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Einseitig perforiert, schmaler Steg - Mumok

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MUMOK, Ebene 1<br />

Eintritt frei<br />

<strong>Einseitig</strong> <strong>perforiert</strong>,<br />

<strong>schmaler</strong> <strong>Steg</strong><br />

Filme auf 16 mm<br />

Ausgewählt von<br />

Antje Ehmann und<br />

Harun Farocki<br />

6.– 18.12.2005<br />

MUMOK<br />

MuseumsQuartier<br />

Museumsplatz 1<br />

A-1070 Wien<br />

www.mumok.at<br />

IMPRESSUM:<br />

Für den Inhalt verantwortlich:<br />

Edelbert Köb, Direktor<br />

Konzeption:<br />

Antje Ehmann und Harun Farocki<br />

Assistenz: Anna Artaker<br />

Redaktion: Anna Artaker, Antje Ehmann,<br />

Harun Farocki, Matthias Michalka<br />

Grafische Gestaltung: MVD AUSTRIA<br />

Druck: Stiepan Druck<br />

© MUMOK 2005


<strong>Einseitig</strong> <strong>perforiert</strong>,<br />

<strong>schmaler</strong> <strong>Steg</strong><br />

Filme auf 16 mm<br />

Ausgewählt von<br />

Antje Ehmann und<br />

Harun Farocki<br />

Das Format 16 mm kam Ende der 20er Jahre auf den<br />

Markt, es sollte das Format für Amateure werden,<br />

war dazu aber zu teuer. Schon vor dem Krieg machten<br />

Regisseure ihren ersten Film mit eigenen Mitteln<br />

auf 16 mm, so Willy Zielke und Peter Pewas.<br />

16 mm setzte sich zunächst in Forschung und Lehre<br />

durch. Die Projektoren waren mobil, und das<br />

Vorführen konnte ein Assistent oder Lehrer in ein<br />

paar Stunden lernen.<br />

Mit dem Fernsehen wurde 16 mm groß. Nicht in den<br />

USA und nicht im Ostblock, aber in Westeuropa produzierten<br />

die Fernsehanstalten, wenn nicht live<br />

gesendet oder über elektronische Kameras im Studio<br />

aufgezeichnet wurde, zunehmend auf 16 mm. Den<br />

Fernsehleuten kam es oft vor, mit 16-mm-Film näherten<br />

sie sich dem Kino an, und es ist gerade die<br />

Schwäche fast aller Fernsehästhetik, dass sie ein<br />

Ähnlichkeitswettbewerb ist.<br />

In dem Augenblick, als Videoaufnahmen in hoher<br />

Auflösung mit leichten Kameras möglich wurden,<br />

ab 1980 spätestens, ging es mit dem 16-mm-Format<br />

bergab. 35 mm ist immer noch der Standard. Man<br />

spricht von einer Super-8- oder von einer Video-<br />

Ästhetik, nicht aber von einer 16-mm-Ästhetik.<br />

Dieses Format ist dabei zu verschwinden, ohne dass<br />

man ihm nachweint, nicht einmal Flüche werden<br />

ihm nachgerufen. Ein Ersatzformat.<br />

Mitte der 60er Jahre kamen geräuscharme und leichte<br />

16-mm-Kameras auf den Markt, so wurde die<br />

Aufnahme von lippensynchronem Originalton machbar:<br />

Auf einmal war es möglich, informelle Lebensäußerungen<br />

in der Wirklichkeit aufzugreifen. Ein<br />

Cinéma direct wurde mit dokumentarischen Mitteln<br />

umsetzbar, wie es der Neorealismus für den Storyfilm<br />

mit Darstellern entworfen hatte. Das war eine kurze<br />

Sternstunde, bald gab es aber auch 35-mm-Kameras,<br />

die handlich und leise waren.<br />

In <strong>Einseitig</strong> <strong>perforiert</strong>, <strong>schmaler</strong> <strong>Steg</strong> zeigen wir Filme,<br />

die auf 16 mm gedreht wurden – und das nicht im<br />

falschen Glauben, das sei das Gleiche wie mit 35 mm.<br />

Wir zeigen Filme aus dem deutschen Sprachraum,<br />

die nicht vorgeben, Kino zu sein, sondern die sich<br />

ihrer Deklassierung bewusst sind und darum auf ein<br />

anderes Kino aus sind. Manche mit großem Mut und<br />

mit größter Anstrengung, andere in selbstgewisser Abwendung.<br />

Und manche führen den Klassenkampf im<br />

Kostüm des Dandys. Antje Ehmann und Harun Farocki


Dienstag, 6.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Mittwoch, 7.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Klaus Wyborny<br />

Dämonische Leinwand<br />

BRD 1969/1971, FARBE, 100 MIN<br />

Zum Auftakt der Filmreihe zeigen wir fünf Filme von Klaus Wyborny, in<br />

denen es um das Verhältnis von Off-Erzählung zu den Bildern geht und<br />

um die Materialität von Film. Wyborny drehte 1968 auf Normal 8 und<br />

übertrug das Material auf 16 mm; dabei wandte er Verfahren an wie das<br />

Wiederabfilmen von projizierten Aufnahmen, deren seitenverkehrtes<br />

Einmontieren oder die Verunreinigung mit Fusseln. Das Programm enthält<br />

Meisterwerke wie A Crowd in the Face, Home Sweet Home, Auf zu den<br />

Sternen, Chimney Piece und Das abenteuerliche, aber glücklose Leben des<br />

William Parmagino.<br />

Klaus Wildenhahn<br />

Zwischen 3 und 7 Uhr morgens<br />

BRD 1963, S/W, 9 MIN<br />

St. Pauli. Beobachtungen in einer Musikkneipe und in der U-Bahn, mit der<br />

morgens Menschen zur Arbeit fahren. Einer der frühesten Cinéma-direct-<br />

Filme von Klaus Wildenhahn.<br />

Klaus Wildenhahn<br />

Heiligabend auf St. Pauli<br />

BRD 1968, S/W, 51 MIN<br />

Der Film beginnt am 24. Dezember um sechs Uhr abends und endet am<br />

25. Dezember um vier Uhr morgens. Zehn Stunden in einer Hafenkneipe<br />

auf St. Pauli. In einer besonderen Nacht, voller Gefühle und Sentimentalitäten.<br />

Ein eindrückliches Beispiel dafür, dass mit der leisen 16-mm-Kamera<br />

informelle Äußerungen aufgegriffen werden können, die bisher nur ein<br />

inszenierter Film zeigen konnte. Das Besondere ist, dass der Film ganz<br />

selbstverständlich ist. Der Autor Wildenhahn macht aus diesem kleinen<br />

Weltausschnitt etwas Wichtiges, das liegt an seinem Interesse am Konkreten.<br />

Helma Sanders-Brahms<br />

Die Maschine<br />

BRD 1972, FARBE, 53 MIN<br />

Klaus Wyborny, Dämonische Leinwand, 1969/1971<br />

Ein Druckereiarbeiter hat einen Arbeitsunfall erlitten. In den Filmbildern<br />

sieht er so aus, als wäre er stigmatisiert. Als hätte er etwas für andere –<br />

vielleicht auch uns – auf sich genommen. Dass arbeiten auch leiden heißt<br />

und dass einer für andere eine Arbeit auf sich nimmt, daran wird heute<br />

wenig gedacht.


Donnerstag, 8.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Dore O.<br />

Alaska<br />

BRD 1968, FARBE, 18 MIN<br />

Ein Emigrationsfilm: „Traum meiner selbst, Konsequenz aus dem Akt mit<br />

der Gesellschaft.“ (Dore O.)<br />

Peter Nestler<br />

Von Griechenland<br />

BRD 1965, S/W, 28 MIN<br />

Peter Nestler, den Jean-Marie Straub drei Jahre später als den „wichtigsten<br />

Filmemacher in Deutschland nach dem Kriege“ bezeichnete, erhielt<br />

1965 schärfste Kritik für seinen Film Von Griechenland. Der Film, der bei<br />

den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen für einen Skandal sorgte,<br />

brachte Nestler den Vorwurf „kommunistischer Propaganda“ ein, und<br />

die Kollegen in Oberhausen fanden ihn amateurhaft, weil er auf O-Töne<br />

verzichtete, gegen die stummen Bilder eine autonome Tonspur mit<br />

einem Sprechertext setzte. Nestler beschreibt sein Verfahren lakonisch:<br />

„Zusammen mit unserem griechischen Freund Dimitris Marakas haben<br />

wir in Athen in Archiven der Organisation des antifaschistischen Widerstands<br />

Briefe und Dokumente durchgelesen, Fotos angesehen, die versteckt<br />

in Wohnungen aufbewahrt wurden. Wir wussten also, zu welchem<br />

Textmaterial wir Bilder brauchten. Und so haben wir die Bilder gesucht.<br />

Beim Schneiden haben wir allen Originalton endgültig weggelassen.“<br />

Zwei Jahre nach den Dreharbeiten zu dem Film, der mit den Worten:<br />

„Der Faschismus muss überwunden werden“, endet, kam es in Griechenland<br />

zur Machtergreifung der Militärjunta.<br />

Peter Nestler<br />

Bilder von Vietnam<br />

SCHWEDEN 1972, S/W, 24 MIN<br />

Nestler zeigt mit Material des DDR-Fotografen Thomas Billhardt das Bild<br />

eines Vietnamkrieges, der vor allem geführt wurde, um eine fremde<br />

Hochkultur zu zerstören. Eine um vieles ältere und reichere Kultur als die<br />

US-amerikanische. Und er zeigt, „dass die Kämpfe der Vietnamesen das<br />

Gegenteil des Bildes sind, das uns vom Krieg geliefert wurde: nicht der<br />

Rückfall in die Barbarei, sondern die Verteidigung der eigenen Kultur“, so<br />

Margita Theurer 1979 in einer Besprechung. Im Kommentar des Films<br />

heißt es: „Als die USA mit den Bombardierungen begonnen hatten, sagte<br />

ein amerikanischer General: ‚Entweder geben die Nordvietnamesen ihren<br />

Widerstand auf, oder wir bomben sie zurück ins Steinzeitalter.’ Aber die<br />

Nordvietnamesen gaben nicht auf.“<br />

Dore O., Alaska, 1968<br />

Peter Nestler<br />

Über die Geschichte des Papiers, Teil 1<br />

SCHWEDEN 1972, S/W, 24 MIN<br />

„Erzählt wird, kunstlos und mit nachhaltigem stofflichem Interesse,<br />

die Ausbreitung eines Produktionsmittels, welches – bis heute – die buchstäbliche<br />

Grundlage der menschheitlich weitreichendsten Erfindung –<br />

Schrift – bildet. Deutlich zeigt der Film die Veränderung, die industrielle<br />

Produktion und ‚Produktion’ der Arbeiterschaft aneinander erfahren;<br />

zeigt es so deutlich, weil gerafft wie ein historisches Stenogramm. Abgesehen<br />

davon, dass im heute üblichen propagandistischen Genre des<br />

‚Industriefilms’ eine derart verschränkte Darstellung nicht denkbar ist,<br />

erhellt Nestler beiläufig, wie Marx zu jener These kommen konnte, das<br />

Proletariat sei die Erfindung des 19. Jahrhunderts. Nestler spricht die<br />

deutsche Fassung seines Films selbst. Seine Stimme, die Art und Weise<br />

seines interessierten Sprechens verleiten zu unausgesetzter Aufmerksamkeit.<br />

Sie beschreiben eine präzise Abweichung vom normativen<br />

Geseire heutiger Fernsehsprecher – Abweichung, die zu erkennen gibt,<br />

wie selbstverständlich Stoff und Darstellungsinteresse sich zusammenfügen<br />

lassen.“ (Hanns Zischler, Filmkritik, 1979)


Freitag, 9.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Samstag, 10.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Gerd Conradt, Katrin Seybold<br />

Wilde Tiere – Rote Knastwoche<br />

BRD 1970, S/W, 37 MIN<br />

Im Sommer 1969 kam es in dem kleinen Ort Ebrach in Bayern zu einem<br />

so genannten „Knastcamp“. Im Gefängnis von Ebrach musste ein Schüler<br />

eine Gefängnisstrafe verbüßen – für harmlose Delikte, für wiederholte<br />

Ordnungsverstöße. Ein paar hundert Personen – hauptsächlich aus Berlin<br />

und Frankfurt – reisten an, um ihre Solidarität zu bekunden und um auf<br />

die vielen Gerichtsverfahren aufmerksam zu machen, die den politischen<br />

Aktivisten der vergangenen zwei Jahre bevorstanden. Was man damals<br />

zunächst „Studentenbewegung“, dann „Außerparlamentarische Opposition“<br />

nannte, das war an einem toten Punkt angekommen. Das Demonstrieren<br />

war immer noch provokativ, vor allem in kleinen bayerischen<br />

Orten, wurde aber immer mehr zur ermüdenden Wiederholung. Das<br />

sieht man an diesem Film, vor allem wenn die Kamera auf die Häftlinge<br />

gerichtet ist, bei der Feldarbeit außerhalb der Gefängnismauern. Die<br />

Kamera starrt sie immer wieder beschwörend an, in der Hoffnung, die<br />

projizierten theoretischen Begriffe und gerufenen Parolen könnten einen<br />

Widerhall finden.<br />

Gerhard Theuring,<br />

Leave me alone. Why did you leave America<br />

BRD 1970, FARBE, 128 MIN<br />

Theurings Beschreibung seines Films lautet so: „Leave me alone ist ein<br />

Film über Amerika, wie es sich in der Musik über Amerika und in Bildern<br />

aus Amerika darstellt. Leave me alone ist ein Film, der ausschließlich auf<br />

Schauplätzen in München gedreht wurde. Leave me alone ist ein amerikanischer<br />

Film, weil wir alle in Amerika leben.“ Beim Festival International<br />

du Jeune Cinéma de Hyères 1975 gab Marguerite Duras diesem Film den<br />

ersten Preis.<br />

Hartmut Bitomsky<br />

Johnson & Co. oder der Feldzug gegen die Armut<br />

BRD 1968, S/W, 17 MIN<br />

Der Krieg um Vietnam wird – wie in einem Stück von Brecht – in etwas<br />

anderes übersetzt. So wie Brecht die Hitler-Clique als Gangster darstellt,<br />

stellt Bitomsky die Johnson-Clique als Bande von Hausbesitzern und<br />

Wohnungsvermietern dar. Der ferne Krieg erscheint in nahen Sachverhalten.<br />

Westberlin wird so zu einem Kriegsschauplatz, die Studenten<br />

greifen zur Waffe.<br />

Helga Reidemeister<br />

Von wegen Schicksal<br />

BRD 1979, S/W, 117 MIN<br />

Reidemeister porträtiert eine Arbeiterfrau im Berliner Märkischen Viertel,<br />

Irene Rakowitz, die unglücklich verheiratet war, vier Kinder geboren hat,<br />

sich scheiden ließ, invalidisiert wurde, ein äußerst kompliziertes Verhältnis<br />

zu ihren erwachsenen Kindern hat und daran glaubt, dass die Gesellschaft<br />

verändert werden soll und dass sie an diesen Veränderungen teilnehmen<br />

muss. Rakowitz: „Das Bedürfnis, aufzuzeigen, wie mein Wollen<br />

von anerzogenen Scheinwerten und vom Gängelband so genannter Gesellschaftskonventionen<br />

verbogen und zunichte gemacht wurde, ließ diesen<br />

Film schließlich entstehen. In dem Maß, wie mein Selbstverständnis<br />

wuchs, wuchs auch die Erkenntnis, was in dieser Gesellschaft mit den<br />

Frauen passiert, welcher Platz uns zudiktiert wurde, wie wir zu sein und<br />

zu funktionieren haben – dass also meine Probleme kein Einzelschicksal,<br />

kein persönliches Versagen sind.“ Der 1979 mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnete<br />

Film formuliert den damals noch recht neuen Anspruch des<br />

dokumentarischen Films, Privates zu politisieren.


Sonntag, 11.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Dienstag, 13.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Michael Klier<br />

Ferrari<br />

BRD 1964, S/W, 8 MIN<br />

Marianne Lüdcke, Ingo Kratisch<br />

Die Wollands<br />

BRD 1972, FARBE, 92 MIN<br />

Lüdckes und Kratischs Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie<br />

Berlin wurde zu einem der wichtigsten Berliner Arbeiterfilme.<br />

Es geht um einen Schweißer, der sich beruflich verbessern will.<br />

Seine Frau ist ebenfalls berufstätig. Die kleine Tochter wächst bei ihren<br />

Großeltern auf. Präzise beschreiben Lüdcke und Kratisch das Verhältnis<br />

von Leben, Freizeit und Arbeit im Dasein eines Lohnabhängigen in der<br />

BRD der 70er Jahre. Der Film ist realistisch in dem Sinne, dass die Filmfiguren<br />

denken, sagen und empfinden, was sie sagen, denken und empfinden<br />

müssten, wenn sie bei Trost wären. Und warum sollten sie nicht<br />

bei Tost sein?!<br />

Werner Nekes, Dore O.<br />

Jüm-Jüm<br />

BRD 1967, FARBE, 10 MIN<br />

Werner Nekes und Dore O. haben ihren Film am liebsten so beschrieben:<br />

„Dimensionen der Bewegung: 1. Schaukelbewegung, 2. Lichtveränderung,<br />

3. Konstellation von Personen. Materialien: 1. fixierte Kamera, 2. Destruktion<br />

der Emulsion, 3. Bildumkehrung. Ästhetische Organisation: 1. Polyrhythmik,<br />

2. rhythmische Monotonie, 3. Aleatorik innerhalb der Kaderfolgen,<br />

4. Reihung eines Tonkomplexes.“<br />

Ferrari dauert nur acht Minuten. Ein junger Mann fährt Jaguar, träumt<br />

aber von einem Ferrari. Er fährt an die 200 Kilometer pro Tag und nimmt<br />

immer wieder gerne fremde Frauen auf eine kleine Spritztour mit. Drei<br />

Dinge weiß er ganz genau: zum einen, dass viele weibliche Wesen nur dem<br />

Sportwagen zuliebe einsteigen (er sagt, er erkenne das sofort); zum anderen,<br />

dass es irgendwann mal „krachen“ wird; und drittens, dass er einfach<br />

ein schönes Leben haben will, „sein“ Leben eben. Das Geld kommt<br />

von der Oma. Die will für einen Ferrari nicht bezahlen.<br />

Werner Schroeter<br />

Der Bomberpilot<br />

BRD 1970, FARBE, 65 MIN<br />

Zwischen 1942 und 1955 versuchen drei staatenlose junge Frauen, sich<br />

mit kabarettistischen Nummern und sonstigen künstlerischen Darbietungen<br />

über Wasser zu halten. Gespielt von Carla Egerer, Mascha Elm und<br />

Magdalena Montezuma. Parallelen zwischen der Nazi- und Nachkriegszeit<br />

werden allzu deutlich, Konflikte zwischen Politik und Kunst, Kultur<br />

und Trivialität scheinen auf.<br />

Harun Farocki<br />

Der Geschmack des Lebens<br />

BRD 1979, FARBE, 25 MIN<br />

Harun Farocki schreibt 1979 zu seinem Film: „Seit Jahren versuche ich,<br />

Mittel aufzutreiben, die es erlauben, das tägliche Leben festzuhalten, wie<br />

es sich im Blick auf die Straße bietet. Vor 20 Jahren sah man abends oft<br />

Halbwüchsige an der Straßenecke mit Fahrrädern zusammenstehen, sie<br />

hatten die Fahrräder unter sich, aber standen da und sprachen. Solche<br />

Vorgänge würde ich gerne mit der Kamera dokumentieren. Hier ergab<br />

sich einmal die Gelegenheit. Zweieinhalb Monate lief ich mit der Kamera<br />

herum, und ein paar Bilder habe ich zu diesem Film zusammengestellt.“


Werner Nekes, Dore O., Jüm-Jüm, 1967<br />

Michael Klier, Ferrari, 1964 Brigitte Toni Lerch, Benno Trautmann, Der Umsetzer, 1976<br />

(FOTOS: Stark-Otto)


Mittwoch, 14.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Donnerstag, 15.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Elfi Mikesch<br />

Ich denke oft an Hawaii<br />

BRD 1978, S/W UND FARBE, 85 MIN<br />

Mit Brechungen von Fantasie und Realität, Traum und Alltag, Schwarz-<br />

Weiß und Farbe arbeitet Mikesch in ihrem ersten, experimentellen, halbdokumentarischen<br />

Spielfilm über die 16-jährige Schülerin Carmen. Dabei<br />

überrascht Mikesch mit einem zu der Zeit noch völlig ungewöhnlichen<br />

erzählerischen Verfahren.<br />

Brigitte Toni Lerch, Benno Trautmann<br />

Der Umsetzer<br />

BRD 1976, S/W, 75 MIN<br />

Matthias Weiss<br />

Ten Years After<br />

BRD 1970, FARBE, 52 MIN<br />

Das schrille, halbdokumentarische Spielfilmdebüt von Benno Trautmann<br />

und Antonia Lerch alias Brigitte Toni Lerch. Ein älterer Mann soll zusammen<br />

mit anderen Mietern aus der gewohnten Berliner Altbauwohnung in<br />

ein Neubauviertel „umgesetzt“ werden.<br />

„'A group in fusion is a revolt in freedom and a conquest against alienation'<br />

– dieses anglisierte Zitat von Jean-Paul Sartre ist dem Film Ten Years<br />

After (mit Wim Wenders an der Kamera) vorangestellt. Die gleichnamige<br />

Bluesrockband aus England mit ihrem virtuosen Leadgitarristen Alvin<br />

Lee wird aus einer festen Kameraposition während eines Live-Acts gefilmt,<br />

ganz ohne Publikum. Während des Wechsels der Filmrollen läuft<br />

Schwarzfilm weiter zum durchgehenden Ton der Musik, und wenn die<br />

Gruppe zwischen zwei Stücken auf der Bühne kurz pausiert, raucht und<br />

redet, läuft das Bild weiter, und der Ton setzt aus. Dieser dokumentiert<br />

im eigentlichen Sinne, was man sehen will und sich sonst mühsam zusammensuchen<br />

muss; man spürt, dass Pausen, Proben und das Stimmen der<br />

Gitarren dazugehören und den Reiz des Auftritts steigern. Dieser Film sucht<br />

gerade solch radikale Hinwendung zu seinem Gegenstand.“ (Jörg Becker)<br />

Clemens Klopfenstein<br />

Geschichte der Nacht<br />

SCHWEIZ 1979, S/W, 60 MIN<br />

Klopfenstein beschenkt uns hier mit 60 Minuten vibrierenden, atmenden,<br />

grobkörnigen Nachtaufnahmen aus 19 Ländern, montiert zu einer<br />

einzigen imaginären nächtlichen Stadt. Damit verbessert dieser Film<br />

Mitteleuropa entscheidend.<br />

Elfi Mikesch, Ich denke oft an Hawaii, 1978


Freitag, 16.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Rosa von Praunheim<br />

Schwestern der Revolution<br />

BRD 1969, FARBE, 20 MIN<br />

Die „Schwestern der Revolution“ sind eine Kampftruppe von Homosexuellen,<br />

die sich für die Befreiung der Frau einsetzt. Dietmar, der die Unterdrückung<br />

und Hilflosigkeit der Frau nachspielt, weiß seinen Protest nur in<br />

den einen Satz zu kleiden: „Ich will kein Osterhase sein, obwohl ich sensibel<br />

und anlehnungsbedürftig bin.“ Rosa von Praunheims erster Film über<br />

Homosexualität.<br />

Rosa von Praunheim<br />

Nicht der Homosexuelle ist pervers,<br />

sondern die Situation, in der er lebt<br />

BRD 1970, FARBE, 67 MIN<br />

DETAIL DES FILMPLAKATS Rosa von Praunheim, 1970<br />

Praunheims Attacken richten sich nicht gegen fremde Unterdrücker, sondern<br />

gegen das eigene Lager. Die Situation, in der der Homosexuelle lebt,<br />

ist hausgemacht: Das ist die These des Films. Verwirrung, Empörung, Bestürzung<br />

im Schwulenlager waren die Folge, aber auch Bewegung, Aktion,<br />

Coming-out und Solidarität. Die Aufführung des Films im deutschen Fernsehen<br />

wurde zum Politikum. Zunächst kam die vorgesehene Ausstrahlung<br />

im Gemeinschaftsprogramm der ARD nicht zustande, nur der WDR,<br />

der den Film in Auftrag gegeben hatte, zeigte ihn. Als die Vorführung im<br />

ersten Programm ARD ein Jahr später nachgeholt wurde, machte der<br />

Bayerische Rundfunk nicht mit und zeigte etwas anderes, einen Film<br />

über Autobesessenheit übrigens.<br />

Hellmuth Costard<br />

Besonders wertvoll<br />

BRD 1968, FARBE, 10 MIN<br />

Costards Besonders wertvoll hat seinerzeit bei den Kurzfilmtagen<br />

Oberhausen einen Skandal ausgelöst, der Geschichte schreiben sollte.<br />

Der zunächst programmierte Film wurde wegen seiner beleidigenden<br />

Ästhetik und Programmatik „Staatsgewalt gegen Geschlechtsteil“ aufgrund<br />

eines drohenden Gerichtsverfahrens von der Festivalleitung wieder<br />

zurückgezogen, woraufhin die meisten der anwesenden Filmemacher<br />

auch ihre Filme zurückzogen und sie statt in Oberhausen in zwei Hörsälen<br />

in Bochum zeigten. Hellmuth Costard resümierte damals: „Die<br />

Schwänze stören die Gesellschaft so, dass sie nicht einmal bereit ist,<br />

eine Diskussion über den Begriff ‚sittlich’ zu führen. Das bedeutet eben,<br />

dass die Gesellschaft negiert, dass alles auf Lustgewinn zielt.“<br />

Werner Schroeter, Willow Springs, 1973


Samstag, 17.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Sonntag, 18.12.2005<br />

19.00 Uhr<br />

Dominik Graf<br />

Der Fahnder<br />

FOLGE 78: BIS ANS ENDE DER NACHT, DEUTSCHLAND 1992, FARBE, 55 MIN<br />

FOLGE 90: NACHTWACHE, DEUTSCHLAND 1993, FARBE, 55 MIN<br />

Heinz Emigholz<br />

Die Wiese der Sachen<br />

BRD 1974–1987, FARBE, 88 MIN<br />

„Clonetown, 1974 bis 1979. Die Chronik eines Abschieds. Charon, ein<br />

abgesprungener Terrorist (Eckhard Rhode), sitzt am Ufer zur Vergessenheit<br />

und kommentiert die bevorstehende Vermoderung eines entführten<br />

Autohändlers. Er hätte auch gern einen Körper gehabt. In seiner Erinnerung<br />

ziehen seine zweiten und dritten Ichs herauf, der megalomanische<br />

Künstler und der perverse Teppichhändler (John Erdman). Die ehedem<br />

achtlos misshandelten Dinge rächen sich in seinem Kopf. In der Fernsehsendung<br />

Tausend Häuser werden Bauwerke auf die Gehirne ihrer Architekten<br />

zurückprojiziert. In den Bäuchen längst gestrandeter Schiffe haben Matrosen<br />

immer noch Sex. Dem allwissenden Erzähler ist das Publikum weggestorben.<br />

Er liegt auf seinem Hotelbett in Vancouver, isst Opium und<br />

ruft sich alle Räume, in denen er jemals hauste, ins Gedächtnis zurück.<br />

Jedes Jahrzehnt hat seinen eigenen Zugang zum Himmel.“<br />

(Heinz Emigholz)<br />

Der Fahnder ist eine der ältesten und erfolgreichsten Serien im deutschen<br />

Fernsehen (nach Derrick die meistverkaufte Krimiserie). Zwischen Oktober<br />

1985 und April 2001 wurden 190 Folgen produziert und ausgestrahlt.<br />

Wir zeigen zwei besonders gute Folgen, die unter der Regie von Dominik<br />

Graf entstanden sind. Das Fernsehen hat das Format 16 mm zum Standard<br />

gemacht und sich Filmformen des Kinos – wie in diesem Fall den<br />

Detektivfilm – angeeignet. Trotz des stark standardisierten Formats der<br />

Serie können Autoren wie Dominik Graf ihren Spielraum finden und ihn<br />

experimentell nutzen.<br />

Werner Schroeter<br />

Willow Springs<br />

BRD 1973, FARBE, 78 MIN<br />

In einem abgelegenen Haus in der kalifornischen Wüste leben drei Frauen<br />

in einer Art von hierarchischem Matriarchat, dem angelockte Männer<br />

zum Opfer fallen. Es geht um Gesellschaftszustände, Kinomythen, die<br />

USA, Parodie und Theatralik. Man sieht: Schon 1973 findet Schroeter zu<br />

seiner so besonderen, einzigartigen Kunstform.<br />

Dominik Graf, Der Fahnder: Nachtwache, 1993<br />

(BILD: WDR/WWF)

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