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Rezension zu Büchern von Michel Foucault und ... - Thomas Schwarz

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<strong>Thomas</strong> <strong>Schwarz</strong> (Keimyung-Universität, Daegu) 8<br />

Dann kommt Greenblatt doch noch anhand einer Diskussion <strong>von</strong> Bacon auf methodische<br />

Prämissen der neohistoristischen Literaturgeschichtsschreibung <strong>zu</strong> sprechen, die ich hier nur<br />

summarisch abhandle. Die erste lautet, dass es keine ‚isolierte‘ Literaturgeschichte gibt, <strong>und</strong><br />

man sich als Literaturwissenschaftler um die historischen Bedingungen kümmern muss, die<br />

ein <strong>zu</strong> untersuchendes literarisches Werk möglich gemacht haben. Greenblatt fordert nicht nur<br />

eine fächerübergreifende, sondern auch eine kulturenübergreifende Herangehensweise. Ihm<br />

geht es um eine Auffassung <strong>von</strong> Literaturgeschichte, „die sich das gesamte Feld der aus<br />

Wörtern gemachten Gegenstände <strong>zu</strong>m Thema macht, eine Geschichte, die sich weigert, <strong>von</strong><br />

festen, a priori gesetzten Grenzen zwischen verschiedenen Texten aus<strong>zu</strong>gehen, die den<br />

praktischen Umgang mit solchen Grenzen, wie sie in jeder Epoche auftauchen, selbst ins<br />

Auge fasst, die die Lobgesänge auf die autonome Individualität mit Skepsis betrachtet <strong>und</strong><br />

begreift, dass alle literarische Kreativität einen komplexen globalen Kreislauf<br />

gesellschaftlicher Energien voraussetzt“ (29, 33, 39, 44). Wenn es schließlich um den<br />

‚literarischen Geist eines Zeitalters‘ geht, dann stecken dahinter die einer bestimmten<br />

historischen Periode eigentümlichen Institutionen, <strong>von</strong> den Schulen <strong>zu</strong> den Akademien, deren<br />

Macht sich auch in die kanonisierten Werke einschreibt (42). Greenblatt macht sich<br />

keineswegs lustig über die Existenz des „genius literarius“, sondern vergleicht die Aufgabe<br />

des Literaturhistorikers mit der Horatios, der sich <strong>zu</strong> Beginn <strong>von</strong> Shakespeares Hamlet mit der<br />

Aufgabe konfrontiert sieht, mit dem Geist <strong>zu</strong> sprechen, weil er „litteratus“ ist: „Thou art a<br />

scholar, speak to it“. „Du bist gelehrt, sprich du <strong>zu</strong> ihm“ (45-50).<br />

Der letzte Text, den es hier an<strong>zu</strong>zeigen gilt, ist in seiner Verbeugung vor einem großen<br />

Gelehrten eine Art Friedensangebot. Einen Tag nach seinem Auftritt in Berlin präsentierte<br />

Greenblatt auf einem Seminar in Potsdam als Diskussionsvorlage einen Vortrag mit dem Titel<br />

„Erich Auerbach <strong>und</strong> der New Historicism“. Mit diesen „Bemerkungen <strong>zu</strong>r Funktion der<br />

Anekdote in der Literaturgeschichtsschreibung“ wird das Buch Greenblatts abgeschlossen.<br />

Zum Auftakt tritt der Autor ganz hinter ein Zitat <strong>zu</strong>rück: „Die Leser der Odyssee erinnern sich<br />

der wohlvorbereiteten <strong>und</strong> ergreifenden Szene im 19. Gesange, in der die alte Schaffnerin<br />

Eurykleia den heimgekehrten Odysseus, dessen Amme sie einst war, an einer Narbe am<br />

Schenkel wiedererkennt“. Der Satz ist wohlbekannt, er stammt <strong>von</strong> niemand anderem als<br />

Auerbach (73). Greenblatt erklärt, dass dieser charakteristische Eröffnungs<strong>zu</strong>g <strong>von</strong> Mimesis<br />

ihn massiv beeinflusst hat: „Das Herausstellen eines Textfragments voller Resonanz, das<br />

unter dem Druck der Analyse allmählich preisgibt, dass es das ganze Werk <strong>und</strong> <strong>zu</strong>gleich die<br />

spezifische Kultur repräsentiert, in der dieses Werk produziert <strong>und</strong> konsumiert wurde [...]. Der<br />

Einsatz <strong>von</strong> Anekdoten durch den New Historicism, den ich entwickelt habe, ist demnach ein<br />

typisch Auerbach’sches Mittel. Natürlich habe ich bei meiner Art der Anekdotenverwendung<br />

mit Absicht die kanonischen Werke außer Acht gelassen; ich suchte häufig einen<br />

Überraschungseffekt <strong>zu</strong> erzielen, indem ich etwas auswählte, was im Kontext der<br />

Literaturkritik wie ein bizarrer, marginaler oder exzentrischer Text aussehen musste. Meine<br />

Analyse <strong>von</strong> Anekdoten sollte absichtlich <strong>von</strong> der Ausdeutung eines kanonischen Kunstwerks<br />

abschweifen oder dessen Interpretation <strong>zu</strong> Fall bringen, obwohl die Anekdote doch,<br />

<strong>zu</strong>mindest nominell, mit diesem Kunstwerk in Verbindung stand“ (79f.). Diese Anekdoten<br />

haben sowohl bei Auerbach als auch bei Greenblatt die Funktion, den „Genius literarius“ aus<br />

einem exemplarischen Fragment hervor<strong>zu</strong>zaubern (83f.). Doch den Auerbach’schen<br />

Ausschluss <strong>von</strong> Texten aus der Untersuchung, die Verbannung <strong>von</strong> Texten, „die nicht gut<br />

genug erscheinen, um in die Kategorie ‚Literatur‘ aufgenommen <strong>zu</strong> werden“, macht der New<br />

Historicism nicht mit. Dabei geht es weniger um eine Kritik <strong>von</strong> literaturhistorischen<br />

Monumenten des Kanons, sondern vielmehr um dessen Anspruch auf Exklusivität gegenüber<br />

dem Feld der ihn umgebenden Fragmente. Diese bieten für Greenblatt Zugänge <strong>zu</strong>r Realität<br />

des Alltags, <strong>zu</strong>r Sphäre der Praxis. Von marginalen Anekdoten aus lassen sich dann auch die<br />

„kanonischen Werke“ wiederbeleben, wenn es gelingt, beide miteinander in Beziehung <strong>zu</strong><br />

setzen. Gerade die „unbeholfensten <strong>und</strong> unangemessensten Artikulationen“ nicht-literarischer

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