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Rezension zu Büchern von Michel Foucault und ... - Thomas Schwarz

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<strong>Thomas</strong> <strong>Schwarz</strong> (Keimyung-Universität, Daegu) 9<br />

Texte erheben Greenblatt <strong>zu</strong>folge einen „Anspruch auf Wahrheit“, dem sich die<br />

„beredsamsten unter den literarischen Texten verschließen“. Die Anekdote, so Greenblatts<br />

letzter Satz, erlaubte dem New Historicism in genau diese „Kontaktzone“ <strong>zu</strong> gelangen, aus der<br />

sich der „literarische Genius“ herbeizaubern lässt (95, 97, 99f.).<br />

5. In Verteidigung einer kulturwissenschaftlichen Literaturgeschichtsschreibung<br />

Am Ende möchte ich versuchen, noch eine Art Resümee aus der Vorstellung der drei doch<br />

relativ disparaten Bücher <strong>zu</strong> ziehen. Der erste Imperativ <strong>Foucault</strong>s ist einem<br />

emanzipatorischen Impuls der Aufklärung geschuldet, <strong>und</strong> er besagt, dass man gerade als<br />

Wissenschaftler eine kritische Haltung einnehmen muss, die das wissenschaftlich Tradierte<br />

nicht unhinterfragt hinnimmt. Diese Aussage lässt sich leicht auch auf die <strong>von</strong><br />

Literaturwissenschaftlern kanonisierten Texte anwenden. Dabei geht es allerdings – um mit<br />

Greenblatt <strong>zu</strong> sprechen – nicht darum, den Kanon als nicht mehr lesenswert <strong>zu</strong> verwerfen,<br />

sondern darum, ihn besser <strong>zu</strong> verstehen, indem man ihm den historischen Kontext <strong>zu</strong>rückgibt,<br />

den man mit der Methode der werkimmanenten Literaturkritik <strong>von</strong> der Interpretation<br />

ausgeschlossen hat. Zweitens bietet die Machttheorie <strong>Foucault</strong>s einen Ansatz, mit dem man<br />

nun wirklich unmittelbar in die Analyse literarischer Texte hineingehen kann, ist die Literatur<br />

doch ein privilegierter Ort der Repräsentation des Zusammenpralls nicht normalisierter<br />

menschlicher Elementarteilchen mit der Macht. Drittens ist der <strong>von</strong> <strong>Foucault</strong> aufgeworfene<br />

Problem<strong>zu</strong>sammenhang <strong>von</strong> Bio- <strong>und</strong> Disziplinarmacht mit dem Phänomen des Rassismus<br />

nicht nur angesichts des Neorassismus in der B<strong>und</strong>esrepublik, sondern meines Erachtens auch<br />

aus koreanischer Perspektive forschungsrelevant. Bereits auf der eingangs erwähnten<br />

Konferenz habe ich auf den Historiker Andrew C. Nahm aufmerksam gemacht, der 1997 in<br />

der achten Auflage seines ‚Panoramas der koreanischen Geschichte‘ sowohl im Vor- als auch<br />

im Nachwort die „Rassenreinheit“ der Koreaner preist. Das Buch habe ich in Seoul im<br />

Nationalmuseum erworben, wo es keineswegs unter der Ladentheke versteckt war, sondern in<br />

großen Stapeln auslag. An solchen Punkten wäre aus naheliegenden Gründen die kritische<br />

Intervention <strong>von</strong> Germanisten gefragt, <strong>von</strong> denen man annehmen kann, dass sie aus ihrem<br />

Studium der deutschen Geschichte eine Sensibilisierung gegen solche Ausdrücke mitbringen.<br />

Greenblatt macht deutlich, dass das Schreiben <strong>von</strong> Literaturgeschichte im Sinn einer<br />

interdisziplinären Kulturkomparatistik selbst eine ästhetische Praxis ist: Kulturpoetik. Er lässt<br />

sich dabei offen in die Karten blicken, indem er die Funktion der Anekdote für seine eigene<br />

Textproduktion aufdeckt. Die Vorliebe für Anekdotisches teilt Greenblatt nicht nur mit<br />

<strong>Foucault</strong>, sondern auch mit Auerbach. Eine Anekdote <strong>zu</strong> finden, in der sich der Geist einer<br />

Epoche verdichtet wiederfinden lässt, ist in der Tat eine Kunst. Wer das pauschal ablehnt,<br />

müsste konsequenterweise auch seinen Auerbach mit <strong>zu</strong> den Akten legen. Im Kapitel über die<br />

Narbe des Odysseus findet sich folgender denkwürdige Satz: „Geschichte <strong>zu</strong> schreiben ist so<br />

schwierig, daß die meisten Geschichtsschreiber genötigt sind, Konzessionen an die<br />

Sagentechnik <strong>zu</strong> machen“. Das lese ich als einen Selbstkommentar Auerbachs, ganz im Sinne<br />

Greenblatts.<br />

Publiziert in: Dokilomunhak 14, 2001, S. 329–340.

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