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Treppenrede

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<strong>Treppenrede</strong><br />

anlässlich der Verleihung des Preises „Sonnensegel-Ring 2002“ der Kinder- und Jugendkunstgalerie<br />

„Sonnensegel“ e.V. Brandenburg an der Havel am 8.Juni 2002<br />

Die Kinder- und Jugend Kunstgalerie Sonnensegel liebt es, mit Begriffen zu spielen,<br />

die Assoziationen wecken und gedankliche Perspektiven öffnen. Es begann mit dem<br />

Sonnensegel, dass Leichtigkeit vermittelt, dem Engel in seinen verschiedensten Erscheinungsformen,<br />

im Moment machen Sie Druck im Druck-Laden und nun bittet<br />

man mich um eine <strong>Treppenrede</strong>.<br />

So will ich heute Ihrem Beispiel folgen und mich an ein paar Begriffen entlang hangeln.<br />

Und ich will es auch kurz und knapp machen, schließlich haben Sie ein gedrängtes<br />

Programm.<br />

<strong>Treppenrede</strong>n sind bekannt geworden bei den Veranstaltungen der Akademie der<br />

Künste. Wahrscheinlich aus ganz profanen Gründen, weil das Foyer, das Treppenhaus,<br />

der größte Raum war und man sich auf der Treppe stehend auch eine Bühne<br />

sparte. Aber schon Mitte des 19. Jahrhundert sprach der Pastor Carl Heinrich Christian<br />

Lohmeyer von seiner „<strong>Treppenrede</strong>“, wenn er auf dem Weg von seiner Stube die<br />

steile Treppe hinunter zur Haustür seelsorgerisch auf seine Besucher einredete. Solche<br />

<strong>Treppenrede</strong>n würde ich allerdings lieber dem Vorsitzenden des Aktionsbündnisses,<br />

dem Generalsuperintendenten Wischnath überlassen.<br />

Eine Treppe ist in der Renaissancekunst ein Symbol für Aufstieg und Niedergang<br />

und bei den Olympischen Spielen ein Siegerpodest. Kaum jemand von uns weiß<br />

wahrscheinlich, was der Begriff Treppenwitz eigentlich bedeutet: eine treffende Entgegnung,<br />

die einem erst nachträglich beim Weggehen, auf der Treppe einfällt. "Der<br />

Geschichte fällt, gerade wie dem von der Audienz herunterkommenden Bittsteller,<br />

ein pikantes, gerade passendes Wort fast immer hinterher ein."<br />

So stehe ich jetzt auf einer Treppe und hoffe, dass mir sofort der jetzt richtige Einfall<br />

gekommen ist. Eine Treppe bietet eigentlich auf jeder Stufe neue Perspektiven. Ich<br />

stehe hier in der Mitte, also nicht mehr unten, aber auch nicht ganz oben, aber ich<br />

habe alles beides noch im Blick. Die „Mitte der Gesellschaft“, eine Formulierung,<br />

die wir häufig benutzen. Die politischen Parteien tummeln sich fast alle in der Mitte,<br />

dass sie eigentlich fast schon Platzangst bekommen müssten. Man vermittelt uns<br />

den Eindruck, in der Mitte sei man auf der sicheren Seite, jenseits des Bösen der<br />

Extreme, mit denen man ja gar nichts zu tun hat. Stimmt das wirklich?<br />

Im Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit,<br />

dessen stellvertretender Vorsitzender ich bin, versuchen wir die Situation in unserem<br />

Lande einzuschätzen: Da sind die nach einer neuen von Bundesinnenministerium<br />

herausgegebenen Studie signifikanten Täter: männliche Jugendliche mit niedrigem<br />

Bildungsstand und unter erheblichen Alkoholkonsum. Bei einer solchen Nachricht,<br />

die nicht bezweifelt werden soll, lehnen sich die meisten Bürger zurück und sagen,<br />

damit haben wir doch nichts zu tun. Sind wir doch in der Mitte. Doch dann kommen<br />

die sog. „Normalbürger“, die nicht nur am Stammtisch verkünden, dass Ausländer<br />

uns die Arbeitplätze wegnehmen, die sich bei Angriffen gegen Fremde fragen, was<br />

die zu dieser Zeit überhaupt auf der Straße zu suchen hätten und die die rechten


2<br />

Wahlerfolge in Italien, Frankreich, England, Österreich und in den Niederlanden als<br />

Indiz dafür ansehen, dass dann bei uns im Vergleich dazu ja wohl nicht so schlimm<br />

sein können.<br />

Und dann kommt die weitere Stufe, nämlich die Versuchung den Wahlkampf populistisch<br />

zu instrumentalisieren und das Thema „Ausländer“ und Zuwanderungsgesetz<br />

zum Wahlkampfthema zu machen und so Ängste zu schüren, weil man annimmt,<br />

dass die Wähler so etwas „goutieren“. Dann spielt ein stellvertretender Parteivorsitzender<br />

mit dem Feuer, weil er offensichtlich glaubt, mit antisemitischen Sprüchen<br />

Wähler einfangen zu können. Wird das mit dem Bedrohungsszenario des internationalen<br />

Terrorismus verknüpft, besteht durchaus auch bei uns wieder die Möglichkeit,<br />

dass die Flammen emporschießen eine mit Angst verbundene und aus dem Entsetzen<br />

sich nährende Stimmung gegen alles Fremde eskaliert.<br />

Machen wir uns nichts vor, das Feuer von Gewalt, Rechtsextremismus und<br />

Fremdenfeindlichkeit ist nicht gelöscht. Eine menschenverachtende<br />

Fremdenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft nur von einer dünnen<br />

Oberfläche überdeckt, die politisch nicht ausreichend bekämpft bzw. für kurzfristige<br />

politische Zwecke instrumentalisiert wird.<br />

Es gibt weiterhin tagtäglich irgendwo im Land Überfälle von überwiegend jungen<br />

Menschen, wobei sich das Outfit ändern mag und die gegenwärtige Wahrnehmung in<br />

der Öffentlichkeit – im Unterschied zum Sommer 2000 – eher mangelhaft ist.<br />

Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, die von großen Balkenüberschriften oder 30<br />

Sekunden-Takes in Fernsehen bestimmt ist.<br />

Man schreckt auf,<br />

- wenn in Düsseldorf ein Brandsatz auf eine Synagoge fliegt,<br />

- wenn BSE offensichtlich die Gesundheit gefährdet,<br />

- wenn am 11. September 2001 das World-Trade-Center in New York unter einem<br />

Terrorangriff zusammenbricht,<br />

- wenn der NPD-Verbotsprozeß beinahe an den V-Leuten des Verfassungsschutzes<br />

scheitert,<br />

- wenn die PISA-Studie den deutschen Schülern Unfähigkeit bescheinigt,<br />

- wenn in Erfurt ein junger Mensch Lehrer und Schüler ermordet,<br />

Doch bewegt es uns wirklich langfristig oder ist das alles nicht mehr zu verkraften?<br />

Wie schnell gehen wir zur Tagesordnung über. Wer weiß, was in ein paar Wochen im<br />

Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen wird?<br />

Daß in Wittstock ein junger Russlanddeutscher nach einem Discobesuch so brutal<br />

zusammengeschlagen wurde, daß er Tage danach starb, hat kaum Schlagzeilen<br />

verursacht. Auch nicht in der Tagesschau, die solche Meldungen – wenn sie aus den<br />

neuen Ländern kommen – fast immer an erster Stelle bringt. Aber wohl nur deshalb,<br />

weil Kölner Polizisten im Verdacht standen, einen Festgenommenen zu Tode geprügelt<br />

zu haben.<br />

Man könnte den Mut verlieren und sich irgendwo verkriechen. Häufig fragt man, ja,<br />

warum tut denn keiner was gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Warum tun<br />

denn die da oben nichts dagegen? Wir werden eigentlich fast nie gefragt: Was können<br />

wir denn tun? Was kann ich denn tun? Gegen Gewalt, gegen Fremdenfeindlichkeit,<br />

gegen Werteverfall, gegen soziale Kälte, gegen fehlende Menschlichkeit.


3<br />

Doch ich wäre ungerecht, denn man muß auch feststellen:<br />

Die Menschen in Brandenburg sind für Gewalt und Fremdenfeindlichkeit sensibler<br />

geworden, es sind mehr bereit, aktiv zu sein und einzugreifen. Es gibt einen deutlichen<br />

Zuwachs an Zivilcourage.<br />

Es ist auch beeindruckend, mit welcher Kreativität man an vielen Orten aktiv wird. An<br />

einem solchen Ort befinden wir uns hier. Hier fragt man sich immer wieder, was können<br />

wir tun. Und wenn ich an den Engel denke, der ein Thema Ihrer Aktivitäten war,<br />

mußte ich an einen Spruch von Johann Wolfgang von Goethe denken. Manche meinen<br />

zwar, der Spruch sei von Albert Schweitzer oder ein indisches Sprichwort. Ich<br />

bleibe einfach bei Goethe – daß wir Kindern zwei Dinge geben sollten: Wurzel und<br />

Flügel. Wurzeln, die Halt geben, man weiß, wo man hingehört, aber eben auch Flügel,<br />

die einen helfen, sich aus seinen Zwängen und Vorurteilen zu lösen und einem<br />

auch ermöglichen auch andere Wege zu gehen (oder besser zu fliegen).<br />

Ich finde, daß Begriffspaar Flügel und Wurzeln paßt gut zur Galerie Sonnensegel.<br />

Sie haben sich ein weiteres Begriffspaar zu ihrer Aufgabe gewählt. Das Wort Druck<br />

in seinen verschiedenen Bedeutungen. Der alte Brockhaus von 1848 definiert Druck<br />

„als die Wirkung eines ruhenden Körpers, der von einer Kraft zur Bewegung getrieben<br />

wird, auf einen ihn berührenden Körper, der dieser Bewegung entgegensteht. Da<br />

auch dasjenige, was Bewegung hindert, Kraft genannt wird, so muß in dem widerstrebenden<br />

Körper ebenfalls eine Kraft sein, welche die Wirkung jener oder die Bewegung<br />

des drückenden Körpers hindert.“ Mit dem Zitat könnte ich Sie jetzt eigentlich<br />

auf der Treppe alleine lassen und jeder wird sicherlich eine passende Interpretation<br />

finden.<br />

Aber ich möchte schließen mit dem Satz,<br />

daß wir den Gegendruck zur Unmenschlichkeit und Gewalt brauchen.<br />

daß wir nicht wegsehen dürfen, was um uns herum passiert und<br />

daß wir uns daran erfreuen sollten, wenn im Druck-Laden auch die Druck-Ergebnisse<br />

anschaubar sind.

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