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Mouhanad Khorchide »Gott ist kein Diktator«

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DIE ZEIT, 4. Oktober 2012, Nr. 41<br />

<strong>Mouhanad</strong> <strong>Khorchide</strong> <strong>»Gott</strong> <strong>ist</strong> <strong>kein</strong> <strong>Diktator«</strong><br />

<strong>Mouhanad</strong> <strong>Khorchide</strong><br />

<strong>Mouhanad</strong> <strong>Khorchide</strong> wurde 1971 als Sohn palästinensischer Flüchtlinge im Libanon<br />

geboren. Die Familie zog später ins streng religiöse Saudi-Arabien, wo <strong>Khorchide</strong> die Schule<br />

besuchte. Da er als Ausländer dort nicht studieren durfte, lernte <strong>Khorchide</strong> Deutsch, in der<br />

Hoffnung, eine Universität in Deutschland besuchen zu können. Als rechtlich »Staatenloser«,<br />

so berichtet <strong>Khorchide</strong>, habe er allerdings <strong>kein</strong> Visum für die Bundesrepublik bekommen; er<br />

ging nach Österreich. Als 18-jähriger kam er 1989 nach Wien, studierte Soziologie und<br />

islamische Theologie und wurde österreichischer Staatsbürger. 2006 begann er seine<br />

Lehrkarriere mit dem Schwerpunkt Islam in Europa , zunächst in Wien, später auch im<br />

Ausland. In seiner Doktorarbeit beschäftigte sich <strong>Khorchide</strong> mit den Einstellungen islamischer<br />

Religionslehrer in Österreich. Dabei stellte er unter anderem fest, dass gut 30 Prozent von<br />

ihnen rechtsstaatliche Prinzipien ablehnten. Seit Juli 2010 hat <strong>Khorchide</strong> die Professur für<br />

islamische Religionspädagogik an der Universität Münster inne. Mitte Oktober erscheint<br />

<strong>Khorchide</strong>s neues Buch »Islam <strong>ist</strong> Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion« im<br />

Herder-Verlag.<br />

Der Koran wurde bislang falsch interpretiert, sagt <strong>Mouhanad</strong> <strong>Khorchide</strong>. Der<br />

Theologe fordert eine Befreiung des Glaubens<br />

DIE ZEIT: Professor <strong>Khorchide</strong>, was hat das Mohammed-Schmähvideo bei Ihnen<br />

ausgelöst?<br />

<strong>Mouhanad</strong> <strong>Khorchide</strong>: Ich fand es langweilig und geschmacklos. Da ich den<br />

Propheten Mohammed im Video nicht wiedererkannt habe, habe ich mich als Muslim<br />

nicht angesprochen gefühlt.<br />

ZEIT: Vielen Muslimen fällt diese Herangehensweise schwer, was raten Sie ihnen?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Ignorieren, nicht provozieren lassen. Provokation <strong>ist</strong> genau das Ziel –<br />

und die Muslime fallen immer wieder darauf rein.<br />

ZEIT: Warum reagieren Muslime so auf Beleidigungen des Propheten, anders als<br />

Jesus hat er doch <strong>kein</strong>en göttlichen Status?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Das Problem liegt woanders. Bei solchen Anlässen entlädt sich bei<br />

Muslimen eine aufgestaute Wut. Das Video <strong>ist</strong> nicht die Ursache der Aufregung, nur<br />

der Anlass. Das islamische kollektive Gedächtnis <strong>ist</strong> noch von Kreuzzügen, der<br />

Kolonialzeit und der als Ungerechtigkeit im Nahen Osten empfundenen Politik<br />

geprägt, den Kriegen im Irak und in Afghan<strong>ist</strong>an.<br />

ZEIT: Sie haben gerade ein neues Buch geschrieben, darin bezeichnen Sie den<br />

Koran als Liebesbrief Gottes an die Menschen. Wie kommen Sie zu dieser Lesart?<br />

Für gewöhnlich wird der Koran als mächtiges Buch beschrieben, im Westen auch als<br />

gefährliches.<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die Frage <strong>ist</strong>: Von welchem Gottesbild sprechen wir? Viele Muslime<br />

gehen von einem Gott aus, der verherrlicht werden will, der Anordnungen schickt und<br />

der kontrolliert, wer sich daran hält. Wer gehorcht, wird belohnt, wer es nicht tut,<br />

bestraft. Das <strong>ist</strong> aber ein Verständnis von Gott, das dem eines Stammesvaters<br />

gleicht, dem man nicht widersprechen darf. Viele Muslime sehen den Koran<br />

entsprechend als ein Regelbuch.<br />

ZEIT: Sie sehen das anders?<br />

1


<strong>Khorchide</strong>: Ich habe den Koran anders gelesen. Gott <strong>ist</strong> <strong>kein</strong> archaischer<br />

Stammesvater, <strong>kein</strong> Diktator. Warum beginnen 113 von 114 Suren mit der Formel<br />

»Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allerbarmers«? Das muss doch einen<br />

Grund haben. Der koranische Gott stellt sich als liebender Gott vor. Deshalb <strong>ist</strong> die<br />

Beziehung zwischen Gott und Mensch eine Liebesbeziehung, ähnlich wie die<br />

zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Ich möchte, dass sich die Muslime befreien<br />

von dem Bild eines archaischen Gottes, das einem in vielen Moscheen, im<br />

Religionsunterricht oder während der theologischen Ausbildung suggeriert wird.<br />

ZEIT: Sie meinen, die islamische Theologie hat über Jahrhunderte hinweg eine<br />

falsche Bedienungsanleitung für den Koran geliefert?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die heutige islamische Theologie <strong>ist</strong> zumindest einseitig. Sie geht von<br />

einer Herr-Knecht-Beziehung aus. Die Reformer, die den Koran anders<br />

interpretieren, den Islam nicht als reine Gesetzesreligion sehen, konnten sich<br />

allerdings bisher nicht durchsetzen.<br />

ZEIT: Warum nicht?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Das hat auch politische Gründe. Viele Machthaber der islamischen<br />

Reiche haben sich den Titel »Schatten Gottes auf Erden« verliehen. Sie machten<br />

damit klar: Wer dem Herrscher widerspricht, widerspricht Gott. Damit das Volk<br />

gefügig bleibt, ließen sie das Bild eines Gottes konstruieren, dem Gehorsam über<br />

alles geht. Das spielt bis heute in einem diktatorischen Staat wie Saudi-Arabien eine<br />

wichtige Rolle: Jede Opposition wird nicht nur als weltliche Opposition, sondern als<br />

Opposition hingestellt, die sich gegen Gott richtet.<br />

ZEIT: Im Chr<strong>ist</strong>entum gab es ja auch das Konzept des Gottesgnadentums, trotzdem<br />

hat sich eine andere Lesart der Bibel durchgesetzt. Warum nicht im Islam?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Nicht wenige Theologen haben sich mit den Machthabern verbündet,<br />

wie die Gelehrten der Salaf<strong>ist</strong>en in Saudi-Arabien. Denn auch sie profitierten von<br />

einem Islam als jur<strong>ist</strong>ischem Regelwerk. Die Menschen sind auf sie angewiesen,<br />

wenn sie Fragen haben, was sie dürfen und was nicht. Da greifen repressive<br />

Strukturen ineinander. Im Chr<strong>ist</strong>entum <strong>ist</strong> es gelungen, diese Entmündigung des<br />

Gläubigen zu überwinden. Das <strong>ist</strong> im Islam noch nicht ganz der Fall.<br />

ZEIT: Sehen Sie sich als Aufklärer?<br />

<strong>Khorchide</strong>: So würde ich das nicht sagen. Verwendet man Begriffe aus dem<br />

europäischen Kontext heraus, wird man verdächtigt, man wolle dem Islam etwas<br />

Fremdes überstülpen. Die Veränderung kann nur von innen heraus kommen. Wir<br />

brauchen <strong>kein</strong>e Aufklärung, wie wir sie aus Europa kennen. Wohl aber eine Reform,<br />

die die Mündigkeit und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der<br />

Koran selbst tut das übrigens.<br />

ZEIT: Im Koran <strong>ist</strong> auch viel von der Hölle die Rede. Wie passt das zur<br />

Barmherzigkeit?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die Hölle <strong>ist</strong> nichts anderes als die Konfrontation mit den eigenen<br />

Verfehlungen. Sie <strong>ist</strong> <strong>kein</strong>e Strafe, die von außen kommt. Eine berühmte Mystikerin<br />

sagte einmal: »Am liebsten möchte ich das Höllenfeuer löschen und das Paradies<br />

mit Feuer anzünden, damit die Menschen nicht aus Angst vor der Hölle oder<br />

Hoffnung auf das Paradies handeln.« Wir Menschen sollten etwas Höheres<br />

anstreben, die Nähe und Gemeinschaft Gottes. Die traditionelle Theologie allerdings<br />

2


hat die Bilder von Paradies und Hölle weniger metaphorisch gesehen, sondern<br />

wortwörtlich als materielle Räume mit materiellen Strafen und Freuden beschrieben.<br />

Aber es <strong>ist</strong> doch zu wenig, wenn man nur aus Angst vor Bestrafung oder aus<br />

Hoffnung auf Belohnung Gutes tut.<br />

ZEIT: Dieser Buchstabenglaube scheint aber gerade unter jugendlichen Muslimen in<br />

Deutschland weit verbreitet zu sein.<br />

<strong>Khorchide</strong>: Leider nicht nur in Deutschland und leider nicht nur unter Jugendlichen.<br />

Es <strong>ist</strong> ein sehr vereinfachter Glaube, der aus Gott lediglich einen Buchhalter oder<br />

Richter macht, der zusammenrechnet, wie oft ich gebetet habe. Ich kann Menschen<br />

verstehen, die sich an eine Art religiöse To-do-L<strong>ist</strong>e halten wollen. Aber es <strong>ist</strong><br />

schade. Dieser Glauben verharrt auf einer recht frühen Stufe. Anstrengender <strong>ist</strong> es<br />

zu sagen: Ich möchte das Gute, um des Guten willen. Ich strebe innere<br />

Vollkommenheit an, die ihren Ausdruck in guten Charaktereigenschaften und<br />

Handlungen findet.<br />

ZEIT: Aber die radikalen Salaf<strong>ist</strong>en, die diesen Gehorsams-Islam predigen, finden<br />

doch gerade bei Jugendlichen in Deutschland Gehör. Warum?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Diese Jugendlichen fühlen sich heimatlos, an den Rand gedrängt. Sie<br />

suchen nach Identität und vor allem nach Abgrenzung. Viele Jugendliche hören <strong>kein</strong><br />

»Ihr gehört dazu«, sondern ein »Wir Deutsche – ihr Muslime«. Bei den Salaf<strong>ist</strong>en<br />

finden sie Bestätigung. Eine Identität, die im Widerspruch zur Gesellschaft steht. Sie<br />

suchen sich Elemente im Islam, die die Unterschiede betonen, wie einen Bart oder<br />

Kleider genau in der Länge, wie sie der Prophet getragen hat. Aber das <strong>ist</strong> eine<br />

Schalenidentität, ohne Kern.<br />

ZEIT: Sie bilden Lehrer für den islamischen Religionsunterricht aus. Wie reagieren<br />

die deutschen Muslime auf Ihre Sichtweise?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die Jungen sagen, das klingt alles sehr sympathisch, warum hat uns<br />

nicht früher jemand davon erzählt? Mit diesem barmherzigen Gott kann ich mich<br />

besser identifizieren. Aber auch bei den als konservativ geltenden Verbänden –<br />

obwohl die eigentlich durchaus heterogen sind – stoße ich auf Verständnis, auch<br />

wenn es Vorbehalte gibt. Ich versuche ja alles theologisch zu begründen, aus dem<br />

Islam heraus. Ich argumentiere mit dem Koran. Auf den 220 Seiten meines Buches<br />

verweise ich auf 400 Koranstellen. Um zu zeigen, das <strong>ist</strong> nicht meine private<br />

Meinung.<br />

ZEIT: Und in der arabischen Welt – stoßen Sie da auch auf Verständnis?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Ich war im Sommer an der Al-Azhar-Universität in Kairo, der wichtigsten<br />

sunnitischen Autorität im Islam. Die älteren Gelehrten waren nach meinem Vortrag<br />

zurückhaltend, sie haben sich nicht geäußert. Aber die Studenten und Doktoranden<br />

kamen auf mich zu und fragten, ob sie nicht in Münster studieren oder ihre<br />

Doktorarbeit schreiben könnten. Die Jungen suchen nach etwas Neuem.<br />

ZEIT: Wird Ihr Buch auch ins Arabische übersetzt?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Ja, ich werde das aber ein wenig der arabischen Mentalität anpassen.<br />

ZEIT: Entschärfen?<br />

3


<strong>Khorchide</strong>: Wenn man so will. Die Hauptbotschaft wird aber dieselbe sein: Gott <strong>ist</strong><br />

ein Gott der Barmherzigkeit, der Islam eine Religion der Barmherzigkeit. Jede andere<br />

Lesart des Islams <strong>ist</strong> nicht der Islam.<br />

ZEIT: Wie kommt es, dass die Mehrheit der Muslime ein ganz anderes<br />

Islamverständnis hat? Die lesen den Koran doch auch.<br />

<strong>Khorchide</strong>: Der Koran <strong>ist</strong> im Hocharabisch des 7. Jahrhunderts verfasst. Nichtaraber<br />

verstehen den Koran deshalb nur sehr schwer. Wenn Araber ihn lesen, verstehen sie<br />

vielleicht 40 Prozent – was die Sprache anbelangt. Noch größere Schwierigkeiten<br />

gibt es, wenn es darum geht, die Verse theologisch zu verorten. Die me<strong>ist</strong>en<br />

Muslime setzen sich nicht damit auseinander, was wirklich im Koran steht. Deshalb<br />

basiert der Glaube bei uns Muslimen oft eher auf dem, was uns erzählt wird. Man<br />

greift auf Aussagen von Theologen des 9. und 10. Jahrhunderts zurück.<br />

ZEIT: In Ihrem Buch schreiben Sie, die Scharia, als jur<strong>ist</strong>isches System betrachtet,<br />

sei ein Widerspruch zum Islam. Warum?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Weil sie den Islam reduziert auf eben ein jur<strong>ist</strong>isches System. Das geht<br />

so weit, dass manche Muslime sagen: Wenn du nicht für die Körperstrafen b<strong>ist</strong>, b<strong>ist</strong><br />

du <strong>kein</strong> Muslim. Das ganze Gerede von der Scharia führt dazu, dass es nur noch<br />

darum geht, ob man Regeln folgt oder nicht.<br />

ZEIT: Ihre Eltern sind Palästinenser, Sie sind aber im ultrakonservativen Saudi-<br />

Arabien zur Schule gegangen und haben dann in Österreich studiert; welche Rolle<br />

spielte das für Ihre religiöse Sozialisation?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Saudische Gelehrte behaupten, nur in ihrem Land gebe es den reinen,<br />

wahren Islam. Dabei haben sie ihn mit ihrem salaf<strong>ist</strong>ischen Denken reduziert auf eine<br />

Fassade. Ein Mann <strong>ist</strong> ein Frevler, wenn er sich den Bart abrasiert. Eine Frau eine<br />

Frevlerin, wenn sie <strong>kein</strong> Kopftuch trägt. Ich habe erlebt, dass in Moscheen diejenigen<br />

als Imame das Gebet leiten sollten, die den längsten Bart hatten. Was soll das? Als<br />

Palästinenser in Saudi-Arabien durfte ich nicht studieren, bekam <strong>kein</strong>e<br />

Krankenversicherung, aber in Österreich, einem nicht islamischen Land, war das<br />

alles <strong>kein</strong> Problem. Das warf Fragen auf, ich wollte den Kern der Religion erfahren.<br />

ZEIT: Sie kritisieren auch die sogenannten liberalen Muslime. Warum eigentlich,<br />

müssten Sie nicht auf einer Linie sein?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Sie reduzieren den Islam. Ähnlich wie die Fundamental<strong>ist</strong>en. Die<br />

Fundamental<strong>ist</strong>en höhlen ihn aus, indem sie sich auf die Fassade, die<br />

Äußerlichkeiten fokussieren. Die Liberalen geben eine radikale Antwort, indem sie<br />

auf fast alle Äußerlichkeiten und Rituale verzichten, sie beschränken sich auf die<br />

Schahada, das Glaubensbekenntnis. Das <strong>ist</strong> zu wenig. Die Schahada muss ihren<br />

Ausdruck im Leben finden.<br />

ZEIT: Was müsste denn passieren, damit sich Ihr Islamverständnis ausbreitet?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Es muss ein Diskurs entstehen, und ein Diskurs braucht Institutionen, es<br />

muss gelehrt werden, die Studenten müssen es weitertragen. Ich sehe gute Chancen<br />

in der islamischen Theologie hier in Deutschland. Weil wir uns viel freier bewegen<br />

können. Aber es wird noch ein, zwei Generationen dauern.<br />

Die Fragen stellten ARNFRID SCHENK und MARTIN SPIEWAK<br />

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