Rituale: Ein Erklärungsversuch - Ritualmeister

Rituale: Ein Erklärungsversuch
ABSCHLUSSARBEIT AN DER FACHSCHULE FÜR RITUALE
ROBERT MÄHR
SEPTEMBER 2004
ÜBERARBEITETE VERSION

Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
1. EINLEITUNG ...................................................................................................... 4
2. WOHER KOMMEN RITUALE?........................................................................... 5
2.1. RITUALE ZUR EXISTENZSICHERUNG..................................................................................... 5
2.2. RITUALE ZUM SCHUTZ ....................................................................................................... 5
2.3. SOZIALE RITUALE.............................................................................................................. 6
2.4. ANERKENNUNGSRITUALE ................................................................................................... 6
2.5. SELBSTVERWIRKLICHUNGSRITUALE..................................................................................... 6
3. DEFINITIONEN................................................................................................... 7
4. 7 MERKMALE EINES RITUALS......................................................................... 9
4.1. DAS MOTIV ...................................................................................................................... 9
4.2. DAS FESTE, WIEDERHOLENDE HANDLUNGSMUSTER .............................................................. 9
4.3. DIE NICHT ALLTÄGLICHE HANDLUNG .................................................................................. 10
4.4. DAS EMOTIONALE ERLEBNIS............................................................................................. 10
4.5. DIE BINDUNG AN SYMBOLE .............................................................................................. 10
4.6. DIE KOLLEKTIVE DIMENSION............................................................................................. 10
4.7. DAS ZIEL........................................................................................................................ 10
5. RITUALGRUPPEN ........................................................................................... 11
5.1. ÜBERSICHT .................................................................................................................... 11
5.2. PERSÖNLICHE RITUALE ................................................................................................... 12
5.2.1. Rituale im Sport ............................................................................................................ 12
5.2.2. Reinigungsrituale.......................................................................................................... 12
5.2.3. Wohnungseinweihung................................................................................................... 12
5.3. ÜBERGANGSRITUALE....................................................................................................... 13
5.3.1. Geburt .......................................................................................................................... 13
5.3.2. Initiation........................................................................................................................ 13
5.3.3. Heirat............................................................................................................................ 13
5.3.4. Scheidung / Trennung................................................................................................... 13
5.3.5. Tod............................................................................................................................... 14
5.4. KIRCHENRITUALE ............................................................................................................ 15
5.4.1. Christliche Rituale......................................................................................................... 15
5.5. HEILUNGSRITUALE .......................................................................................................... 16
5.5.1. Therapeutische Rituale ................................................................................................. 16
5.6. JAHRESKREISRITUALE ..................................................................................................... 17
5.6.1. Tag- und Nachtgleiche.................................................................................................. 17
5.6.2. Vollmond / Neumond .................................................................................................... 17
5.6.3. Samhain / Halloween.................................................................................................... 17
5.6.4. Sommer-/ Wintersondwende......................................................................................... 18
5.6.5. Beltane / Walpurgisnacht .............................................................................................. 18
5.7. FAMILIENRITUALE............................................................................................................ 19
5.8. GESCHÄFTSRITUALE........................................................................................................ 20
5.8.1. Handwerksrituale.......................................................................................................... 20
5.8.2. Stellenwechsel.............................................................................................................. 20
5.9. SCHULRITUALE ............................................................................................................... 21
5.10. POLITISCHE RITUALE....................................................................................................... 22
5.11. LEERE RITUALE UND RITUALSPLITTER ............................................................................... 23
6. DIE RITUALPLANUNG..................................................................................... 24
6.1. TEILNEHMENDE............................................................................................................... 24
6.2. ORT .............................................................................................................................. 24
6.3. TIMING........................................................................................................................... 24
6.4. HILFSMITTEL................................................................................................................... 25
6.4.1. Amulette....................................................................................................................... 25
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
6.4.2. Talisman....................................................................................................................... 25
6.5. DREHBUCH..................................................................................................................... 26
6.6. LEITUNG ........................................................................................................................ 26
6.7. RISIKEN ......................................................................................................................... 27
7. CHECKLISTE: RITUALPLANUNG................................................................... 28
8. RITUALBEISPIELE........................................................................................... 29
9. LITERATURHINWEISE .................................................................................... 32
9.1. HOMEPAGES .................................................................................................................. 32
10. ANHANG .......................................................................................................... 33
10.1. CHRISTLICHE FEIERTAGE................................................................................................. 33
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
1. Einleitung
Traditionelle Rituale wurden rund um den Erdball von allen Kulturen durchgeführt. Interessanterweise
sind sich diese Rituale sehr ähnlich. Das hängt sicher damit zusammen, dass
Rituale immer einen Bezug zu den Menschen haben und diese trotz unterschiedlichen Kulturen
dieselben Lebensfragen und Lebenskrisen und die damit verbundenen Probleme zu bewältigen
haben. Es sind aber auch Einflüsse der Natur, die unser Leben prägen. Traditionelle
Rituale sind in den heutigen aufgeklärten Gesellschaften weitgehend verschwunden oder
haben ein bescheidenes Schattendasein. Vor allem in Ländern mit einfacher Entwicklungsstufe
(Entwicklungs- und Schwellenländer) haben Rituale einen festen Platz in der Gesellschaft
behalten und werden noch regelmässig gefeiert. In der Schweiz sind solche traditionellen
Rituale durch unsere spezielle Topographie partiell immer noch gut erhalten. Bespiele
dafür sind die Silvesterrituale im Appenzellerland oder die unterschiedlichen Fasnachtsrituale.
In der folgenden Arbeit soll versucht werden, den Ritualbegriff anhand der gewonnenen Erkenntnisse
und Erfahrungen während der Ausbildung als Ritualleiter zu erklären und systematisch
darzustellen. In Hinblick auf die Arbeit als Ritualleiter scheint es wichtig, dass eine
klare Trennung zwischen echten Ritualen und anderen Handlungen, die rituelle Merkmale
haben, gemacht wird. Die Ernsthaftigkeit und die Qualität dieser Leitungsfunktion kann nur
dann gewährleistet werden, wenn klar definierte Standards eingehalten werden.
In einem zweiten Teil wird eine Methodik aufgezeigt, um Rituale zu planen. Auf eine detaillierte
Beschreibung von Beispielen wird bewusst verzichtet, da eine Vielzahl von Büchern zu
diesem Thema existiert und dies den Umfang dieser Arbeit sprengen würde.
In diesem Zusammenhang muss unterstrichen werden, dass einer theoretischen Betrachtung
des Themas enge Grenzen gesetzt sind, weil Rituale erlebt werden müssen.
Einstimmung für ein Schwitzhüttenritual
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
2. Woher kommen Rituale?
Über diese Frage lässt sich nur spekulieren, weil Rituale vermutlich so alt wie die Menschheit
sind. Es wird davon ausgegangen, dass schon vor der Steinzeit rituelle Handlungen durchgeführt
worden sind. Bei Ausgrabungen auf verschiedenen Kontinenten wurden Indizien
(Symbolgegenstände, Tier- und Menschenopfer u. Ä.) gefunden, die auf solche Rituale hindeuten.
Da Rituale ganz offensichtlich etwas mit dem Mensch und seiner Psyche zu tun haben
versuche ich, sie anhand der maslowschen Bedürfnispyramide zu erklären.
Maslowsche Bedürfnispyramide
2.1. Rituale zur Existenzsicherung
Das Leben unserer frühen Vorfahren war vergleichbar mit demjenigen von Tieren, die den
ganzen Tag damit beschäftigt waren, für Nahrung, Unterkunft und die Arterhaltung zu sorgen.
Da diese Aufgaben unter den primitiven Bedingungen sehr beschwerlich waren liegt die
Vermutung nahe, dass Rituale zur Bewältigung der damit verbunden psychischen Strapazen
abgehalten wurden. Mit speziellen Ritualen wurde eine gelungene Jagd gefeiert oder es
wurden Rituale abgehalten, um das Einsetzen von Regen während Trockenzeiten heraufzubeschwören.
Da der Tod zu dieser Zeit allgegenwärtig war wurden sicher auch Sterberituale
durchgeführt. Solche archaischen Rituale sind bei heute noch lebenden Urvölkern immer
noch sehr verbreitet.
2.2. Rituale zum Schutz
Die Urmenschen waren den Kräften der Natur fast schutzlos ausgeliefert. Vor allem das „Böse“
auf dieser Welt (wilde Tiere, Krankheiten, Naturkatastrophen usw.) wollte man durch Rituale
vertreiben. Auf diese Weise entstanden Schutzrituale wie rituelle Verbrennungen, Opferungen,
mystische Schutzkreise, Räucherungen u. Ä.. Das Anbringen von Schutzgegenständen
an die Behausungen hat sich bis in die heutige Zeit erhalten. In gewissen Landesteilen
ist es üblich, dass in der Adventszeit über der Eingangstüre ein Mistelzweig zum Schutz vor
bösen Geistern aufgehängt wird. Für den gleichen Zweck werden in ländlichen Gegenden
noch heute an Silvester Häuser und Ställe geräuchert.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
2.3. Soziale Rituale
Im Laufe der Menschheitsentwicklung bildeten die nomadisch lebenden Familien grössere
Verbände und wurden teilweise sesshaft. Das Zusammenleben von Menschen funktioniert
erfahrungsgemäss aber nicht ganz konfliktfrei. Um diese Probleme zu lösen wurden soziale
Rituale erfunden. Verhaltensforscher haben entdeckt, dass solche Rituale auch bei Tieren,
die in hierarchischen Gruppen zusammenleben, durchgeführt werden. Es leuchtet ein, dass
es viel einfacher ist, ein Ritual durchzuführen als tagtäglich die Hackordnung in der Gruppe
neu unter Beweis zu stellen.
2.4. Anerkennungsrituale
Als Gegenpol zu den sozialen Ritualen, die zum Wohle der Gemeinschaft das Individuum in
den Hintergrund stellen, sehnt sich jeder Mensch nach Anerkennung. Es tut uns gut, wenn
wir gelobt werden und dabei ein Glücksgefühl erleben. Klassische Anerkennungsrituale sind
der Namens- und Geburtstag aber auch die symbolische Krönung am 3-Königs-Tag. Die
Siegerehrungen an sportlichen Veranstaltungen bedienen sich auch ritueller Mittel (Nationalhymne,
symbolische Krönung, Siegerpodest usw.), um die Anerkennung der Leistung noch
zu verstärken.
2.5. Selbstverwirklichungsrituale
Am Schluss der Maslowschen Bedürfnispyramide steht der Wunsch des Menschen nach
Selbstverwirklichung. Parallel zu unserer körperlichen Entwicklung entwickelt sich auch unsere
Persönlichkeit. Dieser Prozess beginnt mit der Geburt, geht über verschiedene Lebensphasen
bis es mit dem Tod endet. Das Leben wird geprägt von Übergängen, die unterschiedliche
Übergangsrituale (Geburts-, Initiations-, Hochzeit-, Sterberituale etc.) hervorgebracht
haben. Persönliche Rituale wie die Meditation oder das Beten sind Techniken, die die
Selbstfindung unterstützen können.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
3. Definitionen
Bei der folgenden Auswahl unterschiedlicher Definitionen und Definitionsansätzen soll aufgezeigt
werden, dass unter dem Begriff Ritual eine breite Palette menschlicher Handlungen
subsumiert wird. In der Umgangssprache wird der Begriff noch weiter gefasst und vielfach
mit wiederkehrenden Handlungen von Personen gleichgesetzt. Die verschiedenen Definitionen
unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Herkunft der Autoren und das entsprechende
Einsatzgebiet der Rituale. Eine wissenschaftliche Untersuchung verschiedener Rituale
wurde vor allem durch Therapeuten und Anthropologen durchgeführt.
Ein Ritual verbindet das Tun mit dem Glauben.
Brockhaus
In heute gebräuchlichen wissenschaftlichen Begriffen können Rituale beschrieben werden
als ressourcenorientierte kognitiv-verhaltenstherapeutische Übungen, die übergeordnete,
fundamentale Schemata (Muster) des Individuums oder von Kollektiven aktivieren. Bisher
unerschlossene gesundheitsfördernde Schemata werden entwickelt, pathogene Schemata
werden umstrukturiert, so dass psychisch Prozesse hoher Motivation, Volition und hoher
Selbstwirksamkeitserwartung in Gang kommen.
Net-Lexikon (2004)
Ein Ritual ist eine kulturell gebundene menschliche Handlung, die durch geplante strukturierte
Mittel die Wandlung eines Lebensbereiches in über den Alltag hinaus reichende Zusammenhänge
bewirkt. Rituale sind ein menschheitliches Phänomen. Sie ermöglichen durch den
Umgang mit Grundfragen der Existenz das menschliche Miteinander. Dazu zählen
Sicherheit, Ordnung ebenso wie die Sterblichkeit. Sie vermögen die Welt einfacher und
handhabbarer zu machen und erleichtern Entscheidungen.
Bobby C. Alexander (1997)
„Ein Ritual im allgemeinsten und grundlegendsten Sinn ist geplante oder improvisierte Performance,
die eine Überleitung des alltäglichen Lebens in einen alternativen Zusammenhang,
in dem der Alltag transformiert wird, bewirkt“. Hier kommt sowohl das dramatische E-
lement, das Aktivsein von Ausführenden und Zuschauern, als auch der dynamische Aspekt
der Umwandlung zum Ausdruck. Gleichzeitig wird außerdem deutlich, dass Rituale im Alltag
begründet, also von der jeweiligen Kultur und Gesellschaftsordnung geprägt sind.
van der Hart (1978)
Rituale sind vorgeschriebene rituelle Handlungen, die auf eine bestimmte Art und Weise und
in einer bestimmten Reihenfolge ausgeführt werden müssen und zu denen möglicherweise
bestimmte Formeln gesprochen werden. Neben den formalen Aspekten lassen sich Erfahrungsaspekte
der Rituale unterscheiden. Rituale werden mit viel Engagement ausgeführt. Ist
das nicht der Fall, sprechen wir von leeren Ritualen. Bestimmte Rituale werden im Laufe des
Lebens der Betroffenen ständig wiederholt, andere dagegen werden nur einmal durchgeführt."
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
St. Gilligan
"Aus heutiger Sicht kann man ein Ritual als eine intensive, erlebte symbolische Struktur betrachten,
die eine Identität erneuert oder transformiert. Rituale stellen eine Art Meta-
Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft dar.“
Viktor Turner (1967)
Ein Ritual ist ein vorgeschriebenes formales Verhalten für Ereignisse, die noch nicht der
technischen Routine überlassen wurden und sich auf den Glauben an mystische Wesen o-
der Kräfte beziehen. Die kleinste Einheit des Rituals ist das Symbol.
Ein Ritual ist „vorgeschriebenes formalisiertes Verhalten für Gelegenheiten, die noch keine
Routine geworden sind und die einen Bezug zum Glauben an mystische [...] Kräfte oder Wesen
haben, die als ursächlich für den erstrebten Effekt angesehen werden“. Turner betont
hier vor allem den formalen und den transzendentalen Aspekt des Rituals und unterscheidet
zwischen Ritual und Routine. Rituale zeichnen sich demnach vor allem durch performative
Elemente, Dynamik und Formalisierung, den transzendentalen Aspekt und ihre kulturelle
Spezifität aus.
Durkheim (1915)
Das Ritual fungiert als Rahmen, der das Heilige als etwas Abgehobenes unterstreicht. Rituale
sind formelle Handlungen, von einzelnen Personen oder Gruppen gestaltet, einschliesslich
Gestik, kultureller und individueller Symbole in Zeiten besonderer Sensitivität in Lebenskrisen
an speziellen (heiligen) Orten
Leonardo Boff
Ein Sakrament, allgemeiner ein Ritual, zeichnet sich durch drei Merkmale aus:
Immanenz („Da-sein“)
Es muss da sein – also spürbar, hörbar, sehbar
Transparenz („Entschlüsselbarkeit“)
Es muss klar sein – jedem Teilnehmer muss bewusst sein, was geschieht
Transzendenz (übergeordneter Sinn)
Es muss über sich selbst hinausweisen – es muss mehr sein als seine Handlung
Soziologielexikon (Scheiblich 1999)
Das Soziologielexikon weist Rituale aus als sozial geregelte, konkret ausgeführte Handlungsabläufe,
die nicht zur Vergegenständlichung in Produkten oder zur Veränderung der
Situation führen, sondern die Situation symbolisch verarbeiten. Damit sind Rituale, es sei
hier nochmals hervorgehoben, Interaktionsformen, die in standardisierter Weise Handlungen
vollziehen. Es sei hier auch verwiesen auf die Notwendigkeit für Kinder, bestimmte Rituale
durch Erwachsene einhalten zu lassen, wie z.B. das Gute-Nacht-Ritual. Bei Trauerritualen
finden wir jene, die die Trauer zeigen, insbesondere den südländischen und den Balkanländern
(z.B. Schreien oder Haare-Raufen); daneben gibt es Trauerrituale, die zeigen, dass die
Trauer beendet wird, indem man z.B. wieder seine eigene bunte Kleidung wie früher trägt.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
4. 7 Merkmale eines Rituals
Aus den bisherigen teils abweichenden Definitionen wird klar, dass der Begriff Ritual nicht
eindeutig ist. Trotz unterschiedlicher Auffassungen können Überschneidungen und Parallelitäten
erkannt werden. Für die weitere Betrachtung soll der Begriff Ritual mit folgenden 7
Merkmalen abgegrenzt werden. Erst wenn alle diese Punkte erfüllt sind, kann von einem
echten Ritual gesprochen werden. Wenn dies nur teilweise der Fall ist, wird der Begriff Ritualsplitter
verwendet.
4.1. Das Motiv
Bevor ein Ritual durchgeführt wird existiert eine Leitidee, eine Motivation der beteiligten
Menschen. Diese kommen mit einer Situation nicht mehr zu Recht, haben Angst oder fühlen
sich einfach verunsichert. Vielfach besteht der Wunsch, einen Zustand abzuschliessen oder
etwas loszulassen, damit etwas Neues entstehen kann. Oft kommt es vor, dass Menschen in
Situationen geraten sind, aus den kein Ausweg zu erkennen ist. Die rationalen Strategien
haben nichts bewirkt und darum sucht man die Lösung in einem Ritual.
Für unterschiedliche Motive können dieselben Rituale eingesetzt werden. Beispielsweise
können Räucherungen angewendet werden, um negative Energien zu neutralisieren oder
auch um neue Energie zu wecken. Räucherungen haben aber auch eine reinigende und eine
bewusstseinserweiternde Wirkung.
4.2. Das feste, wiederholende Handlungsmuster
Ein Ritual muss aus festen Handlungsmustern bestehen, die wiederholt werden können. In
der Wiederholung des Rituals kann eine grosse Kraft liegen. Bei einem Ritual kann nicht garantiert
werden, dass beim ersten Mal schon die gewünschte Wirkung erzielt wird. Oft wird
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
dies erst durch die Wiederholung erreicht. Das feste Handlungsmuster, der vorgegebene
Ablauf, wird auch als Setting bezeichnet.
4.3. Die nicht alltägliche Handlung
Rituale sind spezielle Handlungen und müssen sich von Alltagsformen klar abheben. Damit
kann sichergestellt werden, dass sich wiederholende Alltagshandlungen wie Zähneputzen,
zur Arbeit gehen, tägliches Fernsehen u. Ä. keine Rituale sind. Das Herauslösen des Rituals
aus dem Alltagsleben gibt dem Ritual die besondere Bedeutung.
4.4. Das emotionale Erlebnis
Ein Ritual wirkt nicht über den Verstand, sondern über das Unterbewusstsein. Das kann nur
erzielt werden, wenn bei den Teilnehmenden ein emotionales Erlebnis ausgelöst wird. Bei
vielen Ritualen ist dieses Schlüsselerlebnis nicht spontan erkennbar und kann oft nicht erklärt
werden. Mit den Menschen passiert etwas. Das emotionale Erlebnis hat in der Regel
eine lang anhaltende Wirkung.
4.5. Die Bindung an Symbole
Zur Verstärkung der emotionalen Wirkung werden bei Ritualen Symbole eingesetzt. Meist
sind es scheinbar kleine „Details“ wie Kerzen, Federn, Steine, Figuren usw., die das Ritual
symbolisch darstellen und gleichzeitig verstärken. Mit dem Symbol entsteht aus der Handlung
ein Bild, das sich in den Köpfen der Teilnehmenden abspeichert. Dadurch erhält das
Ritual einen grösseren Erinnerungswert und somit noch mehr Kraft.
4.6. Die kollektive Dimension
Die kollektive Dimension von Ritualen ergibt sich aus der Tatsache, dass viele Rituale erst in
der Gruppe zustande kommen. Bei individuellen Ritualen, die man in der Abgeschiedenheit
durchführt, ist dieser Aspekt auf den ersten Blick nicht erkennbar. Da wir Menschen soziale
Wesen sind gibt es wahrscheinlich auch in ganz persönlichen Ritualen eine kollektive Dimension.
4.7. Das Ziel
Wie bei den meisten menschlichen Tätigkeiten wird auch mit einem Ritual ein Ziel verfolgt.
Im Gegensatz zu kommerziellen Zielvorgaben wird bei Ritualen auf eine Messbarkeit gänzlich
verzichtet. Der Weg ist vielfach das Ziel. In den meisten Fällen hat das angestrebte Ziel
einen direkten Bezug zum Motiv. Meistens steht das Ritualziel im Zusammenhang mit einem
Neuanfang oder einem Entwicklungsschritt.
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5. Ritualgruppen
Die folgende Übersicht ist der Versuch, die unterschiedlichen Rituale bekannten Ritualgruppen
zuzuordnen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde auf die Darstellung von Verbindungen,
Verknüpfungen und Überschneidungen bewusst verzichtet.
5.1. Übersicht
Persönliche Rituale
Familienrituale
Übergangsrituale
Geschäftsrituale
Kirchenrituale
Rituale
Schulrituale
Heilungsrituale
Politische Rituale
Jahreskreisrituale
Leere Rituale
Robert Mähr, 2004
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5.2. Persönliche Rituale
Der Begriff des persönlichen Rituals subsumiert alle Rituale, die von einer Person selbstständig
durchgeführt werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Person alleine oder in
einer Gruppe ist. Beispielsweise ist es möglich, dass wildfremde Personen in einer Kirche
neben einander aber jeder für sich beten oder meditieren. In der Regel werden aber persönliche
Rituale zu Hause, in der Abgeschiedenheit oder an ungestörten Orten durchgeführt.
Persönliche Rituale sind oft sehr individuell, haben aber meistens eine allgemein bekannte
Herkunft. Es dürften beispielsweise weltweit unzählige Menschen täglich ein Morgenritual
abhalten, dass seine Wurzel in den „5 Tibetern“ findet.
5.2.1. Rituale im Sport
Vermutlich hat jeder von uns schon am Fernseher mit Staunen beobachtet, wie erwachsene
Spitzenathleten vor laufender Kamera unbegreifliche Handlungen (Rituale) durchführen. Sei
es der Hochspringer, der mit halb geschlossenen Augen einen Scheinsprung vollführt, bevor
er dann zum effektiven Sprung ansetzt oder der Skifahrer, der vor dem Lauf im Schnee in
eine tiefe Meditation fällt. Kaum ein Spitzensportler, der vor einem grossen Auftritt nicht ein
individuelles Ritual durchführt. Dabei scheinen folgende Ziele eine wichtige Rolle zu spielen:
Die Angst vor dem potentiellen Versagen soll abgebaut oder verdrängt werden.
Der Kopf soll von Bildern „geleert“ werden, die den Athleten oder die Athletin ablenken könnten.
In der Vorstellung wird ein Wunschbild aufgebaut, dass die aussergewöhnliche Leistung
vorwegnimmt, was den Glauben stärkt, dass man dazu (Superleistung) in der Lage ist.
Das Hormonsystem soll günstig beeinflusst werden, dass körpereigene Hormone ausgeschüttete
werden, die eine Leistungssteigerung zur Folge haben.
Die Erkenntnisse aus dem Sport sind selbstverständlich in angepasster Form auch auf den
Alltag (Beruf, Schule etc.) übertragbar.
5.2.2. Reinigungsrituale
Bei den Reinigungsritualen wird oft mit Wasser oder Rauch symbolisch der Körper gereinigt.
Der tiefere Sinn ist aber die Reinigung des Geistes. Durch den Reinigungsprozess werden
die negativen Energien neutralisiert bzw. beseitigt. Reinigungsrituale werden oft als Ritualsplitter
für andere Rituale eingesetzt.
5.2.3. Wohnungseinweihung
Die Einweihung einer neuen Wohnung, eines Büros oder Hauses kann zwei Bedeutungen
haben. Die eine ist das beseitigen von „bösen“ Geistern oder negativen Energien, die noch
von Vormietern stammen. Das Einweihungsritual wird aber auch dazu eingesetzt, um die
neu zu beziehenden Räume mit positiver Energie zu füllen und die Ankunft am neuen Ort zu
besiegeln.
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5.3. Übergangsrituale
Jeder Mensch durchläuft während seines Lebens verschiedene Phasen. An den Übergängen
von einer Phase zur nächsten entsteht bei den Betroffenen ein Vakuum, das Verunsicherung,
Ratlosigkeit und Trauer auslösen kann. Dieser Zustand kann bis zur Selbstzerstörung
oder dem totalen psychischen Kollaps führen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich in
allen Kulturen für diese Übergänge vergleichbare Rituale entwickelt haben.
5.3.1. Geburt
Bei einer Geburt müssen zwei Aspekte berücksichtigt werden. Erstens ist jede Geburt eines
Lebewesens die eindrückliche Demonstration des Prinzips Leben, das die Frage nach der
Herkunft des Lebens aufs Neue aufwirft und die wir mit unserem Verstand nicht beantworten
können. Für die Eltern aber auch für die Familie und nicht zuletzt für die Spezies Mensch ist
es das Zeichen des Fortbestands. Für die Gebärende bedeutet die Geburt die Trennung und
das Loslassen ihres Kindes.
5.3.2. Initiation
Unter diesem Begriff versteht man den Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt.
Bei den Urvölkern wurde dieses Ritual normalerweise mit der Geschlechtsreife des Jugendlichen
ausgelöst. Nach der Initiation wurde der Jugendliche als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft
akzeptiert. Dieses Ritual wird in der christlichen Kirche mit der Firmung beziehungsweise
Konfirmation gefeiert. Weil dieses kirchliche Ritual kaum an die gesellschaftlichen
Realitäten angepasst wurde, hat es in der heutigen Zeit an Bedeutung verloren. Die
katholische Kirche versucht punktuell, das Alter der Firmung auf 18 Jahre anzusetzen. Damit
soll erreicht werden, dass die volljährigen Menschen ganz bewusst und aus eigener Motivation
diesen Schritt vollziehen.
5.3.3. Heirat
Die Verbindung eines Paares mit dem Ziel eines gemeinsamen Lebensweges ist in vielen
Kulturen das wichtigste und bedeutungsvollste Ritual. Die Hochzeit bildete früher den Übergang
zwischen dem Loslassen des Elternhauses und der Neugründung einer Familie. Auch
in den modernen Gesellschaften wird nach wie vor geheiratet. Da dies in vielen Fällen nur
noch vor dem Standesamt geschieht, wurde vor allem das gesellschaftliche Ritual in den
Hintergrund gedrängt. In der christlichen Welt hat sich erstaunlicherweise das Symbol des
Eheringes trotz aller Aufgeklärtheit gehalten.
5.3.4. Scheidung / Trennung
Im Christentum ist eine freiwillige Trennung bzw. Scheidung nicht vorgesehen, weil die Heirat
ein Bund fürs Leben ist, die nur durch den Tod getrennt wird. Die heutige Realität sieht
mit einer Scheidungsquote von gegen 50 % leider anders aus. Die Scheidung ist eine klassische
Übergangssituation, die beide Partner in Unsicherheit, Schmerz, Verzweiflung, Ängste
und Trauer versetzt. Um diesen Zustand abzuschliessen und den Weg für einen Neuanfang
frei zu machen drängen sich Rituale förmlich auf.
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5.3.5. Tod
Der Verlust eines Menschen wird in verschiedenen Kulturen abhängig vom Glauben sehr
unterschiedlich zelebriert. In einigen Kulturen trauern die Hinterbliebenen eine bestimmte
Dauer um den oder die Verstorbene. Für andere bedeutet der Tod die Erlösung, was mit einem
ausgelassenen Fest gefeiert wird. Sehr unterschiedlich ist auch die Dauer der jeweiligen
Rituale. So kann ein Trauerritual zwischen einigen Stunden und einigen Wochen dauern.
Die Art und Weise des Sterbens hat auch direkte Auswirkungen auf die Art des oder der Rituale.
Wenn das Ende absehbar ist gibt es die Möglichkeit, diese Abschiedszeit gemeinsam
mit nahe stehenden Personen rituell zu begehen.
Kurz vor dem Tod besteht bei vielen Sterbenden noch der Wunsch, mit dem Leben spirituell
abzuschliessen. Dies wird beispielsweise in der katholischen Kirche mit einer letzten Ölung
ritualisiert. Selbst Personen die hingerichtet werden bekommen noch die Möglichkeit, um mit
einem Geistlichen Kontakt aufzunehmen.
Unmittelbar nach dem Tod beginnen für die Hinterbliebenen die Trauer und damit das Abschiednehmen
vom Verstorbenen. In einigen Kulturen wird dazu eine letzte Waschung
durchgeführt. Oft hat der Verstorbene noch einen letzten Willen hinterlassen, den es zu respektieren
gilt und der oft in einem Ritual umgesetzt werden kann. Diese Trauerzeit wird auch
mit unterschiedlichsten persönlichen Ritualen begangen.
Für den symbolischen Abschluss der Trauerzeit wird in verschiedenen Kulturen ein Festessen
(Leichenessen) gefeiert. Damit soll ein klares Ende und gleichzeitig der Beginn eines
Neuanfangs ritualisiert werden. Die dunkle und bedrückende Zeit ist vorbei und das Leben
geht für die Hinterbliebenen weiter.
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5.4. Kirchenrituale
Die Kirche als geschützter Ort ist ein idealer Platz um Rituale abzuhalten, was sicher kein
Zufall ist. Da der Glaube des Menschen sehr eng mit Ritualen verbunden ist haben alle Religionsgemeinschaften
Rituale zu spirituellen Zwecken eingesetzt. Bei vielen Ritualen ist nicht
mehr genau auszumachen, wer der Urheber des Rituals gewesen ist. Tatsache ist, dass in
allen Kirchen die Rituale gepflegt und perfektioniert wurden und ihre Wirkung zur „göttlichen
Sache“ erklärt wurde. Daraus wurde wiederum abgeleitet, dass die spirituellen Führer (Pfarrer,
Priester, Druiden, Schamanen etc.) auch die Hüter und Leiter der Rituale wurden.
5.4.1. Christliche Rituale
Anhand christlicher Rituale, die sehr gut dokumentiert sind und heute noch abgehalten werden,
kann man sich ein genaues Bild davon machen, wie Rituale zustande gekommen sind
und sich im Laufe der Zeit verändert haben. Die Urchristen waren noch eine sehr bedrohte
Gemeinschaft, ohne Unterstützung von den machthabenden Römern. Das Zusammenkommen
dieser idealistischen Menschen, was mit konspirativen Treffen einer Untergrundorganisation
verglichen werden könnte, kann man sich als ein sehr intensives Ritual vorstellen. Mit
der Etablierung der Religion durch die Christianisierung der Römer wurde aus der “Nischenreligion”
eine Staatsreligion und gleichzeitig musste diese auch mit allen Mitteln ihre Macht
demonstrieren. Als Symbole und gleichzeitig Versammlungsräume wurden dazu prunkvolle
Kirchen gebaut, die in der Folge immer beeindruckender wurden. Der Höhepunkt wurde in
der Gotik erreicht, mit Kirchen, die auch die heutigen Menschen in Staunen versetzen. Parallel
dazu musste aber der griechische, keltische und römische Glaube, der bei der Bevölkerung
sehr verwurzelt war, adaptiert werden. Kirchen wurden demonstrativ an dieselbe Stelle
gebaut, an der früher Tempel waren und die alten Festkalender der „Heiden“ wurden Zug um
Zug in christliche Feste (vgl. Anhang: christliche Feiertage) verwandelt.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.5. Heilungsrituale
Unter diesem Begriff werden alle Rituale verstanden, die einen Heilungsprozess in Gang
bringen oder unterstützen. Die Wurzel des Heilungsrituals ist die Erkenntnis, dass jede Heilung
durch die Psyche des Patienten beeinflusst werden kann. Durch ein geeignetes Ritual
kann sowohl der Glaube an die Gesundung gestärkt als auch eine wiederholende Therapie
damit verknüpft werden. Die Einnahme eines passenden Medikaments oder die Massage
einer schmerzenden Körperstelle kann beispielsweise in ein tägliches Heilungsritual integriert
werden.
Zur rituellen Heilung von Menschen bedarf es einer langen Ausbildung und sehr viel Erfahrung.
Weil Heilungsrituale bei falscher Anwendung auch kontraproduktiv wirken können
müssen diese mit der nötigen Sorgfalt und dem erforderlichen Sachverstand angewendet
werden.
Heilung bedeutet zu erkennen, dass nichts geheilt werden muss.
5.5.1. Therapeutische Rituale
Rituale dürften die älteste Form der Psychotherapie darstellen. Spezielle Techniken wie Meditation,
Trancezustände und andere Heilrituale sind heute anerkannt und werden gezielt zur
Behandlung psychisch Kranker angewendet. Dabei können Angst- und Spannungszustände
abgebaut und die Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl positiv beeinflusst werden.
Leider wird in der heutigen
Schulmedizin die Wirkung von
Ritualen unterschätzt und teilweise
sogar negiert. Es dürfte
eine Erscheinung unserer aufgeklärten
Zeit sein, dass viele
Ärzte die Tradition der Medizinmänner/frauen,
der Druiden/innen
und der Schamanen/innen
nicht mehr aktiv
pflegen und statt dessen mehr
Vertrauen in chemische Medikamente
haben, die eine vorhersehbare
Wirkung versprechen.
Es wäre wünschenswert, wenn
die überlieferten Erkenntnisse
mit den neuen gemischt würden
und sich daraus eine
ganzheitliche Medizin entwickeln würde, die wieder ein selbstverständliches Verständnis
zwischen Psyche und Körper entwickelt. Vor allem für psychosomatische Krankheiten ist der
Einsatz von Ritualen angezeigt.
September 2004 / R. Mähr 16 / 34

Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.6. Jahreskreisrituale
In allen einfachen Gesellschaftsformen mit Naturreligionen wurden die Jahreszeiten sehr
intensiv rituell gefeiert. Die Menschen in bäuerlichen Strukturen waren ständig den Einflüssen
der Natur ausgesetzt, sodass sie sich täglich damit beschäftigen mussten. Klimatische
Einflüsse hatten existenzielle Folgen und so ist es nicht verwunderlich, dass für diese Phänomene
spezielle Rituale (z.
B. Ritual für den Regen,
Fruchtbarkeitsritual u. Ä.)
abgehalten wurden. In Europa
haben vor allem die Kelten
sehr intensive Jahreskreisrituale
gefeiert, die sich
teilweise bis in die Neuzeit
gehalten haben. Die keltischen
Rituale waren so beliebt
und bei den Menschen
tief verwurzelt, dass bei der
Christianisierung viele dieser
Rituale zu christlichen adaptiert
wurden. So stammt beispielsweise
der Tannenbaum
oder auch der Osterhase aus
der keltischen Tradition.
5.6.1. Tag- und Nachtgleiche
Am 21. März und am 21. September sind der Tag und die Nacht etwa gleich lang. Im März
feiert man zum Frühlingsanfang ein Fruchtbarkeitsfest namens Ostera. Aus diesem keltischen
Ostera-Kult, an dem in der Nähe der Felder Ostera-Feuer entzündet wurden, entwickelten
die Christen im 6. Jahrhundert das Osterfest.
An der Herbsttagundnachtgleiche gedenkt man dem Ende des Sommers und dem Anfang
des Herbstes. Zum Dank wurden Erntedankfeste abgehalten, an denen der keltische Sonnenkönig
Mabon verehrt wurde.
5.6.2. Vollmond / Neumond
Der Mond spielte sowohl für unsere Vorfahren als auch für uns eine wichtige Rolle, da wir
seinen Einfluss monatlich spüren. Diese Tatsache wird in unterschiedlichsten Mondritualen
gefeiert. Sowohl der Vollmond als auch der Neumond sind spezielle Termine, die sich für
Rituale besonders eignen. Der Vollmond symbolisiert den Höhepunkt der Zunahme. In allen
Kulturen der Antike wurde die Mondgöttin verehrt.
5.6.3. Samhain / Halloween
Die Kelten haben am 31. Oktober ein Mondfest gefeiert, das sich vor allem im angelsächsischen
Gebieten bis jetzt erhalten hat. An diesem Tag war der Sommer zu Ende und die Kel-
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
ten feierten das Neujahr, ein Feuer- und Totenfest. Aus diesem Fest mit seiner 5000-jährigen
Tradition hat das Christentum Allerheiligen entwickelt.
5.6.4. Sommer-/ Wintersonnwende
Am 21. Juni, dem längsten Tag im Jahr, wurde der keltischen Mondgöttin Litha gedacht und
die Phase des Wachstums und der Reife an einem Sonnenfest gefeiert. Dieses wurde häufig
in der Nähe von Quellen und Eichen abgehalten denn man war der Meinung, dass der Sonnengott
nun zu sterben beginnt.
Das Julfest wurde um den 21. Dezember gefeiert. Die Zeit der Dunkelheit war jetzt überwunden
und man gedachte der Wiedergeburt des Sonnenkönigs Baldur. In vielen nordischen
Ländern wurde zu Ehren der Göttinnen, Frauen und Mütter gefeiert. An diesem Fest
wurden Julfeuer entzündet und man schmückte das Haus mit Tannenzweigen und Kränzen,
an denen vier Kerzen die vier Himmelsrichtungen symbolisierten. Dieses Symbol wurde von
den Christen als Adventssymbol übernommen und aus dem Julfest wurde im frühen Mittelalter
das Weihnachtsfest.
5.6.5. Beltane / Walpurgisnacht
Am 1. Mai wurde das Mondfest oder die heilige Hochzeit als das wichtigste Hexenfest gefeiert.
Den Ursprung dürfte in einem alten keltischen Fruchtbarkeitsritual liegen. Auch dieses
Fest wurde mit einer Heiligen, Walpurga 710 – 779, christianisiert. Sie wurde zur Schutzheiligen
gegen Hexen und Dämonen. Vor allem in Bayern werden noch heute Maibäume aufgestellt,
die ein uraltes Fruchtbarkeitssymbol darstellen.
Vertreibung des Winters am Funkensonntag
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.7. Familienrituale
Durch den schleichenden Verfall der traditionellen Familie in den modernen Gesellschaften
unserer Zeit sind die Familienrituale langsam in Vergessenheit geraten, obwohl sich die Familie
als geschützter Rahmen sehr gut für Rituale eignet. Es dürfte eine Zeiterscheinung
sein, dass man sich für diese einfachen Methoden der “Psychohygiene” keine Zeit mehr
nimmt. Von Fachleuten wird bestätigt, dass Familienrituale eine Stress abbauende Wirkung
haben können. Früher war es üblich, dass vor dem Essen ein Gebet gesprochen wurde.
Damit wurde die Malzeit zu einem Ritual. In vielen Familien werden der Namenstag und der
Geburtstag noch rituell zelebriert. Oft werden solche Familienrituale als etwas Exklusives
geheim gehalten, was den Zusammenhalt unter den einzelnen Mitgliedern noch verstärkt.
In den klassischen Grossfamilien ist es selbstverständlich, dass für diese Rituale immer die
gesamte Sippe zusammenkommt und dass diese Rituale innerhalb der „Familie“ weitervererbt
werden.
Eine neue Bedeutung erhalten die
Familienrituale im Zusammenhang
mit den modernen „Patchwork-
Familien“. Durch das zufällige Zusammenwürfeln
nicht verwandter
Kinder entstehen Spannungsfelder
innerhalb dieser Lebensgemeinschaften,
denen man mit geeigneten
Ritualen, beispielsweise der
Familienkonferenz, begegnen kann.
Indische Familie anlässlich eines Initiationsrituals
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.8. Geschäftsrituale
Eine konstruktive und spannungsfreie Zusammenarbeit der Mitarbeitenden ist ein Erfolgsfaktor
für jedes Unternehmen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich selbst in der modernen
Businesswelt dazu viele Rituale etabliert haben. Verbreitet sind beispielsweise ein jährlich
wiederkehrendes Geschäftsessen mit der gesamten Belegschaft (Weihnachtsessen)
oder ein gemeinsamer Geschäftsausflug. Man kennt aus japanischen Unternehmen das
morgendliche Einstimmen auf die Arbeit oder den rituellen Abschluss von Vertragabschlüssen.
In jüngeren Organisationen hat sich jeweils am Freitagnachmittag ein gemeinsamer A-
pero eingebürgert, der rituelle Züge erkennen lässt. Es besteht scheinbar ein direkter Zusammenhang
zwischen den spezifischen Ritualen einer Organisation und ihrer Kultur. Rituale
können aber auch bewusst dafür eingesetzt werden, um in Teams die Zusammenarbeit zu
verbessern oder Krisensituationen zu entschärfen. Die Macht der Geschäftsrituale entsteht
aus der Nachhaltigkeit, die durch die Wiederholung erzielt wird.
5.8.1. Handwerksrituale
Das Bauen von Häusern ist ein sehr einschneidender Eingriff in die Natur und auch ein sehr
wichtiges Ereignis für die Bauherrschaft.
Mit dem Aufrichten eines Gebäudes
entsteht ein geschützter
Raum für Mensch und Tiere. Dieser
Akt wurde von jeher rituell begangen.
Es beginnt mit dem Spatenstich, bei
dem sich alle Beteiligten symbolisch
zu einer Werksgemeinschaft vereinen.
Die Handwerker halten ihrerseits
während ihrer Tätigkeit spezielle
Rituale ab. Nach Fertigstellung des
Gebäudes wird auf dem höchsten
Punkt des Gebäudes ein Tannenbaum
errichtet, man feiert das Aufrichtefest.
5.8.2. Stellenwechsel
Bei einem Stellenwechsel wird nicht nur eine Stelle verlassen, sondern auch ein Beziehungsfeld
und damit verbunden sehr viele menschliche Bindungen und Erinnerungen. Es geht um
das Thema Loslassen, das in der Regel mit einer kleinen Feier zelebriert und mit einem Abschiedsgeschenk
symbolisch verankert wird. Der Verlust einer Stelle oder die Pensionierung
können Betroffene in schwere Existenz- und Sinnkrisen führen. Vielfach ist auch das soziale
Leben an den Beruf gekoppelt, was die Krise noch verstärkt. Ein geeignetes Ritual kann helfen,
um aus dieser Verunsicherung auszubrechen.
Der Anfang in einer neuen Organisation oder Hierarchiestufe ist aber nicht nur für den Arbeitnehmer
ein Risiko, sondern auch für den Arbeitgeber. Durch geeignete Rituale wird die
Wertschätzung gegenüber dem neuen Mitarbeiter ausgedrückt und es wird ihm die Integration
in die neue Umgebung erleichtert.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.9. Schulrituale
Im Schulalltag ist der Einsatz von rituellen Handlungen für pädagogische Zwecke vor allem
in der Grundschule sehr verbreitet. Das hängt sicher damit zusammen, dass kleine Kinder
eine spontanere Bereitschaft zu unerklärbaren Handlungen haben als ältere Schüler. Leider
wurden in unserem Schulsystem vor allem in früheren Zeiten viele Abläufe ritualisiert, die mit
negativen Erfahrungen besetzt sind. So war es früher üblich, dass Rituale zum Bestrafen
eingesetzt wurden, was die Angst der Kinder noch verstärkte.
Moderne Pädagogen sind sich
der positiven Wirkung von Ritualen
bewusst und setzen diese
gezielt ein. Vor allem um Lernblockaden
zu lösen und im Bereich
der Arbeitstechnik haben
sich Rituale bestens bewährt.
Die meisten Schulrituale sind so
selbstverständlich in den Schulalltag
integriert, dass der Begriff
Ritual kaum zur Sprache kommt.
Diese werden sowohl für individuelle
Lernerfahrungen als auch
für Sozialisierungsprozesse eingesetzt.
Das Standardwerk von
Astrid Kaiser, „1000 Rituale für
die Grundschule“, zeigt, dass in
der Schule ein fast unerschöpfliches
Arsenal unterschiedlicher
Rituale eingesetzt werden kann.
Diese müssen entsprechend der unterschiedlichen Zusammensetzungen der Klassen angepasst
und laufend weiterentwickelt werden.
Das Bedürfnis nach Ritualen ist aber nicht nur bei den Schülern der Grundschule vorhanden.
So werden beispielsweise auch in Mittel- und Hochschulen spezielle Abschlussrituale gefeiert.
In Studentenverbindungen und Sportvereinen werden von Studierenden spezielle rituelle
Handlungen gepflegt.
Schulrituale oder Ritualsplitter können aber auch ein Mittel zur politischen und ethischen Erziehung
sein. So gehört es in amerikanischen Schulen zu jedem Schulanfang, dass die Nationalhymne
gesungen wird. Während dem Hitler-Regime musste weltweit in allen deutschen
Schulen der Führer verehrt werden. In religiös geprägten Schulen gehört ein Gebet oder eine
Meditation zum allmorgendlichen Anfang.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.10. Politische Rituale
In Europa sind politische Rituale seit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten tabuisiert
worden. Man erinnert sich nicht gerne an Bilder von Volksversammlungen in Nürnberg
oder Berlin und Ritualführern wie Hitler oder Göbels. Das heisst aber nicht, dass die politischen
Rituale verschwunden sind. Jedes Regime bedient sich der Macht der Rituale und
deren Symbole. Sehr eindrücklich werden von diktatorischen Regimes mittels militärischer
Paraden und Manövern, Schauprozessen u. Ä. die Stärke des Regimes demonstriert. Schon
etwas lächerlich erscheinen uns heute die Rituale von Königshäusern, die damit aber erfolgreich
ihre Existenz behaupten können. Aber auch demokratische Systeme bedienen sich
einer Unzahl politischer Rituale. Staatsempfänge, Vereidigungen, Staatsfeiertage, Abstimmungen,
politische Fernsehauftritte usw. gehören zum Repertoire moderner Staaten. Als
demokratisches „Urritual“ könnte der Streik angesehen werden, der als Machtdemonstration
der Bevölkerung ein Fundament demokratischer Staaten darstellt.
Staatsempfang
Krönung einer Königin
Königliche Hochzeit
Demonstration in Dresten
Rede zur Nation
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
5.11. Leere Rituale und Ritualsplitter
Wenn Menschen ein Ereignis aus einem Gefühl der Verpflichtung oder der Unterhaltung
heraus feiern, ohne dem Ereignis eine Bedeutung geben zu können, bezeichnet man das als
„leeres Ritual„. Kirchliche Feiertage sind für viele Menschen zu leeren Ritualen geworden,
weil sie den Sinn des Rituals nicht mehr verstehen und sie durch die veraltete Symbolsprache
nicht mehr angesprochen werden.
Als Ritualsplitter bezeichnet man rituelle Handlungen, denen Merkmale eines echten Rituals
(vgl. Kapitel 4) fehlen. Solche Ritualsplitter können aber miteinander kombiniert und zu einem
Ritual zusammengefügt werden.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
6. Die Ritualplanung
Rituale passieren nicht zufällig, sondern sind ganz bewusst initiierte Handlungen, die ein bestimmtes
Ziel verfolgen. Die Beteiligten erleben einen symbolischen Akt durch die Wahrnehmung
von Körpergefühlen und inneren Bildern. Der oder die Teilnehmer nehmen zwar
freiwillig teil, haben sich dann aber an einen vorgegebenen Ablauf, das Drehbuch, zu halten.
Teilnehmende
Drehbuch
Ort
Timing
Rituale
Leitung
Hilfsmittel
Risiken
Robert Mähr, 2004
6.1. Teilnehmende
Die Zusammenstellung der Teilnehmenden hängt meistens vom gemeinsamen Motiv ab. In
diesem Zusammenhang ist nochmals zu unterstreichen, dass niemand zu einem Ritual gezwungen
werden darf. Die Anzahl der Teilnehmenden muss auf das Ritual abgestimmt werden.
Kirchliche Rituale werden beispielsweise von Millionen von Personen gleichzeitig
durchgeführt. Anderseits gibt es Paare, die ihre Hochzeit in abgeschiedener Zweisamkeit
feiern wollen. Die psychische Belastbarkeit der Teilnehmenden sollte vor Beginn des Rituals
bekannt sein. Im Zweifelsfall sollte labilen Personen vor belastenden Ritualen abgeraten
werden.
6.2. Ort
Rituale können eigentlich an fast jedem Ort auf dieser Welt abgehalten werden, was aber in
den meisten Fällen nicht sehr sinnvoll ist. Durch die Wahl eines speziellen Kraftortes (Kirchen,
heilige Orte, Höhlen, Gewässer, Waldlichtung u. Ä.) kann die Wirkung eines Rituals
verstärkt werden. Es muss dabei berücksichtigt werden, dass diese Plätze auch von anderen
Menschen benutzt werden, was zu Störungen führen kann. Um diese zu vermeiden empfiehlt
sich das Mieten oder Reservieren von geschützten Orten.
6.3. Timing
Viele Rituale sind an eine bestimmte Zeit gebunden. So ist es beispielsweise unsinnig, in der
Nacht ein Sonnenritual abzuhalten. Es gibt aber auch Rituale, wie ein Geburtstagsritual, das
zu einer beliebigen Tages und Nachtzeit abgehalten werden kann. Um die Wirkung von Ritualen
zu verstärken, werden „spezielle Tage“ wie Vollmond, Tag- und Nachtwende u. Ä.
ausgewählt.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
Vor allem für Rituale die in der freien Natur abgehalten werden muss die Wettersituation unbedingt
berücksichtigt werden. Das Wetter hat auch einen direkten Einfluss auf die Beleuchtung
und die Temperatur. Um unliebsame Überraschungen (Abbruch oder nicht Gelingen) zu
vermeiden lohnt sich die Planung eines Alternativrituals. Wenn sich aber im Vorfeld herausstellt,
dass das Timing nicht passt, muss ein Ritual abgesagt oder verschoben werden.
6.4. Hilfsmittel
Zur Verstärkung von Ritualen können verschiedene Hilfsmittel wie Kostüme, Masken, Figuren,
Farben, Stoffe, Räucherutensilien, Speisen, Getränke, Lieder, Tänze, Requisiten, szenische
Hintergründe, Musikinstrumente u. Ä. eingesetzt werden. Für viele Rituale, wie beispielsweise
das Schwitzhüttenritual, muss ein Feuer gemacht und während Stunden überwacht
werden. Dies bedarf einer aufwändigen Vorbereitung, damit genügend trockenes Holz
zur Verfügung steht und notwendigen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden können.
Symbole sind ein Teil des Rituals, die in verschiedenen Funktionen und in unterschiedlicher
Form eingesetzt werden. Diese werden im Gehirn als Bilder abgespeichert und dienen somit
der Verankerung des Ritualereignisses. Da aber schon viele Symbole mit Erinnerungen besetzt
sind kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Symbole bei einigen Teilnehmenden
ungewünschte oder sogar negative Wirkung haben. Weil die Symbole eine sehr
starke Wirkung haben können, muss damit sehr bewusst und auch behutsam umgegangen
werden. Im Vorfeld sollte abgeklärt werden, ob der Einsatz eines bestimmten Symbols nicht
schon mit persönlichen Erinnerungen oder kulturellen Mustern besetzt ist. Beispielsweise ist
das Hackenkreuz in der europäischen Kultur ein tabuisiertes Symbol, nicht aber für die hinduistische.
6.4.1. Amulette
Das Amulett ist ein rituell geladener Kraftgegenstand, der gegen eine bestimmte Situation,
ein mögliches Ereignis oder etwas Ähnliches schützen soll. Diese Schutzfunktion übernehmen
beispielsweise Bänder um Hand- oder Fussgelenk, Halsketten, Steine oder Gegenstände,
die in die Kleider eingenäht werden.
6.4.2. Talisman
Unter einem Talisman verstehen wir auch einen rituell geladenen Kraftgegenstand, der für
eine bestimmte Situation, ein Ereignis oder Ähnliches mit entsprechenden Wünschen geladen
ist. Der Talisman zieht das Gute an und gilt daher auch als Glückbringer. Beispielsweise
gibt es Fussballteams, die während dem Spiel ein Stofftier als Maskottchen (Glücksbringer)
an den Spielrand legen.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
6.5. Drehbuch
So unterschiedlich Rituale auch sein können, sie folgen immer demselben grundlegenden
Aufbau.
Trennungsphase
Loslassen
Übergangsphase
(Chaosphase)
Wiedereingliederung
Neubeginn
Ein einfacher und vorgegebener Ablauf ist eine weitere Voraussetzung für ein Ritual. In diesem
Zusammenhang wird auch von der Choreographie oder dem Setting gesprochen. Allen
Beteiligten sollte im Voraus der Ablauf bekannt sein, da Rituale auf Anhieb funktionieren
müssen. Der Ablauf eines unbekannten oder neuen Rituals muss den Teilnehmenden erklärt
werden. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass das Ritual demonstriert wird. In vielen
Kulturen wurden Rituale auf diese Weise weitergegeben. Interessierte Personen haben bei
der Durchführung zugeschaut und sich auf diese Art den Ablauf eingeprägt.
6.6. Leitung
Persönliche Rituale werden in der Regel nicht von einer Fremdperson geleitet. Hingegen
bedarf es bei Gruppenritualen einer erfahrenen Begleitung. Diese Person ist verantwortlich
für die Vorbereitung und die Bereitstellung der notwendigen Hilfsmittel sowie der Bekanntgabe
und Einhaltung des Ablaufs. Da der Ritualleiter nicht zu den Teilnehmenden gehört, muss
er oder sie sich ganz klar von diesen abgrenzen. Dazu kann eine besondere Kleidung wie
zum Beispiel ein Priestergewand, eine spezielle Gestik, Mimik und Sprache oder eine Maske
eingesetzt werden. Um diese Abgrenzung sichtbar zu machen nimmt die Ritualleitung während
der Durchführung einen speziellen Platz ein (vergleiche Kanzel in der Kirche).
Drehbuch erstellen
Evaluation des Ortes
Risikoanalyse
Einladung
Beschaffung Hilfmittel
Aufgaben Ritualleitung
Bereitstellung der Hilfmittel
Einrichten des Ortes
Bekanntgabe des Ablaufs
Begleitung des Ablaufs
Robert Mähr, 2004
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
6.7. Risiken
Rituale wirken in den meisten Fällen aufs Unterbewusstsein der Beteiligten. Auch nicht therapeutische
Rituale lösen emotionale Reaktionen aus, was sehr wohl beabsichtigt wird. Vor
allem bei psychisch labilen Personen muss immer damit gerechnet werden, dass ein Ritual
ungewollte Reaktionen auslösen kann. Wenn trotz gründlicher Vorabklärung eine negative
Wirkung erkennbar ist muss eine Fachperson beigezogen werden.
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
7. Checkliste: Ritualplanung
Motiv
Wozu soll ein Ritual abgehalten?
Gibt es Alternativen?
Ziel
Was soll damit erreicht werden?
Was muss vermieden werden?
Teilnehmende
Wer sind die Teilnehmenden?
Was kann den TN zugemutet werden?
Aufbau
Drehbuch, Setting
Worst-Case-Szenario
Ort
Gibt es potentielle Störungs- und Gefahrenquellen?
Alternativplätze?
Timing
Wann kann das Ritual abgehalten werden?
Wie lange dauert das Ritual?
Welche Wettereinflüsse müssen berücksichtigt werden?
Hilfsmittel
Räucherwerk
Kerzen, Fackeln, Feuer
Instrumente, Musik
Requisiten, Kostüme, Masken
Lieder, Tänze
Speisen, Getränke
Symbolgegenstände
Leitung
Braucht es Hilfskräfte?
Wie kann ich mich von den TN abgrenzen?
Welche Kleidung ist angebracht?
Risiken
Mit welchen Gefahren ist zu rechnen?
Wen kann ich um Rat fragen?
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
8. Ritualbeispiele
In der folgenden Tabelle werden Rituale aufgelistet, die in den entsprechenden Büchern ausführlich
beschrieben werden. Die letzte Spalte referenziert auf das entsprechende Buch im
folgenden Literaturverzeichnis (vgl. Kapitel 9).
Ritualbezeichnung
Persönlich
1. Ämter x i
2. Arbeitsbeginn x x k
3. Ausgleichsritual in Paarbeziehungen
4. Auszug aus dem Elternhaus x x k
5. Beförderung x x x k
6. Beginn der Lehrzeit / Studium x x k
7. Behandlung x k
8. Beichte x x b
9. Berufswahl x x k,q
10. Besensprung x q
11. Brief an das kranke Kind x i
12. Divali x i
13. Durchtrennen der Lebensfäden x q
14. Erzählstein x i
15. Farbbänder für den Gesprächskreis x i
16. Fehlgeburt x x k
17. Feuerritual, schamanisches x u
18. Fruchtbarkeitsritual x x a
19. Geburtstagsritual x x g
20. Geldritual x x a
21. Granatapfelfest x q
22. Heilung der Erde x X q
23. Herbst der Fruchtbarkeit x q
24. Herbsttagundnachtgleiche x q
25. Himmelsrichtungen x q
26. Hochzeitsritual x g
27. Informationsritual x x j
28. Initiation für den wilden Mann x q
Übergang
Kirchen
Heilung
Jahreskreis
Familien
x
Geschäft
Schule
Politisch
Literaturhinweise
s
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
Ritualbezeichnung
Persönlich
29. Integrationsritual x j
30. Jugendweihe x x k
31. Kerzenritual x a
32. Kerzenzauber x x e
33. Kraftritual x j
34. Kreativ-Ritual x g
35. Liebe x q
36. Magische Tänze x X x x x x t
37. Martini x q
38. Meditation x X p
39. Mondfest x t
40. Mondmeditation x x p
41. Montagsbilder x i
42. Morgenritual x g
43. Neumond x q
44. Phantasiereisen x i
45. Runenorakel x r
46. Schutzritual zur Heilung x x j
47. Schutzritual für zu Hause x x a
48. Schwangerschaft x x k
49. Schwitzhütte x x q
50. Segnungsritual x x j
51. Selbstsegnung x q
52. Smudging x x q
53. Sonnenfest t
54. Steinkreisritual x j
55. Stellenwechsel x x x k
56. Sterben x k
57. Tagesmischung x i
58. Trauer x x k
59. Trauerritual x j,g
60. Traumkreis x j
61. Traumpfade x u
Übergang
Kirchen
Heilung
Jahreskreis
Familien
Geschäft
Schule
Politisch
Literaturhinweise
September 2004 / R. Mähr 30 / 34

Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
Ritualbezeichnung
Persönlich
62. Trauung x k
63. Trennung / Scheidung x x k
64. Verlobung x k
65. Visionssuche x x x l
66. Visualisierung der liegenden Acht x j
67. Vollmond x q
68. Vollmondfest x x t
69. Wachstumsritual x k
70. Wiederaufladen mit Energie x x j
71. Wohnsitzwechsel x x q
72. Wutritual x j
73. Zubettgehritual x q
74. Zurückrufen der Seele x x j
75. Zweisamkeits-Ritual x g
Übergang
Kirchen
Heilung
Jahreskreis
Familien
Geschäft
Schule
Politisch
Literaturhinweise
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
9. Literaturhinweise
a Bónya, Melissa: Amulette und magische Rituale
b Bovenschen, Silvia / Bong Jörg: Rituale des Alltags, 2002
c Caduff Corina / Pfaff-Czarnecka, Johanna, 2001 2. Aufl.
d Douglas Mary: Rituale, Tabu und Körpersymbolik, 1998
e Dubats, Sally: Das Praxisbuch der neuen Magie, 2002
f Gilligan, Stephen G.: Therapeutische Trance, 1995, 2. Aufl.
g Herriger, Catherine: Wie Rituale unser Leben Bestimmen, 1998
h Herringer, Catherine: Die Kraft der Rituale. Macht und Magie unbewusster Botschaften
im Alltag, 1993
i Kaiser, Astrid: 1000 Rituale für die Grundschule, 2003, 3. Aufl.
j Kampenhout, Daan van: Heilende Rituale, 4. Auflage 2000
k Kiss, Kathrin: Brücken und Flügel, 1999
l Koch-Weser, Sylvia / v. Lüpke, Geseko: Vision Quest, 2000
m Theweleit, Klaus: Männerphantasien 1 + 2, 2002 2. Aufl.
n Van der Hart, Onno: Abschied nehmen: Abschiedsrituale in der Psychotherapie, 1982
o von Sydow, Dr. K.: Rituale, 15.7.03
p Von Weltzien, Diana: Das grosse Praxisbuch der Esoterik, 1992
q Von Weltzien, Diana: Praxisbuch der Rituale, 1997, 2. Auflage
r Warneck, Igor: Runengeflüster, 1999, 2. Aufl.
s Welter-Enderlin, Rosmarie / Hildenbrand Bruno: Rituale, Vielfalt in Alltag und Therapie,
2002
t Yan d’ Albert, Das Buch der magischen Feste, 2003
u Zumstein, Carlo: Der schamanische Weg des Träumens, 2003
9.1. Homepages
www.ostern-online.de
www.osterseiten.de
www.heiligenlexikon.de
www.theology.de
www.feiertagsseiten.de
www.keltoi.ch
www.barbara-schoog.de
www.aubonsens.ch
www.rpi-loccum.de
www.ritualdynamik.uni-hd.de
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
10. Anhang
10.1. Christliche Feiertage
Die folgende Aufstellung ist nicht vollständig, da die verschiedenen christlichen Gemeinschaften angepasst
an ihre kulturellen Wurzeln unterschiedliche Feiertage zelebrieren. Da die protestantischen
Christen die Heiligsprechung des Papstes nicht akzeptierten wurden die entsprechenden Feiertage in
der reformierten Kirche abgeschafft.
Name Erklärung Datum Analogien
Neujahr Julius Cäsar hat 46 den 1.
März als Neujahrsbeginn
abgelöst
1. Januar Janus
Epiphanie
Heilige Dreikönige
Erscheinung, Offenbarwerdung
Christus
6. Januar
Mariä Lichtmess Christliches Fest 2. Februar Imbolc oder Candlemas
= keltisches
Lichtfest
Valentinstag
wird zurückgeführt auf den
heiligen St. Valentin, Bischof
von Terni
14. Februar
Fastenzeit
40 Fastentage von Christus,
nach der Taufe im Jordan,
werden nachgeahmt.
Aschermittwoch
- Karsamstag
Palmsonntag – Prozession
(Konfirmationssonntag)
Beginn der Karwoche mit der
Feier des Einzugs Christus in
Jerusalem
Sonntag vor Ostern
Frühlingsbrauchtum
Karfreitag Tag der Kreuzigung Christus Freitag vor Ostern
Ostern
Die Auferstehung Christus
wird gefeiert.
Ostara, germanische
Göttin der Morgenröte
Passah-Fest
Auffahrt
Vatertag
Die Himmelfahrt Christus
wurde vor allem im Mittelalter
zelebriert.
40 Tage nach
Ostern
Hochfest Verkündigung
des Herrn
Zeugung Christus
25. März
Pfingsten
Der Wille Gottes zur Versöhnung
der Menschen ist für die
Protestanten ein besonders
wichtiges Fest.
Ende der österlichen Zeit und
Geburt der Kirche.
50 Tage nach
Ostern
jüdischer Festkalender
Muttertag
1907 durch Miss Anna Jarvis
aus Philadelphia, USA erfunden.
Im Mittelalter wurde in
2. Sonntag im
Mai
Inghean Bhuide, keltischer
Sommeranfang
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Rituale: Ein Erklärungsversuch V2
Name Erklärung Datum Analogien
England der Mutter Kirche
gedacht.
Frohnleichnahm
Johannistag
Maria Himmelfahrt
Allerheiligen
Allerseelen
St. Martin
St. Niklaus
Advent
Am 11.8.1264 durch Papst
Urban IV eingeführt.
Fest zu Ehren Johannes des
Teufers oder Johannes Babtist
Aufnahme Marias in den
Himmel
Gedenkfest an die Verstorbenen,
eingeführt von Papst
Gregor IV, 835
Erlösung der Seelen der Verstorbenen
Gedenken an den römischen
Offizier Martinius von Tours,
der späterer zum Bischoff
geweiht wurde und als einer
der ersten heilig gesprochen
wurde.
Verehrung des heiligen Nikolaus,
an dem die Kinder beschenkt
werden.
24. Juni Sommersonnwende
15. August Mond- und Waldfeste
1. November Samhain, keltisches
Neujahrsfest, Halloween
11. November Hekate, grosse Göttin
der Hexen
6. Dezember
4 Wochen vor
Weihnachten
Heiliger Abend
Weihnacht
Geburt Christus
Geschenke an Weihnachten
wurden von Martin Luther
eingeführt, weil der Heiligenkult
in der evangelischen
Kirche abgeschafft wurde.
24. / 25. Dezember
Wintersonnwende
Stephanstag
Verehrung des ersten Märtyrers
Stephanus
26. Dezember
Silvester
Gedenken an Papst Silvester,
der am 31. Dezember
335 gestorben ist.
31. Dezember Der Jahreswechsel
wird in allen Kulturen
an unterschiedlichen
Daten gefeiert.
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