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Volker Gerloff, Rechtsanwalt, Berlin

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Bundesländer finden verstärkt Polizeikontrollen gegen Flüchtlinge bzw. gegen<br />

Personen, die in den Augen der Polizisten wie Flüchtlinge aussehen, statt. Das führt<br />

in der Praxis dazu, dass europäisch aussehende Flüchtlinge faktisch nicht von der<br />

Residenzpflicht betroffen sind. Betroffen sind fast ausschließlich nicht-weiße<br />

Flüchtlinge.<br />

Die deutsche Residenzpflicht ist einzigartig in Europa und begegnet erheblichen<br />

rechtlichen Bedenken. Durch die Gerichte wird der offensichtliche Verstoß gegen die<br />

Verfassung stets damit gerechtfertigt, dass die Residenzpflicht notwendig sei, um<br />

das Asylverfahren zu schützen und zu beschleunigen. Mir ist jedoch kein einziges<br />

Asylverfahren bekannt, in dem die Residenzpflicht irgendeinen Effekt gehabt hätte.<br />

Eine weitere Rechtfertigung der Gerichte ist, dass die Freizügigkeit im Grundgesetz<br />

ausschließlich für deutsche Staatsangehörige gilt. Damit dürften sich die Flüchtlinge<br />

auf dieses Grundrecht nicht berufen.<br />

Auch die EMRK steht der deutschen Residenzpflicht entgegen. In Art. 2 Nr. 1 EMRK<br />

4. Zusatzprotokoll ist geregelt: „Jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet<br />

eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz<br />

frei zu wählen.“. Asylbewerber haben in Deutschland einen legalen Aufenthalt, so<br />

dass sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet aufhalten und damit auch das<br />

Freizügigkeitsrecht genießen dürfen. Der EGMR hat jedoch am 20.11.2007<br />

entschieden, dass die deutsche Residenzpflicht mit der EMRK vereinbar sei (EGMR,<br />

Entscheidung zur Beschwerde Nr. 44294/04 v. 20.11.2007). Dabei wurde konstruiert,<br />

dass der Aufenthalt für Asylbewerber in Deutschland nur für den Bereich der<br />

räumlichen Beschränkung rechtmäßig sei und damit die Freizügigkeit auch nur in<br />

diesem Bereich gelten könne. Damit wurde letztlich die Rechtmäßigkeit der<br />

Residenzpflicht mit der Existenz der Residenzpflicht gerechtfertigt. Hier gilt es, diese<br />

Fehlentscheidung in der Zukunft zu korrigieren.<br />

Schließlich verstößt die Residenzpflicht auch gegen die Regelungen der<br />

Aufnahmerichtlinie (AufnRL – Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 zur<br />

Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den<br />

Mitgliedstaaten). Diese Richtlinie gilt sowohl für Asylbewerber als auch für<br />

Geduldete. Grundsätzlich lässt die AufnRL die Verfügung einer Residenzpflicht zu<br />

(Art. 7 Abs. 1). Dabei wird jedoch verlangt, dass die Residenzpflicht die<br />

unveräußerliche Privatsphäre nicht beeinträchtigen darf und hinreichend Spielraum<br />

dafür bieten muss, dass die Vorteile aus der Richtlinie in Anspruch genommen<br />

werden können. Daraus muss gefolgert werden, dass eine starre gesetzliche<br />

Regelung zur Beschränkung auf einen Landkreis oder ein Bundesland nicht zulässig<br />

ist, da so keine Prüfung im Einzelfall bezüglich der unveräußerlichen Privatsphäre<br />

und der Inanspruchnahme der Vorteile aus der Richtlinie möglich ist. Die Richtlinie<br />

erlaubt also nur im Einzelfall und nach einer Einzelfallentscheidung die Einrichtung<br />

einer Residenzpflicht.<br />

Interessant ist hier auch, dass Art. 16 Abs. 1 Bst. a) AufnRL verwaltungsrechtliche<br />

Sanktionen für einen Verstoß gegen die Residenzpflicht vorsieht. Der deutsche<br />

Gesetzgeber ahndet jedoch den 1. Verstoß gegen die Residenzpflicht als<br />

Ordnungswidrigkeit und alle weiteren Verstöße als Straftat. Wenn jedoch der<br />

europäische Gesetzgeber eine Wertentscheidung dahingehend getroffen hat, dass

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