Befreiung 200, Juni 2012 - Arbeiter*innenstandpunkt
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Seite 12<br />
Theorie<br />
Prostitution<br />
<strong>Befreiung</strong> <strong>200</strong> | <strong>Juni</strong> <strong>2012</strong><br />
Wie verhalten sich Revolutionär*innen zu diesem Thema?<br />
Peter Vidlak<br />
ist nur<br />
ein besonderer Ausdruck<br />
der allgemein-<br />
„Prostitution<br />
en Prostitution des Arbeiters“ –<br />
Karl Marx<br />
Prostitution, ein klare Herausforderung<br />
für Linke und<br />
Sozialist*innen? Denn die<br />
verschiedenen Positionen erstrecken<br />
sich von der Befürwortung<br />
von Repressalien und<br />
der Abschaffung der Prostitution<br />
auf der einen Seite, bis hin<br />
zur Entkriminalisierung und<br />
gewerkschaftlichen Organisation<br />
der Prostituierten auf der<br />
anderen. Doch was versteht<br />
man unter Prostitution? Wird<br />
sie als Arbeit verstanden oder<br />
doch als spezielle Form der<br />
Gewalt gegen Frauen? Außerdem<br />
darf nicht außer Acht<br />
gelassen werden, dass es auch<br />
männliche Prostituierte gibt,<br />
wobei es diese als Hetero- und<br />
Homosexuelle gibt. Sehen wir<br />
Prostitution als Arbeit, dann<br />
muss der Kampf um Selbstorganisierung<br />
und wirkliche<br />
Rechte ein Hauptbestandteil<br />
der sozialistischen Antwort<br />
sein. Falls Prostitution sich<br />
aber in Gewalt und Sklaverei<br />
manifestiert, was auch immer<br />
wieder vorkommt, dann<br />
müssen die Beteiligten auch<br />
als Opfer und Täter gesehen<br />
werden.<br />
Erst einmal müssen wir<br />
die Frage klären, was wird<br />
tatsächlich unter Prostitution<br />
verstanden? Austausch von<br />
Sex gegen Geld? Dummes<br />
Klischee! Es gibt nämlich<br />
verschiedene Arten der Prostitution.<br />
Auch muss unterschieden<br />
werden zwischen<br />
gewerblicher und nicht gewerblicher<br />
Prostitution. Unter<br />
nicht gewerbliche Prostitution<br />
fallen sexuelle Handlungen<br />
zum eigenen - zum Teil auch<br />
beruflichen – Vorteil. Aber bleiben<br />
wir bei der gewerblichen<br />
Prostitution. Eine umfassende<br />
Definition darüber befindet<br />
sich z.B. im Duden, welcher<br />
besagt, dass Prostitution als<br />
„Praktiken sexueller Aktivitäten<br />
mit Personen, die nicht<br />
Ehepartner oder Freund sind,<br />
im Austausch für unmittelbare<br />
Bezahlung oder andere Güter“<br />
zu verstehen wäre.<br />
Auch die Behauptung Prostituierte<br />
würden ihren Körper<br />
verkaufen, entbehrt jeder<br />
Grundlage. Vor allem: wie<br />
verkauft man seinen eigenen<br />
Körper? Prostituierte benützen<br />
ihren Körper wie dies<br />
auch Handwerker*innen tun.<br />
Trotzdem würde niemand auf<br />
die Idee kommen, in anderen<br />
Wirtschaftsbereichen von einem<br />
Verkauf des Körpers zu<br />
sprechen. Dies obwohl gerade<br />
in prekären Verhältnissen oder<br />
bei harter körperlicher Arbeit<br />
oftmals Körper in Lohnarbeitsverhältnissen<br />
vollkommen<br />
zerstört werden. Würde ein/e<br />
Prostituierte*r, und in diesem<br />
Fall wird von solchen, welche<br />
nicht als Sklav*innen arbeiten<br />
ausgegangen, ihren Körper<br />
verkaufen, was ja total unmöglich<br />
ist, könnte sie dies im<br />
Grunde nur einmal tun, nachdem<br />
sie wohl kaum mehrere<br />
Körper zur Verfügung hat.<br />
Das einzige was sie verkauft ist<br />
schlicht und einfach eine Dienstleistung:<br />
Sex. Nicht mehr<br />
und nicht weniger. Und dafür<br />
gibt es im Normalfall fixe Tarife,<br />
je nach der zu gebenden<br />
Dienstleistung. Viele Prostituierten<br />
sind Lohnarbeiter*innen.<br />
Sie werden zumeist von einer<br />
Person oder einem Unternehmen<br />
beschäftigt und arbeiten<br />
bestimmte Stunden und<br />
werden dementsprechend<br />
entlohnt. Sie arbeiten also in<br />
einem Dienstverhältnis, das<br />
Mehrwert produziert, welcher<br />
ihnen von Zuhälter*innen abgenommen<br />
wird.<br />
Weil die Gier nach Profit aber<br />
unersättlich ist, gibt es aber<br />
auch am Rande der Gesellschaft<br />
Sexarbeiter*innen die<br />
tatsächlich unter den Bedingungen<br />
von Sklaverei leben<br />
müssen. Wo sie selbst als<br />
Ware - also auch deren Körper<br />
- gehandelt werden. Die<br />
Betroffenen werden meist mit<br />
hohlen Versprechungen aus<br />
ihrer Heimat, wo zumeist tiefste<br />
Armut herrscht, angeworben.<br />
Bei der Ankunft im<br />
Zielland werden ihnen dann<br />
allerdings nicht nur Pass<br />
und Papiere abgenommen,<br />
sondern auch die zuvor in Aussicht<br />
gestellten Jobs als nicht<br />
vorhanden dargestellt, und<br />
die Leute in die Zwangsprostitution<br />
genötigt. Dies auch oft<br />
mit exzessiver Gewalt. Diese<br />
Art der modernen Sklaverei,<br />
welche auch sehr stark mit<br />
Menschenhandel verbunden<br />
ist, beschränkt sich allerdings<br />
nicht nur auf die Prostitution,<br />
sondern findet sich auch bei<br />
verschiedenen Formen dienender<br />
Tätigkeiten. So etwas<br />
müssen wir tatsächlich mit<br />
aller Kraft bekämpfen. Auch<br />
sind viele Sexarbeiter*innen<br />
weder Sklav*innen noch<br />
Lohnarbeiter*innen.<br />
Sie sind schlichtweg<br />
Direktverkäufer*innen. Sie<br />
arbeiten nicht für andere,<br />
sondern betreiben direkten<br />
Handel mit Freier*innen. Entweder<br />
wird die Dienstleistung<br />
in eigenen Räumlichkeiten<br />
der/des Prostituierten geleistet<br />
oder der Kunde* bezahlt<br />
direkt bei der/dem Prostitutierten<br />
und diese/r hat dann<br />
wiederum einen Prozentsatz<br />
der Einnahmen als „Zimmergeld“<br />
abzugeben. In Laufhäusern<br />
und Bordellen ist dies<br />
so üblich. So sind sie demnach<br />
als Selbständige zu betrachten.<br />
Sie sollten als das gesehen<br />
werden, was sie sind, nämlich<br />
Kleinbürger*innen. Leider gehören<br />
aber auch viele Prostituierte<br />
– wie es Karl Marx nannte<br />
– dem Lumpenproletariat an.<br />
Diese sind wirklich sehr arm<br />
und mit wenig bis gar keinen<br />
Ressourcen ausgestattet. Für<br />
diese hat ihr Geschäft mehr<br />
Ähnlichkeit mit der primitiven<br />
Form des Tauschhandels.<br />
Wenn z.B. sexuelle Dienste<br />
direkt gegen substantielles<br />
wie Nahrung und Schlafplatz<br />
oder gegen Drogen gehandelt<br />
werden. Auch das sollten<br />
wir mit aller Kraft versuchen<br />
zu unterbinden. Es darf im<br />
21. Jahrhundert keine Armut<br />
mehr geben. Gäbe es keine<br />
Armut, gäbe es auch nicht<br />
die schlimmsten Auswüchse<br />
von Sklaverei, also auch keine<br />
Prostitution aus Armut.<br />
Dies zeigt auch wieder auf,<br />
dass es mit der Freiwilligkeit<br />
oft nicht weit her ist. Obwohl<br />
es durchaus Prostituierte gibt,<br />
die zwischen Prostitution und<br />
anderen Branchen wählen<br />
konnten und die sich aufgrund<br />
persönlicher Vorlieben<br />
für die Prostitution entschieden<br />
haben, ist es doch bei<br />
den meisten so, dass sie keine<br />
besonders große Wahl hatten.<br />
Ebenso wie Lohnabhängige<br />
theoretisch nicht arbeiten<br />
müssen, es aber doch für die<br />
meisten eine praktische Notwendigkeit<br />
darstellt, haben<br />
auch viele Prostituierte keine<br />
Wahl gehabt, auch wenn<br />
sie niemand mit körperlicher<br />
Gewalt zur Prostitution gezwungen<br />
hat. So ist beispielsweise<br />
Prostitution das einzige<br />
Gewerbe dem Asylwerbende<br />
legal nachgehen dürfen.<br />
Trotz dieser scheinbaren<br />
Freiwilligkeit, mit der manche<br />
Prostituierte ihrer Arbeit<br />
nachgehen, darf also nicht<br />
übersehen werden, dass dieser<br />
Beruf von vielen als sehr unangenehm<br />
empfunden wird.<br />
Laut einer Studie von Melissa<br />
Farley, einer amerikanischen<br />
Psychologin und Feministin,<br />
wünschen sich 89% der befragten<br />
Prostituierten (in Deutschland),<br />
einen anderen Beruf<br />
auszuüben. Dies liegt sicher<br />
auch zum Teil an der Diskriminierung,<br />
die Sexarbeiter*innen<br />
in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen<br />
Lebens begegnet<br />
und an den meist miserablen<br />
Arbeitsbedingungen.<br />
Daher ist es wichtig, neben der<br />
gewerkschaftlichen Organisierung<br />
auch die Möglichkeit<br />
einer bezahlten Umschulung<br />
für Sexarbeiter*innen<br />
zu fordern, um ihnen einen<br />
Berufswechsel zu erleichtern.<br />
Es gibt auch Prostituierte,<br />
welche andere beschäftigen,<br />
damit diese für sie arbeiten.<br />
Sie führen ihr eigenes Geschäft<br />
und werden somit zu kapitalistischen<br />
Ausbeuter*innen.<br />
Aus diesem Grund sind einige<br />
Sexarbeiter*innen dem Proletariat<br />
zuzurechnen, wieder<br />
andere Sklav*innen, einige<br />
Kleinbürger*innen und vereinzelt<br />
Kapitalist*innen, wie