Befreiung 200, Juni 2012 - Arbeiter*innenstandpunkt
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Seite 6<br />
<strong>Befreiung</strong> <strong>200</strong> | <strong>Juni</strong> <strong>2012</strong><br />
Bildung<br />
Starken Gegner*innen gemeinsam begegnen<br />
Vorschläge für einen erfolgreichen Kampf auf den Unis<br />
Mo Sedlak<br />
Seit in den letzten Wochen<br />
und Monaten die Wogen<br />
rund um die Universität<br />
immer wieder höher schlagen<br />
und der teilweisen Wiedereinführung<br />
der Studiengebühren<br />
und der geplanten Abschaffung<br />
des Studiums „Internationale<br />
Entwicklung“ (IE)<br />
mit einzelnen Ausbrüchen<br />
des Widerstandes begegnet<br />
wird fragen sich viele<br />
Aktivist*innen, wie es weiter<br />
gehen könnte. Die erneute Intensivierung<br />
von Angriffen<br />
auf Studierende, Lehrende<br />
und Forschende ist offensichtlich.<br />
Die Reihe von Angriffen um<br />
den Studiengang IE, Studiengebühren,<br />
die Österreichische<br />
Akademie der Wissenschaften<br />
oder die jüngsten<br />
Entwicklungen an der TU, um<br />
nur einige Beispiele zu nennen<br />
passieren nicht zufällig. Und<br />
sie sind auch nicht das Produkt<br />
einer manisch-produktiven<br />
Phase des Wissenschaftsministeriums.<br />
Tatsächlich müssen<br />
wir sie als Zeichen anerkennen,<br />
dass die Regierung und<br />
die Bürgerlichen die Frage der<br />
Krisenkosten für sich gewinnen<br />
konnten. Weitestgehend<br />
ohne Widerspruch folgt die<br />
Politik eben auch an der Universität<br />
einer Agenda von Einsparungen,<br />
Kürzungen und<br />
Belastungen. Diese Einsparungen<br />
passieren natürlich nicht<br />
deswegen weil die Regierung<br />
die Wichtigkeit höher qualifizierter<br />
Arbeitskräfte nicht<br />
ernst nimmt, viel mehr steht<br />
dahinter die „Notwendigkeit“<br />
Reformen zu schaffen, gleichzeitig<br />
das allgemeine Staatsschuldenproblem<br />
auch auf<br />
die Studierenden abzuwälzen,<br />
und somit die Universität zu<br />
„rationalisieren“.<br />
Auf der anderen Seite stellt sich<br />
dem an einzelnen Stellen immer<br />
wieder Protest entgegen –<br />
ein Protest zwar, der punktuell<br />
ausbricht, punktuell adressiert<br />
und es bisher kaum schafft, die<br />
Gründe hinter den Problemen<br />
zu erkennen und in den Fokus<br />
zu nehmen. Manche dieser<br />
Protestbewegungen haben es<br />
geschafft, eine erstaunliche<br />
Anzahl von Student*innen<br />
und Aktivist*innen in ihre<br />
Aktivitäten einzubeziehen<br />
und ihren Protest auch auf die<br />
Straße (beziehungsweise ins<br />
Rektorat) zu tragen. Es macht<br />
sich aber auch schon seit geraumer<br />
Zeit eine gewisse<br />
Demoralisierung und Perspektivlosigkeit<br />
unter den<br />
Studierenden bemerkbar, das<br />
äußert sich besonders darin,<br />
dass viele Proteste seit Jahren<br />
von den selben Aktivist*innen<br />
organisiert und getragen<br />
werden. Auf die Fragen der<br />
meisten, wie ein erfolgreicher<br />
Kampf an den Unis weitergehen<br />
kann, muss eine Antwort<br />
gefunden werden.<br />
Wohin wollen wir?<br />
Auf einer „taktischen“ Ebene<br />
sind die Aufgaben heute<br />
dieselben, die schon nach der<br />
Unibewegung von einigen als<br />
zentral erkannt wurden: Die<br />
Verstetigung und die Verallgemeinerung<br />
der Kämpfe. Was<br />
heißt das genau? Um einen<br />
Kampf gegen eine offensichtliche<br />
„Übermacht“, die das Aussitzen<br />
von Konflikten zu einer<br />
Kunstform entwickelt hat<br />
gewinnen zu können reichen<br />
einzelne Aktionen, egal wie<br />
groß oder kämpferisch, nicht.<br />
Es muss Widerstand auf einer<br />
regelmäßigen Ebene aufgebaut<br />
werden, der auch andere<br />
Student*innen während der<br />
Kämpfe anziehen kann.<br />
Gleichzeitig darf eine<br />
fortschrittliche Bewegung<br />
heute nicht der „Salami-Taktik“<br />
der Einsparungen nachgeben<br />
und sich bloß auf „ihre<br />
eigenen Probleme“ konzentrieren.<br />
Dass sich Regierung und<br />
Kapitalist*innen eine Gruppe<br />
nach der anderen zum Kaputtkürzen<br />
vornehmen hat<br />
ja auch den Grund, den Widerstand<br />
zu spalten. Statt sich<br />
dem anzupassen muss der<br />
Widerstand in den verschiedenen<br />
Bereichen vernetzt und<br />
durch gewählte (und abwählbare)<br />
Gremien koordiniert<br />
werden. Doch die Verallgemeinerung<br />
der Kämpfe bedeutet<br />
auch, Kritik und Forderungen<br />
am gemeinsamen<br />
Übel anzusetzen – nämlich<br />
an der Einsparungspflicht,<br />
der Krisenhaftigkeit und der<br />
Ungerechtigkeit des kapitalistischen<br />
Systems, die zu den<br />
Angriffen auf der Uni (und<br />
überall sonst) geführt haben.<br />
Hier finden sich auch gute Anknüpfungspunkte<br />
(Krise, Kapitalismus,<br />
sowie auch Hochschulzugang)<br />
um Widerstand<br />
von Studierenden mit der<br />
Arbeiter*innenbewegung zu<br />
verknüpfen, denn letztendlich<br />
sind es die Arbeiter*innen<br />
welche durch ihre Rolle im<br />
Produktionsprozess zum<br />
Beispiel durch Streiks den<br />
entscheidenden Druck auf<br />
Regierung und Kapital ausüben<br />
können. Auch wenn das<br />
heute sehr abstrakt klingt gab<br />
es dafür beispielsweise Ansätze<br />
in der Uni-brennt-Bewegung<br />
Ende <strong>200</strong>9 bei den Kollektivvertragsverhandlungen<br />
der Metaller*innen.<br />
Was sind die nächsten<br />
Schritte?<br />
Es muss jedoch anerkannt<br />
werden, dass die einzelnen<br />
Proteste weder in Zahlen noch<br />
in Argumenten eine Stärke<br />
erreicht haben, wo der entscheidende<br />
Schritt aussteht.<br />
Zwar sind die erwähnten Ziele<br />
auf einer prinzipiellen Ebene<br />
wichtig und müssen konsequent<br />
verfolgt werden, doch<br />
die nächsten Schritte haben<br />
darauf abzuzielen, dem einen<br />
Grundstein zu legen. Es ist<br />
notwendig, dass es gelingt<br />
konstant Menschen in verschiedenen,<br />
kämpferischen<br />
und auch kreativen Protestformen<br />
zu mobilisieren um dem<br />
Kampf eine zahlenmäßige Basis<br />
an kritischen Aktivist*innen<br />
aufzubauen. Gleichzeitig müssen<br />
wir von Anfang an eine<br />
demokratische und transparente<br />
Organisation der Proteste<br />
schaffen, die verständlich ist<br />
und zur Mitarbeit einlädt. Die<br />
zentralen Eigenschaften einer<br />
solchen Struktur wären:<br />
- Eine breite, demokratische,<br />
gewählte und jederzeit abwählbare<br />
Koordinationsstruktur wie<br />
ein Streikkomitee oder ein Aktionsrat<br />
- Eine klare Ausrichtung auf (als<br />
Kampagne „inszenierte“, also<br />
zusammenhängende) Aktionen<br />
und einzelne Zielsetzungen<br />
- Eine regelmäßige, aktivistische<br />
Außenarbeit an und vor den Unis<br />
die auch oder vor allem den Tatendrang<br />
und die Kreativität von Interessierten<br />
und Aktivist*innen<br />
nutzt<br />
- Ein ehrlicher Umgang mit<br />
Organisationen und politischen<br />
Zielen in diesen Strukturen<br />
Eine neue Unibewegung ist<br />
notwendig, und ebenso notwendig<br />
ist, dass sie aus den<br />
Fehlern der Vergangenheit<br />
lernt. Eine Bewegung, die<br />
transparent, offen und aktivistisch<br />
eine Systemkritik mit<br />
den einzelnen Problemen an<br />
der Universität verbindet, die<br />
den Klassencharakter der Angriffe<br />
erkennen und bekämpfen<br />
kann und die ihren Kampf<br />
nicht abgeschlossen von anderen<br />
gesellschaftlichen Bewegungen<br />
sieht, eine solche<br />
Bewegung kann und wird<br />
erfolgreich werden. Letztlich<br />
muss sich Protest auch mit<br />
den Lehrenden und anderem<br />
Personal an den Universitäten<br />
verbünden, und auch die<br />
Frage und auch die Organisierung<br />
von gemeinsamen<br />
Streiks angestrebt werden. Es<br />
ist die Aufgabe aller fortschrittlichen<br />
Aktivist*innen,<br />
die die Universität nicht<br />
links liegen lassen wollen,<br />
dafür zu sorgen, dass das<br />
passiert.