständig Kontakt zur<br />

Nelly auf und streichelte auf einmal diese. Unterm Streicheln wurde es ihr auf einmal bewusst dass sie<br />

einen Hund anfasst “Ich glaub das ja gar nicht, ich bin im gleichen Raum mit einem Hund und jetzt<br />

streichele ich einen auch noch.“<br />

Gerade ängstliche Patienten profitierten sehr stark durch Nellys Interaktionen, sie bekamen sehr<br />

schnell einen Bezug zu dem Hund und waren recht überrascht, dass es Hunde gibt die nicht nur<br />

Kläffen und Beißen, sondern auch überaus freundlich, zugewandt, aufmunternd und Trost spendend,<br />

sein können. Eine Patientin sagte mal: „ Nelly strahlt soviel Liebe und Fröhlichkeit aus, sie tut einfach<br />

gut in der Seele, sie bringt einem das fehlende Licht ins Herz.<br />

Durch Nellys Zugewandtheit und Nonverbale Kommunikation hatte sie oft viel schneller und auch<br />

leichter Kontakt zu Patienten aufgebaut als ich. Insbesondere bei chronifizierten psychotischen<br />

Patienten mit vorherrschender Negativsymptomatik die sonst sehr schwer bis gar keine<br />

Kontaktaufnahme zuließen.<br />

Eine schwer antriebsgestörte Patienten die den Tag nur im Bett verbrachte, keinerlei Körperhygiene<br />

nach kam, jegliche Kontaktaufnahme mit Schweigen quittierte, keinerlei Mimik zu erkennen war,<br />

konnte nach vielen Anläufen, mit sehr viel Geduld und Zureden dazu gebracht werden, dass sie<br />

einfach mal die Ergotherapie anschaut. Fr.Y. war schon im Begriff wieder umzudrehen bevor sie<br />

überhaupt die Räumlichkeiten gesehen hatte, bis Fr.Y. Nelly entdeckte als diese schon auf sie zu<br />

sprang .Fr.Y. war sichtlich überrascht hier einen Hund zu sehen, die Freude stand ihr förmlich ins<br />

Gesicht geschrieben, sie streichelte und knuddelte den Hund sehr ausgiebig, wurde sogar recht<br />

redselig, Nelly wich ihr nicht von der Seite, leckte ihre Hände und legte sich dann vor ihre Füße.<br />

Von da ab kam Fr.Y. jeden Tag ohne Aufforderung zur Ergo, sie lachte, ihre Mimik war erhellt, sie<br />

nahm von sich aus Kontakt auf, nahm wieder am Leben teil. Sie sagte einmal: „Nelly hat mich in<br />

meiner dunklen Höhle gefunden und raus geholt,“<br />

Hr.Z. sein Tagesablauf bestand aus Schlafen, Essen, Rauchen, Schlafen. Er war zu nichts zu<br />

motivieren, hatte zu nichts Lust. Die Einzige die ihn aus dieser Lethargie heraus holen konnte war<br />

Nelly, mit dem Hund beschäftigte er sich sehr ausgiebig und dass sogar gerne. Hr.Z. wurde auferlegt,<br />

dass er am Tag mindestens eine halbe Stunde mit Nelly spazieren gehen musste. Wobei Hr.Z. ein bis<br />

dahin nicht vorhandenes Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit zeigte. Der verordnete<br />

Spaziergang wurde um 2 Stunden jeweils am Vormittag und am Nachmittag erweitert.<br />

Erstaunlicherweise marschierte Hr.Z. bei Wind und Hagel ohne Diskussion los. Jeweils am<br />

Wochenende verfiel er wieder in seinen gewohnten Tagesablauf. Aber von Montag bis Freitag kam er<br />

seinen Spaziergänge nach. Dabei zeigte es sich deutlich wie wichtig und auch erfolgreich eine<br />

kontinuierliche tiergestützte Therapie ist.<br />

Hr.Z. meinte mal: „Ohne die Nelly hättet ihr keine Chance gehabt mich aus dem Bett raus zu<br />

bekommen. Der Hund hat Bewegung in mein Leben gebracht und es macht auch noch Spaß.“<br />

Es gab aber auch Situationen wo ich Nelly vor einzelne Patienten schützen musste.<br />

Ein Patient ging Nelly mit einem sehr barschen, lauten Millitärton an, er wollte zeigen dass auch ein<br />

Hund ihm absoluten Gehorsam leistete. Er schrie verschiedene Befehle wie Sitz, Platz aus, worauf<br />

Nelly nur mit Schwanzwedeln reagierte und keinerlei Anstalten machte nur Sitz zu machen. Worauf<br />

der Patient recht ungehalten reagierte, wollte mit den Füßen schon nach Nelly treten, als ich<br />

dazwischen ging.<br />

Einmal wollte ein Patient die Frustrationstoleranz und das Aggressionspotential von Nelly aus testen.<br />

Zuerst zwickte er ihr immer wieder in den Rücken, hielt ihre Füße fest, zog an den Ohren sowie am<br />

Schwanz, hielt ihr sogar die Schnauze zu. Nelly reagierte überhaupt nicht nach seiner Vorstellung,<br />

Hr.X. war mehr wie verblüfft, als Nelly ihm in die Augen schaute und seine Hände ableckte. Mit dieser<br />

Reaktion hatte Hr.X. in keinster Form gerechnet, er ging von diesem Moment ab sehr vorsichtig und<br />

freundlich mit Nelly um.<br />

Mitpatienten reagierten sehr empört und ungehalten über das Verhalten der zwei Patienten, sie<br />

schauen sehr wohl mit, dass es der Nelly gut geht und der Hund sich wohl fühlen kann. Die Fürsorge<br />

ging sogar soweit, dass ein Patient sich regelmäßig Bananen und Äpfel bringen ließ um dann Nelly<br />

jeden Tag ein Stück Obst gab. Insgesamt klappt es ganz gut, dass Patienten nur unter Absprache mit<br />

mir dem Hund etwas zum Futtern geben, meist in Form von Leckerlis oder Obst.<br />

Wenn einzelne Patienten mutlos oder unmotiviert werden, geht Nelly hin und klaut denen ihr<br />

Arbeitsmaterial, egal ob dass nun ein Wollknäuel, kleinen Webrahmen, Stift oder auch mal ein Schuh<br />

ist und läuft provokativ damit um den Tisch. Diese Eigendynamik vom Hund hat zur Folge, dass die


etroffenen Patienten hinter der Nelly her springen um ihr Material wieder zu bekommen, was gar<br />

nicht so einfach ist. Aber nach solchen Aktionen sind die Patienten wieder wach und guter Dinge und<br />

wir hatten alle unseren Spaß beim Zuschauen.<br />

Nelly ist eine große Bereicherung, nicht nur für die Patienten auch für das gesamte Team der Station.<br />

Wenn Nelly kurz ihre Runde auf Station dreht, freut sich jeder.<br />

„Nellys Fröhlichkeit und ihre tägliche gute Laune ist einfach ansteckend, die bringt mich jeden Tag<br />

zum Lächeln obwohl es mir überhaupt nicht danach ist. “Aussage einer Patientin.<br />

Auch wenn der Hund Kosten verursacht vor allem bei Verletzungen, steht es in keinem Verhältnis zu<br />

Nellys unermüdlichen Arbeitseinsatz und dabei ist der Hund auch noch sehr erfolgreich.<br />

Ohne das Wohlwollen des Stationsleiters sowie der Bereichsleitung wäre Nelly nie zum Einsatz<br />

gekommen und könnte nicht soviel gute Laune und Esprit versprühen.<br />

Nelly hat keine spezielle therapeutische Ausbildung, allerdings habe ich sie schon im Welpenalter<br />

behutsam auf ihren jetzigen Arbeitseinsatz vorbereitet. Letztes Jahr hat Nelly die Begleithundeprüfung<br />

mit Bravour absolviert.<br />

Es zeigte sich sehr schnell, dass Nelly die nötige Nervenstärke, Gelassenheit und Ruhe aufweist.<br />

Morgenfrüh heißt es dann wieder:“ Ist Nelly dabei?“<br />

M. Heine<br />

Ergotherapie der Station 2054<br />

monika.heine@zfp-zentrum.de<br />

Allgemeine Fragen zur tiergestützten Therapie<br />

klaus.koch@zfp-zentrum.de<br />

.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!