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lautwerdende geheime Ironie – das einzige Mittel übrigens, wie mir scheint, das den menschlich<br />
hochproblematischen Typus des Beamten adeln und legitim machen kann. Ein immer waches<br />
Wissen darum, daß der mächtige und würdige Mann hinter der Schranke und der schwache und<br />
ausgelieferte vor ihr beide Menschen und nichts weiter sind; daß sie Rollen in einem Spiel haben;<br />
daß die Rolle des Beamten zwar Strenge und Kühle verlangt, aber ebenso größte Behutsamkeit,<br />
Wohlwollen und Umsicht; daß eine im kältesten Amtsdeutsch zu schreibende Verfügung in einer<br />
heiklen Sache mehr Zartgefühl verlangen kann als ein lyrisches Gedicht, mehr Weisheit und Sinn für<br />
Balance als die Lösung eines Roman–Knotens. Auf den Spaziergängen, die mein Vater in diesen<br />
Jahren mit mir zu machen liebte, versuchte er mich vorsichtig in diese höheren Geheimnisse der<br />
Bürokratie einzuweihen.<br />
Denn ihm lag daran, daß ich Beamter wurde. Er hatte nicht ohne eine gewisse Bestürzung<br />
wahrgenommen, daß das, was bei ihm Lektüre und Diskussion geblieben war, bei mir die Tendenz<br />
zeigte, ins Schreiben auszuarten, und er hatte es nicht übermäßig ermutigt. Selbstverständlich war<br />
er nicht mit plumpen Verboten vorgegangen, gewiß nicht, keineswegs: Ich mochte in meiner Freizeit<br />
soviel Romane, Novellen und Essays schreiben, wie ich wollte, und sollten sie gedruckt werden und<br />
mich ernähren, umso besser. Aber inzwischen hatte ich »etwas Vernünftiges« zu studieren und meine<br />
Examina zu machen. Im tiefsten Grunde sah er mit puritanischem Mißtrauen auf eine Existenz, die<br />
darin bestand, in Caféhäuser zu gehen und zu unregelmäßigen Zeiten Blätter vollzukritzeln; und war<br />
mit liberaler Weisheit abgeneigt dagegen, den Staat und die Verwaltung den Banausen zu<br />
überlassen, die sich in Machtgenuß und Schikane gefielen, das hohe Kapital von wirklicher<br />
Staatsautorität mit sinnlosem Auftrumpfen und Dekretieren verschleuderten und, seiner Meinung<br />
nach, ohnehin bereits in allen Verwaltungen überhandnahmen. Er tat das Seinige, um das aus mir zu<br />
machen, was er gewesen war: einen gebildeten Beamten. Und wahrscheinlich glaubte er damit<br />
sowohl mir wie dem Deutschen Reich den besten Dienst zu erweisen.<br />
So hatte ich also Jura studiert und war »Referendar« geworden. Anders als in den angelsächsischen<br />
Ländern, wird in Deutschland der angehende Richter oder Verwaltungsbeamte unmittelbar nach<br />
beendetem Studium – mit 22, 23 Jahren – an die Ausübung von Autorität gewöhnt: Als »Referendar«,<br />
d.h., ungefähr, Volontär, arbeitet er an allen Gerichten und Behörden wie ein Richter oder<br />
Regierungsbeamter mit, nur ohne eigene Verantwortung und eigene Entscheidungsgewalt (auch<br />
ohne Gehalt). Immerhin: Viele Urteile, von Richtern unterzeichnet, sind von Referendaren abgefaßt;<br />
in den Beratungen hat der Referendar zwar keine Stimme, aber Vortragsrecht und gar nicht so<br />
selten tatsächlichen Einfluß; an zwei meiner Ausbildungsstellen ließ mich der Richter,<br />
entlastungsfroh, sogar die Verhandlungen leiten ... Diese plötzliche Amtsgewalt ist für einen jungen<br />
Menschen, der sonst nichts als ein Haussohn ist, zweifellos ein Erlebnis, das, zum Guten oder zum<br />
Schlechten, erheblichen Einfluß auf ihn haben muß. Mir gab es, zum mindesten, zweierlei: eine<br />
bestimmte »Haltung« – eine Attitüde von Kühle, Ruhe und wohlwollender Trockenheit, die man<br />
vielleicht nur hinter einer Amtsschranke lernt; und eine gewisse Fähigkeit zum Denken in<br />
»Behördenlogik«, in einer gewissen Art von legaler Abstraktion. Wie alles wurde, habe ich wenig<br />
Gelegenheit gehabt, von beidem den vorgesehenen Gebrauch zu machen. Wohl aber hat es –<br />
namentlich das zweite – ein paar Jahre später mir und meiner Frau buchstäblich das Leben gerettet;<br />
das konnte mein Vater freilich nicht ahnen, als er dafür sorgte, daß ich es lernte.<br />
Abgesehen hiervon kann ich heute nur mitleidig lächeln, wenn ich mich frage, wie ich auf das<br />
Abenteuer vorbereitet war, das mir bevorstand. Ich war es überhaupt nicht. Ich konnte nicht einmal<br />
boxen oder Jiu–Jitsu – gar nicht zu reden von solchen Wissenschaften wie Schmuggeln, Grenzen<br />
passieren, Geheimzeichen benutzen usw.; lauter Dinge, deren Kenntnis in den nächsten Jahren<br />
überaus nützlich gewesen wäre. Aber auch mit meiner spirituellen Vorbereitung auf das<br />
Bevorstehende war es überaus schwach bestellt. Sagt man nicht, daß die Generalstäbe ihre Armeen<br />
in Friedenszeiten immer vorzüglich vorbereiten – auf den letztvergangenen Krieg? Ich weiß nicht, wie<br />
es damit ist. Aber sicher erziehen alle gewissenhaften Familien ihre Söhne stets vorzüglich für die<br />
letztvergangene Epoche. Ich besaß das gesamte intellektuelle Rüstzeug, um eine gute Rolle in der<br />
bürgerlichen Epoche von vor 1914 zu spielen; und außerdem, aus gewissen zeitgeschichtlichen<br />
Erfahrungen heraus, ein gewisses Vorgefühl dafür, daß es mir möglicherweise wenig nützen würde.<br />
Das war aber auch alles. Von dem, womit ich im Begriff war konfrontiert zu werden, hatte ich<br />
bestenfalls einen warnenden Geruch in der Nase; aber ich besaß keine Begriffswelt, in der es<br />
unterzubringen gewesen wäre.