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Mouhanad Khorchide »Gott ist kein Diktator«

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<strong>Khorchide</strong>: Ich habe den Koran anders gelesen. Gott <strong>ist</strong> <strong>kein</strong> archaischer<br />

Stammesvater, <strong>kein</strong> Diktator. Warum beginnen 113 von 114 Suren mit der Formel<br />

»Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allerbarmers«? Das muss doch einen<br />

Grund haben. Der koranische Gott stellt sich als liebender Gott vor. Deshalb <strong>ist</strong> die<br />

Beziehung zwischen Gott und Mensch eine Liebesbeziehung, ähnlich wie die<br />

zwischen einer Mutter und ihrem Kind. Ich möchte, dass sich die Muslime befreien<br />

von dem Bild eines archaischen Gottes, das einem in vielen Moscheen, im<br />

Religionsunterricht oder während der theologischen Ausbildung suggeriert wird.<br />

ZEIT: Sie meinen, die islamische Theologie hat über Jahrhunderte hinweg eine<br />

falsche Bedienungsanleitung für den Koran geliefert?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die heutige islamische Theologie <strong>ist</strong> zumindest einseitig. Sie geht von<br />

einer Herr-Knecht-Beziehung aus. Die Reformer, die den Koran anders<br />

interpretieren, den Islam nicht als reine Gesetzesreligion sehen, konnten sich<br />

allerdings bisher nicht durchsetzen.<br />

ZEIT: Warum nicht?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Das hat auch politische Gründe. Viele Machthaber der islamischen<br />

Reiche haben sich den Titel »Schatten Gottes auf Erden« verliehen. Sie machten<br />

damit klar: Wer dem Herrscher widerspricht, widerspricht Gott. Damit das Volk<br />

gefügig bleibt, ließen sie das Bild eines Gottes konstruieren, dem Gehorsam über<br />

alles geht. Das spielt bis heute in einem diktatorischen Staat wie Saudi-Arabien eine<br />

wichtige Rolle: Jede Opposition wird nicht nur als weltliche Opposition, sondern als<br />

Opposition hingestellt, die sich gegen Gott richtet.<br />

ZEIT: Im Chr<strong>ist</strong>entum gab es ja auch das Konzept des Gottesgnadentums, trotzdem<br />

hat sich eine andere Lesart der Bibel durchgesetzt. Warum nicht im Islam?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Nicht wenige Theologen haben sich mit den Machthabern verbündet,<br />

wie die Gelehrten der Salaf<strong>ist</strong>en in Saudi-Arabien. Denn auch sie profitierten von<br />

einem Islam als jur<strong>ist</strong>ischem Regelwerk. Die Menschen sind auf sie angewiesen,<br />

wenn sie Fragen haben, was sie dürfen und was nicht. Da greifen repressive<br />

Strukturen ineinander. Im Chr<strong>ist</strong>entum <strong>ist</strong> es gelungen, diese Entmündigung des<br />

Gläubigen zu überwinden. Das <strong>ist</strong> im Islam noch nicht ganz der Fall.<br />

ZEIT: Sehen Sie sich als Aufklärer?<br />

<strong>Khorchide</strong>: So würde ich das nicht sagen. Verwendet man Begriffe aus dem<br />

europäischen Kontext heraus, wird man verdächtigt, man wolle dem Islam etwas<br />

Fremdes überstülpen. Die Veränderung kann nur von innen heraus kommen. Wir<br />

brauchen <strong>kein</strong>e Aufklärung, wie wir sie aus Europa kennen. Wohl aber eine Reform,<br />

die die Mündigkeit und die Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Der<br />

Koran selbst tut das übrigens.<br />

ZEIT: Im Koran <strong>ist</strong> auch viel von der Hölle die Rede. Wie passt das zur<br />

Barmherzigkeit?<br />

<strong>Khorchide</strong>: Die Hölle <strong>ist</strong> nichts anderes als die Konfrontation mit den eigenen<br />

Verfehlungen. Sie <strong>ist</strong> <strong>kein</strong>e Strafe, die von außen kommt. Eine berühmte Mystikerin<br />

sagte einmal: »Am liebsten möchte ich das Höllenfeuer löschen und das Paradies<br />

mit Feuer anzünden, damit die Menschen nicht aus Angst vor der Hölle oder<br />

Hoffnung auf das Paradies handeln.« Wir Menschen sollten etwas Höheres<br />

anstreben, die Nähe und Gemeinschaft Gottes. Die traditionelle Theologie allerdings<br />

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