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Ausgrenzen Erfassen Vernichten - Johann-August-Malin-Gesellschaft

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Die "Behandlung" der Leprakranken im Mittelalter kann eben nur als<br />

ein Ausgrenzungsritus verstanden werden. Über die Ausgegrenzten und<br />

ihre Krankheiten kursieren immer wieder medizinisch nicht haltbare Behauptungen;<br />

so gelten etwa die Leprakranken als besonders sinnlich,<br />

findet sich bereits bei den Arabern der Glaube an die Entstehung der<br />

Lepra durch Zeugung während der Menstruation; und Paracelsus nahm<br />

an, Lepra könne in Syphilis übergehen (5). All dies verweist auf die Zuweisung<br />

negativ verstandener und daher ausgegrenzter Bereiche des Alltags<br />

der Mehrheitsbevölkerung auf die Leprakranken. Deren Isolierung macht<br />

unter dieser Annahme sehr wohl "Sinn": die projektive Verurteilung eigenen<br />

verdrängten Verhaltens an einem "Sündenbock". Dies wird besonders<br />

deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, daß die Leprösen ähnlich<br />

wie die Juden beschuldigt wurden, Verschwörungen gegen die "Gesunden"<br />

anzuzetteln, die Herrschaft ergreifen zu wollen, sich sogar mit<br />

muslimischen Fürsten verbündet zu haben (6).<br />

Lepra eignet sich dazu besonders, weil sie sichtbare Verstümmelungen<br />

hinterläßt und bei den Gesunden Ekel hervorruft. Dies läßt einen<br />

uralten Zusammenhang aktiv werden,jenen nämlich zwischen Krankheit<br />

und Schuld. Gerade Aussatz wird als äußeres Zeichen einer inneren<br />

Schuld verstanden. In diesem Sinne ist der Aussatz das Paradigma<br />

einer "schmutzigen" Krankheit, äußeres Zeichen innerer Verworfenheit,<br />

somit der Gerechtigkeit Gottes (der die Bösen schlägt) und der personalen<br />

Anwesenheit des Bösen in der Welt. Es ist wahrscheinlich, daß die Ausbildung<br />

dieses Paradigmas noch auf eine tiefere Schicht von Fluchtreflexen<br />

verweist (Berührungsangst und "böser Blick"). Zu den "schmutzigen"<br />

Krankheiten zählten ursprünglich auch die Geisteskrankheiten und die<br />

Epilepsie (7).<br />

Die Verunreinigung aber, die durch eine solche Krankheit entsteht, ist<br />

eine spirituelle. Sie gehört in dem alttestamentarischen Rahmen, auf den<br />

immer wieder Bezug genommen wird, zu den durch die unmittelbare Anwesenheit<br />

Gottes notwendigen Reinheitsgeboten.<br />

"Um rein zu werden, mußte man sich einem Reinigungsvorgang unterziehen,<br />

der zumindest im Waschen des Leibes und der Kleider bestand,<br />

zu dem aber bei siebentägiger und noch längerer Unreinheit noch andere<br />

Reinigungen und Opfer kamen. Unreinheit trat ein durch Berührung mit<br />

einem menschlichen Leichnam und tierischem Aas, durch den Aussatz,<br />

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