Volker Gerloff, Rechtsanwalt, Berlin
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Die Politik der Überwachung und Bestrafung – Das Überleben als Straftat<br />
Residenzpflicht und andere Verbote<br />
<strong>Volker</strong> <strong>Gerloff</strong>, <strong>Rechtsanwalt</strong>, <strong>Berlin</strong><br />
Flüchtlingsorganisationen haben den Slogan geprägt „Flucht ist kein Verbrechen“. In<br />
der Realität lässt das Verhalten von Behörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten<br />
jedoch oft darauf schließen, dass Flucht eines der schwersten Verbrechen überhaupt<br />
ist.<br />
Flüchtlinge sind in Deutschland einer Vielzahl von Repressionsmechanismen<br />
unterworfen. Zu nennen sind hier insbesondere die Lagerunterbringung,<br />
Arbeitsverbote, sozialrechtliche Sanktionen, diverse Strafrechtsnormen zur<br />
Sanktionierung von Mitwirkungsverstößen und die so genannte Residenzpflicht. Nicht<br />
zu vergessen sind freilich auch die Sondergesetze, die die Rechte der Flüchtlinge im<br />
Verwaltungsverfahren und im Gerichtsprozess erheblich beschränken.<br />
Zum Symbol für die rassistischen Sondergesetze gegen Flüchtlinge ist die<br />
Residenzpflicht geworden. Asylbewerber und abgelehnter Asylbewerber ohne<br />
Aufenthaltstitel (Geduldete) unterliegen dieser Residenzpflicht. Das bedeutet, dass<br />
Asylbewerber grundsätzlich den ihnen zugewiesenen Landkreises nicht verlassen<br />
dürfen, während Geduldete das ihnen zugewiesene Bundesland nicht verlassen<br />
dürfen. Diese räumlichen Beschränkungen – umgangssprachlich Residenzpflicht<br />
genannt – gelten per Gesetz. Ein Verlassen der räumlichen Beschränkung ist nur mit<br />
Erlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde möglich. Die Praxis der<br />
Ausländerbehörden bei der Erteilung dieser Erlaubnisse ist sehr unterschiedlich.<br />
Einige Ausländerbehörden – beispielsweise in <strong>Berlin</strong> – Verlangen sogar Gebühren<br />
für diese Verlassenserlaubnisse. Anzumerken ist aber, dass die meisten<br />
Bundesländer durch Lockerungen der Residenzpflicht versuchen, den regionalen<br />
Absurditäten entgegenzuwirken. Das ist jedoch nur sehr beschränkt möglich und<br />
führt im Ergebnis zu einem sehr verwirrenden Flickensteppich an Regelungen,<br />
Ausnahmeregelungen und weiteren Ausnahmeregelungen zu den<br />
Ausnahmeregelungen.<br />
Die starre gesetzliche Regelung, der Beschränkung auf einen Landkreis oder ein<br />
Bundesland führt oft zu grotesken Konsequenzen. So darf beispielsweise ein<br />
Geduldeter aus Brandenburg <strong>Berlin</strong> nicht betreten, obwohl <strong>Berlin</strong> mitten in<br />
Brandenburg liegt und bei einer Zugfahrt von einem Ort in Brandenburg zu einem<br />
anderen Ort in Brandenburg fast immer <strong>Berlin</strong> durchquert werden muss. Solche<br />
Absurditäten entstehen auch immer dann, wenn das Lager, in dem der Flüchtling<br />
untergebracht ist, am Rand eines Bundeslandes liegt. So darf beispielsweise ein<br />
Flüchtling aus Halle (in Sachsen-Anhalt) nicht mit der S-Bahn nach Leipzig (in<br />
Sachsen) fahren, während er ohne Probleme fast 200 km in den Norden nach<br />
Salzwedel fahren darf, da das weit entfernte Salzwedel eben noch im gleichen<br />
Bundesland liegt, während das nahe Leipzig schon in einem anderen Bundesland<br />
liegt.<br />
Durch die Regelung der Residenzpflicht kommt es regelmäßig zum racial-profiling bei<br />
Polizeikontrollen. Insbesondere auf Bahnhöfen und an den Grenzen der
Bundesländer finden verstärkt Polizeikontrollen gegen Flüchtlinge bzw. gegen<br />
Personen, die in den Augen der Polizisten wie Flüchtlinge aussehen, statt. Das führt<br />
in der Praxis dazu, dass europäisch aussehende Flüchtlinge faktisch nicht von der<br />
Residenzpflicht betroffen sind. Betroffen sind fast ausschließlich nicht-weiße<br />
Flüchtlinge.<br />
Die deutsche Residenzpflicht ist einzigartig in Europa und begegnet erheblichen<br />
rechtlichen Bedenken. Durch die Gerichte wird der offensichtliche Verstoß gegen die<br />
Verfassung stets damit gerechtfertigt, dass die Residenzpflicht notwendig sei, um<br />
das Asylverfahren zu schützen und zu beschleunigen. Mir ist jedoch kein einziges<br />
Asylverfahren bekannt, in dem die Residenzpflicht irgendeinen Effekt gehabt hätte.<br />
Eine weitere Rechtfertigung der Gerichte ist, dass die Freizügigkeit im Grundgesetz<br />
ausschließlich für deutsche Staatsangehörige gilt. Damit dürften sich die Flüchtlinge<br />
auf dieses Grundrecht nicht berufen.<br />
Auch die EMRK steht der deutschen Residenzpflicht entgegen. In Art. 2 Nr. 1 EMRK<br />
4. Zusatzprotokoll ist geregelt: „Jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet<br />
eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz<br />
frei zu wählen.“. Asylbewerber haben in Deutschland einen legalen Aufenthalt, so<br />
dass sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhalten und damit auch das<br />
Freizügigkeitsrecht genießen dürfen. Der EGMR hat jedoch am 20.11.2007<br />
entschieden, dass die deutsche Residenzpflicht mit der EMRK vereinbar sei (EGMR,<br />
Entscheidung zur Beschwerde Nr. 44294/04 v. 20.11.2007). Dabei wurde konstruiert,<br />
dass der Aufenthalt für Asylbewerber in Deutschland nur für den Bereich der<br />
räumlichen Beschränkung rechtmäßig sei und damit die Freizügigkeit auch nur in<br />
diesem Bereich gelten könne. Damit wurde letztlich die Rechtmäßigkeit der<br />
Residenzpflicht mit der Existenz der Residenzpflicht gerechtfertigt. Hier gilt es, diese<br />
Fehlentscheidung in der Zukunft zu korrigieren.<br />
Schließlich verstößt die Residenzpflicht auch gegen die Regelungen der<br />
Aufnahmerichtlinie (AufnRL – Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 zur<br />
Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den<br />
Mitgliedstaaten). Diese Richtlinie gilt sowohl für Asylbewerber als auch für<br />
Geduldete. Grundsätzlich lässt die AufnRL die Verfügung einer Residenzpflicht zu<br />
(Art. 7 Abs. 1). Dabei wird jedoch verlangt, dass die Residenzpflicht die<br />
unveräußerliche Privatsphäre nicht beeinträchtigen darf und hinreichend Spielraum<br />
dafür bieten muss, dass die Vorteile aus der Richtlinie in Anspruch genommen<br />
werden können. Daraus muss gefolgert werden, dass eine starre gesetzliche<br />
Regelung zur Beschränkung auf einen Landkreis oder ein Bundesland nicht zulässig<br />
ist, da so keine Prüfung im Einzelfall bezüglich der unveräußerlichen Privatsphäre<br />
und der Inanspruchnahme der Vorteile aus der Richtlinie möglich ist. Die Richtlinie<br />
erlaubt also nur im Einzelfall und nach einer Einzelfallentscheidung die Einrichtung<br />
einer Residenzpflicht.<br />
Interessant ist hier auch, dass Art. 16 Abs. 1 Bst. a) AufnRL verwaltungsrechtliche<br />
Sanktionen für einen Verstoß gegen die Residenzpflicht vorsieht. Der deutsche<br />
Gesetzgeber ahndet jedoch den 1. Verstoß gegen die Residenzpflicht als<br />
Ordnungswidrigkeit und alle weiteren Verstöße als Straftat. Wenn jedoch der<br />
europäische Gesetzgeber eine Wertentscheidung dahingehend getroffen hat, dass
ei einem Verstoß gegen die Residenzpflicht bestenfalls ein Ordnungsunrecht<br />
vorliegt, so dass der deutsche Gesetzgeber kein strafwürdiges Unrecht konstruieren.<br />
Strafwürdig ist schließlich nur ein Verhalten, welches für das Zusammenleben der<br />
Gesellschaft unerträglich erscheint und deshalb mit Strafe bedroht werden muss. Mir<br />
konnte auch noch keine Behörde und kein Gericht erklären, was so unerträglich<br />
daran sein soll, wenn sich ein Flüchtling vorübergehend aus seinem Landkreis oder<br />
seinem Bundesland entfernt.<br />
Klar abzugrenzen ist die Residenzpflicht von Wohnsitzauflagen. Die Wohnsitzauflage<br />
verpflichtet den Flüchtling in einer bestimmten Unterkunft seinen Wohnsitz zu<br />
nehmen. Die Residenzpflicht knüpft nur daran an und verbietet das Verlassen des<br />
Landkreises oder des Bundeslandes, in dem dieser Wohnsitz liegt. Das Gesetz sieht<br />
vor, dass Flüchtlinge in der Regel in Lagern untergebracht werden sollen, wobei die<br />
offizielle Bezeichnung „Gemeinschaftsunterkünfte“ lautet. In den meisten<br />
Bundesländern gibt es jedoch keine Abweichung von dieser Regel, so dass<br />
Flüchtlinge fast ausschließlich in Lagern untergebracht sind. Für die ersten 3 Monate<br />
des Aufenthalts handelt es sich dabei um Erstaufnahmeeinrichtungen und erst<br />
danach erfolgt die Verteilung auf die Lager bzw. Gemeinschaftsunterkünfte. Diese<br />
Lager sind oft baufällige Gebäude außerhalb jeder Wohnbebauung. Die Zustände<br />
dort sind oft katastrophal und entsprechen in keiner Weise einer menschenwürdigen<br />
Unterbringung. Wenn Ausländer aus Sicht der Behörden ihre Ausreise vorsätzlich<br />
verhindern, besteht für die Bundesländer auch die Möglichkeit,<br />
Ausreiseeinrichtungen zu errichten. Dabei handelt es sich um verschärfte Lager, in<br />
denen das Leben so unerträglich gemacht werden soll, dass die<br />
„Ausreisebereitschaft“ steigt.<br />
Weitere wichtige Bausteine der Repression gegen Flüchtlinge sind die<br />
sozialrechtlichen Sanktionen. Es gelten auch hier Sondergesetze, so dass<br />
Flüchtlinge nicht die gleichen Sozialleistungen erhalten, wie alle anderen bedürftigen<br />
Bewohner des Landes. Zudem gilt das so genannte Sachleistungsprinzip. Das<br />
bedeutet, dass die Bundesländer die Sozialleistungen nicht in Geld erbringen<br />
müssen, sondern beispielsweise Essenspakete austeilen usw.. neben dem<br />
Sachleistungsprinzip gelten einige weitere drastische Sanktionsmöglichkeiten, auf die<br />
hier aber nicht weiter eingegangen werden kann.