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und wilddekorierten Umgebung, unter dem Lärm durcheinanderspielender Tanzkapellen, unter<br />
großer Verschwendung von allen obligaten Faschingsutensilien wie Papierschlangen, Lampions usw.,<br />
mit Hilfe von soviel Alkohol wie man bezahlen kann, und in der sardinenbüchsenhaft engen<br />
Umgebung von einigen tausend Leuten, die alle dasselbe tun und sich daher gegenseitig wenig<br />
genieren.<br />
Der Ball, auf den ich damals ging, hieß aus irgendeinem Grund »Dachkahn«, wurde von irgendeiner<br />
Kunstschule veranstaltet, und war ein großer, lauter, bunter, überfüllter Ball wie alle diese Berliner<br />
Faschingsbälle. Es war am 25. Februar, einem Sonnabend. Ich kam ziemlich spät, und es war schon<br />
voller Betrieb, eine wimmelnde Fülle von bunten Seidenfetzen, nackten Schultern und nackten<br />
Mädchenbeinen, ein Gedränge, in dem man nicht von der Stelle kam, kein Platz an den Garderoben,<br />
kein Platz an den Buffets. Die Fülle gehörte zum »Betrieb«.<br />
Ich kam nicht ganz in der richtigen Stimmung, im Gegenteil, ich war ein wenig niedergeschlagen, als<br />
ich kam. Ich hatte beunruhigende Gerüchte gehört diesen Nachmittag: Der Wahlkampf ginge nicht<br />
nach Wunsch; die Nazis planten einen Staatsstreich, Massenverhaftungen, Schreckensherrschaft;<br />
man müsse sich auf einiges gefaßt machen in den nächsten Wochen. Unbehaglich – obwohl<br />
natürlich wieder nur Zeitungsstoff. Die Wirklichkeit war hier, nicht wahr?, in diesen<br />
vorbeischwirrenden Stimmen, dem Gelächter, der Tanzmusik, dem freigiebig verschenkten<br />
Mädchenlächeln.<br />
Aber plötzlich, während ich unschlüssig und abgelenkt auf irgendeiner Stufe stand und den ganzen<br />
Strudel um mich herumwogen sah – hitzige, glühende, eifrig lächelnde Gesichter, so massenhaft,<br />
ach und so harmlos, alle nur darauf aus, sich eine nette Freundin, einen netten Freund auszulosen,<br />
für eine Nacht oder für einen Sommer, einen Tropfen Lebenssüßigkeit, ein kleines Abenteuer, ein<br />
Erlebnis zum Sich–dran–erinnern – plötzlich überkam mich ein seltsames, schwindlig machendes<br />
Gefühl: als wäre ich mit allen diesen tausend bunt herausgeputzten jungen Leuten eingeschlossen<br />
in einem riesigen, unentrinnbaren, schwer schlingernden und rollenden Schiff, in dessen<br />
entlegenster, mauseloch–kleinster Kajüte wir noch tanzten, während oben auf der Brücke gerade<br />
schon beschlossen war, diesen ganzen Schiffsteil zu überfluten und uns alle zu ersäufen, Mann und<br />
Maus.<br />
Dann schob sich ein Arm von hinten unter meinem Arm, ich hörte eine nette bekannte Stimme, und<br />
ich kehrte – ja, wohin? Sagen wir also: in die Wirklichkeit – zurück. Es war eine alte Bekannte aus<br />
glücklichen Tenniszeiten, ein Mädchen namens Lisl, lange aus den Augen verloren, fast vergessen,<br />
nun also plötzlich wieder da, altbekannt und freundlich, sehr trost– und scherzbereit. Sie stellte sich<br />
resolut zwischen mich und meine schwarzen Gedanken, verdeckte mir mit ihrer kleinen, standfesten<br />
Person Gott, die Welt und die Nazis und führte mich zurück auf den Pfad meiner Faschingspflicht.<br />
Binnen einer Stunde war ich verkuppelt, mein Lotterielos war gezogen: ein kleines schwarzes<br />
Mädchen, gekleidet wie ein Türkenknabe, sehr zierlich anzusehen, große braune Frauenaugen im<br />
Gesicht. Flüchtig betrachtet, erinnerte sie ein wenig an die Schauspielerin Elisabeth Bergner. Das<br />
war auch ihr Ehrgeiz; es war der Ehrgeiz jedes Berliner Mädchens damals. Man durfte sich nichts<br />
besseres wünschen.<br />
Lisl, mit aufmunterndem Winken, verlor sich im Gewühl, und das Bergnermädchen wurde meine<br />
Freundin für diese Nacht. Nicht nur für diese Nacht, für eine ganze elende Zeit, die kommen sollte.<br />
Keine ganz glückliche Freundschaft, aber was wußte ich davon jetzt! Sie war leicht wie eine Feder,<br />
sie lag angenehm im Arm beim Tanzen; sie sprach altklug mit einer kleinen hohen Stimme, sie<br />
machte, mit einem gewissen trocken–spröden berlinischen Charme, kleine freche Scherze und<br />
bekam dabei Lichter in ihre großen Augen, die älter waren als ihr Gesicht. Sie war reizend genug, ich<br />
war zufrieden mit meinem Lose. Eine Weile tanzten wir, dann gingen wir irgendwann etwas<br />
zusammen trinken, dann gingen wir spazieren, und irgendwo in einem kleinen Raum, wo die<br />
Tanzmusik nur gedämpft hereinlärmte, ließen wir uns nieder, versuchten, unsere Namen zu erraten,<br />
und zogen es schließlich vor, uns welche zu geben. Sie taufte mich »Peter«. Ich taufte sie »Charlie«.<br />
Gute Namen für ein Liebespaar aus einem Vicky–Baum–Roman. Man konnte sich keine besseren<br />
wünschen. Indem wir sie uns gaben, schickten wir uns an, ein braves kleines à–la–mode–<br />
Liebespaar zu werden. Einige andere Paare rechts und links waren mit sich beschäftigt. Sie störten<br />
uns nicht. Ein alter Schauspieler aber, einsam und gebietend im Raume aufgepflanzt, mischte sich<br />
wehmütig–segnend ein, nannte uns »Kinderehen« und bestellte Cocktails für alle. Es war fast eine<br />
Familienszene. Allmählich bekam man schon wieder Lust, ein wenig zu tanzen. Ich hatte auch Lisl<br />
versprochen, sie noch einmal irgendwo zu besuchen. Es kam aber anders.